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If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Römische Geschichte Book 1 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3060] +[Most recently updated: January 15, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + + + + +Römische Geschichte + +Erstes Buch + +Bis zur Abschaffung des römischen Königtums + +von Theodor Mommsen + + +The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some +(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a +modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek +words, nor is there any differentiation between the different accents of +ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. + +Contents + + Vorrede zu der zweiten Auflage + Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage + + Erstes Buch—Bis zur Abschaffung des römischen Königtums + Kapitel I. Einleitung + Kapitel II. Die ältesten Einwanderungen in Italien + Kapitel III. Die Ansiedelungen der Latiner + Kapitel IV. Die Anfänge Roms + Kapitel V. Die ursprüngliche Verfassung Roms + Kapitel VI. Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung + Kapitel VII. Roms Hegemonie in Latium + Kapitel VIII. Die umbrisch-sabellischen Stämme. + Anfänge der Samniten + Kapitel IX. Die Etrusker + Kapitel X. Die Hellenen in Italien. + Seeherrschaft der Tusker und Karthager + Kapitel XI. Recht und Gericht + Kapitel XII. Religion + Kapitel XIII. Ackerbau, Gewerbe und Verkehr + Kapitel XIV. Mass und Schrift + Kapitel XV. Die Kunst + + + + +Vorrede zu der zweiten Auflage + + +Die neue Auflage der ‘Roemischen Geschichte’ weicht von der frueheren +betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten Buechern, +welche die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo +die pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich +selbst Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind +die Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und +die Zeit- und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker +bereiten, von der Art, dass er schwerlich andern und gewiss sich selber +nicht genuegt. Obwohl der Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen +Schwierigkeiten der Forschung und der Darstellung ernstlich gerungen +hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte, so blieb dennoch notwendig, +hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese Auflage ist eine +Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die +staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung +der dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach +aufgenommen worden. Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken +ausgefuellt, die Darstellung durchgaengig schaerfer und reichlicher +gefasst, die ganze Anordnung klarer und uebersichtlicher gestellt. Es +sind ferner im dritten Buche die inneren Verhaeltnisse der roemischen +Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht, wie in der ersten +Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit wie die +Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt +worden. + +Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche +Aufgaben zu loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also +zu entschuldigen wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf +jeden Fall hat der Verfasser es dankbar anzuerkennen, dass das +oeffentliche Urteil nicht jene leicht ersichtlichen Luecken und +Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr wie den Beifall so +auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es +abgeschlossen und fertig war. + +Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer +einzurichten sich bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der +Stadt ist im Texte beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das +entsprechende Jahr vor Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist +durchgaengig das Jahr 1 der Stadt dem Jahre 753 vor Christi Geburt und +dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt worden; obgleich, wenn die +verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen Sonnenjahres mit dem 1. +Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt werden, nach +genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des +Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier +letzten Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4 +entsprechen wuerde. Das roemische und griechische Geld ist durchgaengig +in der Art reduziert worden, dass Pfundas und Sesterz, Denar und +attische Drachme als gleich genommen und fuer alle Summen ueber 100 +Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu 100 Denaren der +heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde gelegt +wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000 +Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304½ +Talern preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch +angesetzt wird. Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird +die militaerische Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als +die Erzaehlung es vermag. Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser +die Uebersicht erleichtern. Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird +dem dritten Bande beigegeben werden **, da anderweitige Obliegenheiten +es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so rasch, wie er es +wuenschte, zu foerdern. + +——————- + +* Hier in Klammern im Text. + +** Karte und Register sind hier weggelassen. + +——————- + +Breslau, im November 1856 + +Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande +dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst +gewesen ist, sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu +aufgefundenen Fragmenten des Licinianus, welche er durch die +zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, Herrn Karl Pertz, bereits +vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat einsehen duerfen und die +zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der Schlacht bei Pydna +bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige Ergaenzung, +freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben. + +Breslau, im Mai 1857 + + + + +Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage +Einleitung + + +Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) +Auflage wird man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich +abweichend finden. Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den +Verfasser eines Werkes, wie das vorliegende ist, verpflichtet erachten, +fuer dessen neue Auflagen jede inzwischen erschienene +Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu wiederholen. Was +inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen der +zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als +versehen oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu +einer Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung +dargeboten. Eine Ausfuehrung ueber die Grundlagen der roemischen +Chronologie im vierzehnten Kapitel des dritten Buches ist spaeterhin in +umfassender und dem Stoffe angemessener Weise in einer besonderen +Schrift (‘Die roemische Chronologie bis auf Caesar’. Zweite Auflage. +Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung +der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt +worden. Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert. + +Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am +4. August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober +1902. + +Meinem Freunde +Moritz Haupt +In Berlin + + + + +Erstes Buch +Bis zur Abschaffung des römischen Königtums + + +Τά παλαίστερα σαφώς μέν ευρείν διά χρόνου πλήθος αδύνατα ήν. Εκ δέ +τεκμηρίων ων επί μακρότατον σκοπούντί μοι πιστεύσαι ξυμβαίνει ου μεγάλα +νομίζω γενέσθαι, ούτε κατά τούς πολέμους οίτε ες τά άλλα. + +Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht +genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im +grossen Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht +erheblich waren, weder in bezug auf die Kriege noch sonst. + +Thukydides + + + + +KAPITEL I. +Einleitung + + +Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief +einschneidend in die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet +und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald +wieder sich in betraechtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile der +Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten +Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich +betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein Ganzes +ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die +Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der +Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien +an uns vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen +Stammes an dem suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen +Nation, die die Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein +bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des +Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europaeischen +Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl +knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an andere Gesichts- +und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren eigenen +abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten +Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger +Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen +Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach +sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder +ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt +Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit +gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom +bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf +eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation +gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle +Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und +entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue +Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie +die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer ergossen +und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der +noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer +an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von der +neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die neue +Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen +Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl +anschliesst an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der +Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, aber auch +wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und +Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen +der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende Muehe +des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss +erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst +das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des +erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges +sein; das grossartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und +kann sie erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so +wie es am Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde +und in hoeherem Sinne neu gestellt wird. + +Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen +weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren +unter den drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in +das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den +westlichen Alpen aus nach Sueden sich verzweigenden Gebirge. Der +Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher Richtung zwischen dem +breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des Mittelmeers, +an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu der +Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen +erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher +Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach +einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in +einen flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug +und schliesst dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln +ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab +sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete +Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, +demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im +siebenten Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia bis +Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte +Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin. +Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit +durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene +Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen +eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von +dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- +und Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden +von dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen +Ruecken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in +einfoermiger Flaeche mit schwach entwickelter Kuesten- und Strombildung +aus. An der Suedkueste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen +der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Huegelland eine +ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich und +fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden +Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und +den einst zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, +Hafen- und Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften +Etrurien, Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis +suedlich von Kampanien das Vorland allmaehlich verschwindet und die +Gebirgskette fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespuelt +wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der Peloponnes, so an +Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und groesste des +Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor +allem im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, +grossenteils vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie +geographisch die sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen “Riss” +(Ρήγιον) der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so +ist auch geschichtlich Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein +Teil Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz +derselben Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren +Gesittung. Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die +gemaessigte Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen +Bergen und im ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der +Kuestenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche +Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist +Italien dem Nachbarn ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die +fruchtbaren und kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die +Viehzucht ihrer bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das +die Taetigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen +Streben die Bahnen in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem +Gewinn daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische +Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. +Wie das epirotische und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die +apulischen und messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter +Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die +geschichtliche Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten +schauen, so sehen Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen +die beiden so eng benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln +gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von +Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und +Hellenen sich doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt +als auf der naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie +so oft in den Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker +vorgezeichnet: die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation +der Alten Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine +nach Osten, der andere nach Westen. + +Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht +die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die +Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien, +dann ueber die Welt gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren +geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, was man +die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu nennen gewohnt ist, +vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der +Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein +Zweig sind. + +Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die +innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung +des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen +Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen +Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefaehrdung seiner +nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung +durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch +Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge +und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden +italischen Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie +auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten +Jahrhunderts vor Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es +wird dies den Inhalt der beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten +Abschnitt eroeffnen die Punischen Kriege; er umfasst die reissend +schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an und ueber Italiens +natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen Kaiserzeit +und das Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten +und den folgenden Buechern erzaehlt werden. + + + + +KAPITEL II. +Die ältesten Einwanderungen in Italien + + +Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten +Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im +Altertum der Glaube allgemein, dass dort wie ueberall die erste +Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung +ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische +Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem +Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch +wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines +Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist. + +Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive +Voelkerschichtung in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung +von der unvollkommenen zu der vollkommneren Kultur und die +Unterdrueckung der minder kulturfaehigen oder auch nur minder +entwickelten Staemme durch hoeher stehende Nationen soweit moeglich +rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend arm an +Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in +einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den +Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England, +Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische +Staemme hier sich ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer +Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von Jagd und Fischfang +lebte, seine Geraete aus Stein, Ton oder Knochen verfertigte und mit +Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des Ackerbaues aber und des +Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise ging in Indien +der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige +Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer +verdraengten Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und +Lappen und die schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch +ist daselbst bis jetzt die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes +nachgewiesen worden, wie sie die eigentuemlich gearteten Gerippe, die +Mahlzeit- und Grabstaetten der sogenannten Steinepoche des deutschen +Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein +gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in Italien die Existenz +des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des Ackers und das +Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens +das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden +hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon +doch jede Spur schlechterdings ausgeloescht. + +Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die +Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von +einzelnen, wie von den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von +den Brettiern und den Bewohnern der sabinischen Landschaft, die +Denationalisierung geschichtlich bezeugt. Nach Ausscheidung beider +Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, deren Wanderungen nicht +mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens auf +aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet +nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her +erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet die +Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig +angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten, +angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen +brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens +geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer +Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste +man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst +auch fuer uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur +Bruchstuecke, aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die +einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit +ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war +der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die nachfolgende +Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen +auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen +hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die +Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen +den einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. + +So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme +unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen, +wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige +sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der +Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehoeren. + +Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten +Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, +sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in +ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms +der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von +den latinischen und samnitischen Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige +Angaben und zahlreiche Spuren fuehren dahin, dass die gleiche Sprache +und der gleiche Stamm urspruenglich auch in Apulien heimisch war. Was +wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um dasselbe von den +uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um positiv +den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der +Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht +entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen +wird. Dass der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen +die Genetivformen aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, +dem griechischen οιο anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der +Gebrauch der aspirierten Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m +und t im Auslaut, zeigen diesen iapygischen in wesentlicher +Verschiedenheit von den italischen und in einer gewissen +Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer +vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den +Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften +mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in der +auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen Nationen +scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich +hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos’ Zeit (400 Roms, [350]) +als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert +der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von +Griechenland aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische +Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier +zeigen sich vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei +dieser allgemeinen Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den +Hellenen, die aber doch keineswegs so weit reicht, dass man die +Iapygersprache als einen rohen Dialekt des Hellenischen auffassen +koennte, wird die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen bleiben +muessen, bis ein schaerferes und besser gesichertes Ergebnis zu +erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes nicht sehr empfindlich; denn +nur weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn +unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig +widerstandsfaehige, leicht in andere Nationalitaeten sich aufloesende +Charakter der iapygischen Nation passt wohl zu der Annahme, welche +durch ihre geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, dass dies +die aeltesten Einwanderer oder die historischen Autochthonen Italiens +sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten Wanderungen der Voelker +alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen +Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und +deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. Kamen +aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog +aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der +Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die am weitesten nach +Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner Italiens sein werden; +und eben an dessen aeusserstem suedoestlichen Saume begegnen wir der +iapygischen Nation. + +———————————————————————————- + +^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie +θeotoras artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. + +^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine +Tatsache von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche +Vergleichungspunkte hin, eine Verwandtschaft zwischen der iapygischen +Sprache und der heutigen albanesischen angenommen. Sollte diese +Stammverwandtschaft sich bestaetigen und sollten anderseits die +Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen und +italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener +hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz +Griechenland und namentlich in den noerdlichen Landschaften +hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet damit als +auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger in Italien +ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst noch nicht +folgen. + +————————————————————————————————- + +Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung +zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen +desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm +sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der +iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig das +italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der +Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner +einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern, den +Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den +Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der +diesen Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein +Glied sind in der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, +in der sie eine Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. +Im Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin +sie uebereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von +allen hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit +selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die +haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den +Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch +eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch +allein f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen +soweit moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig +beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das +Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung +der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen +und mit den Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in +geringerem als diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen +im Umbrischen ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist +begruendet, sondern spaetere Verderbnis, welche sich in derselben +Richtung wenngleich schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze +Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im Auslaut +regelmaessig, lange haeufig ab; die schliessenden Konsonanten sind +dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zaehigkeit +festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch diese fallen laesst. +Damit haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den italischen +Sprachen nur geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein +eigentuemliches, durch Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle +tritt; ferner dass der groesste Teil der Tempora durch +Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, waehrend den +Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch der +Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die italischen Sprachen +wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, haben sie den +Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, grossenteils auch +den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint Anstoss +daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit +und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den Beugungen sich +ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe festhielt. +Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist die in den +Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo durchgefuehrte +Substantivierung der Zeitwoerter. + +Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten +Beispiele genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes +jedem anderen indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben +zugleich sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der +Griechen; der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der +Deutsche und der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller +italischen wie aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss +frueh und klar den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein; +denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes Wort +raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen +bezeichnet, und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Οπικός, +die von allen, den Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und +samnitischen Stmmen, nicht aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht +wird. + +Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische +wieder in einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen +Dialekten. Allerdings sind von diesen nur zwei, der umbrische und der +samnitische oder oskische Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in +aeusserst lueckenhafter und schwankender Weise bekannt; von den +uebrigen Dialekten sind die einen, wie der volskische und der +marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie in ihrer +Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit +Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der +sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im +provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes +laesst die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen +daran keinen Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem +umbrisch-samnitischen Zweig des grossen italischen Stammes angehoert +haben, und dass dieser, obwohl dem lateinischen Stamm weit naeher als +dem griechischen verwandt, doch auch wieder von ihm aufs bestimmteste +sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig sagte der Samnite und +der Umbrer p, wo der Roemer q sprach - so pis fuer quis; ganz wie sich +auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem Keltischen +in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen ist. +In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt +den noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen +italischen Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass +in der Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten +Grundvokal abschwaecht, was nicht geschieht in der verwandten +Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter auf a ist in dieser wie bei den +Griechen as, bei den Roemern in der ausgebildeten Sprache ae; der der +Woerter auf us im Samnitischen eis, im Umbrischen es, bei den Roemern +ei; der Lokativ tritt bei diesen im Sprachbewusstsein mehr und mehr +zurueck, waehrend er in den andern italischen Dialekten in vollem +Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im Lateinischen +vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den Roemern +fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete +Futur nach griechischer Art (her-est wie λέγ-σω) bei den Roemern fast, +vielleicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des +einfachen Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In +vielen dieser Faelle, zum Beispiel in den Kasusformen, sind die +Unterschiede indes nur vorhanden fuer die beiderseits ausgebildeten +Sprachen, waehrend die Anfaenge zusammenfallen. Wenn also die italische +Sprache neben der griechischen selbstaendig steht, so verhaelt sich +innerhalb jener die lateinische Mundart zu der umbrisch-samnitischen +etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich die +Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten +Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und +in Sparta. + +Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines +historischen Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener +Sicherheit erschliessen, dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss +der Voelker und der Sprachen ein Stamm ausschied, der die Ahnen der +Griechen und der Italiker gemeinschaftlich in sich schloss; dass aus +diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese wieder in den +westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in Umbrer +und Osker auseinander gingen. + +Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache +nicht lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen +Revolutionen ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft +lange vor derjenigen Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter +der Italiker ueber die Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung +der Sprachen, richtig und vorsichtig behandelt, von demjenigen +Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand, als jene Trennungen +eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge der +Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der +Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache +das treue Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen +technischen und sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv +aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer +jene Zeiten zu schoepfen, aus welchen alle unmittelbare Ueberlieferung +verstummt ist. + +Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen +gleichsprachigen Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen +Kulturgrad und einen diesem angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame +Ausstattung in konventionell festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker +uebernahmen, um auf der gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu +bauen. Wir finden in diesem Wortschatz nicht bloss die einfachsten +Bezeichnungen des Seins, der Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, +do, pater, das heisst den urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den +die Aussenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch eine +Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer +gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut des +indogermanischen Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch +aus spaeterer Entlehnung erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse +fuer die Entwicklung des Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den +unabaenderlich fixierten Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gâus ist +lateinisch bos, griechisch βούς; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, +griechisch όις; sanskritisch açvas, lateinisch equus, griechisch ίππος; +sanskritisch hansas, lateinisch anser, griechisch χήν; sanskritisch +âtis, griechisch νήσσα, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, +porcus, taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in dieser +fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf +unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den +niedrigsten Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, +ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der +Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen +dafuer, dass schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache +spricht eher dagegen als dafuer. Unter den lateinisch-griechischen +Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von +ζέα, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, uebrigens im +Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muss nun +freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen +Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende +Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche +Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in +primitiven Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung +der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, +der Weizen- und Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und +Haferbau der Germanen und Kelten koennten an sich wohl alle auf einen +gemeinschaftlichen urspruenglichen Feldbau zurueckgehen. Aber auf der +andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche +Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, dass man +vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden +Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass +man schon Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine +Entscheidung ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, +dass eine Anzahl der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im +Sanskrit zwar auch, aber durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung +vorkommen: agras ist bei den Indern ueberhaupt Flur, kûrnu ist das +Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmutige +ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind +uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das +zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden +furcht wie das Schiff die Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der +Weintraube (vinum) war bei der aeltesten Teilung der Staemme noch nicht +entwickelt; es kann daher auch nicht wundernehmen, wenn die Beziehungen +zum Teil sehr verschieden ausfielen und zum Beispiel von dem +sanskritischen kûrnu sowohl das zum Zerreiben bestimmte Korn als auch +die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch girnôs ihre Namen +empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen, dass das +indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss, +dass, wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine +durchaus untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon +gewesen, was er spaeter den Griechen und Roemern war, so haette er +tiefer der Sprache sich eingepraegt, als es geschehen ist. + +Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen +sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch δόμος; sanskritisch +vêças, lateinisch vicus, griechisch οίκος; sanskritisch dvaras, +lateinisch fores, griechisch θύρα; ferner fuer den Bau von Ruderbooten +die Namen des Nachens - sanskritisch nâus, griechisch ναύς, lateinisch +navis - und des Ruders - sanskritisch aritram, griechisch ερετμός, +lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch der Wagen und die +Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas (Achse +und Karren), lateinisch axis, griechisch άξων, αμ-αξα; sanskritisch +iugam, lateinisch iugum, griechisch ζυγόν. Auch die Benennungen des +Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch εςθής - +und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, lateinisch suo; +sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch νήθω - sind in allen +indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren Kunst des +Webens laesst dies dagegen nicht in gleicher Weise sich sagen ^4. +Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur +Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes Erbgut +der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der +Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen +verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), +vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese +Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die +Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis, +lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet. + +———————————————————————- + +^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen +Gerste, Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, +Géographie botanique raisonnée. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, +dass Gerste und Weizen in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der +babylonische Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 +Bonn.). + +^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie +unser weben und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als +Griechen und Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten +gehabt haben, und kann diese erst spaeter, wahrscheinlich in +verschiedenen Gebieten unabhaengig voneinander, in die des Webens +uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis +in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die Flachspflanze wohl, +bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des Leinoels. Der +Hanf ist den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der +Flachs; wenigstens sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort. + +———————————————————————- + +Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, +auf denen die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten +Ende beruht: die Stellung von Mann und Weib zueinander, die +Geschlechtsordnung, das Priestertum des Hausvaters und die Abwesenheit +eines eigenen Priesterstandes sowie ueberhaupt einer jeden +Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche Institution, die +Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die positive +Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und +Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und +Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert +ueberall einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft +und der Religion zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft. + +Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch çatam, ékaçatam, +lateinisch centum, griechisch ε-κατόν, gotisch hund); der Mond heisst +in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie +der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, +griechisch θεός) gehoeren zum gemeinen Gut der Voelker auch manche der +aeltesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die Auffassung zum +Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der Mutter der Wesen, +die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen auf sorgsam gebahnten +Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die schattenhafte Fortdauer +der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen wie der +griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter +vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf +die Namen ueberein - so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der +Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djâus pitâ der Veden. Auf manche +raetselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist durch die neuesten +Forschungen ueber die aeltere indische Goetterlehre ein ungeahntes +Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen +sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon mit den aeltesten +Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche Windspiel Saramâ, +das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und +Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden +Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten +treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn +der Saramâ, dem Saramêyas oder Hermeias geworden, und die raetselhafte, +ohne Zweifel auch mit der roemischen Cacussage zusammenhaengende +hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint nun +als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen +Naturphantasie. + +Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor +der Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte +der alten Welt angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der +italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es moeglich ist, auf +welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand, als Hellenen und +Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies keine ueberfluessige +Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der italischen +Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte. + +Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen +wahrscheinlich ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde +Halmfrucht kannten, die Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar +schon ein weinbauendes Volk waren. Dafuer zeugt nicht gerade die +Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen noch keineswegs einen +Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein geschichtlicher +Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der chinesischen, +aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede +gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen +entweder stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, +wo es sicher noch keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher +stehenden Staemme vor alters wie heutzutage die Kulturgeraete und +Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn die Annalen von China den +chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten Koenig in einem +bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf Getreidearten +zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen wenigstens +die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig. +Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der +Streitwagen, des Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet +weit oefter einen Schluss auf alten Voelkerverkehr als auf +urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker +anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten Beziehungen +dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, wie +Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, +als voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den +engsten Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die +Gemeinschaftlichkeit aller aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: +ager αγρός, aro aratrum αρόω άροτρον, ligo neben λαχαίνω, hortus +χόρτος, hordeum κριθή, milium μελίνη, rapa ραφανίς, malva μαλάχη, vinum +οίνος, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und italischen +Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf altattischen und roemischen +Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten +Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der +Sichel zu schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das +Vieh austreten zu lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: +puls πόλτος, pinso πτίσσω, mola μύλη, denn das Backen ist juengeren +Ursprungs, und wird auch deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes +stets der Teig oder Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien +ueber die aelteste griechische Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht +die Benennung “Weinland” (Οινοτρία), die bis zu den aeltesten +griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach muss der +Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die +Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden +haben, nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen +ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte +Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens scheinen, als der Ackerbau aufkam, +die Hellenen und Italiker nicht bloss unter sich, sondern auch noch mit +anderen Gliedern der grossen Familie zu einem Volksganzen verbunden +gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die wichtigsten jener +Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der indogermanischen +Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den keltischen +sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen gemeinsam +sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem wohlerworbenen +Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange nicht +vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und +Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung der Sprachen in dieser +Beziehung hat kaum begonnen, und auch die Geschichtschreibung entnimmt +immer noch ihre Darstellung der Urzeit vorwiegend, statt dem reichen +Schacht der Sprachen, vielmehr dem groesstenteils tauben Gestein der +Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es darum hier genuegen, auf die +Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur der indogermanischen +Familie in ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der Kultur +derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch ungetrennt +zusammenlebten; die Unterscheidung der den asiatischen Gliedern dieser +Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen Kulturresultate von +denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser letzteren, wie die +griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten, +kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst nach weiter +vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen Untersuchungen gemacht +werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die graecoitalische, wie ja +fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern des Volks- und +Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben. +Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet anstatt +der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im +geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta oder +Εστία, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden +Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen +Stammsagen legt dem Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen +haben muessen, Vitalus oder Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom +Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft sinnig die urspruengliche +italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es, +wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den +Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das +Volk bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als +Feldarbeiter (Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der +sogenannten roemischen Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes +Hirten- und Jaegervolk auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten +knuepfen bei den Italikern wie bei den Hellenen durchgaengig an den +Ackerbau an ^6. + +————————————————————————————— + +^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran +(pfluegen, mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im +litauischen arti, arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben +ligo unser Rechen, neben hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, +slawisch mlyn, litauisch malunas, keltisch malirr. + +Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen, +dass es eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen +nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern +Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles +Privatvermoegens ist, so beruht dies nicht darauf, dass der Ackerbau +erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich nach dem System der +Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es sich von selbst, +dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung der Staemme noch +nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet mehr +oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, +als dies spaeter der Fall war. + +^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche +die aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der +Stadtgruendung setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten +Goetter in Italien die Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. +Aen. 4, 166; A. Rossbach, Untersuchungen ueber die roemische Ehe. +Stuttgart 1853, S. 257, 301), in Griechenland die Demeter (Plut. +coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten griechischen Formeln +die Gewinnung von Kindern selber “Ernte” heisst (Anm. 8); ja die +aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt ihren Namen und +ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der +Stadtgruendung ist bekannt. + +————————————————————————————- + +Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse +und die Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher +Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe +Vermessung desselben nicht gedacht werden kann. Der oskische und +umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte entspricht genau dem +griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist dasselbe. +Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und zieht +also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach +Westen, in deren Schneidepunkt (templum, τέμενος von τέμνω) er steht, +alsdann in gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele +Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren +Ecken die Grenzpfaehle (termini, in sizilischen Inschriften τέρμονες, +gewoehnlich όροι) bezeichnen. Diese Limitationsweise, die wohl auch +etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ursprungs ist, finden wir bei +den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr alten Urkunden der +tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich ebensowenig von den +Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern, sondern es +ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist +erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man +selbst, wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht +gelten liess, sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen +verteilte Land abschloss. + +Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten +der aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge +Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische +Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das +in Italien bestaendig festgehalten ward; das wesentliche Stueck und +urspruenglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das +Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett, +dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das +homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster Decke. +Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist +altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber +gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht +allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und +Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte +italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, +deren Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, +von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin +trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass +sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der +Bank liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzuenden +durch Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern +gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker +zusammen in den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des “Reibers” +(τρύπανον, terebra) und der “Unterlage” (στόρευς εσχάρα, tabula, wohl +von tendere, τέταμαι). Ebenso ist die Kleidung beider Voelker +wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht voellig dem Chiton, +und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem +so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern +gemein, dass die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, +was roemischerseits in den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - +arquites) deutlich sich ausspricht ^7 und der aeltesten nicht +eigentlich auf den Nahkampf berechneten Fechtweise angemessen ist. So +geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte zurueck auf +dieselben Elemente alles, was die materiellen Grundlagen der +menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die Erde an +den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch +eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden. + +——————————————————- + +^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher +verwandte aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit +λόγχη zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von +den Deutschen oder Spaniern entlehnt. + +——————————————————- + +Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, +mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster +Harmonie zu leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt +in unsers Vaters Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem +materiellen, wo die Charaktere der Individuen und der Voelker sich +scheiden. In der graecoitalischen Periode muessen die Anregungen noch +gefehlt haben, welche diesen innerlichen Gegensatz hervortreten +machten; erst zwischen den Hellenen und den Italikern hat jene tiefe +geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf +den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst +sind in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so durchaus +national entwickelt worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf +der auch hier beide Voelker fussten, dort und hier ueberwuchert und +unsern Augen fast ganz entzogen ist. Jenes hellenische Wesen, das dem +Einzelnen das Ganze, der Gemeinde die Nation, dem Buerger die Gemeinde +aufopferte, dessen Lebensideal das schoene und gute Sein und nur zu oft +der suesse Muessiggang war, dessen politische Entwicklung in der +Vertiefung des urspruenglichen Partikularismus der einzelnen Gaue und +spaeter sogar in der innerlichen Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, +dessen religioese Anschauung erst die Goetter zu Menschen machte und +dann die Goetter leugnete, das die Glieder entfesselte in dem Spiel der +nackten Knaben und dem Gedanken in aller seiner Herrlichkeit und in +aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn gab; und jenes roemische Wesen, +das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Buerger in die Furcht des +Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte, das nichts +forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger +zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit +auszufuellen, das die keusche Verhuellung des Koerpers schon dem Buben +zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als die Genossen, +ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat alles war und die +Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe Gedanke - wer +vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren auf die +urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide vorbereitete +und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen Schleier lueften +zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, die +Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine +aeltere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers +nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen. + +Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht +in Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen +Dingen gehoert hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des +gesellschaftlichen Lebens ^8, welche dem Manne die Monogamie gebietet +und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen +Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises die +Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe +anerkennt. Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit +ruecksichtslose Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der +vaeterlichen Gewalt den Griechen fremd und italisches Eigen; die +sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien sich zur rechtlichen +Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde die vollstaendige +Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei lag, von den +Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen ihren +Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche +und rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe +als ein gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward. + +———————————————————————- + +^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der +Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder +abgeschlossenen” (γάμος επί παίδων γνησίων αρότω - matrimonium +liberorum quaerendorum causa). + +———————————————————————- + +Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der +Nachkommen desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den +Griechen wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn +in der schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der +Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenueber sich noch +weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint der +italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenueber die +Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die +Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger +darstellt. Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht +gegenueber in Griechenland weit frueher und vollstaendiger zur +innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in +Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in der bei beiden Voelkern +durchaus verschiedenartigen Entwicklung der urspruenglich doch +gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt der +Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu, +waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre +Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. +Aber waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh +verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den +Roemern, zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das +Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und +immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der +italischen, besonders der roemischen Individualnamen, verglichen mit +der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde +zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung der +Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag. + +Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es +fuer die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren +italischen wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber +dennoch die Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits +enthalten. Die “Gesetze des Koenigs Italus”, die noch in Aristoteles’ +Zeiten angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich +gemeinsamen Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb +der Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des +Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen +Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten gewesen +sein. Gericht (crimen, κρίνειν), Busse (poena, ποινή), Wiedervergeltung +(talio, ταλάω τλήναι) sind graecoitalische Begriffe. Das strenge +Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die Rueckgabe des +Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern und +zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die +Grundgedanken der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur +zur Bestaetigung oder Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an +sie gebrachten Antraege befugte Volksversammlung - sind kaum irgendwo +so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles’ Bericht ueber die aeltere +Verfassung von Kreta. Die Keime zu groesseren Staatenbuenden in der +staatlichen Verbruederung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher +selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls beiden +Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen +hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als +dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit +erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung +keineswegs wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum +ausgeht. Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien +und in Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollstaendig der +ganze Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als +Sondergut angehoert ^9, wird die weitere Erzaehlung darzulegen haben. + +——————————————————————- + +^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche +Voraussetzungen ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist +nichts so sicher, als dass die roemischen Plebejer erst innerhalb des +roemischen Gemeinwesens erwuchsen, und doch finden sie ueberall ihr +Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine Insassenschaft sich entwickelt +hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes Spiel treibt, versteht +sich von selbst. + +——————————————————————- + +Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in +Hellas dem Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und +allegorisierter Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die +allgemeine Analogie zwischen der roemischen und der griechischen +Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren Entwicklungsstadien so +wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen Einzelvorstellungen, in der +schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem +Begriff des heiligen Raumes (τέμενος, templum), in manchen Opfern und +Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig +ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so +vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten +Erbgut nur weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils +unverstanden oder missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders +sein; denn wie in den Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich +schieden, welche die graecoitalische Periode noch in ihrer +Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte, so schied sich auch in ihrer +Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein Ganzes in der Seele +gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken am Himmel hin +gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der Goetter +die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass +es, dass die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem +bloss fuer einzelne Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu +allen Diensten bereiten und geschickten Goetterboten. Wenn der Donner +in den Bergen rollte, sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile +schwingen; wenn der blaue Himmel wieder auflaechelte, blickte er in das +glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia; und so maechtig lebten +ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald in ihnen nichts +sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene Menschen und +sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl +anders, aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet +des italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, +dass die Form ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die +Augen zum Himmel aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn +jenes Gebet ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur +verehrt er das Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie +dem Baum, dem Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene +und mit ihm vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im +geistigen Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die +weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem +kreisenden Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. +Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit +vergeistigt; so wird beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann +angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, +Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns +und des Oeffnens der Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt +und jedes andere physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je +groessere Kreise indes die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt +der Gott und die Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die +Abstraktionen der Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder +Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei +den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles +konkret und koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, +vollkommen durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den +alten Sagenschatz der Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in +deren Gestalten der Begriff noch zu durchsichtig war, so konnte der +Roemer ihn noch weniger festhalten, weil ihm die heiligen Gedanken auch +durch den leichtesten Schleier der Allegorie sich zu trueben schienen. +Nicht einmal von den aeltesten und allgemeinsten Mythen, zum Beispiel +der den Indern, Griechen und selbst den Semiten gelaeufigen Erzaehlung +von dem nach einer grossen Flut uebriggebliebenen gemeinsamen +Stammvater des gegenwaertigen Menschengeschlechts, ist bei den Roemern +eine Spur bewahrt worden. Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen +und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen +unter den Sterblichen und bedurften nicht des Nektars. Aber dass sie +dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der platten Auffassung platt +erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht maechtiger fassten als +die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von Hellas, davon +wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische, dem +Worte wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die +“Religio”, das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus +einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen +Epen, dieses die Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht +auch in der griechischen Mythologie die Person, in der roemischen der +Begriff, dort die Freiheit, hier die Notwendigkeit. + +Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in +Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten +Zeit des vollen und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen, +sondern einhuellen. Die einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium +und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare Waffentanz, der “Sprung” +(triumpus, θρίαμβος, δι-θύραμβος); der Mummenschanz der “vollen Leute” +(σάτυροι, satura), die, in Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren +Spaessen das Fest beschliessen; endlich das Instrument der Floete, das +den feierlichen wie den lustigen Tanz mit angemessenen Weisen +beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt so deutlich wie +hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen und der Italiker +zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden Nationen in keiner +anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die Jugendbildung blieb +in Latium gebannt in die engen Schranken der haeuslichen Erziehung; in +Griechenland schuf der Drang nach mannigfaltiger und doch harmonischer +Bildung des menschlichen Geistes und Koerpers die von der Nation und +von den Einzelnen als ihr bestes Gut gepflegten Wissenschaften der +Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der Duerftigkeit seiner +kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der kulturlosen Voelker; +in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den religioesen +Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene +Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, derengleichen die +Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium gibt es im +oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als Klugheit, +Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die beseligende +Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer +Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen +Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden. + +So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes +erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die +Vorzuege der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer +Fasslichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des +Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfaehigkeit des +Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Goetter ist der reiche +Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich einseitig +entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit wird +den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten +verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht +bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben +das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich +machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten, +ohne doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die +ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen +selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen abging; +wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, +beruht dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern +auf Spiel und Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die +Homerischen Gesaenge, nur die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in +sich zusammen. Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkuer hin +um der Freiheit willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem +Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der Einzelne bei dieser +Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche Keim darueber +verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl, +wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter allen +Kulturvoelkern des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden +Verfassung die nationale Einheit, die ihm endlich ueber den +zersplitterten hellenischen Stamm und ueber den ganzen Erdkreis die +Botmaessigkeit in die Hand legte. + + + + +KAPITEL III. +Die Ansiedelungen der Latiner + + +Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil +Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung +ueber Indien, teils in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet. +Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; +jedenfalls muss er im Binnenlande und von der See entfernt gewesen +sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und dem +europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen naeher in die +Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der beiden +wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen, +raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer die Annahme +einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und +Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine +engere Lokalisierung ist ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die +einzelnen Staemme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der +europaeische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder laengere Zeit in +Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier +die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in +Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom Kaspischen +Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und andere +der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist +es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, +Kelten, Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie +muessen also wohl vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder +auch des Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort +die Italiker an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, +allein noch mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben moegen, laesst +sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von +Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland +gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in +ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht +gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren +Bergruecken Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich +noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der +vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die +latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in aehnlicher +Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die ersten +sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen erst, +wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die +latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es +sich, dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und +erst von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen +Voelker draengten. + +Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein +latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, +welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und +Kampanien offenstanden, verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie +die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern naeher als +den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor +der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner; +denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, +Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind +nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als +Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und +wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausōner, Kampanien innehatten. +Auch die Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern +bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des +Rinderlandes), werden von den besten Beobachtern nicht zu dem +iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt; es ist nichts im +Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch vor dem +Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung +dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische +Schwaerme die Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich +verwischt hat. Auch den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer +setzten sehr alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste +italische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig +Morges von Italia (d. h. der Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens +Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei; und es scheinen +diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern +wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu +Thukydides’ Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende +Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen Griechisch mit +dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der alten +Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den alten +Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; nach +allen Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern +wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das +eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die +oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen +Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen. + +Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, +Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in +Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu +leisten nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie +namentlich in Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen +Kraft der sabinischen Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So +sind die Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausōner nicht dazu +gekommen, eine taetige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu +spielen. + +Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet +worden sind und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich +gegen die Sabiner wie gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. +Werfen wir einen Blick auf die Landschaft, die wie keine andere in die +Geschicke der alten Welt einzugreifen bestimmt war. + +Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der +grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende +Kraft des Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber +Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, +welchem Volk die Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten +von den Bergen der Sabiner und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im +Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe ansteigenden volskischen Gebirg, +welches von dem Hauptstock des Apennin durch das alte Gebiet der +Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss des Liris), +getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem Vorgebirg +von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem +Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite +etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene +sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem “Bergstrom”, der aus den +umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. +Inselartig steigen in der Flaeche auf teils die steilen Kalkfelsen des +Soracte im Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Suedwesten, sowie +die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom; teils +vulkanische Erhebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und +zum Teil es noch sind: die bedeutendste unter diesen ist das Albaner +Gebirge, das nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und +dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt. + +Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem +Namen der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den +ausserhalb dieses Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt +werden, der “alten Latiner” (prisci Latini). Allein das von ihnen +besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener +mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des Tiber ist den Latinern +ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein +ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die Waffenruhe +stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die +Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die +bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese +folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und +sumpfigen Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere +Geschichte beginnt, in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der +Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr +urspruenglich latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes +zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und +dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig +groesser als der jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, +die “Ebene” ^1, wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich +darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des +sandigen und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird +ueberall die Flaeche unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich +steile Tuffhuegel und tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden +Steigungen und Senkungen des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene +Lachen, deren Verdunsten in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin +faulenden organischen Substanzen, die boese fieberschwangere Luft +entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft +verpestet. Es ist ein Irrtum, dass diese Miasmen erst durch den Verfall +des Ackerbaues entstanden seien, wie ihn das Missregiment des letzten +Jahrhunderts der Republik und das der Paepste herbeigefuehrt haben; +ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des Wassers und +wirkt noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf +einen gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die +Intensitaet der Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig +ermittelt ist, zum Teil aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung +der Oberflaeche das Austrocknen der stehenden Waesser beschleunigt. +Immer bleibt die Entstehung einer dichten ackerbauenden Bevoelkerung in +Gegenden, die jetzt keine gesunden Bewohner gedeihen lassen und in +denen der Reisende nicht gern die Nacht verweilt, wie die latinische +Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine fuer uns +befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf einer niedrigen +Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer das, +was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre +Gebote, vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden +sich inniger anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen +natuerlichen Verhaeltnissen der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die +boese Luft ist wohl vorhanden, allein der Bauer entzieht sich ihren +Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung, Nahrung und Wahl der +Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva nichts so sicher +als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus sich +erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere +Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht +erloeschen liess. Im uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden +ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit +Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Duengung ertragsfaehig, +ohne nach italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der +Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser +ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung +jede frische Quelle. + +————————————————————————————— + +^1 Wie latus (Seite) und πλατύς (platt); es ist also das Plattland im +Gegensatz zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die “Ebene” +den Gegensatz bildet zu Samnium. Lātus, ehemals stlātus gehoert nicht +hierher. + +^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie +politique des Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen +Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr +durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberflaeche aus +dekomponierter Lava und Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die +Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine +der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das +Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von +Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise +tritt dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und +nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des +Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das +Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache +kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer einen Arpent Ackerland ist +100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt dessen unter sechs +oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden Verwalter- und +Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens durch kleine +Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne Zweifel die +Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di +Roma. + +——————————————————————————— + +Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner +in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und +wir sind darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges +indes laesst sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit +vermuten. + +Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl +Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die +aeltesten “Landquartiere” (tribus rusticae) zu bilden. Von dem +Claudischen Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung +der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht +ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung +hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der spaeter +hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne +Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, +die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben, +soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, +Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen +Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, +Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter all +diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst +spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird +jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus +aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter +Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das +“Haus” (οικία) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch dort +sehr haeufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die +entsprechenden italischen Benennungen “Haus” (vicus) oder “Bezirk” +(pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der +Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise +ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so +gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die +aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete +Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der +Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium +selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner +schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist +eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu +bestimmen vermoegen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche +durch eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet +hat ^3, in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf +aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen +mit beruhen mag. + +———————————————————————- + +^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den +heutigen Tag festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu +fuenfzig, ja hundert Koepfen stark, unter den Befehlen des von der +ganzen Familie auf Lebenszeit gewaehlten Hausvaters (Goszpodár) in +demselben Hause beisammen. Das Vermoegen des Hauses, das hauptsaechlich +in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der Ueberschuss wird nach +Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie und Handel +bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z. B. +durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, +Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen +Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit +entfernen moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde. + +————————————————————————- + +Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als +selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer +politischen Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als +ein zu gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu +Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff +einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher Geschlechtsdoerfer. An +einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig +fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, +das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der +Mittelpunkt des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine +Stadt, sondern nur eine gemeine Versammlungsstaette sein, welche die +Dingstaette und die gemeinen Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo +die Gaugenossen an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnuegens +wegen sich zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh +vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber +uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz aehnliche +alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande der +Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz +heisst in Italien “Hoehe” (capitolium, wie άκρα, das Berghaupt) oder +“Wehr” (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage +einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen und +spaeterhin sich umgeben mit dem “Ringe” (urbs mit urvus, curvus, +vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied +zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg +moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur +ein einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht +die vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen +italischen Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst +spaet und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig +gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, +noch einigermassen sich erkennen laesst. Die Landschaft der Aequiculer, +die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in unzaehligen +offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher Mauerringe, +die als “veroedete Staedte” mit einzelnen Tempeln das Staunen der +roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre +“Urbewohner” (aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu +koennen meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht +ummauerte Staedte erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, +wie sie in aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in +weniger kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben +Epoche, wo die zu staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme +ihren Staedten steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen +Landschaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die +Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten, +ist natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten Landfriedens man +solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten +verlassen und bald den spaeteren Generationen ein Raetsel. + +Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine +gewisse Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als +die urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der +italischen Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums +dergleichen Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen +noch von besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner +Gebirge, das den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten +Quellen und die am meisten gesicherte Lage darbot, diese natuerliche +Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen zuerst besetzt +worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb +Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem +Albanischen Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als +Ursitz des latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen +altlatinischen Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten +latinischen Ortschaften Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich +auch von jenen uralten Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation +zu bezeichnen pflegen und gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen +davon, dass Pallas Athene in der Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in +die Welt tritt: so die Abschroffung der Felswand unterhalb Alba nach +Palazzuola zu, welche den durch die steilen Abhaenge des Monte Cavo +nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden her ebenso +unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden +Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor +allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand +mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des +Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen +und fuer den Ackerbau auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum +gewonnen worden ist. + +Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der +letzten Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter +die ansehnlichen Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, +Gabii und Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge +und dem Tiber; Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Kueste sind +mehr oder minder alte Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von +zahlreichen andern, minder namhaften und zum Teil fast verschollenen zu +schweigen. Alle diese Gaue waren in aeltester Zeit politisch souveraen +und wurden ein jeder von seinem Fuersten unter Mitwirkung des Rates der +Alten und der Versammlung der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch ging +nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und Stammgenossenschaft durch +diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich dasselbe auch in einer +wichtigen religioesen und staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde +der saemtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand +urspruenglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch +demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstaetten lagen; es war +dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie gesagt; als der aelteste und +vornehmste der latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden +waren anfaenglich dreissig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile +eines Gemeinwesens in Griechenland wie in Italien ungemein haeufig +begegnet. Welche Ortschaften zu den dreissig altlatinischen Gemeinden +oder, wie sie in Beziehung auf die Metropolrechte Albas auch wohl +genannt werden, zu den dreissig albanischen Kolonien urspruenglich +gezaehlt worden sind, ist nicht ueberliefert und nicht mehr +auszumachen. Wie bei den aehnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel +der Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und Panionien, war der +Mittelpunkt dieser Vereinigung das “latinische Fest” (feriae Latinae), +an welchem auf dem “Berg von Alba” (mons Albanus, Monte Cavo) an einem +alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem +“latinischen Gott” (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein +Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede +teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und +Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck zu +empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und +sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser +Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen. +Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg +von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf +der benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei +Marino); und ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht +gedacht werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine +fuer die ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen +Verletzung des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem +Fall selbst auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und +glaublich. Auch die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft +der latinischen Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des +aeltesten Bundesrechts gedacht werden, so dass also der Latiner mit der +Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz +erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer +die Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und +Bundesgericht angeordnet haben; dagegen laesst sich eine eigentliche +Beschraenkung des souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und +Frieden durch den Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen +Zweifel, dass mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, +einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei +denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. +Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede +Gemeinde rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es +ihr umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen +ein Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass +waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen +Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich +in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit +zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des +fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine +Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre +politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja +wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte +als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war +der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich +lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges +Aggregat verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, +sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. +Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische +Gemeinden umfasst haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht +latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in +Griechenland ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die +boeotische oder aetolische Eidgenossenschaft. + +———————————————————————- + +^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand” (indutiae Macr. +Sat. 1, 16; εκεχερίαι Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht +erlaubt, waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). + +^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba +einstmals in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, +findet bei genauerer Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. +Alle Geschichte geht nicht von der Einigung, sondern von der +Zersplitterung der Nation aus, und es ist sehr wenig wahrscheinlich, +dass das Problem, das Rom nach manchem durchkaempften Jahrhundert +endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher einmal durch Alba +geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom niemals als +Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen +Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich +begnuegt hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich +vereinigte, fuer die hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe +gewaehrte. Von eigentlichen Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese +ist, ueberall kaum die Rede sein; und am wenigsten reichen Stellen wie +Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum +latinischen Athen zu stempeln. + +———————————————————————- + +Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die +Linien schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das +mannigfache Spiel, wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich +in Latium gesucht und geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige +Zeugen voruebergegangen, und es muss genuegen, das Eine und Bleibende +darin festzuhalten, dass sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt +zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefuehl der +nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und damit den +Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem +jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen +Einigung, mit der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte. + + + + +KAPITEL IV. +Die Anfänge Roms + + +Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses +stromaufwaerts erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel, +hoehere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an den letzteren +haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es +laesst sich natuerlich nicht angeben, wie und wann er aufgekommen ist; +sicher ist nur, dass in der aeltesten uns bekannten Namensform die +Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; und diese der +aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in frueher +Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis +fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst +sich nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind. + +———————————————————————- + +^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen +saemtlich aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt +horreum, Fabii Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus. + +———————————————————————- + +Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der +Gliederung der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur +erhalten, dass dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier +wahrscheinlich ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und +Lucerer, zu einem einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus +wie derjenige war, woraus in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt +diese Drittelung der Gemeinde ist ^3, zeigt wohl am deutlichsten, dass +die Roemer namentlich in staatsrechtlicher Beziehung fuer “teilen” und +“Teil” regelmaessig sagen “dritteln” (tribuere) und “Drittel” (tribus) +und dieser Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche +Zahlbedeutung einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser +drei ehemaligen Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der +gemeinschaftlichen Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der +Alten gleichmaessig vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch +drei teilbare Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der +heiligen Jungfrauen, der Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der +Vogelschauer, wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat +mit diesen drei Elementen, in die die aelteste roemische Buergerschaft +zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige Meinung, +dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und +bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen +Rassen als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und +das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine +Religion rein und volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle +etruskischer und sabinischer, hellenischer und leider sogar +pelasgischer Truemmer zu verwandeln. Nach Beseitigung der teils +widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst sich in wenige Worte +zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der komponierenden Elemente +des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden kann. Dass die +Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da +sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die +Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben +werden. Ueber die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als +dass nichts im Wege steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm +zuzuweisen. Dagegen die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der +Sabina abgeleitet, und dies kann wenigstens zurueckgehen auf eine in +der titischen Bruederschaft bewahrte Ueberlieferung, wonach dieses +Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur +Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden waere. Es mag +also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der sabellische +Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf +gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine +sabellische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein - +wahrscheinlich, da die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen +Ueberlieferung ohne Ausnahme den Platz vor den Ramnern behaupten, in +der Art, dass die eindringenden Titier den aelteren Ramnern den +Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener Nationalitaeten +hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie viel +tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter +erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius +Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese +Aufnahme der Claudier unter die Roemer berechtigt die aeltere der +Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den Mischvoelkern +beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner, im Ritual +fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische +Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die +latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen +Anhalt ^4. Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung +einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten +Stamm die latinische Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise +getruebt haette; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, dass in +der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern sich ansaessig machten, die +latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue +dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger urspruenglich +sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner +gewesen war, ein Teil der latinischen Nation. + +——————————————————————————————————— + +^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht +notwendig verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem +Seinigen, aber fuer alle gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. +2, 15; Hdt. 1, 170). + +^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische τριττύς, die +umbrische trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der +Gemeinde eine graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die +Dreiteilung der roemischen Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung +mehrerer einstmals selbstaendigen Staemme zurueckgefuehrt werden +duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung sich also auflehnende +Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im graecoitalischen +Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein scheint, und +ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer koennen +das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen +Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit +Sicherheit nachzuweisen. + +^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine +Mischsprache aus griechischen und nicht-griechischen Elementen zu +betrachten sei, jetzt von allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst +besonnene Forscher (z. B. A. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, +Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch in dem Lateinischen eine +Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte finden. Aber +vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen +Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied +zwischen zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass +dies ebenso wohl und haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als +auf aeusserlicher Mischung. + +—————————————————————————- + +Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene +Ramner, Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den +roemischen Huegeln ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern +aus ihre Aecker bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen +uraeltesten Zeiten mag das “Wolfsfest” sein, das das Geschlecht der +Quinctier am palatinischen Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, +das wie kein anderes die schlichten Spaesse patriarchalischer Einfalt +bewahrt und merkwuerdig genug noch im christlichen Rom sich unter allen +heidnischen Festen am laengsten behauptet hat. + +Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer +eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich +in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut +worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem +Wege Rom so frueh zu einer hervorragenden politischen Stellung +innerhalb Latiums gelangt sein kann, waehrend man nach den +Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die Staette, +auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die der +meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen +in Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen +Quellen- denn weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem +Capenischen Tor noch der spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische +Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das haeufige Austreten des +Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in der Regenzeit reichlich +zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere zuzufuehren +vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler und +Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die +Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es +ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren +Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht die erste +naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt haben koenne, +sondern dass die Not oder vielmehr irgendein besonderer Grund die +Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die Legende hat +diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage Roms +durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen +Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch der +aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so +unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die +allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die +Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche +Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu +machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch einen +Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen +Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber ueber die +Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und seiner +Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen. + +Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. +Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in +naechster Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen +Mauerring entfernt, und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren +gewesen sein. Gegen Sueden trifft man in einem Abstand von drei +deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es +scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben +als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war +in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits +am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau +ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, +erstreckt er sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden +Ufern des Tiber gegen das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der +Kueste irgendeine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, +irgendeine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die fuer alles +einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu berichten, dass die +roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die “sieben Weiler” +(septem pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig +Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am +rechten Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) +befestigt, am linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der +“Muendung” (Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen am +etruskischen Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark +gehoert haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am +vierten Milienstein der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der +schaffenden Goettin (dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen +Ackerbaufestes und der Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit +unvordenklicher Zeit das Geschlecht der Romilier, wohl einst das +vornehmste unter allen roemischen, eben hier angesessen, das Ianiculum +ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt +gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums +natuerliche Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande +der notwendige Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit +uralter Zeit die Grenzwehr des latinischen Stammes gegen die +noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepôt fuer den latinischen Fluss- und +Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums eignete kein Platz +sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und der +unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide +Ufer des Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den +Anio herabkommenden Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der +damaligen maessigen Groesse der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen +Seeraeuber groesseren Schutz gewaehrte als die unmittelbar an der +Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht seine Entstehung, doch seine +Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhaeltnissen +verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von +ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. +Daher ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war, +was fuer Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und +Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und +des Brueckenbaues ueberhaupt in dem roemischen Gemeinwesen; daher die +Galeere als staedtisches Wappen. Daher der uralte roemische Hafenzoll, +dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht +was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia +einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war. +Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des +gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in +Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, +mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den +latinischen eher die juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war +die Landschaft schon einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge +sowie manche andere Hoehe der Campagna mit Burgen besetzt, als das +latinische Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein Beschluss der +latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen +Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der +Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist +uns nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an +diese Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere +Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom +dem latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt +gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die +gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall +zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher +beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der +Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes +Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der +Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den +luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben +dem Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von +Fremden und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen +sein. Die dichte Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das +hoechstens zu 5½ Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens +angeschlagen werden kann und schon nach der aeltesten Stadtverfassung +eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte, also mindestens +10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art +einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte +kennt, der weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und +Privattaetigkeit auf ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, +und dass ihr Gegensatz gegen die uebrigen Latiner und ueberhaupt die +Italiker vor allem der Gegensatz ist des Buergers gegen den Bauer. Zwar +ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine +wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom zunaechst und vor allem eine +latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor +der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings +zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch +bedingten Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der +latinischen Landschaften war, so ist es begreiflich, dass hier neben +und ueber der latinischen Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben +kraeftig und rasch entwickelte und damit der Grund zu seiner +Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser merkantilen und +strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und +ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig +verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene +staedtische Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den +Ueberlieferungen ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und +Verschanzungen Roms, deren Anlage mit der Entwicklung des roemischen +Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen +sein muss. + +Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der +Jahrhunderte Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen +nur den Palatin, in spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma +quadrata) genannt von der regelmaessig viereckigen Form des +palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern dieses urspruenglichen +Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei von jenen, die +Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am +Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den +palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung +wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. +Vielfache Spuren deuten darauf hin, dass hier der Mittelpunkt und der +Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf dem Palatin befand sich das +heilige Symbol derselben, die sogenannte “Einrichtung” (mundus), darein +die ersten Ansiedler von allem, dessen das Haus bedarf, zur Genuege und +dazu von der lieben heimischen Erde eine Scholle getan hatten. Hier lag +ferner das Gebaeude, in welchem die saemtlichen Kurien jede an ihrem +eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen Zwecken sich +versammelten (curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der +“Springer” (curia saliorum), zugleich der Aufbewahrungsort der heiligen +Schilde des Mars, das Heiligtum der “Woelfe” (lupercal) und die Wohnung +des Jupiterpriesters. Auf und an diesem Huegel ward die Gruendungssage +der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus +des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige +Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der +aus dem Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her +ueber das Tal des Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, +aufgeschossene Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer +mehr den Glaeubigen gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch +nicht, und daher hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit +aufzuweisen. Die Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt +und deshalb verschollen; nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz +um den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, die aelteste +Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber dem +Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen +Gemeinde gewesen sein moegen. + +Dagegen hat sich in dem “Fest der sieben Berge” (septimontium) das +Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um +den Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern +erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen +geschuetzt und an den urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den +Marschen an den Hauptdeich die Aussendeiche, angelehnt. Die “sieben +Ringe” sind der Palatin selbst; der Cermalus, der Abhang des Palatins +gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem Fluss zu sich +ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den Palatin mit dem +Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen Bauten fast ganz +verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der Cispius, +die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucūsa oder Subūra, eine +ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte, +unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin +und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar allmaehlich +erfolgten Anbauten liegt die aelteste Geschichte des palatinischen Rom +bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn man die spaeterhin +auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete Servianische +Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt. + +Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und +urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in +Rom wie ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen +und die aeltesten Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche +spaeterhin in der Servianischen Stadteinteilung das erste und zweite +Quartier bilden, liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige +auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine +Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der palatinischen +Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und die +Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen +Stadt mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die +Bestandteile des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem +Caelius, welche vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem +Colosseum umfasst hat; die auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche +der Esquilin gegen den Palatin aus laeuft, endlich das Tal und das +Vorwerk der Subura, von welcher das ganze Quartier den Namen empfing. +Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche Stadt, und der +suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom Bogen +des Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter +liegende Tal hin sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch +aelter gewesen zu sein als die in der Servianischen Ordnung dem +palatinischen Bezirk einverleibten Siedlungen, da jener diesem in der +Rangfolge der Quartiere vorangeht. Eine merkwuerdige Erinnerung an den +Gegensatz dieser beiden Stadtteile hat einer der aeltesten heiligen +Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt, das auf dem Anger des Mars +jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde +bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten zwischen den Maennern +der Subura und denen von der Heiligen Strasse und je nachdem jene oder +diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen Turm (unbekannter +Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem Palatin +angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier in +gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren also die +Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschliesst +- in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie +inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der spaeteren +Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets neben dem +suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich gegolten. +Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und Aventin, moegen +von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor allem die +“Pfahlbruecke” (pons sublicius) ueber den natuerlichen Brueckenpfeiler +der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein buergt dafuer +hinreichend - schon damals bestanden und man auch den Brueckenkopf am +etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser acht gelassen +haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in ihren +Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die +spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen +lediglich aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen +praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende +sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen oder abgebrannt +werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die +roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen +beherrscht hat. + +Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen +Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die roemische +staatsrechtlich seit unvordenklich frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu +ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer urspruenglich selbstaendige +Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie freilich auch +urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben +Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen +gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, +wird der verstaendige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen +von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden. +Vielmehr werden schon die beiden Quartiere der aeltesten Stadt, Subura +und Palatin und ebenso das vorstaedtische jedes in die drei Teile der +Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhaengen +kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen wie +in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare +Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische +Siebenhuegelstadt vielleicht gehabt; uns ist keine andere +Ueberlieferung von derselben geblieben als die des blossen +Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den neuen Lenz +zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen, +also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen +Rom die Staette bereitet. + +Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem +spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor +alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft +gegenueber eine zweite auf dem Quirinal. Die “alte Burg” (Capitolium +vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und +einem Tempel der Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege +oeffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des +spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und Minervatempel und mit +dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel +der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass auch der +Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens +gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem +Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und +der aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt +weiter zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten +Genossenschaften der Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in dem +spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der +palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, +neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, +die ihr Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat +^5. Alle diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen +um so hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau +bekannte Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal +ausschloss und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die +drei ersten Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus +dem Quirinal nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier +gebildet wurde. So erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der +Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen +Esquilin und Quirinal angelegt ward - hier beruehrten sich ja die +beiderseitigen Marken und musste von den Palatinern, nachdem sie die +Niederung in Besitz genommen hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal +eine Burg aufgefuehrt werden. + +———————————————————————— + +^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht +daraus hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus +die Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass +die Fabier zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer +auf dem Quirinal (Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien +zusammenhaengen oder nicht. + +———————————————————————- + +Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli +2253) Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit +dem Luperkalkult zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische +Forschungen, Bd. 1, S. 17) findet sich ausschliesslich bei den +Quinctiern und den Fabiern; die bei den Schriftstellern gangbare Form +Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist also entstellt und das +Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, sondern den +weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, 30) +oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern +genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das +Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein. + +Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner +vom Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die +palatinische Stadt sich die “der sieben Berge”, ihre Buerger “die von +den Bergen” montani) sich nennen, die Bezeichnung “Berg” wie an den +uebrigen ihr angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, +so heisst die quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im +Gegenteil etwas hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige +viminalische im genauen Sprachgebrauch nie anders als “Huegel” +(collis); ja in den sakralen Urkunden wird nicht selten der Quirinal +als der “Huegel” ohne weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das +von dieser Hoehe ausfuehrende Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta +collina), die daselbst ansaessige Marspriesterschaft die vom Huegel +(salii collini) im Gegensatz zu der vom Palatium (salii Palatini), das +aus diesem Bezirk gebildete vierte Servianische das Huegelquartier +(tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der Gegend haftenden Namen +der “Roemer” moegen dabei die Huegelmaenner ebenso wie die von den +Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini) sich +genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich +eine Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an +Beweisen, welche ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete +Gemeinde fuer stammfremd zu erklaeren, fehlt es auch fuer die +quirinalische Gemeinde durchaus ^7. + +————————————————————— + +^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz +hatten, der Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf +darum doch keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der +Buergerschaft auf dem Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn +einerseits fuehren, wie gezeigt ist, alle aeltesten Spuren fuer diese +auf den Namen Collini; andrerseits ist es unbestreitbar gewiss, dass +der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher lediglich den +Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und collini +durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung +des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars +quirinus, der speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf +dem Quirinal verehrt wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem +nachher so genannten Quirinustempel gefundenen Inschriften diese +Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der Unterscheidung +wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der Huegelroemer +vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl collis +agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet +als der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer. + +^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. +Bd. 1, S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte +und von den Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene +etymologisch-historische Hypothese, dass das lateinische quiris +quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen Cures verwandt und demnach des +Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden sei. Auch wenn die +sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, duerfte daraus +der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die alten +Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen +“latiarischen Huegel” gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, +aber nicht erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder +Deus fidius sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, +gebildet offenbar in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch +ungeschieden beisammen waren. Wenn an den heiligen Staetten des +spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie der des Semo Sancus +vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta sanqualis), der +uebrigens auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder unbefangene +Forscher darin nur einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht +fuer ihre Entlehnung aus dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, +dass alte Stammgegensaetze dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht +geleugnet werden; aber wenn dies der Fall war, so sind sie fuer uns +verschollen und die unseren Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen +ueber das sabinische Element im Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen +aus dem Leeren in das Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen. + +———————————————————————————— + +So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit +noch die Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als +zwei gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen +einander gegenueber, einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani +und die Trasteverini. Dass die Gemeinde der sieben Berge schon frueh +die quirinalische bei weitem ueberwog, ist mit Sicherheit zu schliessen +sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstaedte als auch +aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in der +spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen +lassen. Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich +zu einer rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen +Bestandteile der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin +miteinander jaehrlich um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt +worden; aber auch die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab +noch keinen gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen +Kurienherde standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch +nebeneinander - moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben +und das ganze Rom eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine +einheitliche Stadt gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die +Haeuser der alten und maechtigen Familien gleichsam festungsartig +angelegt und der Verteidigung faehig, also auch wohl beduerftig. Erst +der grossartige Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius zugeschrieben +wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom Palatin und Quirinal, +sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen des +Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen +und somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber +ehe dieses gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der +umliegenden Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die +Periode, in der der Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht +anders als auf den andern latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in +gewoehnlichen Zeiten leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen +Spitzen einen Anfang festerer Ansiedlung darboten, der aeltesten +handel- und tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht, wie +dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in den +“sieben Ringen” zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen +durch die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der +Latiner zu regerem und freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor +allem in Rom und wohl auch zu festerer politischer Einigung in den +Einzelstaaten wie in der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung +einer einheitlichen Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit +jener Epoche, in der die Stadt Rom um die Herrschaft ueber die +latinische Eidgenossenschaft zu ringen und endlich sie zu erringen +vermochte. + + + + +KAPITEL V. +Die ursprüngliche Verfassung Roms + + +Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und +Geraet - das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo +nicht durch die Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das +Hauswesen besteht. Darin aber gehen die Voelker hoeherer +Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen Gegensaetze +flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefasst und +durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an +schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst +vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse. + +Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene +Gewalt gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu +Gemeinschaft des Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl +(durch Confarreatio) angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und +Sohnessoehnen und deren rechten Frauen und ihren unverheirateten +Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem, einem von diesen zukommenden +Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die Kinder der Toechter +ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich sind, der +Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in +gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem +roemischen Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist +kein Uebel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder +gar des Geschlechts ist ein Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche +darum in fruehester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, +durch Annahme fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhaengnis +auszuweichen. Von vornherein trug die roemische Familie die Bedingungen +hoeherer Kultur in sich in der sittlich geordneten Stellung der +Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann nur der Mann sein; die +Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter dem Manne +zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem +Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und +notwendig gehoert die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist +auch im Hause notwendig hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das +Weib dem Manne ^1, die vaterlose unverheiratete Frau ihren naechsten +maennlichen Verwandten; diese sind es und nicht der Koenig, von denen +erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird. Aber innerhalb des +Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin. Befreit von den +nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden Arbeiten des +Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische Hausmutter sich +wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der Spindel, +die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde die +sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder von der roemischen +Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger Frevel, wenn der +Vater das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch nur zum Nachteil +desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich wird die Familie +unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen allmaechtigen Willen des +Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber ist alles rechtlos, was +innerhalb des Hauses steht, der Stier und der Sklave, aber nicht minder +Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die freie Wahl des Mannes zu +seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind, das sie ihm geboren, +aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. Es ist nicht +Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung eingegeben +hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung und +Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief und +ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige +Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist +die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren werden, eine +Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung dachte, +zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit +Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie +gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung +derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in +religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem +Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen +nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und die +Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und sie nach +Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen +gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken, +sein “eigenes Vieh” (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber +rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit +oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen Haushalte +gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater +lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher +auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie +vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher +Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch +nicht selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls +befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch +den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein +Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, so wird der +Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, seinem +Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche +Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon +erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche +mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt +wurden; so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten +Sohn verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass +bei der Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr +noch der Ehemann den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne +vorher die naechsten Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der +Frau, zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung der Gewalt lag +in der letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht +zugezogenen Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den +richtenden Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber +nicht bloss wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde +verantwortlich, sondern auch, so lange der Hausherr lebt, +unabaenderlich und unzerstoerlich. Nach den griechischen wie nach den +deutschen Rechten ist der erwachsene, tatsaechlich selbstaendige Sohn +auch rechtlich von dem Vater frei; die Macht des roemischen Hausvaters +vermag bei dessen Lebzeiten nicht das Alter, nicht der Wahnsinn +desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille aufzuheben, nur +dass die Person des Gewalthabers wechseln kann: denn allerdings kann +das Kind im Wege der Adoption in eines andern Vaters Gewalt kommen, die +Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des Vaters uebergehen in die +Hand des Mannes und, aus ihrem Geschlecht und Gottesschutz in das +Geschlecht und den Gottesschutz des Mannes eintretend, ihm nun untertan +werden, wie sie bisher es ihrem Vater war. Nach roemischem Recht ist es +dem Knechte leichter gemacht, sich von dem Herrn, als dem Sohne, sich +von dem Vater zu loesen; die Freilassung des ersteren ward frueh und in +einfachen Formen gestattet, die Freigebung des letzteren wurde erst +viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich gemacht. Ja, wenn der Herr +den Knecht und der Vater den Sohn verkauft und der Kaeufer beide +freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der Sohn aber faellt +durch die Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere vaeterliche +Gewalt. So ward durch die unerbittliche Konsequenz, mit der die +vaeterliche und eheherrliche Gewalt von den Roemern aufgefasst wurde, +dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. Indes, bei aller +Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an die +Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der +Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch +rechtlich aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch +abgesehen davon, dass sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam +erzeigt, ist voruebergehender und gewissermassen stellvertretender Art. +Weib und Kind sind nicht bloss um des Hausvaters willen da, wie das +Eigentum nur fuer den Eigentuemer, wie in dem absoluten Staat die +Untertanen nur fuer den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl auch +Gegenstand des Rechts, aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht +Sachen, sondern Personen. Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, +weil die Einheit des Hauses im Regiment einen einheitlichen +Repraesentanten erfordert; wenn aber der Hausherr stirbt, so treten die +Soehne von selbst als Hausherren ein und erlangen nun ihrerseits ueber +die Frauen und Kinder und das Vermoegen die bisher vom Vater ueber sie +geuebten Rechte, wogegen durch den Tod des Herrn die rechtliche +Stellung des Knechtes in nichts sich aendert. + +—————————————————————————- + +^1 Es gilt dies nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium +confarreatione), sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab +zwar nicht an sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es +wurden doch die Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und +der Verjaehrung (usus) ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch +dem Ehemann der Weg geoeffnet, Eigentumsgewalt ueber die Frau zu +gewinnen. Bis er sie gewann, also namentlich in der bis zur Vollendung +der Verjaehrung verfliessenden Zeit, war das Weib, ganz wie bei der +spaeteren Ehe mit causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, sondern +pro uxore; bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt +sich dieser Satz, dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau +nicht Ehefrau sei, sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. +Cic. top. 3, 14). + +^2 Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit +angehoerig, ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der +spricht. + +Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt’ an und lies ihn durch. + +Es deckt der schlechte Grabstein eine schoene Frau. + +Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie; + +Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann; + +Zwei Soehne gebar sie; einen liess auf Erden sie + +Zurueck, den andern barg sie in der Erde Schoss. + +Sie war von artiger Rede und von edlem Gang, + +Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh. + +Vielleicht noch bezeichnender ist die Auffuehrung des Wollspinnens +unter lauter sittlichen Eigenschaften, die in roemischen Grabschriften +nicht ganz selten ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia +pudica frugi casta domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia +obsequio lanificzo diligentia fide par similisque cetereis probeis +feminis fuit. Grabschrift der Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, +obsequi, comitatis, facilitatis, lanificiis [tuis adsiduitatis, +religionis] sine superstitione, ornatus non conspiciendi, cultus +modici. + +—————————————————— + +Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod des +Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben +selbstaendig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher +Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in +vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen +aber, um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Toechter zu +ordnen. Da nach aelterer roemischer Ansicht das Weib nicht faehig ist, +weder ueber andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so bleibt die +Gewalt ueber sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut +(tutela), bei dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des +verstorbenen Hausherrn jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der +naechsten maennlichen Familienglieder, regelmaessig also ueber die +Muetter durch die Soehne, ueber die Schwestern durch die Brueder. In +diesem Sinne dauerte die einmal gegruendete Familie unveraendert fort, +bis der Mannesstamm ihres Urhebers ausstarb; nur musste freilich von +Generation zu Generation faktisch das Band sich lockern und zuletzt +selbst die Moeglichkeit des Nachweises der urspruenglichen Einheit +verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der Unterschied der +Familie und des Geschlechts, oder, nach roemischem Ausdruck, der +Agnaten und der Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie +aber umfasst nur diejenigen Individuen, welche von Generation zu +Generation aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem +gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen, das Geschlecht dagegen +auch diejenigen, welche bloss die Abstammung selbst von einem +gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr vollstaendig die +Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen vermoegen. Sehr klar +spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn es heisst: “Quintus, +Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, der Quintier”, so +reicht die Familie so weit, als die Aszendenten individuell bezeichnet +werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt ergaenzend ein das +Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf +alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat. + +Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn +vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen +Familien- und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar +nicht die Gaeste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, +welche voruebergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig +die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des +Hauses angesehen werden, aber wohl die Hoerigen (clientes, von cluere), +das heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie Buerger irgendeines +Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschuetzter +Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen +Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, +teils diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch +seiner Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche +Freiheit geschenkt hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner +Eigentuemlichkeit nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der +Hoerige blieb ein unfreier Mann, fuer den Treuwort und Herkommen die +Unfreiheit milderte. Darum bilden die “Hoerigen” (clientes) des Hauses +in Verbindung mit den eigentlichen Knechten die von dem Willen des +“Buergers” (patronus, wie patricius) abhaengige “Knechtschaft” +(familia); darum ist nach urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das +Vermoegen des Klienten teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, +ihn vorkommenden Falls in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am +Leben zu strafen; und es sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn +gegen den Klienten nicht so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die +volle Schaerfe dieses hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und +wenn auf der andern Seite die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer +seine eigenen Leute zu sorgen und sie zu vertreten, bei dem +tatsaechlich freier gestellten Klienten groessere Bedeutung gewinnt als +bei dem Sklaven. Ganz besonders musste die faktische Freiheit des +Klienten der rechtlichen da sich naehern, wo das Verhaeltnis durch +mehrere Generationen hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der +Freigelassene selber gestorben waren, konnte das Herrenrecht ueber die +Nachkommen des Freigelassenen von den Rechtsnachfolgern des Freilassers +nicht ohne schreiende Impietaet in Anspruch genommen werden. Also +bildete schon in dem Hause selbst sich ein Kreis abhaengig freier +Leute, die von den Knechten sich ebenso unterschieden wie von den +gleichberechtigten Geschlechtsgenossen. + +Auf diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den +Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie +immer erfolgten Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften +der Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus +den vereinigten Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer +einem jener Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in den +ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und +begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in unrechter oder +ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen. +Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die “Vaterkinder” +(patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die +Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien dem +Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und +Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem +Staate gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der +Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten +neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich +natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines jeden +Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; +zwar blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen +Familie, der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass +von dem Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die +Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen +werden konnten, wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die +eigentlichen buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht +trafen. Um so mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. +So bestand der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten +Leuten, den Buergern und den Insassen. + +Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter +sind, so ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im +ganzen der Familie nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den +Vater, mit dem dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde +aber, die unvergaenglich bestehen soll, findet sich kein natuerlicher +Herr, wenigstens in der roemischen nicht, die aus freien und gleichen +Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden sich zu ruehmen +vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter (rex) und Herr +im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in spaeterer Zeit in +oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die +wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und die +roemischen Penaten zu finden sind - sie alle die sichtbare Einheit des +obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt +beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist, +sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem +Koenig erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfaehigen Freien +zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat +er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt, +und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern +der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und +ernennt alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er +abschliesst im Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer +das ganze Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit +dem Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) +ist allmaechtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores, +von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall voranschreiten, wo +er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, oeffentlich +zu den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem +Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht +und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich +Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in +allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt +ueber Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den +Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben +in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der +Berufung an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil +stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet +das Volk zum Kriege auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber +muss er bei Feuerlaerm persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie +der Hausherr im Hause nicht der Maechtigste ist, sondern der allein +Maechtige, so ist auch der Koenig nicht der erste, sondern der einzige +Machthaber im Staate; er mag aus den der heiligen oder der +Gemeindesatzungen besonders kundigen Maennern Sachverstaendigenvereine +bilden und deren Rat einfordern; er mag, um sich die Uebung der Gewalt +zu erleichtern, einzelne Befugnisse andern uebertragen, die +Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im Kriege, die +Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung der +Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen +genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt +eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt +neben der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur +durch den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der +aeltesten Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die +Abteilungsfuehrer (tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites) +und der Reiterei (celeres), sind nichts als Beauftragte des Koenigs und +keineswegs Magistrate im spaeteren Sinn. Eine aeussere rechtliche +Schranke hat die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht haben; fuer den +Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der +Gemeinde wie fuer den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod +beendigt seine Macht. Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der +Alten, auf den im Fall der Vakanz das “Zwischenkoenigtum” (interregnum) +uebergeht. Eine formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der +Buergerschaft erst nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum +auf dem dauernden Kollegium der Vaeter (patres), das durch den +interimistischen Traeger der Gewalt den neuen Koenig auf Lebenszeit +einsetzt. Also wird “der hohe Goettersegen, unter dem die beruehmte +Roma gegruendet ist”, von dem ersten koeniglichen Empfaenger in +stetiger Folge auf die Nachfolger uebertragen und die Einheit des +Staats trotz des Personenwechsels der Machthaber unveraenderlich +bewahrt. Diese Einheit des roemischen Volkes, die im religioesen Gebiet +der roemische Diovis darstellt, repraesentiert rechtlich der Fuerst, +und darum ist auch seine Tracht die des hoechsten Gottes; der Wagen +selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss geht, der Elfenbeinstab +mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene Eichenkranz +kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in gleicher Weise +zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen Verfassung +eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott +und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise ineinander +verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig, sondern viel +eher der Eigentuemer des Staats. Darum weiss man auch nichts von +besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von +irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff +waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit +frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr +kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib +gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also +eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor +allem aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem +Hause, zum Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber +Bauern, den Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt +gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so +unterwirft sich der Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen +Besseren zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung +der Koenigsgewalt. Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das +Landrecht zu brechen, viel Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern +ihren Anteil an der Beute schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden +auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum +des Buergers; aber wenn er es tat, so vergass er, dass seine +Machtfuelle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von dem +Volke, das er vertrat, und wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des +Eides vergass, den es ihm geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber +der Koenigsgewalt lag darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu +aendern befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von +der Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein +musste oder ein nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche +Folgen nicht entsprangen. So ist sittlich und rechtlich die roemische +Koenigsgewalt im tiefsten Grunde verschieden von der heutigen +Souveraenitaet und ueberhaupt im modernen Leben so wenig vom roemischen +Hause wie vom roemischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden. + +———————————————————————- + +^3 Dass Lahmheit vom hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das +roemische Buergertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums +war, versteht sich so sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, +die Fabeleien ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich +abzuweisen. + +———————————————————————- + +Die Einteilung der Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia +(wohl mit curare = coerare, κοίρανος verwandt); zehn Pflegschaften +bilden die Gemeinde; jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer +(daher mil-es, wie equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn +Ratmaenner. Bei kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben +natuerlich als Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und +oskisch) und vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile. +Diese Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den Personalbestand der +Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit +diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, sondern +auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter +den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend +gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum +Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser +aeltesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, +von denen schon die Rede war. + +In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet diese Verfassung in dem Schema +der spaeterhin unter roemischem Einfluss entstandenen latinischen oder +Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten dieselben hundert Ratmaenner +(centumviri). Aber auch in der aeltesten Tradition ueber das +dreiteilige Rom, welche demselben dreissig Kurien, dreihundert Reiter, +dreihundert Senatoren; dreitausend Fusssoldaten beilegt, treten +durchgaengig dieselben Normalzahlen hervor. + +————————————————————— + +^4 Selbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh +verschwunden ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, +und merkwuerdig genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst +Grund haben, unter allen deren unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer +den aeltesten zuhalten, bei der Confarreatio. Es scheint kaum +zweifelhaft, dass deren zehn Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was +die dreissig Liktoren in der Dreissigkurienverfassung sind. + +—————————————————————- + +Nichts ist gewisser, als dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht +in Rom entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht +ist, vielleicht sogar ueber die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die +in solchen Dingen sehr glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, +die fuer alle uebrigen Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte +hat, laesst einzig die Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung +der Stadt; und damit im vollsten Einklang erscheint die +Kurienverfassung nicht bloss in Rom, sondern tritt in dem neuerlich +aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als +wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts ueberhaupt. + +Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die +“Teile” koennen schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen sein, +weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufaellig ist; +wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung zu, als dass +das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze gewesen waren, +sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert, dass der +einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte gehabt +habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass im +Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es +zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden +sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare, +als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser +Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder +einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte +Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, +die Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben. +Darauf, dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise +eingegriffen hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als +doppeltes gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in +der roemischen Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden +Fall ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen, dass der +verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht +veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, +noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich +fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen +hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem +Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger genommen +hat. Das einzig funktionierende Glied in dem aeltesten +Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere +Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war +eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens zu +gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem +besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen +curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und +geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und +stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der +Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die Zahl der +Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde. + +———————————————————————————- + +^5 Es liegt dies schon im Namen. Der “Teil” ist, wie der Jurist weiss, +nichts als ein ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der +Gegenwart ohne alle Realitaet. + +———————————————————————————- + +So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen +war innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt +es kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie +des andern Satzes es den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe +des Gegensatzes zwischen Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern +tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der +Behandlung der uralten Institution des Ehrenbuergerrechts, welches +urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein +Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger hineingenommen +ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo er +dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit +dem ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist +es in Hellas immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe +Mann in mehreren Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das +lebendiger entwickelte Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass +man zweien Gemeinden zugleich als Buerger angehoeren koenne, und liess +fuer den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht die Absicht hatte, +sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen +Ehrenbuergerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft +und Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher +vorgekommen war. + +Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen aussen ging +Hand in Hand, dass aus dem Kreise der roemischen Buergergemeinde jede +Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Dass +die innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich +nicht beseitigt werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens +ignoriert wurden, wurde bereits erwaehnt; derselbe, der als Sohn dem +Vater zu eigen untergeben war, konnte also als Buerger in den Fall +kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzuege aber gab es nicht; +dass die Titier den Ramnern, beide den Lucerern in der Reihe +vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen Eintrag. Die +Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der Linie +zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine Eliten- oder +Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die +wohlhabendste, bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich +schloss, war natuerlich angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch +dieser Gegensatz war rein tatsaechlicher Art und der Eintritt in die +Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und +allein die verfassungsmaessige Gliederung der Buergerschaft, welche +rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die rechtliche +Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen +Erscheinung durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der +Gemeinde vor den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen +Mann vor dem noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber +durfte der Reiche und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene +oeffentlich nur erscheinen in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von +weissem Wollenstoff. Diese vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist +ohne Zweifel urspruenglich begruendet in der indogermanischen +Gemeindeverfassung, aber in dieser Schaerfe der Auffassung und +Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten und der folgenreichsten +Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und wohl mag man dabei sich +erinnern, dass in Italien keine den latinischen Einwanderern botmaessig +gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und geringerer Kulturfaehigkeit +begegnet und damit die hauptsaechliche Gelegenheit mangelte, woran das +indische Kastenwesen, der spartanische und thessalische und wohl +ueberhaupt der hellenische Adel und vermutlich auch die deutsche +Staendescheidung angeknuepft hat. + +Dass der Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von +selbst. Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die +Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die +Buerger sind zugleich die “Kriegerschaft” (populus, verwandt mit +populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die “speerbewehrte +Kriegsmannschaft” (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars +herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der Koenig sie +anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des Wehrmanns gefasst. +In welcher Art das Angriffsheer, die “Lese” (legio) gebildet ward, ist +schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand +sie aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die +Schnellen oder flexuntes, die Schwenker) unter den drei +Abteilungsfuehrern der Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei +Tausendschaften der Fussgaenger (milites) unter den drei +Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni militum); letzteres war +vermutlich von Haus aus der Kern des Gemeindeaufgebots. Dazu moegen +etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und Glied fechtende +Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen sein ^8. Der +Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser dem Kriegsdienst +konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger treffen, wie die +Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im Kriege wie im +Frieden (I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker oder zur +Anlage oeffentlicher Bauten; wie schwer namentlich der Bau der +Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass der Name der “Fronden” +(moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine regelmaessige direkte +Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte regelmaessige +Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es +derselben nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt +oeffentliche Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit +eine solche ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem +Bezirk geleistet ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von +dem, der selber nicht dienen konnte oder wollte. Die fuer den +oeffentlichen Gottesdienst noetigen Opfertiere wurden durch eine +Prozesssteuer beschafft, indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag, +eine nach dem Werte des Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse +(sacramentum) an den Staat erlegte. Von stehenden Geschenken der +Gemeindebuerger an den Koenig wird nichts berichtet. Dagegen flossen +dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, 62), sowie die Einnahme von den +Domaenen, namentlich der Weidezins (scriptura) von dem auf die +Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die +die Nutzniesser der Staatsaecker an Zinses Statt abzugeben hatten. +Hierzu kam der Ertrag der Viehbussen und Konfiskationen und der +Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde eine Umlage (tributum) +ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe betrachtet und in +besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe die Buerger +ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht +entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig +leitete die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, das, +nach den Angaben ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten +roemischen Koenigsgeschlechts der Tarquinier zu schliessen, +regelmaessig bedeutend gewesen sein muss, fiel das Staatsvermoegen +nicht zusammen und namentlich der durch die Waffen gewonnene Acker +scheint stets als Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der +Koenig in der Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen +beschraenkt war, ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere +Entwicklung, dass die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein +kann, wogegen es Sitte sein mochte, die Auflage des Tributum und die +Verteilung des im Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu +beraten. + +———————————————————— + +^6 Quĭris quirītis oder quirinus wird von den Alten gedeutet als der +Lanzentraeger, von quĭris oder cŭris = Lanze und ire, und faellt ihnen +insofern zusammen mit samnis, samnitis und săbinus, das auch bei den +Alten von σαύνιον, Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die +sich anschliesst an arquites, milites, pedites, equites, velites, die +mit dem Bogen, die im Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne +Ruestung im blossen Oberwurf gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit +der roemischen Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden +die Juno quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als +speerschwingende Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist +quiris der Wehrmann, das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der +Sprachgebrauch ueberein. Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, +wird nie von Quiriten gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern +(urbs Roma, populus, civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so +wenig eine lokale Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum +koennen auch diese Bezeichnungen nicht miteinander verbunden werden: +man sagt nicht civis quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen +Standpunkten aus, denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet +die feierliche Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass “dieser +Wehrmann mit Tode abgegangen” (ollus quiris leto datus), und ebenso +redet der Koenig die versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und +spricht, wenn er zu Gericht sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften +Freien (ex iure quiritium, ganz gleich dem juengeren ex iure civili). +Populus Romanus, quirites ( populus Romanus quiritium ist nicht +genuegend beglaubigt) heisst also “die Gemeinde und die einzelnen +Buerger” und werden darum in einer alten Formel (Liv. 1, 31) dem +populus Romanus die prisci Latini, den quirites die homines prisci +Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd. 2, S. 20f.). Diesen +Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche Unkende noch +festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen Gemeinde einst +eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und nach deren +Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den der +aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. +Vgl. 1, 68 A. + +^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt Dionysios (2, +64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Fuehrer der +Reiter (οι ηγεμόνες τών Κελερίων). Nach dem praenestinischen Kalender +wird am 19. Maerz ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus +pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. +1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten roemischen Reiterei einen Fuehrer +Celer und drei Centurionen, wogegen in der Schrift ‘De viris +illustribus’ 1 Celer selbst centurio genannt wird. Ferner soll Brutus +bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen sein (Liv. 1, 59), +nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die Verbannung der +Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius (dig. 1, +2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm schoepfend, Lydus +(mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem +magister equitum des republikanischen Diktators, dem Praefectus +Praetorio der Kaiserzeit. + +Von diesen Angaben, den einzigen, die ueber die tribuni celerum +vorhanden sind, ruehrt die letzte nicht bloss von spaeten und gaenzlich +unzuverlaessigen Gewaehrsmaennern her, sondern widerspricht auch der +Bedeutung des Namens, welcher nur “Teilfuehrer der Reiter” heissen +kann; vor allen Dingen aber kann der immer nur ausserordentlich und +spaeterhin gar nicht mehr ernannte Reiterfuehrer der republikanischen +Zeit unmoeglich identisch gewesen sein mit der fuer das Jahrfest des +19. Maerz erforderlichen, also stehenden Magistratur. Sieht man, wie +man notwendig muss, ab von der Nachricht des Pomponius, die offenbar +lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit +historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, dass die tribuni +celerum den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und +die Abteilungsfuehrer der Reiter gewesen sind, also voellig verschieden +von dem Reiterfeldherrn. + +^8 Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und +arquites und die spaetere Organisation der Legion. + +————————————————————— + +Indes nicht bloss leistend und dienend erscheint die roemische +Buergerschaft, sondern auch beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. +Es traten hierzu die Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und +der noch nicht waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die +“Lanzenmaenner” (quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der +Koenig sie berief, um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio, +contio) oder auch sie foermlich auf die dritte Woche (in trinum +noundinum) zusammentreten hiess (comitia), um sie nach Kurien zu +befragen. Ordnungsmaessig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24. +Maerz und zum 24. Mai, dergleichen foermliche Gemeindeversammlungen an +und ausserdem, so oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die +Buerger nicht zum Reden, sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern +zum Antworten. Niemand spricht in der Versammlung als der Koenig oder +wem er das Wort zu gestatten fuer gut findet; die Rede der +Buergerschaft ist einfache Antwort auf die Frage des Koenigs, ohne +Eroerterung, ohne Begruendung, ohne Bedingung, ohne Fragteilung. +Nichtsdestoweniger ist die roemische Buergergemeinde eben wie die +deutsche und vermutlich die aelteste indogermanische ueberhaupt die +eigentliche und letzte Traegerin der Idee des souveraenen Staats; +allein diese Souveraenitaet ruht im ordentlichen Lauf der Dinge oder +aeussert sich doch hier nur darin, dass die Buergerschaft sich zum +Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig verpflichtet. Zu diesem Ende +richtet der Koenig, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die +versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und botmaessig sein und +ihn selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise anerkennen +wollen; eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden +durfte, als die ihr ganz aehnliche Huldigung in der Erbmonarchie +verweigert werden darf. Es war durchaus folgerichtig, dass die +Buergerschaft, eben als der Souveraen, ordentlicher Weise an dem Gang +der oeffentlichen Geschaefte sich nicht beteiligte. Solange die +oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die Ausuebung der +bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich souveraene +Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der +Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden +Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem +einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der +roemischen Verfassung ohne Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so +dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird durch +das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder +Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und +Regierten selbst durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig +sanktioniert wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde +zustande gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an +die Buerger gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt +hat; in welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden +durfte. Darum ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es +fassen, der von dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder +gerichtete Befehl, sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven +Gewalten des Staates durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag +^9. Einer solchen Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen +Faellen, die der ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im +gewoehnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschraenkt sein Eigentum +weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass er dasselbe sofort +aufgibt; dass das Eigentum vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei +seinem Tode auf einen andern uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es +sei denn, dass ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloss +die auf dem Markt versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende +Buergerschaft bewilligen konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. +Im gewoehnlichen Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche +Gut der Freiheit nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem +Hausherrn untertan ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt +unterwerfen - es sei denn, dass ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies +ist die Adrogation. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann das Buergerrecht +nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden - es sei +denn, dass die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben +gestatte, was beides unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss +nicht in gueltiger Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf +trifft den todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein +Stellvertreter nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die +Todesstrafe, da der Koenig nur richten, nicht begnadigen kann - es sei +denn, dass der zum Tode verurteilte Buerger die Gnade der Gemeinde +anrufe und der Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies +ist der Anfang der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem +leugnenden Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen ist, sondern dem +gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im gewoehnlichen +Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag +nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill die +Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie +notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, +nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag +bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene +Frage, wie es scheint, nicht an die gewoehnliche Versammlung der +Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich ueberhaupt, wenn der +Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden +gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und insofern +ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des +Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen und +in allen aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der +Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein +zum Patrizier erklaerte Mann blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es +konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern +war also die Gemeindeversammlung, wie beschraenkt und gebunden sie auch +auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des roemischen +Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als neben dem Koenig. + +———————————————————————————— + +^9 Lēx, die Bindung (verwandt mit lēgare, zu etwas verbinden) +bezeichnet bekanntlich ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der +Nebenbedeutung eines Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent +diktiert und der andere Teil einfach annimmt oder ablehnt; wie dies z. +B. bei oeffentlichen Lizitationen der Fall zu sein pflegt. Bei der lex +publica populi Romani ist der Proponent der Koenig, der Akzeptant das +Volk; die beschraenkte Mitwirkung des letzteren ist also auch +sprachlich praegnant bezeichnet. + +———————————————————————————— + +Aber neben dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der +aeltesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum +Handeln bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch +neben beide und innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies +ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe +hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, +dass in dem urspruenglichen Rom die saemtlichen Hausvaeter den Senat +gebildet haetten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der +nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des spaeteren Rom seinen +Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der aeltesten Stadt +als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies +wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit +gegeben hat, wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten +Bestandteile, das heisst jedes Geschlecht gleichsam monarchisch +organisiert war und unter einem, sei es durch Wahl der +Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es durch Erbfolge +bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat +nichts gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsaeltesten und +demnach eine vom Koenig wie von der Buergerversammlung unabhaengige +Institution, gegenueber der letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit +der Buerger gebildeten gewissermassen eine repraesentative Versammlung +von Volksvertretern. Allerdings ist jene gleichsam staatliche +Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem latinischen Stamm in +unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der erste und vielleicht +schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu +entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, moeglicherweise +in Latium lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie wir das +roemische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt +und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle +Geschlechtsmaenner abstammen oder abzustammen behaupten, von den +lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen, so +dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht +ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht +werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des +Rates der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und +wichtige Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, +die Stellung des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein +blosser Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, +deren Ratschlaege der Koenig einzuholen zweckmaessig findet, beruht +lediglich darauf, dass er einst eine Versammlung gewesen war gleich +jener, die Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum zu Rate +sitzenden Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die +Gesamtheit der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der +Mitglieder eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es +auch nicht war; aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer +Zeit ist die Zahl der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die +Gemeinde ohne Ruecksicht auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen +Geschlechter auf hundert festgestellt worden, sodass von der +Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der Senatssitze auf +die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die staatsrechtlich +notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren zu +allen Zeiten berufen worden; und wenn in spaeterer Zeit dies +lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich als von Rechts wegen +eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden Revisionen der +Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwuerdigen oder auch nur +missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese Einrichtung sich +nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die Wahl der Senatoren +hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht mehr gab, bei dem +Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in aelterer Zeit, +solange noch die Individualitaet der Geschlechter im Volke lebendig +war, als Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig einen anderen +erfahrenen und bejahrten Mann derselben Geschlechtsgenossenschaft an +seine Stelle berufen haben. Vermutlich ist erst mit der steigenden +Verschmelzung und inneren Einigung der Volksgemeinde hiervon abgegangen +worden und die Auswahl der Ratsherren ganz in das freie Ermessen des +Koenigs uebergegangen, so dass nur das noch als Missbrauch erschien, +wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess. + +Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass +die Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von +Rechts wegen den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn sie +auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich auspraegenden +monarchischen Grundanschauung der Roemer, zur Zeit immer nur von einem +dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt werden kann. Ein +jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausuebung, +aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch +seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben +gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur dass +der des Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. +Hierauf beruht es ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die +koenigliche Gewalt in der roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt +werden kann. Stirbt der Koenig, so treten ohne weiteres die Aeltesten +an seine Stelle und ueben die Befugnisse der koeniglichen Gewalt. +Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur Zeit Herr +sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es +unterscheidet sich ein solcher “Zwischenkoenig” (interrex) von dem auf +Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der +Gewalt. Die Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber +festgesetzt auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter +den Senatoren in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer +wieder besetzt ist, der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess +der durch das Los festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls +auf fuenf Tage uebergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig +begreiflicherweise von der Gemeinde nicht geleistet. Im uebrigen aber +ist der Zwischenkoenig berechtigt und verpflichtet, nicht bloss alle +dem Koenig sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst +einen Koenig auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von +ihnen fehlt ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser +angesehen wird als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem +Vorgaenger ernannt ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten +Ende die Traegerin der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes +(auspicia) des roemischen Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft +gegeben fuer die ununterbrochene Dauer desselben und seiner +monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung. Wenn also +dieser Senat spaeter den Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein +duenkte, so ist das nur in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat +eine solche gewesen. + +Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser +Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches +Glied der roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten +sich nicht in die Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine +Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst +das Heer zu fuehren oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von +jeher aus dem Senat genommen - weshalb auch spaeter noch die hoechsten +Befehlshaberstellen regelmaessig nur an Senatoren vergeben und ebenso +als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder bei +der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner +Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom +nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des +Senats gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene +Wahrer der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der +Buergerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von +dieser gefassten Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die +bestehenden Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestaetigung zu +versagen; oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo +verfassungsmaessig ein Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei +jeder Verfassungsaenderung, bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der +Erklaerung eines Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. +Allerdings darf man dies wohl nicht so auffassen, als habe die +Gesetzgebung der Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich +zugestanden, etwa wie den beiden Haeusern in dem heutigen +konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl Gesetzgeber als +Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur dann kassieren, wenn die +Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also bestehende +Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige Staaten oder +auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren Beschluss +verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom groessten Gewichte, +dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die Kriegserklaerung +beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss erhoben hatte, +auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu erlegen +verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war, der +roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit den +Worten schloss: “darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim, wie +wir zu unsrem Rechte kommen”; erst wenn der Rat der Alten sich +einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft +beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss war +es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges +Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft +hervorzurufen und durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer +souveraenen Gewalt zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des +hoechsten Amtes der Senat die Dauer der Gemeindeverfassung verbuergte, +finden wir auch hier ihn als den Hort der gesetzlichen Ordnung +gegenueber selbst der hoechsten Gewalt, der Gemeinde. + +Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch die allem Anschein nach +uralte Uebung an, dass der Koenig die an die Volksgemeinde zu +bringenden Antraege vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen +saemtliche Mitglieder eines nach dem anderen darueber ihr Gutachten +abgeben liess. Da dem Senat das Recht zustand, den gefassten Beschluss +zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich vorher die Ueberzeugung +zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu befuerchten sei; wie +denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich brachte, in +wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Maenner Rat +vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung +nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur +Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der +bisher bezeichneten Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des Senats +hervorgegangen; die Anfaenge indes sind unscheinbar und gehen +eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn +sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei Angelegenheiten +von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also +zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender +Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der +Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das +eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, +rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der +Koenig beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; +ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat +sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in der +Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkoenige +festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den Senatoren +und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens zu +berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der +Ratschlag sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm +zu folgen, ohne dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner +Ansicht praktische Geltung zu schaffen als jenes frueher erwaehnte +keineswegs allgemein anwendbare Kassationsrecht. “Ich habe euch +gewaehlt, nicht dass ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten”: +diese Worte, die ein spaeterer Schriftsteller dem Koenig Romulus in den +Mund legt, bezeichnen nach dieser Seite hin die Stellung des Senats +gewiss im wesentlichen richtig. + +Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische +Buergergemeinde, an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; +aber allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn +von der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand +die Versammlung der lebenslaenglich bestellten Gemeindeaeltesten, +gleichsam ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt, berufen im Fall +der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven +Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den +rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche +Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch +die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des +Koenigs Gebot, gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden +musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht +von dem wahren Souveraen, dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer +keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die aelteste roemische +Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie. +Wie in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des +Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm +ausgehen, den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen +Beamten die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische +Volksgemeinde ungefaehr, was in England der Koenig ist und das +Begnadigungsrecht, wie in England ein Reservatrecht der Krone, so in +Rom ein Reservatrecht der Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei +dem Vorsteher der Gemeinde stand. + +Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu dessen +einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich weit +entfernt von der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der +modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte +wohl ueber die Person des Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten +und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das +einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpoenter Handlungen mit +Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht +gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und Unrecht +erschienen. Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich +der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der +Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen +Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen +Kosten gross gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der +merkwuerdigsten Saetze der aeltesten roemischen Verfassung, dass der +Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen +Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender +Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst +die Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese +Rechtsschranke bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren +Ausdruck und ihre praktische Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto +des Senats, der gewiss befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen +Grundrecht zuwiderlaufenden Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine +Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so wie die roemische allmaechtig; +aber in keiner Gemeinde auch lebte der unstraeflich sich fuehrende +Buerger in gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenueber seinen +Mitbuergern wie gegenueber dem Staat selbst. + +So regierte sich die roemische Gemeinde, ein freies Volk, das zu +gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem mystischen +Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter +sich, in scharfer Auspraegung der eigenen Nationalitaet, waehrend +zugleich - es wird dies nachher dargestellt werden - dem Verkehr mit +dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore weit aufgetan +wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern +erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht sich, dass sie +auf der aelteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen +Verfassung beruht; aber es liegt doch eine unuebersehbar lange Kette +staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den Verfassungen, wie die +Homerischen Gedichte oder Tacitus’ Bericht ueber Deutschland sie +schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen Gemeinde. In dem +Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des deutschen Umstandes +lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt der Gemeinde; aber +es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz und der geregelten +Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag ferner sein, dass, +wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den Elfenbeinstab +sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt hat, so auch die +zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr vom Ausland +heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die Entwicklung des +roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium gehoert, und wie +wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, beweist die +durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern +latinischer Praegung. + +Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des roemischen Staats +fuer alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn trotz der +wandelnden Formen steht es fest, solange es eine roemische Gemeinde +gibt, dass der Beamte unbedingt befiehlt, dass der Rat der Alten die +hoechste Autoritaet im Staate ist und dass jede Ausnahmebestimmung der +Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst der Volksgemeinde. + + + + +KAPITEL VI. +Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung + + +Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist +ein grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir Kunde +haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung des +Roemerrums endigen die aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem +aeltesten Verschmelzungsprozess der Ramner, Titier und Lucerer, von dem +fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der frueheste derartige +Inkorporationsakt derjenige, durch den die Huegelbuergerschaft aufging +in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird, als +sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und die +durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht werden +duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der +Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der +uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der +Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg +ein. Die roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei +Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen +Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester +des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es ist +glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten +altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen, +Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien +der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind. +Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den drei Quartieren der +palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Huegelstadt auf +dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem urspruenglichen +Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung +wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit +gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in +Beziehung auf die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren +Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel +die roemische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je zehn +Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen sie nun ihrerseits +mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die bestehenden Teile +und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in +der Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der +Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit +den Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan +jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die +Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, +posteriores). Eben damit haengt wahrscheinlich die in den organischen +Institutionen der Gemeinde ueberall hervortretende paarweise Anordnung +zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen +ausdruecklich als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter +Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist +vermutlich aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im +Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen +Gemeinde hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische +Buergerreiterei auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer +wahrscheinlich auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden +Vermehrung des Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man +den nachherigen Gebrauch, dass die Legionen regelmaessig je zwei und +zwei einberufen wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen, und +wahrscheinlich ruehrt von dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls +her, dass nicht, wie wohl urspruenglich, drei, sondern sechs +Abteilungsfuehrer die Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung +der Senatsstellen hat entschieden nicht stattgefunden, sondern die +uralte Zahl von dreihundert Ratsherren ist bis in das siebente +Jahrhundert hinein die normale geblieben; womit sich sehr wohl +vertraegt, dass eine Anzahl der angesehensten Maenner der neu +hinzutretenden Gemeinde in den Senat der palatinischen Stadt +aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den Magistraturen: auch +der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig vor, und von seinen +hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt +dasselbe. Man sieht, dass die sakralen Institutionen der Huegelstadt +fortbestanden und in militaerischer Hinsicht man nicht unterliess, der +verdoppelten Buergerschaft die doppelte Mannszahl abzufordern, im +uebrigen aber die Einordnung der quirinalischen Stadt in die +palatinische eine wahre Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir +mit Recht angenommen haben, dass der Gegensatz zwischen den +palatinischen Alt- und den quirinalischen Neubuergern zusammenfiel mit +dem zwischen den ersten und zweiten Titiern, Ramnern und Lucerern, so +sind die Geschlechter der Quirinalstadt die “zweiten” oder die +“minderen” gewesen. Indes war der Unterschied sicherlich mehr ein +Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den Abstimmungen im Rat wurden die aus +den alten Geschlechtern genommenen Ratsherren vor denen der “minderen” +gefragt. In gleicher Weise steht das collinische Quartier im Range +zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen der palatinischen Stadt, der +Priester des quirinalischen Mars hinter dem des palatinischen, die +quirinalischen Springer und Woelfe hinter denen vom Palatin. Sonach +bezeichnet der Synoekismus, durch den die palatinische Gemeinde die +quirinalische in sich aufnahm, eine Mittelstufe zwischen dem aeltesten, +durch den die Titier, Ramner und Lucerer miteinander verwuchsen, und +allen spaeteren: einen eigenen Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde +in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber noch wenigstens einen +Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen liess man nicht +bloss bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme +von Alba, geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten +Gemeinde, was spaeterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam. + +Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen +war mehr eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung +der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozess, der +weit allmaehlicher durchgefuehrt ward und weit tiefere Folgen gehabt +hat, reichen die ersten Anfaenge gleichfalls bis in diese Epoche +zurueck: es ist dies die Verschmelzung der Buergerschaft und der +Insassen. Von jeher standen in der roemischen Gemeinde neben der +Buergerschaft die Schutzleute, die “Hoerigen” (clientes), wie man sie +nannte, als die Zugewandten der einzelnen Buergerhaeuser, oder die +“Menge” (plebes, von pleo, plenus), wie sie negativ hiessen mit +Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. Die Elemente zu +dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt +ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde +musste diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich und +rechtlich zu groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde +selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hoerige besitzen; besonders +mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung ihres Gemeinwesens +es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen, die Masse der +Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen +den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, so dass sie +gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den Geschlechtern, +sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten. Zweitens aber war +durch die Gemeinde und deren Macht ueber die einzelnen Buerger die +Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen missbraeuchliche +Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu schuetzen. +Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische Landrecht +der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte Rechtsstellung +der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn der Herr bei +Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament, Prozess, +Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend +aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen +Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner +Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen +koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder +Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher +Erteilung von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht +des Gastes in einer mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde +voraus. Was ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschuetzter +Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum +scheinen laengere Zeit hindurch ihre vermoegensrechtlichen Beziehungen +gleich denen der Sklaven als Rechtsverhaeltnisse des Patrons gegolten +und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn +auch zusammenhaengen wird, dass der Patron im Notfall Beisteuern von +ihnen einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen +konnte. Aber allmaehlich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; +sie fingen an, in eigenem Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne +die formelle Vermittlung ihres Patrons von den roemischen +Buergergerichten Recht anzusprechen und zu erhalten. In Ehe und +Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Buergern zwar weit eher den +Auslaendern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehoerigen, +eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl +gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran +sich knuepfenden Rechtsverhaeltnisse der eheherrlichen und vaeterlichen +Gewalt, der Agnation und des Geschlechts, der Erbschaft und der +Vormundschaft, nach Art der buergerrechtlichen zu gestalten. + +—————————————————————————— + +^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2). + +—————————————————————————— + +Teilweise zu aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, +insofern auf Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom +niederliessen und dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser +Hinsicht muessen seit uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom +bestanden haben. Das roemische Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet +noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils +jedem dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen +unbeschraenkte Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel wir +wissen, jedem, der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern +befugt war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte +Recht bewegliches und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum +stehen konnten, in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu +erwerben. Es ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den +Anfang ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch +das Niederlassungsrecht mit grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde +ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter +Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden Fremden gewaehrt hat. + +Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die +Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die +Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in +Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis +mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen des +Verkehrs, die durch das latinische Buendnis allen Latinern +gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss +selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende +Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der +Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil +der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten +Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in +seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel +wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht +vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern +und lichtete bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, +waehrend die Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit +ihrem Blute dafuer zu bezahlen. + +Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, dass das roemische +Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat +der Fall war. Dass er noch laengere Zeit eine zahlreiche Gemeinde +blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des +roemischen Buergerrechts an einzelne ansehnliche auswaertige +Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder nach der +Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht empfingen - denn +diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer +seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise +stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der +Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne +Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht +erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist +wenigstens wahrscheinlich, dass die schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom +bestehende, aber doch gewiss nicht urspruengliche Zivilehe eben +eingefuehrt ward, um das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmen ^2. +Auch die Massregeln, durch welche bereits in aeltester Zeit auf die +Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern +hingewirkt ward, gehoeren in diesen Zusammenhang. + +———————————————————————————- + +^2 Die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, +dass dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das +hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die +religioese Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und +von der religioesen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin +abwich, dass die religioese Ehe selbst als eigentuemliche und rechtlich +notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der +anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Uebergabe von +seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, hinzutreten musste, um +eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden. + +——————————————————————————— + +Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in +bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, +waehrend die der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte; +und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und +freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene +Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen +Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und vor +allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des +Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom +lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in +der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder +und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen +Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht, +der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies +schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und +die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr +zurueck. War in aelterer Zeit der Klient ausschliesslich fuer den +Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so musste, je +mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der +Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne +Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge +und Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der +Nichtbuerger, namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen +Gemeinden, standen ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich +von Haus aus nicht in der Klientel der koeniglichen und der sonstigen +grossen Geschlechter und gehorchten dem Koenig ungefaehr in gleicher +Art wie die Buerger. Dem Koenig, dessen Herrschaft ueber die Buerger +denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, musste +es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhaengigen +Schutzleuten sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu +bilden. + +So erwuchs neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus +den Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist +charakteristisch; rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten +und dem Plebejer, dem Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch +aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis +zu einem der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloss den +Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefuehl der +besonderen Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der politischen +Zuruecksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen +gleichmaessig waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das +Ausbrechen des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der +rechtlosen Gemeinde. + +Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes +schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz +vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen traegt vom +Koenig Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach +in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was +wir wissen, nicht durch historische Ueberlieferung, sondern nur durch +Rueckschluesse aus den spaeteren Institutionen wissen; aber ihr Wesen +zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben koennen, +denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie muss +vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige ihren +Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf +Befreiung von der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der +Nichtbuerger teils zu der Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, +dem Staat im Notfall vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, +teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung +zusammengefasst, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen +ist die Heranziehung der Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen +Lasten: es wurden diese frueh auch auf die “Begueterten” (locupletes) +oder die “stetigen Leute” (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich +Vermoegenslosen, die “Kinderzeuger” (proletarii, capite censi) blieben +davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der +Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die +Buergerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules, +mochten sie Buerger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus +einer persoenlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung +folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige Mann vom +achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der +Hauskinder ansaessiger Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass +selbst der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu +Grundbesitz gelangt war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen +Auslaendern war der Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden +zum Dienst herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten +derselben der Fall war, auf roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen +hatten. Nach der Groesse der Grundstuecke wurde die kriegstuechtige +Mannschaft eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die +Vollhufener, welche in vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und +insofern vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von +den vier folgenden Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern +von Dreivierteln, Haelften, Vierteln und Achteln einer ganzen +Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung der Dienstpflicht, nicht aber +die volle Armierung verlangt ward, und sie also unterhalb des +Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der damaligen Verteilung des +Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen Vollhufen, waehrend die +Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufener +reichlich ein Achtel der Ansaessigen ausmachten; weshalb festgesetzt +ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig Vollhufener je zwanzig der +drei folgenden und achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden +sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei: die Zahl der +Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin wich man hier +ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den alten Namen +(Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern blieben, +waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern gebildet +wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, dass man +damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und nach der +Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus +militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und +regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen +Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man +denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre +hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu +machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen, +soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes +einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei - zu +stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein +Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont. + +—————————————————————————— + +^3 Aus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem +Eintritt der Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der +Fussmannschaft aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion +einberufen. + +——————————————————————————- + +Die nicht ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der +Wehrpflichtigen stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und +Spielleute zu stellen sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet +(velati) mit dem Heer zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit +den Waffen der Kranken und Gefallenen ausgeruestet in die Reihe +eingestellt wurden. + +Zum Behuf der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in +vier “Teile” (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer +lokalen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe +gleiches Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem +die Strasse dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den +esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die +“Huegel” im Gegensatz der “Berge” des Kapitol und Palatin, bildeten. +Von der Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen +und gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und +quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es +herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem dieser +Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der +Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten, +ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung. +Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und +nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen +Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung +zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der +raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig +zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder +ein Larenaltar errichtet ward. + +Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annaehernd den vierten Teil +wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militaerischen Abteilung +zu stellen, sodass jede Legion und jede Zenturie gleich viel +Konskribierte aus jedem Bezirk zaehlte, um alle Gegensaetze +gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und gemeinsamen +Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den maechtigen Hebel +des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger zu einem Volke +zu verschmelzen. + +Militaerisch wurde die waffenfaehige Mannschaft geschieden in ein +erstes und zweites Aufgebot, von denen jene, die “Juengeren”, vom +laufenden achtzehnten bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, +vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden, waehrend die “Aelteren” die +Mauern daheim schirmten. Die militaerische Einheit ward in der +Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine vollstaendig nach alter +dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx von sechstausend Mann, +die sechs Glieder hoch eine Front von tausend Schwergeruesteten +bildete; wozu dann noch 2400 “Ungeruestete” (velites, s. 1, 84, A.) +kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die +vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und sechsten +standen die minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten +Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx +hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte +Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind, +war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, +davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden +Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der +fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der +Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum +Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die +fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde; +wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann kam, 80 +Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten +Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die +der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, +welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft +nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des +roemischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an +20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der roemischen +Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der Einfuehrung dieser neuen +Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei +steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt, +sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen +Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn +die roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt +haeufig durch Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte +Schranke umgingen. + +Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfaeltigere +Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde +entweder jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, dass ein +Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre +Aecker mit dem Zubehoer, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- +und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veraeusserung, die +nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde fuer nichtig erklaert +und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich +Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus +der servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus +hervorgegangen. + +Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militaerischer +Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch nicht ein +einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung +der Zenturien hinwiese; und dies allein muss fuer jeden, der in solchen +Dingen zu denken gewohnt ist, genuegen, um ihre Verwendung zu +politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu erklaeren. Wenn, wie +wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr +ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies +keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und +neben den Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn +auch die Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die +Schlagfertigkeit der Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu +steigern, und insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische +Ordnung fuer die Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so +wirkte doch folgeweise die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft +auch auf ihre politische Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden +muss, muss auch Offizier werden koennen, solange der Staat nicht faul +ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und +Kriegstribunen ernannt werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den +Kurien vertretenen Buergerschaft durch die Zenturieninstitution der +Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmaelert werden sollte, +so mussten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige +Buergerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot +geuebt hatte, uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien. +Die Zenturien also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines +Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig +der spaeteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer +Beteiligung der Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu +bezeichnen; allein zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die +Zenturien mehr folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden +waere, und nach wie vor der Servianischen Reform galt die +Kurienversammlung als die eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung +das ganze Volk dem Koenig verpflichtete. Neben diesen neuen +grundsaessigen Vollbuergern standen die angesessenen Auslaender aus dem +verbuendeten Latium als teilnehmend an den oeffentlichen Lasten, der +Steuer und den Fronden (daher municipes); waehrend die ausser den +Tribus stehenden, nicht ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts +entbehrenden Buerger nur als steuerpflichtig (aerarii) in Betracht +kommen. + +Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger +und Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei +politischen Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische +Staatsrecht beherrscht haben. + +Wann und wie diese neue militaerische Organisation der roemischen +Gemeinde ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen moeglich. Sie +setzt die vier Quartiere voraus, das heisst, die Servianische Mauer +musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand. Aber auch das +Stadtgebiet musste schon seine urspruengliche Grenze betraechtlich +ueberschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel Teilhufener oder +Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den Flaechenraum der +vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht moeglich +sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir als Minimum 10000 +Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 deutschen +Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, +Haeuserraum und nicht kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz +bringt, das Gebiet zu der Zeit, wo diese Reform durchgefuehrt ward, +mindestens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich aber +eine noch betraechtlichere, gehabt haben muss. Folgt man der +Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 ansaessigen und +waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem +ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, +zeigt ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft +ueberliefert, sondern vermutungsweise berechnet, indem die 16800 +Waffenfaehigen des Normalstandes der Infanterie nach einem +durchschnittlichen die Familie zu fuenf Koepfen ansetzenden Ueberschlag +eine Zahl von 84000 Buergern zu ergeben schienen und diese Zahl mit der +der Waffenfaehigen verwechselt ward. Aber auch nach jenen maessigeren +Saetzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer +Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen und mindestens der +dreifachen Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grundsaessigen +Leuten und Knechten notwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend +zwischen Tiber und Anio gewonnen, sondern auch die albanische Mark +erobert war, bevor die Servianische Verfassung festgestellt wurde; +womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das Verhaeltnis der +Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl nach urspruenglich +gestellt hat, ist nicht zu ermitteln. + +————————————————————————————— + +^4 Schon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, +5; Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: +Ps. Aur. Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach +Plut. Crass. 2 zu berichtigen ist) den Empfaengern klein. + +Die Vergleichung der deutschen Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum +und Morgen, beide urspruenglich mehr Arbeits- als Flaechenmasse, +koennen angesehen werden als urspruenglich identisch. Wenn die deutsche +Hufe regelmaessig aus 30, nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen +bestand, und die Hofstaette haeufig, wenigstens bei den Angelsachsen, +ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei Beruecksichtigung der +klimatischen Verschiedenheit und des roemischen Heredium von zwei +Morgen die Annahme einer roemischen Hufe von 20 Morgen den +Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, +dass die Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst. + +———————————————————————————- + +Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese +Servianische Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, +sondern dass sie den Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich +traegt gleich der Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, +anderseits, dass sie entstanden ist unter griechischem Einfluss. +Einzelne Analogien koennen truegen, wie zum Beispiel die schon von den +Alten hervorgehobene, dass auch in Korinth die Ritterpferde auf die +Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung der Ruestung +wie der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist sicher +kein zufaelliges Zusammentreffen. Erwaegen wir nun, dass eben im +zweiten Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien +von der reinen Geschlechterverfassung fortschritten zu einer +modifizierten, die das Schwergewicht in die Haende der Besitzenden +legte ^5, so werden wir hierin den Anstoss erkennen, der in Rom die +Servianische Reform hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben +Grundgedanken beruhende und nur durch die streng monarchische Form des +roemischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte +Verfassungsaenderung. + +——————————————————————- + +^5 Auch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung +und der Behandlung der attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu +werden. Athen hat eben wie Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen +die Tore geoeffnet und dann auch dieselben zu den Lasten des Staates +mit herangezogen. Je weniger hier ein unmittelbarer Zusammenhang +angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es sich, wie dieselben +Ursachen - staedtische Zentralisierung und staedtische Entwicklung - +ueberall und notwendig die gleichen Folgen herbeifuehren. + + + + +KAPITEL VII. +Roms Hegemonie in Latium + + +An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und +leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit +dem Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde +allmaehlich in den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein +und politische Maechte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von +jenen fruehesten Raufhaendeln und Beutezuegen, in denen der Charakter +der Voelker sich bildet und sich aeusserst wie in den Spielen und +Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns +ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche +Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse der +einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu +erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und +seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich +aeltesten Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits +angegeben worden; sie waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa +eine deutsche Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten +sich einzig gegen die Kueste zu bis an die etwas ueber drei deutsche +Meilen von Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). “Groessere und kleinere +Voelkerschaften”, sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten Rom, +“umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen +Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren”. Auf +Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten +Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein. + +Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen +Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, +Corniculum, Cameria, Collatia drueckten am naechsten und +empfindlichsten auf Rom und scheinen schon in fruehester Zeit durch die +Waffen der Roemer ihre Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als +selbstaendige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk spaeter nur Nomentum, +das vielleicht durch Buendnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den +Besitz von Fidenae, dem Brueckenkopf der Etrusker am linken Ufer des +Tiber, kaempften Latiner und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter +mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio +und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im +Gleichgewicht; bis in die spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand +als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabinische Boden als +Prototyp des feindlichen Landes ^1. Durch diese Eroberungen mochte das +roemische Gebiet sich auf etwa 9 Quadratmeilen erweitert haben. Aber +lebendiger als diese verschollenen Kaempfe ist, wenn auch in +sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte Waffentat der +Roemer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole Latiums, +ward von roemischen Scharen erobert und zerstoert. Wie der +Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht +ueberliefert; der Kampf der drei roemischen gegen die drei albanischen +Drillingsbrueder ist nichts als eine personifizierte Bezeichnung des +Kampfes zweier maechtiger und eng verwandter Gaue, von denen wenigstens +der roemische ein dreieiniger war. Wir wissen eben nichts weiter als +die nackte Tatsache der Unterwerfung und Zerstoerung Albas durch Rom +^2. + +—————————————————————————— + +^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii +und Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche +geschichtliche Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, +Fregellae in der Tat stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends +nachweisbar und hoechst unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte +Bannfluchformulare auf diese beiden verhassten Staedte gestellt und +wurden von spaeteren Antiquaren fuer geschichtliche Urkunden gehalten. + +^2 Aber zu bezweifeln, dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom +ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, +scheint kein Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, dass der Bericht +ueber Albas Zerstoerung in seinen Einzelheiten eine Kette von +Unwahrscheinlichkeiten und Unmoeglichkeiten ist; aber das gilt eben von +jeder in Sagen eingesponnenen historischen Tatsache. Auf die Frage, wie +sich das uebrige Latium zu dem Kampfe zwischen Alba und Rom verhielt, +haben wir freilich keine Antwort; aber die Frage selbst ist falsch +gestellt, denn es ist unerwiesen, dass die latinische Bundesverfassung +einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings +untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl +albischer Familien in den roemischen Buergerverband der Zerstoerung +Albas durch die Roemer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua +eine roemische Partei gegeben haben? Entscheidend duerfte aber der +Umstand sein, dass Rom in religioeser wie in politischer Hinsicht als +Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt; welcher Anspruch nicht auf die +Uebersiedelung einzelner Geschlechter, sondern nur auf die Eroberung +der Stadt sich gruenden konnte und gegruendet ward. + +———————————————————— + +Dass in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner +Gebirge festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von +acht benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere +latinische Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre +spaetere verhaeltnismaessig ansehnliche Macht begruendet haben moegen, +laesst sich vollends nur vermuten. + +Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte ueber den +rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser aeltesten +latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, dass sie +nach demselben Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die +dreiteilige roemische Gemeinde hervorgegangen war; nur dass die durch +die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene +aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten Gemeinde eine +gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern voellig und +spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des +latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen +politischen Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger +legte er selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die +Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und +kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in +dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die +faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte man +nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische +Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein +Ortsbuerger-, sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, +das allgemeine roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz +bestimmte sich auch das Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch +Waffengewalt oder auch durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren +untertaenig wurden. Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark +zu der Mark der Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie +ihren Goettern in dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat +gegruendet. Eine foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die neue +Hauptstadt, wie sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, +wird man hierunter freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die +Staedte Latiums konnten in dieser Zeit wenig mehr sein als die +Festungen und Wochenmaerkte der Bauern; im ganzen genuegte die +Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den neuen Hauptort. Dass +selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, laesst sich an dem +Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen Staedten noch nach der +Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz geblieben sein muss. +Selbst wo die Festigkeit des geschleiften Ortes eine wirkliche +Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man mit Ruecksicht +auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen Weilern ihrer +alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch die +ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem neuen +Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen Erzaehlungen +aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen Staatsrechts, dass +nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das +Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde den ueberwundenen, +uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das Schutzverwandtenrecht +aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem +Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt. Noch in der +Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die roemische +Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier, +Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das +Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtuemer, +unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in +der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob. + +———————————————————————— + +^3 Hieraus entwickelte sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder +Buergerkolonie (colonia civium Romanorum), das heisst einer faktisch +gesonderten, aber rechtlich unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, +die in der Hauptstadt aufgeht wie im Vermoegen des Vaters das Peculium +des Sohnes und als stehende Besatzung vom Dienst in der Legion befreit +ist. + +^4 Darauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i +mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im +privatrechtlichen Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht +zustehen. An die latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht +sein, da deren rechtliche Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt +wird und das Zwoelftafelgesetz ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; +sondern die sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heisst die +von den Roemern in das Plebejat genoetigten Gemeinden Latiums. + +————————————————————— + +Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren +war natuerlich nichts weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht +bloss die Entwicklung Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich +um die Gegensaetze der nationalen Zentralisation und der kantonalen +Selbstaendigkeit, sondern es gilt das gleiche auch von der Entwicklung +der Hellenen. Es war dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, +aus der in Latium Rom und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe +Fusion war es, welche der weise Thales dem bedraengten Bunde der +ionischen Staedte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalitaet +bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken +folgerichtiger, ernstlicher und gluecklicher festhielt als irgendein +anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in +Hellas die Folge seiner fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom +seine Groesse lediglich demselben hier noch weit energischer +durchgefuehrten System zu danken. + +Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als +gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen +betrachtet werden duerfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine +besondere Bedeutung zu. Es sind nicht bloss die problematische Groesse +und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die +Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die +Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die +Vorstandschaft unter den dreissig berechtigten Gemeinden. Die +Zerstoerung Albas hob natuerlich den Bund selbst so wenig auf wie die +Zerstoerung Thebens die boeotische Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, +dem streng privatrechtlichen Charakter des latinischen Kriegsrechts +vollkommen entsprechend, Rom jetzt als Rechtsnachfolgerin von Alba +dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und welche Krisen der +Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, vermoegen +wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die roemische Hegemonie +ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu haben, wenn auch +einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, +zeitweilig sich ihr entzogen haben moegen. Schon damals mochte Rom als +seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, als +Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenueberstehen, schon damals nur +mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten gegen Karthager, Hellenen +und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn +sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der materielle +Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser +war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte +Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, +dass Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste +latinische Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was +dadurch gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste +und damit die Grundlage der kuenftigen Hegemonie der roemischen +Gemeinde ueber die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist +wichtig, diese entscheidenden Verhaeltnisse so bestimmt wie moeglich zu +bezeichnen. + +—————————————————————————— + +^5 Es scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde +Bovillae gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen +latinischen Staedte eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung +bezeugt der Iulierkult und der Name Albani Longani Bovillenses +(Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und +Cicero (Planc. 9, 23). + +———————————————————————————————- + +Die Form der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines +gleichen Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der +latinischen Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede +in der ganzen Mark und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer +die Verteidigung festgestellt ward. “Friede soll sein zwischen den +Roemern und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde +bestehen; sie sollen nicht Krieg fuehren untereinander noch Feinde ins +Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll +Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und gleichmaessig verteilt +werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg.” Die verbriefte +Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im +Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache +und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen +Beziehungen des Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches +erreicht wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. +Allerdings blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den +Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem roemischen nicht +notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit +der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den latinischen +Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstuemliche +Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die +Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin, +dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz +Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den +Bestimmungen ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des +einzelnen Buergers. Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des +latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem Staat, wo er frei +gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Buergerrecht +einbuessen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, +das Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem +Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz +erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der +Bundesstaaten sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten +Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln +aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn der +Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden muesse jenseits der +Tibergrenze, das heisst ausserhalb des Bundesgebietes, und die Klausel +des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, dass der von den +Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er +einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft +innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch +Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon +frueher bemerkt worden ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte +konnte zunaechst jeder Latiner nur da ausueben, wo er eingebuergert +war; dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, dass +jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, +nach heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen +Buergerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenoessisches +Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Buerger +anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle +Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt +ausschlug, die allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen +Erwerb, staedtische Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der +Insassen in Rom sich reissend schnell vermehrte, seit die latinische +Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich. + +In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde +selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten +eingriffen, sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig +Gemeinden als solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert +wird, dass Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere +gewesen sei als die Roms, und dass die letzteren durch Albas Sturz die +Autonomie erlangt haetten, so ist dies insofern wohl moeglich, als Alba +wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem +Bunde gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie +die Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen +Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas +Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms +Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit +gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt +zu haben, waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter +Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten Vorsitzenden, +ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit der +Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit +der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels +auf dem Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom +und Latium, teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward. +Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem +Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde +ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der die ohne +Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der +maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten +zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in +dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise des +Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken +Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand +ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte +der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste +hier den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, +nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus +der Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der +getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut +gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die +Bundesglieder verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die +roemisch-latinische Foederation nur durch Rom vertreten worden ist, +laesst sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag +untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg +zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluss, sei es infolge eines +feindlichen Ueberfalls, ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der +Fuehrung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat +rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals +schon die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein +einheitlicher Staat und ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung +zueinander treten, das Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen +pflegt. + +Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines +verhaeltnismaessig bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die +fuehrende Macht innerhalb der latinischen Eidgenossenschaft, sein +unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter ausgedehnt hat, koennen wir +nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunaechst den Veientern, +hoerten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht auf; es +scheint aber nicht, dass es den Roemern gelang, diesen auf dem +latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen +etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die +Veienter aus dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu verdraengen. Dagegen +behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten im Besitz des +Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung. Den Sabinern und +Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr ueberlegenen Stellung; +von der spaeterhin so engen Verbindung mit den entfernteren Hernikern +werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit bestanden und +die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen Nachbarn von zwei +Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der bestaendige +Kriegsschauplatz aber war die Suedgrenze, das Gebiet der Rutuler und +mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die latinische +Landschaft sich am fruehesten erweitert, und hier begegnen wir zuerst +den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande begruendeten und als +autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft konstituierten +Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von denen die +aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen. Wie weit +indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit sich +erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den +benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den +roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede; +aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme +von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern +enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen +Roms gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat, +laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr +gegenueber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der +Republik entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon in +der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin +stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge +hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit +Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein +fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen. + +So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu +einigen und zugleich sein Gebiet nach Osten und Sueden hin zu +erweitern; Rom selbst aber war durch die Gunst der Geschicke und die +Kraft der Buerger aus einer regsamen Handels- und Landstadt der +maechtige Mittelpunkt einer bluehenden Landschaft geworden. Die +Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung und die darin im Keim +enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der +Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit +dieser innerlichen Umwandlung des roemischen Gemeindewesens. Aber auch +aeusserlich musste mit den reicher stroemenden Mitteln, mit den +steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont der +Charakter der Stadt sich aendern. Die Verschmelzung der quirinalischen +Nebengemeinde mit der palatinischen muss bereits vollzogen gewesen +sein, als die sogenannte Servianische Reform stattfand; seit in dieser +die Buergerwehr sich in festen und einheitlichen Formen +zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft nicht dabei beharren, +die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander mit Gebaeuden sich gefuellt +hatten, zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes +die Flussinsel und die Hoehe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu +halten. Die Hauptstadt von Latium verlangte ein anderes und +abgeschlossenes Verteidigungssystem: man schritt zu dem Bau der +Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende Stadtwall begann am +Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen Huegel, an dem +neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den +Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen, die kolossalen +Ueberreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, +Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus +maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken unregelmaessig +geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer gewaltigen Epoche, +deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich dastehen und deren +geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit fortwirken +werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum +des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem +(1862) wieder in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau, nach aussen +von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben +geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt zu +abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den +Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum +Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des +Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal +an den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum +gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere +Hoehe ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg +gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau +ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und +bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Huegel +die neue “Burg” (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem Burgbrunnen, dem +sorgfaeltig gefassten “Quellhaus” (tullianum), der Schatzkammer +(aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der +Buergerschaft (area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die +regelmaessigen Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben. +Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf +dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum zwischen den beiden +Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder, +wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit +Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden +aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene +vertrieb. Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole +Roms, ein selbstaendiges, auch noch nach dem Fall der Stadt +verteidigungsfaehiges Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem +spaeteren Markt zu gelegen hat ^8. In aehnlicher Weise, wenn auch +schwaecher, scheint der Aventin befestigt und der festen Ansiedelung +entzogen worden zu sein. Es haengt damit zusammen, dass fuer eigentlich +staedtische Zwecke, zum Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten +Wassers, die roemische Stadtbewohnerschaft sich teilte in die +eigentlichen Stadtbewohner (montani) und in die innerhalb der +allgemeinen Ringmauer gelegenen, aber doch nicht zu der eigentlichen +Stadt gerechneten Bezirke (pagani Aventinenses, Ianiculenses, collegia +Capitolinorum et Mercurialium) ^9. Der von der neuen Stadtmauer +umschlossene Raum umfasste also ausser der bisherigen palatinischen und +quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und +des Aventin, ferner das Ianiculum ^10; der Palatin als die eigentliche +und aelteste Stadt ward von den uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer +entlang gefuehrt war, wie im Kranz umschlossen und von den beiden +Kastellen in die Mitte genommen. Aber das Werk war nicht vollstaendig, +solange der mit schwerer Muehe vor dem auswaertigen Feinde geschirmte +Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen war, welches das Tal zwischen +dem Palatin und dem Kapitol dauernd fuellte, sodass hier vielleicht +sogar eine Faehre bestand, und das Tal zwischen dem Kapitol und der +Velia sowie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die heute noch +stehenden, aus prachtvollen Quadern zusammengefuegten unterirdischen +Abzugsgraeben, welche die Spaeteren als ein Wunderwerk des koeniglichen +Rom anstaunten, duerften eher der folgenden Epoche angehoeren, da +Travertin dabei verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der +republikanischen Zeit erzaehlt wird; allein die Anlage selbst gehoert +ohne Zweifel in die Koenigszeit, wenngleich vermutlich in eine spaetere +Epoche als die Anlage des Mauerrings und der kapitolinischen Burg. +Durch sie wurden an den entsumpften oder trockengelegten Stellen +oeffentliche Plaetze gewonnen, wie die neue Grossstadt sie bedurfte. +Der Versammlungsplatz der Gemeinde, bis dahin der kapitolinische Platz +auf der Burg selbst, ward verlegt auf die Flaeche, die von der Burg +gegen die Stadt sich senkte (comitium), und dehnte von dort zwischen +dem Palatin und den Carinen in der Richtung nach der Velia hin sich +aus. An der der Burg zugekehrten Seite der Dingstaette erhielten auf +der nach Art eines Altanes ueber die Dingstaette sich erhebenden +Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste der Stadt bei +Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz; und auf dem +Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das spaeter den +Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den Richterstuhl +(tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft gesprochen ward +(die spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der Dingstaette selbst +errichtet. Ihre Verlaengerung gegen die Velia ward der neue Markt +(forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem Palatin, erhob sich das +Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia) und den +gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels, einschloss; +nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein dazu +gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde oder +der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der Kirche +Santi Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in ganz +anderer Art, als die Ansiedelung der “sieben Berge” es gewesen war, +geeinigte Stadt, dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit +deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt +hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche +Stadtherd trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten +sich die Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen +Aventin und Palatin ward fuer die Rennspiele der “Ring” abgesteckt; das +ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt +und bald entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere. +Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf +dem Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg +der weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all +diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die +umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der +Besiegten triumphierte. + +———————————————————— + +^6 Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium +von der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden +Spitze des Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den +griechischen άκρα und κορυφή entsprechend, appellativ, wie denn jede +latinische Stadt ihr capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des +roemischen Burghuegels ist mons Tarpeius. + +^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret, +untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht +die Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt +Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386. + +^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die “Heilige Strasse”, auf die +Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach +links macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. +Dieses selbst wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus +stattfanden, untergegangen sein. Das sogenannte Tor an der steilsten +Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem Namen des janualischen +oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in Kriegszeiten +stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese +Bedeutung und ist nie ein wirkliches Tor gewesen. + +^9 Es kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. +2, 5, 2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen +Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, +27; Cic. a.a.O.; Preller, Roemische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. +597) ebenfalls mit magistri (Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal, +wo der Mercurtempel sich befand; 3. die pagani Aventinenses ebenfalls +mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani pagi Ianiculensis ebenfalls +mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiss nicht zufaellig, dass +diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom vorkommen, eben +den von den vier oertlichen Tribus aus-, aber von der Servianischen +Mauer eingeschlossenen beiden Huegeln, dem Kapitol und dem Aventin, und +dem zu derselben Befestigung gehoerigen Ianiculum angehoeren; und damit +steht weiter im Zusammenhang, dass als Bezeichnung der gesamten +staedtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird - vgl. +ausser der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber +die staedtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: +[mon]tani paganive si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die +Bewohner der palatinischen drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer +die ganze eigentliche Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu +sein; die pagani sind sicher die ausserhalb der Tribus stehenden +Genossenschaften von Aventin und Ianiculum und die analogen Kollegien +vom Kapitol und dem Circustal. + +^10 Die “Siebenhuegelstadt” im eigentlichen und religioesen Sinn ist +und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das +Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit (vgl. +z. B. Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt +betrachtet, wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig +gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu +gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung gelangt, +welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen zu +den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus, +Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus +zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der +traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen Entstehung der Stadt +(Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. +206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil sonst acht +herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge +(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins +des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, +Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, +offenbar als colles, fehlen und dafuer zwei “montes” vom rechten +Tiberufer, darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer +liegende Vaticanus mit hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen +geben Servius (Aen. 6, 783), die Berner Scholien zu Vergils Georgiken +(2, 535) und Lydus (mens. p. 118 Bekker). + +^11 Sowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis +des Dionysios (2, 25), dass der Vestatempel ausserhalb der Roma +quadrata lag, bezeugen es, dass diese Anlagen nicht mit der +palatinischen, sondern mit der zweiten (Servianischen) Stadtgruendung +im Zusammenhang stehen; und wenn den Spaeteren dieses Koenigshaus mit +dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist die Ursache dieser +Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen. + +————————————————————— + +Die Namen der Maenner, auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten +sich erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer +in den aeltesten roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich +knuepft die verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus +an Tullus Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus +Marcius, die grosse Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an +Tarquinius den Aelteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius +Tullius. Manche dieser Angaben moegen richtig sein, und es scheint +nicht zufaellig, dass der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen +Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der Stadtwaelle +wesentliche Ruecksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach +zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnuegen muessen, +aus dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet, +dass diese zweite Schoepfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie ueber +Latium und mit der Umschaffung des Buergerheeres im engsten +Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus einem und demselben grossen +Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber weder eines Mannes noch eines +Menschenalters Werk ist. Dass auch in diese Umgestaltung des roemischen +Gemeindewesens die hellenische Anregung maechtig eingegriffen hat, ist +ebenso unzweifelhaft, als es unmoeglich ist, die Art und den Grad +dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, dass die +Servianische Militaerverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und +dass die Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird +spaeter gezeigt werden. Auch das neue Koenigshaus mit dem Stadtherd ist +vollstaendig ein griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten +schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte Vestatempel in +keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach hellenischem Ritus +erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, was die +Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft +die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster diente und darum +auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen +Artemision nachgebildet ward. + + + + +KAPITEL VIII. +Die umbrisch-sabellischen Stämme. +Anfänge der Samniten + + +Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen +Staemme begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts +bewegte, jedoch mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche +Kueste zu sich hielt. Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde +davon kommt zu uns wie der Klang der Glocken aus der im Meer +versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die +Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie in aeltester +Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die illyrischen +Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den +Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen +Sueden zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), +verglichen mit den ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluss +gestatten. Dieser Epoche der umbrischen Groesse moegen die offenbar +italischen Namen der aeltesten Ansiedlungen im Potal, Atria +(Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die zahlreichen umbrischen +Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name von Clusium, +Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders begegnen +dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen +italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich Etruriens zwischen dem +Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der +Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach +Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als die etruskische, und +neuerdings sind daselbst derartige Inschriften zum Vorschein gekommen, +deren Alphabet und Sprache zwar auch mit dem Etruskischen +Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem Latinischen analog +ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis +gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere und Rom. +Wahrscheinlich haben die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend +spaeter als die Landschaft nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern +entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische +Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter nach der roemischen +Eroberung im Vergleich mit dem zaehen Festhalten etruskischer Sprache +und Sitte im noerdlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende +Latinisierung der suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin +ihren letzten Grund. Dass von Norden und Westen her die Umbrer nach +harten Kaempfen zurueckgedraengt wurden in das enge Bergland zwischen +den beiden Armen des Apennin, das sie spaeter innehaben, bezeichnet +schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, wie heutzutage die der +Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre aehnlichen Schicksale +andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die Tusker den Umbrern +dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in den +Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden +nebst anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde +verwuenscht. + +———————————————————— + +^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der +lateinischen (R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es +kann nur aus dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies +sehr getreu darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten +Latein nah; Marci Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic +cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo sentem …. dedet cuando … +cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de +senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit +diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften gefunden von +abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift. + +———————————————————- + +Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes +dringen die Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf +dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon von den latinischen Staemmen +besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten +oft betretend und beschraenkend und mit ihnen sich um so leichter +vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise damals noch bei +weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir spaeter ihn +finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss von +dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen +mit den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen +Westkueste wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in +den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten Landschaft neben +Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil die latinische +Bevoelkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; waehrend +anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser Widerstand zu leisten +vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner Genossenschaften, wie +der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren zu koennen +oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und drueben, +woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in +zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die +Sabina so frueh und so schnell sich latinisieren konnten. + +Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina +oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich +anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der +Westkueste die bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den +Einwanderern wich oder sich unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen +apulischen Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung der Iapyger, +zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und +Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen +stattfanden, laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber +doch um die Zeit, wo in Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, +dass die Sabiner, gedraengt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das +heisst schwuren, die in dem Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, +nachdem sie erwachsen waeren, preiszugeben und ueber die Landesgrenze +zu schaffen, damit die Goetter sie nach ihrem Gefallen verderben oder +auswaerts ihnen neue Sitze bescheren moechten. Den einen Schwarm +fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die +zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer +Zeit von da aus die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den +Quellen des Tifernus besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre +Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, +der sie leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen fuehrte der +Specht des Mars: das wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die +heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf (hirpus) in +die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In aehnlicher Weise +zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die uebrigen kleinen +Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran +Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen +Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner +See, diese mit den Volskern und den Latinern sich beruehrend. In ihnen +allen blieb das Gefuehl der Verwandtschaft und der Herkunft aus dem +Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich +ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die +westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder +hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen +Staemme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich +entrueckt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen. +Staedtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in +geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre geographische Lage sie +beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung genuegten die +Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen blieben in +den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden +gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie +bei den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur +Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder +minder lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen +scheint die scharfe Sonderung der Bergtaeler eine strenge +Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl +unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese +Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in voelliger +Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit +ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen Nation +in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. +Dagegen ist das Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker +ebenso entschieden der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in +dem westlichen das latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der +ersten Einwanderung an, umschloss ein vergleichungsweise festes +politisches Band die samnitische Nation und gab ihr die Kraft, spaeter +mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf zu +ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig +als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in Samnium +keine einzelne Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer +Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den +latinischen, sondern dass die Kraft des Landes in den einzelnen +Bauernschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertretern gebildeten +Versammlung lag; sie war es, die erforderlichenfalls den +Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen, dass die Politik +dieser Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv ist, sondern +sich beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat +ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass die +Erweiterung des Gebiets planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch +die ganze Geschichte der beiden Voelker vorgezeichnet in ihrem +diametral auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Roemer +gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten +freiwillige Scharen, die auf Landraub ausgingen und von der Heimat im +Glueck wie im Unglueck preisgegeben waren. Doch gehoeren die +Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des Tyrrhenischen und +des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode an; waehrend +die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze sich +gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes +Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung +veranlassten Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch +Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230 +(524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr +romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei +solchen Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten +zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen +Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts +gedraengten Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal +gelang es noch der ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der +Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der +schoenen Seestadt abzuschlagen. + + + + +KAPITEL IX. +Die Etrusker + + +Im schaerfsten Gegensatz zu den latinischen und den sabellischen +Italikern wie zu den Griechen steht das Volk der Etrusker oder, wie sie +sich selber nannten, der Rasen ^1. Schon der Koerperbau unterschied die +beiden Nationen; statt des schlanken Ebenmasses der Griechen und +Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker nur kurze staemmige Figuren +mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir wissen von den Sitten und +Gebraeuchen dieser Nation, laesst gleichfalls auf eine tiefe und +urspruengliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen Staemmen +schliessen, so namentlich die Religion, die bei den Tuskern einen +trueben phantastischen Charakter traegt und im geheimnisvollen +Zahlenspiel und wuesten und grausamen Anschauungen und Gebraeuchen sich +gefaellt, gleich weit entfernt von dem klaren Rationalismus der Roemer +und dem menschlich heiteren hellenischen Bilderdienst. Was hierdurch +angedeutet wird, das bestaetigt das wichtigste Dokument der +Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns gekommene Reste, so zahlreich +sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer die Entzifferung darbieten, +dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass es bis jetzt nicht einmal +gelungen ist, den Platz des Etruskischen in der Klassifizierung der +Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu +deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der aelteren +ist die Vokalisierung vollstaendig durchgefuehrt und das +Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne Ausnahme vermieden ^2. +Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen Endungen und durch +Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies weiche und klangvolle +Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte und rauhe Sprache +verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramθa aus ramuθaf, Tarchnaf +aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchsentre aus +Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache +war, zeigt am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den +Etruskern schon in sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich wurde wie +im Lateinischen und in den rauheren griechischen Dialekten der Akzent +durchaus auf die Anfangssilbe zurueckgezogen. Aehnlich wurden die +aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend die Italiker sie wegwarfen +mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die Griechen umgekehrt +mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen θ φ χ beibehielten, liessen die +Etrusker den weichsten und lieblichsten, das φ gaenzlich, ausser in +Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei in +ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum +Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder +Uthuze heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren Bedeutung +ermittelt ist, entfernen die meisten sich weit von allen +griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle; so die Endung +al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie zum +Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi +uebersetzt wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur +Bezeichnung des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass +zum Beispiel die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder +clan mit dem Kasus clensi Sohn; seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes +wird Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns. +Neben diesen fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings +einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen und den italischen +Sprachen. Die Eigennamen sind im wesentlichen nach dem allgemeinen +italischen Schema gebildet: die haeufige gentilizische Endung enas oder +ena ^4 kehrt wieder in der auch in italischen, besonders sabellischen +Geschlechtsnamen haeufigen Endung enus, wie denn die etruskischen Namen +Maecenas und Spurinna den roemischen Maecius und Spurius genau +entsprechen. Eine Reihe von Goetternamen, die auf etruskischen +Denkmaelern oder bei Schriftstellern als etruskische vorkommen, sind +dem Stamme und zum Teil auch der Endung nach so durchaus lateinisch +gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich von Haus aus etruskisch sind, +die beiden Sprachen eng verwandt gewesen sein muessen: so Usil (Sonne +und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, aurora, sol), Minerva +(menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. Indes da diese +Analogien erst aus den spaeteren politischen und religioesen +Beziehungen zwischen Etruskern und Latinern und den dadurch +veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren koennen, so +stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen +Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den +saemtlichen griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand +wie die Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den +Roemern; “tuskisch und gallisch” sind Barbarensprachen, “oskisch und +volskisch” Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem +griechisch-italischen Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt +ebensowenig gelungen, sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. +Auf die Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die +verschiedenartigsten Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der +peinlichen Frage, aber alle ohne Ausnahme vergeblich befragt worden; +selbst mit dem baskischen, an das den geographischen Verhaeltnissen +nach noch am ersten gedacht werden koennte, haben entscheidende +Analogien sich nicht herausgestellt. Ebensowenig deuten die geringen +Reste, die von der liturgischen Sprache in Orts- und Personennamen auf +uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit den Tuskern. Nicht einmal die +verschollene Nation, die auf den Inseln des tuskischen Meeres, +namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften Grabtuerme, Nurhagen +genannt, zu Tausenden aufgefuehrt hat, kann fueglich mit der +etruskischen in Verbindung gebracht werden, da im etruskischen Gebiet +kein einziges gleichartiges Gebaeude vorkommt. Hoechstens deuten +einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige Spuren darauf hin, +dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen beizuzaehlen sind. So +ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer Inschriften sicher εμί, +ειμί und findet die Genetivform konsonantischer Staemme veneruf, +rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, entsprechend der alten +sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name des etruskischen Zeus +Tina oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen wie Ζάν +mit dem gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies zugegeben erscheint +das etruskische Volk darum kaum weniger isoliert. “Die Etrusker”, sagt +schon Dionysios, “stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte”; und +weiter haben auch wir nichts zu sagen. + +———————————————————- + +^1 Ras-ennae mit der 1, 131 erwaehnten gentilizischen Endung. + +^2 Dahin gehoeren z. B. Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: +minice θumamimaθumaramlisiaeipurenaieθeeraisieepanamineθunastavhelefu +oder: mi ramuθas kaiufinaia. + +^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff geben +zum Beispiel der Anfang der grossen Perusiner Inschrift: eulat tanna +larezu amevaχr lautn velθinase stlaafunas sleleθcaru. + +^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der Vokal in der +vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge der +Zurueckziehung des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt und +sogar ausgestossen. So finden wir neben Porsēna, auch Porsĕna, neben +Caecina Ceicne. + +———————————————————— + +Ebensowenig laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien +eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese +Wanderung auf jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen +geschichtliche Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum +eine Frage eifriger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz +der Archaeologen, vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar +noch wissenswert ist, “nach der Mutter der Hekabe”, wie Kaiser Tiberius +meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief im +Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine einzige namhafte +etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber eben +sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat; +da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden +sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel +gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst +finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen +wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die +Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen +Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die +aeltere Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht +werden. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die +raetischen Alpen nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in +Graubuenden und Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die +historische Zeit etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen +anklingt; sie koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen +am Po, aber wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen +zurueckgebliebener Teil des Volks sein. + +Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung aber tritt in +grellen Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus Asien +ausgewanderte Lyder seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot findet +sie sich und kehrt dann in zahllosen Wandlungen und Steigerungen bei +den Spaeteren wieder, wenngleich einzelne verstaendige Forscher, wie +zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich dagegen erklaerten und +darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und Sprache zwischen +Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich zeige. +Es ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm +nach Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen +anknuepfen; wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem +blossen Quiproquo. Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn +diese Form scheint die urspruengliche und der griechischen Τυρ-σηνοί, +Τυρρηνοί, der umbrischen Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci +zu Grunde zu liegen - begegneten sich in dem Namen ungefaehr mit dem +lydischen Volke der Τορρηβοί oder auch wohl Τυρρ-ηνοί, so genannt von +der Stadt Τύρρα; und diese offenbar zufaellige Namensvetterschaft +scheint in der Tat die einzige Grundlage jener durch ihr hohes Alter +reicht besser gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen Turmes +darauf aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem +lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte +und endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die +torrhebischen Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem +auf allen Meeren pluendernden und hausenden Flibustiervolk der +Pelasger, entstand eine der heillosesten Verwirrungen geschichtlicher +Ueberlieferung. Die Tyrrhener bezeichnen bald die lydischen Torrheber - +so in den aeltesten Quellen, wie in den Homerischen Hymnen; bald als +Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener die pelasgische Nation; +bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die letzteren mit den +Pelasgern oder den Torrhebern je sich nachhaltig beruehrt oder gar die +Abstammung mit ihnen gemein haetten. + +Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was die +nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort +aus sich weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion +in der Landschaft noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch +grenzend mit den Venetern illyrischen (albanesischen?) Stammes, +westlich mit den Ligurern, ist vielfach beglaubigt; vornehmlich zeugt +dafuer der schon erwaehnte rauhe etruskische Dialekt, den noch in +Livius’ Zeit die Bewohner der raetischen Alpen redeten, sowie das bis +in spaete Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und an +den Muendungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener +als der herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten +Kaufstaedte Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina +(Bologna) und Ravenna tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange +gewaehrt, ehe die Kelten den Padus ueberschritten; womit es +zusammenhaengt, dass auf dem rechten Ufer desselben das etruskische und +umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen hat als auf dem frueh +aufgegebenen linken. Doch sind ueberhaupt die Landschaften noerdlich +vom Apennin zu rasch von einer Nation an die andere gelangt, als dass +eine dauerhafte Volksentwicklung sich hier haette gestalten koennen. + +Weit wichtiger fuer die Geschichte wurde die grosse Ansiedelung der +Tusker in dem Lande, das heute noch ihren Namen traegt. Moegen auch +Ligurer oder Umbrer hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre +Spuren durch die etruskische Okkupation und Zivilisation so gut wie +vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem Gebiet, das am Meer von Pisae +bis Tarquinii reicht und oestlich vom Apennin abgeschlossen wird, hat +die etruskische Nationalitaet ihre bleibende Staette gefunden und mit +grosser Zaehigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich behauptet. Die +Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus; das +Gebiet von da nordwaerts bis zur Muendung der Macra und dem Apennin war +streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etruskisch, und groessere +Ansiedlungen gediehen deshalb daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete +anfangs wahrscheinlich der Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich +von Viterbo, spaeterhin der Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, +dass das Gebiet zwischen dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den +Staedten Sutrium, Nepete, Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit +spaeter als die noerdlicheren Distrikte, moeglicherweise erst im +zweiten Jahrhundert Roms, von den Etruskern eingenommen zu sein scheint +und dass die urspruengliche italische Bevoelkerung sich hier, +namentlich in Falerii, wenn auch in abhaengigem Verhaeltnis behauptet +haben muss. + +Seitdem der Tiberstrom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und +Latium bildete, mag hier im ganzen ein friedliches Verhaeltnis +eingetreten sein und eine wesentliche Grenzverschiebung nicht +stattgefunden haben, am wenigsten gegen die Latiner. So lebendig in den +Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker ihnen fremd, der Latiner +ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom rechten Ufer her weit +weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu haben als zum Beispiel von +den Stammesverwandten in Gabii und Alba; natuerlich, denn dort +schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des breiten Stromes, sondern auch +der fuer Roms merkantile und politische Entwicklung folgenreiche +Umstand, dass keine der maechtigeren etruskischen Staedte unmittelbar +am Fluss lag wie am latinischen Ufer Rom. Dem Tiber am naechsten waren +die Veienter, und sie waren es auch, mit denen Rom und Latium am +haeufigsten in ernste Konflikte gerieten, namentlich um den Besitz von +Fidenae, welches den Veientern auf dem linken Tiberufer, aehnlich wie +auf dem rechten den Roemern das Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf +diente und bald in den Haenden der Latiner, bald in denen der Etrusker +sich befand. Dagegen mit dem etwas entfernteren Caere war das +Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und freundlicher, als es sonst +unter Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen pflegt. Es gibt wohl +schwankende und in die graueste Fernzeit gerueckte Sagen von Kaempfen +zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische Koenig Mezentius +ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben einen Weinzins +auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der einstmalige +Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges Verhaeltnis +zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des Handels- und Seeverkehrs +in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem Vordringen der +Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln ueberhaupt. +Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos im Jahre 230 +(524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die Etrusker in +erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht als bis ins +einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die Etrusker +an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger ist es, dass +suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete etruskische +Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer ernstlichen +Bedraengung der latinischen Nation durch die Etrusker gar nichts +wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der +Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen, unangefochten. Was +die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom anlangt, so +findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener Bericht, +dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach +dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt +habe, von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies +zuverlaessig sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen +Berges von diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun +gar der Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter +dem Namen Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche +Vermutung solcher Archaeologen, die mit dem Sagenparallelismus sich +abgaben. Auf etruskische Ansiedlungen in Rom deutet weiter das +“Tuskerquartier” unter dem Palatin. + +Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das letzte +Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der +Tarquinier, aus Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie +die Sage will, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas vor +kurzem aufgefunden worden ist; auch der in die Sage verflochtene +Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch, dagegen in Etrurien +gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach Tarquinius der Sohn +eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen war und in +Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die +geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt, +sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt +etwas mehr entnommen werden kann als die nackte und im Grunde +gleichgueltige Tatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft +das koenigliche Szepter in Rom gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, +dass diese Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft ueber Rom weder +als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde ueber +Rom, noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber Suedetrurien gefasst +werden darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer die andere +Annahme irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der +Tarquinier spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, +hat waehrend der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der +Sprache noch in Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar +die ebenmaessige Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen +Bundes unterbrochen. + +Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen das latinische +Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den Kaempfen der +Etrusker mit den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst nach der +Vertreibung der Koenige in Rom ueberschritten, teils in der Richtung +der etruskischen Nation auf Seefahrt und Meer- und Kuestenherrschaft, +womit zum Beispiel die kampanischen Ansiedelungen entschieden +zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter die Rede sein +wird. + +Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen und latinischen +auf der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die fruehe Richtung der +Nation aber auf Schiffahrt, Handel und Industrie scheint rascher, als +es sonst in Italien der Fall gewesen ist, hier eigentlich staedtische +Gemeinwesen ins Leben gerufen zu haben; zuerst von allen italischen +Staedten wird in den griechischen Berichten Caere genannt. Dagegen +finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig und +kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit +Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung +der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit der +roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die +aehnliche Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie +die roemischen; Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber; +fuer die Aehnlichkeit der Geschlechterordnung buergt die Analogie des +Namensystems, nur dass bei den Etruskern die Abstammung von +muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als im roemischen Recht. +Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie umschloss +nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die +kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso +wie die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende +bestand aus zwoelf Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer +den Goetterdienst, und ein Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester +anerkannten, aber doch im wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein +scheinen und zum Teil wenigstens so maechtig, dass weder eine Hegemonie +sich bilden noch die Zentralgewalt zur Konsolidierung gelangen konnte. +Im eigentlichen Etrurien war die Metropole Volsinii; von den uebrigen +Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere Ueberlieferung nur +Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso selten, +dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte +selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt +regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie +kann ins Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg +beschlossen wird, so schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne +Staedte aus - es scheint den etruskischen Konfoederationen mehr noch +als den aehnlichen italischen Stammbuenden von Haus aus an einer festen +und gebietenden Oberleitung gefehlt zu haben. + + + + +KAPITEL X. +Die Hellenen in Italien. +Seeherrschaft der Tusker und Karthager + + +Nicht auf einmal wird es hell in der Voelkergeschichte des Altertums; +und auch hier beginnt der Tag im Osten. Waehrend die italische +Halbinsel noch in tiefes Werdegrauen eingehuellt liegt, ist in den +Landschaften am oestlichen Becken des Mittelmeers bereits eine nach +allen Seiten hin reich entwickelte Kultur ans Licht getreten; und das +Geschick der meisten Voelker, in den ersten Stadien der Entwicklung an +einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den Meister und Herrn zu finden, +ist in hervorragendem Masse auch den Voelkern Italiens zuteil geworden. +Indes lag es in den geographischen Verhaeltnissen der Halbinsel, dass +eine solche Einwirkung nicht zu Lande stattfinden konnte. Von der +Benutzung des schwierigen Landwegs zwischen Italien und Griechenland in +aeltester Zeit findet sich nirgends eine Spur. In das transalpinische +Land freilich mochten von Italien aus schon in unvordenklich ferner +Zeit Handelsstrassen fuehren: die aelteste Bernsteinstrasse erreichte +von der Ostsee aus das Mittelmeer an der Pomuendung - weshalb in der +griechischen Sage das Delta des Po als Heimat des Bernsteins erscheint +-, und an diese Strasse schloss sich eine andere quer durch die +Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa fuehrende an; aber Elemente der +Zivilisation konnten von dort her den Italikern nicht zukommen. Es sind +die seefahrenden Nationen des Ostens, die nach Italien gebracht haben, +was ueberhaupt in frueher Zeit von auslaendischer Kultur dorthin +gelangt ist. + +Das aelteste Kulturvolk am Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch +nicht ueber Meer und haben daher auch auf Italien nicht eingewirkt. +Ebensowenig aber kann dies von den Phoenikern behauptet werden. +Allerdings waren sie es, die von ihrer engen Heimat am aeusseren +Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen bekannten Staemmen auf +schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des Fisch- und Muschelfangs, +bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, die zuerst den +Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit das Mittelmeer +bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast an allen +Gestaden desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische +Seestationen: wie in Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, +Libyen und Spanien, so auch im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien +herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe die Griechen dorthin kamen, +oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl sich festsetzten, +die Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre Faktoreien +gegruendet, des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu +gewinnen. Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. +Von phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine +einzige mit einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische +Faktorei bei Caere, deren Andenken sich bewahrt hat teils in der +Benennung der kleinen Ortschaft an der caeritischen Kueste Punicum, +teils in dem zweiten Namen der Stadt Caere selbst, Agylla, welcher +nicht, wie man fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern phoenikisch +ist und die “Rundstadt” bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen Caere +sich darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen +es an den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall +weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast +spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund +vor, sie fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen +Ansiedlungen an denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen +davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen Maenner erst durch +Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre latinische, der +griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren alle +aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens +entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der +phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode +zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen +des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat lag, +wenn man sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich +Kuestenfahrt war und blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am +Mittelmeer so fern wie der italische Kontinent. Sie konnten ihn nur +entweder von der griechischen Westkueste oder von Sizilien aus +erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt +frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der +Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen +unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, ist +deshalb kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der +phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen +Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen. + +Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die +zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die +italischen Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus +welcher Gegend und zu welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin +gelangt sind, laesst nur die erstere sich mit einiger Sicherheit und +Vollstaendigkeit beantworten. Es war das aeolische und ionische Gestade +Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr sich grossartig +entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des Schwarzen +Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des +Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien +geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die +Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken +an die einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch +ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in +Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der +gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger +hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen Phokaeer, die +zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald folgten +auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach: +Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier, +Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung +Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin zu +fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der +europaeischen Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren +deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch +die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im Westland kein +Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes der +Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu +Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und +deutsche Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch das +griechische Sizilien und “Grossgriechenland” aus den +verschiedenartigsten hellenischen Stammschaften oft ununterscheidbar +zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser einigen mehr vereinzelt +stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren Pflanzstaedten +Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode gegruendete +Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei +Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen +Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme +mit den uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, in +Sizilien Zankle (spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini, Himera +zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris und die Mehrzahl der +grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische, welcher +Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen +Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen +Pflanzstadt Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der +Einwanderung die aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der +dorischen Einwanderung im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den +Dorern haben sich vorzugsweise nur die Gemeinden gemischter +Bevoelkerung, wie Korinth und Megara, die rein dorischen Landschaften +dagegen nur in untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn die +Ionier waren ein altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme +aber sind erst verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen +Bergen in die Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten +dem Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen +Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. Die +phokaeischen Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden +babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit +dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im ganzen europaeischen +Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen Modifikation +desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen +Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige +Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt +hatte, nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken +vielmehr nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach +der der sizilischen Dorer. + +Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und Ansiedlungen wird wohl +fuer immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. Zwar eine gewisse +Folge darin tritt auch fuer uns noch unverkennbar hervor. In der +aeltesten Urkunde der Griechen, welche, wie der aelteste Verkehr mit +dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern eignet, in den Homerischen +Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das oestliche Becken des +Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See verschlagene +Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa noch von +dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde nach +Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen +Dichtung mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche +am fruehesten mit dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige +Kunde von Sizilien und Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter +des Ostens konnten, wie seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften +Orient, ungestoert die leeren Raeume des Westens mit ihren luftigen +Gestalten erfuellen. Bestimmter treten schon in den Hesiodischen +Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; sie kennen aus +beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und Staedten; +doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten +nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte +Gestade Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. +Ebenso laesst die Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger +Sicherheit sich bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im +Westland galt offenbar schon dem Thukydides Kyme; und gewiss hat er +nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen Schiffer mancher +Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den Barbaren war +keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt +urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser +Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf +dem Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, +die noch heute den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt +traegt. Nirgends in Italien sind denn auch die Oertlichkeiten der +kleinasiatischen Maerchen mit solcher Festigkeit und Lebendigkeit +lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo die fruehesten +Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst das +Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu +wandeln meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden +Aornossee zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen +Nachbarn der Italiker wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb +der Name desjenigen italischen Stammes, der zunaechst um Kyme +angesessen war, der Name der Opiker, von ihnen noch lange Jahrhunderte +nachher fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist ferner +glaublich ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung +in Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch einen +betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener +Einwanderung wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen +und Naxos auf Sizilien die aelteste aller durch eigentliche +Kolonisierung in Italien und Sizilien gegruendeten Griechenstaedte ist, +worauf dann die achaeischen und dorischen Kolonisationen erst spaeter +erfolgt sind. + +Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen +auch nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung +der achaeischen Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen +Stadt Taras im Jahre 46 Roms (708) moegen die aeltesten Daten der +italischen Geschichte sein, deren wenigstens ungefaehre Richtigkeit als +ausgemacht angesehen werden kann. Um wieviel aber die Ausfuehrung der +aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser Epoche zurueckliege, ist +ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der Hesiodischen und +gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers richtig +bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der +Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle +anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und +wer die Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige +Tatsache erwaegt, dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, +bevor der hellenische Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre +Bezeichnung der Hellenen von dem in Hellas frueh verschollenen Stamm +der Grai oder Graeci entlehnten ^1, wird geneigt sein, den fruehesten +Verkehr der Italiker mit den Griechen um ein bedeutendes hoeher +hinaufzuruecken. + +—————————————————————- + +^1 Ob der Name der Graeker urspruenglich aus dem epirotischen +Binnenland und der Gegend von Dodone haftet oder vielmehr den frueher +vielleicht bis an das Westmeer reichenden Aetolern eigen war, mag +dahingestellt bleiben; er muss in ferner Zeit einem hervorragenden +Stamm oder Komplex von Staemmen des eigentlichen Griechenlands eigen +gewesen und von diesen auf die gesamte Nation uebergegangen sein. In +den Hesiodischen Eoeen erscheint er als aelterer Gesamtname der Nation, +jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit beiseite geschoben und dem +hellenischen untergeordnet, welcher letztere bei Homer noch nicht, wohl +aber, ausser bei Hesiod, schon bei Archilochos um das Jahr 50 Roms +(704) auftritt und recht wohl noch bedeutend frueher aufgekommen sein +kann (M. L. Duncker, Geschichte des Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, +S. 18, 556). Also bereits vor dieser Zeit waren die Italiker mit den +Griechen soweit bekannt, dass jener in Hellas frueh verschollene Name +bei ihnen als Gesamtname der griechischen Nation blieb, auch als diese +selbst andere Wege ging. Es ist dabei nur in der Ordnung, dass den +Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der hellenischen Staemme frueher +und deutlicher zum Bewusstsein gekommen ist als diesen selbst, und +daher die Gesamtbenennung hier schaerfer sich fixierte als dort, nicht +minder, dass dieselbe nicht gerade den wohlbekannten naechstwohnenden +Hellenen entnommen ward. Wie man es damit vereinigen will, dass noch +ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms Italien den kleinasiatischen +Griechen voellig unbekannt war, ist schwer abzusehen. Von dem Alphabet +wird unten die Rede sein; es ergibt dessen Geschichte vollkommen die +gleichen Resultate. Man wird es vielleicht verwegen nennen, auf solche +Beobachtungen hin die Herodotische Angabe ueber das Zeitalter Homers zu +verwerfen; aber ist es etwa keine Kuehnheit, in Fragen dieser Art der +Ueberlieferung zu folgen? + +———————————————————— + +Die Geschichte der italischen und sizilischen Griechen ist zwar kein +Teil der italischen; die hellenischen Kolonisten des Westens blieben +stets im engsten Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den +Nationalfesten und Rechten der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien +wichtig, den verschiedenen Charakter der griechischen Ansiedlungen +daselbst zu bezeichnen und wenigstens gewisse Grundzuege hervorzuheben, +durch die der verschiedenartige Einfluss der griechischen Kolonisierung +auf Italien wesentlich bedingt worden ist. + +Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am +meisten geschlossene war diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund +hervorging, welchen die Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder +Metapontion, Sybaris mit seinen Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, +Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten +gehoerten, im grossen und ganzen genommen, einem griechischen Stamm an, +der an seinem eigentuemlichen, dem dorischen naechst verwandten Dialekt +sowie nicht minder, anstatt des sonst allgemein in Gebrauch gekommenen +juengeren Alphabets, lange Zeit an der altnationalen hellenischen +Schreibweise festhielt, und der seine besondere Nationalitaet den +Barbaren wie den andern Griechen gegenueber in einer festen buendischen +Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer laesst sich +anwenden, was Polybios von der achaeischen Symmachie im Peloponnes +sagt: “nicht allein in eidgenoessischer und freundschaftlicher +Gemeinschaft leben sie, sondern sie bedienen sich auch gleicher +Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und Muenzen sowie derselben +Vorsteher, Ratmaenner und Richter”. + +Dieser Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die +Staedte waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und +ohne Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den +Bruecken seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm +Milesier und Etrusker. Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss +die Kuestensaeume, sondern herrschten von Meer zu Meer in dem “Wein-” +und “Rinderland” (Οινοτρία, Ιταλία) oder der “grossen Hellas”; die +eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel oder gar in +Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit +die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme und +fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und +Poseidonia gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des +Krathis und Bradanos warfen den Sybariten und Metapontinern +ueberreichen Ertrag ab - vielleicht ist hier zuerst Getreide zur +Ausfuhr gebaut worden. Von der hohen Bluete, zu welcher diese Staaten +in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die +einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre +Muenzen von strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die +fruehesten Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung +erweislich im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese +Muenzen zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an +der eben um diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden +Bildnerkunst, sondern in der Technik demselben wohl gar ueberlegen +waren; denn statt der dicken, oft nur einseitig gepraegten und +regelmaessig schriftlosen Silberstuecke, welche um diese Zeit in dem +eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern ueblich waren, +schlugen die italischen Achaeer mit grosser und selbstaendiger +Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen, teils erhaben teils vertieft +geschnittenen Stempeln grosse duenne, stets mit Aufschrift versehene +Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der Falschmuenzerei jener Zeit - +Plattierung geringen Metalls mit duennen Silberblaettern - sich +schuetzende Praegweise den wohlgeordneten Kulturstaat verraet. + +Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. In der muehelosen, +weder durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch durch eigene +schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte sogar den +Griechen frueh die Spannkraft des Koerpers und des Geistes. Keiner der +glaenzenden Namen der griechischen Kunst und Literatur verherrlicht die +italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren unzaehlige, auch in Italien +das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent den Archytas +nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der Spiess drehte, +gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess die +strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden +frueh ans Ruder gekommen war und im Notfall an der Bundesgewalt einen +sicheren Rueckhalt fand: wohl aber drohte die Verwandlung der +Herrschaft der Besten in eine Herrschaft der Wenigen, vor allem, wenn +die bevorrechteten Geschlechter in den verschiedenen Gemeinden sich +untereinander verbuendeten und gegenseitig sich aushalfen. Solche +Tendenzen beherrschten die durch den Namen des Pythagoras bezeichnete +solidarische Verbindung der “Freunde”, sie gebot, die herrschende +Klasse “gleich den Goettern zu verehren”, die dienende “gleich den +Tieren zu unterwerfen”, und rief durch solche Theorie und Praxis eine +furchtbare Reaktion hervor, welche mit der Vernichtung der +pythagoreischen “Freunde” und mit der Erneuerung der alten +Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, Massenerhebungen +der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische Anwendung +unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten +Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, +bis ihre politische Macht darueber zusammenbrach. + +Es ist danach nicht zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens +die daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind +als die uebrigen griechischen Niederlassungen. ueber die politischen +Grenzen hinaus ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern +ferner als den Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten +sie die Eingeborenen und zertraten die Keime einer nationalen +Entwicklung, ohne doch den Italikern durch vollstaendige Hellenisierung +eine neue Bahn zu eroeffnen. So ist in Sybaris und Metapont, in Kroton +und Poseidonia das griechische Wesen, das sonst allen politischen +Missgeschicken zum Trotz sich lebenskraeftig zu behaupten wusste, +schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgendeinem anderen +Gebiet, und die zwiesprachigen Mischvoelker, die spaeterhin aus den +Truemmern der eingeborenen Italiker und der Achaeer und den juengeren +Einwanderern sabellischer Herkunft hervorgingen, sind zu rechtem +Gedeihen ebensowenig gelangt. Indes, diese Katastrophe gehoert der Zeit +nach in die folgende Periode. + +Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die +Niederlassungen der uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den +Ackerbau und Landgewinn keineswegs; es war nicht die Weise der +Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer Kraft gekommen waren, sich im +Barbarenland nach phoenikischer Art an einer befestigten Faktorei +genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle diese Staedte zunaechst und +vor allem des Handels wegen begruendet und darum denn auch, ganz +abweichend von den achaeischen, durchgaengig an den besten Haefen und +Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, die Veranlassung und die +Epoche dieser Gruendungen waren mannigfach verschieden; dennoch bestand +zwischen ihnen eine gewisse Gemeinschaft - so in dem allen jenen +Staedten gemeinsamen Gebrauch gewisser moderner Formen des Alphabets ^2 +und selbst in dem Dorismus der Sprache, der auch in diejenigen Staedte +frueh eindrang, die, wie zum Beispiel Kyme ^3, von Haus aus den weichen +ionischen Dialekt sprachen. Fuer die Entwicklung Italiens sind diese +Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade wichtig geworden; es +genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend in die +Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des dorischen +Tarent und des ionischen Kyme. + +————————————————————————- + +^2 So sind die drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die +als leicht zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die +Zeichen vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder +ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, +waehrend die uebrigen Griechen Italiens und Siziliens ohne Unterschied +des Stammes sich ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend der +juengeren Formen bedient haben. + +^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Tongefaess Ταταίες +εμί λέυqθος. Fόσ δ'άν με κλέφσει θύφλος έσται. + +————————————————- + +Den Tarentinern ist unter allen hellenischen Ansiedlungen in Italien +die glaenzendste Rolle zugefallen. Der vortreffliche Hafen, der einzige +gute an der ganzen Suedkueste, machte ihre Stadt zum natuerlichen +Entrepôt fuer den sueditalienischen Handel, ja sogar fuer einen Teil +des Verkehrs auf dem Adriatischen Meer. Der reiche Fischfang in dem +Meerbusen, die Erzeugung und Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle +sowie deren Faerbung mit dem Saft der tarentinischen Purpurschnecke, +die mit der tyrischen wetteifern konnte - beide Industrien hierher +eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos -, beschaeftigten +Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch den +Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im +griechischen Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen +Muenzen sind noch heute redende Beweise des ausgebreiteten und +lebhaften tarentinischen Verkehrs. Schon in dieser Epoche, wo Tarent +noch mit Sybaris um den ersten Rang unter den unteritalischen +Griechenstaedten rang, muessen seine ausgedehnten Handelsverbindungen +sich angeknuepft haben; indes auf eine wesentliche Erweiterung ihres +Gebietes nach Art der achaeischen Staedte scheinen die Tarentiner nie +mit dauerndem Erfolg ausgegangen zu sein. + +Wenn also die oestlichste der griechischen Ansiedlungen in Italien +rasch und glaenzend sich emporhob, so gediehen die noerdlichsten +derselben am Vesuv zu bescheidnerer Bluete. Hier waren von der +fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus die Kymaeer auf das Festland +hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart am Meere eine zweite +Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia (spaeter Puteoli), +und weiter die “Neustadt” Neapolis gegruendet wurden. Sie lebten, wie +ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und Sizilien, nach den +Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650) festgestellt hatte, +in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus gemaessigten +Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den Reichsten +erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung, die sich +bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren wie +Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren +Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus +Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt +auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und +unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich mit +ihnen handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine +gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den ersten Platz unter den +Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein. + +Wenn zu beiden Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande +die ganze suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die +groessere oestliche Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land +war, so gestalteten dagegen auf der italischen Westkueste nordwaerts +vom Vesuv und auf der ganzen Ostkueste die Verhaeltnisse sich +wesentlich anders. An dem dem Adriatischen Meer zugewandten italischen +Gestade entstanden griechische Ansiedlungen nirgends; womit die +verhaeltnismaessig geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der +griechischen Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer +und den zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich +zusammenhaengt. Zwar wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser +Kueste zwei ansehnliche Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt +Durazzo; 127 587) und Apollonia (bei Avlona; um 167 627) noch waehrend +der roemischen Koenigsherrschaft gegruendet; aber weiter noerdlich ist, +mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden Niederlassung auf +Schwarzkerkyra (Curzola; um 174? 580) keine alte griechische Ansiedlung +nachzuweisen. Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die +griechische Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin +auftrat, wohin doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und +wohin in der Tat seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der +nicht lange nach Rom (um 44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra +(Korfu) aus ein Handelszug bestand, dessen Entrepôts auf der italischen +Kueste die Staedte an der Pomuendung, Spina und Atria, waren. Die +Stuerme der Adriatischen See, die Unwirtlichkeit wenigstens der +illyrischen Kuesten, die Wildheit der Eingeborenen reichen offenbar +allein nicht aus, um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist +es von den wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden +Elemente der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen +Landschaften einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese +gelangten. Selbst in den Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und +Kerkyra die oestlichste Kaufstadt Grossgriechenlands, das dorische +Tarent, das durch den Besitz von Hydrus (Otranto) den Eingang in das +Adriatische Meer auf der italischen Seite beherrschte. Da ausser den +Haefen an der Pomuendung an der ganzen Ostkueste nennenswerte Emporien +in jener Zeit nicht bestanden - Ankons Aufbluehen faellt in weit +spaetere Zeit und noch spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es +wohl begreiflich, dass die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig +in Tarent loeschten. Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner +vielfach mit Apulien; auf sie geht zurueck, was sich von griechischer +Zivilisation im Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese +Zeit davon nur die ersten Anfaenge; der Hellenismus Apuliens +entwickelte sich erst in einer spaeteren Epoche. + +Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich vom Vesuv in +aeltester Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf den Inseln +und Landspitzen hellenische Faktoreien bestanden, laesst sich nicht +bezweifeln. Wohl das aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die +Lokalisierung der Odysseussage an den Kuesten des Tyrrhenischen Meeres +^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des Aeolos wiederfand, wenn +man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am Misenischen die +der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das ragende +Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn +bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne +des Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, +im “innersten Winkel der heiligen Inseln” die Tyrrhener beherrschen +oder in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der +Kirke, Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das +alte Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat +auf der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche +Lebendigkeit der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den +Fahrten des Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen +Lokalisierung derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen +Fahrbezirk der kymaeischen Schiffer. + +—————————————————————- + +^4 Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese +tyrrhenische Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische ‘Theogonie’ +in einem ihrer juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus +der Zeit kurz vor Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos +geflossen ist, und der sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen +gehoert einer Zeit an, wo Italien den Griechen noch als Inselgruppe +galt, und ist also sicher sehr alt; und es kann danach die Entstehung +dieser Sagen im ganzen mit Sicherheit in die roemische Koenigszeit +gesetzt werden. + +—————————————————————- + +Andere Spuren dieser aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der +Insel Aethalia (Ilva, Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten +von Griechen besetzten Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht +auch des Hafenplatzes Telamon in Etrurien; ferner die beiden +Ortschaften an der caeritischen Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion +(bei Palo), wo nicht bloss die Namen unverkennbar auf griechischen +Ursprung deuten, sondern auch die eigentuemliche, von den caeritischen +und ueberhaupt den etruskischen Stadtmauern sich wesentlich +unterscheidende Architektur der Mauern von Pyrgi. Aethalia, “die +Feuerinsel”, mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben mag in +diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und hier die Altsiedlung der +Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen seinen Mittelpunkt gehabt +haben; um so mehr als das Schmelzen der Erze auf der kleinen und nicht +waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. +Auch die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenueberliegenden +Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in +Betrieb genommen. + +Wenn die Fremden, wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem +See- und Landraub obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die +Gelegenheit sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als +Sklaven fortzufuehren, so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das +Vergeltungsrecht aus; und dass die Latiner und Tyrrhener dies mit +groesserer Energie und besserem Glueck getan haben als ihre +sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, sondern vor +allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich der +Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte +und Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch +Herren ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die +sueditalischen Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die +Voelker Mittelitaliens, freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, +zur Seefahrt und zur Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der +Italiker das Floss und den Nachen mit der phoenikischen und +griechischen Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst begegnen grosse +Kaufstaedte, vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am Tiber, +die, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung +vom Meere zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte +an der Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum, +sicher keine griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den +geschichtlichen Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen +Nationalitaet gegen fremden Eingriff darzulegen sind wir +begreiflicherweise nicht imstande; wohl aber laesst es noch sich +erkennen, was fuer die weitere Entwicklung Italiens von der groessten +Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium und im suedlichen Etrurien +einen andern Gang genommen hat als in der eigentlichen tuskischen und +den sich daran anschliessenden Landschaften. + +Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem “wilden Tyrrhener” den +Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das +friedliche Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit +gemeint sein, dass man die griechische Kolonisierung in einigen +Landschaften Mittelitaliens geduldet, in andern nicht zugelassen +haette. Nordwaerts vom Vesuv hat ueberhaupt in geschichtlicher Zeit +nirgends eine unabhaengige griechische Gemeinde bestanden, und wenn +Pyrgi dies einmal gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn +unserer Ueberlieferung in die Haende der Italiker, das heisst der +Caeriten zurueckgekehrt sein. Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium +und ebenso an der Ostkueste der friedliche Verkehr mit den fremden +Kaufleuten geschuetzt und gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor +allem merkwuerdig ist die Stellung von Caere. “Die Caeriten”, sagt +Strabon, “galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und +Gerechtigkeit, und weil sie, so maechtig sie waren, des Raubes sich +enthielten.” Nicht der Seeraub ist gemeint, den der caeritische +Kaufmann wie jeder andere sich gestattet haben wird; sondern Caere war +eine Art von Freihafen fuer die Phoeniker wie fuer die Griechen. Wir +haben der phoenikischen Station - spaeter Punicum genannt - und der +beiden von Pyrgi und Alsion bereits gedacht; diese Haefen waren es, die +zu berauben die Caeriten sich enthielten, und ohne Zweifel war es eben +dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte Reede besitzt und keine +Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher Bluete gelangt ist und fuer +den aeltesten griechischen Handel noch groessere Bedeutung gewonnen hat +als die von der Natur zu Emporien bestimmten Staedte der Italiker an +den Muendungen des Tiber und des Po. Die hier genannten Staedte sind +es, welche in uraltem religioesen Verkehr mit Griechenland erscheinen. +Der erste unter allen Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte, +war der tuskische Koenig Arimnos, vielleicht ein Herr von Ariminum. +Spina und Caere hatten in dem Tempel des delphischen Apollon wie andere +mit dem Heiligtum in regelmaessigem Verkehr stehende Gemeinden ihre +eigenen Schatzhaeuser; und mit der aeltesten caeritischen und +roemischen Ueberlieferung ist das delphische Heiligtum sowohl wie das +kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, wo die Italiker friedlich +schalteten und mit dem fremden Kaufmann freundlich verkehrten, wurden +vor allen reich und maechtig und wie fuer die hellenischen Waren so +auch fuer die Keime der hellenischen Zivilisation die rechten +Stapelplaetze. + +Anders gestalteten sich die Verhaeltnisse bei den “wilden Tyrrhenern”. +Dieselben Ursachen, die in der latinischen und in den vielleicht mehr +unter etruskischer Suprematie stehenden als eigentlich etruskischen +Landschaften am rechten Tiberufer und am unteren Po zur Emanzipierung +der Eingeborenen von der fremden Seegewalt gefuehrt hatten, +entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, sei es aus anderen Ursachen, +sei es infolge des verschiedenartigen, zu Gewalttat und Pluenderung +hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub und die eigene Seemacht. +Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus Aethalia und Populonia +zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward, wie es scheint, hier +nicht geduldet, und bald durchstreiften sogar etruskische Kaper weithin +die See und machten den Namen der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen +- nicht ohne Ursache galt diesen der Enterhaken als eine etruskische +Erfindung und nannten die Griechen das italische Westmeer das Meer der +Tusker. Wie rasch und ungestuem diese wilden Korsaren, namentlich im +Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, zeigt am deutlichsten ihre +Festsetzung an der latinischen und kampanischen Kueste. Zwar +behaupteten im eigentlichen Latium sich die Latiner und am Vesuv sich +die Griechen; aber zwischen und neben ihnen geboten die Etrusker in +Antium wie in Surrentum. Die Volsker traten in die Klientel der +Etrusker ein; aus ihren Waldungen bezogen diese die Kiele ihrer +Galeeren, und wenn dem Seeraub der Antiaten erst die roemische +Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es wohl, warum den +griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das +laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch +steileren, aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der +Buchten von Neapel und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende +Korsarenwarte, wurde frueh von den Etruskern in Besitz genommen. Sie +sollen sogar in Kampanien einen eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet +haben und etruskisch redende Gemeinden haben hier noch in vollkommen +historischer Zeit im Binnenlande bestanden; wahrscheinlich sind diese +Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft der Etrusker im +kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am Vesuv +hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf +Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen +Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens +vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders +Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss +geschlagen haben; dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern +vielmehr attischen, ja kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, +ist uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der +Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich fuer +den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit +vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend +geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen Freihafen, am +oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit, ferner +ueber die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen +nach Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die +reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten +italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische +und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der Ostsee +ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie, +gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel +emporkommen; und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der +etruskische und milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener +Verbindung von Kaperei und Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus +entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich selber verzehrt hat. + +Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die +Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich +gegenueberstanden, so griff dieser Gegensatz gewissermassen mit +Notwendigkeit in diejenige Rivalitaet ein, die damals Handel und +Schiffahrt auf dem Mittellaendischen Meere vor allem beherrschte: in +die Rivalitaet der Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht dieses +Orts, im einzelnen darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit +diese beiden grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in +Griechenland und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der +afrikanischen, spanischen und keltischen Kueste miteinander um die +Oberherrschaft rangen; unmittelbar auf italischem Boden wurden diese +Kaempfe nicht gekaempft, aber die Folgen derselben doch auch in Italien +tief und nachhaltig empfunden. Die frische Energie und die +universellere Begabung des juengeren Nebenbuhlers war anfangs ueberall +im Vorteil; die Hellenen entledigten sich nicht bloss der phoenikischen +Faktoreien in ihrer europaeischen und asiatischen Heimat, sondern +verdraengten die Phoeniker auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in +Aegypten und Kyrene und bemaechtigten sich Unteritaliens und der +groesseren oestlichen Haelfte der sizilischen Insel. Ueberall erlagen +die kleinen phoenikischen Handelsplaetze der energischeren griechischen +Kolonisation. Schon ward auch im westlichen Sizilien Selinus (126 628) +und Akragas (174 580) gegruendet, schon von den kuehnen +kleinasiatischen Phokaeern die entferntere Westsee befahren, an dem +keltischen Gestade Massalia erbaut (um 150 600) und die spanische +Kueste erkundet. Aber ploetzlich, um die Mitte des zweiten +Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der hellenischen Kolonisation: und +es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses Stockens der Aufschwung +war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den Hellenen dem +gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die maechtigste ihrer +Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die den Seeverkehr +auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch den juengeren +Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft ueber die +Westsee, dem Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem oestlichen +und dem westlichen Becken des Mittelmeeres und dem Monopol der +Handelsvermittlung zwischen Orient und Okzident, so konnte doch +wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von Sardinien und Sizilien +noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren Behauptung +setzte Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche zaehe +und umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der +Widerstand der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die +aelteren phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche +Thukydides schildert, waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago +unterwarf sich ausgedehnte Landschaften mit zahlreichen Untertanen und +maechtigen Festungen. Hatten bisher die phoenikischen Niederlassungen +vereinzelt den Griechen gegenuebergestanden, so zentralisierte jetzt +die maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze Wehrkraft +ihrer Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische +Geschichte nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht +das wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die +enge Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen +sich zu erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. +Als Knidier und Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der +phoenikischen Ansiedlungen auf Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen +versuchten, wurden sie durch die Eingeborenen - Elymer von Segeste - +und Phoeniker wieder von dort vertrieben. Als die Phokaeer um 217 (537) +sich in Alalia (Aleria) auf Korsika Caere gegenueber niederliessen, +erschien, um sie von dort zu vertreiben, die vereinigte Flotte der +Etrusker und der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark; und obwohl +in dieser Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt - +die nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so +erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff +bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber an +der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich +nieder. Ein Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss +die Regeln ueber Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss +auch ein Waffenbuendnis (συμμαχία) ein, von dessen ernstlicher +Bedeutung eben jene Schlacht von Alalia zeugt. Charakteristisch ist es +fuer die Stellung der Caeriten, dass sie die phokaeischen Gefangenen +auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den Frevel zu +suehnen, den delphischen Apoll beschickten. + +Latium hat dieser Fehde gegen die Hellenen sich nicht angeschlossen; +vielmehr finden sich in sehr alter Zeit freundliche Beziehungen der +Roemer zu den Phokaeern in Hyele wie in Massalia, und die Ardeaten +sollen sogar gemeinschaftlich mit den Zakynthiern eine Pflanzstadt in +Spanien, das spaetere Saguntum gegruendet haben. Doch haben die Latiner +noch viel weniger sich auf die Seite der Hellenen gestellt; dafuer +buergen sowohl die engen Beziehungen zwischen Rom und Caere als auch +die Spuren alten Verkehrs zwischen den Latinern und den Karthagern. Der +Stamm der Kanaaniten ist den Roemern durch Vermittlung der Hellenen +bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, ihn stets mit dem griechischen +Namen genannt haben; aber dass sie weder den Namen der Stadt Karthago +^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den Griechen entlehnt haben, +dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern mit dem ebenfalls die +griechische Vermittlung ausschliessenden Namen der sarranischen +bezeichnet werden ^7, beweist ebenso wie die spaeteren Vertraege den +alten und unmittelbaren Handelsverkehr zwischen Latium und Karthago. + +———————————————————————— + +^5 Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago. + +^6 Der Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche +Scipio Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich +stammverwandt mit dem der Hebraeer. + +^7 Sarranisch heissen den Roemern seit alter Zeit der tyrische Purpur +und die tyrische Floete, und auch als Beiname ist Sarranus wenigstens +seit dem Hannibalischen Krieg in Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus +vorkommende Stadtname Sarra ist wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar +aus dem einheimischen Namen Sor gebildet. Die griechische Form Tyrus, +Tyrius moechte bei den Roemern nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 +M.) vorkommen. Vgl. F. K. Movers, Die Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. +Bd. 2, 1, S. 174. + +—————————————————————— + +Der vereinigten Macht der Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, +die westliche Haelfte des Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. +Der nordwestliche Teil von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis +und Panormos an der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze +blieb im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die +Zeit des Kyros und Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu +bestimmen suchte, insgesamt aus Kleinasien auswandernd in Sardinien +sich niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der karthagische +Feldherr Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der wichtigen +Insel mit Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das +ganze Gestade Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen +Gemeinde. Korsika dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den +Etruskern zu und die Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten +ihrer armen Insel, dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer +ferner sowie in den Gewaessern westlich von Sizilien und Sardinien +herrschten die verbuendeten Etrusker und Karthager. Zwar gaben die +Griechen den Kampf nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen Rhodier +und Knidier setzten auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich +fest und gruendeten hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh +trotz seiner Isolierung und monopolisierte bald den Handel von Nizza +bis nach den Pyrenaeen. An den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die +Pflanzstadt Rhoda (jetzt Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen +Zakynthier sich angesiedelt, ja selbst in Tingis (Tanger) in +Mauretanien griechische Dynasten geherrscht haben. Aber mit dem +Vorruecken war es denn doch fuer die Hellenen vorbei; nach Akragas’ +Gruendung sind ihnen bedeutende Gebietserweiterungen am Adriatischen +wie am westlichen Meer nicht mehr gelungen, und die spanischen +Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben ihnen verschlossen. Jahr +aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den tuskischen “Seeraeubern”, +die Karthager mit den Massalioten, den Kyrenaeern, vor allem den +griechischen Sikelioten; aber nach keiner Seite hin ward ein dauerndes +Resultat erreicht und das Ergebnis der Jahrhunderte langen Kaempfe war +im ganzen die Aufrechterhaltung des Status quo. + +So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern es zu danken, +dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften nicht +kolonisiert wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine +nationale Seemacht ins Leben trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren, +dass die Phoeniker es schon der Muehe wert fanden, wenn nicht gegen die +latinischen, doch wenigstens gegen die seemaechtigeren etruskischen +Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, die aller +Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den +Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den +Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden +rivalisierenden Interessen. + + + + +KAPITEL XI. +Recht und Gericht + + +Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu +machen, vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die +Entwicklung der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das +Denken und Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des +Volksgeistes beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch +scheint der Versuch, diese Zustaende, wenn auch nur in den +allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben fuer diese aelteste, +geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die +tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten +Kulturvoelker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum +Bewusstsein bringen laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten +Voelkernamen und getruebten Sagen ist wie die duerren Blaetter, von +denen wir muehsam begreifen, dass sie einst gruen gewesen sind; statt +die unerquickliche Rede durch diese saeuseln zu lassen und die +Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und +Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser schicken zu fragen, wie +denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechtsverkehr, das +ideale in der Religion sich ausgepraegt, wie man gewirtschaftet und +gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern kam und die weiteren +Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser Wissen ist, schon +fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der Sabeller und das +etruskische, so wird doch selbst die geringe und lueckenvolle Kunde dem +Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch eine Ahnung gewaehren. +Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, um dies gleich hier +vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich zusammenfassen, dass bei den +Italikern und insbesondere bei den Roemern von den urzeitlichen +Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei +irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, +Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau, +primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende +Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - alle diese und +unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als Grundlage der +italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst +anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, und +nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr +einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte +bei einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die +griechische und deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen +Charakter. + +Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen: +nur von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung +einige Kunde auf uns gekommen. + +Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in +dem Koenig, welcher Gericht oder “Gebot” (ius) haelt an den Spruchtagen +(dies fasti) auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend +auf dem Wagenstuhl (sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten +(lictores), vor ihm der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar +entscheidet zunaechst ueber die Knechte der Herr, ueber die Frauen der +Vater, Ehemann oder naechste maennliche Verwandte; aber Knechte und +Frauen galten auch zunaechst nicht als Glieder der Gemeinde. Auch ueber +hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte die hausvaeterliche +Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine eigentliche +Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des dem +Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen +Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht +aus der koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir +nirgends eine Spur. Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache +anlangt, so findet sich vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der +urspruenglichen Satzung, dass die Toetung des Moerders oder dessen, der +ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die Naechsten des Ermordeten +gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon bezeichnen diese +Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die Blutrache in Rom +sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt +unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den +Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem +deutschen Recht zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas +wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so haeufig ist, +dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in +der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig +behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess, +je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten +einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen +ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der +Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen +Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder +(parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen +oder Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die +Ernte durch boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der +Hut der Goetter und des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn +schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb dem +Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess eroeffnet und leitet der +Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen +Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er +den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die +Urteilsfaellung an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus +dem Rat genommen werden; die spaeteren ausserordentlichen +Stellvertreter, die Zweimaenner fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri +perduellionis) und die spaeteren staendigen Stellvertreter, die +“Mordspuerer” (quaestores parricidii), denen zunaechst die Aufspuerung +und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse polizeiliche Taetigkeit +oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber wohl an gewisse +Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist Regel, doch +kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung +zur Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer +ueberwiesen ist, den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer +mit dem Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche +Zeuge vom Burgfelsen gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der +Brandstifter verbrannt. Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur +die Gemeinde; der Koenig aber kann dem Verurteilten die Betretung des +Gnadenweges (provocatio) gestatten oder verweigern. Ausserdem kennt das +Recht auch eine Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die +Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an +demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus +betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem +Verbrecher geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der +heiligen Jungfrauen der Vesta zufaellig begegnet. + +————————————————————— + +^1 Dieser “Wagenstuhl” - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht +wohl moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten +in der Weise erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren +befugt war, woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer +feierliche Gelegenheiten blieb, und dass er urspruenglich, solange es +noch kein erhoehtes Tribunal gab, auf dem Comitium oder wo er sonst +wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach. + +^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. +23, 24) sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte +ermordet haetten; dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen +das Recht geweigert habe; dass dann Tatius von diesen erschlagen worden +sei; dass Romulus die Moerder des Tatius freigesprochen, weil Mord mit +Mord gesuehnt sei; dass aber infolge goettlicher ueber beide Staedte +zugleich ergangener Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten +Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich zur gerechten Strafe +gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine Historisierung +der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der +Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo +vorkommenden Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, +scheinen aber auch verwirrt oder zurechtgemacht. + +———————————————————————— + +Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen +verhaengt der Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten +Zahl (daher der Name multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe +zu erkennen steht in seiner Hand. + +In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine +Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des +Verletzten, welcher den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter +Gewalt zwingt, sich mit ihm persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind +beide Parteien erschienen und hat der Klaeger die Forderung muendlich +vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in gleicher Weise +verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen oder sie +in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die +regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der +Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur +ergaenzend ein, wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine +ausreichende Suehne (poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum +vorenthalten oder seine gerechte Forderung nicht erfuellt ward. + +Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt +war und wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt, +laesst sich nicht bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem +auf frischer Tat ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter +entdeckten, da die Erbitterung, welche eben zu suehnen ist, gegen jenen +staerker ist als gegen diesen. Erschien der Diebstahl der Suehne +unfaehig oder war der Dieb nicht imstande, die von dem Beschaedigten +geforderte und von dem Richter gebilligte Schaetzung zu erlegen, so +ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zugesprochen. + +Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den +leichteren Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging +dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte +Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn. + +Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in +Feldgemeinschaft benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit +aufgeteilt worden ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern +zunaechst an dem “Sklaven- und Viehstand” (familia pecuniaque) +entwickelt. Als Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des +Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem +einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben und +Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in +dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu +haben. Alles Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht +macht keinen wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und +unbeweglichem Gut, seit ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf +das letztere erstreckt war, und kennt kein unbedingtes Anrecht der +Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das vaeterliche oder +Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die Kinder ihres +Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche Gewalt +aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch +versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein +Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater +auch den Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit +persoenlichen Beschraenkungen des Eigentuemers war das Recht sparsam +und gestattete im ganzen jedem erwachsenen Mann die freie Verfuegung +ueber sein Gut. Doch mag die Einrichtung, wonach derjenige, welcher +sein Erbgut veraeusserte und seine Kinder desselben beraubte, +obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter Vormundschaft gesetzt ward, +wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst +aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere +Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die +beiden Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers +und Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen +Recht miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums +wurden, mit Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft +unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht zugelassen. Erbpacht +und dingliche Grundrente sind rechtlich unmoeglich; anstatt der +Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient die sofortige +Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den Glaeubiger +gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort +(fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu +veraeussern und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem +Schuldner zurueckzustellen. + +Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die +Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten +(praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen +die Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen +Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt +nur das nach kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch +bei dem haeufig hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid +raechenden Goettern. Rechtlich klagbar sind nur das Verloebnis, +infolgedessen der Vater, wenn er die versprochene Braut nicht gibt, +dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner der Kauf (mancipatio) +und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich abgeschlossen +dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die Hand +gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den +bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das +Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser +geworden war, geschah durch Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer +auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen Waage ^3. Unter +diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer dafuer einstehen, dass er +Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der Kaeufer jede +besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls buesst er dem +andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet haette. Immer +aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug um Zug +beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum +und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen +eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die +bedungene Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe +zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu +entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das +Jahr zehn Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit +auch die Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat +gegenueber seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres +mit allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte +zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die +Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder +erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es +darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei +Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was +bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen +leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des +Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei fuer +den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei +wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf +Rindern, bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied +sodann, wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden +Partei den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also +unrecht gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig +Tage hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von +Anfang an feststand, also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern +er nicht Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, unterlag dem +Exekutionsverfahren “durch Handanlegung” (manus iniectio), indem ihn +der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte, +lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der +Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn +auftreten und diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf +dann das Verfahren eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den +Vertreter persoenlich verantwortlich, weshalb auch fuer den +steuerzahlenden Buerger der Proletarier nicht Vertreter sein konnte. +Trat weder Erfuellung noch Vertretung ein, so sprach der Koenig den +Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn abfuehren und halten +konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage verstrichen, +war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt +und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und dies +alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu +toeten und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen +Kindern und seiner Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder +auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, +so lange er im Kreis der roemischen Gemeinde blieb, nach roemischem +Recht nicht vollstaendig Sklave werden. So ward Habe und Gut eines +jeden von der roemischen Gemeinde gegen den Dieb und Schaediger sowohl +wie gegen den unbefugten Besitzer und den zahlungsunfaehigen Schuldner +mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt. + +————————————————————————- + +^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger +als die Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des +Bauerneigentums gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und +wie selbst die Tradition angenommen haben muss, da sie Servius zum +Erfinder der Waage macht. Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation +weit aelter sein, denn sie passt zunaechst nur auf Gegenstaende, die +durch Ergreifen mit der Hand erworben werden und muss also in ihrer +aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das Vermoegen wesentlich in +Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung +derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird demnach +eine Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch +der Gebrauch der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist +die Manzipation urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der +Servianischen Reform bei allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres +Missverstaendnis deutete die Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert +werden muessten, dahin um, dass nur diese Sachen und keine anderen +manzipiert werden koennten. + +^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des +Kapitals (uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das +zwoelfmonatliche zehn vom Hundert. + +——————————————————————- + +Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur +Schirmung des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und +der Wahnsinnigen und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten +Erben zu der Hut desselben berief. + +Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle +Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die +Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren +von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch +vorher wegen der an dem Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten +der Priester einzuholen ist; indes scheinen solche Dispensationen frueh +sehr haeufig geworden zu sein, und wo sie fehlte, konnte bei der +vollkommen freien Disposition, die einem jeden ueber sein Vermoegen bei +seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermassen +abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen einem Freund +uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen +gemaess verteilte. + +Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer +konnte freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten; +aber die zwischen dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit +gegenseitiger Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch +weniger dem letzteren der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das +Buergerrecht erworben. Die Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, +nicht Recht gewesen sein und dem Herrn nie die Moeglichkeit +abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach Gefallen als +Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo sich +der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber +anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. +Eine eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch +nicht - der beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht +gegeben haben kann -, sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt, +welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozess, die +Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens +in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er +dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die Freiheit +anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu +lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als +frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach +anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere +Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des +Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und +darum willkuerlich loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater +zu sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu +loesen, erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser +entlassen zu werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine +Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben. + +Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten, +zwischen denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige +privatrechtliche Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich +nicht einem roemischen Schutzherrn ergeben hat und also als +Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie seine Habe. Was der +roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht erworben wie die am +Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das Grundstueck, das +ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische Buerger wohl +faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer +gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne +Buerger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, +der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt +nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier haengt es denn auch von +diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder zurueckzunehmen. + +Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere +Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der +roemischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige +Buendnis zwischen Rom und Latium alle Vertraege zwischen Roemern und +Latinern fuer rechtsgueltig und verordnete zugleich fuer diese einen +beschleunigten Zivilprozess vor geschworenen “Wiederschaffern” +(reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen roemischen +Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu uebertragen, immer in +der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern +beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und +Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen +Vertrages und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt +haben. Die Formen, in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern +sich bewegte, waren natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier +und Plebejer miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum +sind urspruenglich gar keine Formalakte, sondern der praegnante +Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so +weit man lateinisch sprach. + +In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem +eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit +den Caeriten und anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr +und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des internationalen +Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in Rom allmaehlich +neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser Rechtsbildung ist +das merkwuerdige mutuum, der “Wandel” (von mutare; wie dividuus); eine +Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf einer ausdruecklich vor +Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des Schuldners, sondern auf dem +blossen Uebergang des Geldes aus einer Hand in die andere beruht und +die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum +dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, +dass das Wort als μοίτον im sizilischen Griechisch wiederkehrt; womit +zu verbinden ist das Wiedererscheinen des lateinischen carcer in dem +sizilischen κάρκαρον. Da es sprachlich feststeht, dass beide Woerter +urspruenglich latinisch sind, so wird ihr Vorkommen in dem sizilischen +Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den haeufigen Verkehr der +latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie veranlasste, dort Geld +zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in den aelteren Rechten +die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, sich zu unterwerfen. +Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen Gefaengnisses, +“Steinbrueche” oder λατομίαι, in alter Zeit auf das erweiterte +roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen. + +Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser +Institutionen, die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa +ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums +veranstalteten Aufzeichnung des roemischen Gewohnheitsrechts und deren +Bestehen schon in der Koenigszeit sich wohl fuer einzelne Punkte, aber +nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin das Recht +einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- +und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum +Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig +verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei +den Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer +sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach +roemischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd +erscheinen musste, und vor allem die uralte latinische Formel der +Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den +Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das “reine Kraut” (herba pura, +fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der +angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen +Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen +Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch +das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das +roemische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol +und fordert in allen Faellen nicht mehr und nicht weniger als den +vollen und reinen Ausdruck des Willens. Die Uebergabe der Sache, die +Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie +die Parteien die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert haben; es +ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu geben, +den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu +verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes +einzufuehren; aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach +aeltestem roemischen Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. +Vollkommen analog wie aus der Religion alle Allegorie und damit alle +Personifikation beseitigt ward, wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik +grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist hier jener aelteste Zustand, +den die hellenischen wie die germanischen Institutionen uns darstellen, +wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der Autoritaet der kleineren, in +die Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, +gaenzlich beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates +zur Ergaenzung der unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen +Schutz und Trutz, keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die +Verfuegung des einzelnen beschraenkenden Familieneigentums. Auch +dergleichen muss wohl einmal bei den Italikern bestanden haben; es mag +in einzelnen Institutionen des Sakralrechts, zum Beispiel in dem +Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger den naechsten Verwandten +des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; +allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken +erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar +vernichtet ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde +nicht; aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem +staatlichen Gebiet ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die +Freiheit, die der Staat dem Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der +letzte Rechtsgrund ist ueberall der Staat: die Freiheit ist nur ein +anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; alles +Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung +von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die +Gemeinde in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern +die Gemeinde es bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des +oeffentlichen und des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen +gegen den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen +und immer Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den +Mitbuerger oder den Gast, welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs +durch Suehne oder Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit +dem Leben gebuesst werden, sondern hoechstens mit dem Verlust der +Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung +des Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage +in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge +Wechselprozess zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse +stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten +umfassende Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind in der +Rechtsfaehigkeit mit den Maennern voellig auf eine Linie gestellt, +obwohl sie im Handeln beschraenkt sind; ja der kaum erwachsene Knabe +bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht ueber sein +Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist in seinem Kreise so +souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst +charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, +sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage +das Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des Eigentums vom +Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche Kredit in +der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten Weise +garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, den +zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und ihm +dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott +ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja +den Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, +als es der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, +dass es zugleich unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und +kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle +Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige. +Nimmt man dazu das frueh anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher +Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene Gueltigkeit der +Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Hoechste von +seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des +einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm, +dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs +selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie +beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt +auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast +dem Buerger gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo +das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, +dass dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und +billige Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das Recht eine +Freude daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die +aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs +gewaltsam dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, +die gemuetliche Anschaulichkeit, die in den germanischen +Rechtsordnungen anmutig walten, sind dem Roemer fremd, in seinem Recht +ist alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution +zuviel. Es ist nicht grausam; alles Noetige wird vollzogen ohne +Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert werden +kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts, den zu gewinnen andere +Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber es ist schrecklich, +dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die man sich nicht +allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis, denn es ist +ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die +Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den +Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die +Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein +Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze +der Freiheit und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge +unverfaelscht und ungemildert walteten und heute noch walten. + + + + +KAPITEL XII. +Religion + + +Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher angedeutet ward, +hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem +hoeheren und idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher +Genauigkeit das Kleine wie das Grosse wiederholte. Der Staat und das +Geschlecht, das einzelne Naturereignis wie die einzelne geistige +Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung +innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen +Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im +ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis. Der +Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht +laenger als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen +Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt auch +diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche Handlungen und +gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer aufs +neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten +ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff +auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott +entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten +dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und wenn +aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden +auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich zu +bereiten. + +Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder Beruehrung +mit den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem +Verzeichnis der oeffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae) +der roemischen Gemeinde, das in dem Kalender derselben erhalten und +ohne Frage die aelteste aller aus dem roemischen Altertum auf uns +gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben nehmen die Goetter +Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem Quirinus, +ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig, ausserdem die +saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter noch zu +erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem “boesen Jovis” (Vediovis), ist +der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen gehoert das Neujahr +des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest in diesem, von dem +Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch das Pferderennen +(equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den Tagen des +Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), des +Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der +Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie, +wenn ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste begann, so +folgte nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine Marsfeier, +das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten Mars +endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter +den uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau +bezueglichen die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine +untergeordnete Rolle spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse +Reihe der Fruehlingsfeste im April, wo am 15. der Tellus, das ist der +naehrenden Erde (fordicidia, Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der +Ceres, das ist der Goettin des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann +am 21. der befruchtenden Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem +Jupiter als dem Schuetzer der Reben und der an diesem Tage zuerst sich +oeffnenden Faesser von der vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem +boesen Feinde der Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia) Opfer +dargebracht werden. Ebenso wird nach vollendeter Arbeit und gluecklich +eingebrachtem Feldersegen dem Gott und der Goettin des Einbringens und +der Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops ein Doppelfest +gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21. August, +Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen +der Speicher vor allem offenbar wird (15. Dezember, Consualia; 19. +Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren beiden Feiertagen die +sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest der Aussaat +(Saturnalia von Saëturnus oder Saturnus, 17. Dezember), einschaltete. +Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest (meditrinalia, 11. +Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most heilende Kraft beilegte, +dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter Lese dargebracht, waehrend +die urspruengliche Beziehung des dritten Weinfestes (Vinalia, 19. +August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen weiter am Jahresschluss +das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der Hirten zu Ehren des guten +Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest (Terminalia, 23. Februar) +der Ackerbauer, ferner das zweitaegige sommerliche Hainfest (Lucaria, +19., 21. Juli) das den Waldgoettern (Silvani) gegolten haben mag, die +Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kuerzesten Tages, +der die neue Sonne herauffuehrt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember). + +Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das fuer die Hafenstadt +Latiums sich nicht anders erwarten laesst, die Schifferfeste der +Gottheiten der See (Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17. +August) und des Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und +Kunst dagegen sind in diesem Goetterkreis nur vertreten durch den Gott +des Feuers und der Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem ausser dem nach +seinem Namen benannten Tag (Volcanalia, 23. August) auch das zweite +Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Mai) gewidmet ist, und +allenfalls noch durch das Fest der Carmentis (Carmentalia, 11., 15. +Januar), welche wohl urspruenglich als die Goettin der Zauberformel und +des Liedes und nur folgeweise als Schuetzerin der Geburten verehrt +ward. + +Dem haeuslichen und Familienleben ueberhaupt galten das Fest der +Goettin des Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der +Penaten (Vestalia, 9. Juni); das Fest der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, +11. Juni), das Fest des Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet +(Liberalia, 17. Maerz), das Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia, +21. Februar) und die dreitaegige Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. +Mai), waehrend auf die buergerlichen Verhaeltnisse sich die beiden +uebrigens fuer uns nicht klaren Festtage der Koenigsflucht (Regifugium, +24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5. Juli), von denen +wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das Fest der +sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem +Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) +gewidmet. Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem +Jupiter und der Acca Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein +Larenfest (23. Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen. + +———————————————————————- + +^1 Das ist allem Anschein nach das urspruengliche Wesen der +“Morgenmutter” oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern +hat, dass, wie die Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die +Morgenstunde fuer die Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und +Hafengoettin ist die Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss +des Leukotheamythus geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von +den Frauen verehrt ward, spricht dagegen, sie urspruenglich als +Hafengoettin zu fassen. + +———————————————————————- + +Diese Tafel ist vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen +Feste; und wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit +aeltester Zeit Wandel- und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so +oeffnet doch diese Urkunde, in dem, was sie sagt, wie in dem, was sie +auslaesst, uns den Einblick in eine sonst fuer uns beinahe gaenzlich +verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der altroemischen Gemeinde +und der Huegelroemer war bereits erfolgt, als diese Festtafel entstand, +da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch stand der +kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen +Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht +errichtet; noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der +Mittelpunkt nicht bloss des roemischen, sondern ueberhaupt des +italischen Gottesdienstes in derjenigen Epoche, wo der Stamm noch sich +selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war allen Spuren zufolge +der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, vorwiegend gedacht als +der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind niederwerfende +goettliche Vorfechter der Buergerschaft - natuerlich in der Art, dass +eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass und ihn fuer den +staerksten und heiligsten unter allen achtete, demnach auch jeder zu +neuer Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz +seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst +goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den +saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der erste Monat +geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls keiner +Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter +Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht +knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige +Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, +und was von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen +vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen +Doppelgaenger, den Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings +der Vater Diovis, eine reinere und mehr buergerliche als kriegerische +Widerspiegelung des Wesens der roemischen Gemeinde, einen groesseren +Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des Jupiter an Rang den +beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr hervorragende +Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar ganz +glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis neben +Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte +Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde +auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war, +wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte +“Sorgenbrecher”, sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt des +herzerfreuenden Weines. + +—————————————————- + +^2 Aus Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich +durch verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang +in ŏ (aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in +der Doppelform Mar-Mor (vgl. Ma-mŭrius) neben Mar-Mar und Ma-Mers. + +—————————————————- + +Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die roemischen Gottheiten +im einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich +wichtig, ihren eigentuemlichen, zugleich niedrigen und innigen +Charakter hervorzuheben. Abstraktion und Personifikation sind das Wesen +der roemischen wie der hellenischen Goetterlehre; auch der hellenische +Gott ruht auf einer Naturerscheinung oder einem Begriff, und dass dem +Roemer eben wie dem Griechen jede Gottheit als Person erscheint, dafuer +zeugt die Auffassung der einzelnen als maennlicher oder weiblicher und +die Anrufung an die unbekannte Gottheit: “bist du Gott oder Goettin, +Mann oder auch Weib”; dafuer der tiefhaftende Glaube, dass der Name des +eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde unausgesprochen bleiben muesse, +damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott bei seinem Namen +rufend, ihn ueber die Grenzen hinueberlocke. Ein Ueberrest dieser +maechtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der aeltesten und +nationalsten italischen Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die +Abstraktion, die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und +immer weiteren Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in +das Wesen der Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die +roemischen Glaubensbilder auf einer unglaublich niedrigen Stufe des +Anschauens und des Begreifens. Wenn dem Griechen jedes bedeutsame Motiv +sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis erweitert, so +bleibt dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen nackten +Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher +Verklaerung, dem goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und +geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische +Religion nichts auch nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr +eigentuemlich waere. Sie weiss wohl auch von einem “schlimmen Gott” +(Ve-diovis), von Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin +auch von Gottheiten der boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, +vielleicht sogar des Diebstahls (laverna); aber den geheimnisvollen +Schauer, nach dem das Menschenherz doch auch sich sehnt, vermag sie +nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit dem Unbegreiflichen +und selbst dem Boesartigen in der Natur und dem Menschen, welches der +Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen soll. +Es gab in der roemischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die +Namen der Stadtgoetter, der Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser +Goetter war jedem offenbar. + +Die nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die +wichtigen Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie +terminologisch auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch +dem Privatrecht zu Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen +- zu klassifizieren, um darnach die Goetter und Goetterreihen selber +richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung der Menge zu weisen +(indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen von der +einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit ging +die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat +(saëturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein +(terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen +Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen +Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich +italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und +doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische +Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns +zunaechst der “Geist der Eroeffnung” anzurufen sei, und vor allem das +tiefe Gefuehl davon, dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen +Goetterbegriffe in Reihen zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren +Goetter der Hellenen notwendig jeder fuer sich standen ^3. Vielleicht +der innigste unter allen roemischen ist der Kult der in und ueber dem +Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im oeffentlichen +Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der der +Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen +Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der +Familienmahlzeit ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu +verrichten noch zu des aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters +erstes Geschaeft war. Aber in der Rangordnung der Goetter nahmen diese +Haus- und Feldgeister eher den letzten als den ersten Platz ein; es +war, wie es bei einer auf Idealisierung verzichtenden Religion nicht +anders sein konnte, nicht die weiteste und allgemeinste, sondern die +einfachste und individuellste Abstraktion, in der das fromme Herz die +meiste Nahrung fand. + +———————————————————— + +^3 Dass Tor und Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig +ist und er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der +Muenzreihe noch vor dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt +wird, bezeichnet ihn unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und +Eroeffnung. Auch der nach zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit +dem nach zwei Seiten hin sich oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- +und Jahresgott darf man um so weniger aus ihm machen, als der von ihm +benannte Monat urspruenglich der elfte, nicht der erste ist; vielmehr +scheint dieser Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser Zeit +nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von +vorn beginnt. Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der +Spitze des Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich +des Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst. + +——————————————————- + +Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die +praktische und utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie +in der oben eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. +Vermoegensmehrung und Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch +Schiffahrt und Handel - das ist es, was der Roemer von seinen Goettern +begehrt; es stimmt dazu recht wohl, dass der Gott des Worthaltens (deus +fidius), die Zufalls- und Gluecksgoettin (fors fortuna) und der +Handelsgott (mercurius), alle aus dem taeglichen Verkehr +hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch +schon sehr frueh weit und breit von den Roemern verehrt auftreten. +Strenge Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische Spekulation waren zu tief +im roemischen Wesen begruendet, um nicht auch dessen goettliches Abbild +bis in den innersten Kern zu durchdringen. + +Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der +sterblichen Menschen, die “Guten” (manes) lebten schattenhaft weiter, +gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von +den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen +der Tiefe und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den +auf der Erde waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der +griechische Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und +schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz +unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa, +der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in Rom +nie als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen. + +Die aeltesten Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor +allem auf Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der “Zuender +des Mars” (flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer +benannt ward, und die zwoelf “Springer” (salii), eine Schar junger +Leute, die im Maerz den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und +dazu sangen. Dass die Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der +palatinischen die Verdoppelung des roemischen Mars und damit die +Einfuehrung eines zweiten Marspriesters - des flamen Quirinalis - und +einer zweiten Taenzergilde - der salii collini - herbeifuehrte, ist +bereits frueher auseinandergesetzt worden. + +Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach +weit ueber Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, fuer welche +entweder Einzelpriester angestellt waren -solche gab es zum Beispiel +der Carmentis, des Volcanus, des Hafen- und des Flussgottes - oder +deren Begehung einzelnen Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen +des Volkes uebertragen war. Eine derartige Genossenschaft war +vermutlich die der zwoelf “Ackerbrueder” (fratres arvales), welche die +“schaffende Goettin” (dea dia) im Mai anriefen fuer das Gedeihen der +Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in dieser +Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches wir ihr in der +Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische Bruederschaft +sich an, die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu bewahren und zu +besorgen hatte, sowie die fuer die Herde der dreissig Kurien +eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales). Das schon +erwaehnte “Wolfsfest” (lupercalia) wurde fuer die Beschirmung der +Herden dem “guenstigen Gotte” (faunus) von dem Quinctiergeschlecht und +den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen Fabiern im +Monat Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die +“Woelfe” (luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und +wen sie trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern +gentilizischen Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als +mitvertreten. + +Zu diesem aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten +allmaehlich neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist +diejenige, welche auf die neu geeinigte und durch den grossen Mauer- +und Burgbau gleichsam zum zweitenmal gegruendete Stadt sich bezieht: in +ihr tritt der hoechste beste Jovis vom Burghuegel, das ist der Genius +des roemischen Volkes, an die Spitze der gesamten roemischen +Goetterschaft, und sein fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis, +bildet mit den beiden Marspriestern die heilige oberpriesterliche +Dreiheit. Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes +- der Vesta - und der dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche +Jungfrauen versahen, gleichsam als die Haustoechter des roemischen +Volkes, jenen frommen Dienst und hatten das heilsame Feuer des +Gemeindeherdes den Buergern zum Beispiel und zum Wahrzeichen stets +lodernd zu unterhalten. Es war dieser haeuslich-oeffentliche +Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie er denn auch von allem +Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen Verfemung gewichen ist. +Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen als der Repraesentantin +der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben darum eine besondere +roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt; und zahlreichen +anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die Gemeinde sich in +bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder durch besonders zu ihrem +Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu huldigen, wobei +sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der Obstgoettin +(Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass deren +zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied man +unter ihnen jene drei “grossen Zuender” (flamines maiores), die bis in +die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern genommen werden konnten, +ebenso wie die alten Genossenschaften der palatinischen und +quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen +Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und +stehenden Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten +Genossenschaften oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal +uebertragen und zur Deckung der vermutlich nicht unbetraechtlichen +Opferkosten teils den einzelnen Tempeln gewisse Laendereien, teils die +Bussen angewiesen. + +Dass der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch +der sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht +zu bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und +Vestalinnen nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische +Institutionen gewesen und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen +in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster +gebildet zu sein. + +Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis des Staats, so auch +der einzelne Buerger innerhalb seines individuellen Kreises aehnliche +Anordnungen treffen und seinen Goettern nicht bloss Opfer darbringen, +sondern auch Staetten und Diener ihnen weihen. + +Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein +Anliegen an den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an +den Gott. Jeder Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die +Gemeinde natuerlich durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den +Curio und die Ritterschaft durch ihre Obristen; und keine priesterliche +Vermittlung durfte das urspruengliche und einfache Verhaeltnis +verdecken oder verdunkeln. Allein es ist freilich nicht leicht, mit dem +Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die +nur dem kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber recht versteht, +der weiss den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, sondern auch +zu lenken, sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. Darum +ist es natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige +Leute zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen +Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus +national-italische Institution, die auf die politische Entwicklung weit +bedeutender eingewirkt hat als die Einzelpriester und die +Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein +mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten +Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition +fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren +richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren +treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese +geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, +ergaenzenden Genossenschaften sind dadurch die Depositare der +Kunstfertigkeiten und Wissenschaften geworden. In der roemischen und +ueberhaupt der latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien +urspruenglich nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die +sechs “Voegelfuehrer” (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus +dem Flug der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich +betrieben und in ein gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward. +Die sechs “Brueckenbauer” (pontifices) fuehrten ihren Namen von dem +ebenso heiligen wie politisch wichtigen Geschaeft, den Bau und das +Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es waren die roemischen +Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen verstanden; woher +ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu fuehren, dem +Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu +sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am +rechten Tage vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick +ueber den ganzen Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei +Ehe, Testament und Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte +Geschaeft nicht gegen das goettliche Recht irgendwie verstosse, und +ging von ihnen die Feststellung und Bekanntmachung der allgemeinen +exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter dem Namen der +Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller +Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die +allgemeine Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was damit +zusammenhing - und was hing nicht damit zusammen? Sie selbst +bezeichneten als den Inbegriff ihres Wissens “die Kunde goettlicher und +menschlicher Dinge”. In der Tat sind die Anfaenge der geistlichen und +weltlichen Rechtswissenschaft wie die der Geschichtsaufzeichnung aus +dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn wie alle +Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft, +musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der +Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung +nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell +werden, das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein +Gutachten zu geben allein kompetent war. + +———————————————————————————- + +^4 Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem +latinischen Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall +vorkommen (z. B. Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), +ebenso der pater patratus der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die +uebrigen Kollegien aber nicht. Jene also stehen auf einer Linie mit der +Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, Luperkern als aeltestes +latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris faciundis und die +anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die Servianischen Tribus +und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom beschraenkt +geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices, +ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische +Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen, +oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat, +pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den +Wegebauer. + +Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn +schwanken. Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt +Cicero (leg. agr. 2, 35, 96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht +dies, sondern nur, dass die Zahl der roemischen Augurn durch drei +teilbar sein und insofern auf eine ungerade Grundzahl zurueckgehen +muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum Ogulnischen Gesetz +sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), indem er +Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die Zahl +der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20. + +———————————————————————————- + +Gewissermassen laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten +Genossenschaften geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der +zwanzig Staatsboten (fētiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, +bestimmt als lebendiges Archiv das Andenken an die Vertraege mit den +benachbarten Gemeinden durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber +angebliche Verletzungen des vertragenen Rechts gutachtlich zu +entscheiden und noetigenfalls den Suehneversuch und die +Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus fuer das Voelkerrecht, +was die Pontifices fuer das Goetterrecht, und hatten daher auch wie +diese die Befugnis, Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen. + +Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie +wichtige und umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergass +man, und am wenigsten bei den am hoechsten gestellten, dass sie nicht +zu befehlen, sondern sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der +Goetter nicht unmittelbar zu erbitten, sondern die erteilte dem Frager +auszulegen hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloss im +Rang dem Koenig nach, sondern er darf ungefragt nicht einmal ihn +beraten. Dem Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und wann er die +Voegel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und +verdolmetscht ihm, wenn es noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. +Ebenso kann der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das +Landrecht nicht anders eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm +begehren, und mit unerbittlicher Strenge hat man trotz aller +Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, dass in dem Staat der +Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu verbleiben und, von allen +Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Buerger dem geringsten +Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung beruht +wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in +untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkraeften; sie +bewegt sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der Freude, in +Liedern und Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem aber in +Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden, regelmaessig von +Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in Italien das +Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist den +Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche +Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit +des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit +gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten +latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie wird durch +die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit eiserner +Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von +solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben. +Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und +irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein +Verbrechen gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im +innersten Wesen auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum +Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes +Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes; +der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie +der boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten +Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung +begegnet hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf +einen bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie +versoehnen, wer sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige +Erdspalten sich schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege +wandeln, wenn ein braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund +oder in die Feinde stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der +heilige Lenz, indem den Goettern dargebracht wird, was der bestimmte +Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden laesst. Will man dies +Menschenopfer nennen, so gehoert solches freilich zum Kern des +latinischen Glaubens; aber man muss hinzufuegen, dass, soweit unser +Blick in die Ferne irgend zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie +das Leben fordert, sich beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem +buergerlichen Gericht ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der +freiwillig den Tod waehlt. Menschenopfer anderer Art laufen dem +Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und beruhen wenigstens bei den +indogermanischen Staemmen ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer +Ausartung und Verwilderung. Bei den Roemern haben sie nie Eingang +gefunden; kaum dass einmal in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube +und Verzweiflung ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von +Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den +Roemern verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und +Prophetentum hat in Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in +Griechenland und nie vermocht, das private und oeffentliche Leben +ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist dafuer auch die +latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und Trockenheit +verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen +Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, +vor allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter +irdischer Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers +durch seine Richtung auf das Fassliche und Reelle diese Wendung +ueberhaupt gegeben wird und nicht minder scharf noch in dem heutigen +Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die Goetter stehen dem Menschen +voellig gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder von ihnen +hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und Leistungen, +und da die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente des +irdischen Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung +eines jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es +eine muehsame und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen +Verpflichtungen auch nur sich bewusst zu werden, und so mussten wohl +die des goettlichen Rechtes kundigen und dasselbe weisenden Priester, +die Pontifices, zu ungemeinem Einfluss gelangen. Denn der rechtliche +Mann erfuellt die Vorschriften des heiligen Rituals mit derselben +kaufmaennischen Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen +Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott +es seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation laesst man mit dem Gotte +sich ein: das Geluebde ist der Sache wie dem Namen nach ein foermlicher +Kontrakt zwischen dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer +eine gewisse Leitung eine gewisse Gegenleistung zusichert, und der +roemische Rechtssatz, dass kein Kontrakt durch Stellvertretung +abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte Grund, weshalb in +Latium bei den religioesen Anliegen der Menschen alle +Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der roemische +Kaufmann, seiner konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag +bloss dem Buchstaben nach zu erfuellen befugt ist, so ward auch, wie +die roemischen Theologen lehren, im Verkehr mit den Goettern das Abbild +statt der Sache gegeben und genommen. Dem Herrn des Himmelsgewoelbes +brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren statt auf der +Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater Tiberis wurden zur +Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer jaehrlich dreissig von +Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfen ^5. Die Ideen +goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind hier ununterscheidbar +gemischt mit der frommen Schlauigkeit, welche es versucht, den +gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte Befriedigung zu beruecken und +abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl von gewaltiger Macht +ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes Bangen vor der +allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das den +pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde liegt, +sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von +demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten, +aber sehr genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist +einleuchtend, dass eine solche Religion die kuenstlerische und die +spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet +war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit menschlichem +Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss die +Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten +auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste +Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller +Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu +kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen +Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die +griechische Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen, +die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit dem +wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor die +Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt hatte, +zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der +Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler +noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die latinische +Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der +Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer +irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild +seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von +Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu +trueben und zu befangen. Darum war der urspruengliche roemische +Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und wenngleich auch +in Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in frueher Zeit +der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut ward, +so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas +zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit +Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein +ihr eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete +ueber die nach Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel +aller zeugenden Kraft in der roemischen Religion ist gleichfalls die +letzte Ursache, warum die roemische Poesie und noch mehr die roemische +Spekulation so vollstaendig nicht waren und blieben. + +———————————————————————- + +^5 Hierin konnte nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter +Menschenopfer finden. + +———————————————————————- + +Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe +Unterschied. Der praktische Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus +ihrer Religion erwuchs, war ein von den Priestern, namentlich den +Pontifices entwickeltes, formuliertes Moralgesetz, welches teils in +dieser - der polizeilichen Bevormundung des Buergers durch den Staat +noch fernstehenden - Zeit die Stelle der Polizeiordnung vertrat, teils +die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht der Goetter zog und sie +mit goettlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der ersteren Art +gehoerte ausser der religioesen Einschaerfung der Heiligung des +Feiertags und eines kunstmaessigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten +kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen +Ruecksichten zusammenhaengende Herd- oder Larenkult und vor allem die +bei den Roemern ungemein frueh, weit frueher als bei den Griechen, +durchgefuehrte Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung +des Lebens und Sterbens voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst +unserer Gegenwart noch fremd ist. Man wird es nicht gering anschlagen +duerfen, dass die latinische Landesreligion diese und aehnliche +Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch war ihre +sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den +verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater +oder den Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast +oder den zugewandten Mann die Treupflicht verletzte; wenn der +ungerechte Nachbar den Grenzstein verrueckte oder der Dieb sich bei +naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden anvertrauten Halmfrucht +vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem Haupt des +Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei +gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht +ist nur ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in Rom +waehrend des staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen +Buerger oder gar dem voellig machtlosen Priester kommt die +Vollstreckung solchen goettlichen Fluches zu. Zunaechst ist der also +Gebannte dem goettlichen Strafgericht anheim gefallen, nicht der +menschlichen Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf dem dieser +Bannfluch fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige Naturen +Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht; +vielmehr ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu +vollstrecken und, nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die +Bannung setzt, nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt +worden ist, den Gebannten der verletzten Gottheit gleichwie ein +Opfertier zu schlachten (supplicium) und also die Gemeinde von dem +Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen geringerer Art, +so tritt an die Stelle der Toetung des Schuldigen die Loesung durch +Darbringung eines Opfertiers oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze +Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religioesen Idee der +Suehnung. + +Weitere Leistungen aber als dergleichen Foerderungen buergerlicher +Ordnung und Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht +verrichtet. Unsaeglich viel hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt - +dankt es doch seiner Religion nicht bloss seine ganze geistige +Entwicklung, sondern auch seine nationale Einigung, soweit sie +ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und Goetterfeste, um Delphi +und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die Musen, bewegt sich +alles, was im hellenischen Leben gross, und alles, was darin nationales +Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch Latiums Vorzuege vor +Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt wie sie ist auf das +Mass der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem vollkommen verstaendlich +und allen insgemein zugaenglich; und darum bewahrte die roemische +Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit, waehrend Hellas, wo die Religion +auf der Hoehe des Denkens der Besten stand, von fruehester Zeit an +unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie gestanden hat. +Auch die latinische Religion ist wie jede andere urspruenglich +hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur der +oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich +taeuscht, weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach +erscheinen. Dieser innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der +Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne +und auch die latinische Religion ist also spaeterhin verdorrt; aber +laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die naive +Glaeubigkeit sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie +die Farben die Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so +sind Kunst und Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch +die Zerstoerer des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung +und Vernichtung die Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das +gleiche Naturgesetz auch der naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, +die man spaeter vergeblich sich bemueht zu erringen. Eben die gewaltige +geistige Entwicklung der Hellenen, welche jene immer unvollkommene +religioese und literarische Einheit erschuf, machte es ihnen +unmoeglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie +buessten damit die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die +Verschmelzbarkeit ein, welche die Bedingung aller staatlichen Einigung +ist. Es waere darum wohl an der Zeit, einmal abzulassen von jener +kinderhaften Geschichtsbetrachtung, welche die Griechen nur auf Kosten +der Roemer oder die Roemer nur auf Kosten der Griechen preisen zu +koennen meint und, wie man die Eiche neben der Rose gelten laesst, so +auch die beiden grossartigen Organismen, die das Altertum +hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es zu +begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit +bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der Verschiedenheit beider +Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium nicht, wohl aber Hellas +in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat. Kein Volksstamm +der Erde fuer sich allein war gross genug, weder das Wunder der +hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen Kultur zu +erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, wo +aramaeische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich +eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein +humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der +nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren und +von beiden zu lernen. + +Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und +ungehemmten durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem +nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und +Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande heruebergenommen wurden; so +wenig als die Schenkung des Buergerrechts an einzelne Fremde den +roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von alters her mit den +Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich; +bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten +Goettern und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der +Titier ist bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien +Goetterbegriffe entlehnt worden sind, ist zweifelhafter; denn die +Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die +Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare), welche man +wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach +sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf +jeden Fall, und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen +Verkehr wissen, dass frueher und ausgedehnter als irgendein anderer +auslaendischer der griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den +aeltesten Anlass gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der +roemischen Goetter beschraenkte sich im ganzen auf Ja und Nein und +hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es +scheint, urspruenglich italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit +sehr alter Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten +empfangenen Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche +Wahrsprueche erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die +Roemer gar frueh bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden +Priesterin Apollons, der kymaeischen Sibylle, deshalb eine +hochgehaltene Gabe der griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur +Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in fruehester Zeit ein +eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range nachstehendes Kollegium +von zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis) bestellt, auch +fuer dasselbe zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von +Gemeinde wegen angeschafft; diese Orakelbewahrer ging man in +zweifelhaften Faellen an, wenn es, um ein drohendes Unheil abzuwenden, +eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man doch nicht wusste, +welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den delphischen +Apollon selbst wandten schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser den +schon erwaehnten Sagen ueber diesen Verkehr zeugt davon noch teils die +Aufnahme des mit dem delphischen Orakel eng zusammenhaengenden Wortes +thesaurus in alle uns bekannte italische Sprachen, teils die aelteste +roemische Form des Namens Apollon Aperta, der Eroeffner, eine +etymologisierende Entstellung des dorischen Apellon, deren Alter eben +ihre Barbarei verraet. Auch der griechische Herakles ist frueh als +Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und dort in +eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als +Gott des gewagten Gewinns und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung; +weshalb sowohl von dem Feldherrn der Zehnte der gemachten Beute wie +auch von dem Kaufmann der Zehnte des errungenen Guts ihm an dem +Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt dargebracht zu werden +pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der kaufmaennischen +Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar geschlossen und +mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem alten +latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung +des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, +mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens +verehrt und in den Gassen der Staedte wie an den Landstrassen standen +ueberall seine Altaere. Die Schiffergoetter ferner, Kastor und +Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes, +der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius, +wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren oeffentliche +Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der “guten Goettin” +(bona dea) damium, entsprechend dem griechischen δάμιον oder δήμιον, +mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter +Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer +spaeter als “Vater Befreier” gefasst ward und mit dem Weingott der +Griechen, dem “Loeser” (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der roemische +Gott der Tiefe der “Reichtumspender” (Pluton - Dis pater) hiess, dessen +Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch +Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass +heisst Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, +die aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen +Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war +das Schnitzbild in dem roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus +gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die frueh mit orientalischen +Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen, +herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramaeische +Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geuebt. +Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen +Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie +zunaechst Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien +gebracht haben. + +———————————————————- + +^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur +gereihte Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren +bildeten; was an die Runen erinnert. + +———————————————————— + +Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von +sekundaerer Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit +aber, wie etwa die Sage von den Rindern des Cacus eines sein mag, so +gut wie ganz verschollen; im grossen und ganzen ist die roemische +Religion eine organische Schoepfung des Volkes, bei dem wir sie finden. + +Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen +zu schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen +Grundanschauungen wie die latinische mit lokal verschiedener Faerbung +und Gestaltung. Dass sie abwich von der latinischen, zeigt am +bestimmtesten die Gruendung einer eigenen Genossenschaft in Rom zur +Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie gibt ein +belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war +beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die +Titier schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn. +Ueberall, wo wir vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche +Verhaeltnisse; die Fassung der Goetter als Abstraktion des Irdischen +und ihre unpersoenliche Natur sind beiden Staemmen gemein, Ausdruck und +Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus diese Abweichungen +gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den +charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu +erfassen. + +Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns +gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine +duestere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und +Zeichendeuterei und jene feierliche Inthronisierung des reinen +Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar +den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher Vollstaendigkeit und +Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere Gruebelei auch +manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die duesteren +und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich +entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in +der Tat nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug +uebrig, um die Mystik und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im +innersten Wesen des etruskischen Volkes begruendet. + +Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen +Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber +bestimmt treten unter den etruskischen Goettern die boesen und +schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist +und namentlich das Opfern der Gefangenen einschliesst - so schlachtete +man in Caere die gefangenen Phokaeer, in Tarquinii die gefangenen +Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe friedlich +schaltenden Welt der abgeschiedenen “guten Geister”, wie die Latiner +sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die armen +Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von +dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit +Fluegeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in +Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann zu kostuemieren, der +die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist +mit diesem Zustand der Schatten die Pein verbunden, dass es sogar eine +Erloesung daraus gibt, die nach gewissen geheimnisvollen Opfern die +arme Seele versetzt unter die oberen Goetter. Es ist merkwuerdig, dass, +um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker frueh von den Griechen +deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie denn die acherontische +Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der etruskischen Weisheit +spielen. + +Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen +und Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der +Goetter; allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und +erkannte nur im allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck +bringen werde. Stoerungen im Laufe der Natur galten ihm als +unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie zum Beispiel bei Blitz +und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man suchte auch +wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt schleunigst +getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit nicht. +Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden +der Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne +heraus, und je seltsamer die Goettersprache, je auffallender das +Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkuende und wie +man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden die Blitzlehre, die +Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen +Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die +Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, der +von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, Tages +genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und +altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -, +also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann +sogleich gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, welche +Goetter Blitze zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels +und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz +einen dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn +dieses, ob dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst +sich verschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den +eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge, +und dergleichen wundersame Kuenste mehr, denen man gelegentlich die +Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies Gaukelspiel dem +roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter in Rom +es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in +dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch die einheimischen und die +griechischen Orakel. + +Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als +sie von dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese +Formen gehuellten Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. +Ueber der Welt mit ihren Goettern walten die verhuellten Goetter, die +der etruskische Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und +wird, wie sie entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines +bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Ueber den +geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie +einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch +ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus +aus eigen gewesen zu sein. + + + + +KAPITEL XIII. +Ackerbau, Gewerbe und Verkehr + + +Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und +der aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung +vielfach auf dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es +versucht werden, anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die +italische, namentlich die roemische Oekonomie zusammenfassend und +ergaenzend zu schildern. + +Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der +Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt. +Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der +sabellischen und der etruskischen nicht minder als der latinischen; +eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien in geschichtlicher Zeit +nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme ueberall, je nach der Art +der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem Masse, neben dem +Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es empfand, dass +jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene Sitte, die +Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der kuenftige +Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete. +Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich +allein mit einiger Bestimmtheit sprechen laesst, nicht bloss der +Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der Bauernschaft lag, sondern +auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit der Ansaessigen immer +festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die +Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil des +roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war +und also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der +Ansaessigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung dies +Missverhaeltnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer +einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder ohne +Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer allemal nach der +Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die +Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf der +Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und +Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf +die Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so +hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu +vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz in +der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem +Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder +fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich +eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische +Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die +Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden +also im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die +Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was +der Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also +die Eroberung, die der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten +verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen Boden abgetreten +haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern an ihrem +Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des +Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die +ausgedehnteste und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den +Boden und auf die geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten +Bauernschaft. + +Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich +nach den einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der +Ertrag unter die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser +verteilt ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft +und Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhaengen und auch spaeterhin +in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr +haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische Rechtsueberlieferung weiss noch +zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in Vieh und Bodenbenutzung +bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu Sondereigentum +aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste +Bezeichnung des Vermoegens als “Viehstand” (pecunia) oder “Sklaven- und +Viehstand” (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder und +Sklaven als “Schaefchen” (peculium); ferner die aelteste Form des +Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur fuer +bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass des +“Eigenlandes” (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder +preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann +^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, +laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest, +dass die aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als +Surrogat dafuer die Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die +Servianische den aufgeteilten Acker voraussetzt. Aus derselben +Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des Grundbesitzes aus +mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun und zu +leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des +Pfluges gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen +Vollhufe ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon +gesagt ward, schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden. + +—————————————————————————————— + +^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung +geteilten Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung +durch die Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere +hier, wie bei den Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines +Einzelfleckes in jedem wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark +betrachtet worden, so wuerde doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft +von zerstueckelten Hufen ausgehen. Allein es ist vielmehr das Gegenteil +der Fall; die Individualnamen der roemischen Hufen (fundus Cornelianus) +zeigen deutlich, dass der aelteste roemische Individualgrundbesitz +faktisch geschlossen war. + +^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur +Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo +pecuniosi et locupletes vocabantur. - (Numa) primum agros, quos bello +Romulus ceperat, divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den +Romulus das Land in dreissig Kuriendistrikte teilen, den Numa die +Grenzsteine setzen und das Terminalienfest einfuehren (1, 7; 2, 74; +daraus Plut. Num. 16). + +^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen +die Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und +der Kaiserzeit rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat +fuenf roemische Scheffel Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der +Ertrag eines Heredium ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und +Hofraum absehend, es lediglich als Ackerland betrachtet und auf +Brachjahre keine Ruecksicht nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 +Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato +(agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine +roemische Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach +sich jeder selber beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich +darauf, dass der Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der +freie Bauer der aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die +aeltere Zeit die Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; +beides ist wohl richtig, aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne +Zweifel sind die Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die +Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die +alte und intensive Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders +fuer die aeltere Zeit in Anschlag zu bringen; aber die aeltere +roemische Weidewirtschaft war, wenn auch nicht unbedeutend, so doch von +untergeordneter Bedeutung und die Hauptnahrung des Volkes immer +notorisch das Getreide. Man mag ferner wegen der Intensitaet der +aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen Steigerung besonders des +Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben die Bauern dieser Zeit +ihren Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen, als die +Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit ihn +erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um +Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch mit +grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des +zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und +sie genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme +Defizit, welches auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag des +Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch blosse +Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst dann +als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle +landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer +ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag +eines Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die +Ernaehrung einer Familie ausreichend herausstellt. + +Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit +Koloniegruendungen mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das +einzige Beispiel der Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, +wird von denjenigen Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe +sich verlohnt, Argumente zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im +geschichtlichen Detail zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden +und unterliegt auch noch anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings +ist richtig, dass bei der nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte +Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben +worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch +keineswegs in den Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr +in der Regel zu den bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen +hinzugefuegt werden (vgl. CIL I, p. 88). Auf alle Faelle wird jede +andere Annahme besser sein als eine Hypothese, welche mit den fuenf +Broten und zwei Fischen des Evangeliums ziemlich auf einer Linie steht. +Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger bescheiden als ihre +Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von sieben Morgen +oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen. + +——————————————————————— + +Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das +gewoehnliche Korn war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch +Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese fleissig gezogen. + +——————————————————————- + +^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den +Nachweis zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen +Landes hat leben koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, +dass Varro (tust. 1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel +Weizen, dagegen zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den +Ertrag ansetzt, woraus denn gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht +den doppelten, doch einen betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der +Weizenbau. Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene +nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus dem +Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, +den Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier +durch das Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde +wird der Spelt auch heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der +Weizen und liefert nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach +Abzug der Huelsen aber geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die +mir G. Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer +den wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von ¼-½ +Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825 +Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von ½-1½ Scheffel) mindestens +sieben Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), +welche durch die Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also +liefert der Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als +doppelte, bei gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem +spezifischen Gewicht nach aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, +nach der Enthuelsung (als Kern”) weniger als die Haelfte. Nicht aus +Versehen, wie behauptet worden ist, sondern weil es zweckmaessig ist, +bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und gleichartigen +Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf Weizen +gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht +wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt +ist genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren +ausgesetzt als der Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, +namentlich wenn man die nicht unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in +Anschlag bringt, einen hoeheren Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem +Durchschnitt stellt in der Gegend von Frankenthal in Rheinbayern sich +der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4 +Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden ihn +zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei +vorschreitender Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so +ist auch der gleichartige Uebergang der italischen Landwirtschaft vom +Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein Fortschritt gewesen. + +———————————————————————————— + +Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen +Ansiedler nach Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit +hinaufreichende Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei +Weinfeste kennt und diese dem Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst +von den Griechen entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern +heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig Mezentius von Caere +von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die +Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu ueberschreiten, in +einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen +Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor +allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der +Stolz der Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete +Rebe. Frueh und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine +sorgfaeltige Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn +der hoechste Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie +gestattet und selbst damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot +eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der +Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso gehoert +hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das +Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt +gemachte Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von +unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben +wie sie, um das nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die +Opferung ungedoerrten Getreides untersagten. + +Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien +gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten +Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; +es stimmt dazu, dass der Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual +eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie +wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, beweisen der +Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des +Curtischen Teiches gepflanzt wurden. + +———————————————————- + +^5 Oleum, oliva sind aus έλαιον, έλαια, amurca (Φlhefe) aus αμόργη +entstanden. + +———————————————————- + +Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich +in Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, +deren ebenfalls mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, +hat die roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen. + +———————————————————- + +^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) +umgehauen ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die +Ziffer CCLX fehlt in allen guten Handschriften und ist, wohl mit +Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert. + +————————————————————- + +Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und +ueberhaupt die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den +gewoehnlichen Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner +regelmaessig mit verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den +Pflug zog der Stier, auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten +Pferde, Esel und Maultiere. Eine selbstaendige Viehwirtschaft zur +Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand wenigstens auf dem in +Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr beschraenktem +Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die gemeine +Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders +Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und +wieder zu pfluegen - der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem +die Furchen nicht so dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt +werden konnte; aber der Betrieb war mehr intensiv als intelligent, und +der mangelhafte Pflug, das unvollkommene Ernte- und Dreschverfahren, +blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige Festhalten der Bauern +an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die geringe +Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener +war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle +ueberkommene Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen +der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und +das Berieselungssystem der Wiesen, moegen schon frueh von den +Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig entwickelt worden sein; +begann doch die roemische Literatur selbst mit der theoretischen +Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und verstaendigen Arbeit +folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die Religion ihr +Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch Pausen +der Erholung und der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden +achten Tag (nonae), also durchschnittlich viermal im Monat, geht der +Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und zu kaufen und seine uebrigen +Geschaefte zu besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe bringen aber nur die +einzelnen Festtage und vor allem der Feiermonat nach vollbrachter +Wintersaat (feriae sementivae); waehrend dieser Fristen rastete nach +dem Gebote der Goetter der Pflug und es ruhten in Feiertagsmusse nicht +bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der Stier. + +In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in +aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer +die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen +Verschleuderer ererbten Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen +unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war ueberdies das +eigene Verfuegungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie sich +verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen Geschlechtsgenossen zum +Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der Ueberschuldung +des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch, dass es +bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an +der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger +verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs +fuehrende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, +wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr +unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich +unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die Miterben +im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das +aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu +jeder Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder +friedlich zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen +Geiste des roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt +denn auch, dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und +Gartenbesitzern nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges +der Karst trat. Die Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des +Bodens blieb der Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung +ueberlassen; und dass man sich hierin nicht getaeuscht hat und die +Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind, beweist schon die +allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden Individualnamen zu +bezeichnen. Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch die +Ausfuehrung von Kolonien, welche regelmaessig die Gruendung einer +Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig wohl auch, indem man kleine +Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung einer Anzahl +Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem schwieriger ist es, die +Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu erkennen. Dass es einen +solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist nach der fruehen +Entwicklung der Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert sich auch +leicht teils aus der Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der +notwendig ungleichen Kopfzahl der in den einzelnen Geschlechtern daran +Teilnehmenden von selbst einen Stand von groesseren Grundbesitzern ins +Leben rufen musste, teils aus der Menge der in Rom zusammenstroemenden +kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche Grosswirtschaft, +gestuetzt auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie spaeter in +Rom finden, kann fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr ist +die alte Definition, wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind +von den Aeckern, die sie an geringe Leute austeilen wie der Vater an +die Kinder, hierher zu ziehen und wird urspruenglich der Gutsbesitzer +den Teil seines Grundstueckes, den er nicht selber zu bewirtschaften +vermochte, oder auch das ganze Gut in kleinen Parzellen unter +abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies noch jetzt in +Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder Sklave +des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein +Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des +“Bittbesitzes” (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt diesen, +solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel, +um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte dieser +ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des +Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht +notwendig; ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der +Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo +dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von +ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen +Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und +den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten +Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein +Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, +religioes geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte +auch nicht. Das durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel +ruhte ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der +Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung +der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der einzelne, +konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen +Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die +roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der +Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu +Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen +Gutswirtschaft erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern +in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche +Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd blieb, fand sich der +roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als +der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff selber +ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein +guter Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt +hatte er nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und +etwa waehrend der heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor +allem aber wurde durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer +das Verhaeltnis der Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch +dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert. Die freien Bittpaechter, +hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten +Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats +aus und waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der +kleine Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich +ist. Die fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel +bei weitem weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die +einwandernde Nation nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse +geknechtet hat, scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr beschraenktem +Umfang vorhanden gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter +eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir +spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren +Epoche die “Tageloehner” (θήτες) vielfach an der Stelle der spaeteren +Sklaven und hat in einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, +es bis in die historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der +Knecht aber war doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische, +sabinische, etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders +gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu +hatte er als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch +tatsaechlich Land und Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es +eine Freilassung gab, lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm +nicht fern. Wenn es mit dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich +also verhielt, so war er keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, +sondern fuer dasselbe vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss +verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen Familien eine wenn auch +im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und kleine; sondern es +erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten +Grundherren die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den +ackerbauenden und eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material +fuer die roemische Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches +nimmermehr gelingen konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen +Land, aber nicht demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die +Kraft geben, um die Pflugschar zu fuehren. + +Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der +Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der +Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen, +fuer die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten und durch die +Viehbussen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden benutzt, +teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine maessige +Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger mag +urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum +Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der +einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide +kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum +auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber +dem Insassen wohl nur ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt +ward. In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der +Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu +haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt +war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich unter die +Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt +ward. + +Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, +daneben aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt +schon aus der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem +Emporium der Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des +Koenigs Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom +bestehenden Einrichtungen, acht Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der +Floetenblaeser, der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute, +der Walker, der Faerber, der Toepfer, der Schuster - womit fuer die +aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die gewerbmaessige Arzneikunst +noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern +selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde Rechnung +arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird. +Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter +erscheint. Es bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst +verhaeltnismaessig spaet mit der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; +weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel fuer den heiligen Pflug und +das priesterliche Schermesser bis in die spaeteste Zeit durchgaengig +nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das staedtische Leben Roms und +seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen diese +Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen +sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die +Masse der fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden +Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten +Verhaeltnissen des roemischen Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms +feierten nicht bloss den gewaltigen Streitgott Mamers, sondern auch den +kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem goettlichen vom Himmel +gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche Schilde zu schmieden +verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse Volcanus erscheint +bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in dem +aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und +das Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und +fand sich nichts von jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die +spaeter daselbst begegnet. Seit indes die Servianische Ordnung den +Heerdienst ausschliesslich auf die Ansaessigen legte, waren die +Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl infolge ihrer +durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom Waffenrecht +ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den +Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch +organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies +wohl der Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und +politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte +hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen +gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich +zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass +unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist +wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von +Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation - +freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die +Nachrichten so voellig versiegt wie ueber die Gewerke. + +Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr +der Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst. +Die Messen (mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den +gewoehnlichen Wochenmaerkten (nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie +moegen sich zunaechst an die internationalen Zusammenkuenfte und Feste +angereiht, vielleicht also in Rom mit der Festfeier in dem Bundestempel +auf dem Aventin in Verbindung gestanden haben; die Latiner, die hierzu +jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten diese Gelegenheit +zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu erledigen und +ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch +groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche +Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) +im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von +roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste +unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der +Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu +finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der +hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der +Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der +Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher +letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium +und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen +hier die roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten +manchen Hader mit den Sabinern herbei. + +Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor +das erste griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee +eingefahren war. Hier halfen bei vorkommenden Missernten die +Landschaften einander mit Getreide aus; hier tauschte man ferner Vieh, +Sklaven, Metalle und was sonst in jenen aeltesten Zeiten notwendig oder +wuenschenswert erschien. Das aelteste Tauschmittel waren Rinder und +Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen; sowohl die +Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein +stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen +Gross- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden besonders +bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, sondern +noch darueber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft zurueck +^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die Ackerbestellung +und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher Menge bedurfte, +nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle erzeugten, +sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf, wie denn den +kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die “Kupferung” (aestimatio) +hiess. In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen, auf der +ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter noch +genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung und +in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten +sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen +Voelker vorliegen. + +———————————————————————- + +^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht +bekanntlich daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen +umsetzte, das Schaf zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde +(Fest. v. peculatus p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. +11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn nach islaendischem Recht der Kuh +zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier, wie auch sonst, das +deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem substituiert +hat. + +Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den +Deutschen (englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt. + +———————————————————————- + +In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig +gebliebenen Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher +bezeichnet. Fast ganz unberuehrt von ihm blieben die sabellischen +Staemme, die nur einen geringen und unwirtlichen Kuestensaum +innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen zukam, wie zum +Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische Vermittlung +empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung ruehrt. +Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser +Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in +Kampanien Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in +Latium und mehr noch in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger +Warentausch stattfand. Was die aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst +sich teils aus den Fundstuecken schliessen, die uralte, namentlich +caeritische Graeber ergeben haben, teils aus Spuren, die in der Sprache +und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils und vorzugsweise +aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn natuerlich +kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie nachzuahmen +begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung der +Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen +Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag +dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber +und Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss +empfangen oder selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das +Gewerk der Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, +erst aufgekommen sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in +einiger Ausdehnung unter den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck +vertrieben hatte. So finden wir denn auch in den aeltesten Grabkammern +von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste in Latium Goldplatten mit +eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen Ornamenten +babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck gestritten +werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung ist; +im ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste +in aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich +spaeter, wo von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, +dass die Architektur wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr +frueher Zeit durch griechischen Einfluss eine maechtige Anregung +empfangen haben, das heisst, dass die aeltesten Werkzeuge und die +aeltesten Muster aus Griechenland gekommen sind. In die eben erwaehnten +Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit eingelegt Gefaesse +von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach Material und +Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen, +aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster, +darunter mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder +eingeschnitzten Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die +letzten koennen aus dem Norden auf dem Landweg gekommen sein; die +uebrigen Gegenstaende aber beweisen die Einfuhr von Salben und +Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher kamen Linnen und +Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch der +linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen +Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten +Lehnnamen (λίνον līnum; πορφύρα purpura; σκήπτρον σκίπων scipio, auch +wohl ελέφας ebur; θύος thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer +Anzahl auf Ess- und Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die +Benennung des Oels (vgl. 1, 200), der Kruege (αμφορεύς amp[h]ora +ampulla; κρατήρ cratera), des Schmausens (κωμάζω comissari), des +Leckergerichts (οψώνιον opsonium), des Teiges (μάζα massa) und +verschiedener Kuchennamen (γλυκούς lucuns; πλακούς placenta; τυρούς +turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel +(patina πατάνη) und des Specks (arvina αρβίνη) in das sizilische +Griechisch Eingang gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten +attisches, kerkyraeisches und kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu +stellen, beweist eben wie diese sprachlichen Zeugnisse den fruehen +Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach Italien. Dass die +griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur Eingang +fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (σκύτος) +bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum). +Endlich gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen +entlehnten Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die +Segelschiffahrt: Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein +lateinisch gebildet sind ^9; ferner die griechische Benennung des +Briefes (επιστολή epistula), der Marke (tessera, von τέσσαρα ^10), der +Waage (στατήρ statera) und des Aufgeldes (αρραβών arrabo, arra) im +Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer Rechtsausdruecke in +das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende Austausch +der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der +barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne +tragen, vor allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem +Akkusativ (placenta = πλακούντα; ampora = αμφορέα; statera = στατήρα), +ist der klarste Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des +Handelsgottes (Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische +Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des +Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den +Sohn der schoenen Maia. + +———————————————————————- + +^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer +phoenikischen und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. +Inst. X., Taf. 32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches +in Italien zum Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin +gelangt ist. + +^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies +nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch +antenna kann von ανά (anhelare, antestari) und tendere = supertensa +herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern κυβερνάν, ancora +Anker άγκυρα, prora Vorderteil πρώρα, aplustre Schiffshinterteil +άφλαστον, anquina der die Rahen festhaltende Strick άγκοινα, nausea +Seekrankheit ναυσία. Die alten vier Hauptwinde - aquilo der Adlerwind, +die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, +vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende +Suedwestwind, der Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen +Meer herwehende Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt +bezuegliche Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind +griechisch (wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. +solanus = απηλιώτης, Africus = λίψ). + +^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die ξυλήφια κατά +φυλακήν βραχέα τελέως έχοντα χαρακτήρα (Polyb. 6, 35, 7); die vier +vigiliae des Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen +gegeben. Die Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch +wie roemisch; die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch +Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im +roemischen Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen +Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete Uebernahme des Wortes. + +————————————————————— + +Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine +Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen +Mustern selbst zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es +nichts zu bieten als seine Rohprodukte, also vor allen Dingen sein +Kupfer, Silber und Eisen, dann Sklaven und Schiffsbauholz, den +Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im Ausland Missernte +eingetreten war, sein Getreide. + +Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden +Aequivalente ist schon frueher erklaert worden, warum sich der +italische Handel in Latium und in Etrurien so verschiedenartig +gestaltete. Die Latiner, denen alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel +mangelten, konnten nur einen Passivhandel fuehren und mussten schon in +aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig bedurften, von den +Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der uralte +Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; +dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, +in Capua wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der +schnell entwickelte Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige +Handelsstellung, waehrend Latium vorwiegend eine ackerbauende +Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in allen einzelnen +Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit +ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden +sich in Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine +Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem suedlichen +Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die +latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck auslaendischer Herkunft +und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer Zeit aufweist, +vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen +die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der +Zeit nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia +an; Latium hat in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht +sich beholfen und selbst die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn +nur aeusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von +Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik +wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur dort +kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten +Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben +Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und +fabrizierte; aber in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche +Landschaft weit zurueck hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit +haengt es zusammen, dass die nach griechischem Muster in Etrurien +angefertigten Luxuswaren auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in +Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend Latium schwerlich jemals +dergleichen ausgefuehrt hat. + +Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner +und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten +Handel der Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas +aussprechen als die Vermutung, dass er von Spina und Hatria +vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Dass die westlichen Etrusker +sich dreist in die oestlichen Meere wagten und nicht bloss mit +Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten, +ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die +attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so +zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie +bemerkt, wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend +umgekehrt die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika +ein gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die +Silberstuecke von Populonia sind nachgepraegt einem uralten, einerseits +mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloss mit einem +eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das sich in Athen und +an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden hat und +das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss +geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der +karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die +Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon +erwaehnt; es ist beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von +Caere ausser einheimischem Bronze- und Silbergeraet vorwiegend +orientalische Waren sich gefunden haben, welche allerdings auch von +griechischen Kaufleuten herruehren koennen, wahrscheinlicher aber doch +von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt wurden. Indes darf diesem +phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich +nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen +Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, +nicht von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind. + +Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir +auch Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der +etruskischen Aufnahme hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie +doch, wo sie moeglich sind, eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider +Voelkerschaften voneinander. Am deutlichsten tritt dies hervor im +Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder +Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische weicht nicht +unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide +Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu +anderer Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen +Woertern wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, +der tuskische Pultuke sind jedes eine selbstaendige Korruption des +griechischen Polydeukes; der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus +Odysseus gebildet, der roemische Ulixes gibt genau die in Sizilien +uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der tuskische Aivas der +altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax einer wohl auch +sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der +samnitische Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der +tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums +ausschliesslich auf den Zug des latinischen Handels zu den Kymaeern und +Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede andere Spur, die aus so ferner +Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Muenze von Poseidonia; +der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern, Kymaeern und +Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei den Etruskern; +vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen Geldwesens zu dem +sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische Bezeichnung der +Silbermuenze νόμος, das sizilische Mass ημίνα als nummus und hemina in +gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die +italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, +uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte an Geldes Statt +dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den korrupten und +hybriden Formen λίτρα, τριάς, τετράς, εζάς, ουγκία schon im dritten +Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen Sprachgebrauch +eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und Geldsystem +allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in ein +festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der +zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht +gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent +eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des +roemischen Pfundes) als Silbermuenze (λίτρα αργυρίου, das ist +“Kupferpfund in Silber”) schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus +geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass die +italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen; und +es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der Handel der +Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld +nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen +Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen +Benennungen des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in +den sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt +worden. Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen +Staedten in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in +Elea und Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. +Dass er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den +Sikelioten, beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer +Zeit nach Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an +Aesculapius, Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen +zeigen. Wenn der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie +Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen +Dorern auch nur gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen +wenigstens daneben erscheinen; obwohl allerdings auch in diese +ionischen Kolonien selbst der Dorismus frueh eingedrungen ist und der +Dialekt hier sehr geschwankt hat. Waehrend also alles sich vereinigt, +um den regen Handel der Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt +und vor allem mit den sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen +Phoenikern schwerlich ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann +der Verkehr mit den afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke +hinreichend belegen, in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums +doch nur in zweiter Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer +beweisend, dass - von einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten +Verkehr der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem +sprachlichen Zeugnis gebricht ^11. + +————————————————————————————— + +^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen +oertlichen Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit +unmittelbar aus dem Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr +wenigen in demselben vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, +wie namentlich arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und +dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst Lehnwoerter aus dem +Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern eine ziemliche +Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern +aufzuweisen hat. Dass ελέφας und ebur von dem gleichen phoenikischen +Original mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes +selbstaendig gebildet seien, ist sprachlich unmoeglich, da der +phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht verwendet wird; +ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch nicht gefunden. +Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus; mag dasselbe nun +urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem Phoenikischen +oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie schon die +Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches +Lehnwort. + +————————————————————————————— + +Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von +italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in +Italien, so hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme +alle Wahrscheinlichkeit fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene +latinischen Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in +den gemeinen Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch +haetten eindringen koennen, dass sizilische Kaufleute nach Ostia gingen +und Kupfer gegen Schmuck einhandelten. + +Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel +in Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem +Gutsbesitzerstand selbstaendig gegenueberstehender hoeherer +Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser auffallenden Erscheinung +ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang an sich in den Haenden +der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine Annahme, die nicht so +seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren schiffbaren +Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der von +seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von +Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische +Eigenhandel musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er +allein die Schiffe und in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In +der Tat ist der Gegensatz zwischen Land- und Geldaristokratie den +Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt; die grossen Grundbesitzer sind +immer zugleich die Spekulanten und die Kapitalisten. Bei einem sehr +intensiven Handel waere allerdings diese Vereinigung nicht +durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung zeigt, +fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der +latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen +ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern +war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde. + + + + +KAPITEL XIV. +Mass und Schrift + + +Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst +des Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie +er selbst ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm +versagte, Allmacht und Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und +Pflicht, den Voelkern auch auf diesen Bahnen zu folgen. + +Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der +zeitlichen, raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen +bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt +werden. Dazu bietet die Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit +die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder Tag und Monat, fuer den +Raum die Laenge des Mannesfusses, der leichter misst als der Arm, fuer +die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit ausgestrecktem Arm +schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder das “Gewicht” +(libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus gleichen Teilen +bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fuenf +oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das +Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles +Zaehlens und Messens nicht bloss ueber die Trennung des griechischen +und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit +zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde +ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen +Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen +vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu +zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und +Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die +urspruengliche Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den +Indogermanen gewaehrt die bekannte Uebereinstimmung aller +indogermanischen Sprachen in den Zahlwoertern bis hundert +einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind hier alle aeltesten +Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genuegt, an die so +gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, Magistrate, an +die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die +Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende +Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das +Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und +Schrift angehoerige Anwendungen dieses aeltesten Dezimalsystems sind +zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern. Konventionelle +Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und Italiker +offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei aeltesten und +unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I, V +oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der +offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den +Phoenikern entlehnt, dagegen den Roemern, Sabellern und Etruskern +gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze zur Bildung einer national +italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des +aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen Verkehrs +der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen +erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht +auszumachen. Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem +Gebiet sparsam; es gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der +Sabeller von 100 Fuss ins Gevierte und das roemische zehnmonatliche +Jahr. Sonst ist im allgemeinen in denjenigen italischen Massen, die +nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen und wahrscheinlich von +den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt worden sind, +die Teilung des “Ganzen” (as) in zwoelf “Einheiten” (unciae) +vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen +Priesterschaften, die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die +etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im +roemischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo +der Fuss (pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit +des roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und +Duodezimalsystem zusammengesetzte “Trieb” (actus) von 120 Fuss ins +Gevierte ^1. Im Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen +sein. + +————————————————————— + +^1 Urspruenglich sind sowohl “actus” Trieb, wie auch das noch haeufiger +vorkommende Doppelte davon, “iugerum”, Joch, wie unser “Morgen” nicht +Flaechen-, sondern Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener +das halbe Tagewerk, mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf +einschneidende Mittagsruhe des Pfluegers. + +—————————————————————— + +Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen +sein mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein +neben der Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung +wohl nur gefunden werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und +Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem +Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf Mondkreislaeufen zuerst dem +Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten +zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines +Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste +duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu +sein und vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen. + +Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische +Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber +wohl das Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das +heisst diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel +unmoeglich ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der +aelteste roemische Fuss ist verschollen; der, den wir kennen und der in +fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus Griechenland +entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in +Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und +sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische +Gewicht in ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in +ganz Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer +Beweis, dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich +zog; vier roemische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder +vielmehr das roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder +Halbminen gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten +die roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den +griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach μέδιμνος +congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum +von οξύβαφον) entstanden sind, waehrend umgekehrt ξέστης Korruption von +sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die +gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius +oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer +trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht dem +attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen +Verhaeltnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem +griechischen Medimnos von 2 : 1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen +versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und +Bedeutung jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben. + +Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der +Roemer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm +unnuetzen Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, +vielleicht auch die Ziffer 100 zu gestalten. In Etrurien scheint man +auf aehnlichem Wege wenigstens das Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. +Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das Ziffersystem der beiden +benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische im wesentlichen +in Etrurien angenommen ward. + +In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der +italische Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen +hatte, spaeter unter griechischen Einfluss gekommen. In der +Zeiteinteilung draengt sich die Wiederkehr des Sonnenauf- und +-unterganges und des Neu- und Vollmondes am unmittelbarsten dem +Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach zyklischer +Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, lange +Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang +wurden auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis +in spaete Zeit hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an +jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum naechstfolgenden +verfliessende Tagzahl durch die Priester abgerufen. Man rechnete also +in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei den Sabellern, +sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon gesagt, +nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von dem +naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die bei +der mittleren Dauer von 7⅜ Tagen zwischen sieben- und achttaegiger +Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der +mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 +Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse +Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die +groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann man Tag und +Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der +Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in +der Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten +Staemme auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die +Sabeller und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, +wenigstens als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht +kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der +Jahresteile bei den Griechen und den Italikern voellig selbstaendig +gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen +Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur +Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit +fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der +Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die +Bezeichnung einer Frist von zehn Monaten als eines “Ringes” (annus) +oder eines Jahrganzen traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an +sich. Spaeter, aber auch noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft +ebenfalls jenseits der griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie +schon gesagt wurde, das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da +es eben aus der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des +Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf die +Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den +Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit +der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in +den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl +die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen +zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender +herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels +vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen +es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der +Epoche, wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter +beschaeftigt haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind +verschollen. Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern +latinischen Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische +Zeitmessung ist ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf +der aeltesten griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich +den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war +auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29½ Tagen, eines Sonnenumlaufs +von 12½ Mondmonaten oder 368¾ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen +oder dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate +sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch +willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den +wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass +diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern +in Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die +sich geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen +Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der +dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in +der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies roemische +Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der +einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars +(Martius), die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) +und Gedeihen (iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen +(quinctilis, sextilis, september, october, november, december), der +elfte vom Anfangen (ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach +dem Mittwinter und der Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der +Ackerbestellung gedacht ist, der zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der +letzte vom Reinigen (februarius). Zu dieser im stetigen Kreislauf +wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein namenloser +“Arbeitsmonat” (mercedonius) am Jahresschluss, also hinter dem Februar +hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem altnationalen +heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in der +Dauer derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und +sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr +eintretenden, abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen +Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 ++ 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm gesetzt worden vier Jahre von je +vier - dem ersten, dritten, fuenften und achten - einunddreissig- und +je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner einem in drei Jahren +acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes +andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 ++ 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der +urspruenglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald +achttaegige Wochen; er liess die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf +die sonstigen Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere +Sonntage es tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den +Wochenmarkt. Er setzte daneben ein fuer allemal das erste Viertel in +den einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den +neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den +fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest +geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der +zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt +zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages +(kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen +Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den +Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag +(nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht +Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde +liegende Motiv scheint hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende +Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen +an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen +Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in +Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich +bewegenden Lehren des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass +dieser roemische Kalender, so deutlich er auch die Spur an sich traegt, +sowohl mit dem Mond- wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch +in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens +im ganzen sein griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben +wie der aelteste griechische, nicht anders als mittels haeufiger +willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender +schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, +hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der +Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach +zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes +Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des +aeltesten roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird +dieser roemische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen +werden koennen. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und +der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den +Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl +vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsaechlich +von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkuerlichen, +etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn +beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen +schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von +Unteritalien aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu +anderen italischen Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen +Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren. + +———————————————————— + +^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die +in jedem Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., +idus am 13. oder 15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der +oben erwaehnten 45 Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei +mehrtaegigen Festen dazwischen die geraden Tage ausfallen, also z. B. +das der Carmentis am 11., 15. Januar, das Hainfest am 19., 21. Juli, +die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen wird. + +————————————————————- + +Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der +Regierungsjahre der Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese +dem Orient gelaeufige Datierung in Griechenland und Italien in +aeltester Zeit vorgekommen ist. Dagegen scheint an die vierjaehrige +Schaltperiode und die damit verbundene Schatzung und Suehnung der +Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung der Anlage nach +gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes infolge +der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreissenden +Unregelmaessigkeit ihre chronologische Bedeutung frueh wieder +eingebuesst hat. + +Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker +haben sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, +obwohl in den italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen +und nicht aus hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des +Losziehens mit Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen +Entwicklung gefunden werden koennen. Wie schwierig die erste +Individualisierung der in so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden +Laute gewesen sein muss, beweist am besten die Tatsache, dass fuer die +gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und heutige +Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu +Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch +ausreicht; und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist +gemeinsame Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische +Sprachstamm, in dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein +Wort beginnen kann, erleichtert eben deshalb die Individualisierung des +Konsonanten; weshalb denn auch hier das erste, der Vokale aber noch +entbehrende Alphabet erfunden worden ist. Erst die Inder und die +Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in hoechst abweichender +Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten aramaeischen +Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch +Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier +fuer die Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer +die vier Vokale a e i o und durch Neubildung des Zeichens fuer u, also +durch Einfuehrung der Silbe in die Schrift statt des blossen +Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides sagt: + +Heilmittel also ordnend der Vergessenheit + +Fuegt ich lautlos’ und lautende in Silben ein + +Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen. + +Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern +zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber +durch die Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute +etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten +Vermittlungsstaetten des internationalen Verkehrs in Latium und +Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die +Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste hellenische: es hatte +schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei +Buchstaben ξ φ χ und die Abaenderung der Zeichen fuer υ γ λ ^3. Auch +das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische +Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus dem +griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach +Etrurien und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das +etruskische Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und +nur ein einfaches k ^4 und vom r nur die aeltere Form P; das latinische +kennt, soviel wir wissen, nur ein einziges s, dagegen ein doppeltes k +(Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die juengere Form R. Die +aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich +wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten +Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt, +soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in +gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links +nach rechts oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei +den Roemern in jener, bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das +nach Etrurien gebrachte Musteralphabet muss trotz seines relativ +geneuerten Charakters dennoch in eine sehr alte, wenn auch nicht +positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da die beiden +Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene Laute +nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, +das nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als +lebendige Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten +Denkmaelern der griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma +und San nebeneinander im Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt +allerdings, wie wir es kennen, im ganzen einen juengeren Charakter; +doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in Latium nicht, wie in +Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, sondern die +Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen Nachbarn +laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht +hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum +Beispiel, dass die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt +waren, aber die juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch +ersetzten; was sich nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere +Zeit fuer ihre griechischen Aufzeichnungen wie fuer die in der +Muttersprache sich des griechischen Alphabets als solchen bedienten. +Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren +Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und +dem aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass +in Etrurien frueher geschrieben worden ist als in Rom. + +—————————————————————- + +^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im +wesentlichen darin, dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, +das heisst dem vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, +die verschiedenartigsten Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung +desselben gemacht worden sind und dass jeder dieser Vorschlaege seine +eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschlaege, die +auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten +vor. Interesse ist, sind die folgenden. + +I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute ξ φ χ. Dieser Vorschlag +ist so alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, +Melos und Kreta alle griechischen und schlechterdings alle aus dem +griechischen abgeleiteten Alphabete unter dem Einfluss desselben +stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin, die Zeichen Χ ξι, Φ φι, Ψ χι +dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in dieser Gestalt hat er auf +dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und Korinth und ebenso +bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme gefunden. Die +kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des Archipels, +ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag zu +ihnen gelangte, fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des +phoenikischen Alphabets (Samech) Ξ im Gebrauch gehabt zu haben; sie +verwendeten deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das Φ auch fuer φι, +aber das Χ nicht fuer ξι sondern fuer χι. Das dritte, urspruenglich +fuer χι erfundene Zeichen liess man wohl meistenteils fallen; nur im +kleinasiatischen Festland hielt man es fest, gab ihm aber den Wert ψι. +Der kleinasiatischen Schreibweise folgte auch Athen, nur dass hier +nicht bloss das ψι, sondern auch das ξι nicht angenommen, sondern +dafuer wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward. + +II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die +naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn +saemtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des +Bestrebens, beide Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber +schon in aeltester Zeit muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht +sein, deren jeder seinen eigenen Verbreitungskreis gefunden hat: +entweder man verwendete fuer den Sibilanten, wofuer das phoenikische +Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und das achtzehnte +(Σ) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren +vielmehr jenes - und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen +Inseln, in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern - oder +man ersetzte das Zeichen des i durch einfachen Strich І, was bei weitem +das Gewoehnlichere war und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens +insofern allgemein ward, als das gebrochene i ueberall verschwand, +wenngleich einzelne Gemeinden das s in der Form M auch neben dem І +festhielten. + +III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit Γ γ zu verwechselnden λ Λ +durch V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und +die von Korinth abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch +erreichten, dass sie dem γ statt der haken- die halbkreisfoermige +Gestalt C gaben. + +IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer ρ Ρ p +p und r P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; +welche juengere Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, +den italischen Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd +geblieben ist, dagegen sowohl in dem eigentlichen wie in +Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist die aeltere +Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie die +aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter. + +Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o +ist in aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens +und der Inseln des Aegaeischen Meeres. + +Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und +geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer +bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann +ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung +gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur +Geschichte des griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die +bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht +geworfen und auch fuer die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und +Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse +Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat, +leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen +einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht +legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man +die Alphabete nicht nach der Geltung des X als ξ oder als χ in zwei +Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 +oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das +kleinasiatisch-ionische, aus dem das spaetere Gemeinalphabet +hervorgegangen ist, und das gemeingriechische der aelteren Zeit zu +unterscheiden haben. Es haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen +Landschaften sich den verschiedenen Modifikationsvorschlaegen +gegenueber wesentlich eklektisch verhalten und ist der eine hier, der +andere dort rezipiert worden. Eben insofern ist die Geschichte des +griechischen Alphabets so lehrreich, als sie zeigt, wie in Handwerk und +Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften die Neuerungen +austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhaeltnis standen. Was +insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwuerdigen +Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den chalkidischen und +dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in +jenen sind durchgaengig die primitiven Formen festgehalten, in diesen +die verbesserten Formen angenommen, selbst solche, die von +verschiedenen Seiten kommend sich gewissermassen widersprechen, wie das +C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete stammen, wie Kirchhoff +gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der italischen Griechen und zwar +von dem chalkidisch-dorischen her; dass aber die Etrusker und die +Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide unmittelbar von +den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die verschiedene +Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben bezeichneten +Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen ueberhaupt +angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei ersten +bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und +Latiner ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht +geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, +als die Latiner es empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R +gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern und den Latinern mit der +einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefaesses ausschliesslich die +juengere Form begegnet. + +^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht +zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur +desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen +Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, +ist auf jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin +gemein gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und +nehmen kann zu diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies +kann das am Schluss stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl +einen anderen Wert haben als den des f, das im etruskischen Alphabet +eben das letzte ist und das in dem, die Abweichungen .des etruskischen +Alphabets von seinem Muster darlegenden Syllabarium nicht fehlen +durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem nach Etrurien +gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem +chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies +fueglich eine lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, +deren Alphabet zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als +ueberfluessig werdendes Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder +ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer und Zufall gewaltet; so hat das +attische Alphabet das achtzehnte phoenikische Zeichen eingebuesst, die +uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im Alphabet festgehalten. + +^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, +1887), unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und +lateinischer Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, +das raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel +in den AdI 52, 1880) die aeltere Form des r. + +—————————————————————- + +Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf +die Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren +Zeichen schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess +aus einer vor Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, +worauf das altgriechische Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und +daneben ein daraus gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des +Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist - offenbar eine heilige +Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der Buchstabenschrift +in Etrurien. + +Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die +Geschichte dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja +vielleicht noch wichtiger; denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf +den italienischen Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt +als der Verkehr an den Kuesten mit den Fremden. In der aeltesten Epoche +der etruskischen Schrift, in der man sich im wesentlichen des +eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente, scheint der Gebrauch +desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana +beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria +und Spina aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen, +noerdlich zu den Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den +Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer +desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. Die juengere Epoche +geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich hauptsaechlich +erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter Zeilenschrift, auf die +Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu +unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens +f, wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen +mangelte. Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern +entstanden und hat, waehrend sie jenseits des Apennin keinen Eingang +fand, dagegen bei saemtlichen sabellischen Staemmen, zunaechst bei den +Umbrern sich eingebuergert; im weiteren Verlaufe sodann hat das +Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, +den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, haeufig +die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und +Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber +ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen +Graeber, sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich +in einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet +bereits in einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt +gibt; und da das reformierte selbst wieder, gegen das primitive +gehalten, relativ jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem +Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte. + +Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im +Norden, Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das +latinische Alphabet auf Latium beschraenkt und hier im ganzen mit +geringen Veraenderungen sich behauptet; nur fielen γ κ und ζ ς +allmaehlich lautlich zusammen, wovon die Folge war, dass je eins der +homophonen Zeichen (κ ζ) aus der Schrift verschwand. In Rom waren diese +nachweislich schon vor dem Ende des vierten Jahrhunderts der Stadt +beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und literarische +Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer nun +erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von γ c und +κ k noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo +die Laute in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der +Zeitraum, in dem die Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des +Beginns der Samnitenkriege liegt; dass endlich zwischen der Einfuehrung +der Schrift und der Feststellung eines konventionellen +Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist verstrichen sein +muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der +Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der +aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor +Christi Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland +die Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der +Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche +Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit ist hinreichend +beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein +Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, +und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem +an Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande +entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des +Buendnisses, das Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das +noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin +sah - freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen +Exemplars hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon +in Metall grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses +Tempels beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf +die aelteste derartige roemische Urkunde und das gemeinschaftliche +Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere +verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf +Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), +spaeter auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die +heiligen Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft +geschrieben, ebenso die aeltesten, im Tempel der Goettin der Erinnerung +(Iuno moneta) auf dem Kapitol bewahrten Verzeichnisse der roemischen +Magistrate. Es wird kaum noch noetig sein, zu erinnern an das uralte +Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat “Vaeter und +Eingeschriebene” (patres conscripti), an das hohe Alter der +Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen und des +roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten +Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und +Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber +muss nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift, +vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der +aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die Unfaehigkeit der +Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung berufen war, +die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, +fuer die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und Charakteren, +Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu begehren und ueber +deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene schriftliche +Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verweigert +haben wuerde. + +——————————————————————————————- + +^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu +setzen sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von +der wir Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei +seiner Entstehung niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten +selber ihren Text nicht auf das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf +eine nach dem gallischen Brande vorgenommene offizielle Niederschrift, +beweist die Erzaehlung von der damals erfolgten Wiederherstellung der +Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, dass ihr Text keineswegs +die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie aufwies, auch +abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum +Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch +genaue Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann. + +^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. +Dagegen hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren +Wert von κ. + +^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren +Abkuerzungen gilt dieses natuerlich nicht; hier wird γ nicht durch c, +sondern durch G (GAL Galeria), κ in der Regel durch C (C centum, Cos +consul, COL Collina), vor a durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) +bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man den Laut K vor den Vokalen e i o +und vor allen Konsonanten durch C ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, +vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q. + +^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen +Gedichte, wenn auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden +Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des +Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die Einfuehrung des hellenischen +Alphabets in Italien gehoert wie der Beginn des Verkehrs zwischen +Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen Zeit an. + +^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben. + +——————————————————————- + +Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die +schwache und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die +Sabeller im Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das +Alphabet von den Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert +sich wahrscheinlich daraus, dass sie das Alphabet schon besassen, als +sie den Zug auf den Ruecken des Apennin antraten, die Sabiner wie die +Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande +in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthaelt diese Geschichte +der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die +spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene +roemische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste +Forschung geduldig wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren +Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so +muesste hier vor allem eine Spur sich davon zeigen; aber gerade +umgekehrt ist der Keim der latinischen Schreibkunst griechisch, ihre +Entwicklung so national, dass sie nicht einmal das so wuenschenswerte +etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja wo Entlehnung +sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von +den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben. + +——————————————————————— + +^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische +dem v entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu +verwenden, hat die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked +fuer fecit und damit zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets +von den chalkidischen Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, +demselben Alphabet angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in +dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer, Griechische Grammatik, § 244 a. E.) +dieselbe Lautverbindung, und ein aspiriertes v mochte allerdings dem +lateinischen f lautlich sich naehern. + +——————————————————————- + +Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die +Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung +desselben besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen +Dialekten untergegangen, waehrend die Umbrer γ d, die Samniten d, die +Roemer γ einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. +Ebenso fielen den Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei +den Lateinern finden sich Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das +Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn waehrend der Etrusker +die drei Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das letzte +wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich +der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der +spaetere Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren +Lautverschiedenheiten wurden von den Einfuehrern des Alphabets, +gebildeten und zweier Sprachen maechtigen Leuten, wohl empfunden; aber +nach der voelligen Loesung der nationalen Schrift von dem hellenischen +Mutteralphabet fielen allmaehlich die Mediae und ihre Tenues zusammen +und wurden die Sibilanten und Vokale zerruettet, von welchen +Lautverschiebungen oder vielmehr Lautzerstoerungen namentlich die erste +ganz ungriechisch ist. Die Zerstoerung der Flexions- und +Derivationsformen geht mit dieser Lautzerruettung Hand in Hand. Die +Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere als +die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwaehrend zehrt, +wo ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird; +nur dass von dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in der +Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese Barbarisierung die +Etrusker in staerkerem Masse erfasste als irgendeinen der italischen +Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer minderen +Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den Italikern am +staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die suedlichen +Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird +der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen +wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben. + + + + +KAPITEL XV. +Die Kunst + + +Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; +insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch +vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische +nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die +Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu +vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem +scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die +Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio +finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die +guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere +Komoedie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die +parodische Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der +Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern +keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen +haben sie es nicht leicht ueber Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer +Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch +die hoechsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, +goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie +Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer +mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik +ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent +weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur +Virtuositaet sich steigert und an der Stelle der echten und innigen +Kunst ein hohles und herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist +nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der Kunst ueberhaupt ein +Innerliches und ein Aeusserliches unterschieden werden kann, das dem +Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der +Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine +Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist er +denn auch in den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu +Hause und darin in der alten Kulturepoche der beste Schueler des +Hellenen, in der neuen der Meister aller Nationen geworden. + +Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich, +die Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen +Voelkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht +mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur von der Poesie +Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere ausgegangen von +der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen Festjubel, in welchem +Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich durchdringen. Es +ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten Religionsgebraeuchen der +Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener hervortreten als das +Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische Siegesfest +eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den Kaempfern +die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene +geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben, +alle in roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen +Lanzen, die Maenner ueberdies behelmt, ueberhaupt in vollem +Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen +mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf den Schurz mit einem +Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die aelteste und +heiligste von allen Priesterschaften die “Springer” und durften die +Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem oeffentlichen Aufzug +und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz +schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe ward. Wo aber die Taenzer +erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in aeltester Zeit +dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. Auch sie fehlen bei keinem +Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begraebnis, und neben der +uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, +obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium +tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das +alte und selbst der strengen roemischen Polizei zum Trotz behauptete +Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und suessen Weines voll auf den +Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle +Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige Taetigkeit +auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide bestellt +sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und +gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder +dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen. + +Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen +Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der “guenstige +Geist” (faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das +verkuenden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen +wieder in rhythmisch gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von +canere). Diesen weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner +und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die +Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die +boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft +oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass in +diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln +erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die +religioesen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie +sangen und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein +wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrueder +zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient: + +————————————————————————- + +^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen +den Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der +vermutlich seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. +Natuerlich finden sich daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es +gegen Gicht, wenn man nuechtern eines andern gedenkt und dreimal +neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend, die Worte spricht: “Ich +denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde empfange das Unheil, +Gesundheit sei mein Teil” (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro +rust. 1, 2, 27). + +—————————————————————————————————— + +Enos, Lases, iuvate! + +Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores! + +Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber! + +Semunis alternei advocapit conctos! + +Enos, Marmar, invato! + +Triumpe! ^2 + +—————————————————————————————————— + +^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), +Mamers, sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen +insili! sta! verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, +Mamers, iuvato! Tripudia! Die ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, +der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die Uebersetzung ist vielfach +unsicher, besonders der dritten Zeile. + +Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat +deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied - asted noisi ope +toitesiai pakariuois - duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom +dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher +verstaendlich sind nur einzelne Woerter; bemerkenswert vor allem, dass +Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische kannten, wie das +Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et, hier +wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten. + +—————————————————————————————— + +an die Goetter Uns, Laren, helfet! + + Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars, + + lass einstuermen auf mehrere. + + Satt sei, grauser Mars! + +an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie! + +Brueder + +an alle + +Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, +allen + +an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf! + +an die einzelnen Springe! + +Brueder + +Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der +Baliarischen Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen +Zeit als die aeltesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt +sich zu dem Latein der Zwoelf Tafeln etwa wie die Sprache der +Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl duerfen wir der Sprache wie +dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den indischen Veden +vergleichen. + +Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. +Dass es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss +gab, wuerde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, +auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es +ausdruecklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn +ein Buerger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine +ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung +eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei +dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter +auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe +der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch +ohne Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner +bei dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere +vermutlich den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von +diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, dass sie schilderten +und erzaehlten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der +Poesie das epische entwickelten. + +Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel +ueber die Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem +lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie +gefehlt haben; es lag aber in den Verhaeltnissen, dass bei diesen +vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten aufgefuehrten und +gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht mehrere Taenzer oder auch +mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der Gesang eine gewisse +Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend einen +scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden +hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der +fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer +volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer +das Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel +und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war. + +Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und +Drama. Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von +selbst und wird zum Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig +von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit +waren dieselben vollstaendig verschollen. Die Komoedien aber, wenn man +den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch lange nachher +durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser Volkspoesie und +Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Mass, die musikalische +und chorische Begleitung und vielleicht die Masken. + +Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist +zweifelhaft; die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem +aeusserlich fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine +bewegte Rezitation. Dagegen begegnet in spaeterer Zeit eine uralte +Weise, das sogenannte saturnische ^3 oder faunische Mass, welches den +Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der aeltesten +latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit +spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung +geben. + +————————————————————— + +^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das “Liedermass”, insofern die +sătura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von +demselben Stamm ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter +Sāturnus benannt; sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art +Karneval, und es ist moeglich, dass die Possen urspruenglich +vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden. Aber Beweise einer Beziehung +der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich gehoert die +unmittelbare Verknuepfung des versus sāturnius mit dem Gott Saturnus +und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der +spaeteren Zeit an. + +————————————————————— + +Quod ré suá difeídens - ásperé afleícta + +Paréns timéns heíc vóvit - vóto hóc soúto + +Decumá factá poloúcta - leíbereís lubéntes + +Donú danúnt - Hércolei - máxsumé - méreto + +Semól te oránt se vóti - crébro cóndémnes + +Was, Missgeschick befuerchtend - schwer betroffnem Wohlstand, + +Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des Geloebnis eintraf, + +Zu Weih’ und Schmaus den Zehnten - bringen gern die Kinder + +Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten; + +Sie flehn zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest. + +In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder +gleichmaessig gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und +vermutlich so, dass namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf +angegeben ward, bei Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger +den Vers aufnahm. Es ist die saturnische Messung, wie jede andere im +roemischen und griechischen Altertum vorkommende, quantitativer Art, +aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl das am mindesten +durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen sich die +Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das +der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten +iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer +hoehere poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu +entwickeln. + +Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die +ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns +verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird +als einem kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen, +urspruenglich, wie der Name zeigt, aus einem leichten +Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen Instrument. + +Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen +Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco +der Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus - Masken, die +man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und +dem Dottore der italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass +diese Masken bereits der aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren, +laesst sich natuerlich nicht eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch +der Gesichtsmasken in Latium fuer die Volksbuehne von unvordenklichem +Alter ist, waehrend die griechische Buehne in Rom erst ein Jahrhundert +nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da jene +Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da +endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele +ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal +zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken +an die Anfaenge des roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie +als diese Anfaenge selbst betrachten duerfen. + +Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von +Latium spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger +wissen ueber die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen +her zuteil wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der +auslaendischen, namentlich der griechischen Sprache hierher gezaehlt +werden, welche letztere den Latinern natuerlich im allgemeinen fremd +war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen +Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten +gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der +Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und +Schreibens. Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der +Kunde fremder Sprachen noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; +wichtiger als jene Mitteilungen wurden fuer die Entwicklung Latiums die +musischen Elemente, die sie bereits in fruehester Zeit von den Hellenen +empfingen. Denn lediglich die Hellenen und weder Phoeniker noch +Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine Einwirkung +auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine +musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es +darf wohl ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard- +und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt +werden ^4. Griechische Befruchtung aber blieb nicht aus. Die +griechische siebensaitige Lyra, die “Saiten” (fides, von σφίδη Darm; +auch barbitus βάρβυτος) ist nicht, wie die Floete, in Latium +einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument +gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist +teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils +ihre Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der +Griechen bereits in dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die +bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus +auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch +die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des +Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in +Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele +in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche +Erzaehlungen von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich +aber und vor allem kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi +maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine spaetere +Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluss erhalten +haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund +eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum +gewoehnlich bei der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem +kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Goettern +ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und +Aventin abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplaetzen +versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach +den Abteilungen der Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die +Kaempfer und die frueher beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr +eigenen Musik; hierauf die Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern +und dem anderen heiligen Geraet; endlich die Bahren mit den +Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das Abbild des Krieges, +wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu Ross und zu +Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer Art +einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die abgesprungenen +Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer Fechtart mit +einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen die +Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich +miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung +der Wettkaempfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei +Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den +schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung, +ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte +also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen die Wettkaempfe an +diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen Karneval, wobei +denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet +haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel +Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die im +ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle; +der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der +erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den +Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte. + +—————————————————————————————- + +^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie +spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit +dem urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso +unvereinbar, wie es nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben +in Etrurien lernten. Dass das Studium der etruskischen Sprache damals +in Rom die Rolle gespielt habe wie etwa jetzt bei uns das +Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten heutigen Bekenner +des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen Haruspicin +etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten, +einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. +O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist +die Angabe von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der +Republik herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der +aelteren Annalen, welche zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner +Unterhaltung mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch lernen lassen +(Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es gab +allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine +gewisse Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern +erforderte. + +^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; +Cic. Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift +Orelli 2448, vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro +bei Nonius unter nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum +nicht weniger unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von +dem Verbot der Musik im Jahre 639 wurden nur der “latinische +Floetenspieler samt dem Saengern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, +und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. +1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, +30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was +Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf +Privatgastmaehler uebertragen. + +^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es +noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag +circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und +Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen +Spiele erst spaeter hinzugekommen sind. Dass in jeder Kampfgattung +urspruenglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn +spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig Wagenpaare +nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das +Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter +und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen +Zeiten in den roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, +als es sogenannte Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei +waren, die weisse und die rote. Das zu den circensischen gehoerende +Reiterspiel der patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward +bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knuepfte +es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) +gedenkt. + +————————————————————————————— + +Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die +uebrigen oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, +wenn auch in den Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der +oeffentlichen Leichenfeier traten regelmaessig Taenzer und daneben, +wenn mehr geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die +Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem +Begraebnis eingeladen ward. + +Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene +Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: +so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen +Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen +Uebungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros’ Zeugnis von Haus +aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen +bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut +wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier +nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes zuteil wird; +endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und +Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese +Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter +Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen +Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht die ueberwiegende +Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, +ist keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst +erst zu den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so +gut wie die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss +erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere +Belustigungsweise - der “Sprung” (triumpus, 1, 44) und etwa das in +Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in +Uebung gebliebene Schaukeln - mit den griechischen Rennen verbunden und +bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es +ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, +aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische +Stadion (dorisch σπάδιον) als spatium mit der gleichen Bedeutung in +sehr frueher Zeit in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt +sogar ein ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die +Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich +eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die +Roemer ausser den musikalischen und poetischen Anregungen auch den +fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu +verdanken. + +Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus +denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch +diese selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die +Elemente der Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als +der roemische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und +den Jagdspiess fuehren lernte und als in Rom jeder Gemeindebuerger +zugleich Soldat war; sondern es genoss die Tanzkunst von jeher +oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen Wettkaempfen +eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik +und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische +Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die +Maskenposse die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische +Einwirkung nicht. + +Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht +aufgingen oder verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der +latinischen Jugend blieb derb und tuechtig, aber fern von dem Gedanken +einer kuenstlerischen Ausbildung des Koerpers, wie die hellenische +Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen Wettkaempfe der Hellenen +veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber ihr Wesen. +Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne Zweifel +anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und +Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung +die erste Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, +so kamen die roemischen bald in die Haende von freigelassenen und +fremden, ja selbst von unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der +Umstand der Mitstreiter in ein Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des +Wettsiegers, den man mit Recht das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, +ist in Latium spaeterhin kaum die Rede. + +Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen +und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden +Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens +gruenen Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen +Sagenbildung kam es nicht. Die italischen Goetter sind Abstraktionen +gewesen und geblieben und haben nie zu rechter persoenlicher Gestaltung +sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die +Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne +Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in +sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in +der Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem +aber kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es +ist die tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor +allem der Poesie, dass sie die Schranken der buergerlichen Gemeinden +sprengen und aus den Staemmen ein Volk, aus den Voelkern eine Welt +erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur +die Gegensaetze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die +griechische Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum +hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. +Aber in Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba +und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, +was eher noch denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der +Art wie die Hesiodischen ‘Werke und Tage’. Es konnte wohl das +latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die +Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein +Sagenkreis anknuepfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede +Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin +wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere +geschah und Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst. + +Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen +Kuenste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das +bestaetigt, auch fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die +Anfaenge der Poesie eignen wohl ueberall mehr den Frauen als den +Maennern; Zaubergesang und Totenlied gehoeren vorzugsweise jenen und +nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und +die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas weiblich gefasst +worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die Sangfrau +abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen +nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache keine +Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier +unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die +Uebung musischer Kuenste hat sich hier frueh teils auf Frauen und +Kinder, teils auf zuenftige und unzuenftige Handwerker beschraenkt. +Dass die Klagelieder von den Frauen, die Tischlieder von den Knaben +gesungen wurden, ist schon erwaehnt worden; auch die religioesen +Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgefuehrt. Die Spielleute +bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die Klagefrauen (praeficae) +unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets +blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren, ehrenvolle +und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende +Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der +Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um +so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte und je +mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. +Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb +geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so +schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern +schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in Griechenland immer mehr +Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und +damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie +in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und indem sie +zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht +einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen +Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den +Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von +der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel +auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den +Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. +Diese haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem +Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden +Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen +Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor +der Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und +staatlichen Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der +gewichtige Ernst (gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter +des roemischen Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener +Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum bewusster Weisheit, die +ebenso einfach sind wie tief; aber ueber der Bewunderung, die sie +erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur durchgefuehrt +werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der +eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die +so reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen. + +———————————————————————- + +^7 Vates ist wohl zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der +Salier zu fassen sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch +dem griechischen προφήτης: es ist ein dem religioesen Ritual +angehoerendes Wort und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht +ward, immer den Nebenbegriff des gotterfuellten Saengers, des +Musenpriesters, behalten. + +——————————————————————— + +Ueber die Entwicklung der musischen Kuenste bei den Etruskern und +Sabellern mangelt uns so gut wie jede Kunde ^8. Es kann hoechstens +erwaehnt werden, dass auch in Etrurien die Taenzer (histri, histriones) +und die Floetenspieler (subulones) frueh und wahrscheinlich noch +frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein Gewerbe machten und nicht bloss +in der Heimat, sondern auch in Rom um geringen Lohn und keine Ehre sich +oeffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist es, dass an dem +etruskischen Nationalfest, welches die saemtlichen Zwoelfstaedte durch +einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des roemischen +Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage, +inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, ueber +den einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind +wir zu beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien +schon in frueherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen +Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen +Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem allgemeinen +Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden, Chaldaeern +und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell goettlicher Weisheit +angestaunt zu werden. + +Womoeglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus +natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie der der Nachbarstaemme +nachgestanden hat. Vielmehr laesst sich nach dem sonst bekannten +Charakter der drei Hauptstaemme vermuten, dass an kuenstlerischer +Begabung die Samniten den Hellenen am naechsten, die Etrusker ihnen am +fernsten gestanden haben moegen; und eine gewisse Bestaetigung dieser +Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die bedeutendsten und +eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie Naevius, Ennius, +Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehoeren, wogegen +Etrurien in der roemischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat +als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten +und worteverkraeuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das +rechte Ideal eines hoffaertigen und mattherzigen, der Poesie +beflissenen Jungen. + +Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes +Gemeingut der Staemme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es +ist dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem +spitzen Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen +Wohnraum, welcher durch die mit dem Regenloch im Boden +korrespondierende Deckenoeffnung (cavum aedium) den Rauch entlaesst und +das Licht einfuehrt. Unter dieser “schwarzen Decke” (atrium) werden die +Speisen bereitet und verzehrt; hier werden die Hausgoetter verehrt und +das Ehebett wie die Bahre aufgestellt; hier empfaengt der Mann die +Gaeste und sitzt die Frau spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus +hatte keinen Flur, insofern man nicht den unbedeckten Raum zwischen der +Haustuer und der Strasse dafuer nehmen will, welcher seinen Namen +vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause +im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga +umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den +Wohnraum herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten; +und an Treppen und aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken. + +———————————————————————— + +^8 Dass die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und +etruskischen, sondern der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner +Zeit gezeigt werden. + +———————————————————————- + +Ob und wieweit aus diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik +hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung +schon in der fruehesten Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die +etwa vorhandenen volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. +Schon die aelteste italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht +nicht viel weniger unter dem Einfluss der griechischen als die Tektonik +der augustischen Zeit. Die uralten Graeber von Caere und Alsium sowie +wahrscheinlich auch das aelteste unter den kuerzlich aufgedeckten +praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae +durch uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende und mit einem +grossen Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In +derselben Weise ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer +von Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das +Quellhaus (tullianum) am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten +Gebaeudes wegen die Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System +angelegten Tore gleichen sich voellig in Arpinum und in Mykenae. Der +Emissar des Albaner Sees hat die groesste Aehnlichkeit mit dem des +Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, +vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina haeufig vor +und gehoeren der Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken +Italiens, obwohl der groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich +erst viel spaeter, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der +Stadt aufgefuehrt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, +bald ganz roh aus grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen +eingeschobenen kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen +Lagen ^9, bald aus vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken +geschichtet; ueber die Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme +entschied in der Regel wohl das Material, wie denn in Rom, wo man in +aeltester Zeit nur aus Tuff baute, deswegen der Polygonalbau nicht +vorkommt. Die Analogie der beiden ersten einfacheren Arten mag man auf +die des Baustoffs und des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann +schwerlich fuer zufaellig gehalten werden, dass auch der kuenstliche +polygone Mauerbau und das Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden +und die unbeschildete rechte Seite des Angreifers den Verteidigern +blosslegenden Torweg den italischen Festungen ebensowohl wie den +griechischen eignet. Bedeutsame Winke liegen auch darin, dass in +demjenigen Teil Italiens, der von den Hellenen zwar nicht unterworfen, +aber doch mit ihnen in lebhaftem Verkehr war, der eigentliche polygone +Mauerbau landueblich war und er in Etrurien nur in Pyrgi und in den +nicht sehr weit davon entfernten Staedten Cosa und Saturnia begegnet; +da die Anlage der Mauer von Pyrgi, zumal bei dem bedeutsamen Namen +(“Tuerme”), wohl ebenso sicher den Griechen zugeschrieben werden kann +wie die der Mauern von Tirynth, so steht hoechst wahrscheinlich in +ihnen noch uns eines der Muster vor Augen, an denen die Italiker den +Mauerbau lernten. Der Tempel endlich, der in der Kaiserzeit der +tuscanische hiess und als eine den verschiedenen griechischen +Tempelbauten koordinierte Stilgattung betrachtet ward, ist sowohl im +ganzen eben wie der griechische ein gewoehnlich viereckiger ummauerter +Raum (cella), ueber welchem Waende und Saeulen das schraege Dach +schwebend emportragen, als auch im einzelnen, vor allem in der Saeule +selbst und ihrem architektonischen Detail, voellig abhaengig von dem +griechischen Schema. Es ist nach allem diesem wahrscheinlich wie auch +an sich glaublich, dass die italische Baukunst vor der Beruehrung mit +den Hellenen sich auf Holzhuetten, Verhacke und Erd- und +Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die Steinkonstruktion erst +in Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der +Griechen. Kaum zu bezweifeln ist es, dass die Italiker erst von diesen +den Gebrauch des Eisens kennenlernten und von ihnen die +Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von χάλιξ), die Maschine (machina +μηχανή), das Richtmass (groma, verdorben aus γνώμων γνώμα) und den +kuenstlichen Verschluss (clatri κλήθρον) ueberkamen. Demnach kann von +einer eigentuemlich italischen Architektur kaum gesprochen werden. Doch +mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses neben den durch +griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen manches +Eigentuemliche festgehalten oder auch erst entwickelt worden sein und +dies dann wieder auf den Bau der italischen Goetterhaeuser +zurueckgewirkt haben. Die architektonische Entwicklung des Hauses aber +ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner und selbst der +Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der guten +alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, +sondern nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon +begonnen hatte, das Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem +Muster des menschlichen Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und dem +Geist ein Grabgemach zu errichten. Dass man in Latium zu solchen +Luxusbauten erst unter etruskischem Einfluss vorschritt, beweist die +Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des aeltesten Hausbaustils als +tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser Uebertragung anlangt, so +ahmt der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen Umrisse des +Zeltes oder des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern +gebaut und mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den +gebrannten Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die +Gesetze der Notwendigkeit und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker +dagegen blieb der scharfe griechische Gegensatz zwischen der von Holz +hergerichteten Menschen- und der steinernen Goetterwohnung fremd; die +Eigentuemlichkeiten des tuscanischen Tempels: der mehr dem Quadrat sich +naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die groessere Weite der +Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die gesteigerte +Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber die +tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des +Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues +hervor. + +————————————————————————————- + +^9 Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils +aus einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier +Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am +Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore +die natuerliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach +aussen durch eine aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen +Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen +Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog sich vor dem +Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die +Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind in +neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen. Die +Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen, +durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, +waehrend die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und +ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den +Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet. + +Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des +Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament +gewaltiger Tuffbloecke von drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf +welchem dann aus Bloecken von demselben Material und derselben Groesse, +wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Aussenmauer sich erhob. +Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der oberen Flaeche +eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem. Fuss, +die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine +Breite bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die +Stuecke aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden +sind, sind erst bei spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen. + +Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner +am Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des +Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom +im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer +Ueberreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind. + +^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum. + +——————————————————————————- + +Die bildenden und zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; +das Haus muss erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende +zu schmuecken. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in +Italien schon waehrend der roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme +gekommen sind; nur in Etrurien, wo Handel und Seeraub frueh grosse +Reichtuemer konzentrierten, wird die Kunst oder, wenn man lieber will, +das Handwerk in fruehester Zeit Fuss gefasst haben. Die griechische +Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, wie ihr Abbild beweist, +noch auf einer sehr primitiven Stufe und es moegen wohl die Etrusker in +nicht viel spaeterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in Ton und +Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von +ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben +die Silbermuenzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger +Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen +hohen Begriff; doch moegen von den etruskischen Bronzewerken, welche +die spaeteren Kunstkenner so hoch stellten, die besten eben dieser +Urzeit angehoert haben, und auch die etruskischen Terrakotten koennen +nicht ganz gering gewesen sein, da die aeltesten in den roemischen +Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, die Bildsaeule des +kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem Dache, in Veii +bestellt worden waren und die grossen derartigen Aufsaetze auf den +Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern als “tuscanische +Werke” gingen. + +Dagegen war bei den Italikern, nicht bloss bei den sabellischen +Staemmen, sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und +Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten +Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu sein. Der +angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht; dass in +Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene +Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in +Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das +Bild der Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem +Aventin, welches als das aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich +genau dem massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht +in Elea oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter +Zeit in Rom vorhandenen Zuenfte der Toepfer, Kupfer- und Goldschmiede, +welche das Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst +beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich, +eine konkrete Vorstellung zu gewinnen. + +Versuchen wir aus den Archiven aeltester Kunstueberlieferung und +Kunstuebung geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunaechst +offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie italisches Mass und +italische Schrift nicht unter phoenikischem, sondern ausschliesslich +unter hellenischem Einfluss sich entwickelt hat. Es ist nicht eine +einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in der +altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und insofern +hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten +Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien +zurueckfuehrt auf die drei griechischen Kuenstler: den “Bildner”, +“Ordner” und “Zeichner”, Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr +als zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und +zunaechst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung +orientalischer Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer +selbstaendig entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen +Steinschneider an der urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder +Skarabaeenform festhielten, so sind doch auch die Skarabaeen in +Griechenland in sehr frueher Zeit nachgeschnitten worden, wie denn ein +solcher Kaeferstein mit sehr alter griechischer Inschrift sich in +Aegina gefunden hat, und koennen also den Etruskern recht wohl durch +die Griechen zugekommen sein. Von dem Phoeniker mochte man kaufen; man +lernte nur von dem Griechen. + +———————————————————————————— + +^11 Wenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die +Roemer mehr als 170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so +denkt er offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der +konventionellen Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der +Stadt dediziert und ohne Zweifel das erste Goetterbild war, dessen +Weihung die dem Varro vorliegenden Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, +230. + +——————————————————————————— + +Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die +Kunstmuster zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische +Antwort nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen +der etruskischen und der aeltesten attischen Kunst. Die drei +Kunstformen, die in Etrurien wenigstens spaeterhin in grosser, in +Griechenland nur in sehr beschraenkter Ausdehnung geuebt worden sind, +die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind +bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet +worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch +dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem +um die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines +besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische +Stil dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element +durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage +unter allen griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium +mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen +Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst +versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch fuer +die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit +angenommen werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen wie +im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; +und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis +widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die +aeltere etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen +Staemmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische Bau- +und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der +westlicheren italischen Staemme nahegetreten. + +Wenn aber endlich ueber die Kunstbegabung der verschiedenen italischen +Nationen ein Urteil gefaellt werden soll, so ist schon hier +ersichtlich, was freilich in den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte +noch bei weitem deutlicher hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher +zur Kunstuebung gelangt sind und massenhafter und reicher gearbeitet +haben, dagegen ihre Werke hinter den latinischen und sabellischen an +Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit nicht minder wie an Geist und +Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich dies allerdings fuer jetzt nur +noch in der Architektur. Der ebenso zweckmaessige wie schoene polygone +Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland haeufig, in +Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen +Bloecken geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich +merkwuerdigen religioesen Hervorhebung des Bogens und der Bruecke in +Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge der spaeteren roemischen +Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen zu erkennen. Dagegen haben +die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, aber auch +verdorben, indem sie die fuer den Steinbau festgestellten Gesetze nicht +durchaus geschickt auf den Holzbau uebertrugen und durch das tief +hinabgehende Dach und die weiten Saeulenzwischenraeume ihrem +Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu reden, “ein breites, +niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen” gegeben haben. Die +Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen Kunst nur sehr +weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial gefunden, aber +was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich angeeignet und in +der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre Lehrmeister +uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwuerdiges Zeugnis +handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig festgehaltener +Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur +genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben mag, so gut wie man +laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus der etruskischen +abzuleiten, wird man sich auch noch entschliessen muessen, in der +Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der ersten in die +letzte Stelle zu versetzen. + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1 by Theodor Mommsen + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + +***** This file should be named 3060-0.txt or 3060-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/0/6/3060/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/3060-0.zip b/3060-0.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..412aac5 --- /dev/null +++ b/3060-0.zip diff --git a/3060-h.zip b/3060-h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c13894e --- /dev/null +++ b/3060-h.zip diff --git a/3060-h/3060-h.htm b/3060-h/3060-h.htm new file mode 100644 index 0000000..62bf5ab --- /dev/null +++ b/3060-h/3060-h.htm @@ -0,0 +1,10666 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" +"http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> +<head> +<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8" /> +<meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> +<title>Römische Geschichte Book 1, by Theodor Mommsen</title> + +<style type="text/css"> + +body { margin-left: 20%; + margin-right: 20%; + text-align: justify; } + +h1, h2, h3, h4, h5 {text-align: center; font-style: normal; font-weight: +normal; line-height: 1.5; margin-top: .5em; margin-bottom: .5em;} + +h1 {font-size: 300%; + margin-top: 0.6em; + margin-bottom: 0.6em; + letter-spacing: 0.12em; + word-spacing: 0.2em; + text-indent: 0em;} +h2 {font-size: 150%; margin-top: 2em; margin-bottom: 1em;} +h3 {font-size: 150%; margin-top: 2em;} +h4 {font-size: 120%;} +h5 {font-size: 110%;} + +hr {width: 80%; margin-top: 2em; margin-bottom: 2em;} + +div.chapter {page-break-before: always; margin-top: 4em;} + +p {text-indent: 1em; + margin-top: 0.25em; + margin-bottom: 0.25em; } + +.p2 {margin-top: 2em;} + +p.poem {text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + font-size: 90%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.letter {text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.noindent {text-indent: 0% } + +p.center {text-align: center; + text-indent: 0em; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.right {text-align: right; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +p.footnote {font-size: 90%; + text-indent: 0%; + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em; } + +sup { vertical-align: top; font-size: 0.6em; } + +div.fig { display:block; + margin:0 auto; + text-align:center; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 1em;} + +a:link {color:blue; text-decoration:none} +a:visited {color:blue; text-decoration:none} +a:hover {color:red} + +</style> + +</head> + +<body> + +<pre> +The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1, by Theodor Mommsen + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Römische Geschichte Book 1 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3060] +[Most recently updated: January 15, 2020] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + + + + + + + + + + + +</pre> + + +<h1>Römische Geschichte </h1> + +<h4>Erstes Buch<br/> +Bis zur Abschaffung des römischen Königtums +</h4> + +<h2>von Theodor Mommsen</h2> + +<hr /> + +<p> +The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some +(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a +modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek +words, nor is there any differentiation between the different accents of +ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. +</p> + + +<h2>Contents</h2> + +<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto"> + +<tr> +<td> <a href="#pref01">Vorrede zu der zweiten Auflage</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#pref02">Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage</a><br/><br/></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#part01"><b>Erstes Buch—Bis zur Abschaffung des römischen Königtums</b></a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap01">Kapitel I. Einleitung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap02">Kapitel II. Die ältesten Einwanderungen in Italien</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap03">Kapitel III. Die Ansiedelungen der Latiner</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap04">Kapitel IV. Die Anfänge Roms</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap05">Kapitel V. Die ursprüngliche Verfassung Roms</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap06">Kapitel VI. Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap07">Kapitel VII. Roms Hegemonie in Latium</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap08">Kapitel VIII. Die umbrisch-sabellischen Stämme. +Anfänge der Samniten</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap09">Kapitel IX. Die Etrusker</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap10">Kapitel X. Die Hellenen in Italien. +Seeherrschaft der Tusker und Karthager</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap11">Kapitel XI. Recht und Gericht</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap12">Kapitel XII. Religion</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap13">Kapitel XIII. Ackerbau, Gewerbe und Verkehr</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap14">Kapitel XIV. Mass und Schrift</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap15">Kapitel XV. Die Kunst</a></td> +</tr> + +</table> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="pref01"></a>Vorrede zu der zweiten Auflage</h2> + +<p> +Die neue Auflage der ‘Roemischen Geschichte’ weicht von der +frueheren betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten +Buechern, welche die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. +Wo die pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich +selbst Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die +Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit- +und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der Art, +dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. Obwohl der +Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten der Forschung und +der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte, +so blieb dennoch notwendig, hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese +Auflage ist eine Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die +staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der +dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden. +Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung +durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung klarer und +uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten Buche die inneren +Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht, +wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit +wie die Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt +worden. +</p> + +<p> +Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu +loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen +wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der Verfasser +es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht jene leicht +ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr +wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es +abgeschlossen und fertig war. +</p> + +<p> +Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich +bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte +beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor +Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der Stadt +dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt +worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen +Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt +werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des +Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten +Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das +roemische und griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden, +dass Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und +fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu +100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde +gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000 +Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304½ Talern +preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird. +Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische +Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag. +Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. Ein +alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben werden **, +da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so +rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern. +</p> + +<p> +——————- +</p> + +<p> +* Hier in Klammern im Text. +</p> + +<p> +** Karte und Register sind hier weggelassen. +</p> + +<p> +——————- +</p> + +<p> +Breslau, im November 1856 +</p> + +<p> +Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande dieses +Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst gewesen ist, sind +zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu aufgefundenen Fragmenten des +Licinianus, welche er durch die zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, +Herrn Karl Pertz, bereits vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat +einsehen duerfen und die zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der +Schlacht bei Pydna bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige +Ergaenzung, freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben. +</p> + +<p> +Breslau, im Mai 1857 +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="pref02"></a>Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage<br/> +Einleitung</h2> + +<p> +Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird +man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden. +Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, wie +das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue Auflagen jede +inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu +wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen +der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als versehen +oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu einer +Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung dargeboten. Eine +Ausfuehrung ueber die Grundlagen der roemischen Chronologie im vierzehnten +Kapitel des dritten Buches ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe +angemessener Weise in einer besonderen Schrift (‘Die roemische +Chronologie bis auf Caesar’. Zweite Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und +deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung der Ergebnisse von allgemein +geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die +Einrichtung nicht veraendert. +</p> + +<p> +Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am 4. +August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober 1902. +</p> + +<p class="center"> +Meinem Freunde<br/> +Moritz Haupt<br/> +In Berlin +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="part01"></a>Erstes Buch<br/> +Bis zur Abschaffung des römischen Königtums +</h2> + +<p class="letter"> +Τά παλαίστερα σαφώς μέν ευρείν διά χρόνου πλήθος αδύνατα ήν. Εκ δέ τεκμηρίων ων +επί μακρότατον σκοπούντί μοι πιστεύσαι ξυμβαίνει ου μεγάλα νομίζω γενέσθαι, +ούτε κατά τούς πολέμους οίτε ες τά άλλα. +</p> + +<p class="letter"> +Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht genau +erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im grossen +Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht erheblich waren, +weder in bezug auf die Kriege noch sonst. +</p> + +<p class="right"> +Thukydides +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/> +Einleitung</h2> + +<p> +Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die +Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder +vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in betraechtlicher Breite +ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in +alten Zeiten Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und +sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein +Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die +Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner +des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien an uns +vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen Stammes an dem +suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen Nation, die die +Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und +Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und +der Italiker, welche die europaeischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu +ihrem Erbteil empfingen. Wohl knuepft jede dieser Geschichten an ihren +Anfaengen an andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt +bald ihren eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch +stammverwandten Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber +und Neger Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und +Deutschen Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach +sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen +gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt Kulturkreise sich +abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit gelten, dessen Hoehepunkt +die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier +Nationen, nachdem jede von ihnen auf eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und +grossartigen Zivilisation gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung +zueinander alle Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und +entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue Voelkerschaften, die +bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand +umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer ergossen und, indem sie die Suedkueste +geschichtlich trennten von der noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation +verlegten vom Mittelmeer an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte +Geschichte von der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die +neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen +Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl anschliesst an +die untergehende oder untergegangene Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie +diese an die aelteste indogermanische, aber auch wie diese bestimmt ist, eine +eigene Bahn zu durchmessen und Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu +erproben: die Epochen der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die +beglueckende Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen +Genuss erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst +das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des erreichten +Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein; das grossartigste +Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie erfuellen, nimmer aber +das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am Ziele zu stehen scheint, die +alte Aufgabe auf weiterem Felde und in hoeherem Sinne neu gestellt wird. +</p> + +<p> +Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen +weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den +drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer +erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach +Sueden sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunaechst in +suedoestlicher Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen +oestlichen Busen des Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine +hoechste, kaum indes zu der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in +den Abruzzen erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in +suedlicher Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach +einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in einen +flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug und schliesst +dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln ab. Das noerdlich +zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab sich ausbreitende +Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete Zeit auch historisch +nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, demjenigen Italien, dessen +Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im siebenten Jahrhundert Roms wurde das +Kuestenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten das Potal Italien +einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern +der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern +breit durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene +Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen eine wohl +geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von dem oestlich, +suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und Kuestenland. Zwar an +der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von dem Bergstock der Abruzzen +geschlossen und nur von dem steilen Ruecken des Garganus inselartig +unterbrochen, die apulische Ebene in einfoermiger Flaeche mit schwach +entwickelter Kuesten- und Strombildung aus. An der Suedkueste aber zwischen den +beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere +Huegelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich +und fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden +Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst +zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und +Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium +und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von Kampanien das +Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem +Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der +Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und +groesste des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, +vor allem im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, +grossenteils vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die +sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen “Riss” (Ρήγιον) der +Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich +Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der +Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben Staemme und der +gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung. Die italische Halbinsel teilt +mit der griechischen die gemaessigte Temperatur und die gesunde Luft auf den +maessig hohen Bergen und im ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der +Kuestenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, +das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem +Nachbarn ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und +kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf. +Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit des Menschen +anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen in die Ferne, dem +ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber +wenn die griechische Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische +nach Westen. Wie das epirotische und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind +die apulischen und messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter +Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche +Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien, +Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und +fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das +unbewaffnete Auge von Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben +Italiker und Hellenen sich doch frueher und enger auf jeder andern Strasse +beruehrt als auf der naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie +so oft in den Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker +vorgezeichnet: die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten +Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der +andere nach Westen. +</p> + +<p> +Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht die +Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde +von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien, dann ueber die Welt +gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs +behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer +zu nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten +Stammes der Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur +ein Zweig sind. +</p> + +<p> +Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die innere +Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung des +latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir +werden also darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der +Halbinsel; die Gefaehrdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine +teilweise Unterjochung durch Voelker anderer Herkunft und aelterer +Zivilisation, durch Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen +die Fremdlinge und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der +beiden italischen Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie +auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor +Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der +beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen die Punischen +Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an +und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen +Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im +dritten und den folgenden Buechern erzaehlt werden. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/> +Die ältesten Einwanderungen in Italien</h2> + +<p> +Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten Einwanderung des +Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im Altertum der Glaube allgemein, +dass dort wie ueberall die erste Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. +Indes die Entscheidung ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren +genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem +Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch wichtig +festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines Landes daselbst +autochthon oder selbst schon eingewandert ist. +</p> + +<p> +Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung +in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen zu +der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder kulturfaehigen oder +auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher stehende Nationen soweit +moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend arm an +Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in einem +bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den Ergebnissen der +deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England, Frankreich, +Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische Staemme hier sich +ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr +gestreift haben, das von Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton +oder Knochen verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des +Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise +ging in Indien der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige +Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten +Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die +schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt +die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie sie +die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten der +sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist +bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in +Italien die Existenz des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des +Ackers und das Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen +Italiens das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden +hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede +Spur schlechterdings ausgeloescht. +</p> + +<p> +Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die Staemme. +Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von +den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den +Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich +bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, +deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens +auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet nicht +nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her erfahren hat; +diese sind es, deren nationale Individualitaet die Forschung zunaechst +festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der +Voelkernamen und der zerruetteten, angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, +welche aus wenigen brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse +meistens geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer +Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die +Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer uns eine +Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, aber doch +authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien +seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst +geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die +nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen +Sprachen auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen +hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die +Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den +einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. +</p> + +<p> +So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme unterscheiden, den +iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, +von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom +und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten +angehoeren. +</p> + +<p> +Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten Suedosten +Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind Inschriften in +einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden +worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms der Iapyger, welche auch die +Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen +Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren +dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch in +Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um +dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um +positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der +Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht +entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird. Dass +der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen +aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen οιο +anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten +Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen +iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in einer +gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer +vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den Hellenen +findet weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften mehrfach +hervortretenden griechischen Goetternamen und in der auffallenden, von der +Sproedigkeit der uebrigen italischen Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, +mit der die Iapyger sich hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos’ +Zeit (400 Roms, [350]) als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im +sechsten Jahrhundert der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung +von Griechenland aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische +Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich +vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen Stamm- +oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber doch keineswegs +so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen rohen Dialekt des +Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen +bleiben muessen, bis ein schaerferes und besser gesichertes Ergebnis zu +erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes nicht sehr empfindlich; denn nur +weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn unserer Geschichte +schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht +in andere Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation +passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich +gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen +Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten Wanderungen +der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen +Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und deshalb noch +in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. Kamen aber die frueheren +Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der +Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung +wagen, dass die am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten +Bewohner Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem suedoestlichen +Saume begegnen wir der iapygischen Nation. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie θeotoras +artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. +</p> + +<p> +^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache +von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine +Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen albanesischen +angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich bestaetigen und sollten +anderseits die Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen +und italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener +hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz Griechenland und +namentlich in den noerdlichen Landschaften hervortreten, so wuerde diese +vorhellenische Nationalitaet damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; +Einwanderung der Iapyger in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde +daraus zunaechst noch nicht folgen. +</p> + +<p> +————————————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung +zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen desselben +Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit groesserer +Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der iapygischen Nation der Fall war. +Wir duerfen dies Volk billig das italische heissen, da auf ihm die +geschichtliche Bedeutung der Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden +Staemme der Latiner einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen +Auslaeufern, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von +den Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen +Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied sind in +der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in der sie eine +Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im Lautsystem erscheint +bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie uebereinstimmen mit den +Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen hellenischen und +hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit selbst. Die Aspiraten dagegen, +die von den Griechen durchaus und die haerteren davon auch von den Etruskern +festgehalten werden, sind den Italikern urspruenglich fremd und werden bei +ihnen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es +durch den Hauch allein f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die +Griechen soweit moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig +beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das +Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der +Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den +Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als diese +angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen ist sicher +nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern spaetere +Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich schwaecher auch in Rom +geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im +Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; die schliessenden Konsonanten sind +dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zaehigkeit +festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch diese fallen laesst. Damit +haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den italischen Sprachen nur +geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch +Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste +Teil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet +wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung den +Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die italischen +Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, haben sie den +Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, grossenteils auch den +Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint Anstoss daran genommen +zu haben, den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und der Vielheit zu +spalten, waehrend man die in den Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen +mit grosser Schaerfe festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit +fremd ist die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo +durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter. +</p> + +<p> +Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele +genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen +indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich sprachlich +wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; der Grieche und +der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und der Slave ihnen Vettern. +Die wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen Dialekte und +Staemme unter sich muss frueh und klar den beiden grossen Nationen selbst +aufgegangen sein; denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes Wort +raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet, +und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Οπικός, die von allen, den +Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht +aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird. +</p> + +<p> +Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in +einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings +sind von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische +Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter und +schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die einen, wie der +volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie +in ihrer Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit +Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der +sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im +provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst +die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen +Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des +grossen italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem +lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch wieder +von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig +sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach - so pis fuer quis; +ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem +Keltischen in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen +ist. In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt +den noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen +Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der +Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal +abschwaecht, was nicht geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv +der Woerter auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der +ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, im +Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen im +Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern italischen +Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im +Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den +Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete +Futur nach griechischer Art (her-est wie λέγ-σω) bei den Roemern fast, +vielleicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen +Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser +Faelle, zum Beispiel in den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur +vorhanden fuer die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge +zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen +selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische Mundart zu +der umbrisch-samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich +die Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten +Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und in +Sparta. +</p> + +<p> +Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen +Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, +dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein +Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich +in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese +wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in +Umbrer und Osker auseinander gingen. +</p> + +<p> +Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht +lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen +ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen +Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die +Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig und +vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand, +als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge +der Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der +Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das +treue Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen technischen und +sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen +Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus +welchen alle unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist. +</p> + +<p> +Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen +Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem +angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell +festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der gegebenen +Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem Wortschatz nicht +bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der Taetigkeiten, der +Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den urspruenglichen Widerhall des +Eindrucks, den die Aussenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch +eine Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer +gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen +Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung +erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des +Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten Namen der +zahmen Tiere: sanskritisch gâus ist lateinisch bos, griechisch βούς; +sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch όις; sanskritisch açvas, +lateinisch equus, griechisch ίππος; sanskritisch hansas, lateinisch anser, +griechisch χήν; sanskritisch âtis, griechisch νήσσα, lateinisch anas; ebenso +sind pecus, sus, porcus, taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in +dieser fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf +unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten +Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, ueberschritten und +war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der Wohnsitze gelangt. Dagegen +fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen dafuer, dass schon damals der Acker +gebaut worden ist. Die Sprache spricht eher dagegen als dafuer. Unter den +lateinisch-griechischen Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit +einziger Ausnahme von ζέα, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, +uebrigens im Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es +muss nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen +Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende +Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche +Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in primitiven +Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung der Pflanzen +schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, der Weizen- und +Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und Haferbau der Germanen und +Kelten koennten an sich wohl alle auf einen gemeinschaftlichen urspruenglichen +Feldbau zurueckgehen. Aber auf der andern Seite ist die den Griechen und Indern +gemeinschaftliche Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, +dass man vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden +Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man +schon Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung +ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl der +wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, aber +durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei den Indern +ueberhaupt Flur, kûrnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas +das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind +uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das zu +mahlende Getreide (granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden furcht wie +das Schiff die Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war +bei der aeltesten Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch +nicht wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen +und zum Beispiel von dem sanskritischen kûrnu sowohl das zum Zerreiben +bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch +girnôs ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen, +dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss, +dass, wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine durchaus +untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon gewesen, was er +spaeter den Griechen und Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich +eingepraegt, als es geschehen ist. +</p> + +<p> +Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen sanskritisch +dam(as), lateinisch domus, griechisch δόμος; sanskritisch vêças, lateinisch +vicus, griechisch οίκος; sanskritisch dvaras, lateinisch fores, griechisch +θύρα; ferner fuer den Bau von Ruderbooten die Namen des Nachens - sanskritisch +nâus, griechisch ναύς, lateinisch navis - und des Ruders - sanskritisch +aritram, griechisch ερετμός, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch +der Wagen und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch +akshas (Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch άξων, αμ-αξα; +sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch ζυγόν. Auch die Benennungen +des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch εςθής - und +des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, lateinisch suo; sanskritisch nah, +lateinisch neo, griechisch νήθω - sind in allen indogermanischen Sprachen die +gleichen. Von der hoeheren Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in +gleicher Weise sich sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung +des Feuers zur Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes +Erbgut der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der +Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen verwandten +Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), vielleicht auch vom +Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese Namen sind doch schwerlich +entstanden, bevor man gelernt hatte, die Erze zu scheiden und zu verwenden; wie +denn auch sanskritisch asis, lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch +metallener Waffen hinleitet. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste, +Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Géographie botanique +raisonnée. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen in +Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische Geschichtschreiber +Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.). +</p> + +<p> +^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben +und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und Italiker +sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, und kann diese +erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten unabhaengig voneinander, +in die des Webens uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er ist, reicht +nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die Flachspflanze wohl, +bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist +den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens +sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen +die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die +Stellung von Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum +des Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie +ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche +Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die +positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und +Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und +Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert ueberall +einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft und der Religion +zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft. +</p> + +<p> +Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch çatam, ékaçatam, lateinisch +centum, griechisch ε-κατόν, gotisch hund); der Mond heisst in allen Sprachen +davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie der Begriff der Gottheit +selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, griechisch θεός) gehoeren zum +gemeinen Gut der Voelker auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und +Naturbilder. Die Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde +als der Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen auf +sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die schattenhafte +Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen wie der +griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter vom +Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf die Namen +ueberein - so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der Zeus, Jovis +pater, Diespiter der Djâus pitâ der Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der +hellenischen Mythologie ist durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere +indische Goetterlehre ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen +geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern +schon mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche +Windspiel Saramâ, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und +Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden Regenwolken +zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten treulich in die Welt +der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn der Saramâ, dem Saramêyas +oder Hermeias geworden, und die raetselhafte, ohne Zweifel auch mit der +roemischen Cacussage zusammenhaengende hellenische Erzaehlung von dem Raub der +Rinder des Helios erscheint nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener +alten sinnvollen Naturphantasie. +</p> + +<p> +Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der +Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten +Welt angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der italischen Geschichte, +zu ermitteln, soweit es moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische +Nation sich befand, als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist +dies keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der +italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte. +</p> + +<p> +Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich ein +Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die +Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk waren. +Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen +noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein +geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der +chinesischen, aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede +gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen entweder +stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch +keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie +heutzutage die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn +die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten +Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf +Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen +wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig. +Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der Streitwagen, des +Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet weit oefter einen Schluss +auf alten Voelkerverkehr als auf urspruengliche Volkseinheit. Aber was die +Griechen und Italiker anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten +Beziehungen dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, +wie Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als +voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten +Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller +aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager αγρός, aro aratrum αρόω άροτρον, +ligo neben λαχαίνω, hortus χόρτος, hordeum κριθή, milium μελίνη, rapa ραφανίς, +malva μαλάχη, vinum οίνος, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und +italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf altattischen und +roemischen Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten +Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu +schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu +lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls πόλτος, pinso πτίσσω, +mola μύλη, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch deshalb im +roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder Brei gebraucht. Dass +auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste griechische Einwanderung +hinausgeht, dafuer spricht die Benennung “Weinland” (Οινοτρία), die +bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach +muss der Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die +Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, +nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber +bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens +scheinen, als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter +sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu einem +Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die +wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der +indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den +keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen +gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem +wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange +nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und +Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung der Sprachen in dieser Beziehung +hat kaum begonnen, und auch die Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre +Darstellung der Urzeit vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, +vielmehr dem groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss +es darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur +der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der +Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch ungetrennt zusammenlebten; +die Unterscheidung der den asiatischen Gliedern dieser Familie fremden, den +europaeischen aber gemeinsamen Kulturresultate von denjenigen, welche die +einzelnen Gruppen dieser letzteren, wie die griechisch-italische, die +deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf +jeden Fall erst nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen +Untersuchungen gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die +graecoitalische, wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern +des Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein +geblieben. Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet +anstatt der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im +geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta oder Εστία, +fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden Nationen von Haus +aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen Stammsagen legt dem Koenig +Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben muessen, Vitalus oder Vitulus, +die Ueberfuehrung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft +sinnig die urspruengliche italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung +davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den +Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk +bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter +(Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen +Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk +auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den Italikern wie +bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen, +mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, +arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben +hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch +malunas, keltisch malirr. +</p> + +<p> +Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen, dass es +eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen nur von der +Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in +Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht +dies nicht darauf, dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er +anfaenglich nach dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies +versteht es sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung +der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet +mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, als +dies spaeter der Fall war. +</p> + +<p> +^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die +aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung +setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die +Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach, +Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in +Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten +griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber “Ernte” +heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt +ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der +Stadtgruendung ist bekannt. +</p> + +<p> +————————————————————————————- +</p> + +<p> +Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die +Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie denn das +Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben nicht gedacht +werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte +entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist +dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und +zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach Westen, +in deren Schneidepunkt (templum, τέμενος von τέμνω) er steht, alsdann in +gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch +eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle +(termini, in sizilischen Inschriften τέρμονες, gewoehnlich όροι) bezeichnen. +Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen +Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr +alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich +ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern, +sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist +erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, +wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess, +sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss. +</p> + +<p> +Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten der +aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge Verwandtschaft der +Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische Haus, wie Homer es +schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das in Italien bestaendig +festgehalten ward; das wesentliche Stueck und urspruenglich der ganze innere +Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heisst das schwarze Gemach +mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd, und nichts +anderes ist auch das homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und +schwarzberusster Decke. Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der +Rudernachen ist altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu +Segelschiffen aber gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es +keine nicht allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und +Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte +italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, deren +Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, von +Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin trafen die +aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass sie nicht, wie es +spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank liegend, sondern sitzend +die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch Reiben zweier verschiedenartiger +Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen +und Italiker zusammen in den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des +“Reibers” (τρύπανον, terebra) und der “Unterlage” +(στόρευς εσχάρα, tabula, wohl von tendere, τέταμαι). Ebenso ist die Kleidung +beider Voelker wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht voellig dem +Chiton, und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem +so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass +die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in +den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich sich ausspricht ^7 +und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten Fechtweise +angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte +zurueck auf dieselben Elemente alles, was die materiellen Grundlagen der +menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die Erde an den +Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch eine Nation +ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden. +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte +aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit λόγχη +zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen +oder Spaniern entlehnt. +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit +sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu +leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters +Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die +Charaktere der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der +graecoitalischen Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche +diesen innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen +und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren +Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, +Religion und Kunst sind in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so +durchaus national entwickelt worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf +der auch hier beide Voelker fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern +Augen fast ganz entzogen ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das +Ganze, der Gemeinde die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen +Lebensideal das schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang +war, dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen +Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen +Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst die +Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die Glieder +entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in aller seiner +Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn gab; und jenes +roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Buerger in die +Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte, das nichts +forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger zwang, jeden +Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche +Verhuellung des Koerpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders +sein wollte als die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat +alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe +Gedanke - wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren +auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide vorbereitete +und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen Schleier lueften zu +wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, die Anfaenge der +italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine aeltere Periode zu +bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu leihen, aber +die Richtung zu weisen. +</p> + +<p> +Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in +Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehoert +hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ^8, +welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet +und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises +die Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. +Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose +Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den +Griechen fremd und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in +Italien sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde +die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei +lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen +ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche und +rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe als ein +gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der +Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder +abgeschlossenen” (γάμος επί παίδων γνησίων αρότω - matrimonium liberorum +quaerendorum causa). +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen +desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen wie den +Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in der schwaecheren +politischen Entwicklung Griechenlands der Geschlechtsverband als korporative +Macht dem Staat gegenueber sich noch weit in die historische Zeit hinein +behauptet hat, erscheint der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm +gegenueber die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die +Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger darstellt. +Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht gegenueber in Griechenland +weit frueher und vollstaendiger zur innerlichen Freiheit und eigenartigen +Entwicklung gediehen ist als in Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in +der bei beiden Voelkern durchaus verschiedenartigen Entwicklung der +urspruenglich doch gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt +der Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu, +waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre +Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. Aber +waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh verschwindet, +wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den Roemern, zum +Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das Praenomen, sich ihm +unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und immer mehr +zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders +der roemischen Individualnamen, verglichen mit der ueppigen und poetischen +Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde zeigen, wie dort die Nivellierung, +hier die freie Entwicklung der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag. +</p> + +<p> +Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer +die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen +wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die +Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. Die +“Gesetze des Koenigs Italus”, die noch in Aristoteles’ Zeiten +angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen +Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der Gemeinde, +Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des Stammhauptes, ein Rat +der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen Freien, eine gewisse Verfassung +muessen in denselben enthalten gewesen sein. Gericht (crimen, κρίνειν), Busse +(poena, ποινή), Wiedervergeltung (talio, ταλάω τλήναι) sind graecoitalische +Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die +Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern +und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die Grundgedanken +der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur zur Bestaetigung oder +Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an sie gebrachten Antraege befugte +Volksversammlung - sind kaum irgendwo so scharf ausgesprochen wie in +Aristoteles’ Bericht ueber die aeltere Verfassung von Kreta. Die Keime zu +groesseren Staatenbuenden in der staatlichen Verbruederung oder gar der +Verschmelzung mehrerer bisher selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) +sind gleichfalls beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der +Grundlagen hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als +dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit +erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs wie +die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. Wie verschieden +aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in Griechenland aufgebauten +Politien waren und wie vollstaendig der ganze Verlauf der politischen +Entwicklung jeder der beiden Nationen als Sondergut angehoert ^9, wird die +weitere Erzaehlung darzulegen haben. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen +ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass +die roemischen Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen, +und doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine +Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes +Spiel treibt, versteht sich von selbst. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem +Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter +Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen +der roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren +Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen +Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der +Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes (τέμενος, templum), in manchen +Opfern und Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig +ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so +vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur +weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder +missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den +Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die +graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte, +so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein +Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken +am Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der +Goetter die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass +es, dass die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer +einzelne Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten +bereiten und geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, +sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder +auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia; +und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald +in ihnen nichts sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene +Menschen und sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. +Wohl anders, aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des +italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form +ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel +aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet ist +Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und +Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der +Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist +zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der +maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem +Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem +nach seiner Art. Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der +Taetigkeit vergeistigt; so wird beispielsweise in der Fuerbitte fuer den +Landmann angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, +Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des +Oeffnens der Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere +physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise indes +die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die Ehrfurcht der +Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der Maennlichkeit und der +Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, +Dea bona oder, bei den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen +alles konkret und koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, +vollkommen durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten +Sagenschatz der Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten +der Begriff noch zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger +festhalten, weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier +der Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und +allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst den +Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen Flut +uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen +Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden. Ihre Goetter +konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie +wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften nicht des +Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der platten +Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht maechtiger +fassten als die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von Hellas, +davon wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische, dem Worte +wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die +“Religio”, das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus +einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, +dieses die Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der +griechischen Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die +Freiheit, hier die Notwendigkeit. +</p> + +<p> +Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in Scherz +und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten Zeit des vollen +und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die +einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben: +der ehrbare Waffentanz, der “Sprung” (triumpus, θρίαμβος, +δι-θύραμβος); der Mummenschanz der “vollen Leute” (σάτυροι, +satura), die, in Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest +beschliessen; endlich das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den +lustigen Tanz mit angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends +vielleicht tritt so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der +Hellenen und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden +Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die +Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken der haeuslichen +Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach mannigfaltiger und doch +harmonischer Bildung des menschlichen Geistes und Koerpers die von der Nation +und von den Einzelnen als ihr bestes Gut gepflegten Wissenschaften der +Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der Duerftigkeit seiner +kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der kulturlosen Voelker; in +Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den religioesen Vorstellungen der +Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der +Bildnerei erwachsen, derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. +In Latium gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als +Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die beseligende +Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer Schwaermerei dem +schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen Mut in den Schlachtliedern +des goettlichen Saengers wiederzufinden. +</p> + +<p> +So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes erreicht +hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die Vorzuege der +Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer Fasslichkeit und von hellerem +Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung +und Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen +Goetter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich +einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit +wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand +wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht bilden lernte wie +Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben das Beste und Eigenste des +griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich machte, von der nationalen Einheit +zur politischen fortzuschreiten, ohne doch die Politie zugleich mit der +Despotie zu vertauschen. Die ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles +und ersetzte ihnen selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet +ihnen abging; wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, +beruht dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel +und Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, nur +die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. Entschlossen gab +dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit willen und lernte dem +Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der +Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche +Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein +Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter +allen Kulturvoelkern des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden +Verfassung die nationale Einheit, die ihm endlich ueber den zersplitterten +hellenischen Stamm und ueber den ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand +legte. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/> +Die Ansiedelungen der Latiner</h2> + +<p> +Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil Mittelasiens; +von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils +in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der +Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und +von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem +asiatischen und dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen +naeher in die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der +beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen, +raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer die Annahme einer +allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung +liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine engere Lokalisierung ist +ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die einzelnen Staemme auf ihren +weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europaeische mag noch nach dem +Ausscheiden der Inder laengere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben; +denn allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, +Spelt und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und +vom Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und +andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist +es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten, +Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen also wohl +vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres +erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette +gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt, +gesiedelt haben moegen, laesst sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, +auf welchem Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach +Griechenland gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her +in ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten. +Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergruecken +Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich noch deutlich +verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der vollkommen historischen +Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug. +Vermutlich zog sie in aehnlicher Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange +bevor die ersten sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die +Hoehen erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die +latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, dass +die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst von diesen aus, +wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker draengten. +</p> + +<p> +Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer +Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten +Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden, +verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften +zeigen, von einem den Sabellern naeher als den Latinern verwandten Stamm +besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen +Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola +(Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), +Opsci (Arbeiter) sind nachweislich aelter als der samnitische Einfall und +beweisen, dass, als Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und +wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausōner, Kampanien innehatten. Auch die +Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften, +die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten +Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt; +es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch +vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung +dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die +Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den +gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in +Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber +Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der Brettischen +Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei; +und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern +wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu +Thukydides’ Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende +Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen Griechisch mit dem +Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der +Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den alten Handelsverbindungen zwischen +Rom und den sizilischen Griechen; nach allen Spuren indes sind nicht bloss die +latinische, sondern wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische +Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und +die oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen Staemmen +der latinischen Nation bewohnt gewesen. +</p> + +<p> +Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, +Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in +Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten +nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich in +Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der sabinischen +Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer +und Morgeten, die Ausōner nicht dazu gekommen, eine taetige Rolle in der +Geschichte der Halbinsel zu spielen. +</p> + +<p> +Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind +und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie +gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die +Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen +bestimmt war. +</p> + +<p> +Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der +grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des +Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber Schicht schoben +desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die +Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner +und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss +Hoehe ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin +durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss +des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem +Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem +Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite +etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus, +durchflossen von dem Tiberis, dem “Bergstrom”, der aus den +umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. Inselartig +steigen in der Flaeche auf teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im +Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche, +obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, +deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die +bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei +zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt. +</p> + +<p> +Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen der +Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den ausserhalb dieses +Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt werden, der “alten +Latiner” (prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die +Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles +Land noerdlich des Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches +Gebiet, mit dessen Bewohnern ein ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich +war und die Waffenruhe stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein +scheint. Die Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch +die bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese +folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen +Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt, +in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler und Volsker; schon +Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich latinische Staedte. Nur der +mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den +Albaner Bergen und dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, +wenig groesser als der jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die +“Ebene” ^1, wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich +darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen +und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche +unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und tiefe +Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen des Bodens +bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten in der +Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen Substanzen, die +boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im +Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, dass diese Miasmen erst +durch den Verfall des Ackerbaues entstanden seien, wie ihn das Missregiment des +letzten Jahrhunderts der Republik und das der Paepste herbeigefuehrt haben; +ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt +noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen +gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der +Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil +aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen +der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer dichten +ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden Bewohner +gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht verweilt, wie +die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine +fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf einer +niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer das, +was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote, +vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger +anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen +der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden, +allein der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung, +Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva +nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus +sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere Wollstoffe +gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht erloeschen liess. Im +uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden ackerbauenden Volke +einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten +und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach italienischem Massstab +auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte +Korn ^2. An gutem Wasser ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt +die Bevoelkerung jede frische Quelle. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Wie latus (Seite) und πλατύς (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz +zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die “Ebene” den +Gegensatz bildet zu Samnium. Lātus, ehemals stlātus gehoert nicht hierher. +</p> + +<p> +^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des +Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die Limagne in +Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit +einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten +ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die +Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden +vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von +Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt +dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten +spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann +dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet +zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere +Pachtzins fuer einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde +dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer +verteilt werden wuerden Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des +Bewirtschaftens durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert +Jahren ohne Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage +die Campagna di Roma. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in der +Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind +darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges indes laesst sich +dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten. +</p> + +<p> +Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl +Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die aeltesten +“Landquartiere” (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen +Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung der Claudischen +Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher fuer die +uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind +nicht, wie die der spaeter hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten +entlehnt, sondern ohne Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die +Geschlechter, die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen +gaben, soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, +Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen +Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii, +Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter all diesen +Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst spaeter nach Rom +uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird jeder italische und ohne +Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich +oertlich und geschlechtlich vereinigter Genossenschaften zerfallen sein; es ist +diese Geschlechtsansiedlung das “Haus” (οικία) der Griechen, aus +dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr haeufig die Komen oder Demen +hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen +“Haus” (vicus) oder “Bezirk” (pagus von pangere) deuten +gleichfalls das Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im +Sprachgebrauch begreiflicherweise ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie +zu dem Hause ein Acker, so gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine +Geschlechtsmark, die aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in +verhaeltnismaessig spaete Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem +System der Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium +selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon +als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage, +auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermoegen, in +welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung +gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3, in wie weit das Geschlecht +neben der Abstammung noch auf aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht +blutsverwandter Individuen mit beruhen mag. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag +festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert +Koepfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit +gewaehlten Hausvaters (Goszpodár) in demselben Hause beisammen. Das Vermoegen +des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der +Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie +und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z. +B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, +Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen +Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen +moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als +selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen +Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu gegenseitiger +Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff +verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher +Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau +so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, +das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt +des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine +gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die gemeinen +Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag +des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich zusammenfanden und wo sie im +Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in +den Weilern, die aber uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. +Ganz aehnliche alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande +der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heisst +in Italien “Hoehe” (capitolium, wie άκρα, das Berghaupt) oder +“Wehr” (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die +Grundlage einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen und +spaeterhin sich umgeben mit dem “Ringe” (urbs mit urvus, curvus, +vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied zwischen +Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg moeglichst wenige, die +Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein einziges, diese mindestens +drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die vorstaedtische Gauverfassung +Italiens, welche in denjenigen italischen Landschaften, die zum staedtischen +Zusammensiedeln erst spaet und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht +vollstaendig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der +Abruzzen, noch einigermassen sich erkennen laesst. Die Landschaft der +Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in +unzaehligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher +Mauerringe, die als “veroedete Staedte” mit einzelnen Tempeln das +Staunen der roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene +ihre “Urbewohner” (aborigines), diese ihre Pelasger hier +unterbringen zu koennen meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen +nicht ummauerte Staedte erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, +wie sie in aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger +kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo die zu +staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten steinerne +Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu +wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch +Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten +Landfriedens man solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese +Zufluchtsstaetten verlassen und bald den spaeteren Generationen ein Raetsel. +</p> + +<p> +Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse +Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die +urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen +Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue +sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem +historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die +gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage +darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen +zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb +Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen +Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des +latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen +Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften +Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten +Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und +gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der +Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der +Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen +Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden +her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden +Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor allem +der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand mannshoch +gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges +entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau +auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist. +</p> + +<p> +Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten +Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter die +ansehnlichen Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und +Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; +Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte +Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder +namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren +in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von seinem Fuersten +unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmaenner +regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und +Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich +dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und staatlichen Institution, in +dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand +urspruenglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen +Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von +Alba, der ueberhaupt, wie gesagt; als der aelteste und vornehmste der +latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich +dreissig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in +Griechenland wie in Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu +den dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf die +Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig albanischen +Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht ueberliefert und nicht +mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel der +Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt +dieser Vereinigung das “latinische Fest” (feriae Latinae), an +welchem auf dem “Berg von Alba” (mons Albanus, Monte Cavo) an einem +alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem “latinischen +Gott” (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer +dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach +festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und Kaese zu liefern und dagegen von +dem Opferbraten ein Stueck zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in +die spaete Zeit und sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen +Wirkungen dieser Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen +aufzustellen. Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem +Berg von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der +benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei Marino); und +ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine +gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die ganze Landschaft gueltige +Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung des Bundesrechts eine +Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst auf den Tod erkannt werden +konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch die spaetere Rechts- und eine +gewisse Ehegemeinschaft der latinischen Gemeinden darf wohl schon als +integrierender Teil des aeltesten Bundesrechts gedacht werden, so dass also der +Latiner mit der Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz +erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die +Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht angeordnet +haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des souveraenen +Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den Bund nicht nachweisen. +Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit +gegeben war, einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, +wobei denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber +wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich +gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr umgekehrt verwehrt war, +auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen. +Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie +waehrend der hellenischen Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 +und wahrscheinlich in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander +sicheres Geleit zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der +Vorrechte des fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass +keine Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre +politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja +wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte als die +elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war der Umfang wie +der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich lose und wandelbar; doch +war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat verschiedener, mehr oder minder +einander fremder Gemeinden, sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des +latinischen Stammes. Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle +latinische Gemeinden umfasst haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer +nicht latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in Griechenland +ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische +Eidgenossenschaft. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand” (indutiae Macr. +Sat. 1, 16; εκεχερίαι Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt, +waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). +</p> + +<p> +^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals +in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer +Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht nicht +von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und es ist +sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach manchem +durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher +einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom +niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen +Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt +hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die +hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen +Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede sein; +und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, +10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien +schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel, +wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und +geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, und es +muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, dass sie in einem +gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber +doch das Gefuehl der nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und +damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem +jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit +der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/> +Die Anfänge Roms</h2> + +<p> +Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses stromaufwaerts +erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel, hoehere auf dem +rechten, niedrigere auf dem linken; an den letzteren haftet seit mindestens +dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht +angeben, wie und wann er aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten +uns bekannten Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht +Romaner; und diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber +in frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis +fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst sich +nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich +aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii Fovii, +Valerius Volesus, vacuus vocivus. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung +der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass +dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich ehemals +unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem einheitlichen +Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, woraus in Attika +Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der Gemeinde ist ^3, zeigt wohl +am deutlichsten, dass die Roemer namentlich in staatsrechtlicher Beziehung fuer +“teilen” und “Teil” regelmaessig sagen +“dritteln” (tribuere) und “Drittel” (tribus) und dieser +Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung +einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen +Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen Feldmark +und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig vertreten; wie +denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare Mitgliederzahl fast aller +aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, der Taenzer, der Ackerbrueder, +der Wolfsgilde, der Vogelschauer, wahrscheinlich auf diese Dreiteilung +zurueckgeht. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die aelteste roemische +Buergerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige +Meinung, dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und +bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen +als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das wie +wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und +volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und +sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu verwandeln. +Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst +sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der +komponierenden Elemente des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden +kann. Dass die Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt +werden, da sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die +Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber +die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege +steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die +zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies +kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft bewahrte +Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in +die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden +waere. Es mag also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der +sabellische Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf +gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine sabellische +Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da +die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den +Platz vor den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier den +aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener +Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie +viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter +erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius Claudius und +seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese Aufnahme der Claudier +unter die Roemer berechtigt die aeltere der Titier unter die Ramner, die +Gemeinde darum den Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht +einzelner, im Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch +sabellische Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die +latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen Anhalt ^4. +Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung einer einzelnen +Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten Stamm die latinische +Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt haette; wobei vor allem +nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern +sich ansaessig machten, die latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht +auf Rom. Das neue dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger +urspruenglich sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner +gewesen war, ein Teil der latinischen Nation. +</p> + +<p> +——————————————————————————————————— +</p> + +<p> +^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht notwendig +verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, aber fuer alle +gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, 15; Hdt. 1, 170). +</p> + +<p> +^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische τριττύς, die umbrische +trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der Gemeinde eine +graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die Dreiteilung der roemischen +Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen +Staemme zurueckgefuehrt werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung +sich also auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im +graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein +scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer +koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen +Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit Sicherheit +nachzuweisen. +</p> + +<p> +^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine Mischsprache aus +griechischen und nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von +allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A. +Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch +in dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte +finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen +Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied zwischen +zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass dies ebenso wohl +und haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher +Mischung. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner, +Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln +ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker bestellt +haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag das +“Wolfsfest” sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen +Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die schlichten +Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig genug noch im +christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am laengsten behauptet +hat. +</p> + +<p> +Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer +eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich in +keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Wohl aber +verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer +hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, +waehrend man nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. +Die Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die +der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen in +Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen Quellen- denn +weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem Capenischen Tor noch der +spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu +kommt das haeufige Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in +der Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere +zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler +und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die +Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es +ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck +innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht die erste naturgemaesse +Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt haben koenne, sondern dass die Not +oder vielmehr irgendein besonderer Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst +haben muesse. Schon die Legende hat diese Seltsamkeit empfunden; das +Geschichtchen von der Anlage Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung +der albanischen Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver +Versuch der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so +unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die +allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die Geschichte +sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche Autoschediasmen, wird +die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu machen haben; vielleicht ist es +ihr aber auch vergoennt, noch einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung +der besonderen Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber +ueber die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und seiner +Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen. +</p> + +<p> +Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. Gegen +Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in naechster Naehe, +zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen Mauerring entfernt, und +muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren gewesen sein. Gegen Sueden trifft +man in einem Abstand von drei deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden +Tusculum und Alba und es scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter +gereicht zu haben als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. +Ebenso war in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium +bereits am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau +ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, erstreckt er +sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden Ufern des Tiber gegen +das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der Kueste irgendeine als alter +Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, irgendeine Spur alter Gaugrenze +begegnete. Die Sage, die fuer alles einen Ursprung weiss, weiss freilich auch +zu berichten, dass die roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die +“sieben Weiler” (septem pagi) und die wichtigen Salinen an der +Muendung durch Koenig Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass +Koenig Ancus am rechten Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) +befestigt, am linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der +“Muendung” (Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen +am etruskischen Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert +haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein +der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin (dea dia), +der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der Ackerbruederschaft; +und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit das Geschlecht der Romilier, wohl +einst das vornehmste unter allen roemischen, eben hier angesessen, das +Ianiculum ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt +gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche +Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige +Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr +des latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepôt fuer den +latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums eignete +kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und der +unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide Ufer des +Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den Anio herabkommenden +Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der damaligen maessigen Groesse +der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz +gewaehrte als die unmittelbar an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht +seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen +Verhaeltnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die +von ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. Daher +ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war, was fuer +Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und Handelsfreund wurde; +daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und des Brueckenbaues ueberhaupt +in dem roemischen Gemeinwesen; daher die Galeere als staedtisches Wappen. Daher +der uralte roemische Hafenzoll, dem von Haus aus nur unterlag, was zum +Feilbieten (promercale), nicht was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) +in dem Hafen von Ostia einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf +den Handel war. Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen +des gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in Rom. +In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine +geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die +juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft schon +einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche andere Hoehe der +Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische Grenzemporium am Tiber +entstand. Ob ein Beschluss der latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale +Blick eines verschollenen Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der +Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist uns +nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an diese +Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere Beobachtung an. +Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem latinischen +Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt gegenueber. Die latinische +Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu +Festen und Versammlungen oder im Notfall zu benutzen, ist hoechst +wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher beschraenkt worden als irgendwo +sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen +oder ihn als sein rechtes Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die +boese Luft der Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, +auf den luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben +dem Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden und +Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die dichte +Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5½ Quadratmeilen zum +Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der +aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte, +also mindestens 10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art +einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der +weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf +ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz gegen +die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der Gegensatz ist +des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder +Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom +zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was +Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings +zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten +Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften +war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen +Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch entwickelte und +damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser +merkantilen und strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem +wichtiger und ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und +wenig verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene +staedtische Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den +Ueberlieferungen ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und +Verschanzungen Roms, deren Anlage mit der Entwicklung des roemischen +Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein +muss. +</p> + +<p> +Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte +Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in +spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der +regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern +dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei +von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am +Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den palatinischen +Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung wenigstens an den dem +Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf +hin, dass hier der Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. +Auf dem Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte +“Einrichtung” (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, +dessen das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde +eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die +saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen +Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der +“Springer” (curia saliorum), zugleich der Aufbewahrungsort der +heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der “Woelfe” (lupercal) +und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und an diesem Huegel ward die +Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde das strohgedeckte +Haus des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige +Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem +Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des +Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene +Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen +gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher hat solche +auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. Die Gemeindestaetten aber +sind frueh anderswohin verlegt und deshalb verschollen; nur vermuten laesst +sich, dass der freie Platz um den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, +die aelteste Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber +dem Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen +Gemeinde gewesen sein moegen. +</p> + +<p> +Dagegen hat sich in dem “Fest der sieben Berge” (septimontium) das +Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um den +Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern erwachsen, eine +jede durch besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den +urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich +die Aussendeiche, angelehnt. Die “sieben Ringe” sind der Palatin +selbst; der Cermalus, der Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem +Kapitol nach dem Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, +der den Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen +Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der +Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucūsa oder Subūra, eine +ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte, unterhalb +S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin und dem Quirinal +angelegte Festung. In diesen offenbar allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die +aelteste Geschichte des palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich +vor, zumal wenn man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung +gebildete Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt. +</p> + +<p> +Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und +urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie +ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten +Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der Servianischen +Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, liegen im Kreise um den +Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse, +worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der +palatinischen Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und +die Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt +mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile +des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche +vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; die +auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen den Palatin aus +laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von welcher das ganze +Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche +Stadt, und der suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom +Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter +liegende Tal hin sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter +gewesen zu sein als die in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk +einverleibten Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere +vorangeht. Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden +Stadtteile hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom +bewahrt, das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des +Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt +gestritten zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse +und je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen +Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem Palatin +angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier in gleich +berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren also die Esquiliae - +welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschliesst - in der Tat, was +sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie inquilinus von colere) oder die +Vorstadt; sie wurden in der spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und +es hat dieses stets neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder +ansehnlich gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und +Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor +allem die “Pfahlbruecke” (pons sublicius) ueber den natuerlichen +Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein buergt +dafuer hinreichend - schon damals bestanden und man auch den Brueckenkopf am +etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser acht gelassen haben; +aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in ihren Befestigungsring +gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die spaeteste Zeit festgehalten +worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen lediglich aus Holz zusammenzufuegen +sei, geht in ihrem urspruenglichen praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, +dass sie nur eine fliegende sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen +oder abgebrannt werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die +roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen beherrscht +hat. +</p> + +<p> +Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen Ansiedlungen zu den +drei Gemeinden, in die die roemische staatsrechtlich seit unvordenklich frueher +Zeit zerfiel, ist nicht zu ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer +urspruenglich selbstaendige Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie +freilich auch urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben +Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen gewohnt und +was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, wird der verstaendige +Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen von der Tarpeia und die +Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr werden schon die beiden +Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und Palatin und ebenso das vorstaedtische +jedes in die drei Teile der Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es +zusammenhaengen kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und +palatinischen wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare +Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische Siebenhuegelstadt +vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung von derselben geblieben +als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den +neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen, +also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die +Staette bereitet. +</p> + +<p> +Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem +spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor alters +bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft gegenueber eine +zweite auf dem Quirinal. Die “alte Burg” (Capitolium vetus) mit +einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und einem Tempel der +Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege oeffentlich aufgestellt +wurden, ist das deutliche Gegenbild des spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, +Juno- und Minervatempel und mit dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen +Archiv bestimmten Tempel der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, +dass auch der Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen +Gemeinwesens gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf +dem Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und der +aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt weiter +zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten Genossenschaften der +Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in dem spaeteren Rom gedoppelt +vorhanden gewesen sind und neben der palatinischen auch eine Springerschaft vom +Quirinal bestanden hat, neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine +Fabische Wolfsgilde, die ihr Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal +gehabt hat ^5. Alle diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, +gewinnen um so hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau +bekannte Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss +und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten Bezirke +der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal nebst dem +benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So erklaert sich auch, +zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem +Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal angelegt ward - hier beruehrten sich +ja die beiderseitigen Marken und musste von den Palatinern, nachdem sie die +Niederung in Besitz genommen hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine +Burg aufgefuehrt werden. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus +hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die Fabier +beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die Fabier zu den +Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer auf dem Quirinal (Liv. 5, +46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien zusammenhaengen oder nicht. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253) +Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult +zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 17) +findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; die bei den +Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist also +entstellt und das Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, +sondern den weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, +30) oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern +genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das +Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein. +</p> + +<p> +Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom +Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische +Stadt sich die “der sieben Berge”, ihre Buerger “die von den +Bergen” montani) sich nennen, die Bezeichnung “Berg” wie an +den uebrigen ihr angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so +heisst die quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas +hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen +Sprachgebrauch nie anders als “Huegel” (collis); ja in den sakralen +Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der “Huegel” ohne +weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende +Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige +Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der vom +Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte Servianische +das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der Gegend +haftenden Namen der “Roemer” moegen dabei die Huegelmaenner ebenso +wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini) +sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich +eine Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an Beweisen, +welche ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer +stammfremd zu erklaeren, fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus +^7. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der +Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch +keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem +Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie gezeigt +ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; andrerseits ist es +unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher +lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und +collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung +des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars quirinus, der +speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt +wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel +gefundenen Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber +der Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der +Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl +collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet als +der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer. +</p> + +<p> +^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, +S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von den +Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene etymologisch-historische +Hypothese, dass das lateinische quiris quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen +Cures verwandt und demnach des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden +sei. Auch wenn die sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, +duerfte daraus der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die +alten Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen +“latiarischen Huegel” gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, +aber nicht erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus +fidius sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar +in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. Wenn +an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie +der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta +sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder +unbefangene Forscher darin nur einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte, +nicht fuer ihre Entlehnung aus dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, +dass alte Stammgegensaetze dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet +werden; aber wenn dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die +unseren Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element im +Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das Leere fuehrenden +Studien ernstlich zu warnen. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die +Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei gesonderte +und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen einander gegenueber, +einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani und die Trasteverini. Dass die +Gemeinde der sieben Berge schon frueh die quirinalische bei weitem ueberwog, +ist mit Sicherheit zu schliessen sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer +Neu- und Vorstaedte als auch aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen +Huegelroemer in der spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen +gefallen lassen. Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich +zu einer rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen +Bestandteile der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander +jaehrlich um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch die +einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab noch keinen +gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde standen, +obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander - moegen sich mehr +gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom eher ein Inbegriff +staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt gewesen sein. Manchen +Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten und maechtigen Familien +gleichsam festungsartig angelegt und der Verteidigung faehig, also auch wohl +beduerftig. Erst der grossartige Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius +zugeschrieben wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom Palatin und +Quirinal, sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen +des Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und +somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses +gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden +Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der +Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den andern +latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen Zeiten +leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen Anfang festerer +Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und tatenlosen Epoche des +latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung +auf dem Palatin und in den “sieben Ringen” zusammenfaellt mit der +Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit +dem Fortschritt der Latiner zu regerem und freierem Verkehr, zu staedtischer +Gesittung vor allem in Rom und wohl auch zu festerer politischer Einigung in +den Einzelstaaten wie in der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer +einheitlichen Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in +der die Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft zu +ringen und endlich sie zu erringen vermochte. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/> +Die ursprüngliche Verfassung Roms</h2> + +<p> +Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und Geraet - +das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die +Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber +gehen die Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese +natuerlichen Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich +aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an +schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst +vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse. +</p> + +<p> +Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt +gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des +Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) +angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren rechten +Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem, +einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die +Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich +sind, der Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in +gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem +roemischen Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein +Uebel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des +Geschlechts ist ein Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in +fruehester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme +fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein +trug die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in der +sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann +nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter +dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem +Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig +gehoert die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause +notwendig hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die +vaterlose unverheiratete Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese +sind es und nicht der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau +verrechtfertigt wird. Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, +sondern Herrin. Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde +zukommenden Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische +Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der +Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde +die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder von der roemischen +Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger Frevel, wenn der Vater +das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch nur zum Nachteil desselben +sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich wird die Familie unbedingt geleitet +und gelenkt durch den einen allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater +familias). Ihm gegenueber ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, +der Stier und der Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau +durch die freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind, +das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. Es ist +nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung eingegeben hat, +vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung und Kinderzeugung +sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief und ernst im Bewusstsein +des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige Beispiel einer in Rom von +Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist die Bestimmung, dass dem Vater, +welchem Drillinge geboren werden, eine Beihilfe gegeben werden soll; und wie +man ueber die Aussetzung dachte, zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich +aller Soehne - mit Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten +Tochter. Aber wie gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die +Untersagung derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in +religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem Hause +durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen nicht bloss in +strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und die Pflicht, ueber sie die +richterliche Gewalt auszuueben und sie nach Ermessen an Leib und Leben zu +strafen. Der erwachsene Sohn kann einen gesonderten Hausstand begruenden oder, +wie die Roemer dies ausdruecken, sein “eigenes Vieh” (peculium) vom +Vater angewiesen erhalten; aber rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag +er durch eigene Arbeit oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen +Haushalte gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater +lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher auch nicht +anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie vererben. In dieser +Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher Linie mit dem Sklaven, dem +die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch nicht selten verstattet ward, und +der mit Auftrag des Herrn gleichfalls befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater +kann wie den Sklaven so auch den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; +ist der Kaeufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, +so wird der Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, +seinem Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche +Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon erwaehnten +des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche mit rechtlicher +Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden; so trafen diese den, +der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn verkauft; und durch die +Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der Ausuebung der haeuslichen +Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der Ehemann den Spruch ueber Kind und +Frau nicht faellte, ohne vorher die naechsten Blutsverwandten, sowohl die +seinigen wie die der Frau, zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung +der Gewalt lag in der letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht +zugezogenen Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den richtenden +Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber nicht bloss +wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde verantwortlich, sondern auch, +so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich und unzerstoerlich. Nach den +griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der erwachsene, tatsaechlich +selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; die Macht des roemischen +Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das Alter, nicht der Wahnsinn +desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille aufzuheben, nur dass die +Person des Gewalthabers wechseln kann: denn allerdings kann das Kind im Wege +der Adoption in eines andern Vaters Gewalt kommen, die Tochter durch eine +rechte Ehe aus der Hand des Vaters uebergehen in die Hand des Mannes und, aus +ihrem Geschlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottesschutz des +Mannes eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es ihrem Vater war. +Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich von dem Herrn, +als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des ersteren ward +frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung des letzteren wurde +erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich gemacht. Ja, wenn der Herr +den Knecht und der Vater den Sohn verkauft und der Kaeufer beide freigibt, so +erlangt der Knecht die Freiheit, der Sohn aber faellt durch die Freilassung +vielmehr zurueck in die fruehere vaeterliche Gewalt. So ward durch die +unerbittliche Konsequenz, mit der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt von +den Roemern aufgefasst wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. +Indes, bei aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an +die Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der +Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch rechtlich +aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch abgesehen davon, dass +sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt, ist voruebergehender und +gewissermassen stellvertretender Art. Weib und Kind sind nicht bloss um des +Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur fuer den Eigentuemer, wie in dem +absoluten Staat die Untertanen nur fuer den Koenig vorhanden sind; sie sind +wohl auch Gegenstand des Rechts, aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht +Sachen, sondern Personen. Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die +Einheit des Hauses im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert; +wenn aber der Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren +ein und erlangen nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen +die bisher vom Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod des Herrn +die rechtliche Stellung des Knechtes in nichts sich aendert. +</p> + +<p> +—————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Es gilt dies nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium +confarreatione), sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar +nicht an sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die +Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung (usus) +ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der Weg geoeffnet, +Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er sie gewann, also namentlich +in der bis zur Vollendung der Verjaehrung verfliessenden Zeit, war das Weib, +ganz wie bei der spaeteren Ehe mit causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, +sondern pro uxore; bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt +sich dieser Satz, dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht +Ehefrau sei, sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3, +14). +</p> + +<p> +^2 Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig, ist +nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht. +</p> + +<p> +Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt’ an und lies ihn durch. +</p> + +<p> +Es deckt der schlechte Grabstein eine schoene Frau. +</p> + +<p> +Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie; +</p> + +<p> +Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann; +</p> + +<p> +Zwei Soehne gebar sie; einen liess auf Erden sie +</p> + +<p> +Zurueck, den andern barg sie in der Erde Schoss. +</p> + +<p> +Sie war von artiger Rede und von edlem Gang, +</p> + +<p> +Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh. +</p> + +<p> +Vielleicht noch bezeichnender ist die Auffuehrung des Wollspinnens unter lauter +sittlichen Eigenschaften, die in roemischen Grabschriften nicht ganz selten +ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta +domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo +diligentia fide par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der +Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis, +lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus non +conspiciendi, cultus modici. +</p> + +<p> +—————————————————— +</p> + +<p> +Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod des +Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben selbstaendig +gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher Hinsicht sich noch als +eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in vielen anderen Beziehungen Gebrauch +gemacht wird, vor allen Dingen aber, um die Stellung der Witwe und der +unverheirateten Toechter zu ordnen. Da nach aelterer roemischer Ansicht das +Weib nicht faehig ist, weder ueber andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, +so bleibt die Gewalt ueber sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die +Hut (tutela), bei dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen +Hausherrn jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen +Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne, ueber +die Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die einmal +gegruendete Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres Urhebers +ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation faktisch das Band +sich lockern und zuletzt selbst die Moeglichkeit des Nachweises der +urspruenglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der +Unterschied der Familie und des Geschlechts, oder, nach roemischem Ausdruck, +der Agnaten und der Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie +aber umfasst nur diejenigen Individuen, welche von Generation zu Generation +aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn +dartun koennen, das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die +Abstammung selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr +vollstaendig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen vermoegen. +Sehr klar spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn es heisst: +“Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, der +Quintier”, so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten individuell +bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt ergaenzend ein das +Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle seine +Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat. +</p> + +<p> +Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn vereinigten +oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen Familien- und +Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar nicht die Gaeste, das +sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, welche voruebergehend in einem +fremden Hause verweilen, und ebensowenig die Sklaven, welche rechtlich nur als +Habe, nicht als Glieder des Hauses angesehen werden, aber wohl die Hoerigen +(clientes, von cluere), das heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie +Buerger irgendeines Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande +geschuetzter Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen +Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils +diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner +Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit geschenkt +hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit nicht ein streng +rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein unfreier Mann, fuer den +Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. Darum bilden die +“Hoerigen” (clientes) des Hauses in Verbindung mit den eigentlichen +Knechten die von dem Willen des “Buergers” (patronus, wie +patricius) abhaengige “Knechtschaft” (familia); darum ist nach +urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das Vermoegen des Klienten teilweise +oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls in die Sklaverei +zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es sind nur tatsaechliche +Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht so leicht wie gegen den +wirklichen Knecht die volle Schaerfe dieses hausherrlichen Rechtes +hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite die sittliche Verpflichtung +des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu sorgen und sie zu vertreten, bei dem +tatsaechlich freier gestellten Klienten groessere Bedeutung gewinnt als bei dem +Sklaven. Ganz besonders musste die faktische Freiheit des Klienten der +rechtlichen da sich naehern, wo das Verhaeltnis durch mehrere Generationen +hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber +gestorben waren, konnte das Herrenrecht ueber die Nachkommen des Freigelassenen +von den Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietaet in +Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich ein Kreis +abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso unterschieden wie von +den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen. +</p> + +<p> +Auf diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen als +der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten +Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, +Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus den vereinigten +Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer einem jener +Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in den ueblichen Formen +abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und begruendete fuer die Kinder das +Buergerrecht; wer in unrechter oder ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem +Gemeindeverband ausgeschlossen. Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die +“Vaterkinder” (patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater +hatten. Die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien +dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und +Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem Staate +gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der Haussohn im Hause +unter, aber in politischen Pflichten und Rechten neben dem Vater stand. Die +Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich natuerlich dahin, dass die +Freigelassenen und die Klienten eines jeden Schutzherrn um seinetwillen in der +ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar blieben sie zunaechst angewiesen auf den +Schutz derjenigen Familie, der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der +Sache, dass von dem Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die +Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen werden +konnten, wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die eigentlichen +buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so mehr +galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand der Staat wie +das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den Buergern und den +Insassen. +</p> + +<p> +Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter sind, so +ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie +nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe +entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich bestehen +soll, findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen nicht, +die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden +sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter (rex) +und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in spaeterer Zeit in +oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die wohlversperrte +Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und die roemischen Penaten zu +finden sind - sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend, +das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt beginnt, wenn das Amt erledigt und der +Nachfolger bezeichnet ist, sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam +ist die Gemeinde dem Koenig erst schuldig, wenn er die Versammlung der +waffenfaehigen Freien zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen +hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater +zukommt, und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern +der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt +alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im Namen der +Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze Volk, obwohl sonst kein +Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft +gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmaechtig im Frieden wie im Kriege, +weshalb die Boten (lictores, von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm +ueberall voranschreiten, wo er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat +das Recht, oeffentlich zu den Buergern zu reden, und er ist es, der die +Schluessel zu dem Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das +Zuechtigungsrecht und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, +namentlich Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in +allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt ueber +Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den Mitbuerger an +Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche +Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung an das Volk um +Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch +nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege auf und er befehligt das +Heer; nicht minder aber muss er bei Feuerlaerm persoenlich auf der Brandstelle +erscheinen. Wie der Hausherr im Hause nicht der Maechtigste ist, sondern der +allein Maechtige, so ist auch der Koenig nicht der erste, sondern der einzige +Machthaber im Staate; er mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen +besonders kundigen Maennern Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat +einfordern; er mag, um sich die Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne +Befugnisse andern uebertragen, die Mitteilungen an die Buergerschaft, den +Befehl im Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die +Aufspuerung der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu +verlassen genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen +Gewalt eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt neben +der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch den +Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der aeltesten Zeit, der +ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer (tribuni, von +tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei (celeres), sind nichts +als Beauftragte des Koenigs und keineswegs Magistrate im spaeteren Sinn. Eine +aeussere rechtliche Schranke hat die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht +haben; fuer den Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der +Gemeinde wie fuer den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt +seine Macht. Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, auf den im +Fall der Vakanz das “Zwischenkoenigtum” (interregnum) uebergeht. +Eine formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst nach +der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden Kollegium der +Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger der Gewalt den neuen +Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird “der hohe Goettersegen, unter +dem die beruehmte Roma gegruendet ist”, von dem ersten koeniglichen +Empfaenger in stetiger Folge auf die Nachfolger uebertragen und die Einheit des +Staats trotz des Personenwechsels der Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese +Einheit des roemischen Volkes, die im religioesen Gebiet der roemische Diovis +darstellt, repraesentiert rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht +die des hoechsten Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu +Fuss geht, der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der +goldene Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in +gleicher Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen +Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott +und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise ineinander verschwommen. +Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig, sondern viel eher der Eigentuemer des +Staats. Darum weiss man auch nichts von besonderer goettlicher Begnadigung +eines Geschlechts oder von irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der +Koenig von anderem Stoff waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die +Verwandtschaft mit frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine +Bedingung; vielmehr kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an +Geist und Leib gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist +also eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem +aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem Hause, zum Herrn +gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber Bauern, den Krieger ueber +Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer +achtet als den Vater, so unterwirft sich der Buerger dem Gebieter, ohne ihn +gerade fuer seinen Besseren zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische +Begrenzung der Koenigsgewalt. Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das +Landrecht zu brechen, viel Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren +Anteil an der Beute schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder +sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber +wenn er es tat, so vergass er, dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam, +sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer +schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm geschworen? Die +rechtliche Beschraenkung aber der Koenigsgewalt lag darin, dass er das Gesetz +nur zu ueben, nicht zu aendern befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr +entweder von der Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein +musste oder ein nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht +entsprangen. So ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im +tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im +modernen Leben so wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen Staat ein +entsprechendes Abbild vorhanden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Dass Lahmheit vom hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das roemische +Buergertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, versteht sich +so sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien ueber den +Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Die Einteilung der Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit +curare = coerare, κοίρανος verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde; +jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie equ-es, +der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei kombinierten +Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als Teil (tribus) der ganzen +Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit +der Zahl der Teile. Diese Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den +Personalbestand der Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die +Feldmark, soweit diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, +sondern auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter +den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend +gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum Beispiel +Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser aeltesten Zeit der +Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, von denen schon die Rede +war. +</p> + +<p> +In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet diese Verfassung in dem Schema der +spaeterhin unter roemischem Einfluss entstandenen latinischen oder +Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten dieselben hundert Ratmaenner +(centumviri). Aber auch in der aeltesten Tradition ueber das dreiteilige Rom, +welche demselben dreissig Kurien, dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; +dreitausend Fusssoldaten beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen +hervor. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Selbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh verschwunden +ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwuerdig +genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter +allen deren unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten zuhalten, +bei der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn Zeugen +dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in der +Dreissigkurienverfassung sind. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Nichts ist gewisser, als dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in Rom +entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht +sogar ueber die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen Dingen sehr +glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen +Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die +Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im vollsten +Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom, sondern tritt in +dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als +wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts ueberhaupt. +</p> + +<p> +Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die +“Teile” koennen schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen +sein, weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufaellig ist; +wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung zu, als dass das +Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze gewesen waren, sich in +ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert, dass der einzelne Teil einen +Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte gehabt habe; und die grosse +Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass im Interesse der Einheit des +Gemeinwesens den Teilen, aus denen es zusammengeschmolzen war, dergleichen in +der Tat nie verstattet worden sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar +soviel Anfuehrerpaare, als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser +Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder einzelne +Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte Fussheer. Die +Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die Grenzen derselben +wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf, dass die gesetzgebende +Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen hat, das grosse Geschlecht in +Zweige gespalten und es als doppeltes gezaehlt oder mehrere schwache +zusammengeschlagen, fuehrt in der roemischen Ueberlieferung schlechterdings +keine Spur; auf jeden Fall ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen, +dass der verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht +veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, noch viel +weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich fixiert; wenn die +Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen hatte, so ist es weder +ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem Geschlecht einen Reiter und aus +jedem Hause einen Fussgaenger genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in +dem aeltesten Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo +mehrere Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war +eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens zu gemeinsamen +Festen sich versammelten, die auch jede unter einem besonderen Pfleger (curio) +standen und einen eigenen Priester (flamen curialis) hatten; ohne Zweifel wurde +auch nach Kurien ausgehoben und geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft +nach Kurien zusammen und stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht +zunaechst der Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die +Zahl der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Es liegt dies schon im Namen. Der “Teil” ist, wie der Jurist +weiss, nichts als ein ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der +Gegenwart ohne alle Realitaet. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen war +innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es kein Volk, +das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des andern Satzes es +den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des Gegensatzes zwischen +Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern tritt vielleicht nirgends mit +solcher Deutlichkeit hervor wie in der Behandlung der uralten Institution des +Ehrenbuergerrechts, welches urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu +vermitteln. Wenn ein Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger +hineingenommen ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, +wo er dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem +ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in Hellas +immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in mehreren +Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger entwickelte +Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass man zweien Gemeinden zugleich +als Buerger angehoeren koenne, und liess fuer den Fall, wo der neugewaehlte +Buerger nicht die Absicht hatte, sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem +nominellen Ehrenbuergerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft +und Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher +vorgekommen war. +</p> + +<p> +Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen aussen ging Hand in +Hand, dass aus dem Kreise der roemischen Buergergemeinde jede +Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Dass die +innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt +werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde +bereits erwaehnt; derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, +konnte also als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. +Standesvorzuege aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den +Lucerern in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen +Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der +Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine Eliten- oder +Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die wohlhabendste, +bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich schloss, war natuerlich +angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch dieser Gegensatz war rein +tatsaechlicher Art und der Eintritt in die Reiterei ohne Zweifel jedem +Patrizier gestattet. Es war einzig und allein die verfassungsmaessige +Gliederung der Buergerschaft, welche rechtliche Unterschiede hervorrief; im +uebrigen war die rechtliche Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der +aeusserlichen Erscheinung durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den +Vorsteher der Gemeinde vor den Gliedern derselben, den erwachsenen +dienstpflichtigen Mann vor dem noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus; +uebrigens aber durfte der Reiche und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene +oeffentlich nur erscheinen in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weissem +Wollenstoff. Diese vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel +urspruenglich begruendet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in +dieser Schaerfe der Auffassung und Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten +und der folgenreichsten Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und wohl +mag man dabei sich erinnern, dass in Italien keine den latinischen Einwanderern +botmaessig gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und geringerer Kulturfaehigkeit +begegnet und damit die hauptsaechliche Gelegenheit mangelte, woran das indische +Kastenwesen, der spartanische und thessalische und wohl ueberhaupt der +hellenische Adel und vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft +hat. +</p> + +<p> +Dass der Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von selbst. +Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die Buergerschaft +hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die Buerger sind zugleich +die “Kriegerschaft” (populus, verwandt mit populari verheeren); in +den alten Litaneien ist es die “speerbewehrte Kriegsmannschaft” +(pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars herabgefleht wird und selbst die +Benennung, mit welcher der Koenig sie anredet, der Quiriten ^6, wird als +Bezeichnung des Wehrmanns gefasst. In welcher Art das Angriffsheer, die +“Lese” (legio) gebildet ward, ist schon gesagt worden; in der +dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand sie aus drei Hundertschaften +(centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen oder flexuntes, die Schwenker) +unter den drei Abteilungsfuehrern der Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei +Tausendschaften der Fussgaenger (milites) unter den drei Abteilungsfuehrern des +Fussvolks (tribuni militum); letzteres war vermutlich von Haus aus der Kern des +Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und Glied +fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen sein ^8. Der +Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser dem Kriegsdienst konnten +noch andere persoenliche Lasten den Buerger treffen, wie die Pflicht zur +Uebernahme der koeniglichen Auftraege im Kriege wie im Frieden (I, 78) und die +Fronden zur Bestellung der Aecker oder zur Anlage oeffentlicher Bauten; wie +schwer namentlich der Bau der Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass +der Name der “Fronden” (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine +regelmaessige direkte Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte +regelmaessige Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es +derselben nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt +oeffentliche Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine +solche ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet +ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von dem, der selber nicht +dienen konnte oder wollte. Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst noetigen +Opfertiere wurden durch eine Prozesssteuer beschafft, indem, wer im +ordentlichen Prozess unterlag, eine nach dem Werte des Streitgegenstandes +abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den Staat erlegte. Von stehenden +Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird nichts berichtet. Dagegen +flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, 62), sowie die Einnahme von den +Domaenen, namentlich der Weidezins (scriptura) von dem auf die Gemeinweide +aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die die Nutzniesser der +Staatsaecker an Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der Ertrag der +Viehbussen und Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde +eine Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe +betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe die +Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht +entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig leitete +die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, das, nach den Angaben +ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten roemischen Koenigsgeschlechts +der Tarquinier zu schliessen, regelmaessig bedeutend gewesen sein muss, fiel +das Staatsvermoegen nicht zusammen und namentlich der durch die Waffen +gewonnene Acker scheint stets als Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie +weit der Koenig in der Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen +beschraenkt war, ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere +Entwicklung, dass die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann, +wogegen es Sitte sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des +im Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^6 Quĭris quirītis oder quirinus wird von den Alten gedeutet als der +Lanzentraeger, von quĭris oder cŭris = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern +zusammen mit samnis, samnitis und săbinus, das auch bei den Alten von σαύνιον, +Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an +arquites, milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die im +Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen Oberwurf +gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit der roemischen Auffassung des +Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden die Juno quiritis, der (Mars) +quirinus, der Janus quirinus als speerschwingende Gottheiten gedacht; und von +Menschen gebraucht ist quiris der Wehrmann, das ist der Vollbuerger. Damit +stimmt der Sprachgebrauch ueberein. Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, +wird nie von Quiriten gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma, +populus, civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so wenig eine lokale +Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum koennen auch diese Bezeichnungen +nicht miteinander verbunden werden: man sagt nicht civis quiris, weil beides, +wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus, denselben Rechtsbegriff +bezeichnet. Dagegen lautet die feierliche Ankuendigung der Buergerleiche +darauf, dass “dieser Wehrmann mit Tode abgegangen” (ollus quiris +leto datus), und ebenso redet der Koenig die versammelte Gemeinde mit diesem +Namen an und spricht, wenn er zu Gericht sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften +Freien (ex iure quiritium, ganz gleich dem juengeren ex iure civili). Populus +Romanus, quirites ( populus Romanus quiritium ist nicht genuegend beglaubigt) +heisst also “die Gemeinde und die einzelnen Buerger” und werden +darum in einer alten Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus die prisci Latini, +den quirites die homines prisci Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd. +2, S. 20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche +Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen Gemeinde +einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und nach deren +Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den der aufnehmenden im +sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. Vgl. 1, 68 A. +</p> + +<p> +^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt Dionysios (2, 64) nach +den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Fuehrer der Reiter (οι +ηγεμόνες τών Κελερίων). Nach dem praenestinischen Kalender wird am 19. Maerz +ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis) +celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten +roemischen Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen in der +Schrift ‘De viris illustribus’ 1 Celer selbst centurio genannt +wird. Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen +sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die +Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius +(dig. 1, 2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm schoepfend, Lydus +(mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem magister +equitum des republikanischen Diktators, dem Praefectus Praetorio der +Kaiserzeit. +</p> + +<p> +Von diesen Angaben, den einzigen, die ueber die tribuni celerum vorhanden sind, +ruehrt die letzte nicht bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen +Gewaehrsmaennern her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, +welcher nur “Teilfuehrer der Reiter” heissen kann; vor allen Dingen +aber kann der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte +Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen sein mit +der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also stehenden Magistratur. +Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der Nachricht des Pomponius, die +offenbar lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit +historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum +den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die +Abteilungsfuehrer der Reiter gewesen sind, also voellig verschieden von dem +Reiterfeldherrn. +</p> + +<p> +^8 Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und arquites und +die spaetere Organisation der Legion. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Indes nicht bloss leistend und dienend erscheint die roemische Buergerschaft, +sondern auch beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten hierzu die +Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht waffenfaehigen +Kinder, also, wie die Anrede lautet, die “Lanzenmaenner” (quirites) +auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief, um ihnen eine +Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie foermlich auf die dritte +Woche (in trinum noundinum) zusammentreten hiess (comitia), um sie nach Kurien +zu befragen. Ordnungsmaessig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24. Maerz und +zum 24. Mai, dergleichen foermliche Gemeindeversammlungen an und ausserdem, so +oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger nicht zum Reden, +sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand spricht in +der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu gestatten fuer gut +findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache Antwort auf die Frage des +Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung, ohne Bedingung, ohne Fragteilung. +Nichtsdestoweniger ist die roemische Buergergemeinde eben wie die deutsche und +vermutlich die aelteste indogermanische ueberhaupt die eigentliche und letzte +Traegerin der Idee des souveraenen Staats; allein diese Souveraenitaet ruht im +ordentlichen Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier nur darin, dass die +Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig verpflichtet. Zu +diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die +versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und botmaessig sein und ihn +selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise anerkennen wollen; +eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr +ganz aehnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war +durchaus folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der Souveraen, +ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich nicht +beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die +Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich +souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der +Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden +Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem einzelnen +Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der roemischen Verfassung ohne +Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so dass ein solcher Akt der +souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird durch das Zusammenwirken der +Buergerschaft und des Koenigs oder Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis +zwischen Regent und Regierten selbst durch muendliche Frage und Antwort +kontraktmaessig sanktioniert wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der +Gemeinde zustande gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an +die Buerger gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in +welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum +ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es fassen, der von dem +Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl, sondern +zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates durch Rede und +Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen Gesetzvertragung bedurfte es +rechtlich in allen Faellen, die der ordentlichen Rechtskonsequenz +zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschraenkt sein +Eigentum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass er dasselbe +sofort aufgibt; dass das Eigentum vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei +seinem Tode auf einen andern uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es sei denn, +dass ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloss die auf dem Markt +versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft bewilligen +konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann +der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit nicht verlieren noch +weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan ist, sich nicht einem +andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn, dass ihm die Gemeinde solches +gestatte. Dies ist die Adrogation. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann das +Buergerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden - +es sei denn, dass die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben +gestatte, was beides unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss nicht in +gueltiger Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft den +todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter nach +Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, da der Koenig +nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass der zum Tode verurteilte +Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der Richter ihm die Betretung des +Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang der Provokation, die darum auch +vorzugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen +ist, sondern dem gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im +gewoehnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige +Vertrag nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill die +Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie notwendig +befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem +Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim +Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an +die gewoehnliche Versammlung der Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich +ueberhaupt, wenn der Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des +bestehenden gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und +insofern ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des +Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen und in allen +aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der Gemeinde nicht mit +rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein zum Patrizier erklaerte Mann +blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es konnte der nichtige Akt nur etwa +faktische Folgen erzeugen. Insofern war also die Gemeindeversammlung, wie +beschraenkt und gebunden sie auch auftrat, doch von alters her ein +konstitutives Element des roemischen Gemeinwesens und stand dem Rechte nach +mehr ueber als neben dem Koenig. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +^9 Lēx, die Bindung (verwandt mit lēgare, zu etwas verbinden) bezeichnet +bekanntlich ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines +Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil +einfach annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der +Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent der +Koenig, der Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung des letzteren ist +also auch sprachlich praegnant bezeichnet. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +Aber neben dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der +aeltesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln +bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben beide und +innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies ist der Rat der Alten +oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe hervorgegangen aus der +Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, dass in dem urspruenglichen Rom +die saemtlichen Hausvaeter den Senat gebildet haetten, ist staatsrechtlich +insofern richtig, als jedes der nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter +des spaeteren Rom seinen Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der +aeltesten Stadt als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies +wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, +wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst +jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, sei es +durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es durch Erbfolge +bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat nichts +gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom +Koenig wie von der Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der +letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten +gewissermassen eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings +ist jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem +latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der erste und +vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu +entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, moeglicherweise in Latium +lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie wir das roemische Geschlecht +kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt und zur Vertretung des +gemeinsamen Patriarchen, von dem alle Geschlechtsmaenner abstammen oder +abzustammen behaupten, von den lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner +vorzugsweise berufen, so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem +Geschlecht ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht +werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates +der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige +Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung des +Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein blosser Staatsrat, als die +Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, deren Ratschlaege der Koenig +einzuholen zweckmaessig findet, beruht lediglich darauf, dass er einst eine +Versammlung gewesen war gleich jener, die Homer schildert, der um den Koenig im +Kreise herum zu Rate sitzenden Fuersten und Herren des Volkes. Solange der +Senat durch die Gesamtheit der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl +der Mitglieder eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch +nicht war; aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die +Zahl der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht +auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert festgestellt +worden, sodass von der Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der +Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die +staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren +zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in spaeterer Zeit dies +lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich als von Rechts wegen eintrat und +die von Zeit zu Zeit stattfindenden Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit +darboten, den unwuerdigen oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, +so hat diese Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. +Die Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht mehr +gab, bei dem Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in aelterer Zeit, +solange noch die Individualitaet der Geschlechter im Volke lebendig war, als +Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig einen anderen erfahrenen und +bejahrten Mann derselben Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen +haben. Vermutlich ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren +Einigung der Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der +Ratsherren ganz in das freie Ermessen des Koenigs uebergegangen, so dass nur +das noch als Missbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess. +</p> + +<p> +Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass die +Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von Rechts wegen +den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn sie auch, nach der schon in +dem Hause so scharf sich auspraegenden monarchischen Grundanschauung der +Roemer, zur Zeit immer nur von einem dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, +ausgeuebt werden kann. Ein jedes Mitglied des Senats ist also als solches, +nicht der Ausuebung, aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; +weshalb auch seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben +gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur dass der des +Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. Hierauf beruht es +ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die koenigliche Gewalt in der +roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt werden kann. Stirbt der Koenig, +so treten ohne weiteres die Aeltesten an seine Stelle und ueben die Befugnisse +der koeniglichen Gewalt. Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur +einer zur Zeit Herr sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen +und es unterscheidet sich ein solcher “Zwischenkoenig” (interrex) +von dem auf Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle +der Gewalt. Die Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber +festgesetzt auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den +Senatoren in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt +ist, der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los +festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage uebergibt. +Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von der Gemeinde nicht +geleistet. Im uebrigen aber ist der Zwischenkoenig berechtigt und verpflichtet, +nicht bloss alle dem Koenig sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, +sondern selbst einen Koenig auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten +von ihnen fehlt ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser +angesehen wird als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger +ernannt ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin +der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des roemischen +Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft gegeben fuer die ununterbrochene Dauer +desselben und seiner monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung. +Wenn also dieser Senat spaeter den Griechen eine Versammlung von Koenigen zu +sein duenkte, so ist das nur in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat +eine solche gewesen. +</p> + +<p> +Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser +Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches Glied der +roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten sich nicht in die +Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine Stellvertreter freilich hat +dieser, falls er nicht imstande war, selbst das Heer zu fuehren oder den +Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von jeher aus dem Senat genommen - weshalb +auch spaeter noch die hoechsten Befehlshaberstellen regelmaessig nur an +Senatoren vergeben und ebenso als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet +werden. Aber weder bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der +Senat in seiner Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem +spaeteren Rom nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des +Senats gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer +der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der Buergerschaft. +Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von dieser gefassten +Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die bestehenden Rechte zu verletzen +schien, demselben die Bestaetigung zu versagen; oder, was dasselbe ist, in +allen Faellen, wo verfassungsmaessig ein Gemeindebeschluss erforderlich war, +also bei jeder Verfassungsaenderung, bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der +Erklaerung eines Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings +darf man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der +Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den beiden +Haeusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl +Gesetzgeber als Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur dann kassieren, +wenn die Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also bestehende +Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige Staaten oder auch +organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren Beschluss verletzt zu haben +schien. Immer aber bleibt es vom groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn +der roemische Koenig die Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft +dieselbe zum Beschluss erhoben hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige +Gemeinde zu erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden +war, der roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit +den Worten schloss: “darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim, +wie wir zu unsrem Rechte kommen”; erst wenn der Rat der Alten sich +einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft beschlossene, +vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss war es weder die Absicht +noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges Eingreifen des Senats in die +Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen und durch solche Bevormundung die +Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt zu entkleiden; aber wie im Fall der +Vakanz des hoechsten Amtes der Senat die Dauer der Gemeindeverfassung +verbuergte, finden wir auch hier ihn als den Hort der gesetzlichen Ordnung +gegenueber selbst der hoechsten Gewalt, der Gemeinde. +</p> + +<p> +Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch die allem Anschein nach uralte +Uebung an, dass der Koenig die an die Volksgemeinde zu bringenden Antraege +vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen saemtliche Mitglieder eines nach +dem anderen darueber ihr Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht +zustand, den gefassten Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich +vorher die Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu +befuerchten sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich +brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Maenner +Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung nach +dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur Seite zu stehen. +Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der bisher bezeichneten +Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des Senats hervorgegangen; die Anfaenge +indes sind unscheinbar und gehen eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, +dann zu antworten, wenn sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei +Angelegenheiten von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche +waren, also zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu +bringender Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der +Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das eroberte +Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, rechtlich notwendig +war eine solche vorherige Befragung nicht. Der Koenig beruft den Rat, wenn es +ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; ungefragt darf kein Ratsherr seine +Meinung sagen, noch weniger der Rat sich ungeladen versammeln, abgesehen von +dem einen Fall, wo er in der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der +Zwischenkoenige festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den +Senatoren und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens zu +berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der Ratschlag +sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu folgen, ohne +dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht praktische Geltung +zu schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs allgemein anwendbare +Kassationsrecht. “Ich habe euch gewaehlt, nicht dass ihr mich leitet, +sondern um euch zu gebieten”: diese Worte, die ein spaeterer +Schriftsteller dem Koenig Romulus in den Mund legt, bezeichnen nach dieser +Seite hin die Stellung des Senats gewiss im wesentlichen richtig. +</p> + +<p> +Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische Buergergemeinde, an +welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber allein zu handeln war sie +nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von der bestehenden Ordnung abgegangen +werden sollte. Neben ihr stand die Versammlung der lebenslaenglich bestellten +Gemeindeaeltesten, gleichsam ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt, +berufen im Fall der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven +Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den +rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche Gewalt +selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch die Gesetze +gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des Koenigs Gebot, +gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden musste, gebunden, +insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht von dem wahren Souveraen, +dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen +erzeugte. Also war die aelteste roemische Verfassung gewissermassen die +umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie in dieser der Koenig als Inhaber und +Traeger der Machtfuelle des Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte +lediglich von ihm ausgehen, den Vertretern des Volkes aber und den ihnen +verantwortlichen Beamten die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische +Volksgemeinde ungefaehr, was in England der Koenig ist und das +Begnadigungsrecht, wie in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein +Reservatrecht der Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei dem Vorsteher der +Gemeinde stand. +</p> + +<p> +Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu dessen einzelnen +Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich weit entfernt von der +Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der modernen Idee einer +unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte wohl ueber die Person des +Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten und Bestrafung der Vergehen und +Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das einen einzelnen Mann wegen nicht +allgemein verpoenter Handlungen mit Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst +wenn in den Formen nicht gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und +Unrecht erschienen. Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich +der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der +Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen Polizeistaat, das +Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen Kosten gross gemacht. Es +ist einer der unleugbarsten wie einer der merkwuerdigsten Saetze der aeltesten +roemischen Verfassung, dass der Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, +aber nicht ihm seinen Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit +bleibender Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst +die Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke +bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre praktische +Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der gewiss befugt und +verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht zuwiderlaufenden +Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so +wie die roemische allmaechtig; aber in keiner Gemeinde auch lebte der +unstraeflich sich fuehrende Buerger in gleich unbedingter Rechtssicherheit +gegenueber seinen Mitbuergern wie gegenueber dem Staat selbst. +</p> + +<p> +So regierte sich die roemische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen +verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in +unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Auspraegung +der eigenen Nationalitaet, waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt +werden - dem Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore +weit aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern +erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht sich, dass sie auf der +aelteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen Verfassung beruht; +aber es liegt doch eine unuebersehbar lange Kette staatlicher +Entwicklungsphasen zwischen den Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder +Tacitus’ Bericht ueber Deutschland sie schildern, und der aeltesten +Ordnung der roemischen Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem +Schildschlagen des deutschen Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der +souveraenen Gewalt der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten +Kompetenz und der geregelten Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es +mag ferner sein, dass, wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den +Elfenbeinstab sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt hat, so auch +die zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr vom Ausland +heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die Entwicklung des +roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium gehoert, und wie wenig +und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, beweist die durchgaengige +Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern latinischer Praegung. +</p> + +<p> +Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des roemischen Staats fuer alle +Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn trotz der wandelnden Formen steht es +fest, solange es eine roemische Gemeinde gibt, dass der Beamte unbedingt +befiehlt, dass der Rat der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist und dass +jede Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst +der Volksgemeinde. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/> +Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung</h2> + +<p> +Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein +grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir Kunde haben, ist ein +dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung des Roemerrums endigen die +aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem aeltesten Verschmelzungsprozess +der Ramner, Titier und Lucerer, von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt +ist, ist der frueheste derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die +Huegelbuergerschaft aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden +Gemeinden wird, als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen +gleichartig und die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht +werden duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der +Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der +uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der +Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg ein. Die +roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei Wolfsgilden und wie +einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen Marspriester, von denen sich +spaeterhin der palatinische den Priester des Mars, der collinische den des +Quirinus zu nennen pflegte. Es ist glaublich, wenngleich nicht mehr +nachzuweisen, dass die gesamten altlatinischen Priesterschaften Roms, der +Augurn, Pontifices, Vestalen, Fetialen in gleichartiger Weise aus den +kombinierten Priesterkollegien der beiden Gemeinden vom Palatin und vom +Quirinal hervorgegangen sind. Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den +drei Quartieren der palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die +Huegelstadt auf dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem +urspruenglichen Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung +wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit gewissermassen +politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in Beziehung auf die +Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren Annexionsprozesse wieder +vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel die roemische Gemeinde in die +bisherigen drei Teile zu je zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen +sie nun ihrerseits mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die +bestehenden Teile und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist +dies in der Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der +Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit den +Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan jene Teile +doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die Ramner und die +Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, posteriores). Eben damit +haengt wahrscheinlich die in den organischen Institutionen der Gemeinde +ueberall hervortretende paarweise Anordnung zusammen. So werden die drei Paare +der heiligen Jungfrauen ausdruecklich als die Vertreterinnen der drei Teile +erster und zweiter Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte +Larenpaar ist vermutlich aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese +Anordnung im Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der +dreiteiligen Gemeinde hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische +Buergerreiterei auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer +wahrscheinlich auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des +Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen Gebrauch, +dass die Legionen regelmaessig je zwei und zwei einberufen wurden, hierauf +zurueckfuehren duerfen, und wahrscheinlich ruehrt von dieser Verdoppelung des +Aufgebotes ebenfalls her, dass nicht, wie wohl urspruenglich, drei, sondern +sechs Abteilungsfuehrer die Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung +der Senatsstellen hat entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl +von dreihundert Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die +normale geblieben; womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der +angesehensten Maenner der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der +palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den +Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig vor, und von +seinen hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt +dasselbe. Man sieht, dass die sakralen Institutionen der Huegelstadt +fortbestanden und in militaerischer Hinsicht man nicht unterliess, der +verdoppelten Buergerschaft die doppelte Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber +die Einordnung der quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre +Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben, +dass der Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen +Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten Titiern, +Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der Quirinalstadt die +“zweiten” oder die “minderen” gewesen. Indes war der +Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den +Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen +Ratsherren vor denen der “minderen” gefragt. In gleicher Weise +steht das collinische Quartier im Range zurueck selbst hinter dem +vorstaedtischen der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars +hinter dem des palatinischen, die quirinalischen Springer und Woelfe hinter +denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synoekismus, durch den die +palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine Mittelstufe +zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner und Lucerer miteinander +verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen Teil zwar durfte die zutretende +Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber noch wenigstens einen +Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen liess man nicht bloss +bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba, +geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was +spaeterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam. +</p> + +<p> +Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen war mehr +eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung der bestehenden +Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozess, der weit allmaehlicher +durchgefuehrt ward und weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten +Anfaenge gleichfalls bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die Verschmelzung +der Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der roemischen +Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die “Hoerigen” +(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen +Buergerhaeuser, oder die “Menge” (plebes, von pleo, plenus), wie +sie negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. Die +Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt +ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde musste +diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich und rechtlich zu +groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde selbst wie Knechte, +so auch halbfreie Hoerige besitzen; besonders mochte nach Ueberwindung einer +Stadt und Aufloesung ihres Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde +zweckmaessig erscheinen, die Masse der Buergerschaft nicht foermlich als +Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu +gestatten, so dass sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den +Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten. Zweitens +aber war durch die Gemeinde und deren Macht ueber die einzelnen Buerger die +Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen missbraeuchliche Handhabung des +rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu schuetzen. Bereits in unvordenklich +frueher Zeit ist in das roemische Landrecht der Grundsatz eingefuehrt worden, +von dem die gesamte Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen +hat: dass, wenn der Herr bei Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts - +Testament, Prozess, Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder +stillschweigend aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger +diesen Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner +Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen koennen. +Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder Buerger- noch +Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung von seiten der +Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes in einer mit der +roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was ihnen zuteil ward, war ein +gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder Unfreiheit; +und darum scheinen laengere Zeit hindurch ihre vermoegensrechtlichen +Beziehungen gleich denen der Sklaven als Rechtsverhaeltnisse des Patrons +gegolten und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn +auch zusammenhaengen wird, dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen +einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber +allmaehlich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in +eigenem Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung +ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen und zu +erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Buergern zwar +weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehoerigen, +eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl gewehrt +werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden +Rechtsverhaeltnisse der eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und +des Geschlechts, der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der +buergerrechtlichen zu gestalten. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2). +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +Teilweise zu aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, insofern +auf Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen und dort +eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit uralter Zeit +die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben. Das roemische Recht weiss +weder von Erbgutsqualitaet noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und +gestattet einesteils jedem dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten +vollkommen unbeschraenkte Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel +wir wissen, jedem, der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern befugt +war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte Recht bewegliches +und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen konnten, in +gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist eben Rom +eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang ihrer Bedeutung dem +internationalen Verkehr verdankte, so auch das Niederlassungsrecht mit +grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde ungleicher Ehe, jedem freigelassenen +Knecht, jedem nach Rom unter Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden +Fremden gewaehrt hat. +</p> + +<p> +Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die +Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die +Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in Rom bald +schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis mit dem +faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen des Verkehrs, die +durch das latinische Buendnis allen Latinern gewaehrleistete volle +privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss selbst der Erwerbung von +Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende Haeufigkeit der Freilassungen +mussten schon im Frieden die Zahl der Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. +Es kam dazu der groessere Teil der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen +und Rom inkorporierten Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom +uebersiedeln oder in seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, +in der Regel wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht +vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern und +lichtete bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die +Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute dafuer zu +bezahlen. +</p> + +<p> +Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, dass das roemische +Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat der Fall +war. Dass er noch laengere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der +Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an +einzelne ansehnliche auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer +Heimat oder nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht +empfingen - denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und +immer seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise +stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der Zivilehe, +wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne Konfarreation +zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht erwarb, so gut wie +das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die +schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiss nicht +urspruengliche Zivilehe eben eingefuehrt ward, um das Zusammenschwinden des +Patriziats zu hemmen ^2. Auch die Massregeln, durch welche bereits in aeltester +Zeit auf die Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen +Haeusern hingewirkt ward, gehoeren in diesen Zusammenhang. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^2 Die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass +dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das hohe Alter der +Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die religioese Ehe die +eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von der religioesen Ehe +hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, dass die religioese Ehe +selbst als eigentuemliche und rechtlich notwendige Erwerbsform der Frau galt, +wogegen zu der Zivilehe eine der anderweitigen allgemeinen Formen des +Eigentumserwerbs, Uebergabe von seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, +hinzutreten musste, um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in bestaendigem +und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, waehrend die der Buerger +sich im besten Fall nicht vermindern mochte; und infolgedessen erhielten die +Insassen unmerklich eine andere und freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren +nicht mehr bloss entlassene Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten +dazu die ehemaligen Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen +Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst +des Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom +lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in der +neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder und +Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen +Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht, der +eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies schon nicht +mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und die Beziehungen zu +dem Patron traten damit von selbst immer mehr zurueck. War in aelterer Zeit der +Klient ausschliesslich fuer den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des +Patrons, so musste, je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die +Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch +ohne Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge und +Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der Nichtbuerger, +namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen Gemeinden, standen +ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich von Haus aus nicht in der +Klientel der koeniglichen und der sonstigen grossen Geschlechter und gehorchten +dem Koenig ungefaehr in gleicher Art wie die Buerger. Dem Koenig, dessen +Herrschaft ueber die Buerger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der +Gehorchenden, musste es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm +abhaengigen Schutzleuten sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu +bilden. +</p> + +<p> +So erwuchs neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den +Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; +rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, dem +Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr bedeutender, indem +jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem der politisch berechtigten +Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie +das Gefuehl der besonderen Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der +politischen Zuruecksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die ueber +allen gleichmaessig waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen +des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde. +</p> + +<p> +Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes +schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz vorzuzeichnen +schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen traegt vom Koenig Servius +Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel, +wie alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was wir wissen, nicht durch +historische Ueberlieferung, sondern nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren +Institutionen wissen; aber ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie +gefordert haben koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte +gab. Sie muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige ihren +Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf Befreiung von +der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der Nichtbuerger teils zu der +Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, dem Staat im Notfall +vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, teils zu dem Aufgebot. +Beides wird in der Servianischen Verfassung zusammengefasst, ist aber +schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen ist die Heranziehung der +Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen Lasten: es wurden diese frueh +auch auf die “Begueterten” (locupletes) oder die “stetigen +Leute” (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich Vermoegenslosen, die +“Kinderzeuger” (proletarii, capite censi) blieben davon frei. +Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der Nichtbuerger zu der +Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die Buergerschaft als solche, gelegt +auf die Grundbesitzer, die tribules, mochten sie Buerger oder bloss Insassen +sein; die Heeresfolge wurde aus einer persoenlichen zu einer Reallast. Im +einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige +Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der +Hauskinder ansaessiger Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der +entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt +war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war der Erwerb +roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst herangezogen, sofern sie, +was ohne Zweifel bei den meisten derselben der Fall war, auf roemischem Gebiet +ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der Groesse der Grundstuecke wurde die +kriegstuechtige Mannschaft eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die +Vollhufener, welche in vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und insofern +vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von den vier folgenden +Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Haelften, +Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung der +Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und sie also +unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der damaligen Verteilung +des Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen Vollhufen, waehrend die +Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufener reichlich +ein Achtel der Ansaessigen ausmachten; weshalb festgesetzt ward, dass fuer das +Fussvolk auf achtzig Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und +achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden sollten. Aehnlich verfuhr +man bei der Reiterei: die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, +und nur darin wich man hier ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen +mit den alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern +blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern +gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, dass man +damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und nach der Heimkehr +entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus militaerischen Ruecksichten +auch im Frieden zusammengehalten wurden und regelmaessige Uebungen hielten, die +als Festlichkeiten der roemischen Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit +fortbestanden ^3. So liess man denn auch bei dieser Reform den einmal +bestehenden Schwadronen ihre hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem +Buerger zugaenglich zu machen, wurden die unverheirateten Frauen und die +unmuendigen Waisen, soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des +eigenen Dienstes einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei - +zu stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein Reiter; +doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Aus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt +der Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft aber statt +der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Die nicht ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen +stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen sowie eine +Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer zogen und, wenn im +Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen +ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden. +</p> + +<p> +Zum Behuf der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier +“Teile” (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer +lokalen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches +Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die Strasse dieses +Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den esquilinischen; und den +collinischen, den der Quirinal und Viminal, die “Huegel” im +Gegensatz der “Berge” des Kapitol und Palatin, bildeten. Von der +Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen und gezeigt, in +welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und quirinalischen +Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es herbeigefuehrt worden ist, +dass jeder ansaessige Buerger einem dieser Stadtteile angehoerte, laesst sich +nicht sagen; aber es war dies der Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr +gleiche Mannzahl hatten, ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei +der Aushebung. Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden +allein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen +Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung zugekommen; +denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der raetselhaften +Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig zu sakralen Bezirken, +als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder ein Larenaltar errichtet ward. +</p> + +<p> +Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annaehernd den vierten Teil wie der +ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen, +sodass jede Legion und jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk +zaehlte, um alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und +gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den maechtigen +Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger zu einem Volke zu +verschmelzen. +</p> + +<p> +Militaerisch wurde die waffenfaehige Mannschaft geschieden in ein erstes und +zweites Aufgebot, von denen jene, die “Juengeren”, vom laufenden +achtzehnten bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum +Felddienst verwandt wurden, waehrend die “Aelteren” die Mauern +daheim schirmten. Die militaerische Einheit ward in der Infanterie die jetzt +verdoppelte Legion, eine vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und +geruestete Phalanx von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von +tausend Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400 +“Ungeruestete” (velites, s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten +Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die vollgeruesteten Hopliten der +Vollhufener, im fuenften und sechsten standen die minder geruesteten Bauern der +zweiten und dritten Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu +der Phalanx hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte +Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind, war +gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, davon 6000 +Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden Abteilungen, ferner +2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der fuenften Abteilung; ungefaehr +stellte jeder Aushebungsbezirk zu der Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. +Diese Phalanx war das zum Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche +Truppenmacht auf die fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren +gerechnet wurde; wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann +kam, 80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten +Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die der +Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, welche aus 1800 +Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft nur der dritte Teil der +Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des roemischen Heeres ersten und +zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an 20000 Mann; welche Zahl dem +Effektivbestand der roemischen Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der +Einfuehrung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen +haben wird. Bei steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien +vermehrt, sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen +Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die +roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig durch +Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke umgingen. +</p> + +<p> +Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfaeltigere +Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde entweder +jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, dass ein Erdbuch angelegt +werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre Aecker mit dem Zubehoer, den +Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen +sollten. Jede Veraeusserung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, +wurde fuer nichtig erklaert und eine Revision des Grundbesitzregisters, das +zugleich Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind +aus der servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus +hervorgegangen. +</p> + +<p> +Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militaerischer Natur. +In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch nicht ein einziger Zug, der +auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung der Zenturien hinwiese; +und dies allein muss fuer jeden, der in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, +genuegen, um ihre Verwendung zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu +erklaeren. Wenn, wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr +ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies keinen +Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und neben den +Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch die +Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit der +Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und insofern nichts +verkehrter ist, als die Servianische Ordnung fuer die Einfuehrung der +Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise die neue +Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische Stellung +wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch Offizier werden koennen, +solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Plebejer +zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden. Wenn ferner auch der +bisherigen in den Kurien vertretenen Buergerschaft durch die +Zenturieninstitution der Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmaelert +werden sollte, so mussten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die +bisherige Buergerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als +Buergeraufgebot geuebt hatte, uebergehen auf die neuen Buerger- und +Insassenzenturien. Die Zenturien also sind es fortan, die der Koenig vor dem +Beginn eines Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist +wichtig der spaeteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer +Beteiligung der Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; +allein zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr +folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden waere, und nach wie +vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die eigentliche +Buergergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem Koenig verpflichtete. Neben +diesen neuen grundsaessigen Vollbuergern standen die angesessenen Auslaender +aus dem verbuendeten Latium als teilnehmend an den oeffentlichen Lasten, der +Steuer und den Fronden (daher municipes); waehrend die ausser den Tribus +stehenden, nicht ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger +nur als steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen. +</p> + +<p> +Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und +Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen +Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht +beherrscht haben. +</p> + +<p> +Wann und wie diese neue militaerische Organisation der roemischen Gemeinde ins +Leben trat, darueber sind nur Vermutungen moeglich. Sie setzt die vier +Quartiere voraus, das heisst, die Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor +die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine +urspruengliche Grenze betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle +ebensoviel Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den +Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht +moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir als Minimum 10000 +Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 deutschen Quadratmeilen +Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, Haeuserraum und nicht +kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz bringt, das Gebiet zu der Zeit, +wo diese Reform durchgefuehrt ward, mindestens eine Ausdehnung von 20 +Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben +muss. Folgt man der Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 +ansaessigen und waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei +dem ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, zeigt +ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert, sondern +vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des Normalstandes der +Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie zu fuenf Koepfen +ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu ergeben schienen und +diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt ward. Aber auch nach jenen +maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer +Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen und mindestens der dreifachen +Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grundsaessigen Leuten und Knechten +notwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio +gewonnen, sondern auch die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische +Verfassung festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das +Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl nach +urspruenglich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +^4 Schon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; +Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. +Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu +berichtigen ist) den Empfaengern klein. +</p> + +<p> +Die Vergleichung der deutschen Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und +Morgen, beide urspruenglich mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen +werden als urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30, +nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette haeufig, +wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei +Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des roemischen Heredium +von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe von 20 Morgen den +Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, dass die +Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische +Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den +Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der Verfassung +des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie entstanden ist +unter griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen truegen, wie zum +Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, dass auch in Korinth die +Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung +der Ruestung wie der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist +sicher kein zufaelliges Zusammentreffen. Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten +Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen +Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das +Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden wir hierin den +Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform hervorrief, eine im +wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng +monarchische Form des roemischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte +Verfassungsaenderung. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Auch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der +Behandlung der attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat +eben wie Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und dann +auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger hier ein +unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es +sich, wie dieselben Ursachen - staedtische Zentralisierung und staedtische +Entwicklung - ueberall und notwendig die gleichen Folgen herbeifuehren. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/> +Roms Hegemonie in Latium</h2> + +<p> +An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und +leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem +Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde allmaehlich in +den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein und politische Maechte +angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen fruehesten Raufhaendeln +und Beutezuegen, in denen der Charakter der Voelker sich bildet und sich +aeusserst wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat +kein italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns +die geschichtliche Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der +Machtverhaeltnisse der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder +Genauigkeit zu erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht +und seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten +Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie +waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem +Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Kueste zu bis +an die etwas ueber drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermuendung +(Ostia). “Groessere und kleinere Voelkerschaften”, sagt Strabon in +der Schilderung des aeltesten Rom, “umschlossen die neue Stadt, von denen +einige in unabhaengigen Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig +waren”. Auf Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die +aeltesten Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein. +</p> + +<p> +Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden +Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, +Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom und scheinen schon +in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer ihre Selbstaendigkeit +eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk +spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch Buendnis mit Rom seine Freiheit +rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brueckenkopf der Etrusker am linken +Ufer des Tiber, kaempften Latiner und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter +mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den +Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in +die spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem +Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes ^1. +Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9 +Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen Kaempfe +ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte +Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole +Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und zerstoert. Wie der +Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht ueberliefert; der +Kampf der drei roemischen gegen die drei albanischen Drillingsbrueder ist +nichts als eine personifizierte Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und +eng verwandter Gaue, von denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war. +Wir wissen eben nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und +Zerstoerung Albas durch Rom ^2. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und +Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche +Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in der Tat +stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und hoechst +unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare auf diese beiden +verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren Antiquaren fuer +geschichtliche Urkunden gehalten. +</p> + +<p> +^2 Aber zu bezweifeln, dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom +ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein +Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung +in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und +Unmoeglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen +historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe +zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die +Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass die latinische +Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings +untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer +Familien in den roemischen Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die +Roemer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei +gegeben haben? Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in +religioeser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba +auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter, +sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und gegruendet +ward. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Dass in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge +festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht benachbarten +Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher +Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere verhaeltnismaessig ansehnliche +Macht begruendet haben moegen, laesst sich vollends nur vermuten. +</p> + +<p> +Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte ueber den +rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser aeltesten latinischen +Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, dass sie nach demselben +Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige roemische +Gemeinde hervorgegangen war; nur dass die durch die Waffen zum Eintritt +gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen +vereinigten Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern +voellig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des +latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen politischen +Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er +selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die Griechen es taten und +damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und kuenftige Rivalen der +Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in dieser Hinsicht ist die +Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an +dieser Stelle konnte und wollte man nicht hindern, gestattete aber dem Orte +keine politische Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein +Ortsbuerger-, sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, das +allgemeine roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch +das Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch durch +freiwillige Unterwerfung einem staerkeren untertaenig wurden. Die Festung des +Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der Ueberwinder geschlagen, den +Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in dem Hauptort des siegenden Gaues eine +neue Heimat gegruendet. Eine foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die +neue Hauptstadt, wie sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird +man hierunter freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums +konnten in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der +Bauern; im ganzen genuegte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den +neuen Hauptort. Dass selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, laesst sich +an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen Staedten noch nach der +Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz geblieben sein muss. Selbst wo +die Festigkeit des geschleiften Ortes eine wirkliche Verpflanzung der Insassen +erforderlich machte, wird man mit Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben +haeufig in offenen Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht +selten auch die ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in +ihrem neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen +Erzaehlungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen Staatsrechts, +dass nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das +Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde den ueberwundenen, +uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das Schutzverwandtenrecht aufgezwungen +^4; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem Buergerrecht, das +heisst dem Patriziat, beschenkt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem +Fall ihrer Heimat in die roemische Buergerschaft eingereihten albischen +Geschlechter, darunter die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, +Curiatier, Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen +Familienheiligtuemer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in +Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Hieraus entwickelte sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder +Buergerkolonie (colonia civium Romanorum), das heisst einer faktisch +gesonderten, aber rechtlich unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in +der Hauptstadt aufgeht wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und +als stehende Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist. +</p> + +<p> +^4 Darauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i +mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen +Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die +latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche +Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das Zwoelftafelgesetz +ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini +prisci cives Romani, das heisst die von den Roemern in das Plebejat genoetigten +Gemeinden Latiums. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war +natuerlich nichts weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die +Entwicklung Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze +der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern es +gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe +Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika +Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem +bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer +Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen +Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und gluecklicher festhielt als +irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in +Hellas die Folge seiner fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine +Groesse lediglich demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System +zu danken. +</p> + +<p> +Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige, +unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden duerfen, so +kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht +bloss die problematische Groesse und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die +Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. +Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die +Vorstandschaft unter den dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas +hob natuerlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die +boeotische Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen +Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als +Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und +welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, +vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die roemische Hegemonie +ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne +Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr +entzogen haben moegen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, +als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft +gegenueberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten +gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die +unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der +materielle Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, +groesser war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte +Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, dass Rom +nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische Gemeinde ward, +sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die +Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der kuenftigen +Hegemonie der roemischen Gemeinde ueber die gesamte latinische +Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhaeltnisse so +bestimmt wie moeglich zu bezeichnen. +</p> + +<p> +—————————————————————————— +</p> + +<p> +^5 Es scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae +gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Staedte +eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der +Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie +Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23). +</p> + +<p> +———————————————————————————————- +</p> + +<p> +Die Form der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines gleichen +Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen +Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark +und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die Verteidigung festgestellt +ward. “Friede soll sein zwischen den Roemern und allen Gemeinden der +Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg fuehren +untereinander noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; +dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und +gleichmaessig verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen +Krieg.” Die verbriefte Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im +Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die +gleiche Sprache und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen +Beziehungen des Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht +wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb +jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war +das latinische Recht mit dem roemischen nicht notwendig identisch, und wir +finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit der Verloebnisse, die in Rom frueh +abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die +einfache und rein volkstuemliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das +Bestreben, die Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch +dahin, dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz +Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen +ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Buergers. +Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein +Buerger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb +dessen das Buergerrecht einbuessen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was +dasselbe war, das Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus +dem Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz +erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten +sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft. +Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln aufgenommene Bestimmung, dass +der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn der Glaeubiger ihn verkaufen wolle, +verkauft werden muesse jenseits der Tibergrenze, das heisst ausserhalb des +Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, +dass der von den Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, +so wie er einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft +innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen +zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon frueher bemerkt worden +ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunaechst jeder Latiner +nur da ausueben, wo er eingebuergert war; dagegen lag es im Wesen der +privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich +niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den +besonderen Buergerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines +eidgenoessisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als +Buerger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle +Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die +allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen Erwerb, staedtische +Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der Insassen in Rom sich reissend +schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom +lebte, ist begreiflich. +</p> + +<p> +In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde +selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen, +sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden als +solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass Albas Stellung +zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als die Roms, und dass +die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt haetten, so ist dies +insofern wohl moeglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus +mehr als Sonderstaat dem Bunde gegenueber als innerhalb desselben stand; aber +es mag, eben wie die Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die +deutschen Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas +Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms +Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen +sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt zu haben, +waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter Leitung, wie es +scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten Vorsitzenden, ihre Beratungen +abhalten liess und sich begnuegte mit der Ehrenvorstandschaft bei dem +Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit der Errichtung eines zweiten +Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem Aventin, so dass von nun an +teils auf roemischem Boden fuer Rom und Latium, teils auf latinischem fuer +Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass +die Roemer in dem Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner +latinischen Gemeinde ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der +die ohne Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der +maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich +die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die +Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise des Aufgebots unwidersprechlich +zeigt, gebildet aus zwei gleich starken Massen, einer roemischen und einer +latinischen. Das Oberkommando stand ein fuer allemal bei den roemischen +Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich +einzufinden und begruesste hier den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als +seinen Feldherrn, nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten +Roemer sich aus der Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter +mit der getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut +gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die Bundesglieder +verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die roemisch-latinische Foederation nur +durch Rom vertreten worden ist, laesst sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der +Bundesvertrag untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen +Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluss, sei es infolge +eines feindlichen Ueberfalls, ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der +Fuehrung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat +rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals schon +die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und +ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das Uebergewicht +auf die Seite von jenem zu fallen pflegt. +</p> + +<p> +Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig +bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der +latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter +ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunaechst +den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht +auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern gelang, diesen auf dem +latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen +etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus +dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu verdraengen. Dagegen behaupten sie sich, +wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der +Tibermuendung. Den Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr +ueberlegenen Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den +entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit +bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen Nachbarn von +zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der bestaendige Kriegsschauplatz +aber war die Suedgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker. +Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am fruehesten +erweitert, und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem +feindlichen Lande begruendeten und als autonome Glieder der latinischen +Eidgenossenschaft konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen +Kolonien, von denen die aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen +scheinen. Wie weit indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit +sich erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den +benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den roemischen +Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede; aber kaum duerften +wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme von Suessa in der +pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern enthalten. Dass die Koenigszeit +nicht bloss die staatlichen Grundlagen Roms gelegt, sondern auch nach aussen +hin Roms Macht begruendet hat, laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der +Stadt Rom mehr gegenueber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im +Beginn der Republik entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon +in der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin +stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge hier +verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit Roms, vor allem +auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein fernes Abendrot, in dem die +Umrisse verschwimmen. +</p> + +<p> +So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu einigen +und zugleich sein Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom selbst +aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus einer +regsamen Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden +Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung und die +darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der +Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser +innerlichen Umwandlung des roemischen Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich +musste mit den reicher stroemenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, +mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern. +Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muss +bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform +stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und einheitlichen +Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft nicht dabei beharren, +die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander mit Gebaeuden sich gefuellt hatten, +zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel +und die Hoehe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von +Latium verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man +schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende +Stadtwall begann am Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen Huegel, an +dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den +Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen, die kolossalen Ueberreste +dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstuecke von der +Hoehe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen +Tuffbloecken unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer +gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich dastehen +und deren geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit fortwirken +werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des +Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder +in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau, nach aussen von Peperinbloecken +aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben geschuetzt, nach innen in einen +maechtigen, gegen die Stadt zu abgeboeschten und noch heute imponierenden +Erddamm auslaufend, den Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, +lief von da zum Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil +des Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an +den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum gehoerten +nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Hoehe ein befestigtes +Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser +Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau ueberlassen und dagegen auf dem nach +allen Seiten hin freistehenden und bei seinem maessigen Umfang leicht zu +verteidigenden tarpeischen Huegel die neue “Burg” (arx, capitolium) +^6 angelegt mit dem Burgbrunnen, dem sorgfaeltig gefassten +“Quellhaus” (tullianum), der Schatzkammer (aerarium), dem +Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der Buergerschaft (area +Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die regelmaessigen Abkuendigungen +der Mondzeiten stattgefunden haben. Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen +in frueherer Zeit nicht auf dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum +zwischen den beiden Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes +(Ve-diovis) oder, wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl +war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden +aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das +Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbstaendiges, +auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges Kastell, dessen Tor +wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen hat ^8. In aehnlicher Weise, +wenn auch schwaecher, scheint der Aventin befestigt und der festen Ansiedelung +entzogen worden zu sein. Es haengt damit zusammen, dass fuer eigentlich +staedtische Zwecke, zum Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers, +die roemische Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner +(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen, aber doch +nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani Aventinenses, +Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9. Der von der neuen +Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser der bisherigen palatinischen +und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des +Aventin, ferner das Ianiculum ^10; der Palatin als die eigentliche und aelteste +Stadt ward von den uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war, +wie im Kranz umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen. +Aber das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem +auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen war, +welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd fuellte, sodass +hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das Tal zwischen dem Kapitol und +der Velia sowie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die heute noch +stehenden, aus prachtvollen Quadern zusammengefuegten unterirdischen +Abzugsgraeben, welche die Spaeteren als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom +anstaunten, duerften eher der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei +verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit +erzaehlt wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die +Koenigszeit, wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des +Mauerrings und der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den entsumpften +oder trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen, wie die neue +Grossstadt sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der Gemeinde, bis dahin der +kapitolinische Platz auf der Burg selbst, ward verlegt auf die Flaeche, die von +der Burg gegen die Stadt sich senkte (comitium), und dehnte von dort zwischen +dem Palatin und den Carinen in der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der +der Burg zugekehrten Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines +Altanes ueber die Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und +die Gaeste der Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz; +und auf dem Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das spaeter +den Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den Richterstuhl +(tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft gesprochen ward (die +spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der Dingstaette selbst errichtet. Ihre +Verlaengerung gegen die Velia ward der neue Markt (forum Romanum). Am Ende +desselben, unter dem Palatin, erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung +des Koenigs (regia) und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des +Vestatempels, einschloss; nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward +ein dazu gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde +oder der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der Kirche Santi +Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in ganz anderer Art, als +die Ansiedelung der “sieben Berge” es gewesen war, geeinigte Stadt, +dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit deren Vereinigung in einem +Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt hatte, in dem Servianischen dieser +allgemeine und einheitliche Stadtherd trat ^11. Laengs der beiden Langseiten +des Marktes reihten sich die Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal +zwischen Aventin und Palatin ward fuer die Rennspiele der “Ring” +abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt +angelegt und bald entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere. +Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf dem +Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg der weithin +sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all diese Herrlichkeit +gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die umliegenden Nationen, so mit +ihnen ueber die unterworfenen Goetter der Besiegten triumphierte. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^6 Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von der +nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze des +Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen άκρα und +κορυφή entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische Stadt ihr capitolium +ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen Burghuegels ist mons Tarpeius. +</p> + +<p> +^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret, +untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die +Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, +Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386. +</p> + +<p> +^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die “Heilige Strasse”, auf +die Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach links +macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. Dieses selbst +wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus stattfanden, untergegangen +sein. Das sogenannte Tor an der steilsten Stelle des kapitolinischen Berges, +das unter dem Namen des janualischen oder saturnischen oder auch des offenen +vorkommt und in Kriegszeiten stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich +nur religioese Bedeutung und ist nie ein wirkliches Tor gewesen. +</p> + +<p> +^9 Es kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, +2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5, +50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, +Roemische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri +(Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3. +die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani +pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiss nicht +zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom +vorkommen, eben den von den vier oertlichen Tribus aus-, aber von der +Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Huegeln, dem Kapitol und dem +Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehoerigen Ianiculum angehoeren; und +damit steht weiter im Zusammenhang, dass als Bezeichnung der gesamten +staedtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser +der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die +staedtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive +si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen +drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche +Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher +die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum +und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal. +</p> + +<p> +^10 Die “Siebenhuegelstadt” im eigentlichen und religioesen Sinn +ist und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das +Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit (vgl. z. B. +Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt betrachtet, +wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig gefeierte Fest des +Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu gelten; aber schwerlich ist +man je darueber zu fester Einigung gelangt, welche von den durch den +Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen zu den sieben zaehlen. Die uns +gelaeufigen sieben Berge Palatinus, Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, +Quirinalis, Capitolinus zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind +zusammengestellt aus der traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen +Entstehung der Stadt (Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. +Berlin 1885, S. 206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil +sonst acht herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge +(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins des +Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, Tarpeius, +Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, offenbar als +colles, fehlen und dafuer zwei “montes” vom rechten Tiberufer, +darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer liegende Vaticanus mit +hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen geben Servius (Aen. 6, 783), +die Berner Scholien zu Vergils Georgiken (2, 535) und Lydus (mens. p. 118 +Bekker). +</p> + +<p> +^11 Sowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des +Dionysios (2, 25), dass der Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag, +bezeugen es, dass diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der +zweiten (Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den +Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist +die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Die Namen der Maenner, auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten sich +erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den +aeltesten roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die +verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus +Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die grosse +Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Aelteren, den +Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben moegen +richtig sein, und es scheint nicht zufaellig, dass der Bau des neuen Mauerrings +mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der +Stadtwaelle wesentliche Ruecksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach +zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnuegen muessen, aus +dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet, dass diese +zweite Schoepfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der +Umschaffung des Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar +aus einem und demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber weder +eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch in diese +Umgestaltung des roemischen Gemeindewesens die hellenische Anregung maechtig +eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es unmoeglich ist, die Art und +den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, dass die +Servianische Militaerverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und dass die +Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird spaeter gezeigt +werden. Auch das neue Koenigshaus mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein +griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal +von den Auguren eingeweihte Vestatempel in keinem Stueck nach italischem, +sondern durchaus nach hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus +nicht unglaublich, was die Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen +Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster diente +und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen +Artemision nachgebildet ward. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/> +Die umbrisch-sabellischen Stämme.<br/> +Anfänge der Samniten</h2> + +<p> +Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme +begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch +mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. +Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der +Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt +noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass +sie in aeltester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die +illyrischen Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den +Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden +zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den +ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der +umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten +Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die +zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name +von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders +begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen +italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich Etruriens zwischen dem +Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt +Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine +andere Sprache geredet als die etruskische, und neuerdings sind daselbst +derartige Inschriften zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar +auch mit dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem +Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in +denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere +und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend +spaeter als die Landschaft nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern +entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische +Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter nach der roemischen Eroberung im +Vergleich mit dem zaehen Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im +noerdlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende Latinisierung der +suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass +von Norden und Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt +wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie +spaeter innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, +wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre aehnlichen +Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die Tusker den +Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in den +Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst +anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwuenscht. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen (R), +nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus dem +primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen. +Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa, +das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo +sentem …. dedet cuando … cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) +f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum. +Zugleich mit diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften +gefunden von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die +Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie +die Ebenen schon von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne +Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und +mit ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und +Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir +spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss +von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen mit +den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen Westkueste +wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der +von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem +Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch +minder dicht war; waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser +Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner +Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren +zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und +drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in +zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so +frueh und so schnell sich latinisieren konnten. +</p> + +<p> +Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina oestlich in +die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich anschliessende +Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste die bergigen Striche, +deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern wich oder sich unterwarf, waehrend +dagegen in dem ebenen apulischen Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung +der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria +und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, +laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in +Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt von +den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem Kriegsjahre +geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren, preiszugeben und +ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter sie nach ihrem Gefallen +verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze bescheren moechten. Den einen Schwarm +fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst +sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus +die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus +besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone, +hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. +Einen zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das +Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf +(hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In aehnlicher +Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die uebrigen kleinen +Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran Sasso, die +Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze, die Paeligner am +Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den Volskern und +den Latinern sich beruehrend. In ihnen allen blieb das Gefuehl der +Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in +jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf +erlagen und die westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen +oder hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Staemme +in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrueckt dem Anstoss +der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Staedtisches Leben entwickelte bei +ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre +geographische Lage sie beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung +genuegten die Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen +blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem +jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie bei +den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation +der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder lockere +Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe +Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone +hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es +kommt, dass diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in +voelliger Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der +Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen +Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. +Dagegen ist das Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso +entschieden der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen +das latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an, +umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation +und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten Platz in Italien in +ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir +ebensowenig als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in +Samnium keine einzelne Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer +Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, +sondern dass die Kraft des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt +in der aus ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die +erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen, +dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv +ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im +Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass +die Erweiterung des Gebiets planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch die +ganze Geschichte der beiden Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral +auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der +Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf +Landraub ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben +waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des +Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode +an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze +sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes +Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung veranlassten +Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer, +Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, +wenn man den allerdings sehr romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, +hier, wie das bei solchen Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die +Gedraengten zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen +Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten +Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der +ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen +Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt abzuschlagen. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/> +Die Etrusker</h2> + +<p> +Im schaerfsten Gegensatz zu den latinischen und den sabellischen Italikern wie +zu den Griechen steht das Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber nannten, +der Rasen ^1. Schon der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; statt des +schlanken Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der +Etrusker nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir +wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst gleichfalls auf +eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen +Staemmen schliessen, so namentlich die Religion, die bei den Tuskern einen +trueben phantastischen Charakter traegt und im geheimnisvollen Zahlenspiel und +wuesten und grausamen Anschauungen und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit +entfernt von dem klaren Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren +hellenischen Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das +wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns gekommene +Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer die Entzifferung +darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass es bis jetzt nicht +einmal gelungen ist, den Platz des Etruskischen in der Klassifizierung der +Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu deuten. +Deutlich unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der aelteren ist die +Vokalisierung vollstaendig durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier +Konsonanten fast ohne Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen +konsonantischen Endungen und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward +dies weiche und klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte und +rauhe Sprache verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramθa aus ramuθaf, +Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchsentre aus +Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt +am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den Etruskern schon in +sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich wurde wie im Lateinischen und in den +rauheren griechischen Dialekten der Akzent durchaus auf die Anfangssilbe +zurueckgezogen. Aehnlich wurden die aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend +die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die +Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen θ φ χ beibehielten, +liessen die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das φ gaenzlich, ausser in +Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei in ungemeiner +Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum Beispiel Thetis ihnen +Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder Uthuze heisst. Von den wenigen +Endungen und Woertern, deren Bedeutung ermittelt ist, entfernen die meisten +sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle; +so die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie +zum Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi uebersetzt +wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung des +Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum Beispiel die Gattin +eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem Kasus clensi Sohn; +seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos +Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen fremdartigen Formen und Lauten finden +sich allerdings einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen und den italischen +Sprachen. Die Eigennamen sind im wesentlichen nach dem allgemeinen italischen +Schema gebildet: die haeufige gentilizische Endung enas oder ena ^4 kehrt +wieder in der auch in italischen, besonders sabellischen Geschlechtsnamen +haeufigen Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas und Spurinna +den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe von +Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern als +etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung nach so +durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich von Haus aus +etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen sein muessen: so Usil +(Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, aurora, sol), Minerva +(menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. Indes da diese Analogien erst +aus den spaeteren politischen und religioesen Beziehungen zwischen Etruskern +und Latinern und den dadurch veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen +herruehren koennen, so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die +uebrigen Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den +saemtlichen griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die +Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern; +“tuskisch und gallisch” sind Barbarensprachen, “oskisch und +volskisch” Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem +griechisch-italischen Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt ebensowenig +gelungen, sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. Auf die +Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die verschiedenartigsten +Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen Frage, aber alle ohne +Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem baskischen, an das den +geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht werden koennte, haben +entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt. Ebensowenig deuten die +geringen Reste, die von der liturgischen Sprache in Orts- und Personennamen auf +uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit den Tuskern. Nicht einmal die +verschollene Nation, die auf den Inseln des tuskischen Meeres, namentlich auf +Sardinien, jene raetselhaften Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu Tausenden +aufgefuehrt hat, kann fueglich mit der etruskischen in Verbindung gebracht +werden, da im etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude +vorkommt. Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige +Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen +beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer Inschriften +sicher εμί, ειμί und findet die Genetivform konsonantischer Staemme veneruf, +rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, entsprechend der alten +sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name des etruskischen Zeus Tina +oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen wie Ζάν mit dem +gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies zugegeben erscheint das etruskische +Volk darum kaum weniger isoliert. “Die Etrusker”, sagt schon +Dionysios, “stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte”; und +weiter haben auch wir nichts zu sagen. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^1 Ras-ennae mit der 1, 131 erwaehnten gentilizischen Endung. +</p> + +<p> +^2 Dahin gehoeren z. B. Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice +θumamimaθumaramlisiaeipurenaieθeeraisieepanamineθunastavhelefu oder: mi ramuθas +kaiufinaia. +</p> + +<p> +^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff geben zum +Beispiel der Anfang der grossen Perusiner Inschrift: eulat tanna larezu amevaχr +lautn velθinase stlaafunas sleleθcaru. +</p> + +<p> +^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der Vokal in der +vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge der Zurueckziehung +des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt und sogar ausgestossen. So +finden wir neben Porsēna, auch Porsĕna, neben Caecina Ceicne. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Ebensowenig laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien +eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf +jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche +Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage eifriger +verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der Archaeologen, +vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar noch wissenswert ist, +“nach der Mutter der Hekabe”, wie Kaiser Tiberius meinte. Da die +aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief im Binnenlande liegen, ja +unmittelbar am Meer keine einzige namhafte etruskische Stadt begegnet ausser +Populonia, von dem wir aber eben sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf +Staedten nicht gehoert hat; da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von +Norden nach Sueden sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der +Halbinsel gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie +zuerst finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen +wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die Voelker +gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen Westkueste setzt ganz +andere Bedingungen voraus. Danach muss die aeltere Heimat der Etrusker west- +oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, +dass die Etrusker ueber die raetischen Alpen nach Italien gekommen sind, da die +aeltesten in Graubuenden und Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in +die historische Zeit etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen +anklingt; sie koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po, +aber wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener +Teil des Volks sein. +</p> + +<p> +Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung aber tritt in grellen +Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus Asien ausgewanderte Lyder +seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot findet sie sich und kehrt dann in +zahllosen Wandlungen und Steigerungen bei den Spaeteren wieder, wenngleich +einzelne verstaendige Forscher, wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich +dagegen erklaerten und darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und +Sprache zwischen Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich +zeige. Es ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm +nach Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen; +wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen Quiproquo. +Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form scheint die +urspruengliche und der griechischen Τυρ-σηνοί, Τυρρηνοί, der umbrischen +Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu liegen - begegneten +sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke der Τορρηβοί oder auch wohl +Τυρρ-ηνοί, so genannt von der Stadt Τύρρα; und diese offenbar zufaellige +Namensvetterschaft scheint in der Tat die einzige Grundlage jener durch ihr +hohes Alter reicht besser gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen +Turmes darauf aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem +lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und +endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen +Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren +pluendernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine der +heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die Tyrrhener +bezeichnen bald die lydischen Torrheber - so in den aeltesten Quellen, wie in +den Homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener +die pelasgische Nation; bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die +letzteren mit den Pelasgern oder den Torrhebern je sich nachhaltig beruehrt +oder gar die Abstammung mit ihnen gemein haetten. +</p> + +<p> +Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was die nachweislich +aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort aus sich weiter +bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion in der Landschaft +noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch grenzend mit den Venetern +illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich mit den Ligurern, ist vielfach +beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der schon erwaehnte rauhe etruskische +Dialekt, den noch in Livius’ Zeit die Bewohner der raetischen Alpen +redeten, sowie das bis in spaete Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom +Padus und an den Muendungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, +jener als der herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten +Kaufstaedte Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und +Ravenna tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den +Padus ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten Ufer +desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen +hat als auf dem frueh aufgegebenen linken. Doch sind ueberhaupt die +Landschaften noerdlich vom Apennin zu rasch von einer Nation an die andere +gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwicklung sich hier haette gestalten +koennen. +</p> + +<p> +Weit wichtiger fuer die Geschichte wurde die grosse Ansiedelung der Tusker in +dem Lande, das heute noch ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer +hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische +Okkupation und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In +diesem Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom +Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre bleibende +Staette gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich +behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus; +das Gebiet von da nordwaerts bis zur Muendung der Macra und dem Apennin war +streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etruskisch, und groessere +Ansiedlungen gediehen deshalb daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs +wahrscheinlich der Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo, +spaeterhin der Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet +zwischen dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete, +Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren Distrikte, +moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den Etruskern eingenommen +zu sein scheint und dass die urspruengliche italische Bevoelkerung sich hier, +namentlich in Falerii, wenn auch in abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben +muss. +</p> + +<p> +Seitdem der Tiberstrom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium +bildete, mag hier im ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und +eine wesentliche Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten +gegen die Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der +Etrusker ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom +rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu haben als zum +Beispiel von den Stammesverwandten in Gabii und Alba; natuerlich, denn dort +schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des breiten Stromes, sondern auch der +fuer Roms merkantile und politische Entwicklung folgenreiche Umstand, dass +keine der maechtigeren etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am +latinischen Ufer Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren +es auch, mit denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten, +namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf dem linken +Tiberufer, aehnlich wie auf dem rechten den Roemern das Ianiculum, als eine Art +Brueckenkopf diente und bald in den Haenden der Latiner, bald in denen der +Etrusker sich befand. Dagegen mit dem etwas entfernteren Caere war das +Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und freundlicher, als es sonst unter +Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen pflegt. Es gibt wohl schwankende und in +die graueste Fernzeit gerueckte Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere, +wie denn der caeritische Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege +erfochten und denselben einen Weinzins auferlegt haben soll; aber viel +bestimmter als der einstmalige Fehdestand erhellt aus der Tradition ein +vorzugsweise enges Verhaeltnis zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des +Handels- und Seeverkehrs in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem +Vordringen der Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln +ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos im Jahre +230 (524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die Etrusker in +erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht als bis ins +einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die Etrusker an einem +grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger ist es, dass suedwaerts vom +Tiber keine auf dem Landweg gegruendete etruskische Ansiedlung nachweisbar ist +und dass namentlich von einer ernstlichen Bedraengung der latinischen Nation +durch die Etrusker gar nichts wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und +der beiden Ufer der Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen, +unangefochten. Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom +anlangt, so findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener +Bericht, dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und +nach dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt habe, +von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies zuverlaessig sein, +wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges von diesem Caelius +offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der Zusatz, dass dieser +Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiss +nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung solcher Archaeologen, die mit +dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf etruskische Ansiedlungen in Rom deutet +weiter das “Tuskerquartier” unter dem Palatin. +</p> + +<p> +Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das letzte Koenigsgeschlecht, +das ueber die Roemer geherrscht hat, das der Tarquinier, aus Etrurien +entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie die Sage will, sei es aus Caere, +wo das Familiengrab der Tarchnas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der in +die Sage verflochtene Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch, +dagegen in Etrurien gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach +Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen +war und in Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die +geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt, sondern +voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt etwas mehr +entnommen werden kann als die nackte und im Grunde gleichgueltige Tatsache, +dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft das koenigliche Szepter in Rom +gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, dass diese Herrschaft eines Mannes +tuskischer Herkunft ueber Rom weder als eine Herrschaft der Tusker oder einer +tuskischen Gemeinde ueber Rom, noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber +Suedetrurien gefasst werden darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer +die andere Annahme irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der +Tarquinier spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat +waehrend der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in +Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige +Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes unterbrochen. +</p> + +<p> +Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen das latinische +Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den Kaempfen der Etrusker mit +den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst nach der Vertreibung der Koenige +in Rom ueberschritten, teils in der Richtung der etruskischen Nation auf +Seefahrt und Meer- und Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen +Ansiedelungen entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter +die Rede sein wird. +</p> + +<p> +Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen und latinischen auf der +zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die fruehe Richtung der Nation aber auf +Schiffahrt, Handel und Industrie scheint rascher, als es sonst in Italien der +Fall gewesen ist, hier eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen zu +haben; zuerst von allen italischen Staedten wird in den griechischen Berichten +Caere genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig +und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit +Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung der +Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit der roemischen +gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die aehnliche Insignien, also +wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie die roemischen; Vornehme und +Geringe standen sich schroff gegenueber; fuer die Aehnlichkeit der +Geschlechterordnung buergt die Analogie des Namensystems, nur dass bei den +Etruskern die Abstammung von muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als +im roemischen Recht. Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. +Sie umschloss nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und +die kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso wie +die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand aus zwoelf +Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den Goetterdienst, und ein +Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester anerkannten, aber doch im +wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein scheinen und zum Teil wenigstens +so maechtig, dass weder eine Hegemonie sich bilden noch die Zentralgewalt zur +Konsolidierung gelangen konnte. Im eigentlichen Etrurien war die Metropole +Volsinii; von den uebrigen Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere +Ueberlieferung nur Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes +ebenso selten, dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das +Umgekehrte selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt +regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann ins +Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen wird, so +schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es scheint den +etruskischen Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen italischen +Stammbuenden von Haus aus an einer festen und gebietenden Oberleitung gefehlt +zu haben. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/> +Die Hellenen in Italien.<br/> +Seeherrschaft der Tusker und Karthager</h2> + +<p> +Nicht auf einmal wird es hell in der Voelkergeschichte des Altertums; und auch +hier beginnt der Tag im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in tiefes +Werdegrauen eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen Becken des +Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte Kultur ans +Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten Stadien der +Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den Meister und Herrn zu +finden, ist in hervorragendem Masse auch den Voelkern Italiens zuteil geworden. +Indes lag es in den geographischen Verhaeltnissen der Halbinsel, dass eine +solche Einwirkung nicht zu Lande stattfinden konnte. Von der Benutzung des +schwierigen Landwegs zwischen Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet +sich nirgends eine Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von +Italien aus schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die +aelteste Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der +Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als Heimat des +Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich eine andere quer +durch die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa fuehrende an; aber Elemente der +Zivilisation konnten von dort her den Italikern nicht zukommen. Es sind die +seefahrenden Nationen des Ostens, die nach Italien gebracht haben, was +ueberhaupt in frueher Zeit von auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist. +</p> + +<p> +Das aelteste Kulturvolk am Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch nicht +ueber Meer und haben daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig aber +kann dies von den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die von +ihrer engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen +bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des Fisch- +und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, die zuerst +den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit das Mittelmeer bis +zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast an allen Gestaden +desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische Seestationen: wie in +Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, Libyen und Spanien, so auch +im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien herum, erzaehlt Thukydides, hatten, +ehe die Griechen dorthin kamen, oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer +Anzahl sich festsetzten, die Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre +Faktoreien gegruendet, des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu +gewinnen. Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von +phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige mit +einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei bei Caere, deren +Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der kleinen Ortschaft an der +caeritischen Kueste Punicum, teils in dem zweiten Namen der Stadt Caere selbst, +Agylla, welcher nicht, wie man fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern +phoenikisch ist und die “Rundstadt” bezeichnet, wie eben vom Ufer +aus gesehen Caere sich darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen +Gruendungen es an den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden +Fall weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast +spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund vor, sie +fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen Ansiedlungen an +denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen davon, dass wenigstens +Latium die kanaanitischen Maenner erst durch Vermittlung der Hellenen +kennengelernt hat, ist ihre latinische, der griechischen entlehnte Benennung +der Poener. Vielmehr fuehren alle aeltesten Beziehungen der Italiker zu der +Zivilisation des Ostens entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das +Entstehen der phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische +Periode zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen +des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat lag, wenn man +sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich Kuestenfahrt war und +blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am Mittelmeer so fern wie der +italische Kontinent. Sie konnten ihn nur entweder von der griechischen +Westkueste oder von Sizilien aus erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die +hellenische Seefahrt frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung +der Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen +unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, ist deshalb +kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der phoenikischen +Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen Anwohnern der +Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen. +</p> + +<p> +Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die zuerst +unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die italischen +Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher Gegend und zu +welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin gelangt sind, laesst nur die +erstere sich mit einiger Sicherheit und Vollstaendigkeit beantworten. Es war +das aeolische und ionische Gestade Kleinasiens, wo zuerst der hellenische +Seeverkehr sich grossartig entfaltete und von wo aus den Griechen wie das +Innere des Schwarzen Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. +Der Namen des Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und +Sizilien geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die +Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken an die +einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch ionische +Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in Italien, Kyme, ist +dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der gleichnamigen Stadt an der +anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger hellenischer Ueberlieferung waren es +die kleinasiatischen Phokaeer, die zuerst von den Hellenen die entferntere +Westsee befuhren. Bald folgten auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen +andere Griechen nach: Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, +Lokrer, Rhodier, Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der +Entdeckung Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin zu +fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der europaeischen +Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren deutlicher zum +Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch die Schiffahrt nach dem +Westen und die Ansiedelung im Westland kein Sondergut einer einzelnen +Landschaft oder eines einzelnen Stammes der Griechen, sondern Gemeingut der +hellenischen Nation; und wie sich zu Nordamerikas Schoepfung englische und +franzoesische, hollaendische und deutsche Ansiedlungen gemischt und +durchdrungen haben, so ist auch das griechische Sizilien und +“Grossgriechenland” aus den verschiedenartigsten hellenischen +Stammschaften oft ununterscheidbar zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, +ausser einigen mehr vereinzelt stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit +ihren Pflanzstaedten Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser +Periode gegruendete Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im +ganzen drei Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen +Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme mit den +uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, in Sizilien Zankle +(spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini, Himera zaehlen; die achaeische, +wozu Sybaris und die Mehrzahl der grossgriechischen Staedte sich rechneten, und +die dorische, welcher Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der +sizilischen Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen +Pflanzstadt Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die +aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen Einwanderung +im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben sich vorzugsweise nur +die Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie Korinth und Megara, die rein +dorischen Landschaften dagegen nur in untergeordnetem Grade beteiligt; +natuerlich, denn die Ionier waren ein altes Handels- und Schiffervolk, die +dorischen Staemme aber sind erst verhaeltnismaessig spaet von ihren +binnenlaendischen Bergen in die Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen +Zeiten dem Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen +Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. Die phokaeischen +Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden babylonischen Fuss. Die +chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit dem aeginaeischen, das heisst +dem urspruenglich im ganzen europaeischen Griechenland vorherrschenden und zwar +zunaechst derjenigen Modifikation desselben, die wir dort auf Euboea +wiederfinden. Die achaeischen Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen +endlich auf diejenige Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika +eingefuehrt hatte, nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken +vielmehr nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der der +sizilischen Dorer. +</p> + +<p> +Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und Ansiedlungen wird wohl fuer immer +in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. Zwar eine gewisse Folge darin tritt auch +fuer uns noch unverkennbar hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen, +welche, wie der aelteste Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern +eignet, in den Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das +oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See +verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa noch +von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde nach +Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen Dichtung +mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche am fruehesten mit +dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige Kunde von Sizilien und +Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter des Ostens konnten, wie +seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften Orient, ungestoert die leeren +Raeume des Westens mit ihren luftigen Gestalten erfuellen. Bestimmter treten +schon in den Hesiodischen Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; +sie kennen aus beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und +Staedten; doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten +nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte Gestade +Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. Ebenso laesst die +Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger Sicherheit sich +bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im Westland galt offenbar schon +dem Thukydides Kyme; und gewiss hat er nicht geirrt. Allerdings lag dem +griechischen Schiffer mancher Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie +vor den Barbaren war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die +Stadt urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser +Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf dem +Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die noch heute +den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt traegt. Nirgends in Italien +sind denn auch die Oertlichkeiten der kleinasiatischen Maerchen mit solcher +Festigkeit und Lebendigkeit lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo +die fruehesten Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst +das Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu wandeln +meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden Aornossee +zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen Nachbarn der Italiker +wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb der Name desjenigen +italischen Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen war, der Name der Opiker, +von ihnen noch lange Jahrhunderte nachher fuer saemtliche Italiker gebraucht +ward. Es ist ferner glaublich ueberliefert, dass die massenhafte hellenische +Einwanderung in Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch +einen betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener Einwanderung +wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und Naxos auf Sizilien +die aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in Italien und Sizilien +gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die achaeischen und dorischen +Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind. +</p> + +<p> +Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen auch nur +annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung der achaeischen +Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen Stadt Taras im Jahre 46 +Roms (708) moegen die aeltesten Daten der italischen Geschichte sein, deren +wenigstens ungefaehre Richtigkeit als ausgemacht angesehen werden kann. Um +wieviel aber die Ausfuehrung der aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser +Epoche zurueckliege, ist ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der +Hesiodischen und gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter +Homers richtig bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor +der Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle +anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer die +Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache erwaegt, +dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der hellenische +Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung der Hellenen von +dem in Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder Graeci entlehnten ^1, +wird geneigt sein, den fruehesten Verkehr der Italiker mit den Griechen um ein +bedeutendes hoeher hinaufzuruecken. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Ob der Name der Graeker urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland und +der Gegend von Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das +Westmeer reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in +ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des +eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte Nation +uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als aelterer +Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit beiseite geschoben +und dem hellenischen untergeordnet, welcher letztere bei Homer noch nicht, wohl +aber, ausser bei Hesiod, schon bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704) +auftritt und recht wohl noch bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L. +Duncker, Geschichte des Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also +bereits vor dieser Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt, +dass jener in Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der +griechischen Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei +nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der +hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen ist als +diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer sich fixierte als +dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den wohlbekannten +naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es damit vereinigen will, +dass noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms Italien den kleinasiatischen +Griechen voellig unbekannt war, ist schwer abzusehen. Von dem Alphabet wird +unten die Rede sein; es ergibt dessen Geschichte vollkommen die gleichen +Resultate. Man wird es vielleicht verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin +die Herodotische Angabe ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es +etwa keine Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen? +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Die Geschichte der italischen und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil der +italischen; die hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten +Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten und Rechten +der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den verschiedenen +Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu bezeichnen und wenigstens +gewisse Grundzuege hervorzuheben, durch die der verschiedenartige Einfluss der +griechischen Kolonisierung auf Italien wesentlich bedingt worden ist. +</p> + +<p> +Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am meisten +geschlossene war diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund hervorging, +welchen die Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, Sybaris mit +seinen Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina und +Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen genommen, +einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen, dem dorischen +naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des sonst allgemein in +Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit an der altnationalen +hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine besondere Nationalitaet den +Barbaren wie den andern Griechen gegenueber in einer festen buendischen +Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer laesst sich anwenden, +was Polybios von der achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: “nicht +allein in eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie, +sondern sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und +Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter”. +</p> + +<p> +Dieser Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die Staedte +waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne +Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den Bruecken +seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm Milesier und Etrusker. +Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss die Kuestensaeume, sondern +herrschten von Meer zu Meer in dem “Wein-” und +“Rinderland” (Οινοτρία, Ιταλία) oder der “grossen +Hellas”; die eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel +oder gar in Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner +Zeit die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme und +fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und Poseidonia +gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des Krathis und Bradanos +warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen Ertrag ab - vielleicht ist +hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut worden. Von der hohen Bluete, zu +welcher diese Staaten in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am +lebendigsten die einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen +Achaeer: ihre Muenzen von strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt +die fruehesten Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung +erweislich im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen +zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben um +diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern in +der Technik demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt der dicken, oft nur +einseitig gepraegten und regelmaessig schriftlosen Silberstuecke, welche um +diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern +ueblich waren, schlugen die italischen Achaeer mit grosser und selbstaendiger +Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen, teils erhaben teils vertieft +geschnittenen Stempeln grosse duenne, stets mit Aufschrift versehene +Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der Falschmuenzerei jener Zeit - +Plattierung geringen Metalls mit duennen Silberblaettern - sich schuetzende +Praegweise den wohlgeordneten Kulturstaat verraet. +</p> + +<p> +Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. In der muehelosen, weder durch +kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch durch eigene schwere Arbeit auf die +Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen frueh die Spannkraft des +Koerpers und des Geistes. Keiner der glaenzenden Namen der griechischen Kunst +und Literatur verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren +unzaehlige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische +Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der +Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess +die strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden frueh +ans Ruder gekommen war und im Notfall an der Bundesgewalt einen sicheren +Rueckhalt fand: wohl aber drohte die Verwandlung der Herrschaft der Besten in +eine Herrschaft der Wenigen, vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in +den verschiedenen Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig +sich aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des +Pythagoras bezeichnete solidarische Verbindung der “Freunde”, sie +gebot, die herrschende Klasse “gleich den Goettern zu verehren”, +die dienende “gleich den Tieren zu unterwerfen”, und rief durch +solche Theorie und Praxis eine furchtbare Reaktion hervor, welche mit der +Vernichtung der pythagoreischen “Freunde” und mit der Erneuerung +der alten Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, +Massenerhebungen der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische +Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten +Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, bis +ihre politische Macht darueber zusammenbrach. +</p> + +<p> +Es ist danach nicht zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die +daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die +uebrigen griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus +ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als den +Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die Eingeborenen und +zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne doch den Italikern durch +vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu eroeffnen. So ist in Sybaris und +Metapont, in Kroton und Poseidonia das griechische Wesen, das sonst allen +politischen Missgeschicken zum Trotz sich lebenskraeftig zu behaupten wusste, +schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet, +und die zwiesprachigen Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der +eingeborenen Italiker und der Achaeer und den juengeren Einwanderern +sabellischer Herkunft hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig +gelangt. Indes, diese Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende +Periode. +</p> + +<p> +Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der +uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn +keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer +Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art an einer +befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle diese Staedte +zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und darum denn auch, ganz +abweichend von den achaeischen, durchgaengig an den besten Haefen und +Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, die Veranlassung und die Epoche dieser +Gruendungen waren mannigfach verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine +gewisse Gemeinschaft - so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch +gewisser moderner Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der +Sprache, der auch in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel +Kyme ^3, von Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die +Entwicklung Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade +wichtig geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend +in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des dorischen Tarent +und des ionischen Kyme. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^2 So sind die drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als +leicht zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen +vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder ausschliesslich +oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, waehrend die uebrigen Griechen +Italiens und Siziliens ohne Unterschied des Stammes sich ausschliesslich oder +doch sehr vorwiegend der juengeren Formen bedient haben. +</p> + +<p> +^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Tongefaess Ταταίες εμί +λέυqθος. Fόσ δ'άν με κλέφσει θύφλος έσται. +</p> + +<p> +————————————————- +</p> + +<p> +Den Tarentinern ist unter allen hellenischen Ansiedlungen in Italien die +glaenzendste Rolle zugefallen. Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der +ganzen Suedkueste, machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepôt fuer den +sueditalienischen Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem +Adriatischen Meer. Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und +Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft +der tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte - +beide Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos -, +beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch den +Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im griechischen +Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen Muenzen sind noch +heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften tarentinischen Verkehrs. +Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit Sybaris um den ersten Rang unter den +unteritalischen Griechenstaedten rang, muessen seine ausgedehnten +Handelsverbindungen sich angeknuepft haben; indes auf eine wesentliche +Erweiterung ihres Gebietes nach Art der achaeischen Staedte scheinen die +Tarentiner nie mit dauerndem Erfolg ausgegangen zu sein. +</p> + +<p> +Wenn also die oestlichste der griechischen Ansiedlungen in Italien rasch und +glaenzend sich emporhob, so gediehen die noerdlichsten derselben am Vesuv zu +bescheidnerer Bluete. Hier waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus +die Kymaeer auf das Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart +am Meere eine zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia +(spaeter Puteoli), und weiter die “Neustadt” Neapolis gegruendet +wurden. Sie lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und +Sizilien, nach den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650) +festgestellt hatte, in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus +gemaessigten Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den Reichsten +erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung, die sich bewaehrte und +im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir +wissen wenig von den aeusseren Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie +blieben, sei es aus Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner +beschraenkt auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und +unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich mit ihnen +handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine gedeihliche Existenz +und nahmen zugleich den ersten Platz unter den Missionaren der griechischen +Zivilisation in Italien ein. +</p> + +<p> +Wenn zu beiden Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die +ganze suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere oestliche +Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so gestalteten dagegen auf +der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv und auf der ganzen Ostkueste die +Verhaeltnisse sich wesentlich anders. An dem dem Adriatischen Meer zugewandten +italischen Gestade entstanden griechische Ansiedlungen nirgends; womit die +verhaeltnismaessig geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der +griechischen Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und den +zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich zusammenhaengt. Zwar +wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser Kueste zwei ansehnliche +Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt Durazzo; 127 587) und Apollonia +(bei Avlona; um 167 627) noch waehrend der roemischen Koenigsherrschaft +gegruendet; aber weiter noerdlich ist, mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden +Niederlassung auf Schwarzkerkyra (Curzola; um 174? 580) keine alte griechische +Ansiedlung nachzuweisen. Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die +griechische Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat, +wohin doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat +seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach Rom (um +44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein Handelszug bestand, +dessen Entrepôts auf der italischen Kueste die Staedte an der Pomuendung, Spina +und Atria, waren. Die Stuerme der Adriatischen See, die Unwirtlichkeit +wenigstens der illyrischen Kuesten, die Wildheit der Eingeborenen reichen +offenbar allein nicht aus, um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien +ist es von den wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden +Elemente der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften +einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese gelangten. Selbst in den +Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und Kerkyra die oestlichste Kaufstadt +Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch den Besitz von Hydrus +(Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf der italischen Seite +beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung an der ganzen Ostkueste +nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht bestanden - Ankons Aufbluehen faellt +in weit spaetere Zeit und noch spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es +wohl begreiflich, dass die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in +Tarent loeschten. Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit +Apulien; auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im +Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die ersten +Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer spaeteren +Epoche. +</p> + +<p> +Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich vom Vesuv in aeltester Zeit +von den Hellenen befahren worden ist und auf den Inseln und Landspitzen +hellenische Faktoreien bestanden, laesst sich nicht bezweifeln. Wohl das +aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die Lokalisierung der Odysseussage an den +Kuesten des Tyrrhenischen Meeres ^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des +Aeolos wiederfand, wenn man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am +Misenischen die der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das +ragende Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn +bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne des +Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, im +“innersten Winkel der heiligen Inseln” die Tyrrhener beherrschen +oder in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke, +Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das alte +Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat auf der +Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche Lebendigkeit der +Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den Fahrten des Odysseus +waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung derselben Sage bei +Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der kymaeischen Schiffer. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische +Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische ‘Theogonie’ in einem +ihrer juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor +Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und der +sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an, wo Italien +den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher sehr alt; und es +kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen mit Sicherheit in die +roemische Koenigszeit gesetzt werden. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Andere Spuren dieser aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel +Aethalia (Ilva, Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von Griechen +besetzten Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes +Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der caeritischen Kueste +Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss die Namen +unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die eigentuemliche, +von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen Stadtmauern sich +wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern von Pyrgi. Aethalia, +“die Feuerinsel”, mit ihren reichen Kupfer- und besonders +Eisengruben mag in diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und hier die +Altsiedlung der Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen seinen Mittelpunkt +gehabt haben; um so mehr als das Schmelzen der Erze auf der kleinen und nicht +waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch +die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenueberliegenden Landspitze +waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. +</p> + +<p> +Wenn die Fremden, wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- und +Landraub obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit sich +bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven fortzufuehren, so +uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das Vergeltungsrecht aus; und dass die +Latiner und Tyrrhener dies mit groesserer Energie und besserem Glueck getan +haben als ihre sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, +sondern vor allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich +der Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte und +Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch Herren +ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die sueditalischen +Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker Mittelitaliens, +freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, zur Seefahrt und zur +Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der Italiker das Floss und den +Nachen mit der phoenikischen und griechischen Rudergaleere vertauscht haben. +Hier zuerst begegnen grosse Kaufstaedte, vor allem Caere im suedlichen Etrurien +und Rom am Tiber, die, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger +Entfernung vom Meere zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen +Handelsstaedte an der Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich +Ariminum, sicher keine griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den +geschichtlichen Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet +gegen fremden Eingriff darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande; +wohl aber laesst es noch sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung +Italiens von der groessten Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium und im +suedlichen Etrurien einen andern Gang genommen hat als in der eigentlichen +tuskischen und den sich daran anschliessenden Landschaften. +</p> + +<p> +Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem “wilden Tyrrhener” +den Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche +Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint sein, dass +man die griechische Kolonisierung in einigen Landschaften Mittelitaliens +geduldet, in andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts vom Vesuv hat +ueberhaupt in geschichtlicher Zeit nirgends eine unabhaengige griechische +Gemeinde bestanden, und wenn Pyrgi dies einmal gewesen ist, so muss es doch +schon vor dem Beginn unserer Ueberlieferung in die Haende der Italiker, das +heisst der Caeriten zurueckgekehrt sein. Aber wohl ward in Suedetrurien, in +Latium und ebenso an der Ostkueste der friedliche Verkehr mit den fremden +Kaufleuten geschuetzt und gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem +merkwuerdig ist die Stellung von Caere. “Die Caeriten”, sagt +Strabon, “galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und +Gerechtigkeit, und weil sie, so maechtig sie waren, des Raubes sich +enthielten.” Nicht der Seeraub ist gemeint, den der caeritische Kaufmann +wie jeder andere sich gestattet haben wird; sondern Caere war eine Art von +Freihafen fuer die Phoeniker wie fuer die Griechen. Wir haben der phoenikischen +Station - spaeter Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und Alsion bereits +gedacht; diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich enthielten, +und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte Reede +besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher Bluete gelangt ist +und fuer den aeltesten griechischen Handel noch groessere Bedeutung gewonnen +hat als die von der Natur zu Emporien bestimmten Staedte der Italiker an den +Muendungen des Tiber und des Po. Die hier genannten Staedte sind es, welche in +uraltem religioesen Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste unter allen +Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische Koenig +Arimnos, vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem Tempel +des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem Verkehr +stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der aeltesten +caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische Heiligtum sowohl +wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, wo die Italiker friedlich +schalteten und mit dem fremden Kaufmann freundlich verkehrten, wurden vor allen +reich und maechtig und wie fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime +der hellenischen Zivilisation die rechten Stapelplaetze. +</p> + +<p> +Anders gestalteten sich die Verhaeltnisse bei den “wilden +Tyrrhenern”. Dieselben Ursachen, die in der latinischen und in den +vielleicht mehr unter etruskischer Suprematie stehenden als eigentlich +etruskischen Landschaften am rechten Tiberufer und am unteren Po zur +Emanzipierung der Eingeborenen von der fremden Seegewalt gefuehrt hatten, +entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, sei es aus anderen Ursachen, sei es +infolge des verschiedenartigen, zu Gewalttat und Pluenderung hinneigenden +Nationalcharakters, den Seeraub und die eigene Seemacht. Man begnuegte sich +hier nicht, die Griechen aus Aethalia und Populonia zu verdraengen; auch der +einzelne Kaufmann ward, wie es scheint, hier nicht geduldet, und bald +durchstreiften sogar etruskische Kaper weithin die See und machten den Namen +der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache galt diesen der +Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die Griechen das +italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem diese wilden +Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, zeigt am +deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und kampanischen Kueste. Zwar +behaupteten im eigentlichen Latium sich die Latiner und am Vesuv sich die +Griechen; aber zwischen und neben ihnen geboten die Etrusker in Antium wie in +Surrentum. Die Volsker traten in die Klientel der Etrusker ein; aus ihren +Waldungen bezogen diese die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der +Antiaten erst die roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es +wohl, warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das +laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch steileren, +aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der Buchten von Neapel +und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende Korsarenwarte, wurde frueh +von den Etruskern in Besitz genommen. Sie sollen sogar in Kampanien einen +eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet haben und etruskisch redende Gemeinden +haben hier noch in vollkommen historischer Zeit im Binnenlande bestanden; +wahrscheinlich sind diese Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der +Seeherrschaft der Etrusker im kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit +den Kymaeern am Vesuv hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich +keineswegs auf Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit +griechischen Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die +wenigstens vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders +Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss geschlagen haben; +dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern vielmehr attischen, ja +kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, ist uebrigens wohl auch ein +Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der Etrusker zu den italischen +Griechen. In der Tat befanden sie sich fuer den Handel in der guenstigsten +Stellung und in einer weit vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von +Meer zu Meer wohnend geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen +Freihafen, am oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit, +ferner ueber die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen +nach Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die reichen +Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten italischen +Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische und kampanische +Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der Ostsee ihnen zugefuehrten +Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie, gleichsam einer rohen +Navigationsakte, musste ihr eigener Handel emporkommen; und es kann ebensowenig +befremden, dass in Sybaris der etruskische und milesische Kaufmann +konkurrierten, als dass aus jener Verbindung von Kaperei und Grosshandel der +mass- und sinnlose Luxus entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich +selber verzehrt hat. +</p> + +<p> +Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die Latiner +den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden, so griff +dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in diejenige Rivalitaet ein, +die damals Handel und Schiffahrt auf dem Mittellaendischen Meere vor allem +beherrschte: in die Rivalitaet der Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht +dieses Orts, im einzelnen darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit +diese beiden grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in +Griechenland und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen, +spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft rangen; +unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht gekaempft, aber die +Folgen derselben doch auch in Italien tief und nachhaltig empfunden. Die +frische Energie und die universellere Begabung des juengeren Nebenbuhlers war +anfangs ueberall im Vorteil; die Hellenen entledigten sich nicht bloss der +phoenikischen Faktoreien in ihrer europaeischen und asiatischen Heimat, sondern +verdraengten die Phoeniker auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten +und Kyrene und bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen +Haelfte der sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen +Handelsplaetze der energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward auch im +westlichen Sizilien Selinus (126 628) und Akragas (174 580) gegruendet, schon +von den kuehnen kleinasiatischen Phokaeern die entferntere Westsee befahren, an +dem keltischen Gestade Massalia erbaut (um 150 600) und die spanische Kueste +erkundet. Aber ploetzlich, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der +Fortschritt der hellenischen Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die +Ursache dieses Stockens der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge +der von den Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die +maechtigste ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die den +Seeverkehr auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch den juengeren +Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft ueber die Westsee, dem +Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem oestlichen und dem westlichen +Becken des Mittelmeeres und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient +und Okzident, so konnte doch wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von +Sardinien und Sizilien noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren +Behauptung setzte Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche +zaehe und umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand +der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren +phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides schildert, +waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich ausgedehnte +Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen Festungen. Hatten bisher +die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt den Griechen gegenuebergestanden, +so zentralisierte jetzt die maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die +ganze Wehrkraft ihrer Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische +Geschichte nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das +wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge +Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu +erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier und +Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen Ansiedlungen auf +Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten, wurden sie durch die +Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker wieder von dort vertrieben. +Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia (Aleria) auf Korsika Caere +gegenueber niederliessen, erschien, um sie von dort zu vertreiben, die +vereinigte Flotte der Etrusker und der Karthager, hundertundzwanzig Segel +stark; und obwohl in dieser Seeschlacht - einer der aeltesten, die die +Geschichte kennt - die nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg +zuschrieb, so erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den +Angriff bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber an +der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich nieder. Ein +Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss die Regeln ueber +Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch ein Waffenbuendnis +(συμμαχία) ein, von dessen ernstlicher Bedeutung eben jene Schlacht von Alalia +zeugt. Charakteristisch ist es fuer die Stellung der Caeriten, dass sie die +phokaeischen Gefangenen auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den +Frevel zu suehnen, den delphischen Apoll beschickten. +</p> + +<p> +Latium hat dieser Fehde gegen die Hellenen sich nicht angeschlossen; vielmehr +finden sich in sehr alter Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu den +Phokaeern in Hyele wie in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar +gemeinschaftlich mit den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere +Saguntum gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf +die Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen +zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den Latinern +und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern durch Vermittlung +der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, ihn stets mit dem +griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder den Namen der Stadt +Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den Griechen entlehnt haben, +dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern mit dem ebenfalls die griechische +Vermittlung ausschliessenden Namen der sarranischen bezeichnet werden ^7, +beweist ebenso wie die spaeteren Vertraege den alten und unmittelbaren +Handelsverkehr zwischen Latium und Karthago. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^5 Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago. +</p> + +<p> +^6 Der Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio +Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich stammverwandt mit +dem der Hebraeer. +</p> + +<p> +^7 Sarranisch heissen den Roemern seit alter Zeit der tyrische Purpur und die +tyrische Floete, und auch als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem +Hannibalischen Krieg in Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende +Stadtname Sarra ist wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen +Namen Sor gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern +nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K. Movers, Die +Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174. +</p> + +<p> +—————————————————————— +</p> + +<p> +Der vereinigten Macht der Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die +westliche Haelfte des Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der +nordwestliche Teil von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos +an der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im +unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des Kyros und +Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu bestimmen suchte, insgesamt aus +Kleinasien auswandernd in Sardinien sich niederzulassen (um 200 554), kam ihnen +dort der karthagische Feldherr Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil +der wichtigen Insel mit Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint +das ganze Gestade Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen +Gemeinde. Korsika dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern +zu und die Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel, +dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in den Gewaessern +westlich von Sizilien und Sardinien herrschten die verbuendeten Etrusker und +Karthager. Zwar gaben die Griechen den Kampf nicht auf. Jene von Lilybaeon +vertriebenen Rhodier und Knidier setzten auf den Inseln zwischen Sizilien und +Italien sich fest und gruendeten hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia +gedieh trotz seiner Isolierung und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis +nach den Pyrenaeen. An den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt +Rhoda (jetzt Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich +angesiedelt, ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten +geherrscht haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer die Hellenen +vorbei; nach Akragas’ Gruendung sind ihnen bedeutende +Gebietserweiterungen am Adriatischen wie am westlichen Meer nicht mehr +gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben ihnen +verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den tuskischen +“Seeraeubern”, die Karthager mit den Massalioten, den Kyrenaeern, +vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner Seite hin ward ein +dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der Jahrhunderte langen Kaempfe +war im ganzen die Aufrechterhaltung des Status quo. +</p> + +<p> +So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern es zu danken, dass +wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften nicht kolonisiert wurden, +sondern hier, namentlich in Etrurien, eine nationale Seemacht ins Leben trat. +Es fehlt aber auch nicht an Spuren, dass die Phoeniker es schon der Muehe wert +fanden, wenn nicht gegen die latinischen, doch wenigstens gegen die +seemaechtigeren etruskischen Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, +die aller Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den +Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den +Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden +rivalisierenden Interessen. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/> +Recht und Gericht</h2> + +<p> +Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen, +vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung der +Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des +einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden, +sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der Versuch, diese Zustaende, +wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben fuer diese +aelteste, geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen notwendig, weil +die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker +trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen +laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten +Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen, dass sie +einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch diese saeuseln zu +lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer +und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser schicken zu fragen, wie +denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der +Religion sich ausgepraegt, wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die +Schrift den Voelkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig +auch hier unser Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das +der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und +lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch eine +Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, um dies gleich +hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich zusammenfassen, dass bei den +Italikern und insbesondere bei den Roemern von den urzeitlichen Zustaenden +verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei irgendeinem anderen +indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der +Weiber, Kauf der Ehefrau, primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der +Gemeindegewalt ringende Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - +alle diese und unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als +Grundlage der italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns +zuerst anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, und +nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr einstmaliges +Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte bei einem weit +spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die griechische und deutsche +und traegt von Haus aus einen relativ modernen Charakter. +</p> + +<p> +Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen: nur von +dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung einige Kunde auf +uns gekommen. +</p> + +<p> +Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem +Koenig, welcher Gericht oder “Gebot” (ius) haelt an den Spruchtagen +(dies fasti) auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem +Wagenstuhl (sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor +ihm der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber +die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste +maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst nicht als +Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte +die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine +eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des +dem Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen +Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der +koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur. +Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich +vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die +Toetung des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die +Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon +bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die +Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt +unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den +Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem deutschen Recht +zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas wahrzunehmen, noch findet sich in +diesem, was in jenem so haeufig ist, dass der Wille selbst und die Macht einen +Anspruch mit den Waffen in der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder +doch zulaessig behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder +Privatprozess, je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des +Verletzten einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede +gebrochen ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der +Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen Auflehnung +gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder (parricida), der +Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder Frauenehre, der +Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch boesen Zauber +bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Goetter und des Volkes +ueberlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den gemeinen +Frieden und werden deshalb dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess +eroeffnet und leitet der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den +zugezogenen Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem +er den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung +an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen werden; +die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner fuer +Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren staendigen +Stellvertreter, die “Mordspuerer” (quaestores parricidii), denen +zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse +polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber +wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist +Regel, doch kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden. +Folterung zur Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer +ueberwiesen ist, den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem +Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom +Burgfelsen gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt. +Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig aber +kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) gestatten oder +verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine Begnadigung des verurteilten +Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall +tut, darf an demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus +betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher +geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der +Vesta zufaellig begegnet. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Dieser “Wagenstuhl” - eine andere Erklaerung ist sprachlich +nicht wohl moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in +der Weise erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt war, +woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche Gelegenheiten +blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein erhoehtes Tribunal gab, +auf dem Comitium oder wo er sonst wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach. +</p> + +<p> +^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24) +sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten; +dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe; +dass dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder des +Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass aber infolge +goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener Strafgerichte sowohl die +ersten als die zweiten Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich zur +gerechten Strafe gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine +Historisierung der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der +Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden +Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber auch +verwirrt oder zurechtgemacht. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der +Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name +multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner +Hand. +</p> + +<p> +In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine Friede +verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher +den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter Gewalt zwingt, sich mit ihm +persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind beide Parteien erschienen und hat der +Klaeger die Forderung muendlich vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in +gleicher Weise verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen +oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die +regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich +zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein, +wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne +(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder seine +gerechte Forderung nicht erfuellt ward. +</p> + +<p> +Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und +wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht +bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat +ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die +Erbitterung, welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen +diesen. Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht +imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter gebilligte +Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann +zugesprochen. +</p> + +<p> +Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den leichteren +Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe +ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn +um Zahn. +</p> + +<p> +Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft +benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden ist, sich +nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem “Sklaven- und +Viehstand” (familia pecuniaque) entwickelt. Als Rechtsgrund desselben +gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles +Eigentum als dem einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben +und Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in +dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. +Alles Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen +wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit +ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und +kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das +vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die +Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche +Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch +versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein +Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den +Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen +Beschraenkungen des Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen +jedem erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die +Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und seine +Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter +Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das +Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine +groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die +beiden Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers und +Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen Recht +miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit +Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft unentbehrlichen +Gerechtigkeiten, durchaus nicht zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente +sind rechtlich unmoeglich; anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig +kennt, dient die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den +Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort +(fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu veraeussern +und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem Schuldner +zurueckzustellen. +</p> + +<p> +Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die +Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten +(praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen die +Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen Anspruch auf +Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach +kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig +hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. +Rechtlich klagbar sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die +versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner +der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich +abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die +Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den +bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das Kupfer +anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser geworden war, +geschah durch Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer auf der von einem +Unparteiischen richtig gehaltenen Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss +der Verkaeufer dafuer einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der +Verkaeufer wie der Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; +widrigenfalls buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm +entwendet haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug +um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum +und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen eingegangen, +indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene Quantitaet Kupfer +unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem +Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen +wohl fuer das Jahr zehn Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte +seinerzeit auch die Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem +Staat gegenueber seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres +mit allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte zur +Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die Vergewaltigung +seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder erfolgte die +Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es darauf an, ob das +Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei Eigentumsklagen regelmaessig +der Fall war, oder schon klar vorlag, was bei Darlehensklagen nach den +geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. +Die Feststellung des Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede +Partei fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei +wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern, bei +geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann, wer recht +gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei den Priestern zum +Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht gewettet hatte, und, +ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage hatte verstreichen lassen; +ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand, also regelmaessig der +Darlehensschuldner, wofern er nicht Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, +unterlag dem Exekutionsverfahren “durch Handanlegung” (manus +iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht +stellte, lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte +der Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten +und diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das +Verfahren eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter +persoenlich verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der +Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch Vertretung +ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn +abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage +verstrichen, war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt +ausgestellt und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und +dies alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu +toeten und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und +seiner Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an +Sklaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der +roemischen Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave +werden. So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den +Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den +zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt. +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die +Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums +gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die +Tradition angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht. +Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie passt +zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand erworben +werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das +Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die +Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird +demnach eine Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch +der Gebrauch der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die +Manzipation urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen +Reform bei allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete +die Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, dass +nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten. +</p> + +<p> +^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des Kapitals +(uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das zwoelfmonatliche +zehn vom Hundert. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung +des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen +und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut +desselben berief. +</p> + +<p> +Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle +Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die Witwe mit +den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren von der +gesetzlichen Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch vorher wegen +der an dem Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten der Priester +einzuholen ist; indes scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig +geworden zu sein, und wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien +Disposition, die einem jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, +diesem Mangel dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein +Gesamtvermoegen einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen +des Verstorbenen gemaess verteilte. +</p> + +<p> +Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte +freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen +dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger +Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren +der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die +Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem +Herrn nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach +Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo +sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber +anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. Eine +eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch nicht - der +beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht gegeben haben kann -, +sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt, welche das Recht sonst +darbot: das Testament, der Prozess, die Schatzung. Wenn der Herr entweder bei +Errichtung seines letzten Willens in der Volksversammlung den Sklaven +freigesprochen hatte oder wenn er dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber +vor Gericht die Freiheit anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste +einzeichnen zu lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber +wohl als frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und +demnach anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere +Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des Sohnes; +denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und darum willkuerlich +loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu sein. Darum musste +spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen, erst in die Knechtschaft +eintreten, um dann aus dieser entlassen zu werden; in der gegenwaertigen +Periode aber kann es eine Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben. +</p> + +<p> +Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen +denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige privatrechtliche +Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen +Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er +wie seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht +erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das +Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische +Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer +gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne Buerger +nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem +Heerbann ficht, bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern +dem Staat, und hier haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben +oder zurueckzunehmen. +</p> + +<p> +Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere +Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der roemischen +gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige Buendnis zwischen Rom und +Latium alle Vertraege zwischen Roemern und Latinern fuer rechtsgueltig und +verordnete zugleich fuer diese einen beschleunigten Zivilprozess vor +geschworenen “Wiederschaffern” (reciperatores), welche, da sie, +gegen den sonstigen roemischen Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu +uebertragen, immer in der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein +aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und +Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages +und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die Formen, +in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, waren +natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer miteinander +verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind urspruenglich gar keine +Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren +Herrschaft reichte wenigstens so weit man lateinisch sprach. +</p> + +<p> +In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem eigentlichen +Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit den Caeriten und +anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr und Rechtsfolge +abgeschlossen und die Grundlage des internationalen Privatrechts (ius gentium) +geworden sein, das sich in Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat. +Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der +“Wandel” (von mutare; wie dividuus); eine Form des Darlehens, die +nicht wie das Nexum auf einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden +Erklaerung des Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus +einer Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden +entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum +charakteristisch, dass das Wort als μοίτον im sizilischen Griechisch +wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen des lateinischen +carcer in dem sizilischen κάρκαρον. Da es sprachlich feststeht, dass beide +Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr Vorkommen in dem sizilischen +Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den haeufigen Verkehr der latinischen +Schiffer auf der Insel, welcher sie veranlasste, dort Geld zu borgen und der +Schuldhaft, die ja ueberall in den aelteren Rechten die Folge des nicht +bezahlten Darlehens ist, sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des +syrakusanischen Gefaengnisses, “Steinbrueche” oder λατομίαι, in +alter Zeit auf das erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae +uebertragen. +</p> + +<p> +Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen, +die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes Jahrhundert +nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten Aufzeichnung des roemischen +Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Koenigszeit sich wohl fuer +einzelne Punkte, aber nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin +das Recht einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- +und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum Beispiel die +deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig verschollen. Es +unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den Italikern einmal +vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer sind zum Beispiel die Form +der Haussuchung, wobei der Suchende nach roemischer wie nach deutscher Sitte +ohne Obergewand im blossen Hemd erscheinen musste, und vor allem die uralte +latinische Formel der Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den +Kelten und den Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das “reine +Kraut” (herba pura, fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen +Bodens und der angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit +wenigen Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen +Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch das +Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das roemische +Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und fordert in allen +Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und reinen Ausdruck des +Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung +der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien die Absicht in verstaendlicher +Weise erklaert haben; es ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in +die Hand zu geben, den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das +Haupt zu verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes +einzufuehren; aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem +roemischen Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus +der Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward, +wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist +hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die germanischen +Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der +Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder +Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb +des Staates zur Ergaenzung der unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen +Schutz und Trutz, keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung +des einzelnen beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl +einmal bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des +Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger +den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine +Spur sich finden; allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in +Gedanken erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar +vernichtet ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; +aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet +ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der Staat dem +Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund ist ueberall der +Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im +weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder +stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag +gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament +nur, insofern die Gemeinde es bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des +oeffentlichen und des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen +den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer +Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder den Gast, +welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder Befriedigung des +Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst werden, sondern +hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste +Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren; +ganz wie heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der +strenge Wechselprozess zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse +stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende +Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den +Maennern voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt +sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste +Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist +in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst +charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, sondern +anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage das +Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des Eigentums vom Schuldner auf +den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche Kredit in der umfassendsten, um +nicht zu sagen ausschweifendsten Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den +Glaeubiger befugt, den zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu +behandeln und ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum +Spott ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den +Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es der +Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass es zugleich +unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und kaufmaennischen Kredit +herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle Wortlosigkeit mit +unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige. Nimmt man dazu das frueh +anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher Latiner und die gleichfalls frueh +ausgesprochene Gueltigkeit der Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser +Staat, der das Hoechste von seinen Buergern verlangte und den Begriff der +Untertaenigkeit des einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor +oder nach ihm, dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des +Verkehrs selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie +beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt auf: wie +der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast dem Buerger +gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo das Recht des +Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass dem Armen nirgends +eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige Beruecksichtigung sich +zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude daran, ueberall die schaerfsten +Spitzen hervorzukehren, die aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische +des Rechtsbegriffs gewaltsam dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die +poetische Form, die gemuetliche Anschaulichkeit, die in den germanischen +Rechtsordnungen anmutig walten, sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist +alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist +nicht grausam; alles Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die +Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des +roemischen Rechts, den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen +muessen. Aber es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, +die man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis, +denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die +Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den +Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die Groesse +Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein Recht gesetzt +und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze der Freiheit und der +Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge unverfaelscht und ungemildert +walteten und heute noch walten. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/> +Religion</h2> + +<p> +Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher angedeutet ward, +hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem hoeheren und +idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine +wie das Grosse wiederholte. Der Staat und das Geschlecht, das einzelne +Naturereignis wie die einzelne geistige Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und +Gegenstand, ja jede Handlung innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in +der roemischen Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge +flutet im ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis. +Der Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht laenger +als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen Menschen lebt und +stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt auch diesen Goetterwesen ewige +Dauer zu, als aehnliche Handlungen und gleichartige Menschen und damit auch +gleichartige Geister immer aufs neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber +der roemischen, walten ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene +Gottheiten; wie schroff auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem +fremden Gott entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde +Gottheiten dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und +wenn aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden auch +wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich zu bereiten. +</p> + +<p> +Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder Beruehrung mit den +Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem Verzeichnis der +oeffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae) der roemischen Gemeinde, +das in dem Kalender derselben erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus +dem roemischen Altertum auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in +demselben nehmen die Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des +letzteren, dem Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) +heilig, ausserdem die saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter +noch zu erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem “boesen Jovis” +(Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen gehoert das +Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest in diesem, von dem +Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch das Pferderennen +(equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den Tagen des Schildschmiedens +(equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), des Waffentanzes auf der Dingstaette +(quinquatrus, 19. Maerz) und der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine +Hochtage hatte. Wie, wenn ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste +begann, so folgte nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine +Marsfeier, das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten +Mars endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den +uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezueglichen die erste +Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle spielen. Hierher +gehoert vor allem die grosse Reihe der Fruehlingsfeste im April, wo am 15. der +Tellus, das ist der naehrenden Erde (fordicidia, Opfer der traechtigen Kuh), +und am 19. der Ceres, das ist der Goettin des sprossenden Wachstums (Cerialia), +dann am 21. der befruchtenden Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter +als dem Schuetzer der Reben und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden +Faesser von der vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der +Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird +nach vollendeter Arbeit und gluecklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und +der Goettin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops +ein Doppelfest gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21. +August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen +der Speicher vor allem offenbar wird (15. Dezember, Consualia; 19. Dezember, +Opalia), zwischen welchen letzteren beiden Feiertagen die sinnige Anschauung +der alten Festordner das Fest der Aussaat (Saturnalia von Saëturnus oder +Saturnus, 17. Dezember), einschaltete. Gleichermassen wird das Most- oder +Heilefest (meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most +heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter Lese +dargebracht, waehrend die urspruengliche Beziehung des dritten Weinfestes +(Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen weiter am +Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der Hirten zu Ehren des +guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest (Terminalia, 23. Februar) der +Ackerbauer, ferner das zweitaegige sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21. +Juli) das den Waldgoettern (Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier +(Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kuerzesten Tages, der die neue Sonne +herauffuehrt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember). +</p> + +<p> +Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das fuer die Hafenstadt Latiums +sich nicht anders erwarten laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der See +(Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17. August) und des +Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in +diesem Goetterkreis nur vertreten durch den Gott des Feuers und der +Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag +(Volcanalia, 23. August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, +23. Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis +(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die Goettin der +Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als Schuetzerin der Geburten +verehrt ward. +</p> + +<p> +Dem haeuslichen und Familienleben ueberhaupt galten das Fest der Goettin des +Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia, +9. Juni); das Fest der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das Fest des +Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), das +Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige +Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die buergerlichen +Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht klaren Festtage der +Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5. +Juli), von denen wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das +Fest der sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch +dem Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) +gewidmet. Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter +und der Acca Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest (23. +Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^1 Das ist allem Anschein nach das urspruengliche Wesen der +“Morgenmutter” oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu +erinnern hat, dass, wie die Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die +Morgenstunde fuer die Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin +ist die Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus +geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt ward, +spricht dagegen, sie urspruenglich als Hafengoettin zu fassen. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Diese Tafel ist vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; und +wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit Wandel- +und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, in dem, +was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in eine sonst +fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der +altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits erfolgt, als diese +Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch +stand der kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen +Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet; +noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss +des roemischen, sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen +Epoche, wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war +allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, vorwiegend +gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind +niederwerfende goettliche Vorfechter der Buergerschaft - natuerlich in der Art, +dass eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass und ihn fuer den staerksten +und heiligsten unter allen achtete, demnach auch jeder zu neuer +Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz seines eigenen +Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst goetterlosen - roemischen +Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den saemtlichen uebrigen latinischen und +sabellischen der erste Monat geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die +sonst ebenfalls keiner Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius +seit uralter Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen +Specht knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige +Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, und was +von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen vermocht hat, geht +ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen Doppelgaenger, den +Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings der Vater Diovis, eine +reinere und mehr buergerliche als kriegerische Widerspiegelung des Wesens der +roemischen Gemeinde, einen groesseren Raum ein als der Mars, ebenso wie der +Priester des Jupiter an Rang den beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; +aber eine sehr hervorragende Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, +und es ist sogar ganz glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt +wurde, Jovis neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der +wahrhafte Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen +Gemeinde auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war, +wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte +“Sorgenbrecher”, sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt +des herzerfreuenden Weines. +</p> + +<p> +—————————————————- +</p> + +<p> +^2 Aus Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich durch +verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in ŏ (aehnlich +wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in der Doppelform Mar-Mor +(vgl. Ma-mŭrius) neben Mar-Mar und Ma-Mers. +</p> + +<p> +—————————————————- +</p> + +<p> +Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die roemischen Gottheiten im +einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren +eigentuemlichen, zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben. +Abstraktion und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der +hellenischen Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer +Naturerscheinung oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen +jede Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen +als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte Gottheit: +“bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib”; dafuer der +tiefhaftende Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde +unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott +bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen hinueberlocke. Ein Ueberrest +dieser maechtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der aeltesten und +nationalsten italischen Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die +Abstraktion, die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer +weiteren Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen der +Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen Glaubensbilder +auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und des Begreifens. Wenn +dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen- +und Ideenkreis erweitert, so bleibt dem Roemer der Grundgedanke in seiner +urspruenglichen nackten Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch +sittlicher Verklaerung, dem goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen +und geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion +nichts auch nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich +waere. Sie weiss wohl auch von einem “schlimmen Gott” (Ve-diovis), +von Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten der +boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des Diebstahls +(laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das Menschenherz doch +auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit +dem Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen in der Natur und dem Menschen, +welches der Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen +soll. Es gab in der roemischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen +der Stadtgoetter, der Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war +jedem offenbar. +</p> + +<p> +Die nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die wichtigen +Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie terminologisch +auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch dem Privatrecht zu +Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen - zu klassifizieren, um +darnach die Goetter und Goetterreihen selber richtig anzurufen und ihre +richtige Anrufung der Menge zu weisen (indigitare). In solchen aeusserlich +abgezogenen Begriffen von der einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb +laecherlichen Schlichtheit ging die roemische Theologie wesentlich auf; +Vorstellungen wie Saat (saëturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und +Grenzstein (terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen +Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen +Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich italisches +Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und doch liegt in ihm +eben nichts als die fuer die aengstliche roemische Religiositaet bezeichnende +Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns zunaechst der “Geist der +Eroeffnung” anzurufen sei, und vor allem das tiefe Gefuehl davon, dass es +ebenso unerlaesslich war, die roemischen Goetterbegriffe in Reihen +zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren Goetter der Hellenen notwendig jeder +fuer sich standen ^3. Vielleicht der innigste unter allen roemischen ist der +Kult der in und ueber dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im +oeffentlichen Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der +der Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen +Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der Familienmahlzeit +ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu verrichten noch zu des +aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters erstes Geschaeft war. Aber in +der Rangordnung der Goetter nahmen diese Haus- und Feldgeister eher den letzten +als den ersten Platz ein; es war, wie es bei einer auf Idealisierung +verzichtenden Religion nicht anders sein konnte, nicht die weiteste und +allgemeinste, sondern die einfachste und individuellste Abstraktion, in der das +fromme Herz die meiste Nahrung fand. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^3 Dass Tor und Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und +er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch vor +dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn +unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der nach +zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten hin sich +oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf man um so weniger +aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat urspruenglich der elfte, nicht +der erste ist; vielmehr scheint dieser Monat seinen Namen davon zu fuehren, +dass in dieser Zeit nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der +Feldarbeiten wieder von vorn beginnt. Dass uebrigens, namentlich seit der +Januarius an der Spitze des Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den +Bereich des Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst. +</p> + +<p> +——————————————————- +</p> + +<p> +Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die +praktische und utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der +oben eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und +Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel - das +ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu recht wohl, +dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- und Gluecksgoettin +(fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle aus dem taeglichen Verkehr +hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch schon +sehr frueh weit und breit von den Roemern verehrt auftreten. Strenge +Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische Spekulation waren zu tief im roemischen +Wesen begruendet, um nicht auch dessen goettliches Abbild bis in den innersten +Kern zu durchdringen. +</p> + +<p> +Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der +sterblichen Menschen, die “Guten” (manes) lebten schattenhaft +weiter, gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von +den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen der Tiefe +und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den auf der Erde +waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der griechische +Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und schlecht die +Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz unroemische +Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa, der aelteste und +ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in Rom nie als Gott verehrt +worden wie Theseus in Athen. +</p> + +<p> +Die aeltesten Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf +Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der “Zuender des +Mars” (flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt +ward, und die zwoelf “Springer” (salii), eine Schar junger Leute, +die im Maerz den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass +die Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung des +roemischen Mars und damit die Einfuehrung eines zweiten Marspriesters - des +flamen Quirinalis - und einer zweiten Taenzergilde - der salii collini - +herbeifuehrte, ist bereits frueher auseinandergesetzt worden. +</p> + +<p> +Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach weit ueber +Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, fuer welche entweder +Einzelpriester angestellt waren -solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des +Volcanus, des Hafen- und des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen +Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine +derartige Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf +“Ackerbrueder” (fratres arvales), welche die “schaffende +Goettin” (dea dia) im Mai anriefen fuer das Gedeihen der Saaten; obwohl +es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in dieser Epoche dasjenige +besondere Ansehen genoss, welches wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden. +Ihnen schloss die titische Bruederschaft sich an, die den Sonderkult der +roemischen Sabiner zu bewahren und zu besorgen hatte, sowie die fuer die Herde +der dreissig Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales). +Das schon erwaehnte “Wolfsfest” (lupercalia) wurde fuer die +Beschirmung der Herden dem “guenstigen Gotte” (faunus) von dem +Quinctiergeschlecht und den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen +Fabiern im Monat Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die +“Woelfe” (luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen +und wen sie trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern +gentilizischen Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten. +</p> + +<p> +Zu diesem aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich +neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf die +neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam zum zweitenmal +gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste beste Jovis vom +Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes, an die Spitze der +gesamten roemischen Goetterschaft, und sein fortan bestellter Zuender, der +Flamen Dialis, bildet mit den beiden Marspriestern die heilige +oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen +Stadtherdes - der Vesta - und der dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs +keusche Jungfrauen versahen, gleichsam als die Haustoechter des roemischen +Volkes, jenen frommen Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes +den Buergern zum Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es +war dieser haeuslich-oeffentliche Gottesdienst der heiligste aller roemischen, +wie er denn auch von allem Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen +Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen als der +Repraesentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben darum eine +besondere roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt; und zahlreichen +anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die Gemeinde sich in bestimmter +Weise durch allgemeine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte +stellvertretende Priesterschaften zu huldigen, wobei sie einzelnen - zum +Beispiel der Blumen (Flora) und der Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen +eigenen Zuender bestellte, sodass deren zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber +sorgfaeltig unterschied man unter ihnen jene drei “grossen Zuender” +(flamines maiores), die bis in die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern +genommen werden konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der +palatinischen und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen +Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden +Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften oder +staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur Deckung der +vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den einzelnen Tempeln +gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen. +</p> + +<p> +Dass der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der +sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht zu +bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und Vestalinnen +nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische Institutionen gewesen +und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen in den stammverwandten +Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster gebildet zu sein. +</p> + +<p> +Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis des Staats, so auch der +einzelne Buerger innerhalb seines individuellen Kreises aehnliche Anordnungen +treffen und seinen Goettern nicht bloss Opfer darbringen, sondern auch Staetten +und Diener ihnen weihen. +</p> + +<p> +Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an +den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. Jeder +Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde natuerlich +durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio und die Ritterschaft +durch ihre Obristen; und keine priesterliche Vermittlung durfte das +urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken oder verdunkeln. Allein es +ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine +eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verstaendlich ist; wer es +aber recht versteht, der weiss den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, +sondern auch zu lenken, sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. +Darum ist es natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige +Leute zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen +Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus national-italische +Institution, die auf die politische Entwicklung weit bedeutender eingewirkt hat +als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft +verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die +Verehrung einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die +Bewahrung der Tradition fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen +Verrichtungen, deren richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und +fuer deren treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese +geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden +Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und +Wissenschaften geworden. In der roemischen und ueberhaupt der latinischen +Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien urspruenglich nur zwei: das der +Augurn und das der Pontifices ^4. Die sechs “Voegelfuehrer” +(augures) verstanden die Sprache der Goetter aus dem Flug der Voegel zu deuten, +welche Auslegungskunst sehr ernstlich betrieben und in ein gleichsam +wissenschaftliches System gebracht ward. Die sechs “Brueckenbauer” +(pontifices) fuehrten ihren Namen von dem ebenso heiligen wie politisch +wichtigen Geschaeft, den Bau und das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es +waren die roemischen Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen +verstanden; woher ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu +fuehren, dem Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu +sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage +vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den ganzen +Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe, Testament und +Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte Geschaeft nicht gegen das +goettliche Recht irgendwie verstosse, und ging von ihnen die Feststellung und +Bekanntmachung der allgemeinen exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter +dem Namen der Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller +Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die allgemeine +Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was damit zusammenhing - und +was hing nicht damit zusammen? Sie selbst bezeichneten als den Inbegriff ihres +Wissens “die Kunde goettlicher und menschlicher Dinge”. In der Tat +sind die Anfaenge der geistlichen und weltlichen Rechtswissenschaft wie die der +Geschichtsaufzeichnung aus dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. +Denn wie alle Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch +anknuepft, musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach +der Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung +nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell werden, +das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein Gutachten zu geben +allein kompetent war. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen +Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen (z. B. +Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der pater patratus +der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen Kollegien aber nicht. +Jene also stehen auf einer Linie mit der Zehnkurienverfassung, den Flamines, +Saliern, Luperkern als aeltestes latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn +sacris faciundis und die anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die +Servianischen Tribus und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom +beschraenkt geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der +Pontifices, ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein +latinische Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen +eingedrungen, oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich +hat, pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer. +</p> + +<p> +Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn schwanken. Dass +die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt Cicero (leg. agr. 2, 35, +96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht dies, sondern nur, dass die Zahl +der roemischen Augurn durch drei teilbar sein und insofern auf eine ungerade +Grundzahl zurueckgehen muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum +Ogulnischen Gesetz sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), +indem er Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die Zahl +der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20. +</p> + +<p> +———————————————————————————- +</p> + +<p> +Gewissermassen laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten +Genossenschaften geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig +Staatsboten (fētiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als +lebendiges Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden +durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des vertragenen +Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den Suehneversuch und die +Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus fuer das Voelkerrecht, was die +Pontifices fuer das Goetterrecht, und hatten daher auch wie diese die Befugnis, +Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen. +</p> + +<p> +Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie wichtige und +umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am +wenigsten bei den am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern +sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht unmittelbar zu +erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen hatten. So steht auch der +vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem Koenig nach, sondern er darf +ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob +und wann er die Voegel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und +verdolmetscht ihm, wenn es noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso +kann der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht +anders eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit +unerbittlicher Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem +Grundsatz, dass in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu +verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Buerger +dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung +beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in +untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkraeften; sie bewegt +sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der Freude, in Liedern und +Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem aber in Schmaeusen. Wie ueberall +bei den ackerbauenden, regelmaessig von Vegetabilien sich naehrenden +Voelkerschaften war auch in Italien das Viehschlachten zugleich Hausfest und +Gottesdienst; das Schwein ist den Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur +darum, weil es der gewoehnliche Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie +alle Ueberschwenglichkeit des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen +zuwider. Die Sparsamkeit gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten +Zuege des aeltesten latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie +wird durch die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit +eiserner Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von +solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben. Wohl +liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und irdische Strafe +auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein Verbrechen gegen die Gottheit, +diese als deren Suehnung aufzufassen, im innersten Wesen auch der latinischen +Religion. Die Hinrichtung des zum Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein +der Gottheit dargebrachtes Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene +Toetung des Feindes; der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am +Galgen wie der boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten +Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet +hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf einen bestimmten +Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versoehnen, wer sich freiwillig +hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich schliessen, +halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein braver Buerger sich +als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde stuerzt. Auf aehnlicher +Anschauung beruht der heilige Lenz, indem den Goettern dargebracht wird, was +der bestimmte Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden laesst. Will man +dies Menschenopfer nennen, so gehoert solches freilich zum Kern des latinischen +Glaubens; aber man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in die Ferne +irgend zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich +beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht ueberwiesen +ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt. Menschenopfer anderer +Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und beruhen wenigstens +bei den indogermanischen Staemmen ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer +Ausartung und Verwilderung. Bei den Roemern haben sie nie Eingang gefunden; +kaum dass einmal in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung +ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von Gespensterglauben, +Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den Roemern verhaeltnismaessig +sehr geringe Spuren. Das Orakel- und Prophetentum hat in Italien niemals die +Bedeutung erlangt wie in Griechenland und nie vermocht, das private und +oeffentliche Leben ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist +dafuer auch die latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und +Trockenheit verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen +Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor allen +Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer Zwecke; wie +denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine Richtung auf das +Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben wird und nicht minder +scharf noch in dem heutigen Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die Goetter +stehen dem Menschen voellig gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder +von ihnen hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und +Leistungen, und da die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente +des irdischen Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines +jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine muehsame +und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen auch nur sich +bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen Rechtes kundigen und +dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu ungemeinem Einfluss gelangen. +Denn der rechtliche Mann erfuellt die Vorschriften des heiligen Rituals mit +derselben kaufmaennischen Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen +Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es +seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein: +das Geluebde ist der Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen +dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine +gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein +Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte +Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der Menschen alle +Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der roemische Kaufmann, seiner +konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag bloss dem Buchstaben +nach zu erfuellen befugt ist, so ward auch, wie die roemischen Theologen +lehren, im Verkehr mit den Goettern das Abbild statt der Sache gegeben und +genommen. Dem Herrn des Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe +dar, um auf deren statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem +Vater Tiberis wurden zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer +jaehrlich dreissig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfen ^5. Die +Ideen goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind hier ununterscheidbar gemischt +mit der frommen Schlauigkeit, welche es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch +scheinhafte Befriedigung zu beruecken und abzufinden. So ist die roemische +Gottesfurcht wohl von gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber +keineswegs jenes Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen +Gottheit, das den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde +liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von +demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten, aber sehr +genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist einleuchtend, dass +eine solche Religion die kuenstlerische und die spekulative Auffassung viel +mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet war. Indem der Grieche die naiven +Gedanken der Urzeit mit menschlichem Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese +Goetterideen nicht bloss die Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, +sondern sie erlangten auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die +tiefste Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller +Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu +kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen +Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die griechische +Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen, die ganze ideale +Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit dem wachsenden Inhalt in Tiefe +und Weite sich auszudehnen, bevor die Phantasie und die Spekulation das +Gefaess, das sie gehegt hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die +Verkoerperung der Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der +Kuenstler noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die +latinische Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der +Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer irdischen +Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild seine Staette +(templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von Menschenhand gemacht, schienen +die geistigen Vorstellungen nur zu trueben und zu befangen. Darum war der +urspruengliche roemische Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und +wenngleich auch in Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in +frueher Zeit der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut +ward, so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas +zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit Ausnahme etwa +des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein ihr eigentuemliches +Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete ueber die nach Puppen und +Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller zeugenden Kraft in der +roemischen Religion ist gleichfalls die letzte Ursache, warum die roemische +Poesie und noch mehr die roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und +blieben. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^5 Hierin konnte nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer +finden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der +praktische Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs, +war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes, formuliertes +Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen Bevormundung des +Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die Stelle der +Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht +der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der +ersteren Art gehoerte ausser der religioesen Einschaerfung der Heiligung des +Feiertags und eines kunstmaessigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten +kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen +Ruecksichten zusammenhaengende Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den +Roemern ungemein frueh, weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte +Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens +voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. +Man wird es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion +diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch +war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den +verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater oder den +Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast oder den zugewandten +Mann die Treupflicht verletzte; wenn der ungerechte Nachbar den Grenzstein +verrueckte oder der Dieb sich bei naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden +anvertrauten Halmfrucht vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf +dem Haupt des Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei +gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist nur +ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in Rom waehrend des +staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen Buerger oder gar dem +voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung solchen goettlichen Fluches +zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem goettlichen Strafgericht anheim +gefallen, nicht der menschlichen Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, +auf dem dieser Bannfluch fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige +Naturen Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht; +vielmehr ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und, +nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach seiner +gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den Gebannten der +verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten (supplicium) und also +die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen +geringerer Art, so tritt an die Stelle der Toetung des Schuldigen die Loesung +durch Darbringung eines Opfertiers oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze +Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung. +</p> + +<p> +Weitere Leistungen aber als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung und +Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich viel +hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion nicht +bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale Einigung, +soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und Goetterfeste, um +Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die Musen, bewegt sich alles, +was im hellenischen Leben gross, und alles, was darin nationales Gemeingut ist. +Und dennoch knuepfen eben hier auch Latiums Vorzuege vor Hellas an. Die +latinische Religion, herabgedrueckt wie sie ist auf das Mass der gewoehnlichen +Anschauung, ist jedem vollkommen verstaendlich und allen insgemein zugaenglich; +und darum bewahrte die roemische Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit, +waehrend Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des Denkens der Besten stand, +von fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie +gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere urspruenglich +hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur der oberflaechlichen +Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich taeuscht, weil er klar ist, +kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach erscheinen. Dieser innige Glaube +verschwindet freilich im Laufe der Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor +der hoeher steigenden Sonne und auch die latinische Religion ist also +spaeterhin verdorrt; aber laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die +naive Glaeubigkeit sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie +die Farben die Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind +Kunst und Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer +des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die +Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz auch der +naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter vergeblich sich +bemueht zu erringen. Eben die gewaltige geistige Entwicklung der Hellenen, +welche jene immer unvollkommene religioese und literarische Einheit erschuf, +machte es ihnen unmoeglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie +buessten damit die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die +Verschmelzbarkeit ein, welche die Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es +waere darum wohl an der Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften +Geschichtsbetrachtung, welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die +Roemer nur auf Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die +Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen Organismen, +die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es +zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit +bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der Verschiedenheit beider Nationen +liegt ohne Zweifel darin, dass Latium nicht, wohl aber Hellas in seiner +Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich +allein war gross genug, weder das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das +Wunder der christlichen Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die +Geschichte da erzeugt, wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen +Boden sich eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein +humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der +nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren und von +beiden zu lernen. +</p> + +<p> +Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und ungehemmten +durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem nationalen Charakter keinen +Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem +Auslande heruebergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts +an einzelne Fremde den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von +alters her mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich; +bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern und +Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist bereits +gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt worden sind, +ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von +lascivus), und die Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare), +welche man wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach +sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden +Fall, und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr +wissen, dass frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der +griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass gaben die +griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter beschraenkte sich im +ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch +das - wie es scheint, urspruenglich italische - Werfen der Lose ^6; waehrend +seit sehr alter Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten +empfangenen Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche +erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar frueh +bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin Apollons, der +kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der griechischen +Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in +fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range +nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis) +bestellt, auch fuer dasselbe zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von +Gemeinde wegen angeschafft; diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften +Faellen an, wenn es, um ein drohendes Unheil abzuwenden, eines +gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man doch nicht wusste, welchem Gott und +wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten +schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber +diesen Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen +Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte italische +Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon Aperta, der +Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen Apellon, deren +Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische Herakles ist frueh als +Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und dort in eigentuemlicher +Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns +und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn +der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des +errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt +dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der +kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar +geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem +alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung +des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, mit +einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens verehrt und in den +Gassen der Staedte wie an den Landstrassen standen ueberall seine Altaere. Die +Schiffergoetter ferner, Kastor und Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der +Gott des Handels, Hermes, der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios +oder Aesculapius, wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren +oeffentliche Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der +“guten Goettin” (bona dea) damium, entsprechend dem griechischen +δάμιον oder δήμιον, mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. +Auf alter Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer +spaeter als “Vater Befreier” gefasst ward und mit dem Weingott der +Griechen, dem “Loeser” (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der +roemische Gott der Tiefe der “Reichtumspender” (Pluton - Dis pater) +hiess, dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch +Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst +Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die +aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen Ionier, der +ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war das Schnitzbild in dem +roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus gefertigt. Nur auf diesem Wege, +durch die frueh mit orientalischen Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, +dionysischen, plutonischen, herakleischen und Artemismythen, hat in dieser +Epoche die aramaeische Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf +Italien geuebt. Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen +Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst +Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht haben. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte +Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die +Runen erinnert. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer +Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage +von den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im +grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung des +Volkes, bei dem wir sie finden. +</p> + +<p> +Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu +schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die +latinische mit lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von +der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen +Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie +gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau +war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die +Titier schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn. Ueberall, wo +wir vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der +Goetter als Abstraktion des Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden +Staemmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus +diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den +charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen. +</p> + +<p> +Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns gekommen sind, +redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine duestere und dennoch +langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feierliche +Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet. +Wir kennen zwar den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher +Vollstaendigkeit und Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere +Gruebelei auch manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die +duesteren und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich +entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat +nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik +und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des +etruskischen Volkes begruendet. +</p> + +<p> +Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen +Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt +treten unter den etruskischen Goettern die boesen und schadenfrohen in den +Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der +Gefangenen einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, +in Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe +friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen “guten Geister”, wie +die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die +armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von +dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit Fluegeln und +einem grossen Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in Rom bei den +Kampfspielen verwandte, um den Mann zu kostuemieren, der die Leichen der +Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der +Schatten die Pein verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach +gewissen geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen +Goetter. Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die +Etrusker frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie +denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der +etruskischen Weisheit spielen. +</p> + +<p> +Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen und +Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter; +allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im +allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im +Laufe der Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie +zum Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man +suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt +schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit +nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der +Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne heraus, und je +seltsamer die Goettersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto +sicherer gab er an, was er verkuende und wie man das Unheil etwa abwenden +koenne. So entstanden die Blitzlehre, die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle +ausgesponnen mit der ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden +Verstandes, vor allem die Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit +grauen Haaren, der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, +Tages genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und +altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -, also Tages +hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich gestorben. Seine +Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze zu schleudern pflegten; +wie man am Quartier des Himmels und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes +erkenne; ob der Blitz einen dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes +Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder +durch Kunst sich verschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den +eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und +dergleichen wundersame Kuenste mehr, denen man gelegentlich die +Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen +widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie +ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den +Roemern wohl noch die einheimischen und die griechischen Orakel. +</p> + +<p> +Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als sie von +dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten +Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt mit ihren +Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische Jupiter selber +befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie entstanden ist, so auch +wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die +Saecula sind. Ueber den geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und +Philosophie einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch +ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen +gewesen zu sein. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/> +Ackerbau, Gewerbe und Verkehr</h2> + +<p> +Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der +aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf +dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht werden, +anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, namentlich die +roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend zu schildern. +</p> + +<p> +Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der Einwanderung +der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt. Der Feldbau blieb der +Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen +nicht minder als der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien +in geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme ueberall, +je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem Masse, neben dem +Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es empfand, dass jedes +Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene Sitte, die Anlage neuer +Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der kuenftige Mauerring sich +erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom, +ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit +sprechen laesst, nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der +Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit der +Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die +Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil des roemischen +Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war und also die Rechte +und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der Ansaessigkeit ruhten, +beseitigte die reformierte Verfassung dies Missverhaeltnis und die daraus +drohenden Gefahren nicht bloss fuer einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem +sie die Gemeindeglieder ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer +allemal nach der Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht +auf die Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf der +Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik +der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf die Ansaessigkeit; wie im +Staat der ansaessige Mann allein galt, so hatte der Krieg den Zweck, die Zahl +der ansaessigen Gemeindeglieder zu vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward +entweder genoetigt, ganz in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn +es zu diesem Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution +oder fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich +eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische Bauernhoefe +entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die Roemer; aber keines +hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also im Schweisse seines +Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze gewonnen hatte, mit der +Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg +wieder entreissen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflueger macht; wenn +die Roemer viele Schlachten verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen +Boden abgetreten haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern +an ihrem Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des +Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und +unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die geschlossene +Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft. +</p> + +<p> +Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den +einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag unter die +einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt ward, ist bereits +angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und Geschlechtergemeinde innerlich +zusammenhaengen und auch spaeterhin in Rom noch das Zusammenwohnen und +Wirtschaften der Mitbesitzer sehr haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische +Rechtsueberlieferung weiss noch zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in +Vieh und Bodenbenutzung bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu +Sondereigentum aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die +aelteste Bezeichnung des Vermoegens als “Viehstand” (pecunia) oder +“Sklaven- und Viehstand” (familia pecuniaque) und des Sonderguts +der Hauskinder und Sklaven als “Schaefchen” (peculium); ferner die +aelteste Form des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur +fuer bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass des +“Eigenlandes” (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder +preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann ^3. Wann +und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, laesst sich nicht +mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest, dass die aelteste +Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als Surrogat dafuer die +Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die Servianische den aufgeteilten +Acker voraussetzt. Aus derselben Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse +des Grundbesitzes aus mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu +tun und zu leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des +Pfluges gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe +ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt ward, +schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden. +</p> + +<p> +—————————————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten +Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die +Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie bei den +Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes in jedem +wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet worden, so wuerde +doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von zerstueckelten Hufen ausgehen. +Allein es ist vielmehr das Gegenteil der Fall; die Individualnamen der +roemischen Hufen (fundus Cornelianus) zeigen deutlich, dass der aelteste +roemische Individualgrundbesitz faktisch geschlossen war. +</p> + +<p> +^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur Zeit des +Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et +locupletes vocabantur. - (Numa) primum agros, quos bello Romulus ceperat, +divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig +Kuriendistrikte teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest +einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16). +</p> + +<p> +^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die +Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der +Kaiserzeit rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf +roemische Scheffel Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines +Heredium ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es +lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht nimmt, +50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer +arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen. +Die Frage, ob eine roemische Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht, +mag danach sich jeder selber beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt +sich darauf, dass der Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie +Bauer der aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die +Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl richtig, +aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die Nebennutzungen, +welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch, +Fleisch (besonders durch die alte und intensive Schweinezucht) und dergleichen +abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit in Anschlag zu bringen; aber die +aeltere roemische Weidewirtschaft war, wenn auch nicht unbedeutend, so doch von +untergeordneter Bedeutung und die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das +Getreide. Man mag ferner wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer +sehr ansehnlichen Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen - und ohne +Frage haben die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag +abgewonnen, als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit +ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um +Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch mit grossem +Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des zehnten Korns statt +des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und sie genuegt doch weitaus +nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme Defizit, welches auch nach diesen +Ansaetzen zwischen dem Ertrag des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens +bleibt, durch blosse Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der +Gegenbeweis erst dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle +landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer +ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag eines +Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die Ernaehrung +einer Familie ausreichend herausstellt. +</p> + +<p> +Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen +mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der Art +(Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen Gelehrten, +gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente zu gebrauchen, +sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail zuverlaessigen Ueberlieferung +gezaehlt werden und unterliegt auch noch anderen sehr ernsten Bedenken. Das +allerdings ist richtig, dass bei der nichtkolonialen Ackeranweisung an die +gesamte Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben +worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den +Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den +bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I, +p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine +Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums +ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger +bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von +sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn +war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese +fleissig gezogen. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis +zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben +koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust. 1, 44, +1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen zehn Scheffel +Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, woraus denn gefolgert +wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, doch einen betraechtlich +hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. Es ist aber vielmehr das Umgekehrte +richtig und jene nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus +dem Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den +Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das +Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch +heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert nach +Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen aber geringeren. +Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. Hanssen mitteilt, rechnet man dort +als Durchschnittsertrag fuer den wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer +Aussaat von ¼-½ Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= +825 Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von ½-1½ Scheffel) mindestens sieben +Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die +Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der Spelt, +verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei gleich gutem +Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht nach aber vor der +Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung (als Kern”) weniger +als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet worden ist, sondern weil es +zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und +gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf +Weizen gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht +wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist +genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als +der Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht +unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren +Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend von +Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der +Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden +ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei vorschreitender +Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige +Uebergang der italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein +Fortschritt gewesen. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach +Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende +Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt und diese dem +Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen entlehnten Weingott, +dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig +Mezentius von Caere von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert, +wenn als die Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu +ueberschreiten, in einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten +italischen Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und +vor allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz +der Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh und +allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige Rebenzucht +hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste Priester der +Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst damit begonnen hatte; +in gleicher Weise verbot eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen +Weines, bevor der Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso +gehoert hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das +Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte +Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen +Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das +nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten +Getreides untersagten. +</p> + +<p> +Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien gekommen +^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der Stadt am +westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; es stimmt dazu, dass der Oelzweig +und die Olive im roemischen Ritual eine weit untergeordnetere Rolle spielen als +der Saft der Rebe. Wie wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, +beweisen der Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit +des Curtischen Teiches gepflanzt wurden. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^5 Oleum, oliva sind aus έλαιον, έλαια, amurca (Φlhefe) aus αμόργη entstanden. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in +Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren +ebenfalls mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die +roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen. +</p> + +<p> +———————————————————- +</p> + +<p> +^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen +ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in +allen guten Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, +interpoliert. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt +die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen +Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit verwandt +worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, auch die Kuh; +zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. Eine selbstaendige +Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand wenigstens +auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr +beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die +gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders +Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und wieder zu +pfluegen - der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so +dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb +war mehr intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene +Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige +Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die +geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener +war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle +ueberkommene Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen der +Landwirtschaft, wie zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und das +Berieselungssystem der Wiesen, moegen schon frueh von den Nachbarvoelkern +uebernommen oder selbstaendig entwickelt worden sein; begann doch die roemische +Literatur selbst mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen +und verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die +Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch +Pausen der Erholung und der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden +achten Tag (nonae), also durchschnittlich viermal im Monat, geht der Bauer in +die Stadt, um zu verkaufen und zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu +besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und +vor allem der Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); +waehrend dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es +ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der +Stier. +</p> + +<p> +In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in aeltester +Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen +anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten +Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu +lassen. Den Frauen war ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich +entzogen, und wenn sie sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen +Geschlechtsgenossen zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. +Der Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch, +dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an +der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger verordnete, +teils durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs fuehrende +Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, wie die Folge +zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr unvollkommen. Die freie +Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich unbeschraenkt. So wuenschenswert es +auch sein mochte, dass die Miterben im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, +so sorgte doch schon das aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen +Gemeinschaft zu jeder Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn +Brueder friedlich zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen +Geiste des roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn +auch, dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern +nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. Die +Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der Gewohnheit +und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass man sich hierin +nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind, +beweist schon die allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden +Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch +die Ausfuehrung von Kolonien, welche regelmaessig die Gruendung einer Anzahl +neuer Vollhufen, und haeufig wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als +Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. +Bei weitem schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes +zu erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist +nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert +sich auch leicht teils aus der Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der +notwendig ungleichen Kopfzahl der in den einzelnen Geschlechtern daran +Teilnehmenden von selbst einen Stand von groesseren Grundbesitzern ins Leben +rufen musste, teils aus der Menge der in Rom zusammenstroemenden +kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt +auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann +fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition, +wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an +geringe Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird +urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er nicht +selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in kleinen +Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies noch +jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder +Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein +Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des +“Bittbesitzes” (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt +diesen, solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel, +um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte dieser ihn +jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des Bodennutzers an den +Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht notwendig; ohne Zweifel aber fand +sie haeufig statt und mag wohl in der Regel in der Abgabe eines Teils vom +Fruchtertrag bestanden haben, wo dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich +naehert, immer aber von ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines +festen Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und +den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten +Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein +Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, religioes +geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch nicht. Das +durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte ohne Zweifel im +letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch +keineswegs erst durch die Aufhebung der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie +nach dieser der einzelne, konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner +Mark abhaengigen Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, +dass die roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der +Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu Schutz +und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen Gutswirtschaft +erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern in Rom ein Land-, kein +Stadtadel hervorging. Da die verderbliche Institution der Mittelmaenner den +Roemern fremd blieb, fand sich der roemische Gutsherr nicht viel weniger an den +Grundbesitz gefesselt als der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu +und griff selber ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, +ein guter Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte +er nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend der +heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde durch diese +Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der Vornehmen zu den +Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert. +Die freien Bittpaechter, hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien, +zugewandten Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des +Proletariats aus und waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es +der kleine Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. +Die fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem +weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde Nation +nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, scheinen Sklaven +anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden gewesen zu sein und +infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu +haben, als in der wir spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in +der aelteren Epoche die “Tageloehner” (θήτες) vielfach an der +Stelle der spaeteren Sklaven und hat in einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei +den Lokrern, es bis in die historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der +Knecht aber war doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische, +sabinische, etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders +gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er +als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und +Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab, lag die +Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit dem grossen +Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er keineswegs eine +offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe vom wesentlichsten Nutzen. +Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen Familien eine wenn +auch im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und kleine; sondern es +erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren +die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und +eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische +Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen konnte; denn +der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht demjenigen, der kein +Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die Pflugschar zu fuehren. +</p> + +<p> +Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der Staat, +nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der Gemeinweide +betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu +anderen Zwecken bestimmten und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem +Stande gehaltenen Herden benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf +dieselbe gegen eine maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am +Gemeindeanger mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum +Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der einzelnen +Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide kann in Rom schon +deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum auch von dem Insassen +erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem Insassen wohl nur +ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. In dieser Epoche indes +scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine +untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl +nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich +unter die Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt +ward. +</p> + +<p> +Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben +aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus der +fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner, und +in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs Numa, das heisst unter +den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen, acht +Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, der Goldschmiede, der +Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Faerber, der Toepfer, der +Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die +gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die +Wolle zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde +Rechnung arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird. +Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es +bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit +der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum +Beispiel fuer den heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die +spaeteste Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das +staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen +diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen +sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die Masse der +fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersklaven und die +steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen +Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen +Streitgott Mamers, sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach +dem goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche +Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse +Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in +dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und das +Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und fand sich +nichts von jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst +begegnet. Seit indes die Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich +auf die Ansaessigen legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber +doch wohl infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom +Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den +Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch +organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies wohl der +Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und politischen +Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte hatte ohne Zweifel +denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen gleichenden +Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich zusammen, um die +Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass unkundige Leute in irgendeiner +Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren +weder von Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation - +freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten +so voellig versiegt wie ueber die Gewerke. +</p> + +<p> +Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr der +Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst. Die Messen +(mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten +(nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die +internationalen Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit +der Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden +haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten +diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu +erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch +groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche Landesversammlung am +Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii, +welche zugleich als Messe diente und auch von roemischen Kaufleuten +regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste unter allen italischen Messen +war die, welche am Soracte im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage, +wie sie nicht guenstiger zu finden war fuer den Warentausch unter den drei +grossen Nationen. Der hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene +wie von der Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an +der Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher +letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium und +Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen hier die +roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten manchen Hader mit den +Sabinern herbei. +</p> + +<p> +Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste +griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier +halfen bei vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus; +hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen +aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste +Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen; +sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein +stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen Gross- +und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden besonders bei den +Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, sondern noch darueber +hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft zurueck ^7. Daneben kam in +Italien, wo man besonders fuer die Ackerbestellung und die Ruestung allgemein +des Metalls in ansehnlicher Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst +die noetigen Metalle erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer +(aes) auf, wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die +“Kupferung” (aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers +als allgemeinen, auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den +spaeter noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer +Erfindung und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses +aeltesten sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen +Voelker vorliegen. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich +daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf zu +zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus p. 237, +vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn +nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier, +wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem +substituiert hat. +</p> + +<p> +Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen +(englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen +Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz +unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen geringen und +unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen +zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische +Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung +ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser +Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien +Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch +in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die +aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken +schliessen, die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus +Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils +und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn +natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie +nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung +der Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen +Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag +dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber und +Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder +selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der +Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen +sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter +den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn +auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste +in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen +Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck +gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung +ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste in +aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo +von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur +wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch +griechischen Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass +die aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen +sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit +eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach +Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen, +aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster, darunter +mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder eingeschnitzten +Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die letzten koennen aus dem +Norden auf dem Landweg gekommen sein; die uebrigen Gegenstaende aber beweisen +die Einfuhr von Salben und Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher +kamen Linnen und Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe +Gebrauch der linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen +Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten Lehnnamen +(λίνον līnum; πορφύρα purpura; σκήπτρον σκίπων scipio, auch wohl ελέφας ebur; +θύος thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer Anzahl auf Ess- und +Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die Benennung des Oels (vgl. 1, +200), der Kruege (αμφορεύς amp[h]ora ampulla; κρατήρ cratera), des Schmausens +(κωμάζω comissari), des Leckergerichts (οψώνιον opsonium), des Teiges (μάζα +massa) und verschiedener Kuchennamen (γλυκούς lucuns; πλακούς placenta; τυρούς +turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina +πατάνη) und des Specks (arvina αρβίνη) in das sizilische Griechisch Eingang +gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, kerkyraeisches und +kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, beweist eben wie diese +sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach +Italien. Dass die griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur +Eingang fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (σκύτος) +bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich +gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten +Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt: +Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9; +ferner die griechische Benennung des Briefes (επιστολή epistula), der Marke +(tessera, von τέσσαρα ^10), der Waage (στατήρ statera) und des Aufgeldes +(αρραβών arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer +Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende +Austausch der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der +barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor +allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta += πλακούντα; ampora = αμφορέα; statera = στατήρα), ist der klarste Beweis ihres +hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes (Mercurius) erscheint von +Haus aus durch griechische Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum +auf die Iden des Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten +als den Sohn der schoenen Maia. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen +und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf. 32), +welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum Vorschein +kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist. +</p> + +<p> +^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies nicht +bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch antenna kann von +ανά (anhelare, antestari) und tendere = supertensa herkommen. Dagegen sind +griechisch gubernare steuern κυβερνάν, ancora Anker άγκυρα, prora Vorderteil +πρώρα, aplustre Schiffshinterteil άφλαστον, anquina der die Rahen festhaltende +Strick άγκοινα, nausea Seekrankheit ναυσία. Die alten vier Hauptwinde - aquilo +der Adlerwind, die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, +vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind, +der Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende +Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche Namen; alle +uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch (wie eurus, notus) oder +aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus = απηλιώτης, Africus = λίψ). +</p> + +<p> +^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die ξυλήφια κατά φυλακήν +βραχέα τελέως έχοντα χαρακτήρα (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des +Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die Vierteilung +der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; die +Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf +die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen Lager eingewirkt haben. +Die Verwendung der nicht dorischen Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete +Uebernahme des Wortes. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine +Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst +zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als +seine Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann +Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im +Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide. +</p> + +<p> +Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente +ist schon frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium +und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen alle +hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen Passivhandel +fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig +bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der +uralte Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; +dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua +wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte +Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium +vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in +allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit +ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden sich in +Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine Sonderstellung gehabt zu +haben und mit Falerii und dem suedlichen Etrurien in besonders enger Verbindung +gewesen zu sein scheint, die latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck +auslaendischer Herkunft und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer +Zeit aufweist, vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher +Rasen die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der Zeit +nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; Latium hat +in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst +die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn nur aeusserst selten haben +dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In +Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und +auf Latium, aber nur dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt +ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben +Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; aber +in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit zurueck +hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, dass die nach +griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren auch in Latium, +namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend +Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt hat. +</p> + +<p> +Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner und +Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten Handel der +Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas aussprechen als die +Vermutung, dass er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. +Dass die westlichen Etrusker sich dreist in die oestlichen Meere wagten und +nicht bloss mit Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland +verkehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss +die attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so +zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt, +wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt die +tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein gesuchter Artikel +wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die Silberstuecke von Populonia +sind nachgepraegt einem uralten, einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, +anderseits bloss mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das +sich in Athen und an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen +gefunden hat und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons +Geheiss geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der +karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die Etrusker mit +den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; es ist +beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser einheimischem +Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren sich gefunden haben, +welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herruehren koennen, +wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt +wurden. Indes darf diesem phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung +beigelegt und namentlich nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle +sonstigen Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den +Griechen, nicht von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind. +</p> + +<p> +Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir auch +Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme +hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind, +eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. Am +deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen +Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische +weicht nicht unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und +beide Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu +anderer Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern +wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische +Pultuke sind jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; +der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische Ulixes +gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der +tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax +einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der +samnitische Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische +Apulu a us Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums ausschliesslich auf +den Zug des latinischen Handels zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin +fuehrt jede andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in +Latium gefundene Muenze von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom +bei den Volskern, Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie +begreiflich bei den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des +latinischen Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische +Bezeichnung der Silbermuenze νόμος, das sizilische Mass ημίνα als nummus und +hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die +italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die +zur Abmessung des nach dem Gewichte an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium +aufgekommen sind, in den korrupten und hybriden Formen λίτρα, τριάς, τετράς, +εζάς, ουγκία schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen +Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und +Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in +ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der +zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht +gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent eines +sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des roemischen +Pfundes) als Silbermuenze (λίτρα αργυρίου, das ist “Kupferpfund in +Silber”) schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus geschlagen ward. +Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass die italischen Kupferbarren auch +in Sizilien an Geldes Statt umliefen; und es stimmt dies auf das beste damit +zusammen, dass der Handel der Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und +also das latinische Geld nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten +Verkehrs zwischen Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen +Benennungen des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den +sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. Auch +von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten in +Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und Massalia +begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass er indes bei weitem +weniger intensiv war als der mit den Sikelioten, beweist schon die bekannte +Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach Latium gelangten griechischen Woerter +- es genuegt an Aesculapius, Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische +Formen zeigen. Wenn der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie +Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern +auch nur gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben +erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst der +Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt hat. +Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der Latiner mit den +Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den sizilischen zu belegen, +hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich ein unmittelbarer Verkehr +stattgefunden und kann der Verkehr mit den afrikanischen, den Schriftstellen +und Fundstuecke hinreichend belegen, in seiner Einwirkung auf den Kulturstand +Latiums doch nur in zweiter Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer +beweisend, dass - von einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten Verkehr +der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen +Zeugnis gebricht ^11. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen oertlichen +Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar aus dem +Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in demselben +vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich arrabo oder arra +und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst +Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern +eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den +Aramaeern aufzuweisen hat. Dass ελέφας und ebur von dem gleichen phoenikischen +Original mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes selbstaendig +gebildet seien, ist sprachlich unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr +ha ist, auch so nicht verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort +bis jetzt noch nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte +thesaurus; mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus +dem Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie +schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches +Lehnwort. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von +italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so +hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle Wahrscheinlichkeit +fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen Bezeichnungen des +Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen Sprachgebrauch der +Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten eindringen koennen, dass +sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer gegen Schmuck einhandelten. +</p> + +<p> +Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel in +Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand +selbstaendig gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund +dieser auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang +an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine Annahme, +die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren +schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der +von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von +Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische Eigenhandel +musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er allein die Schiffe und +in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz +zwischen Land- und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht +bekannt; die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die +Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese +Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung +zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der +latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen ward Rom +keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der +Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap14"></a>KAPITEL XIV.<br/> +Mass und Schrift</h2> + +<p> +Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des +Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst +ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und +Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen +Bahnen zu folgen. +</p> + +<p> +Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen, +raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, +das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die +Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des +Mondes oder Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der +leichter misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann +mit ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder +das “Gewicht” (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus +gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren +fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das +Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles Zaehlens +und Messens nicht bloss ueber die Trennung des griechischen und lateinischen +Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit zurueckreichen. Wie alt namentlich +die Messung der Zeit nach dem Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, +die zwischen den einzelnen Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt +eingetretenen vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts +zu zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und Lateiner. +Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche +Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt die +bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den Zahlwoertern +bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind hier alle aeltesten +Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genuegt, an die so +gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, Magistrate, an die +gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die Teilung des +Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende Dekuriierung, an die +Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus +zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses +aeltesten Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern. +Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und +Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei aeltesten und +unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I, V oder A, X, +offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und der +Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phoenikern entlehnt, dagegen den +Roemern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze +zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der +Regsamkeit des aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen +Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen +erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen. +Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es +gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 Fuss ins +Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in +denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen +und wahrscheinlich von den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt +worden sind, die Teilung des “Ganzen” (as) in zwoelf +“Einheiten” (unciae) vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben +die aeltesten latinischen Priesterschaften, die Kollegien der Salier und +Arvalen sowie auch die etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl +herrscht im roemischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, +wo der Fuss (pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des +roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem +zusammengesetzte “Trieb” (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. Im +Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^1 Urspruenglich sind sowohl “actus” Trieb, wie auch das noch +haeufiger vorkommende Doppelte davon, “iugerum”, Joch, wie unser +“Morgen” nicht Flaechen-, sondern Arbeitsmasse und bezeichnen +dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, mit Ruecksicht auf die namentlich +in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe des Pfluegers. +</p> + +<p> +—————————————————————— +</p> + +<p> +Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein +mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein neben der +Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden +werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an +der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf +Mondkreislaeufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus +gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff +eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste +duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und +vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen. +</p> + +<p> +Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische +Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber wohl das +Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das heisst diejenigen +Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich ist, die Folgen des +neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste roemische Fuss ist verschollen; +der, den wir kennen und der in fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, +ist aus Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen +Einteilung in Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und +sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht in +ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien +herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis, dass der +latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier roemische Pfund +wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das roemische Pfund gleich +anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und +buntscheckigste Bild aber bieten die roemischen Koerpermasse teils in den +Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach +μέδιμνος congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung +(acetabulum von οξύβαφον) entstanden sind, waehrend umgekehrt ξέστης Korruption +von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die +gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius oder Chus, +der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer trockene Waren, die +roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen Talent gleichgesetzt und +steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2, +zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen +versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung +jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben. +</p> + +<p> +Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer +das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen +der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer +100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das +Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das +Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische +im wesentlichen in Etrurien angenommen ward. +</p> + +<p> +In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische +Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter +unter griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die +Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am +unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach +zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, +lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden +auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis in spaete Zeit +hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an jedem der vier +Mondphasentage die von da bis zum naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch +die Priester abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich +nicht bloss bei den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, +welche, wie schon gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, +sondern von dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, +die bei der mittleren Dauer von 7⅜ Tagen zwischen sieben- und achttaegiger +Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer +des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-, +bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag +die kleinste, der Mond die groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin +begann man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der +Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der +Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme +auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und +die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die +Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet +gewesen, da die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und +den Italikern voellig selbstaendig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker +schon in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen +Ordnung, doch zur Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit +fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der +Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung +einer Frist von zehn Monaten als eines “Ringes” (annus) oder eines +Jahrganzen traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber +auch noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der +griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das +Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des +Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher +zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es +zusammenhaengen, dass in den Individualnamen der Monate - welche erst +entstanden sein koennen, seit der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst +wurde -, namentlich in den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und +Griechen, aber wohl die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das +Problem, einen zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen +Kalender herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels +vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen es +vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche, wo die +Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt haben; indes +diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen. Was wir von dem +aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen Staedte wissen - ueber +die sabellische und etruskische Zeitmessung ist ueberall nichts ueberliefert -, +beruht entschieden auf der aeltesten griechischen Jahresordnung, die der +Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und +aufgebaut war auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29½ Tagen, eines +Sonnenumlaufs von 12½ Mondmonaten oder 368¾ Tagen und dem stetigen Wechsel der +vollen oder dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate +sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch +willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den wirklichen +Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass diese griechische +Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern in Gebrauch gekommen ist; +die aelteste roemische Jahrform aber, die sich geschichtlich erkennen laesst, +weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der +zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der +Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies +roemische Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der +einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius), +die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen +(iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, +sextilis, september, october, november, december), der elfte vom Anfangen +(ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der +Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der +zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu +dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein +namenloser “Arbeitsmonat” (mercedonius) am Jahresschluss, also +hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem +altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in +der Dauer derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und +sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden, +abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten +Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm +gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften und +achten - einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner +einem in drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und +einem jedes andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + +383 + 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der +urspruenglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige +Wochen; er liess die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen +Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und +setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein +fuer allemal das erste Viertel in den einunddreissigtaegigen Monaten auf den +siebenten, in den neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen +auf den fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest +geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der +zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt zu +werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae). +Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen Zeitabschnitts des Monats wurde +- der roemischen Sitte gemaess, den Zieltag der Frist mit in dieselbe +einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag (nonae). Der Tag des Vollmonds behielt +den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das dieser seltsamen +Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint hauptsaechlich der +Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und +wenn er im allgemeinen an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so +tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in +Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren +des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender, so +deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond- wie mit dem +Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs +so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches Vorbild, den +Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste griechische, nicht anders als +mittels haeufiger willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den +Kalender schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, +hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der +Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach +zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes +Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des aeltesten +roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser roemische +Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen werden koennen. Bei der +allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere +Abweichungen in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer +gemeinschaftlichen Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem +Kalenderschema, das tatsaechlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht +zu ihren willkuerlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, +wie denn beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen +schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien +aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen +Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere +untergeordnete Umgestaltungen erfahren. +</p> + +<p> +———————————————————— +</p> + +<p> +^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem +Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder +15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45 +Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die +geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das +Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen +wird. +</p> + +<p> +————————————————————- +</p> + +<p> +Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der +Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige +Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen ist. +Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit verbundene +Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung +der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes +infolge der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreissenden +Unregelmaessigkeit ihre chronologische Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat. +</p> + +<p> +Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben +sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den +italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus +hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit +Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden +koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen +Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, beweist am besten die +Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und +heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu +Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; +und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame +Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in +dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, +erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn +auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden +ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in +hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten +aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch +Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier fuer die +Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a +e i o und durch Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der +Silbe in die Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei +Euripides sagt: +</p> + +<p> +Heilmittel also ordnend der Vergessenheit +</p> + +<p> +Fuegt ich lautlos’ und lautende in Silben ein +</p> + +<p> +Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen. +</p> + +<p> +Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht +worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die +Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme +oder Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten Vermittlungsstaetten des +internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt +sein wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das +aelteste hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren, +namentlich den Zusatz der drei Buchstaben ξ φ χ und die Abaenderung der Zeichen +fuer υ γ λ ^3. Auch das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das +latinische Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus +dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach Etrurien +und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das etruskische +Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und nur ein einfaches k ^4 +und vom r nur die aeltere Form P; das latinische kennt, soviel wir wissen, nur +ein einziges s, dagegen ein doppeltes k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast +nur die juengere Form R. Die aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile +nicht und windet sich wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in +abgesetzten Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt, +soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in +gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach rechts +oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den Roemern in jener, +bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach Etrurien gebrachte +Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten Charakters dennoch in eine +sehr alte, wenn auch nicht positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da +die beiden Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene +Laute nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, +das nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige +Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern der +griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San nebeneinander im +Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, wie wir es kennen, im +ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in +Latium nicht, wie in Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden +hat, sondern die Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen +Nachbarn laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht +hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, +dass die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die +juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was sich +nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre griechischen +Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich des griechischen +Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem +verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das +wir in Rom finden, und dem aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu +ziehen, dass in Etrurien frueher geschrieben worden ist als in Rom. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, +dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem vokalisierten +und mit dem u vermehrten phoenikischen, die verschiedenartigsten Vorschlaege +zur Ergaenzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und dass jeder +dieser Vorschlaege seine eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser +Vorschlaege, die auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu +behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden. +</p> + +<p> +I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute ξ φ χ. Dieser Vorschlag ist so +alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta +alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten +Alphabete unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl +dahin, die Zeichen Χ ξι, Φ φι, Ψ χι dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in +dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und +Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme +gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des +Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag +zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des +phoenikischen Alphabets (Samech) Ξ im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten +deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das Φ auch fuer φι, aber das Χ nicht +fuer ξι sondern fuer χι. Das dritte, urspruenglich fuer χι erfundene Zeichen +liess man wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man +es fest, gab ihm aber den Wert ψι. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte +auch Athen, nur dass hier nicht bloss das ψι, sondern auch das ξι nicht +angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward. +</p> + +<p> +II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die +naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn saemtliche +uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide +Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit +muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen +Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den Sibilanten, +wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und +das achtzehnte (Σ) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren +vielmehr jenes - und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln, +in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das +Zeichen des i durch einfachen Strich І, was bei weitem das Gewoehnlichere war +und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das +gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der +Form M auch neben dem І festhielten. +</p> + +<p> +III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit Γ γ zu verwechselnden λ Λ durch +V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth +abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem γ statt +der haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben. +</p> + +<p> +IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer ρ Ρ p p und r +P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere +Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen Achaeern +und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in dem +eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist +die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie +die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter. +</p> + +<p> +Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist in +aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln +des Aegaeischen Meeres. +</p> + +<p> +Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und +geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten +Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen +Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die +vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des +griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle +Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch fuer +die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten +ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets +unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen +Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschlaege +verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme +geschieden werden sollen, darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X +als ξ oder als χ in zwei Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 +und das von 25 oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das +kleinasiatisch-ionische, aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen +ist, und das gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es +haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den +verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch +verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben +insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als sie +zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften +die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhaeltnis +standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwuerdigen +Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den chalkidischen und dorischen mehr +kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in jenen sind durchgaengig +die primitiven Formen festgehalten, in diesen die verbesserten Formen +angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich +gewissermassen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen +Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der +italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass aber die +Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide +unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die +verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben +bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen +ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei +ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner +ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als +dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es +empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei +den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen +Tongefaesses ausschliesslich die juengere Form begegnet. +</p> + +<p> +^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht +zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur +desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen +Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf +jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein +gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann zu +diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am Schluss +stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen Wert haben als +den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte ist und das in dem, die +Abweichungen .des etruskischen Alphabets von seinem Muster darlegenden +Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem +nach Etrurien gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in +dem chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich +eine lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet +zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig werdendes +Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer +und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet das achtzehnte phoenikische +Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im +Alphabet festgehalten. +</p> + +<p> +^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887), +unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer +Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das raetselhafte +Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel in den AdI 52, 1880) die +aeltere Form des r. +</p> + +<p> +—————————————————————- +</p> + +<p> +Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die +Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen +schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor +Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische +Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes +etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist - +offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der +Buchstabenschrift in Etrurien. +</p> + +<p> +Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte +dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; +denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, der +noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit den Fremden. +In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in der man sich im +wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente, scheint der +Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana +beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria und Spina +aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den +Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits +derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und +Steiermark reichen. Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des +Alphabets, welche sich hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter +Zeilenschrift, auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht +mehr zu unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens +f, wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese +Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, waehrend +sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei saemtlichen +sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich eingebuergert; im +weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den +Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen +Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo +wieder neue Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des +Alphabets aber ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen +Graeber, sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in +einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer +wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das +reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so +versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet +nach Italien gelangte. +</p> + +<p> +Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, +Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf +Latium beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich +behauptet; nur fielen γ κ und ζ ς allmaehlich lautlich zusammen, wovon die +Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (κ ζ) aus der Schrift +verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten +Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und +literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer +nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von γ c und κ k +noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo die Laute +in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem +die Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege +liegt; dass endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung +eines konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist +verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der +Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der +aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor Christi +Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland die +Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der Schreibkunst in Rom +sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden +aus der Koenigszeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen +Gabii und Rom, den ein Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses +Namens, abschloss, und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten +Stiers, in dem an Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande +entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des +Buendnisses, das Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch +Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah - +freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars +hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall grub, ist +nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch +die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die aelteste derartige roemische +Urkunde und das gemeinschaftliche Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte +man (exarare, scribere verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher +littera) auf Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), +spaeter auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen +Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso +die aeltesten, im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem +Kapitol bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch +noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die +Anrede im Senat “Vaeter und Eingeschriebene” (patres conscripti), +an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen +und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten +Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und +Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber muss +nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht +einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der aeltesten roemischen +Geschichte entzogen, sondern die Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, +die zur Geschichtsforschung berufen war, die archivalischen Nachrichten zu +verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von +Motiven und Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu +begehren und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene +schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht +verweigert haben wuerde. +</p> + +<p> +——————————————————————————————- +</p> + +<p> +^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen sein, +welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der wir Truemmer +besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner Entstehung +niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber ihren Text nicht auf +das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine nach dem gallischen Brande +vorgenommene offizielle Niederschrift, beweist die Erzaehlung von der damals +erfolgten Wiederherstellung der Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, +dass ihr Text keineswegs die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie +aufwies, auch abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum +Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue +Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann. +</p> + +<p> +^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen +hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von κ. +</p> + +<p> +^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen +gilt dieses natuerlich nicht; hier wird γ nicht durch c, sondern durch G (GAL +Galeria), κ in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), vor a +durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man +den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen Konsonanten durch C +ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q. +</p> + +<p> +^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn +auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die +Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850); +denn die Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der +Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen +Zeit an. +</p> + +<p> +^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache +und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz +zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den Etruskern, nicht +von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich daraus, dass sie das +Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den Ruecken des Apennin antraten, +die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem +Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthaelt diese +Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die +spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische +Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig +wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern aus +Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem eine Spur +sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen +Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass sie nicht einmal +das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja +wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, +die von den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v +entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat +die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit +zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen +Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet +angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav +Meyer, Griechische Grammatik, § 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein +aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich naehern. +</p> + +<p> +——————————————————————- +</p> + +<p> +Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die +Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben +besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten +untergegangen, waehrend die Umbrer γ d, die Samniten d, die Roemer γ +einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den +Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich +Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den +Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhaelt, der +Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, +beschraenkt sich der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, +der spaetere Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren +Lautverschiedenheiten wurden von den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und +zweier Sprachen maechtigen Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen +Loesung der nationalen Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen +allmaehlich die Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und +Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr +Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die Zerstoerung +der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser Lautzerruettung Hand in +Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere +als die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo +ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von +dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren +bewahrten. Dass diese Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste +als irgendeinen der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen +ihrer minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den +Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die +suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird +der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen wenigstens mit +zu dieser Erscheinung beigetragen haben. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap15"></a>KAPITEL XV.<br/> +Die Kunst</h2> + +<p> +Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern +ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise +begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische nicht; es fehlt dem +Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche zu +idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste +der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen +vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei +Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die +guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komoedie +und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische +Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und +Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation +gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht ueber +Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und +ein echtes Drama erzeugt. Auch die hoechsten in Italien gelungenen +literarischen Leistungen, goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und +Geschichtbuecher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind +doch von einer mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in +der Musik ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent +weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich +steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und +herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet, +insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein Aeusserliches +unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen +ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal +vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist +er denn auch in den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause +und darin in der alten Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der +neuen der Meister aller Nationen geworden. +</p> + +<p> +Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich, die +Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens +zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie +reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie +jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen +Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich +durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten +Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener +hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische +Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den +Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene +geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben, alle in +roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die +Maenner ueberdies behelmt, ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei +Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke +nackt bis auf den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren +vielleicht die aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die +“Springer” und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei +keinem oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, +weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe ward. Wo +aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in +aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. Auch sie fehlen bei +keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begraebnis, und neben der +uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, obwohl im +Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), +deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen +roemischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert +und suessen Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der +Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige +Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide bestellt +sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und gewissermassen +Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder dem Taenzer zur +Begleitung seiner Spruenge dienen. +</p> + +<p> +Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen +Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der “guenstige +Geist” (faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das +verkuenden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in +rhythmisch gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen +weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und Frauen (vates) +verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die Besprechungsformeln gegen +Krankheiten und anderes Ungemach und die boesen Lieder, durch welche man dem +Regen wehrt und den Blitz herabruft oder auch die Saat von einem Feld auf das +andere lockt; nur dass in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine +Klangformeln erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die +religioesen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen +und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein wahrscheinlich +als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrueder zum Preise des Mars, +wohl auch hier eine Stelle verdient: +</p> + +<p> +————————————————————————- +</p> + +<p> +^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den +Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich +seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich +daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nuechtern +eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend, +die Worte spricht: “Ich denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde +empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil” (terra pestem teneto, +salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27). +</p> + +<p> +—————————————————————————————————— +</p> + +<p> +Enos, Lases, iuvate! +</p> + +<p> +Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores! +</p> + +<p> +Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber! +</p> + +<p> +Semunis alternei advocapit conctos! +</p> + +<p> +Enos, Marmar, invato! +</p> + +<p> +Triumpe! ^2 +</p> + +<p> +—————————————————————————————————— +</p> + +<p> +^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, sinas +incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera +(limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die +ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die +Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile. +</p> + +<p> +Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat deiuosqoi +med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied - asted noisi ope toitesiai pakariuois +- duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = +die noni) med malo statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter; +bemerkenswert vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und +oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et, +hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten. +</p> + +<p> +—————————————————————————————— +</p> + +<p> +an die Goetter Uns, Laren, helfet! +</p> + +<p> + Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars, +</p> + +<p> + lass einstuermen auf mehrere. +</p> + +<p> + Satt sei, grauser Mars! +</p> + +<p> +an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie! + +</p> <p> +Brueder +</p> + +<p> +an alle +</p> + +<p> +Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen +</p> + +<p> +an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf! +</p> + +<p> +an die einzelnen Springe! +</p> + +<p> +Brueder +</p> + +<p> +Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der Baliarischen +Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die aeltesten +Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu dem Latein der Zwoelf +Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl +duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den +indischen Veden vergleichen. +</p> + +<p> +Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass es in +Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, wuerde sich aus +dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die sehr +alten polizeilichen Massnahmen dagegen es ausdruecklich bezeugten. Wichtiger +aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein Buerger zur Bestattung weggetragen ward, +so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm +unter Begleitung eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen +wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter +auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der +Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne Begleitung +bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei dem Gastmahl der +Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich den Griechen entlehnte +Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht +sich, dass sie schilderten und erzaehlten und insofern neben und aus dem +lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten. +</p> + +<p> +Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel ueber die +Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder +der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den +Verhaeltnissen, dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den +Hochzeiten aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht +mehrere Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der +Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend +einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden +hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der +fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer +volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer das +Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und +Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war. +</p> + +<p> +Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und Drama. Dass +die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum +Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig von Kindern vorgetragen +wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit waren dieselben vollstaendig +verschollen. Die Komoedien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in +dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte +von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das +Mass, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken. +</p> + +<p> +Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft; die +Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich fixierten +metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen +begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnische ^3 +oder faunische Mass, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig +mit der aeltesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich +einer weit spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine +Vorstellung geben. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das “Liedermass”, insofern +die sătura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben +Stamm ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Sāturnus benannt; +sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist +moeglich, dass die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt +wurden. Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und +vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus sāturnius mit dem +Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der +spaeteren Zeit an. +</p> + +<p> +————————————————————— +</p> + +<p> +Quod ré suá difeídens - ásperé afleícta +</p> + +<p> +Paréns timéns heíc vóvit - vóto hóc soúto +</p> + +<p> +Decumá factá poloúcta - leíbereís lubéntes +</p> + +<p> +Donú danúnt - Hércolei - máxsumé - méreto +</p> + +<p> +Semól te oránt se vóti - crébro cóndémnes +</p> + +<p> +Was, Missgeschick befuerchtend - schwer betroffnem Wohlstand, +</p> + +<p> +Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des Geloebnis eintraf, +</p> + +<p> +Zu Weih’ und Schmaus den Zehnten - bringen gern die Kinder +</p> + +<p> +Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten; +</p> + +<p> +Sie flehn zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest. +</p> + +<p> +In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig +gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass +namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei +Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die +saturnische Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum +vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl +das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen +sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das +der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten +iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer hoehere +poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu entwickeln. +</p> + +<p> +Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die +ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns +verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird als +einem kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie +der Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten +musikalischen Instrument. +</p> + +<p> +Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen +Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der +Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus - Masken, die man so artig +wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der +italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass diese Masken bereits der +aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren, laesst sich natuerlich nicht +eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die +Volksbuehne von unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in +Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da +jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da +endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele ohne +feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal zuweisende Masken +nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfaenge des +roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie als diese Anfaenge selbst +betrachten duerfen. +</p> + +<p> +Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium +spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber +die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil wurden. +In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, namentlich der +griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche letztere den Latinern +natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich +der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade +selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der +Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. +Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen +noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen +wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in +fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und +weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine +Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine +musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es darf wohl +ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch +nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische +Befruchtung aber blieb nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die +“Saiten” (fides, von σφίδη Darm; auch barbitus βάρβυτος) ist nicht, +wie die Floete, in Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches +Instrument gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist +teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre +Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen bereits in +dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der +griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation +ruhenden Darstellungen; und auch die altlatinischen Barbarisierungen der +Persephone in Prosepna, des Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, +des Laomedon in Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der +Semele in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen +von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem +kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine +Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl anders als unter +griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier, +regelmaessig auf Grund eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen +Geluebdes und darum gewoehnlich bei der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem +kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Goettern +ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin +abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: +voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der +Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher +beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die +Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet; +endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das +Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu +Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer +Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die abgesprungenen +Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer Fechtart mit einem +Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen die Kaempfer zu +Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf, +im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal +und zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte der +Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche +Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest +dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen die Wettkaempfe an +diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen Karneval, wobei denn die +Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet haben moegen und +wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, +ihren Platz fanden ^6. Auch die im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei +diesem Feste eine Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die +Ruestungen der erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im +Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte. +</p> + +<p> +—————————————————————————————- +</p> + +<p> +^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie +spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit dem +urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso unvereinbar, wie es +nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben in Etrurien lernten. Dass +das Studium der etruskischen Sprache damals in Rom die Rolle gespielt habe wie +etwa jetzt bei uns das Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten +heutigen Bekenner des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen +Haruspicin etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten, +einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. O. +Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist die Angabe +von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der Republik +herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren Annalen, welche +zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung mit Porsena zuliebe als +Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. +Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber +Italien eine gewisse Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern +erforderte. +</p> + +<p> +^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. +Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, +vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter +nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger +unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik +im Jahre 639 wurden nur der “latinische Floetenspieler samt dem Saengern, +nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur +zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa +voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, +20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt, +ungenau auf Privatgastmaehler uebertragen. +</p> + +<p> +^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es noch im +sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag circensischer +Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. +Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen +sind. Dass in jeder Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward, +folgt aus Liv. 44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig +Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das +Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei +Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in den +roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte +Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die weisse und die rote. +Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die +sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne +Zweifel knuepfte es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen +Dionys (7, 72) gedenkt. +</p> + +<p> +————————————————————————————— +</p> + +<p> +Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen +oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch in den +Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen Leichenfeier +traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch +Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer +vorher besonders zu dem Begraebnis eingeladen ward. +</p> + +<p> +Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene Stadtfest +trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor allem in +dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen Feier und eines +kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Uebungen, die bei dem +Fest von Olympia nach Pindaros’ Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen, +Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der +Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen +Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem +Besitzer des Gespannes zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein +patriotischer Taten und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann +diese Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter +Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen Verkehrs; fuer +die letztere Annahme spricht die ueberwiegende Wahrscheinlichkeit. Das +Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist keine der aeltesten +Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu den Anlagen der spaeteren +Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie die Verfassungsreform damals unter +griechischem Einfluss erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine +aeltere Belustigungsweise - der “Sprung” (triumpus, 1, 44) und etwa +das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in +Uebung gebliebene Schaukeln - mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu +einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von +dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in Latium +eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch σπάδιον) als +spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit in die lateinische +Sprache uebergegangen und liegt sogar ein ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, +dass die Roemer die Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, +wogegen freilich eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach +scheinen die Roemer ausser den musikalischen und poetischen Anregungen auch den +fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken. +</p> + +<p> +Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus denen +die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese selbst in +fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der Gymnastik +besassen die Latiner nicht bloss insofern, als der roemische Knabe wie jeder +Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspiess fuehren lernte und als +in Rom jeder Gemeindebuerger zugleich Soldat war; sondern es genoss die +Tanzkunst von jeher oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen +Wettkaempfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische +Lyrik und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische +Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse +die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht. +</p> + +<p> +Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht aufgingen oder +verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und +tuechtig, aber fern von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des +Koerpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen +Wettkaempfe der Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, +aber ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne +Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und +Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste +Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die +roemischen bald in die Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von +unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein +Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das +Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum die Rede. +</p> + +<p> +Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und die +Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der +goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen Boden eben nur wenige +Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen +Goetter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter +persoenlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. +Ebenso sind die Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker +ohne Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in +sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der +Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es +in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und +herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der Poesie, dass sie +die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und aus den Staemmen ein +Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und +durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze der zivilisierten Nationen +aufgehoben sind, so hat die griechische Dichtkunst das duerftige und +egoistische Stammgefuehl zum hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum +Humanismus umgewandelt. Aber in Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte +Dichter in Alba und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht +einmal, was eher noch denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der +Art wie die Hesiodischen ‘Werke und Tage’. Es konnte wohl das +latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und +Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen, +wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle +Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder hineinlegen. +Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien blieb ohne nationale +Poesie und Kunst. +</p> + +<p> +Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste +in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch +fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen +wohl ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied +gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die +Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas +weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die +Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen +nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache keine +Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig +schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat +sich hier frueh teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und +unzuenftige Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die +Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt worden; auch die +religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgefuehrt. Die +Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die Klagefrauen (praeficae) +unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets blieben, was +sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren, ehrenvolle und dem Buerger wie +seiner Gemeinde zur Zier gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium +der bessere Teil der Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten +zurueck, und um so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte +und je mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. +Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb geaechtet; +und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so schien das auslaendische +Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern schaendlich. Waehrend die +musischen Kuenste in Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen +und aller Hellenen zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung +sich entwickelt, schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen +Volksbewusstsein, und indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken +herabsinken, kommt hier nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, +allgemein nationalen Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen +in den Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von +der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel auf das +Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der +Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese haeusliche Erziehung war wohl +geeignet, den Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der +dauernden Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen +Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der +Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen +Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst +(gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen Lebens. Wohl +war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer +selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber ueber +der Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur +durchgefuehrt werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung +der eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so +reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +^7 Vates ist wohl zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der Salier +zu fassen sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem +griechischen προφήτης: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort und +hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff des +gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten. +</p> + +<p> +——————————————————————— +</p> + +<p> +Ueber die Entwicklung der musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern +mangelt uns so gut wie jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass +auch in Etrurien die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler +(subulones) frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst +ein Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom um +geringen Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist +es, dass an dem etruskischen Nationalfest, welches die saemtlichen +Zwoelfstaedte durch einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des +roemischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage, +inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, ueber den +einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu +beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien schon in +frueherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, +namentlich theologischen und astrologischen Plunders, durch den die Tusker +spaeterhin, als in dem allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete +kam, mit den Juden, Chaldaeern und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell +goettlicher Weisheit angestaunt zu werden. +</p> + +<p> +Womoeglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus natuerlich +noch keineswegs folgt, dass sie der der Nachbarstaemme nachgestanden hat. +Vielmehr laesst sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstaemme +vermuten, dass an kuenstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am +naechsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; und eine +gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die +bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie Naevius, +Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehoeren, wogegen +Etrurien in der roemischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den +Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und +worteverkraeuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal +eines hoffaertigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen. +</p> + +<p> +Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes +Gemeingut der Staemme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist +dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen +Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher +durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung (cavum +aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser +“schwarzen Decke” (atrium) werden die Speisen bereitet und +verzehrt; hier werden die Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre +aufgestellt; hier empfaengt der Mann die Gaeste und sitzt die Frau spinnend im +Kreise ihrer Maegde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern man nicht den +unbedeckten Raum zwischen der Haustuer und der Strasse dafuer nehmen will, +welcher seinen Namen vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, dass +man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die +Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den Wohnraum +herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und +aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken. +</p> + +<p> +———————————————————————— +</p> + +<p> +^8 Dass die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, +sondern der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt werden. +</p> + +<p> +———————————————————————- +</p> + +<p> +Ob und wieweit aus diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik +hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der +fruehesten Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen +volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste +italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem +Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten +Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das aelteste unter den +kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von +Orchomenos und Mykenae durch uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende +und mit einem grossen Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In +derselben Weise ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von +Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus +(tullianum) am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die +Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich +voellig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die +groesste Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen +Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der +Sabina haeufig vor und gehoeren der Anlage nach entschieden zu den aeltesten +Bauwerken Italiens, obwohl der groesste Teil der jetzt vorhandenen +wahrscheinlich erst viel spaeter, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert +der Stadt aufgefuehrt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald +ganz roh aus grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen +kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus +vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber die +Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme entschied in der Regel wohl das +Material, wie denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur aus Tuff baute, +deswegen der Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie der beiden ersten +einfacheren Arten mag man auf die des Baustoffs und des Bauzwecks +zurueckfuehren; aber es kann schwerlich fuer zufaellig gehalten werden, dass +auch der kuenstliche polygone Mauerbau und das Tor mit dem durchgaengig links +einbiegenden und die unbeschildete rechte Seite des Angreifers den Verteidigern +blosslegenden Torweg den italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen +eignet. Bedeutsame Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens, +der von den Hellenen zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem +Verkehr war, der eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er in +Etrurien nur in Pyrgi und in den nicht sehr weit davon entfernten Staedten Cosa +und Saturnia begegnet; da die Anlage der Mauer von Pyrgi, zumal bei dem +bedeutsamen Namen (“Tuerme”), wohl ebenso sicher den Griechen +zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth, so steht hoechst +wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor Augen, an denen die +Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel endlich, der in der Kaiserzeit der +tuscanische hiess und als eine den verschiedenen griechischen Tempelbauten +koordinierte Stilgattung betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben wie der +griechische ein gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber welchem +Waende und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im +einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen Detail, +voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem diesem +wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische Baukunst vor der +Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten, Verhacke und Erd- und +Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die Steinkonstruktion erst in +Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum +zu bezweifeln ist es, dass die Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens +kennenlernten und von ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von +χάλιξ), die Maschine (machina μηχανή), das Richtmass (groma, verdorben aus +γνώμων γνώμα) und den kuenstlichen Verschluss (clatri κλήθρον) ueberkamen. +Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum gesprochen +werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses neben den durch +griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen manches Eigentuemliche +festgehalten oder auch erst entwickelt worden sein und dies dann wieder auf den +Bau der italischen Goetterhaeuser zurueckgewirkt haben. Die architektonische +Entwicklung des Hauses aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner +und selbst der Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der +guten alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, sondern +nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon begonnen hatte, das +Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem Muster des menschlichen +Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und dem Geist ein Grabgemach zu +errichten. Dass man in Latium zu solchen Luxusbauten erst unter etruskischem +Einfluss vorschritt, beweist die Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des +aeltesten Hausbaustils als tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser +Uebertragung anlangt, so ahmt der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen +Umrisse des Zeltes oder des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern +gebaut und mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten +Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der Notwendigkeit +und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb der scharfe +griechische Gegensatz zwischen der von Holz hergerichteten Menschen- und der +steinernen Goetterwohnung fremd; die Eigentuemlichkeiten des tuscanischen +Tempels: der mehr dem Quadrat sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die +groessere Weite der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die +gesteigerte Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber +die tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des +Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues hervor. +</p> + +<p> +————————————————————————————- +</p> + +<p> +^9 Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus +einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier Metern +starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am Viminal und +Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natuerliche +Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach aussen durch eine +aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die +Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen Berichten der Alten 30 Fuss tief und +100 Fuss breit, zog sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem +Graben genommen war. Die Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den +Futtermauern sind in neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein +gekommen. Die Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen, +durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, waehrend die +Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und ohne Anwendung von +Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den Schmalseiten nach aussen, in +mehreren Reihen nebeneinander geschichtet. +</p> + +<p> +Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen Walls +am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffbloecke von drei +bis vier Metern Hoehe und Breite, auf welchem dann aus Bloecken von demselben +Material und derselben Groesse, wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die +Aussenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der +oberen Flaeche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem. +Fuss, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine +Breite bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke +aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei +spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen. +</p> + +<p> +Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am +Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin +aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum. +Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer Ueberreste der +Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind. +</p> + +<p> +^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum. +</p> + +<p> +——————————————————————————- +</p> + +<p> +Die bildenden und zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das +Haus muss erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu +schmuecken. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon +waehrend der roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in +Etrurien, wo Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird +die Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss +gefasst haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, +wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es moegen wohl +die Etrusker in nicht viel spaeterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in +Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von +ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die +Silbermuenzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser +Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen +von den etruskischen Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch +stellten, die besten eben dieser Urzeit angehoert haben, und auch die +etruskischen Terrakotten koennen nicht ganz gering gewesen sein, da die +aeltesten in den roemischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, +die Bildsaeule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem +Dache, in Veii bestellt worden waren und die grossen derartigen Aufsaetze auf +den Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern als “tuscanische +Werke” gingen. +</p> + +<p> +Dagegen war bei den Italikern, nicht bloss bei den sabellischen Staemmen, +sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit +noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande +gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde +schon gedacht; dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften +versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in +Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der +Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das +aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem massaliotischen der +ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es +sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zuenfte der Toepfer, +Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und +Zeichnens daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr +moeglich, eine konkrete Vorstellung zu gewinnen. +</p> + +<p> +Versuchen wir aus den Archiven aeltester Kunstueberlieferung und Kunstuebung +geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunaechst offenbar, dass die +italische Kunst ebenso wie italisches Mass und italische Schrift nicht unter +phoenikischem, sondern ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich +entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, +die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und +insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten +Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt auf +die drei griechischen Kuenstler: den “Bildner”, +“Ordner” und “Zeichner”, Eucheir, Diopos und Eugrammos, +obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und +zunaechst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer +Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbstaendig +entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der +urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten, so sind +doch auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit nachgeschnitten +worden, wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter griechischer Inschrift +sich in Aegina gefunden hat, und koennen also den Etruskern recht wohl durch +die Griechen zugekommen sein. Von dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte +nur von dem Griechen. +</p> + +<p> +———————————————————————————— +</p> + +<p> +^11 Wenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die Roemer +mehr als 170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er +offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen +Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne +Zweifel das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden +Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230. +</p> + +<p> +——————————————————————————— +</p> + +<p> +Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die +Kunstmuster zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort +nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen +und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien +wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in sehr beschraenkter +Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die +Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und +Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem +dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, +in dem um die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines +besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische Stil +dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene +ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen +griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium mangelt es so gut wie +ganz an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies +ja genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und +Verkehrsbeziehungen auch fuer die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so +kann mit Sicherheit angenommen werden, dass die kampanischen und sizilischen +Hellenen wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen +sind; und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis +widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die aeltere +etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen Staemmen ist wie +das griechische Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn +ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der westlicheren italischen Staemme +nahegetreten. +</p> + +<p> +Wenn aber endlich ueber die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen +ein Urteil gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in +den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher +hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind und +massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den +latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit nicht minder +wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich dies allerdings fuer +jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmaessige wie schoene +polygone Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland haeufig, +in Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken +geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen +Hervorhebung des Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die +Anfaenge der spaeteren roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen zu +erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, +aber auch verdorben, indem sie die fuer den Steinbau festgestellten Gesetze +nicht durchaus geschickt auf den Holzbau uebertrugen und durch das tief +hinabgehende Dach und die weiten Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit +einem alten Baumeister zu reden, “ein breites, niedriges, sperriges und +schwerfaelliges Ansehen” gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen +Fuelle der griechischen Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen +Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich +sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre +Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwuerdiges Zeugnis +handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig festgehaltener Fertigkeiten, +aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur genialer Rezeptivitaet. +Wie man sich auch straeuben mag, so gut wie man laengst aufgehoert hat, die +griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch +entschliessen muessen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus +der ersten in die letzte Stelle zu versetzen. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1 by Theodor Mommsen + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE *** + +***** This file should be named 3060-h.htm or 3060-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/3/0/6/3060/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. To SEND +DONATIONS or determine the status of compliance for any particular +state visit www.gutenberg.org/donate + +While we cannot and do not solicit contributions from states where we +have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition +against accepting unsolicited donations from donors in such states who +approach us with offers to donate. + +International donations are gratefully accepted, but we cannot make +any statements concerning tax treatment of donations received from +outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. + +Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation +methods and addresses. Donations are accepted in a number of other +ways including checks, online payments and credit card donations. To +donate, please visit: www.gutenberg.org/donate + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project +Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be +freely shared with anyone. For forty years, he produced and +distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of +volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in +the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + + +</pre> + +</body> + +</html> diff --git a/3060.txt b/3060.txt new file mode 100644 index 0000000..38a0092 --- /dev/null +++ b/3060.txt @@ -0,0 +1,9237 @@ +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 by Theodor +Mommsen (#1 in our series by Theodor Mommsen) + +Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the +laws for your country before redistributing these files!!! + +Please take a look at the important information in this header. We +encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic +path open for the next readers. + +Please do not remove this. + +This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not +change or edit it without written permission. The words are carefully +chosen to provide users with the information they need about what they +can legally do with the texts. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations* + +Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further +information is included below. We need your donations. + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. These donations should be made to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Ave. Oxford, MS 38655 + + +Title: Rmische Geschichte Book 1 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3060] [Yes, we are about one year +ahead of schedule] + +Edition: 10 + +Language: German + +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte by Theodor Mommsen +******This file should be named 3060.txt or 3060.zip****** + +Thanks to KGSchon for preparing this etext. + +Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions, +all of which are in the Public Domain in the United States, unless a +copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of +these books in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our books one year in advance of the +official release dates, leaving time for better editing. Please be +encouraged to send us error messages even years after the official +publication date. + +Please note: neither this list nor its contents are final till midnight +of the last day of the month of any such announcement. The official +release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central +Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may +often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to +do so. + +Most people start at our sites at: https://gutenberg.org +http://promo.net/pg + + +Those of you who want to download any Etext before announcement can surf +to them as follows, and just download by date; this is also a good way +to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers +produce obviously take a while after an announcement goes out in the +Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 + +Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, as it +appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The time +it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get +any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and +analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience +is one hundred million readers. If our value per text is nominally +estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this +year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts +in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's +population then the total should reach over 300 billion Etexts given +away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files +by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten +thousand titles each to one hundred million readers, which is only about +4% of the present number of computer users. + +At our revised rates of production, we will reach only one-third of that +goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get +some real funding. + +Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the +next 100 years. + +We need your donations more than ever! + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. + +All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law. + +Mail to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Avenue Oxford, MS 38655 [USA] + +We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to +build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information at: + +https://www.gutenberg.org/donation.html + + +*** + +You can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your +mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from +prairienet.org, better resend later on. . . . + +We would prefer to send you this information by email. + + +Example command-line FTP session: + +ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd +pub/docs/books/gutenberg cd etext90 through etext99 or etext00 through +etext02, etc. dir [to see files] get or mget [to get files. . .set bin +for zip files] GET GUTINDEX.?? [to get a year's listing of books, e.g., +GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books] + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS**START*** Why is +this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you +might sue us if there is something wrong with your copy of this etext, +even if you got it for free from someone other than us, and even if +what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small +Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells +you how you can distribute copies of this etext if you want to. + +*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS ETEXT By using or reading any part of +this PROJECT GUTENBERG-tm etext, you indicate that you understand, agree +to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can +receive a refund of the money (if any) you paid for this etext by +sending a request within 30 days of receiving it to the person you got +it from. 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Therefore, aspirations are not marked +in Greek words, nor is there any differentiation between the different +accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. + +Theodor Mommsen Roemische Geschichte Erstes Buch Bis zur Abschaffung des +roemischen Koenigtums + +Vorrede zu der zweiten Auflage Die neue Auflage der 'Roemischen +Geschichte' weicht von der frueheren betraechtlich ab. Am meisten +gilt dies von den beiden ersten Buechern, welche die ersten fuenf +Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo die pragmatische +Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich selbst Inhalt und +Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die Schwierigkeiten, +welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit- und +Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der +Art, dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. +Obwohl der Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten +der Forschung und der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er +dasselbe dem Publikum vorlegte, so blieb dennoch notwendig, hier noch +viel zu tun und viel zu bessern. In diese Auflage ist eine Reihe neu +angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die staatsrechtliche +Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der dichtenden und +bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden. Ueberdies +wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung +durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung +klarer und uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten +Buche die inneren Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der +Karthagischen Kriege nicht, wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, +sondern mit der durch die Wichtigkeit wie die Schwierigkeit des +Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt worden. Der billig +Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu loesen +unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen +wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der +Verfasser es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht +jene leicht ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, +sondern vielmehr wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige +gerichtet hat, darin es abgeschlossen und fertig war. Im uebrigen hat +der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich bemueht. +Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte beibehalten; +die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor Christi +Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der +Stadt dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 +gleichgesetzt worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge +des roemischen Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem +1. Juli beruecksichtigt werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der +Stadt den letzten zehn Monaten des Jahres 753 und den zwei ersten des +Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten Monaten von Ol. 6, 3 und +den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das roemische und +griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden, dass +Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und +fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle +Summen bis zu 100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden +Gewichtsquantums zugrunde gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= +327,45 Gramm) Geld gleich 4000 Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes +zum Silber 1:15,5 zu 304 Talern preussisch, der Denar nach Silberwert +zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird. Die dem ersten Bande +beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische Konsolidierung +Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag. Die +Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. +Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben +werden **, da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich +machen, das Werk so rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern. +------------- * Hier in Klammern im Text. ** Karte und Register +sind hier weggelassen. ------------- Breslau, im November 1856 Die +Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande +dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst +gewesen ist, sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den +neu aufgefundenen Fragmenten des Licinianus, welche er durch die +zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, Herrn Karl Pertz, bereits +vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat einsehen duerfen und die +zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der Schlacht bei Pydna +bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige Ergaenzung, +freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben. Breslau, im Mai +1857 Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage Die dritte (vierte, +fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird man im ganzen +von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden. Kein +billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, +wie das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue +Auflagen jede inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, +das heisst zu wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, +seit dem Erscheinen der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich +dem Verfasser als versehen oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig +berichtet worden; zu einer Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich +keine Veranlassung dargeboten. Eine Ausfuehrung ueber die Grundlagen +der roemischen Chronologie im vierzehnten Kapitel des dritten Buches +ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe angemessener Weise in einer +besonderen Schrift ('Die roemische Chronologie bis auf Caesar'. Zweite +Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze +Darlegung der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit +eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert. +Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; +am 4. August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober +1902. Meinem Freunde Moritz Haupt In Berlin Erstes Buch Bis zur +Abschaffung des roemischen Koenigtums + + +Ta palaistera saph/o/s men eyrein dia chronoy pl/e/thos ad?nata /e/n. Ek +de tekm/e/ri/o/n /o/n epi makrotaton skopo?nti moi piste?sai xymbainei +oy megala nomiz/o/ genesthai, o?te kata to?s polemoys oite es ta alla. +Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht +genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung +im grossen Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht +erheblich waren, weder in bezug auf die Kriege noch sonst. Thukydides 1. +Kapitel Einleitung Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das +tief einschneidend in die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet +und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald +wieder sich in betraechtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile +der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten +Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich +betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein Ganzes +ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die +Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der +Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien +an uns vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen +Stammes an dem suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen +Nation, die die Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein +bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des +Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europaeischen +Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl +knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an andere Gesichts- +und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren eigenen +abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten +Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger +Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen +Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach +sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch +weder ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt +Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit +gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom +bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf +eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation +gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle +Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet +und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue +Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie +die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer +ergossen und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der +noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer +an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von +der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die +neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen +Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl +anschliesst an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der +Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, aber +auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und +Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen +der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende +Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss +erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst +das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des +erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein; +das grossartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie +erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am +Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in +hoeherem Sinne neu gestellt wird. Unsere Aufgabe ist die Darstellung +des letzten Akts jenes grossen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte +Geschichte der mittleren unter den drei Halbinseln, die vom noerdlichen +Kontinent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch +die von den westlichen Alpen aus nach Sueden sich verzweigenden Gebirge. +Der Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher Richtung zwischen dem +breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des Mittelmeers, +an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu +der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen +erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher +Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach +einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in +einen flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug +und schliesst dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln +ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab +sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete +Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, +demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im +siebenten Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia +bis Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte +Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin. +Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit +durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene +Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen +eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von +dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und +Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von +dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen +Ruecken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in +einfoermiger Flaeche mit schwach entwickelter Kuesten- und Strombildung +aus. An der Suedkueste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen +der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Huegelland eine ausgedehnte +Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich und fruchtbar +ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden Stroemen, +namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst +zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und +Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, +Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von +Kampanien das Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette +fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies +schliesst, wie an Griechenland der Peloponnes, so an Italien die Insel +Sizilien sich an, die schoenste und groesste des Mittelmeers, deren +gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor allem im Osten +und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, grossenteils +vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die +sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen "Riss" (R/e/gion) +der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch +geschichtlich Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil +Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben +Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung. +Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemaessigte +Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen Bergen und im +ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der Kuestenentwicklung steht +sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen +zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn +ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und +kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer +bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit +des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen +in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in +gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach Osten +gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische +und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die apulischen und +messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter Bedeutung; +und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche +Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen +Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng +benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander +abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von Otranto aus die +akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich +doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt als auf der +naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den +Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker vorgezeichnet: +die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt +erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der +andere nach Westen. Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt +werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem +Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst +ueber Italien, dann ueber die Welt gewann, so laesst sich doch dies im +hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, +was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu nennen gewohnt +ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der +Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein +Zweig sind. Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: +in die innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der +Fuehrung des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen +Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen +Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefaehrdung seiner +nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung +durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch Griechen +und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren +Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden italischen +Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der +Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor +Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt +der beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen +die Punischen Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des +Roemerreiches bis an und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen +Status quo der roemischen Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des +gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Buechern +erzaehlt werden. 2. Kapitel Die aeltesten Einwanderungen in Italien +Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten +Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im +Altertum der Glaube allgemein, dass dort wie ueberall die erste +Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung +ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische +Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem +Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch +wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines +Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist. Wohl aber +liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung in +dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen +zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder +kulturfaehigen oder auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher +stehende Nationen soweit moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien +indes ist auffallend arm an Denkmaelern der primitiven Epoche und +steht in dieser Beziehung in einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen +Kulturgebieten. Den Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge +muss in England, Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor +indogermanische Staemme hier sich ansaessig machten, ein Volk vielleicht +tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von +Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton oder Knochen +verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, +des Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In +aehnlicher Weise ging in Indien der indogermanischen eine minder +kulturfaehige dunkelfarbige Bevoelkerung vorauf. In Italien +aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten Nation, wie im +keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die schwarzen +Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt die +Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie +sie die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten +der sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren +scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der +Annahme berechtigt, dass in Italien die Existenz des Menschengeschlechts +aelter sei als die Bebauung des Ackers und das Schmelzen der Metalle; +und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens das Menschengeschlecht +einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden hat, die wir den +Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede Spur +schlechterdings ausgeloescht. Die Elemente der aeltesten Geschichte sind +die Voelkerindividuen, die Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin +in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von den Hellenen, die +Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den Bewohnern der +sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich bezeugt. +Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, +deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern +hoechstens auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren +Nationalitaet nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von +aussen her erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet +die Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig +angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten, +angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren +Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger +Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte +zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die +Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer +uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, +aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen +der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die +mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief +eingepraegt, um durch die nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu +werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollstaendig +bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste +erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die Stammverschiedenheit oder +Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und +Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. So lehrt uns die Sprachforschung +drei italische Urstaemme unterscheiden, den iapygischen, den +etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen +der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und +dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten +angehoeren. Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im +aeussersten Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen +Halbinsel, sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen +Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer +des Idioms der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser +Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen Staemmen +unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren +dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch +in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt +wohl, um dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, +nicht aber, um positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache +und diesem Volk in der Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die +Inschriften sind nicht entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass +dies dereinst gelingen wird. Dass der Dialekt den indogermanischen +beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen aihi und ihi entsprechend +dem sanskritischen asya, dem griechischen oio anzudeuten. Andere +Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten Konsonanten +und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen +iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in +einer gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die +Annahme einer vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen +Nation mit den Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den +Inschriften mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in +der auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen +Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich +hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos' Zeit (400 Roms, [350]) als +ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert der +Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland +aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft +geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich +vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen +Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber +doch keineswegs so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen +rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung +vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes und +besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes +nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich +uns dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen +begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere +Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation passt +wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich +gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen +Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten +Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien +gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht +werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig +unbekannt war. Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, +so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung +erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die +am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner +Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem +suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation. +------------------------------------------------------- ^1 Ihren Klang +moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras artahiaihi +berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. ^2 Man hat, freilich +auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache von solcher +Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine +Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen +albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich +bestaetigen und sollten anderseits die Albanesen - ein ebenfalls +indogermanischer und dem hellenischen und italischen gleichstehender +Stamm - wirklich ein Rest jener hellenobarbarischen Nationalitaet sein, +deren Spuren in ganz Griechenland und namentlich in den noerdlichen +Landschaften hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet +damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger +in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst +noch nicht folgen. +----------------------------------------------------------------- Die +Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung +zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen +desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm +sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der +iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig das +italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel +beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner einerseits, +anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern, den Marsern +und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den Samniten +ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen +Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied +sind in der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in +der sie eine Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im +Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie +uebereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen +hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit +selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die +haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den +Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines +ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein +f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit +moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschaedigt +erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurueckziehen +des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der Endungen +haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den +Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als +diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen +ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern +spaetere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich +schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den +italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; +die schliessenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr +noch im Samnitischen mit Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das +Umbrische auch diese fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass +die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren +zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch Anfuegung von +r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste Teil +der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet +wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung +den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die +italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, +haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, +grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker +scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in +den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den +Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe +festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist +die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo +durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter. Diese aus einer reichen +Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele genuegen, um +die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen +indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich +sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; +der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und +der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie +aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss frueh und klar +den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein; denn wir finden in +der roemischen Sprache ein uraltes Wort raetselhaften Ursprungs, Graius +oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet, und ebenso bei den Griechen +die analoge Benennung Opikos, die von allen, den Griechen in aelterer +Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht aber von +Iapygern oder Etruskern gebraucht wird. Innerhalb des italischen +Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in einen bestimmten +Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings sind +von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische +Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter +und schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die +einen, wie der volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern +auf uns gekommen, um sie in ihrer Individualitaet zu erfassen oder +auch nur die Mundarten selbst mit Sicherheit und Genauigkeit zu +klassifizieren, waehrend andere, wie der sabinische, bis auf geringe, +als dialektische Eigentuemlichkeiten im provinzialen Latein erhaltene +Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst die Kombination der +sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen Zweifel, dass +diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des grossen +italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem +lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch +wieder von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und +sonst haeufig sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach +- so pis fuer quis; ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen +scheiden, zum Beispiel dem Keltischen in der Bretagne und Wales p, +dem Gaelischen und Irischen k eigen ist. In den Vokalen erscheinen die +Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt den noerdlichen Dialekten +sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen Dialekten sie wenig +gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der Zusammensetzung der +Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwaecht, was nicht +geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter +auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der +ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, +im Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen +im Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern +italischen Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural +auf bus ist nur im Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische +Infinitiv auf um ist den Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, +von der Wurzel es gebildete Futur nach griechischer Art (her-est wie +leg-s/o/) bei den Roemern fast, vielleicht ganz verschollen und ersetzt +ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder durch analoge +Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Faelle, zum Beispiel in +den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden fuer +die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge +zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen +selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische +Mundart zu der umbrisch- samnitischen etwa wie die ionische zur +dorischen, waehrend sich die Verschiedenheiten des Oskischen und des +Umbrischen und der verwandten Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen +des Dorismus in Sizilien und in Sparta. Jede dieser Spracherscheinungen +ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen Ereignisses. Es laesst +sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, dass aus dem +gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein Stamm +ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich +in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten +und diese wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche +noch spaeter in Umbrer und Osker auseinander gingen. Wo und wann diese +Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht lehren, und +kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen ahnend +zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen +Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die +Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig +und vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk +sich befand, als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und +damit uns die Anfaenge der Geschichte gewaehren, welche nichts ist +als die Entwicklung der Zivilisation. Denn es ist namentlich in der +Bildungsepoche die Sprache das treue Bild und Organ der erreichten +Kulturstufe; die grossen technischen und sittlichen Revolutionen sind +darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft +nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus welchen alle +unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist. Waehrend die jetzt getrennten +indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen Stamm bildeten, +erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem angemessenen +Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell +festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der +gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem +Wortschatz nicht bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der +Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den +urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die +Brust des Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwoerter +nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer gewohnheitsmaessig +ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen Stammes und +weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung +erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des +Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten +Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gaus ist lateinisch bos, +griechisch bo?s; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch ois; +sanskritisch avas, lateinisch equus, griechisch ippos; sanskritisch +hansas, lateinisch anser, griechisch ch/e/n; sanskritisch atis, +griechisch n/e/ssa, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus, +taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in dieser fernsten +Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf unsere +Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten +Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, +ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der +Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen +dafuer, dass schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache +spricht eher dagegen als dafuer. Unter den lateinisch-griechischen +Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von +zea, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, uebrigens im +Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muss +nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen +Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende +Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche +Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in +primitiven Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung +der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, +der Weizen- und Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und +Haferbau der Germanen und Kelten koennten an sich wohl alle auf einen +gemeinschaftlichen urspruenglichen Feldbau zurueckgehen. Aber auf der +andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche Benennung +einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, dass man vor der +Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden Gersten- und +Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man schon +Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung +ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl +der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, +aber durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei +den Indern ueberhaupt Flur, kurnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder +und Schiff, venas das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende +Trank. Die Woerter also sind uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf +die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf +das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die Meeresflaeche +(aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der aeltesten +Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht +wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen +und zum Beispiel von dem sanskritischen kurnu sowohl das zum Zerreiben +bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, +litauisch girnos ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als +wahrscheinlich annehmen, dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau +noch nicht kannte, und als gewiss, dass, wenn es ihn kannte, er doch +noch in der Volkswirtschaft eine durchaus untergeordnete Rolle spielte; +denn waere er damals schon gewesen, was er spaeter den Griechen und +Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich eingepraegt, als +es geschehen ist. Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der +Indogermanen sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch domos; +sanskritisch veas, lateinisch vicus, griechisch oikos; sanskritisch +dvaras, lateinisch fores, griechisch th?ra; ferner fuer den Bau von +Ruderbooten die Namen des Nachens - sanskritisch naus, griechisch na?s, +lateinisch navis - und des Ruders - sanskritisch aritram, griechisch +eretmos, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch der Wagen +und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas +(Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch ax/o/n, am- axa; +sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch zygon. Auch die +Benennungen des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, +griechisch esth/e/s - und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, +lateinisch suo; sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch n/e/th/o/ +- sind in allen indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren +Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in gleicher Weise sich +sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur +Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes Erbgut +der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der +Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen +verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), +vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese +Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die +Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis, +lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet. +----------------------------------------------- ^3 Nordwestlich von Anah +am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste, Weizen und Spelt im +wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Geographie botanique raisonnee. +Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen +in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische +Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.). ^4 Wenn +das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben +und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und +Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, +und kann diese erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten +unabhaengig voneinander, in die des Webens uebergegangen sein. Auch der +Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die +Inder kennen die Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute +nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist den Italikern wohl noch +spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens sieht cannabis +ganz aus wie ein spaetes Lehnwort. +----------------------------------------------- Nicht minder reichen in +diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen die Entwicklung +aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die Stellung von +Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum des +Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie +ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche +Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. +Dagegen die positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen +Koenigtum und Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der +Koenigs- und Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der +Buerger gehoert ueberall einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente +der Wissenschaft und der Religion zeigen Spuren urspruenglicher +Gemeinschaft. Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch atam, +ekaatam, lateinisch centum, griechisch e-katon, gotisch hund); der +Mond heisst in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst +(mensis). Wie der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas, +lateinisch deus, griechisch theos) gehoeren zum gemeinen Gut der Voelker +auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die +Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der +Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen +auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die +schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken +der indischen wie der griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst +einzelne der Goetter vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber +verehrten bis auf die Namen ueberein - so ist der Uranos der Griechen +der Varunas, so der Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djaus pita der +Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist +durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere indische Goetterlehre +ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen +Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon +mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche +Windspiel Sarama, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne +und Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden +Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten +treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn +der Sarama, dem Sarameyas oder Hermeias geworden, und die raetselhafte, +ohne Zweifel auch mit der roemischen Cacussage zusammenhaengende +hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint +nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen +Naturphantasie. Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den +die Indogermanen vor der Scheidung der Staemme erreichten, mehr der +allgemeinen Geschichte der alten Welt angehoert, so ist es dagegen +speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es +moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand, +als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies +keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der +italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte. +Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich +ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die +Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk +waren. Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, +die im ganzen noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft +rechtfertigt. Ein geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen +Ackerbaus mit dem der chinesischen, aramaeischen und aegyptischen +Staemme wird schwerlich in Abrede gestellt werden koennen; und doch sind +diese Staemme den Indogermanen entweder stammfremd oder doch zu einer +Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch keinen Feldbau gab. +Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie heutzutage +die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn +die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem +bestimmten Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung +von fuenf Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im +allgemeinen wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche +ohne Zweifel richtig. Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des +Alphabets, der Streitwagen, des Purpurs und andern Geraets und Schmuckes +gestattet weit oefter einen Schluss auf alten Voelkerverkehr als auf +urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker anlangt, +so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten Beziehungen dieser +beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, wie Schrift +und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als +voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten +Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller +aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager agros, aro aratrum aro/o/ +arotron, ligo neben lachain/o/, hortus chortos, hordeum krith/e/, milium +melin/e/, rapa raphanis, malva malach/e/, vinum oinos, und ebenso das +Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form +des Pfluges, der auf altattischen und roemischen Denkmaelern ganz gleich +gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten Kornarten: Hirse, Gerste, +Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu schneiden und +sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu lassen, +endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls poltos, pinso ptiss/o/, +mola m?l/e/, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch +deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder +Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste +griechische Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht die Benennung +"Weinland" (Oinotria), die bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern +hinaufzureichen scheint. Danach muss der Uebergang vom Hirtenleben zum +Ackerbau oder, genauer gesprochen, die Verbindung des Feldbaus mit der +aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, nachdem die Inder aus dem +Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen +und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens scheinen, +als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter +sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu +einem Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, +dass die wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern +der indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und +Griechen mit den keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, +lettischen Staemmen gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen +Erbgutes von dem wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und +Sprache ist noch lange nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit +der Gliederungen und Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung +der Sprachen in dieser Beziehung hat kaum begonnen, und auch die +Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre Darstellung der Urzeit +vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, vielmehr dem +groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es +darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der +Kultur der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein +und zwischen der Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch +ungetrennt zusammenlebten; die Unterscheidung der den asiatischen +Gliedern dieser Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen +Kulturresultate von denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser +letzteren, wie die griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede +fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst +nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen Untersuchungen +gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die graecoitalische, +wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern des Volks- +und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben. +Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet anstatt +der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im +geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta +oder Estia, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch +beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen +Stammsagen legt dem Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen +haben muessen, Vitalus oder Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom +Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft sinnig die urspruengliche +italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es, +wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den Ackerstier +macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk bezeichnen +als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter (Opsci). +Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen +Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk +auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den +Italikern wie bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6. +---------------------------------------------------------- ^5 So finden +sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen, mundartlich +eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, arimnas, +im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben +hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch +malunas, keltisch malirr. Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man +es nicht zugeben koennen, dass es eine Zeit gegeben wo die Griechen in +allen hellenischen Gauen nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht +Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und +Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht dies nicht darauf, +dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich nach +dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es +sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung +der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der +Lokalitaet mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer +Weise verband, als dies spaeter der Fall war. ^6 Nichts ist dafuer +bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die aelteste +Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung setzte. +So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die +Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach, +Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in +Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch +in alten griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber "Ernte" +heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, +entnimmt ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung +des Pflugs bei der Stadtgruendung ist bekannt. +--------------------------------------------------------- Wie der +Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die +Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie +denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben +nicht gedacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 +Fuss ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das +Prinzip der Limitation ist dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach +einer der Himmelsgegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden +nach Sueden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum, +temenos von temn/o/) er steht, alsdann in gewissen festen Abstaenden den +Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger +Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle (termini, in +sizilischen Inschriften termones, gewoehnlich oroi) bezeichnen. Diese +Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen +Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber +auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie +wahrscheinlich ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese +sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich +roemisch und charakteristisch ist erst die eigensinnige Ausbildung +des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, wo Fluss und Meer eine +natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess, sondern mit dem +letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss. Aber +nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten +der aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge +Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische +Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, +das in Italien bestaendig festgehalten ward; das wesentliche Stueck und +urspruenglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das +Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett, +dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das homerische +Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster Decke. Nicht +dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist +altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber +gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht +allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und +Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte +italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, +deren Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, +von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin +trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass +sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank +liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch +Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber +gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker zusammen in +den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des "Reibers" (tr?panon, +terebra) und der "Unterlage" (storeys eschara, tabula, wohl von tendere, +tetamai). Ebenso ist die Kleidung beider Voelker wesentlich identisch, +denn die Tunika entspricht voellig dem Chiton, und die Toga ist nichts +als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem so veraenderlichen +Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass die beiden +Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in den +aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich sich ausspricht +^7 und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten +Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern +in Sprache und Sitte zurueck auf dieselben Elemente alles, was die +materiellen Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten +Aufgaben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden +Voelkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest +worden. ------------------------------------- ^7 Unter den beiderseits +aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte aufgezeigt werden +koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit logch/e/ zusammenhaengend, ist +als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen oder Spaniern +entlehnt. ------------------------------------- Anders ist es in dem +geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit sich selbst, mit +seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu leben, laesst +so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters Reich; und +auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die Charaktere +der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der graecoitalischen +Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen +innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen +und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich +offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich +fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind in Italien wie in +Griechenland so eigentuemlich, so durchaus national entwickelt worden, +dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Voelker +fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen +ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde +die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das +schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang war, +dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen +Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen +Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst +die Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die +Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in +aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn +gab; und jenes roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, +die Buerger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der +Goetter bannte, das nichts forderte und nichts ehrte als die nuetzliche +Tat und jeden Buerger zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit +rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche Verhuellung des Koerpers +schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als +die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat alles war +und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe Gedanke +- wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren +auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide +vorbereitete und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen +Schleier lueften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht +werden, die Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung +an eine aeltere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen +Lesers nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen. Alles, +was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in +Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen +Dingen gehoert hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des +gesellschaftlichen Lebens ^8, welche dem Manne die Monogamie gebietet +und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen Stellung +der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises die Ebenbuertigkeit beider +Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. Dagegen ist die +schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose Entwicklung der +eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den Griechen fremd +und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien +sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde +die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der +Sklaverei lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten +und in allen ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen +frueh tatsaechliche und rechtliche Milderungen stattfanden und zum +Beispiel die Sklavenehe als ein gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward. +----------------------------------------------- ^8 Selbst im einzelnen +zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der Bezeichnung der rechten +Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder abgeschlossenen" (gamos epi +paid/o/n gn/e/si/o/n arot/o/ - matrimonium liberorum quaerendorum +causa). ----------------------------------------------- Auf dem Hause +beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen +desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen +wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in +der schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der +Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenueber sich +noch weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint +der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenueber +die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die +Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger +darstellt. Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht +gegenueber in Griechenland weit frueher und vollstaendiger zur +innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in +Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in der bei beiden Voelkern +durchaus verschiedenartigen Entwicklung der urspruenglich doch +gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt der +Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu, +waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre +Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. +Aber waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh +verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den +Roemern, zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das +Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und +immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der +italischen, besonders der roemischen Individualnamen, verglichen mit +der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde +zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung +der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag. Ein Zusammenleben +in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer die +graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen +wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die +Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. +Die "Gesetze des Koenigs Italus", die noch in Aristoteles' Zeiten +angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen +Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der +Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des +Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen +Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten +gewesen sein. Gericht (crimen, krinein), Busse (poena, poin/e/), +Wiedervergeltung (talio, tala/o/ tl/e/nai) sind graecoitalische +Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die +Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den +Italikern und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die +Grundgedanken der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur +zur Bestaetigung oder Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an +sie gebrachten Antraege befugte Volksversammlung - sind kaum irgendwo +so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles' Bericht ueber die aeltere +Verfassung von Kreta. Die Keime zu groesseren Staatenbuenden in der +staatlichen Verbruederung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher +selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls +beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen +hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als +dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit +erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs +wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. +Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in +Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollstaendig der ganze +Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als +Sondergut angehoert ^9, wird die weitere Erzaehlung darzulegen haben. +--------------------------------------------- ^9 Nur darf man natuerlich +nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen ueberall zu aehnlichen +Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass die roemischen +Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen, und +doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine +Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier +sein neckendes Spiel treibt, versteht sich von selbst. +--------------------------------------------- Nicht anders ist es in +der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem Volksglauben der +gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter Naturanschauungen +zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der +roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in +spaeteren Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in +zahlreichen Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des +Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes +(temenos, templum), in manchen Opfern und Zeremonien, stimmten die +beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig ueberein. Aber dennoch +gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so vollstaendig national +und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur weniges in +erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder +missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in +den Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die +graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten +hatte, so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die +bis dahin nur ein Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern +mochten, wenn die Wolken am Himmel hin gejagt wurden, sich das so +ausdruecken, dass die Huendin der Goetter die verscheuchten Kuehe der +Herde zusammentreibe; der Grieche vergass es, dass die Kuehe eigentlich +die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer einzelne Zwecke +gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten bereiten und +geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er +den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder +auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des +Zeus, Athenaia; und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er +sich geschaffen, dass er bald in ihnen nichts sah als vom Glanze der +Naturkraft strahlende und getragene Menschen und sie frei nach den +Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl anders, aber nicht +schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des italischen +Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form +ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel +aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet +ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das +Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem +Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm +vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen +Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno, +der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr +der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in +den Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit vergeistigt; so wird +beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann angerufen der Geist +der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, Zudeckens, Eggens und +so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Oeffnens der +Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere +physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise +indes die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die +Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der +Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende, +Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei den Samniten, Dea +cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und koerperlich +erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, vollkommen durchsichtige +Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der Urzeit +deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch +zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger festhalten, +weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der +Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und +allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst +den Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen +Flut uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen +Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden. +Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die +hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und +bedurften nicht des Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, +die nur der platten Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig +und vielleicht maechtiger fassten als die nach dem Bilde des Menschen +geschaffenen Goetter von Hellas, davon wuerde, auch wenn die Geschichte +schwiege, schon die roemische, dem Worte wie dem Begriffe nach +unhellenische Benennung des Glaubens, die "Religio", das heisst die +Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und demselben Erbschatz +jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, dieses die Abstraktionen +des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen +Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die Freiheit, +hier die Notwendigkeit. Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, +auch von dessen Nachbild in Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und +am meisten in der aeltesten Zeit des vollen und einfachen Daseins, den +Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die einfachsten Elemente +der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare +Waffentanz, der "Sprung" (triumpus, thriambos, di- th?rambos); der +Mummenschanz der "vollen Leute" (satyroi, satura), die, in Schaf- und +Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest beschliessen; endlich +das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit +angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt +so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen +und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden +Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen. +Die Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken +der haeuslichen Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach +mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen Geistes +und Koerpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut +gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in +der Duerftigkeit seiner kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe +der kulturlosen Voelker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus +den religioesen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und +aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, +derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium +gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als +Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die +beseligende Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer +Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen +Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden. +So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes +erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. +Die Vorzuege der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer +Fasslichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des +Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfaehigkeit +des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Goetter ist der reiche +Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich einseitig +entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit +wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten +verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht +bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben +das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich +machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten, ohne +doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die ideale +Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen selbst bis +zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen abging; wo immer +in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht dieser +nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und +Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, +nur die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. +Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit +willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen +verstaende. Mochte der Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und +der schoenste menschliche Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer +ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt +hat, und errang allein unter allen Kulturvoelkern des Altertums bei +einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale Einheit, die +ihm endlich ueber den zersplitterten hellenischen Stamm und ueber den +ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand legte. 3. Kapitel Die +Ansiedlungen der Latiner Die Heimat des indogermanischen Stammes ist +der westliche Teil Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in +suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils in nordwestlicher ueber +Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen, +ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und von der See +entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und +dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen naeher in +die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat +der beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des +aramaeischen, raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer +die Annahme einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- +und Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine +engere Lokalisierung ist ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, +die einzelnen Staemme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der +europaeische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder laengere Zeit in +Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier +die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in +Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom Kaspischen +Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und andere +der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist +es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten, +Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen +also wohl vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des +Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker +an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch +mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben moegen, laesst sich +nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von +Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland +gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in +ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht +gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren +Bergruecken Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich +noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der +vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den +die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in aehnlicher +Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die ersten +sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen +erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die +latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, +dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst +von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker +draengten. Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge +ein latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, +welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und +Kampanien offenstanden, verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie +die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern naeher als +den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor +der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner; +denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, +Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind +nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als +Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und wahrscheinlich +latinischer Stamm, die Ausoner, Kampanien innehatten. Auch die +Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten +Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden +von den besten Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem +italischen Stamm gestellt; es ist nichts im Wege, sie dem latinischen +Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch vor dem Beginn der staatlichen +Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung dieser Gegenden und +deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die Spuren +der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den +gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in +Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber +Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der +Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus +Rom gekommen sei; und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der +von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, +deren es noch zu Thukydides' Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die +auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen +Griechisch mit dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der +alten Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den +alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; +nach allen Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern +wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das +eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die +oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen +Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen. Die Schicksale dieser +Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, Grossgriechenland und +Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Beruehrung in +einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten nicht +vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich +in Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der +sabinischen Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die +Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen, eine +taetige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen. Anders war es +in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind und es +den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie +gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf +die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt +einzugreifen bestimmt war. Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von +Latium der Schauplatz der grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen +die langsam bildende Kraft des Wassers und die Ausbrueche gewaltiger +Vulkane Schicht ueber Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem +entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehoere. +Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die +dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe +ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin +durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, +Nebenfluss des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich +ziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem +Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im +Norden in das weite etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet +eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem +"Bergstrom", der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den +sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Flaeche auf +teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen +Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe +des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene +Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die bedeutendste +unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei +zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt. +Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem +Namen der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den +ausserhalb dieses Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt +werden, der "alten Latiner" (prisci Latini). Allein das von ihnen +besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener +mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des Tiber ist den Latinern +ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein +ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die Waffenruhe +stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die +Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die +bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese +folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen +Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte +beginnt, in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler +und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich +latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem +Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und dem Meer, +ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig groesser als der +jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die "Ebene" ^1, +wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die +Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum +Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche +unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und +tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen +des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten +in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen +Substanzen, die boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter +wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, +dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden +seien, wie ihn das Missregiment des letzten Jahrhunderts der Republik +und das der Paepste herbeigefuehrt haben; ihre Ursache liegt vielmehr +in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt noch heute wie vor +Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen gewissen Grad die +boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der Bodenkultur; +wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil aber +darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen +der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer +dichten ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden +Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht +verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris +und Metapont sind, eine fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich +erinnern, dass auf einer niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt +einen schaerferen Blick hat fuer das, was die Natur erheischt, und eine +groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote, vielleicht auch physisch ein +elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger anschmiegt. In Sardinien +wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen der Ackerbau +noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden, allein +der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung, +Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria +cattiva nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde +Feuer; woraus sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig +in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht +erloeschen liess. Im uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden +ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke +und Karst zu bearbeiten und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach +italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt +durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser ist kein +Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung +jede frische Quelle. +---------------------------------------------------------- ^1 Wie latus +(Seite) und plat?s (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz zu +der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die "Ebene" den Gegensatz +bildet zu Samnium. Latus, ehemals stlatus gehoert nicht hierher. ^2 Ein +franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des +Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die +Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und +ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und +Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens +2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein +ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der +Ackerbau wird fast ganz von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst +oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafuer der leichte Pflug ein der mit +zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen +sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu +gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und +Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer einen Arpent +Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt dessen +unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden +Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens +durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne +Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die +Campagna di Roma. ------------------------------------------------------ +Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner +in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und +wir sind darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges +indes laesst sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit +vermuten. Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl +Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus +die aeltesten "Landquartiere" (tribus rusticae) zu bilden. Von dem +Claudischen Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung +der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht +ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung +hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der spaeter +hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne +Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, +die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben, +soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, +Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen +Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, +Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter +all diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst +spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird +jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus +aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter +Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das +"Haus" (oikia) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch +dort sehr haeufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die +entsprechenden italischen Benennungen "Haus" (vicus) oder "Bezirk" +(pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der +Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise +ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so +gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die aber, +wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete +Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der +Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium +selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner +schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist +eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu +bestimmen vermoegen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch +eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3, +in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf aeusserlicher +Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen mit beruhen +mag. ----------------------------------------------- ^3 In Slawonien, wo +die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag festgehalten +wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert Koepfen +stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit +gewaehlten Hausvaters (Goszpodar) in demselben Hause beisammen. Das +Vermoegen des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet +der Hausvater; der Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. +Privaterwerb durch Industrie und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte +aus dem Hause, auch der Maenner, z. B. durch Einheiraten in eine fremde +Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, Slawonien und Kroatien. Pest +1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen Verhaeltnissen, die von den +aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen moegen, naehert +das Haus sich der Gemeinde. +------------------------------------------------- Von Haus aus aber +galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als selbstaendige +Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen +Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu +gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in +Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- +und sittengleicher Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen +Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig fehlen wie der +Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, das heisst die +Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt des +Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur +eine gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die +gemeinen Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen +an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich +zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem +einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber +uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz aehnliche +alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande der +Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz +heisst in Italien "Hoehe" (capitolium, wie akra, das Berghaupt) oder +"Wehr" (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage +einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen +und spaeterhin sich umgeben mit dem "Ringe" (urbs mit urvus, curvus, +vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied +zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg +moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein +einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die +vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen +Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst spaet und zum +Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig gelangt sind, wie +im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen +sich erkennen laesst. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der +Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in unzaehligen offenen Weilern +wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher Mauerringe, die als "veroedete +Staedte" mit einzelnen Tempeln das Staunen der roemischen wie der +heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre "Urbewohner" +(aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu koennen meinten. +Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Staedte +erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, wie sie in +aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger +kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo +die zu staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten +steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in +offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer +Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in +der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht +mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten verlassen und bald den +spaeteren Generationen ein Raetsel. Jene Gaue also, die in einer +Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse Anzahl +Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die +urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen +Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen +Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von +besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das +den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am +meisten gesicherte Lage darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne +Zweifel von den Ankoemmlingen zuerst besetzt worden. Hier lag denn +auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb Palazzuola zwischen dem +Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen Berg (Monte Cavo) +lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des latinischen Stammes +und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen Gemeinden galt; +hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften Lanuvium, +Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten Bauwerken, +welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und gleichsam +der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der Tat, +wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der +Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen +Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von +Norden her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu +verteidigenden Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei +laesst; und vor allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss +maechtige Lavawand mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in +dem alten Krater des Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine +jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau auf dem Berge selbst ein +bedeutender Raum gewonnen worden ist. Natuerliche Festen der latinischen +Ebene sind auch die Spitzen der letzten Auslaeufer der Sabinergebirge, +wo aus solchen Gauburgen spaeter die ansehnlichen Staedte Tibur und +Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der Ebene +zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber, +Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte +Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder +namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue +waren in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von +seinem Fuersten unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung +der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der +Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern +es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und +staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen +Gaue. Die Vorstandschaft stand urspruenglich nach allgemeinem italischen +wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die +Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie +gesagt; als der aelteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward. +Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich dreissig, wie denn diese +Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in +Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu den +dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf +die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig +albanischen Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht +ueberliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen +Eidgenossenschaften zum Beispiel der Boeoter und der Ionier die +Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das +"latinische Fest" (feriae Latinae), an welchem auf dem "Berg von Alba" +(mons Albanus, Monte Cavo) an einem alljaehrlich von dem Vorstand dafuer +fest gesetzten Tage dem "latinischen Gott" (Iuppiter Latiaris) von dem +gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus +hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh, +Milch und Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck +zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und +sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser +Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen. +Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg +von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf +der benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei +Marino); und ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht +werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die +ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung +des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst +auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch +die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen +Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des aeltesten +Bundesrechts gedacht werden, so dass also der Latiner mit der Latinerin +rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben +und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die +Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht +angeordnet haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des +souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den +Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit +der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg +abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei denn ein +Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber +wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde +rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr +umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein +Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend +der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen +Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich +in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit +zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des +fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine +Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre +politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja +wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte +als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war +der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich +lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat +verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der +rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der +latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfasst +haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die +Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in Griechenland ist nicht +die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische +Eidgenossenschaft. ----------------------------------------------- ^4 +Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand" (indutiae Macr. Sat. +1, 16; ekecheriai Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt, +waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). ^5 Die oft in +alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals in den +Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer +Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht +nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, +und es ist sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach +manchem durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung +Latiums, schon vorher einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist +es bemerkenswert, dass Rom niemals als Erbin Albas eigentliche +Herrschaftsansprueche gegen die latinischen Gemeinden geltend gemacht, +sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt hat, die +freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die +hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen +Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede +sein; und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 +und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln. +----------------------------------------------- Diese allgemeinen +Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien schaerfer zu +ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel, wie +die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und +geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, +und es muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, +dass sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre +Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefuehl der nationalen +Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und damit den Fortschritt +vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem jede +Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit +der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte. 4. Kapitel +Die Anfaenge Roms Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des +Tiberflusses stromaufwaerts erheben sich an beiden Ufern desselben +maessige Huegel, hoehere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an +den letzteren haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name +der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht angeben, wie und wann er +aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten uns bekannten +Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; und +diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in +frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes +Zeugnis fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung +laesst sich nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute +sind. ----------------------------------------------- ^1 Aehnlichen +Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich aeltester +Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii +Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus. +----------------------------------------------- Aber sie blieben nicht +allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung der aeltesten +roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass dieselbe +hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich +ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem +einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, +woraus in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der +Gemeinde ist ^3, zeigt wohl am deutlichsten, dass die Roemer namentlich +in staatsrechtlicher Beziehung fuer "teilen" und "Teil" regelmaessig +sagen "dritteln" (tribuere) und "Drittel" (tribus) und dieser Ausdruck +schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung +einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen +Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen +Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig +vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare +Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, +der Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer, +wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat mit diesen +drei Elementen, in die die aelteste roemische Buergerschaft zerfiel, +den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige Meinung, dass die +roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und bemueht sich +in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen als +komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das +wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und +volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und +sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu +verwandeln. Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen +Hypothesen laesst sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die +Nationalitaet der komponierenden Elemente des aeltesten roemischen +Gemeinwesens gesagt werden kann. Dass die Ramner ein latinischer +Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da sie dem neuen roemischen +Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die Nationalitaet der vereinigten +Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber die Herkunft der +Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege steht, sie +gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die zweite +dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies +kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft +bewahrte Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem +Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen +Sonderrituals gestiftet worden waere. Es mag also in einer sehr fernen +Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm sich noch in Sprache +und Sitte bei weitem weniger scharf gegenueber standen als spaeter der +Roemer und der Samnite, eine sabellische Gemeinde in einen latinischen +Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da die Titier in der +aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den Platz vor +den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier +den aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung +verschiedener Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; +aber schwerlich hat sie viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die +einige Jahrhunderte spaeter erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus +Clauzus oder Appius Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom. +So wenig wie diese Aufnahme der Claudier unter die Roemer berechtigt +die aeltere der Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den +Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner, im +Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische +Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die +latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen +Anhalt ^4. Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung +einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten +Stamm die latinische Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt +haette; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, +wo die Titier neben den Ramnern sich ansaessig machten, die latinische +Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue dreiteilige +roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger urspruenglich sabellischer +Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner gewesen war, +ein Teil der latinischen Nation. +---------------------------------------------------------------------- +^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht +notwendig verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, +aber fuer alle gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, +15; Hdt. 1, 170). ^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische +tritt?s, die umbrische trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die +Dreiteilung der Gemeinde eine graecoitalische Grundform sei; in +welchem Falle die Dreiteilung der roemischen Gemeinde gar nicht auf die +Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen Staemme zurueckgefuehrt +werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung sich also +auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im +graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu +sein scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die +Umbrer koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss +der roemischen Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es +nicht mit Sicherheit nachzuweisen. ^4 Nachdem die aeltere Meinung, +dass das Lateinische als eine Mischsprache aus griechischen und +nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von allen Seiten +aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A. Schwegler, +Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch in +dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer +Dialekte finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder +geschichtlichen Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache +als Mittelglied zwischen zwei anderen erscheint, so weiss jeder +Sprachforscher, dass dies ebenso wohl und haeufiger auf +organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher Mischung. +--------------------------------------------------- Lange bevor eine +staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner, Titier, +Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln +ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker +bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag +das "Wolfsfest" sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen +Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die +schlichten Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig +genug noch im christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am +laengsten behauptet hat. Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere +Rom hervor. Von einer eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie +annimmt, kann natuerlich in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht +an einem Tage gebaut worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche +Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer hervorragenden +politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, waehrend man +nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die +Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als +die der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum +gedeihen in Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an +ausgiebigen Quellen- denn weder der sonst treffliche Born der Camenen +vor dem Capenischen Tor noch der spaeter im Tullianum gefasste +Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das haeufige +Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in der +Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug +dem Meere zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich +oeffnenden Taeler und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den +Ansiedler ist die Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in +alter Zeit ist es ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und +unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht +die erste naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt +haben koenne, sondern dass die Not oder vielmehr irgendein besonderer +Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die Legende +hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage +Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen +Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch +der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so +unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die +allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die +Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche +Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu +machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch +einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen +Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber ueber +die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und +seiner Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen. +Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. +Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in +naechster Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen +Mauerring entfernt, und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren +gewesen sein. Gegen Sueden trifft man in einem Abstand von drei +deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es +scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben +als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war +in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits +am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische +Gau ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, +erstreckt er sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden +Ufern des Tiber gegen das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der +Kueste irgendeine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, +irgendeine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die fuer alles +einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu berichten, dass die +roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die "sieben Weiler" (septem +pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig Romulus +den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am rechten +Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am +linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der "Muendung" +(Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen am etruskischen +Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert haben +muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein +der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin +(dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der +Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit +das Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen +roemischen, eben hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt +selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt gewesen. Es kann das +nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche Handelsstrasse, +seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige Ankerplatz der +Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr des +latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepot fuer +den latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung +Latiums eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer +festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, +das ueber beide Ufer des Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den +Tiber oder den Anio herabkommenden Flussschiffer ebenso bequem gelegen +war wie bei der damaligen maessigen Groesse der Fahrzeuge dem Seefahrer, +und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz gewaehrte als die unmittelbar +an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht seine Entstehung, doch +seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhaeltnissen +verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von +ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. +Daher ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien +war, was fuer Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und +Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und +des Brueckenbaues ueberhaupt in dem roemischen Gemeinwesen; daher die +Galeere als staedtisches Wappen. Daher der uralte roemische Hafenzoll, +dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht +was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia +einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war. +Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des +gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in +Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, +mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen +eher die juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft +schon einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche +andere Hoehe der Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische +Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein Beschluss der latinischen +Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen +Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der +Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist +uns nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an +diese Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere +Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem +latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt +gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die +gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall +zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher +beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer +seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes Heim zu +betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der Campagna +musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den +luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben dem +Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden +und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die +dichte Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5 +Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden +kann und schon nach der aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von +3300 freien Maennern stellte, also mindestens 10000 freie Einwohner +zaehlte, erklaert sich auf diese Art einigermassen. Aber noch mehr. +Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der weiss es, dass das +Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf ihrem +staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz +gegen die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der +Gegensatz ist des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt +wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende +Landschaft und Rom zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen +und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen +latinischen Staedte, muss allerdings zurueckgefuehrt werden auf +seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten Geist seiner +Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften +war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen +Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch +entwickelte und damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. +Die Verfolgung dieser merkantilen und strategischen Entwicklung +der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und ausfuehrbarer als das +unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig verschiedene Gemeinden +der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene staedtische Entwicklung koennen +wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen ueber die +allmaehlich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren +Anlage mit der Entwicklung des roemischen Gemeinwesens zu staedtischer +Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein muss. Die urspruengliche +staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte Rom erwachsen +ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in +spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der +regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und +Mauern dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit +sichtbar; zwei von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro +und die Porta Mugionis am Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach +bekannt, und den palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus +nach eigener Anschauung wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius +zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin, dass hier der +Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf dem +Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte +"Einrichtung" (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen +das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde +eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die +saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen +und anderen Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war +das Versammlungshaus der "Springer" (curia saliorum), zugleich der +Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der +"Woelfe" (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und +an diesem Huegel ward die Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich +lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus des Romulus, die +Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran +der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem Speerschaft, +welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des +Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene +Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen +gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher +hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. +Die Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt und deshalb +verschollen; nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz um +den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, die aelteste +Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber dem +Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen +Gemeinde gewesen sein moegen. Dagegen hat sich in dem "Fest der sieben +Berge" (septimontium) das Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, +welche allmaehlich um den Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, +eine nach der andern erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch +schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den urspruenglichen Mauerring +des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich die Aussendeiche, +angelehnt. Die "sieben Ringe" sind der Palatin selbst; der Cermalus, der +Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem +Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den +Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen +Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius +und der Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucusa oder +Subura, eine ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen +schuetzte, unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen +dem Esquilin und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar +allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die aelteste Geschichte des +palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn +man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete +Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt. Der Palatin war der +Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und urspruenglich einzige +Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie ueberall +nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten +Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der +Servianischen Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, +liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des +Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt +haben mag an den wohl schon in der palatinischen Stadt lebhaften +Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und die Niederlassung +auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt mit dem +Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile +des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche +vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; +die auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen +den Palatin aus laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von +welcher das ganze Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen +bilden die anfaengliche Stadt, und der suburanische Bezirk derselben, +der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro +in Vincoli und ueber das darunter liegende Tal hin sich erstreckte, +scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter gewesen zu sein als die +in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten +Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht. +Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile +hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt, +das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses: +bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten +zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse und +je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen +Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem +Palatin angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier +in gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren +also die Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen +ausschliesst - in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, +wie inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der +spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets +neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich +gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und +Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; +vor allem die "Pfahlbruecke" (pons sublicius) ueber den natuerlichen +Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein +buergt dafuer hinreichend - schon damals bestanden und man auch den +Brueckenkopf am etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser +acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in +ihren Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in +die spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen +lediglich aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen +praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende +sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen oder abgebrannt +werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die +roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen +beherrscht hat. Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen +staedtischen Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die roemische +staatsrechtlich seit unvordenklich frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu +ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer urspruenglich selbstaendige +Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie freilich auch +urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben +Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen +gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, +wird der verstaendige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen +von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr +werden schon die beiden Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und +Palatin und ebenso das vorstaedtische jedes in die drei Teile der +Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhaengen +kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen +wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei +Paare Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische +Siebenhuegelstadt vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung +von derselben geblieben als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie +die Blaetter des Waldes fuer den neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie +ungesehen von Menschenaugen niederfallen, also hat diese verschollene +Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die Staette bereitet. +Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem +spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor +alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft +gegenueber eine zweite auf dem Quirinal. Die "alte Burg" (Capitolium +vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und +einem Tempel der Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege +oeffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des +spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und Minervatempel und mit +dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel +der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass auch der +Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens +gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem +Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und +der aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit +haengt weiter zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten +Genossenschaften der Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in +dem spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der +palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, neben +den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, die ihr +Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat ^5. Alle +diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen um so +hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau bekannte +Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss +und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten +Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal +nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So +erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das +feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal +angelegt ward - hier beruehrten sich ja die beiderseitigen Marken und +musste von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen +hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgefuehrt +werden. ------------------------------------------------ ^5 Dass die +Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus +hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die +Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die +Fabier zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer +auf dem Quirinal (Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den +Luperkalien zusammenhaengen oder nicht. +----------------------------------------------- Uebrigens heisst +der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253) Lupercus +Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult +zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S. +17) findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; +die bei den Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius +und Quinctilianus ist also entstellt und das Kollegium nicht den +verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, sondern den weit aelteren +Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, 30) oder +Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern +genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das +Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein. Endlich ist +auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom Quirinal +von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische +Stadt sich die "der sieben Berge", ihre Buerger "die von den Bergen" +montani) sich nennen, die Bezeichnung "Berg" wie an den uebrigen ihr +angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so heisst die +quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas +hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen +Sprachgebrauch nie anders als "Huegel" (collis); ja in den sakralen +Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der "Huegel" ohne weiteren +Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende +Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige +Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der +vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte +Servianische das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst +wohl an der Gegend haftenden Namen der "Roemer" moegen dabei die +Huegelmaenner ebenso wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa +Huegelroemer (Romani collini) sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz +der beiden Nachbarstaedte zugleich eine Stammverschiedenheit obgewaltet +hat, ist moeglich, aber an Beweisen, welche ausreichten, um eine auf +latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer stammfremd zu erklaeren, +fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus ^7. +------------------------------------------ ^6 Wenn spaeterhin fuer +die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der Name des +Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch keineswegs +der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem +Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie +gezeigt ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; +andrerseits ist es unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von +Haus aus wie nachher lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem +Gegensatz der montani und collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten +5. Kap.). Die spaetere Benennung des Quirinalis beruht darauf, dass zwar +urspruenglich der Mars quirinus, der speertragende Todesgott, sowohl +auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt wurde, wie denn noch +die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel gefundenen +Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der +Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der +Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch +wohl collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur +bezeichnet als der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer. ^7 Was man +dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, S. +480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von +den Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene +etymologisch-historische Hypothese, dass das lateinische quiris +quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen Cures verwandt und demnach +des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden sei. Auch wenn die +sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, duerfte daraus +der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die alten +Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen "latiarischen +Huegel" gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, aber nicht +erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus fidius +sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar +in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. +Wenn an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal +ein Name wie der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon +benannte porta sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel +begegnet, so wird jeder unbefangene Forscher darin nur einen Beweis +fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht fuer ihre Entlehnung aus dem +Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, dass alte Stammgegensaetze +dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet werden; aber wenn +dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die unseren +Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element +im Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das +Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen. +-------------------------------------------------------- So standen +an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die +Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei +gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen +einander gegenueber, einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani +und die Trasteverini. Dass die Gemeinde der sieben Berge schon frueh +die quirinalische bei weitem ueberwog, ist mit Sicherheit zu schliessen +sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstaedte als auch +aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in der spaeteren +Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen lassen. +Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer +rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile +der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander jaehrlich +um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch +die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab noch keinen +gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde +standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander - +moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom +eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt +gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten +und maechtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der +Verteidigung faehig, also auch wohl beduerftig. Erst der grossartige +Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht +bloss jene beiden Staedte vom Palatin und Quirinal, sondern auch noch +die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen des Kapitol und des +Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und somit das neue +Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses gewaltige +Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden Landschaft +ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der +Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den +andern latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen +Zeiten leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen +Anfang festerer Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und +tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter +die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in den "sieben Ringen" +zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische +Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem und +freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl +auch zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in +der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer einheitlichen +Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in der die +Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft +zu ringen und endlich sie zu erringen vermochte. 5. Kapitel Die +urspruengliche Verfassung Roms Vater und Mutter, Soehne und Toechter, +Hof und Wohnung, Knechte und Geraet - das sind die natuerlichen +Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter +als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber gehen die +Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen +Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich +aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen +gleich an schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der +Natur selbst vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse. Die Familie, das +heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie +Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des +Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) +angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren +rechten Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern +nebst allem, einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, +von der dagegen die Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie +entweder, wenn sie ehelich sind, der Familie des Mannes angehoeren, +oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Eigenes +Haus und Kindersegen erscheinen dem roemischen Buerger als das Ziel und +der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Uebel, denn er ist notwendig; +aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein +Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in fruehester Zeit dem +Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme fremder Kinder +anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein trug +die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in +der sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. +Familienhaupt kann nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von +Gut und Geld nicht hinter dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die +Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit +den Kindern, aber immer und notwendig gehoert die Frau dem Hause, nicht +der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig hausuntertaenig, die +Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die vaterlose unverheiratete +Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese sind es und nicht +der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird. +Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin. +Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden +Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische +Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und +daneben der Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug +^2. Ebenso wurde die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder +von der roemischen Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger +Frevel, wenn der Vater das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch +nur zum Nachteil desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich +wird die Familie unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen +allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber +ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, der Stier und der +Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die +freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind, +das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. +Es ist nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung +eingegeben hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung +und Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief +und ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige +Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist +die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren werden, eine +Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung dachte, +zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit +Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie +gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung +derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in +religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem +Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen +nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und +die Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und sie nach +Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen +gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken, +sein "eigenes Vieh" (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber +rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit +oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen Haushalte +gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater +lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher +auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie +vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher +Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch +nicht selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls +befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch +den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein +Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, so wird der +Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, seinem +Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche +Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon +erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche +mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden; +so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn +verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der +Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der +Ehemann den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne vorher +die naechsten Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der Frau, +zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung der Gewalt lag in der +letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht zugezogenen +Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den richtenden +Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber nicht bloss +wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde verantwortlich, sondern +auch, so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich und unzerstoerlich. +Nach den griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der erwachsene, +tatsaechlich selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; die +Macht des roemischen Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das +Alter, nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier +Wille aufzuheben, nur dass die Person des Gewalthabers wechseln kann: +denn allerdings kann das Kind im Wege der Adoption in eines andern +Vaters Gewalt kommen, die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des +Vaters uebergehen in die Hand des Mannes und, aus ihrem Geschlecht +und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottesschutz des Mannes +eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es ihrem Vater war. +Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich von dem +Herrn, als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des +ersteren ward frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung +des letzteren wurde erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich +gemacht. Ja, wenn der Herr den Knecht und der Vater den Sohn verkauft +und der Kaeufer beide freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der +Sohn aber faellt durch die Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere +vaeterliche Gewalt. So ward durch die unerbittliche Konsequenz, mit +der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt von den Roemern aufgefasst +wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. Indes, bei +aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an die +Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der +Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch +rechtlich aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch +abgesehen davon, dass sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt, +ist voruebergehender und gewissermassen stellvertretender Art. Weib und +Kind sind nicht bloss um des Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur +fuer den Eigentuemer, wie in dem absoluten Staat die Untertanen nur fuer +den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl auch Gegenstand des Rechts, +aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht Sachen, sondern Personen. +Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die Einheit des Hauses +im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert; wenn aber der +Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren ein und +erlangen nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen +die bisher vom Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod +des Herrn die rechtliche Stellung des Knechtes in nichts sich aendert. +--------------------------------------------------- ^1 Es gilt dies +nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium confarreatione), +sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar nicht an +sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die +Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung +(usus) ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der +Weg geoeffnet, Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er +sie gewann, also namentlich in der bis zur Vollendung der Verjaehrung +verfliessenden Zeit, war das Weib, ganz wie bei der spaeteren Ehe mit +causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, sondern pro uxore; bis in die +Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt sich dieser Satz, +dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht Ehefrau sei, +sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3, 14). ^2 +Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig, +ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht. Kurz, +Wandrer ist mein Spruch: halt' an und lies ihn durch. Es deckt der +schlechte Grabstein eine schoene Frau. Mit Namen nannten Claudia die +Eltern sie; Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann; Zwei Soehne +gebar sie; einen liess auf Erden sie Zurueck, den andern barg sie in +der Erde Schoss. Sie war von artiger Rede und von edlem Gang, Versah ihr +Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh. Vielleicht noch bezeichnender ist +die Auffuehrung des Wollspinnens unter lauter sittlichen Eigenschaften, +die in roemischen Grabschriften nicht ganz selten ist. Orelli 4639: +optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta domiseda. Orelli +4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo diligentia fide +par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der Turia +1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis, +lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus +non conspiciendi, cultus modici. ------------------------------------ +Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod +des Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben +selbstaendig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher +Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in +vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen aber, +um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Toechter zu ordnen. Da +nach aelterer roemischer Ansicht das Weib nicht faehig ist, weder ueber +andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so bleibt die Gewalt ueber +sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut (tutela), bei +dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen Hausherrn +jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen +Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne, +ueber die Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die +einmal gegruendete Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres +Urhebers ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation +faktisch das Band sich lockern und zuletzt selbst die Moeglichkeit +des Nachweises der urspruenglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und +hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie und des Geschlechts, +oder, nach roemischem Ausdruck, der Agnaten und der Gentilen. Beide +bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfasst nur diejenigen +Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad +ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen, +das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die Abstammung +selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr +vollstaendig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen +vermoegen. Sehr klar spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn +es heisst: "Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, +der Quintier", so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten +individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt +ergaenzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen +Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt +hat. Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn +vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen +Familien- und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar +nicht die Gaeste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, +welche voruebergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig +die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des Hauses +angesehen werden, aber wohl die Hoerigen (clientes, von cluere), das +heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie Buerger irgendeines +Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschuetzter +Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen +Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils +diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner +Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit +geschenkt hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit +nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein +unfreier Mann, fuer den Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. +Darum bilden die "Hoerigen" (clientes) des Hauses in Verbindung mit den +eigentlichen Knechten die von dem Willen des "Buergers" (patronus, +wie patricius) abhaengige "Knechtschaft" (familia); darum ist nach +urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das Vermoegen des Klienten +teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls +in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es +sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht +so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schaerfe dieses +hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite +die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu +sorgen und sie zu vertreten, bei dem tatsaechlich freier gestellten +Klienten groessere Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders +musste die faktische Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich +naehern, wo das Verhaeltnis durch mehrere Generationen hindurchgegangen +war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber gestorben waren, +konnte das Herrenrecht ueber die Nachkommen des Freigelassenen von den +Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietaet in +Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich +ein Kreis abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso +unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen. Auf +diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen +als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer +erfolgten Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der +Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus +den vereinigten Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer +einem jener Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in +den ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und +begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in unrechter oder +ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen. +Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die "Vaterkinder" +(patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die +Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien +dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und +Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem +Staate gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der +Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten +neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich +natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines jeden +Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar +blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, +der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass von dem +Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen +der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen werden konnten, +wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die eigentlichen +buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so +mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand +der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den +Buergern und den Insassen. Wie die Elemente des Staates die auf +der Familie ruhenden Geschlechter sind, so ist auch die Form der +Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie nachgebildet. +Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und +vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich bestehen soll, +findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen nicht, +die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes +Gnaden sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr +Leiter (rex) und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in +spaeterer Zeit in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und +die wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und +die roemischen Penaten zu finden sind - sie alle die sichtbare Einheit +des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt +beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist, sofort +und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem Koenig +erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfaehigen Freien +zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat +er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt, +und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern der +Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt +alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im +Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze +Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem +Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist +allmaechtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores, von +licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall voranschreiten, wo er in +amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, oeffentlich zu +den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem +Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht +und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich +Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in +allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt +ueber Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den +Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben +in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung +an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil stattzugeben, ist +er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege +auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muss er bei Feuerlaerm +persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause +nicht der Maechtigste ist, sondern der allein Maechtige, so ist auch der +Koenig nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er +mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen +Maennern Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er +mag, um sich die Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse +andern uebertragen, die Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im +Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung +der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen +genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt +eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt neben +der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch +den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der aeltesten +Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer +(tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei +(celeres), sind nichts als Beauftragte des Koenigs und keineswegs +Magistrate im spaeteren Sinn. Eine aeussere rechtliche Schranke hat +die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht haben; fuer den Herrn der +Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der Gemeinde wie fuer +den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt seine Macht. +Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, auf den im +Fall der Vakanz das "Zwischenkoenigtum" (interregnum) uebergeht. Eine +formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst +nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden +Kollegium der Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger +der Gewalt den neuen Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird "der +hohe Goettersegen, unter dem die beruehmte Roma gegruendet ist", von +dem ersten koeniglichen Empfaenger in stetiger Folge auf die Nachfolger +uebertragen und die Einheit des Staats trotz des Personenwechsels der +Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese Einheit des roemischen Volkes, +die im religioesen Gebiet der roemische Diovis darstellt, repraesentiert +rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht die des hoechsten +Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss geht, +der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene +Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in +gleicher Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen +Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die +Begriffe Gott und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise +ineinander verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig, +sondern viel eher der Eigentuemer des Staats. Darum weiss man auch +nichts von besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von +irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff +waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit +frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr +kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib +gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also +eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem +aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem Hause, zum +Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber Bauern, den +Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und +doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der +Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen Besseren zu halten. +Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Koenigsgewalt. +Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel +Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute +schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder sonst durch +Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber wenn +er es tat, so vergass er, dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam, +sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und +wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm +geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber der Koenigsgewalt lag +darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu aendern befugt war, +jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der Volksversammlung +und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein musste oder ein nichtiger +und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. +So ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im tiefsten +Grunde verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im +modernen Leben so wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen +Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden. +----------------------------------------------- ^3 Dass Lahmheit vom +hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das roemische Buergertum +Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, versteht sich so +sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien +ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen. +----------------------------------------------- Die Einteilung der +Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit curare = +coerare, koiranos verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde; +jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie +equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei +kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als +Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und +vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile. Diese +Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den Personalbestand der +Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit +diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, sondern auch +Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter +den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend +gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum +Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser +aeltesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, +von denen schon die Rede war. In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet +diese Verfassung in dem Schema der spaeterhin unter roemischem Einfluss +entstandenen latinischen oder Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten +dieselben hundert Ratmaenner (centumviri). Aber auch in der aeltesten +Tradition ueber das dreiteilige Rom, welche demselben dreissig Kurien, +dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; dreitausend Fusssoldaten +beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen hervor. +------------------------------------------ ^4 Selbst in Rom, wo die +einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh verschwunden ist, findet sich +noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwuerdig genug eben bei +demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter allen deren +unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten zuhalten, bei +der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn +Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in +der Dreissigkurienverfassung sind. +------------------------------------------- Nichts ist gewisser, als +dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in Rom entstanden, sondern +uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht sogar ueber +die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen Dingen sehr +glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen +Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die +Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im +vollsten Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom, +sondern tritt in dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen +Gemeindeordnungen auf als wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts +ueberhaupt. Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in +Kurien. Die "Teile" koennen schon deshalb kein wesentliches Moment +gewesen sein, weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl +zufaellig ist; wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung +zu, als dass das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze +gewesen waren, sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert, +dass der einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte +gehabt habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass +im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es +zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden +sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare, +als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser +Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder +einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte +Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die +Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf, +dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen +hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes +gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in der +roemischen Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall +ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen, dass der +verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht +veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, +noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich +fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen +hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem +Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger +genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in dem aeltesten +Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere +Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war +eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens +zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem +besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen +curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und +geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und +stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der +Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die Zahl +der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde. +------------------------------------------------------- ^5 Es liegt dies +schon im Namen. Der "Teil" ist, wie der Jurist weiss, nichts als ein +ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der Gegenwart ohne +alle Realitaet. ------------------------------------------------------- +So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen +war innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es +kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des +andern Satzes es den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des +Gegensatzes zwischen Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern +tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der +Behandlung der uralten Institution des Ehrenbuergerrechts, welches +urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein +Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger hineingenommen +ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo er +dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem +ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in +Hellas immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in +mehreren Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger +entwickelte Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass man zweien +Gemeinden zugleich als Buerger angehoeren koenne, und liess fuer +den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht die Absicht hatte, sein +bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen Ehrenbuergerrecht +nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und +Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher +vorgekommen war. Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken +gegen aussen ging Hand in Hand, dass aus dem Kreise der roemischen +Buergergemeinde jede Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt +ferngehalten wurde. Dass die innerhalb des Hauses bestehenden +Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt werden konnten, innerhalb +der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde bereits erwaehnt; +derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, konnte also +als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzuege +aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den Lucerern +in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen +Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht +vor der Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine +Eliten- oder Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus +die wohlhabendste, bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich +schloss, war natuerlich angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch +dieser Gegensatz war rein tatsaechlicher Art und der Eintritt in die +Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und +allein die verfassungsmaessige Gliederung der Buergerschaft, welche +rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die rechtliche +Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen Erscheinung +durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde vor +den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem +noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber durfte der Reiche +und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene oeffentlich nur erscheinen +in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weissem Wollenstoff. Diese +vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel urspruenglich +begruendet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser +Schaerfe der Auffassung und Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten +und der folgenreichsten Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und +wohl mag man dabei sich erinnern, dass in Italien keine den latinischen +Einwanderern botmaessig gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und +geringerer Kulturfaehigkeit begegnet und damit die hauptsaechliche +Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen, der spartanische +und thessalische und wohl ueberhaupt der hellenische Adel und +vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft hat. Dass der +Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von selbst. +Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die +Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. +Die Buerger sind zugleich die "Kriegerschaft" (populus, verwandt mit +populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die "speerbewehrte +Kriegsmannschaft" (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars +herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der Koenig sie +anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des Wehrmanns gefasst. +In welcher Art das Angriffsheer, die "Lese" (legio) gebildet ward, ist +schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand sie +aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen +oder flexuntes, die Schwenker) unter den drei Abteilungsfuehrern der +Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei Tausendschaften der Fussgaenger +(milites) unter den drei Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni +militum); letzteres war vermutlich von Haus aus der Kern des +Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und +Glied fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen +sein ^8. Der Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser +dem Kriegsdienst konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger +treffen, wie die Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im +Kriege wie im Frieden (I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker +oder zur Anlage oeffentlicher Bauten; wie schwer namentlich der Bau der +Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass der Name der +"Fronden" (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine regelmaessige direkte +Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte regelmaessige +Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es derselben +nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt oeffentliche +Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine solche +ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet +ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von dem, der selber +nicht dienen konnte oder wollte. Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst +noetigen Opfertiere wurden durch eine Prozesssteuer beschafft, +indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag, eine nach dem Werte des +Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den Staat +erlegte. Von stehenden Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird +nichts berichtet. Dagegen flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, +62), sowie die Einnahme von den Domaenen, namentlich der Weidezins +(scriptura) von dem auf die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die +Fruchtquote (vectigalia), die die Nutzniesser der Staatsaecker an +Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der Ertrag der Viehbussen und +Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde eine +Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe +betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe +die Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht +entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig +leitete die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, +das, nach den Angaben ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten +roemischen Koenigsgeschlechts der Tarquinier zu schliessen, regelmaessig +bedeutend gewesen sein muss, fiel das Staatsvermoegen nicht zusammen +und namentlich der durch die Waffen gewonnene Acker scheint stets als +Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der Koenig in der +Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen beschraenkt war, +ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere Entwicklung, dass +die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann, wogegen es Sitte +sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des im +Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten. +---------------------------------------- ^6 Quiris quiritis oder +quirinus wird von den Alten gedeutet als der Lanzentraeger, von quiris +oder curis = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern zusammen mit +samnis, samnitis und sabinus, das auch bei den Alten von sa?nion, +Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an +arquites, milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die +im Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen +Oberwurf gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit der roemischen +Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden die Juno +quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als speerschwingende +Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist quiris der Wehrmann, +das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der Sprachgebrauch ueberein. +Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, wird nie von Quiriten +gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma, populus, +civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so wenig eine lokale +Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum koennen auch diese +Bezeichnungen nicht miteinander verbunden werden: man sagt nicht civis +quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus, +denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet die feierliche +Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass "dieser Wehrmann mit Tode +abgegangen" (ollus quiris leto datus), und ebenso redet der Koenig die +versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und spricht, wenn er zu Gericht +sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften Freien (ex iure quiritium, ganz +gleich dem juengeren ex iure civili). Populus Romanus, quirites ( +populus Romanus quiritium ist nicht genuegend beglaubigt) heisst also +"die Gemeinde und die einzelnen Buerger" und werden darum in einer alten +Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus die prisci Latini, den quirites +die homines prisci Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd. 2, S. +20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche +Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen +Gemeinde einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und +nach deren Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den +der aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. +Vgl. 1, 68 A. ^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt +Dionysios (2, 64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf +die Fuehrer der Reiter (oi /e/gemones t/o/n Keleri/o/n). Nach dem +praenestinischen Kalender wird am 19. Maerz ein Fest auf dem Comitium +begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius +Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten roemischen +Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen in der +Schrift 'De viris illustribus' 1 Celer selbst centurio genannt wird. +Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen +sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes +die Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren +Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm +schoepfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer +des Antias, dem magister equitum des republikanischen Diktators, dem +Praefectus Praetorio der Kaiserzeit. Von diesen Angaben, den einzigen, +die ueber die tribuni celerum vorhanden sind, ruehrt die letzte nicht +bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen Gewaehrsmaennern +her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, welcher nur +"Teilfuehrer der Reiter" heissen kann; vor allen Dingen aber kann +der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte +Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen +sein mit der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also +stehenden Magistratur. Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der +Nachricht des Pomponius, die offenbar lediglich hervorgegangen ist aus +der mit immer steigender Unwissenheit historisierten Brutusanekdote, +so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum den tribuni militum in +Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die Abteilungsfuehrer der Reiter +gewesen sind, also voellig verschieden von dem Reiterfeldherrn. ^8 +Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und +arquites und die spaetere Organisation der Legion. +------------------------------------------ Indes nicht bloss leistend +und dienend erscheint die roemische Buergerschaft, sondern auch +beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten hierzu die +Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht +waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die "Lanzenmaenner" +(quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief, +um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie +foermlich auf die dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten +hiess (comitia), um sie nach Kurien zu befragen. Ordnungsmaessig setzte +derselbe zweimal im Jahr, zum 24. Maerz und zum 24. Mai, dergleichen +foermliche Gemeindeversammlungen an und ausserdem, so oft es ihm +erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger nicht zum Reden, +sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand +spricht in der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu +gestatten fuer gut findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache +Antwort auf die Frage des Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung, +ohne Bedingung, ohne Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die roemische +Buergergemeinde eben wie die deutsche und vermutlich die aelteste +indogermanische ueberhaupt die eigentliche und letzte Traegerin der Idee +des souveraenen Staats; allein diese Souveraenitaet ruht im ordentlichen +Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier nur darin, dass die +Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig +verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt +angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm +treu und botmaessig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in +hergebrachter Weise anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel +ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr ganz aehnliche +Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war durchaus +folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der Souveraen, +ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich nicht +beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die +Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich +souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht +der Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden +Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem +einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der +roemischen Verfassung ohne Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so +dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird +durch das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder +Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und Regierten +selbst durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig sanktioniert +wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande +gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an die Buerger +gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem +Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum +ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es fassen, der von +dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl, +sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates +durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen +Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Faellen, die der +ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf +kann jeder unbeschraenkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein +nur in der Art, dass er dasselbe sofort aufgibt; dass das Eigentum +vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei seinem Tode auf einen andern +uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es sei denn, dass ihm die Gemeinde +solches gestatte; was hier nicht bloss die auf dem Markt versammelte, +sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft bewilligen +konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen +Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit +nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan +ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn, +dass ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im +gewoehnlichen Rechtslauf kann das Buergerrecht nur gewonnen werden durch +die Geburt und nicht verloren werden - es sei denn, dass die Gemeinde +das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben gestatte, was beides +unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss nicht in gueltiger +Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft den +todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter +nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, +da der Koenig nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass +der zum Tode verurteilte Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der +Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang +der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem leugnenden +Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen ist, sondern dem +gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im gewoehnlichen +Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag +nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill +die Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie +notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, +nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag +bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch richtete sich +jene Frage, wie es scheint, nicht an die gewoehnliche Versammlung der +Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich ueberhaupt, wenn der +Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden +gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und insofern +ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des +Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen +und in allen aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der +Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein +zum Patrizier erklaerte Mann blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es +konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern +war also die Gemeindeversammlung, wie beschraenkt und gebunden sie auch +auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des roemischen +Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als neben dem Koenig. +-------------------------------------------------------- ^9 Lex, die +Bindung (verwandt mit legare, zu etwas verbinden) bezeichnet bekanntlich +ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines Vertrages, +dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach +annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der +Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent +der Koenig, der Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung +des letzteren ist also auch sprachlich praegnant bezeichnet. +-------------------------------------------------------- Aber neben +dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der aeltesten +Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln +bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben +beide und innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies +ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe +hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, +dass in dem urspruenglichen Rom die saemtlichen Hausvaeter den Senat +gebildet haetten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der +nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des spaeteren Rom seinen +Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der aeltesten Stadt +als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies wahrscheinlich +ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, wo wie +der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst +jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, +sei es durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es +durch Erbfolge bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben +Epoche auch der Senat nichts gewesen als die Gesamtheit dieser +Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom Koenig wie von der +Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der letzteren, +unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten gewissermassen +eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings ist +jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem +latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der +erste und vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung +die Gemeinde zu entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, +moeglicherweise in Latium lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie +wir das roemische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares +Haupt und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle +Geschlechtsmaenner abstammen oder abzustammen behaupten, von den +lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen, +so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht +ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht werden. +Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates +der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige +Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung +des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein blosser +Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, deren +Ratschlaege der Koenig einzuholen zweckmaessig findet, beruht lediglich +darauf, dass er einst eine Versammlung gewesen war gleich jener, die +Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum zu Rate sitzenden +Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die Gesamtheit +der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder eine +feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war; +aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die Zahl +der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht +auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert +festgestellt worden, sodass von der Verschmelzung der drei Urgemeinden +die Vermehrung der Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl +von dreihundert die staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit +ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in +spaeterer Zeit dies lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich +als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden +Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwuerdigen +oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese +Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die +Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht +mehr gab, bei dem Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in +aelterer Zeit, solange noch die Individualitaet der Geschlechter im +Volke lebendig war, als Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig +einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben +Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich +ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der +Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren +ganz in das freie Ermessen des Koenigs uebergegangen, so dass nur das +noch als Missbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess. +Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass +die Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von +Rechts wegen den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn +sie auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich auspraegenden +monarchischen Grundanschauung der Roemer, zur Zeit immer nur von einem +dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt werden kann. Ein +jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausuebung, +aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch +seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben +gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur +dass der des Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. +Hierauf beruht es ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die +koenigliche Gewalt in der roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt +werden kann. Stirbt der Koenig, so treten ohne weiteres die Aeltesten +an seine Stelle und ueben die Befugnisse der koeniglichen Gewalt. Jedoch +nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur Zeit Herr sein +kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es unterscheidet +sich ein solcher "Zwischenkoenig" (interrex) von dem auf Lebenszeit +ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der Gewalt. Die +Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber festgesetzt +auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren +in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt ist, +der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los +festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage +uebergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von +der Gemeinde nicht geleistet. Im uebrigen aber ist der Zwischenkoenig +berechtigt und verpflichtet, nicht bloss alle dem Koenig sonst +zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst einen Koenig +auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von ihnen fehlt +ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird +als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger ernannt +ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin +der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des +roemischen Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft gegeben fuer die +ununterbrochene Dauer desselben und seiner monarchischen, nicht aber +erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat spaeter den +Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein duenkte, so ist das nur +in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat eine solche gewesen. +Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser +Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches +Glied der roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten +sich nicht in die Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine +Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst +das Heer zu fuehren oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von +jeher aus dem Senat genommen - weshalb auch spaeter noch die hoechsten +Befehlshaberstellen regelmaessig nur an Senatoren vergeben und ebenso +als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder +bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner +Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom +nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats +gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer +der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der +Buergerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von +dieser gefassten Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die bestehenden +Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestaetigung zu versagen; +oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo verfassungsmaessig ein +Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei jeder Verfassungsaenderung, +bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der Erklaerung eines +Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf +man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der +Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den +beiden Haeusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war +nicht sowohl Gesetzgeber als Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur +dann kassieren, wenn die Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also +bestehende Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige +Staaten oder auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren +Beschluss verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom +groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die +Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss +erhoben hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu +erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war, +der roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit +den Worten schloss: "darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim, +wie wir zu unsrem Rechte kommen"; erst wenn der Rat der Alten sich +einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft +beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss +war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges +Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen +und durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt +zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des hoechsten Amtes der Senat +die Dauer der Gemeindeverfassung verbuergte, finden wir auch hier ihn +als den Hort der gesetzlichen Ordnung gegenueber selbst der hoechsten +Gewalt, der Gemeinde. Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch +die allem Anschein nach uralte Uebung an, dass der Koenig die an die +Volksgemeinde zu bringenden Antraege vorher dem Rat der Alten vorlegte +und dessen saemtliche Mitglieder eines nach dem anderen darueber ihr +Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht zustand, den gefassten +Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich vorher die +Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu befuerchten +sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich +brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer +Maenner Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen +Zusammensetzung nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als +Staatsrat zur Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr +als aus der bisher bezeichneten Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des +Senats hervorgegangen; die Anfaenge indes sind unscheinbar und gehen +eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn +sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei Angelegenheiten von +Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also +zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender +Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der +Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das +eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, +rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der +Koenig beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; +ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat +sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in +der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkoenige +festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den Senatoren +und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens +zu berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der +Ratschlag sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu +folgen, ohne dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht +praktische Geltung zu schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs +allgemein anwendbare Kassationsrecht. "Ich habe euch gewaehlt, nicht +dass ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten": diese Worte, die ein +spaeterer Schriftsteller dem Koenig Romulus in den Mund legt, bezeichnen +nach dieser Seite hin die Stellung des Senats gewiss im wesentlichen +richtig. Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische +Buergergemeinde, an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber +allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von +der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die +Versammlung der lebenslaenglich bestellten Gemeindeaeltesten, gleichsam +ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt, berufen im Fall +der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven +Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den +rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche +Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch +die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des +Koenigs Gebot, gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden +musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht +von dem wahren Souveraen, dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer +keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die aelteste roemische +Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie +in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des Staates +gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen, +den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten +die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische Volksgemeinde +ungefaehr, was in England der Koenig ist und das Begnadigungsrecht, wie +in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der +Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde +stand. Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu +dessen einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich +weit entfernt von der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der +modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte +wohl ueber die Person des Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten +und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das +einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpoenter Handlungen mit +Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht +gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und Unrecht erschienen. +Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich der +Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, +der Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen +Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen +Kosten gross gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der +merkwuerdigsten Saetze der aeltesten roemischen Verfassung, dass der +Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen +Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender +Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst die +Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke +bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre +praktische Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der +gewiss befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht +zuwiderlaufenden Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war +innerhalb ihres Kreises so wie die roemische allmaechtig; aber in keiner +Gemeinde auch lebte der unstraeflich sich fuehrende Buerger in +gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenueber seinen Mitbuergern wie +gegenueber dem Staat selbst. So regierte sich die roemische Gemeinde, +ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem +mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz +und unter sich, in scharfer Auspraegung der eigenen Nationalitaet, +waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt werden - dem +Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore weit +aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, +sondern erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht +sich, dass sie auf der aelteren italischen, graecoitalischen +und indogermanischen Verfassung beruht; aber es liegt doch eine +unuebersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den +Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus' Bericht ueber +Deutschland sie schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen +Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des +deutschen Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt +der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz +und der geregelten Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag +ferner sein, dass, wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den +Elfenbeinstab sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt +hat, so auch die zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr +vom Ausland heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die +Entwicklung des roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium +gehoert, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, +beweist die durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern +latinischer Praegung. Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des +roemischen Staats fuer alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn +trotz der wandelnden Formen steht es fest, solange es eine roemische +Gemeinde gibt, dass der Beamte unbedingt befiehlt, dass der Rat +der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist und dass jede +Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst +der Volksgemeinde. 6. Kapitel Die Nichtbuerger und die reformierte +Verfassung Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor +allen, ist ein grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir +Kunde haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung +des Roemerrums endigen die aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von +jenem aeltesten Verschmelzungsprozess der Ramner, Titier und Lucerer, +von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der frueheste +derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die Huegelbuergerschaft +aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird, +als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und +die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht +werden duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der +Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der +uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der +Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg +ein. Die roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei +Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen +Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester +des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es +ist glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten +altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen, +Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien +der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind. +Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den drei Quartieren der +palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Huegelstadt auf +dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem urspruenglichen +Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung +wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit +gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in +Beziehung auf die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren +Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung +zerfiel die roemische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je +zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen sie nun ihrerseits +mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die bestehenden Teile und +Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in der +Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der +Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit +den Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan +jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die +Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, +posteriores). Eben damit haengt wahrscheinlich die in den organischen +Institutionen der Gemeinde ueberall hervortretende paarweise Anordnung +zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen ausdruecklich +als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter Ordnung +bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist vermutlich +aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im Heerwesen: +nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde +hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische Buergerreiterei +auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer wahrscheinlich +auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des +Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen +Gebrauch, dass die Legionen regelmaessig je zwei und zwei einberufen +wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen, und wahrscheinlich ruehrt von +dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her, dass nicht, wie +wohl urspruenglich, drei, sondern sechs Abteilungsfuehrer die Legion +befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat +entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert +Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale +geblieben; womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der +angesehensten Maenner der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der +palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den +Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig +vor, und von seinen hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich +dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, dass die sakralen +Institutionen der Huegelstadt fortbestanden und in militaerischer +Hinsicht man nicht unterliess, der verdoppelten Buergerschaft die +doppelte Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber die Einordnung der +quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre Unterordnung der +ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben, dass der +Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen +Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten +Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der +Quirinalstadt die "zweiten" oder die "minderen" gewesen. Indes war der +Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den +Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen +Ratsherren vor denen der "minderen" gefragt. In gleicher Weise steht das +collinische Quartier im Range zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen +der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem +des palatinischen, die quirinalischen Springer und Woelfe hinter +denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synoekismus, durch den +die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine +Mittelstufe zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner und +Lucerer miteinander verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen +Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr +bilden, wohl aber noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre +sakralen Institutionen liess man nicht bloss bestehen, was auch nachher +noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba, geschah, sondern erhob +sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was spaeterhin in dieser +Weise nicht wieder vorkam. Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen +gleichartiger Gemeinwesen war mehr eine quantitative Steigerung als +eine innerliche Umgestaltung der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten +Inkorporationsprozess, der weit allmaehlicher durchgefuehrt ward und +weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten Anfaenge gleichfalls +bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die Verschmelzung der +Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der roemischen +Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die "Hoerigen" +(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen +Buergerhaeuser, oder die "Menge" (plebes, von pleo, plenus), wie sie +negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. +Die Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, +wie gezeigt ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der +Gemeinde musste diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich +und rechtlich zu groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die +Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hoerige besitzen; +besonders mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung ihres +Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen, +die Masse der Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen, +sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, +so dass sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den +Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten. +Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht ueber die +einzelnen Buerger die Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen +missbraeuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts +zu schuetzen. Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische +Landrecht der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte +Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn +der Herr bei Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament, +Prozess, Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend +aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen +Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner +Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen +koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder +Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung +von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes +in einer mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was +ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei +rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum scheinen laengere Zeit +hindurch ihre vermoegensrechtlichen Beziehungen gleich denen der Sklaven +als Rechtsverhaeltnisse des Patrons gegolten und dieser prozessualisch +sie notwendig vertreten zu haben, womit denn auch zusammenhaengen wird, +dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen einheben und sie vor +sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber allmaehlich +entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in eigenem +Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung +ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen +und zu erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den +Buergern zwar weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner +Gemeinde angehoerigen, eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte +denselben doch nicht wohl gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise +Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden Rechtsverhaeltnisse der +eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und des Geschlechts, +der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der buergerrechtlichen +zu gestalten. ---------------------------------------------------- +^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, +2). ---------------------------------------------------- Teilweise zu +aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, insofern auf +Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen und +dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit +uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben. +Das roemische Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet noch von +Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils jedem +dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen unbeschraenkte +Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel wir wissen, jedem, +der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern befugt war, selbst +dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte Recht bewegliches +und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen konnten, +in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es +ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang +ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch das +Niederlassungsrecht mit grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde +ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter +Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden Fremden gewaehrt hat. +Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die +Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die +Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in +Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis +mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen +des Verkehrs, die durch das latinische Buendnis allen Latinern +gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss +selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende +Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der +Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil +der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten +Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in +seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel +wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht vertauschte. +Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern und lichtete +bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die +Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute +dafuer zu bezahlen. Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, +dass das roemische Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, +als es in der Tat der Fall war. Dass er noch laengere Zeit eine +zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen +in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an einzelne ansehnliche +auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder +nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht empfingen - +denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer +seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise +stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der +Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne +Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht +erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens +wahrscheinlich, dass die schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende, +aber doch gewiss nicht urspruengliche Zivilehe eben eingefuehrt ward, um +das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmen ^2. Auch die Massregeln, +durch welche bereits in aeltester Zeit auf die Erhaltung einer +zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern hingewirkt +ward, gehoeren in diesen Zusammenhang. +------------------------------------------------------- ^2 Die +Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass +dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das +hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die +religioese Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von +der religioesen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, +dass die religioese Ehe selbst als eigentuemliche und rechtlich +notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der +anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Uebergabe von +seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, hinzutreten musste, +um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden. +------------------------------------------------------ +Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in +bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, +waehrend die der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte; +und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und +freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene +Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen +Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und +vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des +Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom +lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in +der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder +und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen +Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht, +der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies +schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, +und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr +zurueck. War in aelterer Zeit der Klient ausschliesslich fuer den +Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so musste, +je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der +Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne +Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge +und Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der +Nichtbuerger, namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen +Gemeinden, standen ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich +von Haus aus nicht in der Klientel der koeniglichen und der sonstigen +grossen Geschlechter und gehorchten dem Koenig ungefaehr in gleicher Art +wie die Buerger. Dem Koenig, dessen Herrschaft ueber die Buerger denn +doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, musste es +willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhaengigen Schutzleuten +sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu bilden. So erwuchs +neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den Klienten +ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; +rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, +dem Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr +bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem +der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel +der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefuehl der besonderen +Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der politischen Zuruecksetzung +den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen gleichmaessig +waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen des +politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen +Gemeinde. Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile +geschah indes schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener +Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen +traegt vom Koenig Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen +Ursprung nach in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von +der wir, was wir wissen, nicht durch historische Ueberlieferung, sondern +nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren Institutionen wissen; aber +ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben +koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie +muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige +ihren Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf +Befreiung von der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der +Nichtbuerger teils zu der Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, +dem Staat im Notfall vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, +teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung +zusammengefasst, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen +ist die Heranziehung der Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen +Lasten: es wurden diese frueh auch auf die "Begueterten" (locupletes) +oder die "stetigen Leute" (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich +Vermoegenslosen, die "Kinderzeuger" (proletarii, capite censi) blieben +davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der +Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die +Buergerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules, +mochten sie Buerger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde +aus einer persoenlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung +folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige Mann vom achtzehnten +bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der Hauskinder ansaessiger +Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der entlassene +Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt +war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war +der Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst +herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der +Fall war, auf roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der +Groesse der Grundstuecke wurde die kriegstuechtige Mannschaft +eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in +vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und insofern vorzugsweise das +Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von den vier folgenden Reihen +der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Haelften, +Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung +der Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und +sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der +damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen +Vollhufen, waehrend die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener +jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansaessigen +ausmachten; weshalb festgesetzt ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig +Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten +Reihe ausgehoben werden sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei: +die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin +wich man hier ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den +alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern +blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern +gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, +dass man damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und +nach der Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus +militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und +regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen +Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man +denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre +hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu +machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen, +soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes +einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei - zu +stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein +Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont. +---------------------------------------------------- ^3 Aus demselben +Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt der +Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft +aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen. +----------------------------------------------------- Die nicht +ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen +stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen +sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer +zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken +und Gefallenen ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden. Zum Behuf +der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier "Teile" +(tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen +Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches +Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die +Strasse dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den +esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die +"Huegel" im Gegensatz der "Berge" des Kapitol und Palatin, bildeten. Von +der Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen und +gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und +quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es +herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem dieser +Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der +Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten, +ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung. +Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und +nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen +Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung +zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der +raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig +zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder +ein Larenaltar errichtet ward. Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte +hatte annaehernd den vierten Teil wie der ganzen Mannschaft, so jeder +einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen, sodass jede Legion und +jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk zaehlte, um +alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und +gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den +maechtigen Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger +zu einem Volke zu verschmelzen. Militaerisch wurde die waffenfaehige +Mannschaft geschieden in ein erstes und zweites Aufgebot, von denen +jene, die "Juengeren", vom laufenden achtzehnten bis zum vollendeten +sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden, +waehrend die "Aelteren" die Mauern daheim schirmten. Die militaerische +Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine +vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx +von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend +Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400 "Ungeruestete" (velites, +s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, +bildeten die vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und +sechsten standen die minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten +Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx +hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte +Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind, +war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, +davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden +Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der +fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der +Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum +Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die +fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde; +wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann kam, +80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten +Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die +der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, +welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft +nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des +roemischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe +an 20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der roemischen +Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der Einfuehrung dieser neuen +Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei +steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt, +sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen +Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die +roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig +durch Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke +umgingen. Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die +sorgfaeltigere Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. +Es wurde entweder jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, +dass ein Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer +ihre Aecker mit dem Zubehoer, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den +Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veraeusserung, die +nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde fuer nichtig erklaert +und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich Aushebungsrolle +war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der +servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus +hervorgegangen. Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus +militaerischer Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch +nicht ein einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische +Bestimmung der Zenturien hinwiese; und dies allein muss fuer jeden, der +in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, genuegen, um ihre Verwendung +zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu erklaeren. Wenn, +wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr +ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies +keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und +neben den Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch +die Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit +der Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und +insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische Ordnung fuer die +Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise +die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische +Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch Offizier +werden koennen, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten +in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt +werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen +Buergerschaft durch die Zenturieninstitution der Sonderbesitz der +politischen Rechte nicht geschmaelert werden sollte, so mussten doch +unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige Buergerschaft +nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot geuebt hatte, +uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien. Die Zenturien +also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines Angriffskrieges +um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der spaeteren +Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer Beteiligung der +Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein +zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr +folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden waere, und +nach wie vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die +eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem Koenig +verpflichtete. Neben diesen neuen grundsaessigen Vollbuergern standen +die angesessenen Auslaender aus dem verbuendeten Latium als teilnehmend +an den oeffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher +municipes); waehrend die ausser den Tribus stehenden, nicht +ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger nur als +steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen. Hatte man somit bisher +nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und Schutzverwandte +unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen Klassen +fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht +beherrscht haben. Wann und wie diese neue militaerische Organisation +der roemischen Gemeinde ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen +moeglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heisst, die +Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand. +Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine urspruengliche Grenze +betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel +Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den +Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird +nicht moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir +als Minimum 10000 Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 +deutschen Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, +Haeuserraum und nicht kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz +bringt, das Gebiet zu der Zeit, wo diese Reform durchgefuehrt ward, +mindestens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich +aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben muss. Folgt man der +Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 ansaessigen und +waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem +ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, +zeigt ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert, +sondern vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des +Normalstandes der Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie +zu fuenf Koepfen ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu +ergeben schienen und diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt +ward. Aber auch nach jenen maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von +etwa 16000 Hufen mit einer Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen +und mindestens der dreifachen Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, +nicht grundsaessigen Leuten und Knechten notwendig anzunehmen, dass +nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio gewonnen, sondern auch +die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische Verfassung +festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das +Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl +nach urspruenglich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln. +---------------------------------------------------------- ^4 Schon um +480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; Colum. 1 +praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. Vict. +33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu +berichtigen ist) den Empfaengern klein. Die Vergleichung der deutschen +Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und Morgen, beide urspruenglich +mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen werden als +urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30, +nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette +haeufig, wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, +so wird bei Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des +roemischen Heredium von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe +von 20 Morgen den Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt +es zu bedauern, dass die Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst. +------------------------------------------------------- Im allgemeinen +aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische Institution +nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den +Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der +Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie +entstanden ist unter griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen +truegen, wie zum Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, dass +auch in Korinth die Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen +wurden; aber die Entlehnung der Ruestung wie der Gliederstellung von dem +griechischen Hoplitensystem ist sicher kein zufaelliges Zusammentreffen. +Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten Jahrhundert der Stadt +die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen +Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das +Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden +wir hierin den Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform +hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende +und nur durch die streng monarchische Form des roemischen Staats +in etwas abweichende Bahnen gelenkte Verfassungsaenderung. +--------------------------------------------- ^5 Auch die Analogie +zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der Behandlung der +attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat eben wie +Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und dann +auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger +hier ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto +bestimmter zeigt es sich, wie dieselben Ursachen - staedtische +Zentralisierung und staedtische Entwicklung - ueberall und notwendig +die gleichen Folgen herbeifuehren. +--------------------------------------------- 7. Kapitel Roms Hegemonie +in Latium An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere +und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; +mit dem Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde +allmaehlich in den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein +und politische Maechte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von +jenen fruehesten Raufhaendeln und Beutezuegen, in denen der Charakter +der Voelker sich bildet und sich aeusserst wie in den Spielen und +Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns +ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche +Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse der +einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu +erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und +seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten +Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben +worden; sie waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche +Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig +gegen die Kueste zu bis an die etwas ueber drei deutsche Meilen von +Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). "Groessere und kleinere +Voelkerschaften", sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten +Rom, "umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen +Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren". Auf +Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten +Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein. Die am oberen +Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden +Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, +Cameria, Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom +und scheinen schon in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer +ihre Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde +erscheint in diesem Bezirk spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch +Buendnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem +Brueckenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kaempften Latiner +und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter mit wechselndem Erfolg. +Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen +innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die +spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem +Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes +^1. Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9 +Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen +Kaempfe ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine +andere uralte Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die +alte heilige Metropole Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und +zerstoert. Wie der Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, +ist nicht ueberliefert; der Kampf der drei roemischen gegen die drei +albanischen Drillingsbrueder ist nichts als eine personifizierte +Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und eng verwandter Gaue, von +denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war. Wir wissen eben +nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und Zerstoerung +Albas durch Rom ^2. ---------------------------------------------------- +^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und +Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche +Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in +der Tat stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und +hoechst unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare +auf diese beiden verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren +Antiquaren fuer geschichtliche Urkunden gehalten. ^2 Aber zu bezweifeln, +dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom ausgegangen sei wie es +neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein Grund vorhanden. +Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung in seinen +Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Unmoeglichkeiten +ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen historischen +Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe +zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber +die Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass +die latinische Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer +Gemeinden schlechterdings untersagte. Noch weniger widerspricht +die Aufnahme einer Anzahl albischer Familien in den roemischen +Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die Roemer; warum soll es +nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei gegeben haben? +Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in religioeser +wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt; +welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter, +sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und +gegruendet ward. ---------------------------------------- Dass in +der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge +festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht +benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische +Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere +verhaeltnismaessig ansehnliche Macht begruendet haben moegen, laesst +sich vollends nur vermuten. Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen +wir genaue Berichte ueber den rechtlichen Charakter und die rechtlichen +Folgen dieser aeltesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht +zu bezweifeln, dass sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt +wurden, woraus die dreiteilige roemische Gemeinde hervorgegangen war; +nur dass die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht +einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten +Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern +voellig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die +Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen +politischen Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger +legte er selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die +Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und +kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in +dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die +faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte +man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische +Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbuerger-, +sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, das allgemeine +roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch das +Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch +durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren untertaenig wurden. +Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der +Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in +dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat gegruendet. Eine +foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die neue Hauptstadt, wie +sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird man hierunter +freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums konnten +in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der +Bauern; im ganzen genuegte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an +den neuen Hauptort. Dass selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, +laesst sich an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen +Staedten noch nach der Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz +geblieben sein muss. Selbst wo die Festigkeit des geschleiften Ortes +eine wirkliche Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man +mit Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen +Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch +die ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem +neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen +Erzaehlungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen +Staatsrechts, dass nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die +Stadtmauer (das Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde +den ueberwundenen, uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das +Schutzverwandtenrecht aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber +auch wohl mit dem Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt. +Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die +roemische Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter +die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, +Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen +Familienheiligtuemer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier +in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob. +------------------------------------------------ ^3 Hieraus entwickelte +sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder Buergerkolonie (colonia +civium Romanorum), das heisst einer faktisch gesonderten, aber rechtlich +unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in der Hauptstadt aufgeht +wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und als stehende +Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist. ^4 Darauf geht ohne +Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i mancipiique] forti +sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen Verkehr dem +Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die latinischen +Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche +Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das +Zwoelftafelgesetz ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die +sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heisst die von +den Roemern in das Plebejat genoetigten Gemeinden Latiums. +------------------------------------------ Diese Zentralisierung +mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war natuerlich nichts +weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die Entwicklung +Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze der +nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern +es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war +dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom +und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche +der weise Thales dem bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den +einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist +es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher +und gluecklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und +eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner +fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Groesse lediglich +demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System zu +danken. Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als +gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet +werden duerfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere +Bedeutung zu. Es sind nicht bloss die problematische Groesse und der +etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme +Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole +der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den +dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas hob natuerlich +den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die boeotische +Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter +des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als +Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. +Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder +nachfolgten, vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die +roemische Hegemonie ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu +haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor +allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben moegen. Schon damals +mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, +als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenueberstehen, schon damals +nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten gegen Karthager, Hellenen +und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn +sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der materielle +Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser +war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte +Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, +dass Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische +Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch +gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und +damit die Grundlage der kuenftigen Hegemonie der roemischen Gemeinde +ueber die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese +entscheidenden Verhaeltnisse so bestimmt wie moeglich zu bezeichnen. +---------------------------------------------------- ^5 Es scheint sogar +aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae gebildet und +diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Staedte eingetreten +zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der +Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); +ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23). +--------------------------------------------------------------- Die Form +der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines gleichen +Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen +Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der +ganzen Mark und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die +Verteidigung festgestellt ward. "Friede soll sein zwischen den Roemern +und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie +sollen nicht Krieg fuehren untereinander noch Feinde ins Land rufen noch +Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet +werden mit gesamter Hand und gleichmaessig verteilt werden, was gewonnen +ist im gemeinschaftlichen Krieg." Die verbriefte Rechtsgleichheit im +Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die +Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte +verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des +Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht wie in +unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings +blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den +Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem roemischen nicht +notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit +der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den latinischen +Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstuemliche +Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die +Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin, +dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in +ganz Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den +Bestimmungen ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit +des einzelnen Buergers. Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des +latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem Staat, wo er frei gewesen +war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Buergerrecht einbuessen; +sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, das +Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem +Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz +erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der +Bundesstaaten sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten +Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln +aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn +der Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden muesse jenseits der +Tibergrenze, das heisst ausserhalb des Bundesgebietes, und die Klausel +des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, dass der von den +Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er +einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft +innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch +Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon +frueher bemerkt worden ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte +konnte zunaechst jeder Latiner nur da ausueben, wo er eingebuergert war; +dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder +Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, nach +heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen Buergerrechten +der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenoessisches +Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Buerger +anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle +Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt +ausschlug, die allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen +Erwerb, staedtische Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der +Insassen in Rom sich reissend schnell vermehrte, seit die latinische +Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich. In +Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde +selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen, +sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden +als solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass +Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als +die Roms, und dass die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie +erlangt haetten, so ist dies insofern wohl moeglich, als Alba wesentlich +Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem Bunde +gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie die +Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen +Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas +Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms +Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit +gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt +zu haben, waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter +Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten +Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit der +Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit +der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels +auf dem Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom +und Latium, teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward. +Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem +Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde +ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der die ohne +Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der +maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten +zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in +dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise +des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken +Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand +ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der +latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste hier +den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem +die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus der +Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der +getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut +gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die Bundesglieder +verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die roemisch-latinische +Foederation nur durch Rom vertreten worden ist, laesst sich nicht +mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch +Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei +es nach Bundesschluss, sei es infolge eines feindlichen Ueberfalls, +ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der Fuehrung wie bei der +Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat rechtlich beteiligt +gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals schon die Hegemonie +besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und +ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das +Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt. Wie nach Albas +Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig bedeutenden +Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der +latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares +Gebiet weiter ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den +Etruskern, zunaechst den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den +Besitz von Fidenae nicht auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern +gelang, diesen auf dem latinischen Ufer des Flusses nur eine starke +Meile von Rom gelegenen etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt +zu bringen und die Veienter aus dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu +verdraengen. Dagegen behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten +im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung. Den +Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr ueberlegenen +Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den entfernteren +Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit +bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen +Nachbarn von zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der +bestaendige Kriegsschauplatz aber war die Suedgrenze, das Gebiet der +Rutuler und mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die +latinische Landschaft sich am fruehesten erweitert, und hier begegnen +wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande +begruendeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft +konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von +denen die aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen. +Wie weit indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit +sich erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden +mit den benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den +roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede; +aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme +von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern +enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen +Roms gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat, +laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenueber +als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik +entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon in +der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin +stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge +hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit +Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein +fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen. So war der latinische +Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu einigen und zugleich sein +Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom selbst aber war durch +die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus einer regsamen +Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden +Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung +und die darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter +dem Namen der Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten +Zusammenhang mit dieser innerlichen Umwandlung des roemischen +Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich musste mit den reicher stroemenden +Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten +politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern. Die +Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen +muss bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische +Reform stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und +einheitlichen Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft +nicht dabei beharren, die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander +mit Gebaeuden sich gefuellt hatten, zu verschanzen und etwa noch +zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel und die Hoehe am +entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium +verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man +schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende +Stadtwall begann am Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen +Huegel, an dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen +Abhang gegen den Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen, +die kolossalen Ueberreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein +gekommen sind, Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen von Alatri +und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken +unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer +gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich +dastehen und deren geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit +fortwirken werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den +ganzen Raum des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst +vor kurzem (1862) wieder in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau, +nach aussen von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen +Graben geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt +zu abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den +Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum +Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des +Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal +an den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum +gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Hoehe +ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg +gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau +ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und +bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Huegel +die neue "Burg" (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem Burgbrunnen, +dem sorgfaeltig gefassten "Quellhaus" (tullianum), der Schatzkammer +(aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der +Buergerschaft (area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die +regelmaessigen Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben. +Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf +dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum zwischen den beiden +Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder, +wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit +Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden +aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. +Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein +selbstaendiges, auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges +Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen +hat ^8. In aehnlicher Weise, wenn auch schwaecher, scheint der Aventin +befestigt und der festen Ansiedelung entzogen worden zu sein. Es haengt +damit zusammen, dass fuer eigentlich staedtische Zwecke, zum +Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers, die roemische +Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner +(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen, +aber doch nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani +Aventinenses, Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9. +Der von der neuen Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser +der bisherigen palatinischen und quirinalischen Stadt noch die beiden +Bundesfestungen des Kapitol und des Aventin, ferner das Ianiculum ^10; +der Palatin als die eigentliche und aelteste Stadt ward von den +uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war, wie im Kranz +umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen. Aber +das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem +auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen +war, welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd +fuellte, sodass hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das +Tal zwischen dem Kapitol und der Velia sowie das zwischen Palatin und +Aventin versumpfte. Die heute noch stehenden, aus prachtvollen Quadern +zusammengefuegten unterirdischen Abzugsgraeben, welche die Spaeteren +als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom anstaunten, duerften eher +der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei verwendet ist und +vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit erzaehlt +wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die Koenigszeit, +wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des +Mauerrings und der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den +entsumpften oder trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen, +wie die neue Grossstadt sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der +Gemeinde, bis dahin der kapitolinische Platz auf der Burg selbst, ward +verlegt auf die Flaeche, die von der Burg gegen die Stadt sich senkte +(comitium), und dehnte von dort zwischen dem Palatin und den Carinen in +der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der der Burg zugekehrten +Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines Altanes ueber die +Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste +der Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz; +und auf dem Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das +spaeter den Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den +Richterstuhl (tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft +gesprochen ward (die spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der +Dingstaette selbst errichtet. Ihre Verlaengerung gegen die Velia ward +der neue Markt (forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem Palatin, +erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia) +und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels, +einschloss; nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein +dazu gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde +oder der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der +Kirche Santi Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in +ganz anderer Art, als die Ansiedelung der "sieben Berge" es gewesen +war, geeinigte Stadt, dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit +deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt +hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche Stadtherd +trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die +Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen Aventin und +Palatin ward fuer die Rennspiele der "Ring" abgesteckt; das ward der +Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald +entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere. Auf allen +Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf dem Aventin +das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg der +weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all +diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die +umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der +Besiegten triumphierte. ---------------------------------------- ^6 +Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von +der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze +des Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen +akra und koryph/e/ entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische +Stadt ihr capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen +Burghuegels ist mons Tarpeius. ^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in +arce aut capitolio habitaret, untersagte wohl nur die Umwandlung des +Bodens in Privateigentum, nicht die Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. +Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. +386. ^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die "Heilige Strasse", auf +die Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach +links macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. +Dieses selbst wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus +stattfanden, untergegangen sein. Das sogenannte Tor an der steilsten +Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem Namen des janualischen +oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in Kriegszeiten +stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese Bedeutung +und ist nie ein wirkliches Tor gewesen. ^9 Es kommen vier solcher Gilden +vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, 2) mit eigenen magistri +(Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL +I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, Roemische +Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen +6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; +3. die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die +pagani pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). +Es ist gewiss nicht zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen +derartigen, die in Rom vorkommen, eben den von den vier oertlichen +Tribus aus-, aber von der Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden +Huegeln, dem Kapitol und dem Aventin, und dem zu derselben Befestigung +gehoerigen Ianiculum angehoeren; und damit steht weiter im Zusammenhang, +dass als Bezeichnung der gesamten staedtischen Eingesessenen Roms +montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser der bekannten Stelle Cic. +dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die staedtischen Wasserleitungen +bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive si[fis aquam +dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen +drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche +Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind +sicher die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin +und Ianiculum und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal. +^10 Die "Siebenhuegelstadt" im eigentlichen und religioesen Sinn ist +und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das +Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit +(vgl. z. B. Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt +betrachtet, wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig +gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu +gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung gelangt, +welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen +zu den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus, +Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus +zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der +traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen Entstehung der Stadt +(Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. +206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil sonst acht +herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge +(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins +des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, +Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, +offenbar als colles, fehlen und dafuer zwei "montes" vom rechten +Tiberufer, darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer +liegende Vaticanus mit hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen +geben Servius (Aen. 6, 783), die Berner Scholien zu Vergils Georgiken +(2, 535) und Lydus (mens. p. 118 Bekker). ^11 Sowohl die Lage der beiden +Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des Dionysios (2, 25), dass der +Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag, bezeugen es, dass +diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der zweiten +(Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den +Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, +so ist die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu +legen. ------------------------------------------ Die Namen der Maenner, +auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten sich erhoben, sind +nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den aeltesten +roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die +verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus +Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die +grosse Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den +Aelteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche +dieser Angaben moegen richtig sein, und es scheint nicht zufaellig, dass +der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die +stetige Verteidigung der Stadtwaelle wesentliche Ruecksicht nahm, auch +der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird +man sich begnuegen muessen, aus dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was +schon an sich einleuchtet, dass diese zweite Schoepfung Roms mit +der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der Umschaffung des +Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus +einem und demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber +weder eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch +in diese Umgestaltung des roemischen Gemeindewesens die hellenische +Anregung maechtig eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es +unmoeglich ist, die Art und den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es +wurde schon bemerkt, dass die Servianische Militaerverfassung wesentlich +hellenischer Art ist, und dass die Circusspiele nach hellenischem Muster +geordnet wurden, wird spaeter gezeigt werden. Auch das neue Koenigshaus +mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein griechisches Prytaneion und der +runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte +Vestatempel in keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach +hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, +was die Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen +Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster +diente und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin +dem ephesischen Artemision nachgebildet ward. 8. Kapitel Die +umbrisch-sabellischen Staemme Anfaenge der Samniten Spaeter als die der +Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme begonnen zu haben, +die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch mehr in der +Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. Es +ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der +Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der +Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht +unwahrscheinlich, dass sie in aeltester Zeit ganz Norditalien +innehatten, bis wo im Osten die illyrischen Staemme begannen, im Westen +die Ligurer, von deren Kaempfen mit den Umbrern es Sagen gibt, und auf +deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden zu einzelne Namen, +zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen +Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der +umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten +Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie +die zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars +alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. +Ganz besonders begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen +voraufgegangenen italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich +Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem +Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das +Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als +die etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften +zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit +dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem +Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; +in denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen +zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese +suedlichen Striche bedeutend spaeter als die Landschaft nordwaerts +vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach der +tuskischen Eroberung umbrische Bevoelkerung sich hier gehalten. Die +spaeter nach der roemischen Eroberung im Vergleich mit dem zaehen +Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im noerdlichen Etrurien so +auffallend schnell erfolgende Latinisierung der suedlichen Landschaft +findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass von Norden und +Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt wurden in +das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie spaeter +innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, +wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre +aehnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass +die Tusker den Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was +mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir +noch besitzen, werden nebst anderen Staemmen vor allem die Tusker als +Landesfeinde verwuenscht. ---------------------------------------- ^1 +In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen +(R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus +dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu +darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci +Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. +Cotena La. f. .... zenatuo sentem .... dedet cuando ... cuncaptum, das +ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia +dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit diesen und aehnlichen +haben sich einige andere Inschriften gefunden von abweichender +und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift. +--------------------------------------- Vermutlich infolge dieses von +Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die Umbrer vor gegen Sueden, +im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon +von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das +Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und mit +ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und +Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, +wie wir spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu +erzaehlen weiss von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium +und ihren Kaempfen mit den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich +laengs der ganzen Westkueste wiederholt haben. Im ganzen behaupten +die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten +Landschaft neben Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil +die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; +waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser Widerstand +zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner +Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz +abwehren zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme +hueben und drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit +den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich +sowie die Sabina so frueh und so schnell sich latinisieren konnten. Der +Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina +oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich +anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste +die bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern +wich oder sich unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen apulischen +Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung der Iapyger, zwar unter +steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im +ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, laesst sich +natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in Rom +die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt +von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem +Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren, +preiszugeben und ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter +sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze +bescheren moechten. Den einen Schwarm fuehrte der Stier des Mars: das +wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den +Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus die schoene Ebene +oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetzten und im +alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei +Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen +zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das +Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten +der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. +In aehnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die +uebrigen kleinen Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die +Vestiner am Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der +apulischen Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am +Fuciner See, diese mit den Volskern und den Latinern sich beruehrend. +In ihnen allen blieb das Gefuehl der Verwandtschaft und der Herkunft +aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich +ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die +westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder +hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen +Staemme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich +entrueckt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen. +Staedtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem +Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre geographische Lage sie +beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung genuegten die +Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen blieben in +den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden +gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie +bei den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur +Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder +lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint +die scharfe Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der +einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie +gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese Bergkantone in geringem +Zusammenhang unter sich und in voelliger Isolierung gegen das uebrige +Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als +irgendein anderer Teil der italischen Nation in die Entwicklung der +Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk der +Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden +der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das +latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung +an, umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die +samnitische Nation und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten +Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das +Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig als wir die Bundesverfassung +kennen; das aber ist klar, dass in Samnium keine einzelne Gemeinde +ueberwog und noch weniger ein staedtischer Mittelpunkt den samnitischen +Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft +des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus +ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die +erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es +zusammen, dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die +roemische aggressiv ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung +der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die +Leidenschaft so maechtig, dass die Erweiterung des Gebiets planmaessig +verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden +Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden +Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der Staat; was die +Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub +ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben +waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten +des Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren +Periode an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst +erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. +Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische +Ansiedelung veranlassten Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme +durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt +230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr +romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen +Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten zu einem +Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit +diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten Iapyger. +Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der +ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen +Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt +abzuschlagen. 9. Kapitel Die Etrusker Im schaerfsten Gegensatz zu den +latinischen und den sabellischen Italikern wie zu den Griechen steht das +Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber nannten, der Rasen ^1. Schon +der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; statt des schlanken +Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker +nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir +wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst +gleichfalls auf eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den +griechisch-italischen Staemmen schliessen, so namentlich die Religion, +die bei den Tuskern einen trueben phantastischen Charakter traegt und im +geheimnisvollen Zahlenspiel und wuesten und grausamen Anschauungen +und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit entfernt von dem klaren +Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren hellenischen +Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das +wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns +gekommene Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer +die Entzifferung darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass +es bis jetzt nicht einmal gelungen ist, den Platz des Etruskischen in +der Klassifizierung der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige +denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei +Sprachperioden. In der aelteren ist die Vokalisierung vollstaendig +durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne +Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen +Endungen und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies +weiche und klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte +und rauhe Sprache verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramtha aus +ramuthaf, Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, +Elchsentre aus Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die +Aussprache war, zeigt am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d +und t den Etruskern schon in sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich +wurde wie im Lateinischen und in den rauheren griechischen Dialekten der +Akzent durchaus auf die Anfangssilbe zurueckgezogen. Aehnlich wurden die +aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend die Italiker sie wegwarfen +mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die Griechen umgekehrt +mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen th ph ch beibehielten, liessen +die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das ph gaenzlich, ausser +in Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei +in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum +Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder +Uthuze heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren +Bedeutung ermittelt ist, entfernen die meisten sich weit von allen +griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle; so die Endung +al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie zum +Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi uebersetzt +wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung +des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum Beispiel +die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem +Kasus clensi Sohn; sech Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms, +Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen +fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien +zwischen dem Etruskischen und den italischen Sprachen. Die Eigennamen +sind im wesentlichen nach dem allgemeinen italischen Schema gebildet: +die haeufige gentilizische Endung enas oder ena ^4 kehrt wieder in der +auch in italischen, besonders sabellischen Geschlechtsnamen haeufigen +Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas und Spurinna +den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe von +Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern +als etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung +nach so durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich +von Haus aus etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen +sein muessen: so Usil (Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, +aurora, sol), Minerva (menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. +Indes da diese Analogien erst aus den spaeteren politischen und +religioesen Beziehungen zwischen Etruskern und Latinern und den dadurch +veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren koennen, +so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen +Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den saemtlichen +griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die +Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern; +"tuskisch und gallisch" sind Barbarensprachen, "oskisch und volskisch" +Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem griechisch-italischen +Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt ebensowenig gelungen, +sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. Auf die +Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die verschiedenartigsten +Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen Frage, aber alle +ohne Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem baskischen, an +das den geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht +werden koennte, haben entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt. +Ebensowenig deuten die geringen Reste, die von der liturgischen Sprache +in Orts- und Personennamen auf uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit +den Tuskern. Nicht einmal die verschollene Nation, die auf den Inseln +des tuskischen Meeres, namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften +Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu Tausenden aufgefuehrt hat, kann +fueglich mit der etruskischen in Verbindung gebracht werden, da im +etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude vorkommt. +Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige +Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen +beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer +Inschriften sicher emi, eimi und findet die Genetivform konsonantischer +Staemme veneruf, rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, +entsprechend der alten sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name +des etruskischen Zeus Tina oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina += Tag zusammen wie Zan mit dem gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies +zugegeben erscheint das etruskische Volk darum kaum weniger isoliert. +"Die Etrusker", sagt schon Dionysios, "stehen keinem Volke gleich +an Sprache und Sitte"; und weiter haben auch wir nichts zu sagen. +--------------------------------------- ^1 Ras-ennae mit der 1, 131 +erwaehnten gentilizischen Endung. ^2 Dahin gehoeren z. B. +Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice +thumamimathumaramlisiaeipurenaietheeraisieepanaminethunastavhelefu oder: +mi ramuthas kaiufinaia. ^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon +kann einen Begriff geben zum Beispiel der Anfang der grossen Perusiner +Inschrift: eulat tanna larezu amevachr lautn velthinase stlaafunas +slelethcaru. ^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der +Vokal in der vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge +der Zurueckziehung des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt +und sogar ausgestossen. So finden wir neben Porsena, auch Porsena, neben +Caecina Ceicne. ---------------------------------------- Ebensowenig +laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien eingewandert +sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf jeden +Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche +Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage +eifriger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der +Archaeologen, vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar +noch wissenswert ist, "nach der Mutter der Hekabe", wie Kaiser Tiberius +meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief +im Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine einzige namhafte +etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber eben +sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat; +da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden +sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel +gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst +finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen +wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die +Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen +Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die aeltere +Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es +ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die raetischen +Alpen nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in Graubuenden und +Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die historische Zeit +etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen anklingt; sie +koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po, aber +wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener +Teil des Volks sein. Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung +aber tritt in grellen Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus +Asien ausgewanderte Lyder seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot +findet sie sich und kehrt dann in zahllosen Wandlungen und Steigerungen +bei den Spaeteren wieder, wenngleich einzelne verstaendige Forscher, +wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich dagegen erklaerten und +darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und Sprache zwischen +Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich zeige. Es +ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm nach +Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen; +wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen +Quiproquo. Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form +scheint die urspruengliche und der griechischen Tyr-s/e/noi, Tyrr/e/noi, +der umbrischen Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu +liegen - begegneten sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke +der Torr/e/boi oder auch wohl Tyrr-/e/noi, so genannt von der Stadt +T?rra; und diese offenbar zufaellige Namensvetterschaft scheint in der +Tat die einzige Grundlage jener durch ihr hohes Alter reicht besser +gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen Turmes darauf +aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem +lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und +endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen +Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren +pluendernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine +der heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die +Tyrrhener bezeichnen bald die lydischen Torrheber - so in den aeltesten +Quellen, wie in den Homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder +auch bloss Tyrrhener die pelasgische Nation; bald endlich die italischen +Etrusker, ohne dass die letzteren mit den Pelasgern oder den Torrhebern +je sich nachhaltig beruehrt oder gar die Abstammung mit ihnen gemein +haetten. Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was +die nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort +aus sich weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion +in der Landschaft noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch +grenzend mit den Venetern illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich +mit den Ligurern, ist vielfach beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der +schon erwaehnte rauhe etruskische Dialekt, den noch in Livius' Zeit +die Bewohner der raetischen Alpen redeten, sowie das bis in spaete Zeit +tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und an den Muendungen +dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener als der +herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten Kaufstaedte +Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und Ravenna +tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den +Padus ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten +Ufer desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere +Wurzeln geschlagen hat als auf dem frueh aufgegebenen linken. Doch sind +ueberhaupt die Landschaften noerdlich vom Apennin zu rasch von einer +Nation an die andere gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwicklung +sich hier haette gestalten koennen. Weit wichtiger fuer die Geschichte +wurde die grosse Ansiedelung der Tusker in dem Lande, das heute noch +ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer hier einstmals +gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische Okkupation +und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem +Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom +Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre +bleibende Staette gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die +Kaiserzeit hinein sich behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich +tuskischen Gebietes machte der Arnus; das Gebiet von da nordwaerts bis +zur Muendung der Macra und dem Apennin war streitiges Grenzland, bald +ligurisch, bald etruskisch, und groessere Ansiedlungen gediehen deshalb +daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der +Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo, spaeterhin der +Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet zwischen +dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete, +Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren +Distrikte, moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den +Etruskern eingenommen zu sein scheint und dass die urspruengliche +italische Bevoelkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch in +abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben muss. Seitdem der Tiberstrom +die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium bildete, mag hier im +ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und eine wesentliche +Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen die +Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker +ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom +rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu +haben als zum Beispiel von den Stammesverwandten in Gabii und Alba; +natuerlich, denn dort schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des +breiten Stromes, sondern auch der fuer Roms merkantile und politische +Entwicklung folgenreiche Umstand, dass keine der maechtigeren +etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen Ufer +Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren es auch, +mit denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten, +namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf +dem linken Tiberufer, aehnlich wie auf dem rechten den Roemern das +Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf diente und bald in den Haenden der +Latiner, bald in denen der Etrusker sich befand. Dagegen mit dem etwas +entfernteren Caere war das Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und +freundlicher, als es sonst unter Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen +pflegt. Es gibt wohl schwankende und in die graueste Fernzeit gerueckte +Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische +Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben +einen Weinzins auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der +einstmalige Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges +Verhaeltnis zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des Handels- +und Seeverkehrs in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem +Vordringen der Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln +ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos +im Jahre 230 (524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die +Etrusker in erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht +als bis ins einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die +Etrusker an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger +ist es, dass suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete +etruskische Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer +ernstlichen Bedraengung der latinischen Nation durch die Etrusker gar +nichts wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer +der Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen, unangefochten. +Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom anlangt, so +findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener Bericht, +dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach +dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt habe, +von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies zuverlaessig +sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges von +diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der +Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen +Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung +solcher Archaeologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf +etruskische Ansiedlungen in Rom deutet weiter das "Tuskerquartier" unter +dem Palatin. Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das +letzte Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der +Tarquinier, aus Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie +die Sage will, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas +vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der in die Sage verflochtene +Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch, dagegen in Etrurien +gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach Tarquinius der Sohn +eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen war und in +Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die +geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt, +sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt +etwas mehr entnommen werden kann als die nackte und im Grunde +gleichgueltige Tatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft +das koenigliche Szepter in Rom gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, +dass diese Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft ueber Rom weder +als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde ueber Rom, +noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber Suedetrurien gefasst werden +darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer die andere Annahme +irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der Tarquinier +spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat waehrend +der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in +Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige +Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes +unterbrochen. Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen +das latinische Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den +Kaempfen der Etrusker mit den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst +nach der Vertreibung der Koenige in Rom ueberschritten, teils in +der Richtung der etruskischen Nation auf Seefahrt und Meer- und +Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen Ansiedelungen +entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter die +Rede sein wird. Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen +und latinischen auf der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die +fruehe Richtung der Nation aber auf Schiffahrt, Handel und Industrie +scheint rascher, als es sonst in Italien der Fall gewesen ist, hier +eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen zu haben; zuerst +von allen italischen Staedten wird in den griechischen Berichten Caere +genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig +und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit +Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung +der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit +der roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die +aehnliche Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie +die roemischen; Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber; +fuer die Aehnlichkeit der Geschlechterordnung buergt die Analogie +des Namensystems, nur dass bei den Etruskern die Abstammung von +muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als im roemischen Recht. +Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie umschloss +nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die +kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso +wie die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand +aus zwoelf Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den +Goetterdienst, und ein Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester +anerkannten, aber doch im wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein +scheinen und zum Teil wenigstens so maechtig, dass weder eine Hegemonie +sich bilden noch die Zentralgewalt zur Konsolidierung gelangen konnte. +Im eigentlichen Etrurien war die Metropole Volsinii; von den uebrigen +Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere Ueberlieferung nur +Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso selten, +dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte +selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt +regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann +ins Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen +wird, so schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es +scheint den etruskischen Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen +italischen Stammbuenden von Haus aus an einer festen und gebietenden +Oberleitung gefehlt zu haben. 10. Kapitel Die Hellenen in Italien +Seeherrschaft der Tusker und Karthager Nicht auf einmal wird es hell in +der Voelkergeschichte des Altertums; und auch hier beginnt der Tag +im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in tiefes Werdegrauen +eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen Becken des +Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte Kultur +ans Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten +Stadien der Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den +Meister und Herrn zu finden, ist in hervorragendem Masse auch den +Voelkern Italiens zuteil geworden. Indes lag es in den geographischen +Verhaeltnissen der Halbinsel, dass eine solche Einwirkung nicht zu Lande +stattfinden konnte. Von der Benutzung des schwierigen Landwegs zwischen +Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet sich nirgends eine +Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von Italien aus +schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die aelteste +Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der +Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als +Heimat des Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich +eine andere quer durch die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa +fuehrende an; aber Elemente der Zivilisation konnten von dort her den +Italikern nicht zukommen. Es sind die seefahrenden Nationen des Ostens, +die nach Italien gebracht haben, was ueberhaupt in frueher Zeit von +auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist. Das aelteste Kulturvolk am +Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch nicht ueber Meer und haben +daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig aber kann dies von +den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die von ihrer +engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen +bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des +Fisch- und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, +die zuerst den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit +das Mittelmeer bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast +an allen Gestaden desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische +Seestationen: wie in Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, +Libyen und Spanien, so auch im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien +herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe die Griechen dorthin kamen, +oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl sich festsetzten, die +Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre Faktoreien gegruendet, +des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu gewinnen. +Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von +phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige +mit einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei +bei Caere, deren Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der +kleinen Ortschaft an der caeritischen Kueste Punicum, teils in dem +zweiten Namen der Stadt Caere selbst, Agylla, welcher nicht, wie man +fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern phoenikisch ist und +die "Rundstadt" bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen Caere sich +darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen es an +den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall +weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast +spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund +vor, sie fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen +Ansiedlungen an denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen +davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen Maenner erst durch +Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre latinische, der +griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren alle +aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens +entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der +phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode +zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen +des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat +lag, wenn man sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich +Kuestenfahrt war und blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am +Mittelmeer so fern wie der italische Kontinent. Sie konnten ihn +nur entweder von der griechischen Westkueste oder von Sizilien aus +erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt +frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der +Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen +unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, +ist deshalb kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der +phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen +Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen. +Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die +zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die +italischen Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher +Gegend und zu welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin +gelangt sind, laesst nur die erstere sich mit einiger Sicherheit und +Vollstaendigkeit beantworten. Es war das aeolische und ionische Gestade +Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr sich grossartig +entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des Schwarzen +Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des +Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien +geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die +Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken +an die einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch +ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in +Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der +gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger +hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen Phokaeer, die +zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald folgten +auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach: +Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier, +Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung +Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin +zu fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der +europaeischen Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren +deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch +die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im Westland kein +Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes der +Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu +Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und +deutsche Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch +das griechische Sizilien und "Grossgriechenland" aus den +verschiedenartigsten hellenischen Stammschaften oft ununterscheidbar +zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser einigen mehr vereinzelt +stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren Pflanzstaedten +Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode gegruendete +Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei +Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen +Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme +mit den uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, +in Sizilien Zankle (spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini, +Himera zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris und die Mehrzahl der +grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische, welcher +Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen +Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen Pflanzstadt +Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die +aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen +Einwanderung im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben +sich vorzugsweise nur die Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie +Korinth und Megara, die rein dorischen Landschaften dagegen nur in +untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn die Ionier waren ein +altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme aber sind erst +verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen Bergen in die +Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten dem +Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen +Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. +Die phokaeischen Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden +babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit +dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im ganzen europaeischen +Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen Modifikation +desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen +Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige +Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt hatte, +nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken vielmehr +nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der +der sizilischen Dorer. Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und +Ansiedlungen wird wohl fuer immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. +Zwar eine gewisse Folge darin tritt auch fuer uns noch unverkennbar +hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen, welche, wie der aelteste +Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern eignet, in den +Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das +oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See +verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa +noch von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde +nach Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen +Dichtung mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche +am fruehesten mit dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige +Kunde von Sizilien und Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter +des Ostens konnten, wie seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften +Orient, ungestoert die leeren Raeume des Westens mit ihren luftigen +Gestalten erfuellen. Bestimmter treten schon in den Hesiodischen +Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; sie kennen aus +beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und Staedten; +doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten +nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte +Gestade Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. +Ebenso laesst die Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger +Sicherheit sich bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im +Westland galt offenbar schon dem Thukydides Kyme; und gewiss hat +er nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen Schiffer mancher +Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den Barbaren +war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt +urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser +Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf +dem Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die +noch heute den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt +traegt. Nirgends in Italien sind denn auch die Oertlichkeiten der +kleinasiatischen Maerchen mit solcher Festigkeit und Lebendigkeit +lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo die fruehesten +Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst das +Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu +wandeln meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden +Aornossee zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen +Nachbarn der Italiker wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb +der Name desjenigen italischen Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen +war, der Name der Opiker, von ihnen noch lange Jahrhunderte nachher +fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist ferner glaublich +ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung in +Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch +einen betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener +Einwanderung wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und +Naxos auf Sizilien die aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in +Italien und Sizilien gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die +achaeischen und dorischen Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind. +Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen +auch nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung +der achaeischen Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen +Stadt Taras im Jahre 46 Roms (708) moegen die aeltesten Daten der +italischen Geschichte sein, deren wenigstens ungefaehre Richtigkeit als +ausgemacht angesehen werden kann. Um wieviel aber die Ausfuehrung der +aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser Epoche zurueckliege, ist +ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der Hesiodischen und +gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers richtig +bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der +Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle +anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer +die Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache +erwaegt, dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der +hellenische Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung +der Hellenen von dem in Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder +Graeci entlehnten ^1, wird geneigt sein, den fruehesten Verkehr der +Italiker mit den Griechen um ein bedeutendes hoeher hinaufzuruecken. +------------------------------------------- ^1 Ob der Name der Graeker +urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland und der Gegend von +Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das Westmeer +reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in +ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des +eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte +Nation uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als +aelterer Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit +beiseite geschoben und dem hellenischen untergeordnet, welcher +letztere bei Homer noch nicht, wohl aber, ausser bei Hesiod, schon +bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704) auftritt und recht wohl noch +bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L. Duncker, Geschichte des +Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also bereits vor dieser +Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt, dass jener in +Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der griechischen +Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei +nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der +hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen +ist als diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer +sich fixierte als dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den +wohlbekannten naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es +damit vereinigen will, dass noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms +Italien den kleinasiatischen Griechen voellig unbekannt war, ist schwer +abzusehen. Von dem Alphabet wird unten die Rede sein; es ergibt dessen +Geschichte vollkommen die gleichen Resultate. Man wird es vielleicht +verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin die Herodotische Angabe +ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es etwa keine +Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen? +---------------------------------------- Die Geschichte der italischen +und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil der italischen; die +hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten +Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten +und Rechten der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den +verschiedenen Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu +bezeichnen und wenigstens gewisse Grundzuege hervorzuheben, durch +die der verschiedenartige Einfluss der griechischen Kolonisierung +auf Italien wesentlich bedingt worden ist. Unter allen griechischen +Ansiedlungen die intensivste und in sich am meisten geschlossene war +diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund hervorging, welchen die +Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, Sybaris mit seinen +Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina +und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen +genommen, einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen, +dem dorischen naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des +sonst allgemein in Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit +an der altnationalen hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine +besondere Nationalitaet den Barbaren wie den andern Griechen gegenueber +in einer festen buendischen Verfassung bewahrte. Auch auf diese +italischen Achaeer laesst sich anwenden, was Polybios von der +achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: "nicht allein in +eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie, sondern +sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und +Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter". Dieser +Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die Staedte +waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne +Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den +Bruecken seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm +Milesier und Etrusker. Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss +die Kuestensaeume, sondern herrschten von Meer zu Meer in dem "Wein-" +und "Rinderland" (Oinotria, Italia) oder der "grossen Hellas"; die +eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel oder gar in +Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit +die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme +und fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und +Poseidonia gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des +Krathis und Bradanos warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen +Ertrag ab - vielleicht ist hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut +worden. Von der hohen Bluete, zu welcher diese Staaten in unglaublich +kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die einzigen auf uns +gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre Muenzen von +strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die fruehesten +Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung erweislich +im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen +zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben +um diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, +sondern in der Technik demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt +der dicken, oft nur einseitig gepraegten und regelmaessig schriftlosen +Silberstuecke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie +bei den italischen Dorern ueblich waren, schlugen die italischen Achaeer +mit grosser und selbstaendiger Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen, +teils erhaben teils vertieft geschnittenen Stempeln grosse duenne, +stets mit Aufschrift versehene Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der +Falschmuenzerei jener Zeit - Plattierung geringen Metalls mit duennen +Silberblaettern - sich schuetzende Praegweise den wohlgeordneten +Kulturstaat verraet. Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. +In der muehelosen, weder durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch +durch eigene schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte +sogar den Griechen frueh die Spannkraft des Koerpers und des Geistes. +Keiner der glaenzenden Namen der griechischen Kunst und Literatur +verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren unzaehlige, +auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent +den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der +Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen +liess die strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen +Gemeinden frueh ans Ruder gekommen war und im Notfall an der +Bundesgewalt einen sicheren Rueckhalt fand: wohl aber drohte die +Verwandlung der Herrschaft der Besten in eine Herrschaft der Wenigen, +vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in den verschiedenen +Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig sich +aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des +Pythagoras bezeichnete solidarische Verbindung der "Freunde", sie gebot, +die herrschende Klasse "gleich den Goettern zu verehren", die dienende +"gleich den Tieren zu unterwerfen", und rief durch solche Theorie und +Praxis eine furchtbare Reaktion hervor, welche mit der Vernichtung +der pythagoreischen "Freunde" und mit der Erneuerung der alten +Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, Massenerhebungen +der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische Anwendung +unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten +Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, +bis ihre politische Macht darueber zusammenbrach. Es ist danach nicht +zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die daselbst +angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die uebrigen +griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus +ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als +den Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die +Eingeborenen und zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne +doch den Italikern durch vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu +eroeffnen. So ist in Sybaris und Metapont, in Kroton und Poseidonia das +griechische Wesen, das sonst allen politischen Missgeschicken zum Trotz +sich lebenskraeftig zu behaupten wusste, schneller, spur- und ruhmloser +verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet, und die zwiesprachigen +Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der eingeborenen Italiker +und der Achaeer und den juengeren Einwanderern sabellischer Herkunft +hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig gelangt. Indes, diese +Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende Periode. Anderer +Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der +uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn +keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu +ihrer Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art +an einer befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle +diese Staedte zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und +darum denn auch, ganz abweichend von den achaeischen, durchgaengig +an den besten Haefen und Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, +die Veranlassung und die Epoche dieser Gruendungen waren mannigfach +verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine gewisse Gemeinschaft +- so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch gewisser moderner +Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der Sprache, der auch +in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel Kyme ^3, von +Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die Entwicklung +Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade wichtig +geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend +in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des +dorischen Tarent und des ionischen Kyme. +------------------------------------------------- ^2 So sind die +drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als leicht +zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen +vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder +ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, +waehrend die uebrigen Griechen Italiens und Siziliens ohne Unterschied +des Stammes sich ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend der juengeren +Formen bedient haben. ^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen +Tongefaess Tataies emi leyqthos. Fos d'an me klephsei th?phlos estai. +--------------------------------- Den Tarentinern ist unter allen +hellenischen Ansiedlungen in Italien die glaenzendste Rolle zugefallen. +Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der ganzen Suedkueste, +machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepot fuer den sueditalienischen +Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem Adriatischen Meer. +Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und Verarbeitung +der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft der +tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte - +beide Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos +-, beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch +den Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im +griechischen Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen +Muenzen sind noch heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften +tarentinischen Verkehrs. Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit +Sybaris um den ersten Rang unter den unteritalischen Griechenstaedten +rang, muessen seine ausgedehnten Handelsverbindungen sich angeknuepft +haben; indes auf eine wesentliche Erweiterung ihres Gebietes nach Art +der achaeischen Staedte scheinen die Tarentiner nie mit dauerndem +Erfolg ausgegangen zu sein. Wenn also die oestlichste der griechischen +Ansiedlungen in Italien rasch und glaenzend sich emporhob, so gediehen +die noerdlichsten derselben am Vesuv zu bescheidnerer Bluete. Hier +waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus die Kymaeer auf das +Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart am Meere eine +zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia (spaeter +Puteoli), und weiter die "Neustadt" Neapolis gegruendet wurden. +Sie lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und +Sizilien, nach den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650) +festgestellt hatte, in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus +gemaessigten Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den +Reichsten erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung, +die sich bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren +wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren +Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus +Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt +auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und +unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich +mit ihnen handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine +gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den ersten Platz unter den +Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein. Wenn zu beiden +Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die ganze +suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere +oestliche Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so +gestalteten dagegen auf der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv +und auf der ganzen Ostkueste die Verhaeltnisse sich wesentlich anders. +An dem dem Adriatischen Meer zugewandten italischen Gestade entstanden +griechische Ansiedlungen nirgends; womit die verhaeltnismaessig +geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der griechischen +Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und +den zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich +zusammenhaengt. Zwar wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser +Kueste zwei ansehnliche Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt +Durazzo; 127 587) und Apollonia (bei Avlona; um 167 627) noch waehrend +der roemischen Koenigsherrschaft gegruendet; aber weiter noerdlich ist, +mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden Niederlassung auf Schwarzkerkyra +(Curzola; um 174? 580) keine alte griechische Ansiedlung nachzuweisen. +Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die griechische +Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat, wohin +doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat +seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach +Rom (um 44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein +Handelszug bestand, dessen Entrepots auf der italischen Kueste die +Staedte an der Pomuendung, Spina und Atria, waren. Die Stuerme der +Adriatischen See, die Unwirtlichkeit wenigstens der illyrischen Kuesten, +die Wildheit der Eingeborenen reichen offenbar allein nicht aus, +um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist es von den +wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden Elemente +der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften +einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese gelangten. +Selbst in den Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und Kerkyra die +oestlichste Kaufstadt Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch +den Besitz von Hydrus (Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf +der italischen Seite beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung +an der ganzen Ostkueste nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht +bestanden - Ankons Aufbluehen faellt in weit spaetere Zeit und noch +spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es wohl begreiflich, dass +die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in Tarent loeschten. +Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit Apulien; +auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im +Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die +ersten Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer +spaeteren Epoche. Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich +vom Vesuv in aeltester Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf +den Inseln und Landspitzen hellenische Faktoreien bestanden, laesst +sich nicht bezweifeln. Wohl das aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die +Lokalisierung der Odysseussage an den Kuesten des Tyrrhenischen Meeres +^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des Aeolos wiederfand, wenn +man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am Misenischen die +der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das ragende +Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn +bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne +des Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, +im "innersten Winkel der heiligen Inseln" die Tyrrhener beherrschen oder +in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke, +Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das alte +Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat auf +der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche Lebendigkeit +der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den Fahrten des +Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung +derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der +kymaeischen Schiffer. ------------------------------------------- ^4 +Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische +Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische 'Theogonie' in einem ihrer +juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor +Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und +der sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an, +wo Italien den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher +sehr alt; und es kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen +mit Sicherheit in die roemische Koenigszeit gesetzt werden. +------------------------------------------- Andere Spuren dieser +aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva, +Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von Griechen besetzten +Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes +Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der caeritischen +Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss die +Namen unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die +eigentuemliche, von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen +Stadtmauern sich wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern +von Pyrgi. Aethalia, "die Feuerinsel", mit ihren reichen Kupfer- und +besonders Eisengruben mag in diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und +hier die Altsiedlung der Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen +seinen Mittelpunkt gehabt haben; um so mehr als das Schmelzen der +Erze auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem +Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia +auf der Elba gegenueberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den +Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. Wenn die Fremden, +wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- und Landraub +obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit +sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven +fortzufuehren, so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das +Vergeltungsrecht aus; und dass die Latiner und Tyrrhener dies +mit groesserer Energie und besserem Glueck getan haben als ihre +sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, sondern vor +allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich der +Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte +und Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch +Herren ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die +sueditalischen Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker +Mittelitaliens, freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, zur +Seefahrt und zur Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der +Italiker das Floss und den Nachen mit der phoenikischen und griechischen +Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst begegnen grosse Kaufstaedte, +vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am Tiber, die, nach den +italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung vom Meere +zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte an der +Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum, sicher keine +griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den geschichtlichen +Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet gegen +fremden Eingriff darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande; +wohl aber laesst es noch sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung +Italiens von der groessten Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium +und im suedlichen Etrurien einen andern Gang genommen hat als in der +eigentlichen tuskischen und den sich daran anschliessenden Landschaften. +Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem "wilden Tyrrhener" den +Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche +Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint +sein, dass man die griechische Kolonisierung in einigen Landschaften +Mittelitaliens geduldet, in andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts +vom Vesuv hat ueberhaupt in geschichtlicher Zeit nirgends eine +unabhaengige griechische Gemeinde bestanden, und wenn Pyrgi dies einmal +gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn unserer Ueberlieferung +in die Haende der Italiker, das heisst der Caeriten zurueckgekehrt sein. +Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium und ebenso an der Ostkueste +der friedliche Verkehr mit den fremden Kaufleuten geschuetzt und +gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem merkwuerdig ist die +Stellung von Caere. "Die Caeriten", sagt Strabon, "galten viel bei den +Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit, und weil sie, so +maechtig sie waren, des Raubes sich enthielten." Nicht der Seeraub ist +gemeint, den der caeritische Kaufmann wie jeder andere sich gestattet +haben wird; sondern Caere war eine Art von Freihafen fuer die Phoeniker +wie fuer die Griechen. Wir haben der phoenikischen Station - spaeter +Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und Alsion bereits gedacht; +diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich enthielten, +und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte +Reede besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher +Bluete gelangt ist und fuer den aeltesten griechischen Handel noch +groessere Bedeutung gewonnen hat als die von der Natur zu Emporien +bestimmten Staedte der Italiker an den Muendungen des Tiber und des +Po. Die hier genannten Staedte sind es, welche in uraltem religioesen +Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste unter allen Barbaren, +der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische Koenig Arimnos, +vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem Tempel +des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem +Verkehr stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der +aeltesten caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische +Heiligtum sowohl wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, +wo die Italiker friedlich schalteten und mit dem fremden Kaufmann +freundlich verkehrten, wurden vor allen reich und maechtig und wie +fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime der hellenischen +Zivilisation die rechten Stapelplaetze. Anders gestalteten sich die +Verhaeltnisse bei den "wilden Tyrrhenern". Dieselben Ursachen, die in +der latinischen und in den vielleicht mehr unter etruskischer Suprematie +stehenden als eigentlich etruskischen Landschaften am rechten Tiberufer +und am unteren Po zur Emanzipierung der Eingeborenen von der fremden +Seegewalt gefuehrt hatten, entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, +sei es aus anderen Ursachen, sei es infolge des verschiedenartigen, zu +Gewalttat und Pluenderung hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub +und die eigene Seemacht. Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus +Aethalia und Populonia zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward, +wie es scheint, hier nicht geduldet, und bald durchstreiften sogar +etruskische Kaper weithin die See und machten den Namen der Tyrrhener +zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache galt diesen der +Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die Griechen das +italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem diese +wilden Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, +zeigt am deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und +kampanischen Kueste. Zwar behaupteten im eigentlichen Latium sich die +Latiner und am Vesuv sich die Griechen; aber zwischen und neben ihnen +geboten die Etrusker in Antium wie in Surrentum. Die Volsker traten in +die Klientel der Etrusker ein; aus ihren Waldungen bezogen diese +die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der Antiaten erst die +roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es wohl, +warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das +laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch +steileren, aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der +Buchten von Neapel und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende +Korsarenwarte, wurde frueh von den Etruskern in Besitz genommen. Sie +sollen sogar in Kampanien einen eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet +haben und etruskisch redende Gemeinden haben hier noch in vollkommen +historischer Zeit im Binnenlande bestanden; wahrscheinlich sind diese +Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft der Etrusker im +kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am Vesuv +hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf +Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen +Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens +vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders +Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss geschlagen +haben; dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern vielmehr +attischen, ja kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, ist +uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der +Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich +fuer den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit +vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend +geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen Freihafen, am +oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit, ferner ueber +die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen nach +Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die +reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten +italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische +und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der +Ostsee ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie, +gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel +emporkommen; und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der +etruskische und milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener +Verbindung von Kaperei und Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus +entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich selber verzehrt hat. +Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die +Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden, +so griff dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in +diejenige Rivalitaet ein, die damals Handel und Schiffahrt auf dem +Mittellaendischen Meere vor allem beherrschte: in die Rivalitaet der +Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht dieses Orts, im einzelnen +darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit diese beiden +grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in Griechenland +und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen, +spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft +rangen; unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht +gekaempft, aber die Folgen derselben doch auch in Italien tief und +nachhaltig empfunden. Die frische Energie und die universellere Begabung +des juengeren Nebenbuhlers war anfangs ueberall im Vorteil; die Hellenen +entledigten sich nicht bloss der phoenikischen Faktoreien in ihrer +europaeischen und asiatischen Heimat, sondern verdraengten die Phoeniker +auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten und Kyrene und +bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen Haelfte +der sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen +Handelsplaetze der energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward +auch im westlichen Sizilien Selinus (126 628) und Akragas (174 580) +gegruendet, schon von den kuehnen kleinasiatischen Phokaeern die +entferntere Westsee befahren, an dem keltischen Gestade Massalia erbaut +(um 150 600) und die spanische Kueste erkundet. Aber ploetzlich, um die +Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der hellenischen +Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses Stockens +der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den +Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die +maechtigste ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die +den Seeverkehr auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch +den juengeren Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft +ueber die Westsee, dem Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem +oestlichen und dem westlichen Becken des Mittelmeeres und dem Monopol +der Handelsvermittlung zwischen Orient und Okzident, so konnte doch +wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von Sardinien und Sizilien +noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren Behauptung setzte +Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche zaehe und +umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand +der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren +phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides +schildert, waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich +ausgedehnte Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen +Festungen. Hatten bisher die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt +den Griechen gegenuebergestanden, so zentralisierte jetzt die +maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze Wehrkraft ihrer +Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische Geschichte +nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das +wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge +Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu +erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier +und Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen +Ansiedlungen auf Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten, +wurden sie durch die Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker +wieder von dort vertrieben. Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia +(Aleria) auf Korsika Caere gegenueber niederliessen, erschien, um sie +von dort zu vertreiben, die vereinigte Flotte der Etrusker und +der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark; und obwohl in dieser +Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt - die +nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so +erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff +bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber +an der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich +nieder. Ein Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss +die Regeln ueber Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch +ein Waffenbuendnis (symmachia) ein, von dessen ernstlicher Bedeutung +eben jene Schlacht von Alalia zeugt. Charakteristisch ist es fuer die +Stellung der Caeriten, dass sie die phokaeischen Gefangenen auf dem +Markt von Caere steinigten und alsdann, um den Frevel zu suehnen, +den delphischen Apoll beschickten. Latium hat dieser Fehde gegen die +Hellenen sich nicht angeschlossen; vielmehr finden sich in sehr alter +Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu den Phokaeern in Hyele wie +in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar gemeinschaftlich mit +den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere Saguntum +gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf die +Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen +zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den +Latinern und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern +durch Vermittlung der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, +ihn stets mit dem griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder +den Namen der Stadt Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den +Griechen entlehnt haben, dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern +mit dem ebenfalls die griechische Vermittlung ausschliessenden Namen +der sarranischen bezeichnet werden ^7, beweist ebenso wie die spaeteren +Vertraege den alten und unmittelbaren Handelsverkehr zwischen Latium +und Karthago. ------------------------------------------------ ^5 +Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago. ^6 Der +Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio +Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich +stammverwandt mit dem der Hebraeer. ^7 Sarranisch heissen den Roemern +seit alter Zeit der tyrische Purpur und die tyrische Floete, und auch +als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem Hannibalischen Krieg in +Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende Stadtname Sarra ist +wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen Namen Sor +gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern +nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K. +Movers, Die Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174. +-------------------------------------------- Der vereinigten Macht der +Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die westliche Haelfte des +Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der nordwestliche Teil +von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos an +der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im +unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des +Kyros und Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu bestimmen +suchte, insgesamt aus Kleinasien auswandernd in Sardinien sich +niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der karthagische Feldherr +Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der wichtigen Insel mit +Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das ganze Gestade +Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen Gemeinde. Korsika +dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern zu und die +Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel, +dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in +den Gewaessern westlich von Sizilien und Sardinien herrschten die +verbuendeten Etrusker und Karthager. Zwar gaben die Griechen den Kampf +nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen Rhodier und Knidier setzten +auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich fest und gruendeten +hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh trotz seiner Isolierung +und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis nach den Pyrenaeen. An +den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt Rhoda (jetzt +Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich angesiedelt, +ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten +geherrscht haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer +die Hellenen vorbei; nach Akragas' Gruendung sind ihnen bedeutende +Gebietserweiterungen am Adriatischen wie am westlichen Meer nicht mehr +gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben +ihnen verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den +tuskischen "Seeraeubern", die Karthager mit den Massalioten, den +Kyrenaeern, vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner +Seite hin ward ein dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der +Jahrhunderte langen Kaempfe war im ganzen die Aufrechterhaltung des +Status quo. So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern +es zu danken, dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften +nicht kolonisiert wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine +nationale Seemacht ins Leben trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren, +dass die Phoeniker es schon der Muehe wert fanden, wenn nicht gegen +die latinischen, doch wenigstens gegen die seemaechtigeren etruskischen +Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, die aller +Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den +Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den +Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden +rivalisierenden Interessen. 11. Kapitel Recht und Gericht Das Volksleben +in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen, vermag +die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung +der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und +Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes +beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der +Versuch, diese Zustaende, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, +anzudeuten, eben fuer diese aelteste, geschichtlich so gut wie +verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser +Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker trennt, sich auf +diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen laesst. +Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten +Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen, +dass sie einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch +diese saeuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner +und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich +besser schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten +Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgepraegt, +wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern +kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser +Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der +Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und +lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch +eine Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, +um dies gleich hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich +zusammenfassen, dass bei den Italikern und insbesondere bei den Roemern +von den urzeitlichen Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt +worden ist als bei irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und +Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau, +primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende +Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - alle diese und +unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als Grundlage der +italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst +anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, +und nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr +einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte +bei einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die +griechische und deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen +Charakter. Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind +verschollen: nur von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen +Ueberlieferung einige Kunde auf uns gekommen. Alle Gerichtsbarkeit +ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem Koenig, welcher +Gericht oder "Gebot" (ius) haelt an den Spruchtagen (dies fasti) auf +der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem Wagenstuhl +(sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor ihm +der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber +die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste +maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst +nicht als Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne +und Enkel konkurrierte die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen +Gerichtsbarkeit; aber eine eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, +sondern lediglich ein Ausfluss des dem Vater an den Kindern zustehenden +Eigentumsrechts. Von einer eigenen Gerichtsbarkeit der Geschlechter +oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der koeniglichen abgeleiteten +Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur. Was die Selbsthilfe +und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich vielleicht noch ein +sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die Toetung +des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die +Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen +schon bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach +die Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der +Gemeindegewalt unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem +Einfluss, der den Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach +aeltestem deutschen Recht zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas +wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so haeufig ist, +dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in +der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig +behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess, +je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten +einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen +ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der +Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen +Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder +(parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder +Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte +durch boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der +Goetter und des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn +schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb +dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess eroeffnet und leitet +der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen +Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er den +Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung +an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen +werden; die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner +fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren +staendigen Stellvertreter, die "Mordspuerer" (quaestores parricidii), +denen zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine +gewisse polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht +an, moegen aber wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. +Untersuchungshaft ist Regel, doch kann auch der Angeklagte +gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung zur Erzwingung des +Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer ueberwiesen ist, den +gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem Leben; die +Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen +gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt. +Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig +aber kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) +gestatten oder verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine +Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem +Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an demselben Tag nicht +mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus betritt, muss der Bande +entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher geschenkt, welcher +auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der Vesta +zufaellig begegnet. ------------------------------------------ ^1 Dieser +"Wagenstuhl" - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht wohl moeglich +(vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in der Weise +erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt +war, woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche +Gelegenheiten blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein +erhoehtes Tribunal gab, auf dem Comitium oder wo er sonst wollte, +vom Wagenstuhl herab Recht sprach. ^2 Die Erzaehlung von dem Tode des +Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24) sie gibt: dass Verwandte +des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten; dass Tatius den +klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe; dass +dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder +des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass +aber infolge goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener +Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten Moerder in Rom und +in Laurentum nachtraeglich zur gerechten Strafe gezogen seien - diese +Erzaehlung sieht ganz aus wie eine Historisierung der Abschaffung +der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der Provokation dem +Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden Fassungen +dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber +auch verwirrt oder zurechtgemacht. +------------------------------------------------ Bussen an den Staat +wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der Koenig nach +Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa) +von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner +Hand. In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine +Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des +Verletzten, welcher den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter +Gewalt zwingt, sich mit ihm persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind +beide Parteien erschienen und hat der Klaeger die Forderung muendlich +vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in gleicher Weise verweigert, +so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen oder sie in seinem +Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmaessige +Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem +Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein, wenn +der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne +(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder +seine gerechte Forderung nicht erfuellt ward. Was in dieser Epoche der +Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und wann der Diebstahl +als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht bestimmen. +Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat ergriffenen +Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die Erbitterung, +welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen diesen. +Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht +imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter +gebilligte Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen +als eigener Mann zugesprochen. Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers +wie der Sachen musste in den leichteren Faellen der Verletzte wohl +unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, +so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn. Das +Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft +benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden +ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem +"Sklaven- und Viehstand" (familia pecuniaque) entwickelt. Als +Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern +man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem einzelnen Buerger von der +Gemeinde zu ausschliesslichem Haben und Nutzen zugeteilt, weshalb auch +nur der Buerger und wen die Gemeinde in dieser Beziehung dem Buerger +gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. Alles Eigentum geht +frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen wesentlichen +Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit ueberhaupt +der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und +kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten +auf das vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht +imstande, die Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er +weder die vaeterliche Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung +der ganzen Gemeinde, die auch versagt werden konnte und in solchem +Falle gewiss oft versagt ward, ein Testament errichten kann. Bei +seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den Kindern nachteilige +Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen Beschraenkungen des +Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem +erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die +Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und +seine Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen +unter Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit +zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das +Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen +erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden Gegensaetze, unbeschraenktes +Verfuegungsrecht des Eigentuemers und Zusammenhaltung des Familiengutes, +soweit moeglich, im roemischen Recht miteinander vereinigt. Dingliche +Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit Ausnahme der namentlich fuer +die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht +zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich unmoeglich; +anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient +die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den +Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein +Treuwort (fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht +zu veraeussern und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem +Schuldner zurueckzustellen. Vertraege, die der Staat mit einem Buerger +abschliesst, namentlich die Verpflichtung der fuer eine Leistung an +den Staat eintretenden Garanten (praevides, praedes), sind ohne weitere +Foermlichkeit gueltig. Dagegen die Vertraege der Privaten untereinander +geben in der Regel keinen Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des +Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach kaufmaennischer Art +hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig hinzutretenden Eide +die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. Rechtlich klagbar +sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die +versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, +ferner der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt +als rechtlich abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die +gekaufte Sache in die Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer +dem Verkaeufer den bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; +was, seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige +Wertmesser geworden war, geschah durch Zuwaegen der bedungenen +Quantitaet Kupfer auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen +Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer dafuer +einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der +Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls +buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet +haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug +um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein +Eigentum und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen +eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene +Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der +Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher +unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das Jahr zehn Prozent +betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die +Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat gegenueber +seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit +allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte +zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die +Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder +erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es +darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei +Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was +bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der +Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des +Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei +fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei +wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern, +bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann, +wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei +den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht +gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage +hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang +an feststand, also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern er nicht +Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren +"durch Handanlegung" (manus iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo +er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte, lediglich um die anerkannte +Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der Ergriffene sich selber +nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten und diese Gewalttat +als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren eingestellt +ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persoenlich +verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der +Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch +Vertretung ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so +zu, dass dieser ihn abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. +Waren alsdann sechzig Tage verstrichen, war waehrend derselben der +Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und dabei ausgerufen worden, +ob jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg geblieben, so +hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu toeten und sich in seine Leiche +zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner Habe als Sklaven +in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu +halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der roemischen +Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave werden. +So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den +Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den +zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt. +------------------------------------------------- ^3 Die Manzipation in +ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die Servianische +Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums gerichtete +Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die Tradition +angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht. +Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie +passt zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand +erworben werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche +angehoeren, wo das Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia +pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die +manzipiert werden mussten, wird demnach eine Servianische Neuerung sein; +die Manzipation selbst und also auch der Gebrauch der Waage und des +Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die Manzipation urspruenglich +allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen Reform bei allen +Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete die +Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, +dass nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten. ^4 +Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des +Kapitals (uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer +das zwoelfmonatliche zehn vom Hundert. +--------------------------------------------- Ebenso schirmte man das +Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung des eigenen +Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen +und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut +desselben berief. Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, +wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten +und die Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen +wird. Dispensieren von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die +Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem Erbgang haftenden +Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist; indes +scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig geworden zu sein, und +wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem +jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel +dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen +einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des +Verstorbenen gemaess verteilte. Die Freilassung war dem aeltesten +Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte freilich der Ausuebung seines +Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen dem Herrn und dem +Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger Verbindlichmachung wurde +hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren der Gemeinde +gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die Freilassung +kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem Herrn +nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder +nach Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den +Faellen, wo sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde +gegenueber anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit +zu lassen. Eine eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab +es jedoch nicht - der beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung +nicht gegeben haben kann -, sondern es wurden dafuer diejenigen Wege +benutzt, welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozess, die +Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens +in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er +dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die Freiheit +anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu +lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als +frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach +anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere +Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des +Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und +darum willkuerlich loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu +sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen, +erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser entlassen zu +werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine Emanzipation +ueberhaupt noch nicht gegeben haben. Nach diesem Rechte lebten in Rom +die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen denen, soweit wir sehen, +von Anfang an vollstaendige privatrechtliche Gleichheit bestand. Der +Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen Schutzherrn +ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie +seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht +erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, +das Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der +roemische Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als +dessen Eigentuemer gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, +ist der einzelne Buerger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was +der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie +unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier +haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder +zurueckzunehmen. Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen +durch besondere Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden +innerhalb der roemischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das +ewige Buendnis zwischen Rom und Latium alle Vertraege zwischen Roemern +und Latinern fuer rechtsgueltig und verordnete zugleich fuer diese +einen beschleunigten Zivilprozess vor geschworenen "Wiederschaffern" +(reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen roemischen Gebrauch +einem Einzelrichter die Entscheidung zu uebertragen, immer in der +Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern beider +Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und Messgericht +zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages +und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die +Formen, in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, +waren natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer +miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind +urspruenglich gar keine Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck +der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so weit man +lateinisch sprach. In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr +mit dem eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit +muessen mit den Caeriten und anderen befreundeten Voelkern Vertraege +ueber Verkehr und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des +internationalen Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in +Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser +Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der "Wandel" (von mutare; wie +dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf +einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des +Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer +Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden +entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es +ist darum charakteristisch, dass das Wort als moiton im sizilischen +Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen +des lateinischen carcer in dem sizilischen karkaron. Da es sprachlich +feststeht, dass beide Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr +Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den +haeufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie +veranlasste, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in +den aelteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, +sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen +Gefaengnisses, "Steinbrueche" oder latomiai, in alter Zeit auf das +erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen. Werfen +wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen, +die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes +Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten +Aufzeichnung des roemischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon +in der Koenigszeit sich wohl fuer einzelne Punkte, aber nicht im +ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin das Recht einer +weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- und +Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum +Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig +verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den +Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer +sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach +roemischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd +erscheinen musste, und vor allem die uralte latinische Formel der +Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den +Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das "reine Kraut" (herba pura, +fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der +angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen +Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen +Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch +das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das +roemische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und +fordert in allen Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und +reinen Ausdruck des Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung +zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien +die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert haben; es ist zwar +ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu geben, den zum +Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu verhuellen +und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzufuehren; +aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem roemischen +Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus der +Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward, +wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. +Ebenso ist hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die +germanischen Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch +ringt mit der Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen +Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es +gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergaenzung der +unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine +ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung des einzelnen +beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl einmal +bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen +des Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige +Totschlaeger den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben +verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon fuer die +aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken erfassen koennen, ist +dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar vernichtet ist das +Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; aber die +ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet +ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der +Staat dem Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund +ist ueberall der Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck +fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf +ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde +auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren +Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es +bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des oeffentlichen und +des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat, +welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer +Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder +den Gast, welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder +Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst +werden, sondern hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand +gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das +strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in Handelsstaaten +die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge Wechselprozess zusammen +auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr +vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende Rechtsgleichheit +auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den Maennern +voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt +sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste +Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen +kann, ist in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der +Staat. Hoechst charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit +existiert nicht, sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, +womit heutzutage das Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des +Eigentums vom Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche +Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten +Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, den +zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und +ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott +ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den +Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es +der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass +es zugleich unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und +kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle +Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige. +Nimmt man dazu das frueh anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher +Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene Gueltigkeit der +Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Hoechste +von seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des +einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm, +dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs +selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie +beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt +auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast +dem Buerger gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo +das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass +dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige +Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude +daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die aeussersten +Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam dem +bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, die gemuetliche +Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten, +sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein +Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles +Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der +Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts, +den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber +es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die +man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis, +denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die +Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den +Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die +Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein +Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze +der Freiheit und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge +unverfaelscht und ungemildert walteten und heute noch walten. 12. +Kapitel Religion Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher +angedeutet ward, hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen +Rom in einem hoeheren und idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit +peinlicher Genauigkeit das Kleine wie das Grosse wiederholte. Der Staat +und das Geschlecht, das einzelne Naturereignis wie die einzelne geistige +Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung +innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen +Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im +ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis. +Der Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert +nicht laenger als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen +Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt +auch diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche Handlungen und +gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer aufs +neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten +ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff +auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott +entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten +dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und wenn +aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden +auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich +zu bereiten. Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder +Beruehrung mit den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen +aus dem Verzeichnis der oeffentlichen und benannten Festtage (feriae +publicae) der roemischen Gemeinde, das in dem Kalender derselben +erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus dem roemischen Altertum +auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben nehmen die +Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem +Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig, +ausserdem die saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter +noch zu erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem "boesen Jovis" +(Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen +gehoert das Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest +in diesem, von dem Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch +das Pferderennen (equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den +Tagen des Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), +des Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der +Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie, wenn +ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste begann, so folgte +nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine Marsfeier, das +Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten Mars +endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den +uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezueglichen +die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle +spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse Reihe der Fruehlingsfeste +im April, wo am 15. der Tellus, das ist der naehrenden Erde (fordicidia, +Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der Ceres, das ist der Goettin +des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann am 21. der befruchtenden +Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter als dem Schuetzer +der Reben und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden Faesser von der +vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der Saaten, dem +Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird nach +vollendeter Arbeit und gluecklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und +der Goettin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und +der Ops ein Doppelfest gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem +Schnitt (21. August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im +Mittwinter, wo der Segen der Speicher vor allem offenbar wird (15. +Dezember, Consualia; 19. Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren +beiden Feiertagen die sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest +der Aussaat (Saturnalia von Saturnus oder Saturnus, 17. Dezember), +einschaltete. Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest +(meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most +heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter +Lese dargebracht, waehrend die urspruengliche Beziehung des dritten +Weinfestes (Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen +weiter am Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der +Hirten zu Ehren des guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest +(Terminalia, 23. Februar) der Ackerbauer, ferner das zweitaegige +sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21. Juli) das den Waldgoettern +(Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober) +und das Fest des kuerzesten Tages, der die neue Sonne herauffuehrt +(An-geronalia, Divalia, 21. Dezember). Von nicht geringer Bedeutung sind +ferner, wie das fuer die Hafenstadt Latiums sich nicht anders erwarten +laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der See (Neptunalia, 23. Juli), +des Hafens (Portunalia, 17. August) und des Tiberstromes (Volturnalia, +27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in diesem Goetterkreis nur +vertreten durch den Gott des Feuers und der Schmiedekunst, den Vulcanus, +welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag (Volcanalia, 23. +August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. +Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis +(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die +Goettin der Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als +Schuetzerin der Geburten verehrt ward. Dem haeuslichen und Familienleben +ueberhaupt galten das Fest der Goettin des Hauses und der Geister der +Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia, 9. Juni); das Fest +der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das Fest des Kindersegens, +dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), das Fest +der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige +Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die +buergerlichen Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht +klaren Festtage der Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der +Volksflucht (Poplifugia, 5. Juli), von denen wenigstens der letzte Tag +dem Jupiter zugeeignet war, und das Fest der sieben Berge (Agonia oder +Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem Gott des Anfangs, dem +Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) gewidmet. Einige andere +Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter und der Acca +Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest +(23. Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen. +----------------------------------------------- ^1 Das ist allem +Anschein nach das urspruengliche Wesen der "Morgenmutter" oder Mater +matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass, wie die +Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die Morgenstunde fuer die +Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin ist die +Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus +geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt +ward, spricht dagegen, sie urspruenglich als Hafengoettin zu fassen. +----------------------------------------------- Diese Tafel ist +vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; und wenn auch +neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit Wandel- und +Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, in +dem, was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in +eine sonst fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die +Vereinigung der altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits +erfolgt, als diese Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den +Quirinus finden; aber noch stand der kapitolinische Tempel nicht, als +sie aufgesetzt ward, denn es fehlen Juno und Minerva; noch war das +Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet; noch war den Griechen +kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss des roemischen, +sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen Epoche, +wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war +allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, +vorwiegend gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, +den Feind niederwerfende goettliche Vorfechter der Buergerschaft - +natuerlich in der Art, dass eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass +und ihn fuer den staerksten und heiligsten unter allen achtete, demnach +auch jeder zu neuer Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter +dem Schutz seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst +goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den +saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der erste Monat +geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls keiner +Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter +Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht +knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige +Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, +und was von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen +vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen +Doppelgaenger, den Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings +der Vater Diovis, eine reinere und mehr buergerliche als kriegerische +Widerspiegelung des Wesens der roemischen Gemeinde, einen groesseren +Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des Jupiter an Rang den +beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr hervorragende +Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar ganz +glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis +neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte +Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde +auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war, +wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte +"Sorgenbrecher", sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt des +herzerfreuenden Weines. ----------------------------------- ^2 Aus +Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich durch +verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in o +(aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in +der Doppelform Mar-Mor (vgl. Ma-murius) neben Mar-Mar und Ma-Mers. +----------------------------------- Es ist nicht die Aufgabe dieser +Darstellung, die roemischen Gottheiten im einzelnen zu betrachten; aber +wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren eigentuemlichen, +zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben. Abstraktion +und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der hellenischen +Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer Naturerscheinung +oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen jede +Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen +als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte +Gottheit: "bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib"; dafuer der +tiefhaftende Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der +Gemeinde unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn +erfahre und, den Gott bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen +hinueberlocke. Ein Ueberrest dieser maechtig sinnlichen Auffassung +haftet namentlich der aeltesten und nationalsten italischen +Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die Abstraktion, die jeder +Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer weiteren +Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen +der Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen +Glaubensbilder auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und +des Begreifens. Wenn dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch +zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis erweitert, so bleibt +dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen nackten Starrheit +stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher Verklaerung, dem +goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und geheimnisvollen +chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion nichts auch +nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich +waere. Sie weiss wohl auch von einem "schlimmen Gott" (Ve-diovis), von +Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten +der boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des +Diebstahls (laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das +Menschenherz doch auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht +sich zu durchdringen mit dem Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen +in der Natur und dem Menschen, welches der Religion nicht fehlen darf, +wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen soll. Es gab in der roemischen +Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen der Stadtgoetter, der +Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war jedem offenbar. Die +nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die +wichtigen Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie +terminologisch auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch +dem Privatrecht zu Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen +- zu klassifizieren, um darnach die Goetter und Goetterreihen selber +richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung der Menge zu weisen +(indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen von der +einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit +ging die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat +(saturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein +(terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen +Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen +Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich +italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und +doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische +Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns +zunaechst der "Geist der Eroeffnung" anzurufen sei, und vor allem das +tiefe Gefuehl davon, dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen +Goetterbegriffe in Reihen zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren +Goetter der Hellenen notwendig jeder fuer sich standen ^3. Vielleicht +der innigste unter allen roemischen ist der Kult der in und ueber +dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im oeffentlichen +Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der der +Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen +Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der +Familienmahlzeit ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu +verrichten noch zu des aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters +erstes Geschaeft war. Aber in der Rangordnung der Goetter nahmen diese +Haus- und Feldgeister eher den letzten als den ersten Platz ein; es war, +wie es bei einer auf Idealisierung verzichtenden Religion nicht anders +sein konnte, nicht die weiteste und allgemeinste, sondern die einfachste +und individuellste Abstraktion, in der das fromme Herz die meiste +Nahrung fand. ---------------------------------------- ^3 Dass Tor und +Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und er stets +vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch vor +dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn +unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der +nach zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten +hin sich oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf +man um so weniger aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat +urspruenglich der elfte, nicht der erste ist; vielmehr scheint dieser +Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser Zeit nach der Rast +des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von vorn beginnt. +Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der Spitze des +Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich des +Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst. +------------------------------------- Hand in Hand mit dieser +Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die praktische und +utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der oben +eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und +Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel +- das ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu +recht wohl, dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- +und Gluecksgoettin (fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle +aus dem taeglichen Verkehr hervorgegangen, zwar noch nicht in jener +uralten Festtafel, aber doch schon sehr frueh weit und breit von den +Roemern verehrt auftreten. Strenge Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische +Spekulation waren zu tief im roemischen Wesen begruendet, um nicht auch +dessen goettliches Abbild bis in den innersten Kern zu durchdringen. +Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der +sterblichen Menschen, die "Guten" (manes) lebten schattenhaft weiter, +gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von +den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen +der Tiefe und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den +auf der Erde waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der +griechische Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und +schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz +unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa, +der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in +Rom nie als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen. Die aeltesten +Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf +Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der "Zuender des Mars" +(flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt ward, +und die zwoelf "Springer" (salii), eine Schar junger Leute, die im Maerz +den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass die +Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung +des roemischen Mars und damit die Einfuehrung eines zweiten +Marspriesters - des flamen Quirinalis - und einer zweiten Taenzergilde +- der salii collini - herbeifuehrte, ist bereits frueher +auseinandergesetzt worden. Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil +wohl ihrem Ursprung nach weit ueber Roms Entstehung hinaufreichende +Verehrungen, fuer welche entweder Einzelpriester angestellt waren +-solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des Volcanus, des Hafen- und +des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen Genossenschaften oder +Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine derartige +Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf "Ackerbrueder" (fratres +arvales), welche die "schaffende Goettin" (dea dia) im Mai anriefen fuer +das Gedeihen der Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe +bereits in dieser Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches +wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische +Bruederschaft sich an, die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu +bewahren und zu besorgen hatte, sowie die fuer die Herde der dreissig +Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales). Das +schon erwaehnte "Wolfsfest" (lupercalia) wurde fuer die Beschirmung der +Herden dem "guenstigen Gotte" (faunus) von dem Quinctiergeschlecht und +den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen Fabiern im Monat +Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die "Woelfe" +(luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und wen sie +trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern gentilizischen +Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten. Zu diesem +aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich neue +Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf +die neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam +zum zweitenmal gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste +beste Jovis vom Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes, +an die Spitze der gesamten roemischen Goetterschaft, und sein +fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis, bildet mit den beiden +Marspriestern die heilige oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig +beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes - der Vesta - und der +dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche Jungfrauen versahen, +gleichsam als die Haustoechter des roemischen Volkes, jenen frommen +Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes den Buergern zum +Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es war dieser +haeuslich-oeffentliche Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie +er denn auch von allem Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen +Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen +als der Repraesentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben +darum eine besondere roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt; +und zahlreichen anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die +Gemeinde sich in bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder durch +besonders zu ihrem Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu +huldigen, wobei sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der +Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass +deren zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied +man unter ihnen jene drei "grossen Zuender" (flamines maiores), die bis +in die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern genommen werden +konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der palatinischen +und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen +Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden +Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften +oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur +Deckung der vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den +einzelnen Tempeln gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen. Dass +der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der +sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht +zu bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und +Vestalinnen nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische +Institutionen gewesen und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen +in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster +gebildet zu sein. Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis +des Staats, so auch der einzelne Buerger innerhalb seines individuellen +Kreises aehnliche Anordnungen treffen und seinen Goettern nicht bloss +Opfer darbringen, sondern auch Staetten und Diener ihnen weihen. Also +gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an +den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. +Jeder Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde +natuerlich durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio +und die Ritterschaft durch ihre Obristen; und keine priesterliche +Vermittlung durfte das urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken +oder verdunkeln. Allein es ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte +zu verkehren. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem +kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber recht versteht, der weiss +den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, sondern auch zu lenken, +sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. Darum ist es +natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige Leute +zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen +Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus +national-italische Institution, die auf die politische Entwicklung +weit bedeutender eingewirkt hat als die Einzelpriester und die +Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein +mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten +Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition +fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren +richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren +treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese +geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden +Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten +und Wissenschaften geworden. In der roemischen und ueberhaupt der +latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien urspruenglich +nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die sechs +"Voegelfuehrer" (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus +dem Flug der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich +betrieben und in ein gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward. +Die sechs "Brueckenbauer" (pontifices) fuehrten ihren Namen von dem +ebenso heiligen wie politisch wichtigen Geschaeft, den Bau und +das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es waren die roemischen +Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen verstanden; woher +ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu fuehren, dem +Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu sorgen, +dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage +vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den +ganzen Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe, +Testament und Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte +Geschaeft nicht gegen das goettliche Recht irgendwie verstosse, und +ging von ihnen die Feststellung und Bekanntmachung der allgemeinen +exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter dem Namen der +Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller +Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die +allgemeine Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was +damit zusammenhing - und was hing nicht damit zusammen? Sie selbst +bezeichneten als den Inbegriff ihres Wissens "die Kunde goettlicher und +menschlicher Dinge". In der Tat sind die Anfaenge der geistlichen und +weltlichen Rechtswissenschaft wie die der Geschichtsaufzeichnung aus +dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn wie alle +Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft, +musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der +Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung +nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell +werden, das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein +Gutachten zu geben allein kompetent war. +------------------------------------------------------- ^4 Am +deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen +Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen +(z. B. Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der +pater patratus der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen +Kollegien aber nicht. Jene also stehen auf einer Linie mit der +Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, Luperkern als aeltestes +latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris faciundis und die +anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die Servianischen Tribus +und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom beschraenkt +geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices, +ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische +Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen, +oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat, +pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer. +Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn +schwanken. Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt +Cicero (leg. agr. 2, 35, 96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht +dies, sondern nur, dass die Zahl der roemischen Augurn durch drei +teilbar sein und insofern auf eine ungerade Grundzahl zurueckgehen +muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum Ogulnischen Gesetz +sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), indem er +Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die +Zahl der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20. +------------------------------------------------------- Gewissermassen +laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten Genossenschaften +geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig Staatsboten +(fetiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als lebendiges +Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden +durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des +vertragenen Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den +Suehneversuch und die Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus +fuer das Voelkerrecht, was die Pontifices fuer das Goetterrecht, und +hatten daher auch wie diese die Befugnis, Recht zwar nicht zu +sprechen, aber doch zu weisen. Aber wie hochansehnlich immer diese +Genossenschaften waren und wie wichtige und umfassende Befugnisse +sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am wenigsten bei den +am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern +sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht +unmittelbar zu erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen +hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem +Koenig nach, sondern er darf ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem +Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und wann er die Voegel beobachten +will; der Vogelschauer steht nur dabei und verdolmetscht ihm, wenn es +noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann der Fetialis und +der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders eingreifen +als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit unerbittlicher +Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, +dass in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu +verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen +Buerger dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische +Gottesverehrung beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am +Irdischen und nur in untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden +Naturkraeften; sie bewegt sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der +Freude, in Liedern und Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem +aber in Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden, regelmaessig +von Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in Italien das +Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist den +Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche +Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit +des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit +gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten +latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie wird durch +die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit eiserner +Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von +solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben. +Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und +irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein +Verbrechen gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im +innersten Wesen auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum +Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes +Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes; +der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie der +boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten Geistern. +Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet +hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf einen +bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versoehnen, wer +sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich +schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein +braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde +stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der heilige Lenz, indem +den Goettern dargebracht wird, was der bestimmte Zeitraum an Vieh und +Menschen geboren werden laesst. Will man dies Menschenopfer nennen, so +gehoert solches freilich zum Kern des latinischen Glaubens; aber +man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in die Ferne irgend +zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich +beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht +ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt. +Menschenopfer anderer Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung +zuwider und beruhen wenigstens bei den indogermanischen Staemmen +ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer Ausartung und Verwilderung. +Bei den Roemern haben sie nie Eingang gefunden; kaum dass einmal +in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung +ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von +Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei +den Roemern verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und +Prophetentum hat in Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in +Griechenland und nie vermocht, das private und oeffentliche Leben +ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist dafuer auch die +latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und Trockenheit +verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen +Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor +allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer +Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine +Richtung auf das Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben +wird und nicht minder scharf noch in dem heutigen Heiligenkult +der Italiener hervortritt. Die Goetter stehen dem Menschen voellig +gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder von ihnen hat ein +wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und Leistungen, und da +die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente des irdischen +Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines jeden +Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine +muehsame und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen +auch nur sich bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen +Rechtes kundigen und dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu +ungemeinem Einfluss gelangen. Denn der rechtliche Mann erfuellt +die Vorschriften des heiligen Rituals mit derselben kaufmaennischen +Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen Verpflichtungen nachkommt und +tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es seinerseits getan hat. Auch +auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein: das Geluebde ist der +Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen dem Gotte +und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine +gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein +Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht +der letzte Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der +Menschen alle Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der +roemische Kaufmann, seiner konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, +den Vertrag bloss dem Buchstaben nach zu erfuellen befugt ist, so ward +auch, wie die roemischen Theologen lehren, im Verkehr mit den Goettern +das Abbild statt der Sache gegeben und genommen. Dem Herrn des +Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren +statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater +Tiberis wurden zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer +jaehrlich dreissig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen +geworfen ^5. Die Ideen goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind +hier ununterscheidbar gemischt mit der frommen Schlauigkeit, welche +es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte Befriedigung zu +beruecken und abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl von +gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes +Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das +den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde +liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von +demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten, +aber sehr genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist +einleuchtend, dass eine solche Religion die kuenstlerische und die +spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet +war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit menschlichem +Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss die +Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten +auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste +Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller +Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu +kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen +Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die +griechische Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen, +die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit +dem wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor +die Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt +hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der +Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler +noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die latinische +Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der +Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer +irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild +seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von +Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu +trueben und zu befangen. Darum war der urspruengliche roemische +Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und wenngleich auch in +Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in frueher Zeit der +Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut ward, +so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas +zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit +Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein +ihr eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete +ueber die nach Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller +zeugenden Kraft in der roemischen Religion ist gleichfalls die letzte +Ursache, warum die roemische Poesie und noch mehr die +roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und blieben. +----------------------------------------------- ^5 Hierin konnte +nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer finden. +----------------------------------------------- Aber auch auf dem +praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der praktische +Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs, +war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes, +formuliertes Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen +Bevormundung des Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die +Stelle der Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen +vor das Gericht der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte. +Zu den Bestimmungen der ersteren Art gehoerte ausser der religioesen +Einschaerfung der Heiligung des Feiertags und eines kunstmaessigen +Acker- und Rebenbaus, die wir unten kennenlernen werden, zum Beispiel +der auch mit gesundheitspolizeilichen Ruecksichten zusammenhaengende +Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den Roemern ungemein frueh, +weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte Leichenverbrennung, +welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens voraussetzt, +wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. Man wird +es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion +diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger +aber noch war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der +Vater den verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur +den Vater oder den Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen +den Gast oder den zugewandten Mann die Treupflicht verletzte; wenn der +ungerechte Nachbar den Grenzstein verrueckte oder der Dieb sich bei +naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden anvertrauten Halmfrucht +vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem Haupt des +Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei +gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht +ist nur ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in +Rom waehrend des staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen +Buerger oder gar dem voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung +solchen goettlichen Fluches zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem +goettlichen Strafgericht anheim gefallen, nicht der menschlichen +Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch +fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige Naturen Macht +gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht; vielmehr +ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und, +nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach +seiner gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den +Gebannten der verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten +(supplicium) und also die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu +reinigen. Ist das Vergehen geringerer Art, so tritt an die Stelle der +Toetung des Schuldigen die Loesung durch Darbringung eines Opfertiers +oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze Kriminalrecht in seinem letzten +Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung. Weitere Leistungen aber +als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung und Sittlichkeit hat +die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich viel hat hier +Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion nicht +bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale +Einigung, soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und +Goetterfeste, um Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die +Musen, bewegt sich alles, was im hellenischen Leben gross, und alles, +was darin nationales Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch +Latiums Vorzuege vor Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt +wie sie ist auf das Mass der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem +vollkommen verstaendlich und allen insgemein zugaenglich; und darum +bewahrte die roemische Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit, waehrend +Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des Denkens der Besten stand, von +fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie +gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere +urspruenglich hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur +der oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich +taeuscht, weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach +erscheinen. Dieser innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der +Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne +und auch die latinische Religion ist also spaeterhin verdorrt; aber +laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die naive Glaeubigkeit +sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie die Farben die +Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind Kunst und +Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer des +Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die +Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz +auch der naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter +vergeblich sich bemueht zu erringen. Eben die gewaltige geistige +Entwicklung der Hellenen, welche jene immer unvollkommene religioese und +literarische Einheit erschuf, machte es ihnen unmoeglich, zu der echten +politischen Einigung zu gelangen; sie buessten damit die Einfalt, +die Lenksamkeit, die Hingebung, die Verschmelzbarkeit ein, welche die +Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es waere darum wohl an der +Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung, +welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die Roemer nur auf +Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die +Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen +Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu +tadeln, sondern es zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch +ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der +Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium +nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt +hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich allein war gross genug, weder +das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen +Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, +wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich +eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein +humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der +nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren +und von beiden zu lernen. Also war und wirkte die roemische Religion in +ihrer reinen und ungehemmten durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es +tut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit aeltester Zeit +Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande heruebergenommen +wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts an einzelne Fremde +den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von alters her +mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich; +bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern +und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist +bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt +worden sind, ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere +Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die Minerva, die Goettin +des Gedaechtnisses (mens, menervare), welche man wohl als urspruenglich +etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach sprachlichen Gruenden +vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, und passt +auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr wissen, dass +frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der +griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass +gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter +beschraenkte sich im ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die +Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es scheint, urspruenglich +italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit sehr alter Zeit, +wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen +Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche +erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar +frueh bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin +Apollons, der kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der +griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des +Zauberbuches wurde in fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und +Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen +(duoviri sacris faciundis) bestellt, auch fuer dasselbe zwei der +griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft; +diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Faellen an, wenn es, um +ein drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte +und man doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. +Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten schon frueh sich +ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber diesen +Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen +Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte +italische Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon +Aperta, der Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen +Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische +Herakles ist frueh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien +einheimisch und dort in eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie +es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns und der +ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn +der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des +errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt +dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der +kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar +geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit +dem alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die +Verehrung des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; +er wurde, mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck +Italiens verehrt und in den Gassen der Staedte wie an den Landstrassen +standen ueberall seine Altaere. Die Schiffergoetter ferner, Kastor und +Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes, +der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius, +wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren oeffentliche +Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der "guten Goettin" +(bona dea) damium, entsprechend dem griechischen damion oder d/e/mion, +mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter +Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer +spaeter als "Vater Befreier" gefasst ward und mit dem Weingott der +Griechen, dem "Loeser" (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der roemische +Gott der Tiefe der "Reichtumspender" (Pluton - Dis pater) hiess, +dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch +Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst +Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die +aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen +Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war +das Schnitzbild in dem roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus +gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die frueh mit orientalischen +Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen, +herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramaeische +Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geuebt. +Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen Religion +vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst +Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht +haben. --------------------------------------- ^6 Sors, von serere, +reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte Holztaefelchen, +die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die Runen +erinnert. ---------------------------------------- Indessen sind die +einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer Bedeutung, +die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage von +den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im +grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung +des Volkes, bei dem wir sie finden. Die sabellische und umbrische +Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu schliessen, was wir davon +wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit +lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von +der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen +Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber +eben sie gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. +Die Vogelschau war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der +Goetterbefragung; aber die Titier schauten nach anderen Voegeln als die +ramnischen Augurn. Ueberall, wo wir vergleichen koennen, zeigen sich +aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der Goetter als Abstraktion des +Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden Staemmen gemein, +Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus diese +Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen +den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu +erfassen. Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf +uns gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine +duestere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei +und jene feierliche Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen +Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Kult +bei weitem nicht in solcher Vollstaendigkeit und Reinheit wie den +latinischen; aber mag die spaetere Gruebelei auch manches erst +hineingetragen haben, und moegen auch gerade die duesteren und +phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich entfernenden +Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat nicht +wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik +und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des +etruskischen Volkes begruendet. Ein innerlicher Gegensatz des sehr +ungenuegend bekannten etruskischen Gottheitsbegriffs zu dem italischen +laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt treten unter den etruskischen +Goettern die boesen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn +auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der Gefangenen +einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, in +Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der +Tiefe friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen "guten Geister", wie +die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die +die armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen +abgeholt werden von dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen +Greisengestalt mit Fluegeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt, +die man spaeter in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann +zu kostuemieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz +wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein +verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach gewissen +geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Goetter. +Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker +frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie +denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der +etruskischen Weisheit spielen. Aber vor allen Dingen beschaeftigt den +Etrusker die Deutung der Zeichen und Wunder. Die Roemer vernahmen +wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter; allein ihr Vogelschauer +verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im allgemeinen, ob +die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im Laufe der +Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie zum +Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und +man suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt +schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich +damit nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den +Eingeweiden der Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins +einzelne heraus, und je seltsamer die Goettersprache, je auffallender +das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkuende und +wie man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden die Blitzlehre, +die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen +Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die +Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, +der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, +Tages genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und +altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -, +also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich +gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze +zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels und an der +Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen dauernden +Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe +ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben lasse +bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte +oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame +Kuenste mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelueste anmerkt. +Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass, +selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht +ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch +die einheimischen und die griechischen Orakel. Hoeher als die roemische +Religion steht die etruskische insofern, als sie von dem, was den +Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten +Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt +mit ihren Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische +Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie +entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten +Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Ueber den geistigen +Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie einmal +gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch ihnen ein +geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen +gewesen zu sein. 13. Kapitel Ackerbau, Gewerbe und Verkehr Ackerbau und +Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der aeusseren +Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf +dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht +werden, anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, +namentlich die roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend +zu schildern. Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft +jenseits der Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward +schon bemerkt. Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen +Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen nicht minder als +der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien in +geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme +ueberall, je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem +Masse, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man +es empfand, dass jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die +schoene Sitte, die Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man +dort, wo der kuenftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine +Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische +Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit sprechen laesst, +nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der +Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit +der Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am +klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser +Teil des roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern +gelangt war und also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht +mehr auf der Ansaessigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung +dies Missverhaeltnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer +einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder +ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer allemal nach der +Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die +Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf +der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und +Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf +die Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so +hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu +vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz +in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem +Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder +fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich +eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische +Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die +Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also +im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze +gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der +Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also die +Eroberung, die der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten +verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen Boden abgetreten +haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern an ihrem +Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des Mannes +und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste +und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die +geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft. Dass in +aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den +einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag +unter die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt +ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und +Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhaengen und auch spaeterhin +in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr +haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische Rechtsueberlieferung weiss noch +zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in Vieh und Bodenbenutzung +bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu Sondereigentum +aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste +Bezeichnung des Vermoegens als "Viehstand" (pecunia) oder "Sklaven- und +Viehstand" (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder +und Sklaven als "Schaefchen" (peculium); ferner die aelteste Form +des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur fuer +bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass +des "Eigenlandes" (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder +preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann +^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, +laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel +fest, dass die aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern +als Surrogat dafuer die Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon +die Servianische den aufgeteilten Acker voraussetzt. Aus derselben +Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des Grundbesitzes aus +mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun und zu +leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des Pfluges +gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe +ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt +ward, schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden. +------------------------------------------------------------ ^1 Die +bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten +Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die +Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie +bei den Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes +in jedem wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet +worden, so wuerde doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von +zerstueckelten Hufen ausgehen. Allein es ist vielmehr das Gegenteil +der Fall; die Individualnamen der roemischen Hufen (fundus Cornelianus) +zeigen deutlich, dass der aelteste roemische Individualgrundbesitz +faktisch geschlossen war. ^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. +15) berichtet: Tunc (zur Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum +possessionibus, ex quo pecuniosi et locupletes vocabantur. - (Numa) +primum agros, quos bello Romulus ceperat, divisit viritim civibus. +Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig Kuriendistrikte +teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest +einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16). ^3 Da dieser Behauptung +fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die Zahlen reden. Die +roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der Kaiserzeit rechnen +durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf roemische Scheffel +Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines Heredium +ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es +lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht +nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den +erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer +das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine roemische Familie von +dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber +beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich darauf, dass der +Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie Bauer der +aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die +Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl +richtig, aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die +Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an +Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und intensive +Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit +in Anschlag zu bringen; aber die aeltere roemische Weidewirtschaft war, +wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und +die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner +wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen +Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben +die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen, +als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit +ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um +Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch +mit grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des +zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, +und sie genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme +Defizit, welches auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag +des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch blosse +Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst +dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle +landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer +ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag +eines Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die +Ernaehrung einer Familie ausreichend herausstellt. Man behauptet +nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen mit +Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der +Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen +Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente +zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail +zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden und unterliegt auch noch +anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, dass bei der +nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte Buergerschaft (adsignatio +viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B. +Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den Losen neue +Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den bestehenden +vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I, +p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine +Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums +ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem +weniger bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf +Grundstuecken von sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln +Ertrag nicht auskommen zu koennen. +---------------------------------------------- Die Landwirtschaft ging +wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn war der Spelt +(far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese fleissig +gezogen. --------------------------------------------- ^4 Vielleicht der +juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis zu fuehren, +dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben +koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust. +1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen +zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, +woraus denn gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, +doch einen betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. +Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene nominell hoehere +Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus dem Umstand, dass die Roemer +den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den Spelt aber in den +Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das Dreschen +nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch +heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert +nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen +aber geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. +Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer den +wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von - Scheffel) +drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825 Pfund), an +Spelt (bei einer Aussaat von -1 Scheffel) mindestens sieben Scheffel +zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die +Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der +Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei +gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht +nach aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung +(als Kern") weniger als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet +worden ist, sondern weil es zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser +Art von ueberlieferten und gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die +oben aufgestellte Berechnung auf Weizen gestellt worden; sie durfte +es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht wesentlich abweicht und der +Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist genuegsamer in bezug auf +Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der Weizen; aber +der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht +unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren +Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend +von Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden +3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in +Sueddeutschland, wo der Boden ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen +wird, und ueberhaupt bei vorschreitender Kultur dieser den Speltbau +zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige Uebergang der +italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar +ein Fortschritt gewesen. +-------------------------------------------------------- Dass die Pflege +des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach +Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende +Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt +und diese dem Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen +entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer +recht alten Sage der Koenig Mezentius von Caere von den Latinern oder +den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die Ursache, welche +die Kelten veranlasste, die Alpen zu ueberschreiten, in einer weit +verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen Erzaehlung +die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor allem mit +der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der +Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh +und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige +Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste +Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst +damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot eine tusculanische +Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der Priester das Fest +der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso gehoert hierher nicht bloss die +allgemeine Aufnahme der Weinspende in das Opferritual, sondern auch die +als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte Vorschrift der roemischen +Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein +zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das nuetzliche Doerren des +Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten Getreides untersagten. +Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach +Italien gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten +Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; +es stimmt dazu, dass der Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual +eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie wert +uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, beweisen der Rebstock +und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des Curtischen +Teiches gepflanzt wurden. --------------------------------------- ^5 +Oleum, oliva sind aus elaion, elaia, amurca (PHlhefe) aus amorg/e/ +entstanden. --------------------------------------- Von den +Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in Italien +einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren ebenfalls +mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die +roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen. +--------------------------------------- ^6 Aber dass der vor dem +Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen ward (Plin. nat. 15, +18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in allen guten +Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert. +----------------------------------------- Es waren der Bauer und +dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt die +landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen +Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit +verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, +auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. +Eine selbstaendige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der +Milch bestand wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land +nicht oder nur in sehr beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem +Kleinvieh, das man auf die gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof +Schweine und Gefluegel, besonders Gaense gehalten. Im allgemeinen ward +man nicht muede zu pfluegen und wieder zu pfluegen - der Acker galt als +mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so dicht gezogen waren, +dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war mehr +intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene +Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das +hartnaeckige Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu +wahrscheinlich die geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn +dem praktischen Italiener war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die +mit der ererbten Scholle ueberkommene Bestellungsweise fremd, und +einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der +Anbau von Futterkraeutern und das Berieselungssystem der Wiesen, moegen +schon frueh von den Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig +entwickelt worden sein; begann doch die roemische Literatur selbst +mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und +verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier +machte die Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch +dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und der freieren menschlichen +Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also durchschnittlich +viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und +zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu besorgen. Eigentliche +Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der +Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); waehrend +dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es +ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht +und der Stier. In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische +Bauernstelle in aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte +Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, +den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten Vermoegens gleichsam als +einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war +ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie +sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen Geschlechtsgenossen +zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der +Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils +dadurch, dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang +des Eigentums an der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den +Glaeubiger verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen +Konkurs fuehrende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch +erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr +unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich +unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die Miterben +im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das +aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu jeder +Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder friedlich +zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen Geiste des +roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch, +dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern +nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. +Die Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der +Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass +man sich hierin nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel +zusammengeblieben sind, beweist schon die allgemeine roemische Sitte, +sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde +griff nur indirekt hier ein durch die Ausfuehrung von Kolonien, welche +regelmaessig die Gruendung einer Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig +wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte, +die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem +schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu +erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, +ist nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu +bezweifeln und erklaert sich auch leicht teils aus der Aufteilung der +Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl der in +den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand +von groesseren Grundbesitzern ins Leben rufen musste, teils aus der +Menge der in Rom zusammenstroemenden kaufmaennischen Kapitalien. Aber +eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt auf einen ansehnlichen +Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann fuer diese Zeit +nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition, wonach die +Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an geringe +Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird +urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er +nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in +kleinen Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, +wie dies noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger +konnte Hauskind oder Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann +war, so war sein Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen +des "Bittbesitzes" (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt diesen, +solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel, +um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte +dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des +Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht +notwendig; ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der +Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo +dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von +ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen Endtermins, +teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und den +lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten +Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein +Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, +religioes geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch +nicht. Das durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte +ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. +Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung der +Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der einzelne, konnte +vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen Leuten +gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die +roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der +Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu +Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen +Gutswirtschaft erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern +in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche +Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd blieb, fand sich der +roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als +der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff selber +ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein guter +Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er +nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend +der heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde +durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der +Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit +wesentlich gemindert. Die freien Bittpaechter, hervorgegangen +aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten Leuten und +Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats aus und +waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der kleine +Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. Die +fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem +weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde +Nation nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, +scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden +gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere +Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir spaeter sie finden. +Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren Epoche die "Tageloehner" +(th/e/tes) vielfach an der Stelle der spaeteren Sklaven und hat in +einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die +historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war +doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische, sabinische, +etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders gegenueberstehen +als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er als +Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und +Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab, +lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit +dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er +keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe +vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis +ebenso vielen Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz +wie der mittlere und kleine; sondern es erwuchsen auch in den +verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren die +natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und +eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische +Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen +konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht +demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die +Pflugschar zu fuehren. Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht +betroffen. Es ist der Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der +als Eigentuemer der Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe +fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten +und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden +benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine +maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger +mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum +Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der +einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide +kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum +auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem +Insassen wohl nur ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. +In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft +ueberhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die +urspruengliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte +Land aber wohl groesstenteils sogleich unter die Geschlechter oder +spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt ward. Dass der +Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben +aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus +der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der +Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs +Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden +Einrichtungen, acht Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, +der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der +Faerber, der Toepfer, der Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo +man das Brotbacken und die gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte +und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern selber spannen, der +Kreis der auf Bestellung fuer fremde Rechnung arbeitenden Gewerke wohl +im wesentlichen erschoepft sein wird. Merkwuerdig ist es, dass keine +eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es bestaetigt dies aufs neue, +dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit der Bearbeitung des +Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel fuer den +heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die spaeteste +Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das +staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft +muessen diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser +Bedeutung gewesen sein, die nicht abgemessen werden darf nach den +spaeteren, durch die Masse der fuer den Herrn oder auf seine Rechnung +arbeitenden Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren +gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen Handwerks. Die aeltesten +Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen Streitgott Mamers, +sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem +goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern +gleiche Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers +und der Esse Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen +Festverzeichnis. Auch in dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die +Kunst, die Pflugschar und das Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, +Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von jener hoffaertigen +Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst begegnet. Seit indes die +Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich auf die Ansaessigen +legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl +infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom +Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den +Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch +organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies +wohl der Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und +politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte +hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen +gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich +zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass +unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist +wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von Monopoltendenzen +noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation - freilich sind auch +ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten so voellig +versiegt wie ueber die Gewerke. Dass der italische Handel sich in der +aeltesten Epoche auf den Verkehr der Italiker untereinander beschraenkt +hat, versteht sich von selbst. Die Messen (mercatus), die wohl zu +unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten (nundinae), sind +in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die internationalen +Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit der +Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden +haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, +mochten diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in +Rom zu erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und +vielleicht noch groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche +Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) +im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von +roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste +unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der +Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu +finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der +hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der +Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der +Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher +letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium +und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen +hier die roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten +manchen Hader mit den Sabinern herbei. Ohne Zweifel handelte und +tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste griechische oder +phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier halfen bei +vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus; +hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen +aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste +Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe +gingen; sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich +allgemein stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz +zwischen Gross- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden +besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, +sondern noch darueber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft +zurueck ^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die +Ackerbestellung und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher +Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle +erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf, +wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die "Kupferung" +(aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen, +auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter +noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung +und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten +sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen +Voelker vorliegen. ----------------------------------------------- ^7 +Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich +daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf +zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus +p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe +Bestimmung, wenn nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich +gelten; nur dass hier, wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren +dezimalen das Duodezimalsystem substituiert hat. Dass die Bezeichnung +des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen +(englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt. +----------------------------------------------- In welcher Art +der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen Italiker +einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz +unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen +geringen und unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von +den fremden Nationen zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch +tuskische oder latinische Vermittlung empfingen; woher denn auch der +Mangel staedtischer Entwicklung ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den +Apulern und Messapiern scheint in dieser Epoche noch gering gewesen zu +sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien Griechen und Italiker +friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch in Etrurien ein +ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die aeltesten +Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken schliessen, +die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus +Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt +sind, teils und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische +Gewerbe empfing; denn natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden +Manufakte, ehe man sie nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht +bestimmen, wie weit die Entwicklung der Handwerke vor der Scheidung der +Staemme und dann wieder in derjenigen Periode gediehen ist, wo Italien +sich selbst ueberlassen blieb; es mag dahingestellt werden, inwieweit +die italischen Walker, Faerber, Gerber und Toepfer von Griechenland +oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder selbstaendig sich +entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der Goldschmiede, das seit +unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen sein, nachdem +der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter den +Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn +auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und +Praeneste in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten +Loewen und aehnlichen Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das +einzelne Fundstueck gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt +oder einheimische Nachahmung ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel, +dass die ganze italische Westkueste in aeltester Zeit Metallwaren aus +dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo von der Kunstuebung die +Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur wie die Plastik +in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch griechischen +Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass die +aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen +sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck +noch mit eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem +Ton, nach Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu +schliessen, aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem +Alabaster, darunter mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten +oder eingeschnitzten Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. +Die letzten koennen aus dem Norden auf dem Landweg gekommen sein; +die uebrigen Gegenstaende aber beweisen die Einfuhr von Salben und +Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher kamen Linnen und +Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch der +linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen +Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten +Lehnnamen (linon linum; porph?ra purpura; sk/e/ptron skip/o/n scipio, +auch wohl elephas ebur; th?os thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung +einer Anzahl auf Ess- und Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich +die Benennung des Oels (vgl. 1, 200), der Kruege (amphore?s amp[h]ora +ampulla; krat/e/r cratera), des Schmausens (k/o/maz/o/ comissari), +des Leckergerichts (ops/o/nion opsonium), des Teiges (maza massa) und +verschiedener Kuchennamen (glyko?s lucuns; plako?s placenta; tyro?s +turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina +patan/e/) und des Specks (arvina arbin/e/) in das sizilische Griechisch +Eingang gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, +kerkyraeisches und kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, +beweist eben wie diese sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der +griechischen Toepferwaren nach Italien. Dass die griechische Lederarbeit +in Latium wenigstens bei der Armatur Eingang fand, zeigt die Verwendung +des griechischen Wortes fuer Leder (sk?tos) bei den Latinern fuer den +Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich gehoeren hierher die +zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten Schifferausdruecke, obwohl +die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt: Segel, Mast und Rahe +doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9; ferner die +griechische Benennung des Briefes (epistol/e/ epistula), der Marke +(tessera, von tessara ^10), der Waage (stat/e/r statera) und des +Aufgeldes (arrab/o/n arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die +Aufnahme italischer Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, +sowie der nachher zu erwaehnende Austausch der Muenz-, Mass- und +Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der barbarische Charakter, +den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor allem die +charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta += plako?nta; ampora = amphorea; statera = stat/e/ra), ist der klarste +Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes +(Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische Vorstellungen +bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des Mai gelegt +zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den Sohn der +schoenen Maia. ----------------------------------------------- ^8 Vor +kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen +und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf. +32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum +Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist. +^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies +nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch +antenna kann von ana (anhelare, antestari) und tendere = supertensa +herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern kybernan, ancora +Anker agkyra, prora Vorderteil pr/o/ra, aplustre Schiffshinterteil +aphlaston, anquina der die Rahen festhaltende Strick agkoina, nausea +Seekrankheit naysia. Die alten vier Hauptwinde - aquilo der Adlerwind, +die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, vielleicht +der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind, der +Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende +Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche +Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch +(wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus += ap/e/li/o/t/e/s, Africus = lips). ^10 Zunaechst sind die Marken im +Lagerdienst gemeint, die xyl/e/phia kata phylak/e/n brachea tele/o/s +echonta charakt/e/ra (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des +Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die +Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; +die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. +35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen +Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen Form +spricht fuer verhaeltnismaessig spaete Uebernahme des Wortes. +------------------------------------------ Sonach bezog das aelteste +Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine Luxuswaren aus dem Osten, +bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst zu fabrizieren +versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine +Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann +Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa +im Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide. Aus diesem Stande +des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente ist schon +frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium und +in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen +alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen +Passivhandel fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, +dessen sie notwendig bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder +Sklaven eintauschen, wie denn der uralte Vertrieb der letzteren auf +das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; dagegen musste die tuskische +Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua wie in Spina sich +notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte Wohlstand +dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium +vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies +in allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, +nur mit ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber +finden sich in Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine +Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem suedlichen +Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die +latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck auslaendischer Herkunft +und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer Zeit aufweist, +vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen +die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der +Zeit nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; +Latium hat in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich +beholfen und selbst die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn +nur aeusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von +Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik +wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur +dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten +Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben +Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; +aber in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit +zurueck hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, +dass die nach griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren +auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst +Absatz fanden, waehrend Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt +hat. Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der +Latiner und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den +aeltesten Handel der Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum +etwas aussprechen als die Vermutung, dass er von Spina und Hatria +vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Dass die westlichen Etrusker +sich dreist in die oestlichen Meere wagten und nicht bloss mit Sizilien, +sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten, ward schon +gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die attischen +Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so zahlreich +vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt, +wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt +die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein +gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die +Silberstuecke von Populonia sind nachgepraegt einem uralten, +einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloss mit einem +eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das sich in Athen und +an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden hat +und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss +geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung +der karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die +Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; +es ist beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser +einheimischem Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren +sich gefunden haben, welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten +herruehren koennen, wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen +Handelsmaennern eingefuehrt wurden. Indes darf diesem phoenikischen +Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich nicht +uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen Anregungen und +Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht von den +Phoenikern nach Etrurien gebracht sind. Nach einer anderen Richtung +weist der latinische Verkehr. So selten wir auch Gelegenheit haben, +Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme hellenischer +Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind, eine +vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. +Am deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den +chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern +zugebrachte griechische weicht nicht unwesentlich ab von dem den +Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide Voelker haben also hier +zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer Zeit und an einem +anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern wiederholt sich +dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische Pultuke sind +jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; der +tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische +Ulixes gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso +entspricht der tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, +der roemische Aiax einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische +Aperta oder Apello, der samnitische Appellun sind entstanden aus dem +dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache +und Schrift Latiums ausschliesslich auf den Zug des latinischen Handels +zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede andere Spur, +die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Muenze +von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern, +Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei +den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen +Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische +Bezeichnung der Silbermuenze nomos, das sizilische Mass /e/mina als +nummus und hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so +waren umgekehrt die italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, +quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte +an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den +korrupten und hybriden Formen litra, trias, tetras, ezas, oygkia +schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen +Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- +und Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen +Kupfersystem in ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss +dem Silber der zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell +und vielleicht gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene +Aequivalent eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen +Talents, 1/3 des roemischen Pfundes) als Silbermuenze (litra argyrioy, +das ist "Kupferpfund in Silber") schon in fruehester Zeit namentlich in +Syrakus geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass +die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen; +und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der Handel der +Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld +nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen +Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen +des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den +sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. +Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten +in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und +Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass +er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den Sikelioten, +beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach +Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an Aesculapius, +Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen zeigen. Wenn +der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie Kyme und die +phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur +gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben +erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst +der Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt +hat. Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der +Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den +sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich +ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den +afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke hinreichend belegen, +in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter +Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer beweisend, dass - von +einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten Verkehr der Latiner +mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis +gebricht ^11. ---------------------------------------------------------- +^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen +oertlichen Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar +aus dem Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in +demselben vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich +arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind +offenbar zunaechst Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen +orientalischen Lehnwoertern eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines +aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern aufzuweisen hat. Dass elephas und +ebur von dem gleichen phoenikischen Original mit oder ohne Hinzufuegung +des Artikels, also jedes selbstaendig gebildet seien, ist sprachlich +unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht +verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch +nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus; +mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem +Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, +wie schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden +Fall griechisches Lehnwort. +---------------------------------------------------------- Fragen wir +weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von italischen +Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so +hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle +Wahrscheinlichkeit fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen +Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen +Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten +eindringen koennen, dass sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und +Kupfer gegen Schmuck einhandelten. Was endlich die Personen und Staende +anlangt, durch die dieser Handel in Italien gefuehrt ward, so hat +sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand selbstaendig +gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser +auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang +an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine +Annahme, die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von +mehreren schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse +Grundbesitzer, der von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, +frueh zu dem Besitz von Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; +der ueberseeische Eigenhandel musste also um so mehr dem Gutsbesitzer +zufallen, als er allein die Schiffe und in den Fruechten die +Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz zwischen Land- +und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt; +die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die +Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese +Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige +Darstellung zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern +der Handel der latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein +im wesentlichen ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder +Tarent, sondern war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden +Gemeinde. 14. Kapitel Mass und Schrift Die Kunst des Messens unterwirft +dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hoert seine +Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst ist; sie beide +geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit. +Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen +Bahnen zu folgen. Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die +Begriffe der zeitlichen, raeumlichen und Gewichtseinheit und des +aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das +Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die Natur als naechste +Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder +Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der leichter +misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit +ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag +oder das "Gewicht" (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus +gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit +ihren fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht +das Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente +alles Zaehlens und Messens nicht bloss ueber die Trennung des +griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit +zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde +ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen +Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen +vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu +zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und +Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche +Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt +die bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den +Zahlwoertern bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind +hier alle aeltesten Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es +genuegt, an die so gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, +Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn +Schafen, an die Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt +die durchstehende Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und +Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem +Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses aeltesten +Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern. +Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen +und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei +aeltesten und unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei +Zeichen, I, V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten +Fingers, der offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch +den Phoenikern entlehnt, dagegen den Roemern, Sabellern und Etruskern +gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze zur Bildung einer national +italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des +aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen Verkehrs +der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen erfunden +und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen. +Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; +es gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 +Fuss ins Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im +allgemeinen in denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische +Festsetzungen anknuepfen und wahrscheinlich von den Italikern vor +Beruehrung mit den Griechen entwickelt worden sind, die Teilung des +"Ganzen" (as) in zwoelf "Einheiten" (unciae) vorherrschend. Nach der +Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen Priesterschaften, +die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die etruskischen +Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im roemischen +Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo der Fuss +(pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des +roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem +zusammengesetzte "Trieb" (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. +Im Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein. +------------------------------------------ ^1 Urspruenglich sind sowohl +"actus" Trieb, wie auch das noch haeufiger vorkommende Doppelte +davon, "iugerum", Joch, wie unser "Morgen" nicht Flaechen-, sondern +Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, +mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende +Mittagsruhe des Pfluegers. -------------------------------------------- +Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen +sein mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein +neben der Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung +wohl nur gefunden werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und +Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an +dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf Mondkreislaeufen zuerst dem +Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten +zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines +Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste +duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu +sein und vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen. Als +nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische +Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber +wohl das Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das +heisst diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich +ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste +roemische Fuss ist verschollen; der, den wir kennen und der in +fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus Griechenland +entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in +Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn +Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht +in ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz +Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis, +dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier +roemische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das +roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen +gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die +roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den griechischen +entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach medimnos congius +aus choe?s, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von +ox?baphon) entstanden sind, waehrend umgekehrt xest/e/s Korruption +von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die +gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius +oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer +trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen +Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem +griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : +1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen +Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes +sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben. Die griechischen Zahlzeichen +nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer das griechische +Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen der drei +Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer 100 +zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das +Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich +das Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das +roemische im wesentlichen in Etrurien angenommen ward. In gleicher Weise +ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische Kalender, +nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter unter +griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die +Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes +am unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht +nach zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung +bestimmt, lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und +-untergang wurden auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen +Ausrufer bis in spaete Zeit hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich +einstmals an jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum +naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch die Priester abgerufen. +Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei den +Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon +gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von +dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die +bei der mittleren Dauer von 7? Tagen zwischen sieben- und achttaegiger +Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der +mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 +Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse +Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die +groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann man Tag und +Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der Stundenteilung +sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der Bestimmung +des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme +auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller +und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens +als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht +kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der +Jahresteile bei den Griechen und den Italikern voellig selbstaendig +gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen +Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur +Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit fortgeschritten +zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der Rechnung nach +Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer +Frist von zehn Monaten als eines "Ringes" (annus) oder eines Jahrganzen +traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber auch +noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der +griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, +das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus +der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs +hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung +bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den +Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit +der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in +den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl +die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen +zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender +herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels +vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen +es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche, +wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt +haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen. +Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen +Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische Zeitmessung ist +ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf der aeltesten +griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des +Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme +eines Mondumlaufs von 29 Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12 +Mondmonaten oder 368_ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder +dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate +sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber +durch willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den +wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass +diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern +in Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die sich +geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis +und ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen +Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der +einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies roemische Jahr beginnt mit +Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der einzige, der von +einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius), die drei +folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen (iunius), +der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, sextilis, +september, october, november, december), der elfte vom Anfangen +(ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der +Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der +zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). +Zu dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im +Schaltjahr noch ein namenloser "Arbeitsmonat" (mercedonius) am +Jahresschluss, also hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den +wahrscheinlich aus dem altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate +ist der roemische Kalender in der Dauer derselben selbstaendig: fuer die +vier aus je sechs dreissig- und sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten +und einem jedes zweite Jahr eintretenden, abwechselnd dreissig- +und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des +griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm +gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften +und achten - einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen +Monaten, ferner einem in drei Jahren acht-, in dem vierten +neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes andere Jahr eingelegten +siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + 382 = 1475 +Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der urspruenglichen Einteilung +des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige Wochen; er liess +die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen +Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es +tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. +Er setzte daneben ein fuer allemal das erste Viertel in den +einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den +neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den +fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest +geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der +zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt +zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des +Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen +Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den +Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag +(nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht +Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde +liegende Motiv scheint hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende +Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen +an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen +Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in Unteritalien +uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren des +Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender, +so deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond- +wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit +dem Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein +griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste +griechische, nicht anders als mittels haeufiger willkuerlicher +Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender schwerlich +mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, hoechst +wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der +Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach +zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes +Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des +aeltesten roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird +dieser roemische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen +werden koennen. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und +der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den +Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl +vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsaechlich von +dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkuerlichen, +etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn +beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen +schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von +Unteritalien aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch +zu anderen italischen Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen +Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren. +---------------------------------------- ^2 Aus derselben Ursache sind +saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem Monat wiederkehrenden +(kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder 15.) als auch, +mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45 Jahresfeste. +Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die geraden +Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das +Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai +begangen wird. ----------------------------------------- Zur Messung +mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der Koenige +bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige +Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen +ist. Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit +verbundene Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen +Olympiadenzaehlung der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren +angeknuepft zu haben, die indes infolge der bald in der Abhaltung +der Schatzungen einreissenden Unregelmaessigkeit ihre chronologische +Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat. Juenger als die Messkunst ist +die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben sowenig wie die +Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den italischen +Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus +hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit +Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden +werden koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in +so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, +beweist am besten die Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, +indische, griechisch-roemische und heutige Zivilisation ein einziges, +von Volk zu Volk und von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanztes +Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; und auch dieses +bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame Schoepfung der +Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem +der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, +erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb +denn auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet +erfunden worden ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk +selbstaendig und in hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel +ihnen zugefuehrten aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige +Alphabet erschaffen durch Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte +durch die Verwendung von vier fuer die Griechen als Konsonantenzeichen +unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a e i o und durch +Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der Silbe in die +Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides +sagt: Heilmittel also ordnend der Vergessenheit Fuegt ich lautlos' +und lautende in Silben ein Und fand des Schreibens Wissenschaft den +Sterblichen. Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den +Italikern zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen, +nicht aber durch die Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch +die Kaufleute etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunaechst nach den +uralten Vermittlungsstaetten des internationalen Verkehrs in Latium und +Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die +Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste hellenische: es hatte +schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei +Buchstaben x ph ch und die Abaenderung der Zeichen fuer y g l ^3. Auch +das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische +Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus +dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach +Etrurien und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das +etruskische Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und +nur ein einfaches k ^4 und vom r nur die aeltere Form P; das latinische +kennt, soviel wir wissen, nur ein einziges s, dagegen ein doppeltes +k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die juengere Form R. Die +aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich +wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten +Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt, +soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in +gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach +rechts oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den +Roemern in jener, bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach +Etrurien gebrachte Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten +Charakters dennoch in eine sehr alte, wenn auch nicht positiv zu +bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da die beiden Sibilanten Sigma +und San von den Etruskern stets als verschiedene Laute nebeneinander +gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, das nach +Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige +Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern +der griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San +nebeneinander im Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, +wie wir es kennen, im ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es +nicht unwahrscheinlich, dass in Latium nicht, wie in Etrurien, bloss +eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, sondern die Latiner infolge +ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen Nachbarn laengere Zeit +sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht hielten und den +Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass die +Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die +juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was +sich nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre +griechischen Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich +des griechischen Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch +bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen +griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und dem aelteren des +nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien +frueher geschrieben worden ist als in Rom. +------------------------------------------- ^3 Die Geschichte des +Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, dass +gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem +vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, die +verschiedenartigsten Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung +desselben gemacht worden sind und dass jeder dieser Vorschlaege seine +eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschlaege, die +auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten vor. +Interesse ist, sind die folgenden. I. Einfuehrung eigener Zeichen +fuer die Laute x ph ch. Dieser Vorschlag ist so alt, dass mit einziger +Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta alle griechischen +und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten Alphabete +unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin, +die Zeichen CH xi, PH phi, PS chi dem Alphabet am Schluss anzufuegen, +und in dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme +von Athen und Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen +Griechen Annahme gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und +die der Inseln des Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther +scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i +bereits das fuenfzehnte Zeichen des phoenikischen Alphabets (Samech) X +im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei neuen +Zeichen zwar das PH auch fuer phi, aber das CH nicht fuer xi sondern +fuer chi. Das dritte, urspruenglich fuer chi erfundene Zeichen liess man +wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man +es fest, gab ihm aber den Wert psi. Der kleinasiatischen Schreibweise +folgte auch Athen, nur dass hier nicht bloss das psi, sondern auch das +xi nicht angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant +geschrieben ward. II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man +sich bemueht, die naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu +verhueten; denn saemtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen +die Spuren des Bestrebens, beide Zeichen anders und schaerfer +zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit muessen zwei +Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen +Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den +Sibilanten, wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das +vierzehnte (M) fuer sch und das achtzehnte (S) fuer s, darbot, statt des +letzteren, lautlich angemesseneren vielmehr jenes - und so schrieb man +in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln, in Korinth und Kerkyra und +bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das Zeichen des i durch +einfachen Strich ?, was bei weitem das Gewoehnlichere war und in +nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das +gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in +der Form M auch neben dem ? festhielten. III. Juenger ist die Ersetzung +des leicht mit G g zu verwechselnden l L durch V, der wir in Athen und +Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth abhaengigen +Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem g statt der +haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben. IV. Die ebenfalls der +Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer r R p p und r P wurden +unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere +Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen +Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen +sowohl in dem eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit +aeberwiegt. Doch ist die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so +voellig verschwunden wie die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt +daher ohne Zweifel spaeter. Die Differenzierung des langen und kurzen e +und des langen und kurzen o ist in aelterer Zeit beschraenkt geblieben +auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln des Aegaeischen Meeres. +Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und +geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer +bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann +ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung +gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur +Geschichte des griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die +bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht +geworfen und auch fuer die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und +Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse +Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat, +leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen +einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt. +Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man die +Alphabete nicht nach der Geltung des X als x oder als ch in zwei Klassen +teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26 +Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische, +aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das +gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es +haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den +verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch +verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben +insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als +sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen +Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen +Wechselverhaeltnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist +schon auf den merkwuerdigen Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu +den chalkidischen und dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam +gemacht worden; in jenen sind durchgaengig die primitiven Formen +festgehalten, in diesen die verbesserten Formen angenommen, selbst +solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich gewissermassen +widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete +stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der +italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass +aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, +sondern beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt +besonders die verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend +von den vier oben bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die +italischen Griechen ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien +beschraenkt), die drei ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor +dasselbe auf die Etrusker und Latiner ueberging, war die Differenzierung +von p und r noch nicht geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam, +dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es empfingen, weshalb fuer +r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern +und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefaesses +ausschliesslich die juengere Form begegnet. ^4 Dass das Koppa den +Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht zweifelhaft: denn nicht +bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur desselben, sondern +es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen Gefaesses. Der +Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf +jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein +gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann +zu diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am +Schluss stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen +Wert haben als den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte +ist und das in dem, die Abweichungen .des etruskischen Alphabets von +seinem Muster darlegenden Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend +bleibt es freilich, dass in dem nach Etrurien gelangten griechischen +Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem chalkidisch-dorischen +sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich eine lokale +Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet +zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig +werdendes Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen +Zeiten Willkuer und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet +das achtzehnte phoenikische Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der +Lautschrift verschwundenen im Alphabet festgehalten. ^5 Die vor kurzem +bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887), unter +den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer +Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das +raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel +in den AdI 52, 1880) die aeltere Form des r. +------------------------------------------- Welchen gewaltigen Eindruck +die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die Empfaenger machte und +wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht +ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor Erfindung +des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische +Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus +gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, +verzeichnet ist - offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der +Akklimatisierung der Buchstabenschrift in Etrurien. Nicht minder wichtig +als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte dessen weitere +Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn +hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, +der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit +den Fremden. In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in +der man sich im wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert +bediente, scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po +und in der heutigen Toskana beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist +alsdann, offenbar von Atria und Spina aus, suedlich an der Ostkueste +hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den Venetern und spaeter sogar +zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodass +die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. +Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich +hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter Zeilenschrift, +auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu +unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens f, +wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. +Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und +hat, waehrend sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen +bei saemtlichen sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich +eingebuergert; im weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem +einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und +Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz +oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und Konsonanten +entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber ist nicht +bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen Graeber, sondern +betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in einem +derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in +einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da +das reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ +jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene +Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte. Erscheinen sonach die +Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, Osten und Sueden +der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium +beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich +behauptet; nur fielen g k und z s allmaehlich lautlich zusammen, wovon +die Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (k z) aus der Schrift +verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des +vierten Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte +monumentale und literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme +^7 kennt sie nicht. Wer nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen +der Unterschied von g c und k k noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, +dass also der Zeitraum, wo die Laute in der Aussprache zusammenfielen, +und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem die Abkuerzungen sich +fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege liegt; dass +endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung eines +konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist +verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den +Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten +Eintritt der aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre +1321 vor Christi Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in +Griechenland die Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter +der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche +Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit ist hinreichend +beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein Koenig +Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, und +der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an +Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen +Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Buendnisses, das +Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch Dionysios auf +einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah - freilich +wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars +hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall +grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels +beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die +aelteste derartige roemische Urkunde und das gemeinschaftliche Muster +fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit +scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf Blaetter (folium), +Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), spaeter auch auf Leder +und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten +wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die aeltesten, +im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol +bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch +noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), +an die Anrede im Senat "Vaeter und Eingeschriebene" (patres conscripti), +an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des +albanischen und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon +in der fruehesten Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in +denen die Knaben und Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, +so kann das, aber muss nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde +der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns +die Kunde der aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die +Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung +berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre +Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und +Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu begehren +und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene +schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher +nicht verweigert haben wuerde. +------------------------------------------------------------- ^6 In +diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen +sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der +wir Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner +Entstehung niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber +ihren Text nicht auf das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine +nach dem gallischen Brande vorgenommene offizielle Niederschrift, +beweist die Erzaehlung von der damals erfolgten Wiederherstellung der +Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, dass ihr Text keineswegs +die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie aufwies, auch abgesehen +davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum Auswendiglernen +fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue +Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann. ^7 Dies ist die 1, 227 +angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen hat selbst schon +auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von k. ^8 So ist C +Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen gilt +dieses natuerlich nicht; hier wird g nicht durch c, sondern durch G (GAL +Galeria), k in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), +vor a durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn +eine Zeitlang hat man den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen +Konsonanten durch C ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch +das alte Zeichen des Koppa Q. ^9 Wenn dies richtig ist, so muss die +Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn auch natuerlich nicht gerade +die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in +welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die +Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der Beginn +des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen +Zeit an. ^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann +schreiben. --------------------------------------------- Die Geschichte +der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache und +mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im +Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den +Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich +daraus, dass sie das Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den +Ruecken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe +schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze +mitbrachten. Andererseits enthaelt diese Geschichte der Schrift +eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die spaetere, der +etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische Bildung +aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig +wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern +aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem +eine Spur sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der +latinischen Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass +sie nicht einmal das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich +angeeignet hat ^11. Ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, +sind es vielmehr die Etrusker, die von den Roemern wenigstens +das Zeichen fuer 50 uebernommen haben. +---------------------------------------------- ^11 Das Raetsel, wie die +Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v entsprechende Zeichen +fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat die Spange von +Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit zugleich die +Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen Kolonien +Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet angehoerigen +boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer, +Griechische Grammatik, 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und +ein aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich +naehern. --------------------------------------------- Endlich ist es +charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die Entwicklung des +griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben +besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten +untergegangen, waehrend die Umbrer g d, die Samniten d, die Roemer +g einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso +fielen den Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den +Lateinern finden sich Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte +zeigt sich bei den Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei +Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber +dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich der Samnite und +der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spaetere Roemer sogar +auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden von +den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen maechtigen +Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen Loesung der nationalen +Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmaehlich die +Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und +Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr +Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die +Zerstoerung der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser +Lautzerruettung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also +im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an +jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell +ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von dem, was sonst spurlos +voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese +Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste als irgendeinen +der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer +minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den +Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die +suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, +so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen +wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben. 15. Kapitel +Die Kunst Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang +die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu +den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die +italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, +die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu +vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem +scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die +Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio +finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten +neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere +Komoedie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit +die parodische Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der +Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern +keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen +haben sie es nicht leicht ueber Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer +Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch +die hoechsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, goettliche +Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie Sallustius und +Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen +als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter +wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent weit weniger +hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich +steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und +herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche +Gebiet, insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein +Aeusserliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene +Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf +ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor +die Augen gerueckt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und +bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten +Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der neuen der Meister +aller Nationen geworden. Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer +Ueberlieferung nicht moeglich, die Entwicklung der kuenstlerischen Ideen +bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich +laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur +von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere +ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen +Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit +sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten +Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit +entschiedener hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, +mit dem das roemische Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den +Goetterbildern und den Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und +die lustigen Taenzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der +Juenglinge und der Knaben, alle in roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, +mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Maenner ueberdies behelmt, +ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der +Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf +den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die +aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die "Springer" +und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem +oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, +weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe +ward. Wo aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute +oder, was in aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. +Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem +Begraebnis, und neben der uralten oeffentlichen Priesterschaft der +Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die +Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart +bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen roemischen Polizei +zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und suessen +Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als +ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige +Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide +bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und +gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder +dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen. Den Roemern galt als +das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen Waldeseinsamkeit die +Blaetter sich selber singen. Was der "guenstige Geist" (faunus, von +favere) im Haine fluestert und floetet, das verkuenden die, denen +es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch +gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen +weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und +Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die +Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die +boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft +oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass +in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln +erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die religioesen +Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen +und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein +wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der +Ackerbrueder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient: +------------------------------------------------- ^1 So gibt der aeltere +Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat +hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem +Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich +daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man +nuechtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend +und ausspuckend, die Worte spricht: "Ich denke dein, hilf meinen +Fuessen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil" +(terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27). +-------------------------------------------------------------------- +Enos, Lases, iuvate! Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores! +Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber! Semunis alternei +advocapit conctos! Enos, Marmar, invato! Triumpe! ^2 +-------------------------------------------------------------------- ^2 +Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, +sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! +verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! +Tripudia! Die ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf +fuenfmal wiederholt. Die Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders +der dritten Zeile. Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal +lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied +- asted noisi ope toitesiai pakariuois - duenos med feked (= onus me +fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo +statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter; bemerkenswert +vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische +kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von +et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten. +------------------------------------------------------------ + +an die Goetter Uns, Laren, helfet! Nicht Sterben und Verderben, Mars, +Mars, lass einstuermen auf mehrere. Satt sei, grauser Mars! + +an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie! Brueder + +an alle Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen + +an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf! + +an die einzelnen Springe! Brueder + +Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der +Baliarischen Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit +als die aeltesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu +dem Latein der Zwoelf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der +Sprache Luthers; und wohl duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach +diese ehrwuerdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen. Schon +einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass +es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, +wuerde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, +auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es +ausdruecklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein +Buerger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm +anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines +Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem +Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter auch +zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der +Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne +Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei +dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich +den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen +Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, dass sie schilderten und +erzaehlten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie +das epische entwickelten. Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem +uralten, ohne Zweifel ueber die Scheidung der Staemme zurueckreichenden +Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang +wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhaeltnissen, +dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten +aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht mehrere +Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und +der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich +ueberwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter +trug. So entstanden hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter +unter dem Namen der fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die +Elemente einer volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der +Italiener fuer das Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen +an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden +gepflanzt war. Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen +Epos und Drama. Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht +sich von selbst und wird zum Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie +regelmaessig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des aelteren +Cato Zeit waren dieselben vollstaendig verschollen. Die Komoedien aber, +wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch +lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser +Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Mass, +die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken. Ob +es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft; +die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich +fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte +Rezitation. Dagegen begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das +sogenannte saturnische ^3 oder faunische Mass, welches den Griechen +fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der aeltesten latinischen +Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit spaeteren +Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben. +------------------------------------------ ^3 Der Name bezeichnet wohl +nichts als das "Liedermass", insofern die satura urspruenglich das beim +Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Saeegott +Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Saturnus benannt; sein Fest, die +Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist moeglich, dass +die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden. +Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und +vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus saturnius +mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der +ersten Silbe erst der spaeteren Zeit an. +------------------------------------------ Quod re sua difeidens - +aspere afleicta Parens timens heic vovit - voto hoc souto Decuma facta +poloucta - leibereis lubentes Donu danunt - Hercolei - maxsume - mereto +Semol te orant se voti - crebro condemnes Was, Missgeschick befuerchtend +- schwer betroffnem Wohlstand, Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des +Geloebnis eintraf, Zu Weih' und Schmaus den Zehnten - bringen gern +die Kinder Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten; Sie flehn +zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest. In saturnischer Weise +scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig gesungen worden +zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass namentlich der +Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier +auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische +Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum +vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken +Versmassen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen +mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten +Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem +diese einander entgegengesetzten iambischen und trochaeischen Halbzeilen +wenig geeignet sind, einen fuer hoehere poetische Leistungen genuegenden +rhythmischen Bau zu entwickeln. Die Grundelemente der volkstuemlichen +Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich +festgestellt haben muessen, sind fuer uns verschollen; ausser dass uns +von der latinischen Floete berichtet wird als einem kurzen und duennen, +nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie der Name zeigt, +aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen +Instrument. Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der +latinischen Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der +Harlekin, Bucco der Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus +- Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem +Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomoedie verglichen +hat -, dass diese Masken bereits der aeltesten latinischen Volkskunst +angehoeren, laesst sich natuerlich nicht eigentlich beweisen; da aber +der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die Volksbuehne von +unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in Rom erst +ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da +jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da +endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele +ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal +zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken +an die Anfaenge des roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie +als diese Anfaenge selbst betrachten duerfen. Wenn unsere Kunde ueber +die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spaerlich +fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber +die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil +wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, +namentlich der griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche +letztere den Latinern natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies +schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber +doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und +dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen +zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung +der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf +elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen +wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie +bereits in fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich +die Hellenen und weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche +in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends +begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder +Caere zurueckwiese, und es darf wohl ueberhaupt die phoenikische wie die +etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der +Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische Befruchtung aber blieb +nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die "Saiten" (fides, von +sphid/e/ Darm; auch barbitus barbytos) ist nicht, wie die Floete, in +Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument +gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist +teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre +Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen +bereits in dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige +Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem +poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die +altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des +Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in +Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele +in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen +von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor +allem kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) +wo nicht seine Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl +anders als unter griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als +ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund eines von dem +Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum gewoehnlich bei +der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und +den mit ihm zusammen hausenden Goettern ausgerichtet. Im Festzuge begab +man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit +einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: voran die ganze +Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Buergerwehr zu +Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher beschriebenen +Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener +der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet; +endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst +war das Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf +zu Wagen, zu Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren +jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, +darauf die abgesprungenen Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder +nach roemischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien +(desultor); endlich massen die Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen +Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und +im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal und +zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte +der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die +gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu +legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen +die Wettkaempfe an diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen +Karneval, wobei denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre +Possen entfaltet haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum +Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die +im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine +Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der +erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel +den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte. +----------------------------------------------------------- ^4 +Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie +spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist +mit dem urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso +unvereinbar, wie es nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben +in Etrurien lernten. Dass das Studium der etruskischen Sprache damals +in Rom die Rolle gespielt habe wie etwa jetzt bei uns das +Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten heutigen Bekenner +des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen Haruspicin +etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten, +einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. +O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist +die Angabe von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der +Republik herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren +Annalen, welche zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung +mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5, +28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine +Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine gewisse Kenntnis der +Landessprache bei den vornehmen Roemern erforderte. ^5 Den Gebrauch der +Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4; +Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803. +Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter +nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger +unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der +Musik im Jahre 639 wurden nur der "latinische Floetenspieler samt dem +Saengern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem +Mahle sangen nur zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro +bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das +Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) +von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf Privatgastmaehler +uebertragen. ^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt +haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer +und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu +Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch +die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen sind. Dass in jeder +Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. +44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig Wagenpaare +nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung. +Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei +Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in +den roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es +sogenannte Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die +weisse und die rote. Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der +patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar +wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knuepfte es an den Aufzug +der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt. +---------------------------------------------------------- Solcher +Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen +oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch +in den Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen +Leichenfeier traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr +geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch +den oeffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begraebnis +eingeladen ward. Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng +verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich +zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer +religioesen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der +einzelnen Uebungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros' Zeugnis +von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und +Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in +Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und +dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes +zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten +und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese +Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter +Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen +Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht die ueberwiegende +Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist +keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu +den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie +die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss erfolgt ist (I, +109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere Belustigungsweise - +der "Sprung" (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei +dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Uebung gebliebene Schaukeln +- mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen +Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von dem +ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in +Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch +spadion) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit +in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt sogar ein +ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die Pferde- und +Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere +Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Roemer ausser +den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren +Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken. Es +waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus +denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch +diese selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die +Elemente der Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als +der roemische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren +und den Jagdspiess fuehren lernte und als in Rom jeder Gemeindebuerger +zugleich Soldat war; sondern es genoss die Tanzkunst von jeher +oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen Wettkaempfen +eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik +und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische +Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die +Maskenposse die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische +Einwirkung nicht. Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese +Samenkoerner nicht aufgingen oder verkuemmerten. Die koerperliche +Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tuechtig, aber fern +von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des Koerpers, wie die +hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen Wettkaempfe der +Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber +ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und +ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe +von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und +hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den +griechischen Festspielen war, so kamen die roemischen bald in die +Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten. +Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein +Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht +das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum +die Rede. Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die +Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden +Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen +Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung +kam es nicht. Die italischen Goetter sind Abstraktionen gewesen und +geblieben und haben nie zu rechter persoenlicher Gestaltung sich +gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen, +auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme +Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in +sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der +Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber +kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die +tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der +Poesie, dass sie die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und +aus den Staemmen ein Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie +heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze +der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische +Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum hellenischen +Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium +trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben, +aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch +denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die +Hesiodischen 'Werke und Tage'. Es konnte wohl das latinische Bundesfest +ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der +Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen, wie +er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle +Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder +hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien +blieb ohne nationale Poesie und Kunst. Was hieraus mit Notwendigkeit +folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste in Latium mehr ein +Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch fuer uns noch +unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen wohl +ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied +gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, +die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von +Hellas weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der +Dichter die Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen +trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die aeltere +lateinische Sprache keine Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die +Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und +rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat sich hier frueh +teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und unzuenftige +Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die +Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt +worden; auch die religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern +ausgefuehrt. Die Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die +Klagefrauen (praeficae) unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang +in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen +waren, ehrenvolle und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier +gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der +Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um +so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte und je +mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. +Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb +geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so +schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern +schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in Griechenland immer mehr +Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und +damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie +in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und indem sie +zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht +einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen +Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den +Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von +der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der +Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den +Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese +haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause +und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft +zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden +Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der +Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen Tradition, +die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst +(gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen +Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen +schlichter und ihrer selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach +sind wie tief; aber ueber der Bewunderung, die sie erweckt, darf es +nicht uebersehen werden, dass sie nur durchgefuehrt werden konnte +und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der eigentlichen +individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so +reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen. +----------------------------------------------- ^7 Vates ist wohl +zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der Salier zu fassen +sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem griechischen +proph/e/t/e/s: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort +und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den +Nebenbegriff des gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten. +---------------------------------------------- Ueber die Entwicklung der +musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern mangelt uns so gut wie +jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass auch in Etrurien +die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler (subulones) +frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein +Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom +um geringen Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten. +Bemerkenswerter ist es, dass an dem etruskischen Nationalfest, welches +die saemtlichen Zwoelfstaedte durch einen Bundespriester ausrichteten, +Spiele wie die des roemischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die +dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner +zu einer nationalen, ueber den einzelnen Gemeinden stehenden musischen +Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande. +Anderseits mag wohl in Etrurien schon in frueherer Zeit der Grund gelegt +sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen +und astrologischen Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem +allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden, +Chaldaeern und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell goettlicher +Weisheit angestaunt zu werden. Womoeglich noch weniger wissen wir von +sabellischer Kunst; woraus natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie +der der Nachbarstaemme nachgestanden hat. Vielmehr laesst sich nach +dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstaemme vermuten, dass an +kuenstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am naechsten, die +Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; und eine +gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die +bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie +Naevius, Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften +angehoeren, wogegen Etrurien in der roemischen Literatur fast keine +anderen Vertreter hat als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten +aller herzvertrockneten und worteverkraeuselnden Hofpoeten, und +den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffaertigen und +mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen. Die Elemente der Baukunst +sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes Gemeingut der Staemme. Den +Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist dasselbe bei Griechen +und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen Stroh- oder +Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher +durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung +(cavum aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser +"schwarzen Decke" (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt; +hier werden die Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre +aufgestellt; hier empfaengt der Mann die Gaeste und sitzt die Frau +spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern +man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustuer und der Strasse +dafuer nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der +Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause im Untergewand zu +gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine +Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den Wohnraum herum Schlaf- und +Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und +aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken. +------------------------------------------------ ^8 Dass die Atellanen +und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, sondern +der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt werden. +----------------------------------------------- Ob und wieweit aus +diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik hervorging, ist kaum +zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der fruehesten +Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen +volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste +italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger +unter dem Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen +Zeit. Die uralten Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch +das aelteste unter den kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind +ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae durch +uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende und mit einem grossen +Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In derselben Weise +ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von Tusculum +gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus (tullianum) +am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die +Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore +gleichen sich voellig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des +Albaner Sees hat die groesste Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die +sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in +Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina haeufig vor und gehoeren der +Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken Italiens, obwohl der +groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst viel spaeter, +einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt aufgefuehrt +worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus +grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen +kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus +vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber +die Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme entschied in der +Regel wohl das Material, wie denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur +aus Tuff baute, deswegen der Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie +der beiden ersten einfacheren Arten mag man auf die des Baustoffs und +des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann schwerlich fuer zufaellig +gehalten werden, dass auch der kuenstliche polygone Mauerbau und das +Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden und die unbeschildete +rechte Seite des Angreifers den Verteidigern blosslegenden Torweg den +italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen eignet. Bedeutsame +Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens, der von +den Hellenen zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem +Verkehr war, der eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er +in Etrurien nur in Pyrgi und in den nicht sehr weit davon entfernten +Staedten Cosa und Saturnia begegnet; da die Anlage der Mauer von Pyrgi, +zumal bei dem bedeutsamen Namen ("Tuerme"), wohl ebenso sicher den +Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth, so +steht hoechst wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor +Augen, an denen die Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel +endlich, der in der Kaiserzeit der tuscanische hiess und als eine +den verschiedenen griechischen Tempelbauten koordinierte Stilgattung +betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben wie der griechische ein +gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber welchem Waende +und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im +einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen +Detail, voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem +diesem wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische +Baukunst vor der Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten, +Verhacke und Erd- und Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die +Steinkonstruktion erst in Aufnahme kam durch das Beispiel und die +besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum zu bezweifeln ist es, dass die +Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens kennenlernten und von +ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von chalix), die Maschine +(machina m/e/chan/e/), das Richtmass (groma, verdorben aus gn/o/m/o/n +gn/o/ma) und den kuenstlichen Verschluss (clatri kl/e/thron) ueberkamen. +Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum +gesprochen werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses +neben den durch griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen +manches Eigentuemliche festgehalten oder auch erst entwickelt worden +sein und dies dann wieder auf den Bau der italischen Goetterhaeuser +zurueckgewirkt haben. Die architektonische Entwicklung des Hauses +aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner und selbst der +Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der guten +alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, +sondern nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon +begonnen hatte, das Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem +Muster des menschlichen Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und +dem Geist ein Grabgemach zu errichten. Dass man in Latium zu solchen +Luxusbauten erst unter etruskischem Einfluss vorschritt, beweist die +Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des aeltesten Hausbaustils als +tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser Uebertragung anlangt, so ahmt +der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen Umrisse des Zeltes oder +des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern gebaut und +mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten +Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der +Notwendigkeit und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb +der scharfe griechische Gegensatz zwischen der von Holz +hergerichteten Menschen- und der steinernen Goetterwohnung fremd; die +Eigentuemlichkeiten des tuscanischen Tempels: der mehr dem Quadrat +sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die groessere Weite +der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die gesteigerte +Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber die +tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des +Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues +hervor. --------------------------------------------------------- ^9 +Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils +aus einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier +Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am +Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore +die natuerliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach +aussen durch eine aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen +Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen +Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog sich vor dem +Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die +Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind +in neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen. +Die Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen, +durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, waehrend +die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und +ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den +Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet. +Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des +Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament +gewaltiger Tuffbloecke von drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf +welchem dann aus Bloecken von demselben Material und derselben Groesse, +wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Aussenmauer sich erhob. +Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der oberen Flaeche eine +Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem. Fuss, die +ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine Breite +bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke +aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, +sind erst bei spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen. Den +Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am +Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des +Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom +im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer +Ueberreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind. +^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum. +----------------------------------------------------- Die bildenden und +zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das Haus muss erst +gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu schmuecken. Es ist +nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon waehrend der +roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien, +wo Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird die +Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss +gefasst haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, +stand, wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe +und es moegen wohl die Etrusker in nicht viel spaeterer Zeit von den +Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige +war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von etruskischer +Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermuenzen von Populonia, +fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden +Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen von den +etruskischen Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch +stellten, die besten eben dieser Urzeit angehoert haben, und auch die +etruskischen Terrakotten koennen nicht ganz gering gewesen sein, da die +aeltesten in den roemischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter +Erde, die Bildsaeule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf +seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und die grossen derartigen +Aufsaetze auf den Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern +als "tuscanische Werke" gingen. Dagegen war bei den Italikern, nicht +bloss bei den sabellischen Staemmen, sondern selbst bei den Latinern, +das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen. +Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu +sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht; +dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene +Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in +Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das +Bild der Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, +welches als das aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem +massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea +oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter Zeit in Rom +vorhandenen Zuenfte der Toepfer, Kupfer- und Goldschmiede, welche das +Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst beweisen; von +ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich, eine konkrete +Vorstellung zu gewinnen. Versuchen wir aus den Archiven aeltester +Kunstueberlieferung und Kunstuebung geschichtliche Resultate zu +gewinnen, so ist zunaechst offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie +italisches Mass und italische Schrift nicht unter phoenikischem, sondern +ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich entwickelt hat. Es ist +nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in +der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und +insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten +Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt +auf die drei griechischen Kuenstler: den "Bildner", "Ordner" und +"Zeichner", Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als +zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und zunaechst +nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer +Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbstaendig +entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der +urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten, +so sind doch auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit +nachgeschnitten worden, wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter +griechischer Inschrift sich in Aegina gefunden hat, und koennen also +den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von +dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen. +-------------------------------------------------------- ^11 Wenn Varro +(bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die Roemer mehr als +170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er offenbar +an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen Chronologie +zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne Zweifel +das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro +vorliegenden Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230. +------------------------------------------------------ Auf die weitere +Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die Kunstmuster +zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort +nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der +etruskischen und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, +die in Etrurien wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in +sehr beschraenkter Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei, +die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf +griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet worden. +Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch dem +ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem um +die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines +besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische +Stil dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element +durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage +unter allen griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium +mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen +Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst +versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch fuer die +Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit angenommen +werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen wie im Alphabet +so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und +die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis +widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die +aeltere etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen +Staemmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische +Bau- und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der +westlicheren italischen Staemme nahegetreten. Wenn aber endlich ueber +die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen ein Urteil +gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in +den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher +hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind +und massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter +den latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit +nicht minder wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich +dies allerdings fuer jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso +zweckmaessige wie schoene polygone Mauerbau ist in Latium und dem +dahinterliegenden Binnenland haeufig, in Etrurien selten und nicht +einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken geschichtet. Selbst +in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen Hervorhebung +des Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge +der spaeteren roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen +zu erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau +wiederholt, aber auch verdorben, indem sie die fuer den Steinbau +festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf den Holzbau +uebertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten +Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu +reden, "ein breites, niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen" +gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen +Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial +gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich +angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht +ihre Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein +merkwuerdiges Zeugnis handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig +festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein +Zeugnis auch nur genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben +mag, so gut wie man laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus +der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschliessen +muessen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der +ersten in die letzte Stelle zu versetzen. + + + + +End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 by +Theodor Mommsen + + diff --git a/3060.zip b/3060.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..d2692d8 --- /dev/null +++ b/3060.zip diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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[10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +At our revised rates of production, we will reach only one-third +of that goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we +manage to get some real funding. + +Something is needed to create a future for Project Gutenberg for +the next 100 years. + +We need your donations more than ever! + +Presently, contributions are only being solicited from people in: +Texas, Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, +Iowa, Indiana, and Vermont. 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Therefore, aspirations are +not marked in Greek words, nor is there any differentiation between +the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are +missing as well. + +Theodor Mommsen +Roemische Geschichte +Erstes Buch +Bis zur Abschaffung des roemischen Koenigtums + +Vorrede zu der zweiten Auflage +Die neue Auflage der 'Roemischen Geschichte' weicht von der frueheren +betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten Buechern, welche +die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo die +pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich selbst +Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die +Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit- +und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der Art, +dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. Obwohl der +Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten der Forschung und +der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte, +so blieb dennoch notwendig, hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese +Auflage ist eine Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die +staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der +dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden. +Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung +durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung klarer und +uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten Buche die inneren +Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht, +wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit +wie die Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt +worden. +Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu +loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen +wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der Verfasser +es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht jene leicht +ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr wie +den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es +abgeschlossen und fertig war. +Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten +sich bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte +beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor +Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der Stadt +dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt +worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen +Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt +werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des +Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten +Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das +roemische und griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden, +dass Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und +fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu 100 +Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde +gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000 +Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304 Talern +preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird. +Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische +Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag. +Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. Ein +alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben werden **, +da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so +rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern. +------------- +* Hier in Klammern im Text. +** Karte und Register sind hier weggelassen. +------------- +Breslau, im November 1856 +Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande +dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst gewesen ist, +sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu aufgefundenen Fragmenten des +Licinianus, welche er durch die zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, +Herrn Karl Pertz, bereits vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat +einsehen duerfen und die zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der +Schlacht bei Pydna bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige +Ergaenzung, freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben. +Breslau, im Mai 1857 +Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage +Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage +wird man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden. +Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, wie +das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue Auflagen jede +inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu +wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen +der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als versehen +oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu einer Umarbeitung +groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung dargeboten. Eine Ausfuehrung +ueber die Grundlagen der roemischen Chronologie im vierzehnten Kapitel des +dritten Buches ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe angemessener Weise +in einer besonderen Schrift ('Die roemische Chronologie bis auf Caesar'. Zweite +Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung +der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt worden. +Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert. +Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am 4. +August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober 1902. +Meinem Freunde +Moritz Haupt +In Berlin +Erstes Buch +Bis zur Abschaffung des roemischen Koenigtums + + +Ta palaistera saph/o/s men eyrein dia chronoy pl/e/thos ad?nata /e/n. Ek de +tekm/e/ri/o/n /o/n epi makrotaton skopo?nti moi piste?sai xymbainei oy megala +nomiz/o/ genesthai, o?te kata to?s polemoys oite es ta alla. +Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht +genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im grossen +Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht erheblich waren, +weder in bezug auf die Kriege noch sonst. +Thukydides +1. Kapitel +Einleitung +Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in +die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder +vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in betraechtlicher Breite +ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in +alten Zeiten Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und +sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein +Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die +Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner +des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien an uns +vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen Stammes an dem +suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen Nation, die die +Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und +Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und +der Italiker, welche die europaeischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem +Erbteil empfingen. Wohl knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an +andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren +eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten +Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger Afrikas, +die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen Europas, haben mit +jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach sich beruehrt, aber eine +eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen gegeben noch von ihnen +empfangen; und soweit ueberhaupt Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann +derjenige als eine Einheit gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, +Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen +auf eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation gelangt +war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle Elemente der +Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und entwickelt, bis auch dieser +Kreis erfuellt war, bis neue Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der +Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber +beide Ufer ergossen und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der +noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer an den +Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von der neuen nicht +bloss zufaellig und chronologisch; was wir die neue Geschichte nennen, ist in +der Tat die Gestaltung eines neuen Kulturkreises, der in mehreren seiner +Entwicklungsepochen wohl anschliesst an die untergehende oder untergegangene +Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, +aber auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und +Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen der +Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende Muehe des Schaffens +in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss erworbenen materiellen und +geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst das Versiegen der schaffenden Kraft +in der satten Befriedigung des erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur +ein vorlaeufiges sein; das grossartigste Zivilisationssystem hat seine +Peripherie und kann sie erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, +so wie es am Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in +hoeherem Sinne neu gestellt wird. +Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen +weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den +drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer +erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach Sueden +sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher +Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des +Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu +der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen erreicht. +Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher Richtung fort, anfangs +ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach einer Einsattlung, die eine +Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in einen flacheren suedoestlichen und +einen steileren suedlichen Hoehenzug und schliesst dort wie hier mit der Bildung +zweier schmaler Halbinseln ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu +den Abruzzen hinab sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in +sehr spaete Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, +demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im siebenten +Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten +das Potal Italien einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die +Alpen, sondern der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette +empor, sondern breit durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige +Paesse verbundene Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den +Menschen eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von +dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und +Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von dem +Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen Ruecken des Garganus +inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in einfoermiger Flaeche mit schwach +entwickelter Kuesten- und Strombildung aus. An der Suedkueste aber zwischen den +beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere +Huegelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich +und fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden +Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst +zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und +Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium +und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von Kampanien das +Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem +Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der +Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und groesste +des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor allem +im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, grossenteils +vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die sizilischen +Gebirge die kaum durch den schmalen "Riss" (R/e/gion) der Meerenge unterbrochene +Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich Sizilien in aelterer +Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, +der Tummelplatz derselben Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren +Gesittung. Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemaessigte +Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen Bergen und im ganzen auch +in den Taelern und Ebenen. In der Kuestenentwicklung steht sie ihr nach; +namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation +gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn ueberlegen durch die reichen +Flussebenen und die fruchtbaren und kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der +Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes +Land, das die Taetigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen +Streben die Bahnen in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn +daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach +Osten gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische und +akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die apulischen und messapischen +Kuesten fuer Italien von untergeordneter Bedeutung; und wenn dort diejenigen +Landschaften, auf denen die geschichtliche Entwicklung ruht, Attika und +Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien, Latium und Kampanien nach +Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und fast verschwisterten +Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von +Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich +doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt als auf der naechsten +ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den +Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker vorgezeichnet: die +beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt erwuchs, +warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der andere nach +Westen. +Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht die +Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde +von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien, dann ueber die Welt +gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs +behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu +nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten +Stammes der Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein +Zweig sind. +Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die innere +Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung des latinischen +Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir werden also +darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; +die Gefaehrdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine teilweise +Unterjochung durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch +Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und +deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden italischen +Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der Halbinsel +und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor Christi Geburt +oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der beiden ersten +Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen die Punischen Kriege; er umfasst +die reissend schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an und ueber Italiens +natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen Kaiserzeit und das +Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden +Buechern erzaehlt werden. +2. Kapitel +Die aeltesten Einwanderungen in Italien +Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten Einwanderung +des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im Altertum der Glaube +allgemein, dass dort wie ueberall die erste Bevoelkerung dem Boden selbst +entsprossen sei. Indes die Entscheidung ueber den Ursprung der verschiedenen +Rassen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt +billig dem Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch +wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines Landes +daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist. +Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive +Voelkerschichtung in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der +unvollkommenen zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder +kulturfaehigen oder auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher stehende +Nationen soweit moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend +arm an Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in einem +bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den Ergebnissen der +deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England, Frankreich, +Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische Staemme hier sich +ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr +gestreift haben, das von Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton +oder Knochen verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des +Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise +ging in Indien der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige +Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten +Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die +schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt +die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie sie +die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten der +sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist +bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in +Italien die Existenz des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des +Ackers und das Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen +Italiens das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden +hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede +Spur schlechterdings ausgeloescht. +Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die +Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen, +wie von den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und +den Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich +bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, +deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens +auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet nicht +nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her erfahren hat; diese +sind es, deren nationale Individualitaet die Forschung zunaechst festzustellen +hat. Waeren wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und +der zerruetteten, angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen +brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens +geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte +zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die Aufgabe als +eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer uns eine Quelle der +Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, aber doch authentische +gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit +unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst +geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die +nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen +Sprachen auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen +hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die +Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den +einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. +So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme unterscheiden, +den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, +von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom +und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten +angehoeren. +Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten +Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind +Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in ziemlicher +Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms der Iapyger, welche +auch die Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latinischen und +samnitischen Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren +fuehren dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch +in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um +dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um +positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der +Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht +entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird. Dass +der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen +aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen oio +anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten +Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen +iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in einer +gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer +vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den Hellenen findet +weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften mehrfach hervortretenden +griechischen Goetternamen und in der auffallenden, von der Sproedigkeit der +uebrigen italischen Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die +Iapyger sich hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos' Zeit (400 Roms, +[350]) als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert +der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland aus +dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft geworden, und +selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich vielfache Ansaetze zu einer +analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen Stamm- oder Wahlverwandtschaft der +Iapyger mit den Hellenen, die aber doch keineswegs so weit reicht, dass man die +Iapygersprache als einen rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird +die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes +und besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes +nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich uns +dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volksstamm. +Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere Nationalitaeten sich aufloesende +Charakter der iapygischen Nation passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre +geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, dass dies die aeltesten +Einwanderer oder die historischen Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft +sind die aeltesten Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach +Italien gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht +werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. +Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog +aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der +Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die am weitesten nach Sueden +geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner Italiens sein werden; und eben an +dessen aeusserstem suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation. +------------------------------------------------------- +^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras +artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. +^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine +Tatsache von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, +eine Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen +albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich bestaetigen und +sollten anderseits die Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem +hellenischen und italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener +hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz Griechenland und +namentlich in den noerdlichen Landschaften hervortreten, so wuerde diese +vorhellenische Nationalitaet damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; +Einwanderung der Iapyger in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus +zunaechst noch nicht folgen. +----------------------------------------------------------------- +Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung +zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen desselben +Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit groesserer +Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der iapygischen Nation der Fall war. +Wir duerfen dies Volk billig das italische heissen, da auf ihm die +geschichtliche Bedeutung der Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden +Staemme der Latiner einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen +Auslaeufern, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von +den Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen +Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied sind in +der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in der sie eine Einheit +bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im Lautsystem erscheint bei ihnen +der eigentuemliche Spirant f, worin sie uebereinstimmen mit den Etruskern, aber +sich scharf scheiden von allen hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, +sowie vom Sanskrit selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus +und die haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den +Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines ihrer +Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h. Die +feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit moeglich beseitigen, sind +in den italischen Sprachen wenig beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter +entwickelt worden. Das Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene +Zerstoerung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen +Staemmen und mit den Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in +geringerem als diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im +Umbrischen ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, +sondern spaetere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich +schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den +italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; die +schliessenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im +Samnitischen mit Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch +diese fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den +italischen Sprachen nur geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein +eigentuemliches, durch Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; +ferner dass der groesste Teil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den +Wurzeln es und fu gebildet wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die +reichere Ablautung den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. +Waehrend die italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual +verzichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, +durchgaengig, grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der +Italiker scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in +den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den Beugungen +sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe festhielt. +Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist die in den Gerundien +und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo durchgefuehrte Substantivierung +der Zeitwoerter. +Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten +Beispiele genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem +anderen indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich +sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; der +Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und der Slave +ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen +Dialekte und Staemme unter sich muss frueh und klar den beiden grossen Nationen +selbst aufgegangen sein; denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes +Wort raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen +bezeichnet, und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Opikos, die von +allen, den Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und samnitischen +Stmmen, nicht aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird. +Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in +einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings +sind von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische +Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter und +schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die einen, wie der +volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie +in ihrer Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit +Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der +sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im +provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst +die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen +Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des +grossen italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem +lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch wieder +von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig +sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach - so pis fuer quis; +ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem +Keltischen in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen ist. +In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt den +noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen +Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der +Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwaecht, +was nicht geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter +auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der +ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, im +Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen im +Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern italischen +Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im +Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den +Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete Futur +nach griechischer Art (her-est wie leg-s/o/) bei den Roemern fast, vielleicht +ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder +durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Faelle, zum Beispiel +in den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden fuer die +beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge zusammenfallen. Wenn +also die italische Sprache neben der griechischen selbstaendig steht, so +verhaelt sich innerhalb jener die lateinische Mundart zu der umbrisch- +samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich die +Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten Dialekte +etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und in Sparta. +Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen +Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, +dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein +Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich in +sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese +wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in +Umbrer und Osker auseinander gingen. +Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht +lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen +ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen +Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die +Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig und +vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand, +als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge +der Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der +Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das treue +Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen technischen und +sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen +Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus +welchen alle unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist. +Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen +gleichsprachigen Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und +einen diesem angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in +konventionell festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der +gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem +Wortschatz nicht bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der +Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den +urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die Brust des +Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln +nach, sondern in einer gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut +des indogermanischen Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus +spaeterer Entlehnung erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die +Entwicklung des Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich +fixierten Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gaus ist lateinisch bos, +griechisch bo?s; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch ois; +sanskritisch avas, lateinisch equus, griechisch ippos; sanskritisch hansas, +lateinisch anser, griechisch ch/e/n; sanskritisch atis, griechisch n/e/ssa, +lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus, taurus, canis sanskritische +Woerter. Also schon in dieser fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den +Tagen Homers bis auf unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, +den niedrigsten Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, +ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der Wohnsitze +gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen dafuer, dass schon +damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache spricht eher dagegen als dafuer. +Unter den lateinisch-griechischen Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit +mit einziger Ausnahme von zea, das sprachlich dem sanskritischen yavas +entspricht, uebrigens im Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt +bezeichnet. Es muss nun freilich zugegeben werden, dass diese von der +wesentlichen Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf +abstechende Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche +Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in primitiven +Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung der Pflanzen +schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, der Weizen- und +Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und Haferbau der Germanen und +Kelten koennten an sich wohl alle auf einen gemeinschaftlichen urspruenglichen +Feldbau zurueckgehen. Aber auf der andern Seite ist die den Griechen und Indern +gemeinschaftliche Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, +dass man vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden +Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man schon +Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung ergibt, +so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl der wichtigsten +hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, aber durchgaengig in +allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei den Indern ueberhaupt Flur, +kurnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmutige +ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind uralt; aber +ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide +(granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die +Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der +aeltesten Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht +wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen und zum +Beispiel von dem sanskritischen kurnu sowohl das zum Zerreiben bestimmte Korn +als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch girnos ihre Namen +empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen, dass das +indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss, dass, +wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine durchaus +untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon gewesen, was er spaeter +den Griechen und Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich eingepraegt, +als es geschehen ist. +Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen +sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch domos; sanskritisch veas, +lateinisch vicus, griechisch oikos; sanskritisch dvaras, lateinisch fores, +griechisch th?ra; ferner fuer den Bau von Ruderbooten die Namen des Nachens - +sanskritisch naus, griechisch na?s, lateinisch navis - und des Ruders - +sanskritisch aritram, griechisch eretmos, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer +den Gebrauch der Wagen und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren +sanskritisch akshas (Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch ax/o/n, am- +axa; sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch zygon. Auch die +Benennungen des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch +esth/e/s - und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, lateinisch suo; +sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch n/e/th/o/ - sind in allen +indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren Kunst des Webens laesst +dies dagegen nicht in gleicher Weise sich sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde +von der Benutzung des Feuers zur Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung +derselben uraltes Erbgut der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt +sogar von der Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem +Menschen verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), +vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese Namen +sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die Erze zu scheiden +und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis, lateinisch ensis auf den +uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet. +----------------------------------------------- +^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen +Gerste, Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Geographie +botanique raisonnee. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und +Weizen in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische +Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.). +^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser +weben und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und +Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, und kann +diese erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten unabhaengig +voneinander, in die des Webens uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er +ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die +Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des +Leinoels. Der Hanf ist den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der +Flachs; wenigstens sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort. +----------------------------------------------- +Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf +denen die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die +Stellung von Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum +des Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie +ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche +Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die +positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und +Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und +Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert ueberall +einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft und der Religion +zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft. +Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch atam, ekaatam, +lateinisch centum, griechisch e-katon, gotisch hund); der Mond heisst in allen +Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie der Begriff der +Gottheit selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, griechisch theos) gehoeren +zum gemeinen Gut der Voelker auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen +und Naturbilder. Die Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der +Erde als der Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen +auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die +schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen +wie der griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter +vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf die Namen +ueberein - so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der Zeus, Jovis pater, +Diespiter der Djaus pita der Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der +hellenischen Mythologie ist durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere +indische Goetterlehre ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen +geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern +schon mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche +Windspiel Sarama, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und +Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden Regenwolken zum +Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten treulich in die Welt der +Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn der Sarama, dem Sarameyas oder +Hermeias geworden, und die raetselhafte, ohne Zweifel auch mit der roemischen +Cacussage zusammenhaengende hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des +Helios erscheint nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten +sinnvollen Naturphantasie. +Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der +Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten Welt +angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu +ermitteln, soweit es moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation +sich befand, als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies +keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der italischen +Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte. +Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich +ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die +Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk waren. +Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen +noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein +geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der +chinesischen, aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede +gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen entweder +stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch +keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie +heutzutage die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn +die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten +Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf +Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen +wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig. +Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der Streitwagen, des +Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet weit oefter einen Schluss auf +alten Voelkerverkehr als auf urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen +und Italiker anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten +Beziehungen dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, +wie Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als +voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten +Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller +aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager agros, aro aratrum aro/o/ arotron, +ligo neben lachain/o/, hortus chortos, hordeum krith/e/, milium melin/e/, rapa +raphanis, malva malach/e/, vinum oinos, und ebenso das Zusammentreffen des +griechischen und italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf +altattischen und roemischen Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der +Wahl der aeltesten Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren +mit der Sichel zu schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das +Vieh austreten zu lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls +poltos, pinso ptiss/o/, mola m?l/e/, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, +und wird auch deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder +Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste griechische +Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht die Benennung "Weinland" (Oinotria), die +bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach +muss der Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die +Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, +nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber +bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens +scheinen, als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter +sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu einem +Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die +wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der +indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den +keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen +gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem wohlerworbenen +Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange nicht vollstaendig +und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und Abstufungen durchgefuehrt; +die Durchforschung der Sprachen in dieser Beziehung hat kaum begonnen, und auch +die Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre Darstellung der Urzeit +vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, vielmehr dem groesstenteils +tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es darum hier genuegen, auf +die Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur der indogermanischen Familie in +ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der Kultur derjenigen Epoche, wo die +Graecoitaliker noch ungetrennt zusammenlebten; die Unterscheidung der den +asiatischen Gliedern dieser Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen +Kulturresultate von denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser letzteren, +wie die griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten, +kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst nach weiter vorgeschrittenen +sprachlichen und sachlichen Untersuchungen gemacht werden. Sicher aber ist der +Ackerbau fuer die graecoitalische, wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der +Keim und der Kern des Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im +Volksbewusstsein geblieben. Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich +gruendet anstatt der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, +werden im geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta +oder Estia, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden Nationen +von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen Stammsagen legt dem +Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben muessen, Vitalus oder +Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und +knuepft sinnig die urspruengliche italische Gesetzgebung daran; nur eine andere +Wendung davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien +den Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk +bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter +(Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen +Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk +auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den Italikern wie bei +den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6. +---------------------------------------------------------- +^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen, +mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, +arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben +hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch malunas, +keltisch malirr. +Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen, dass +es eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen nur von der +Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in +Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht dies +nicht darauf, dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich +nach dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es sich +von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung der Staemme noch +nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet mehr oder minder, +die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, als dies spaeter der +Fall war. +^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die +aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung +setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die +Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach, +Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in +Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten +griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber "Ernte" heisst (Anm. 8); +ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt ihren Namen und +ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der Stadtgruendung ist +bekannt. +--------------------------------------------------------- +Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und +die Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie denn +das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben nicht gedacht +werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte +entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist +dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und +zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach Westen, +in deren Schneidepunkt (templum, temenos von temn/o/) er steht, alsdann in +gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch +eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle +(termini, in sizilischen Inschriften termones, gewoehnlich oroi) bezeichnen. +Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen +Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr +alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich +ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern, +sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist +erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, +wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess, +sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss. +Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten der +aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge Verwandtschaft der +Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische Haus, wie Homer es +schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das in Italien bestaendig +festgehalten ward; das wesentliche Stueck und urspruenglich der ganze innere +Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heisst das schwarze Gemach +mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes +ist auch das homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster +Decke. Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist +altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber gehoert +der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht allgemein +indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und Italikern gemeinsame +Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte italische Sitte der +gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, deren Ursprung der Mythus an +die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, von Aristoteles mit den kretischen +Syssitien verglichen; und auch darin trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern +und Lakonen zusammen, dass sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich +ward, auf der Bank liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das +Feuerzuenden durch Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern +gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker zusammen in +den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des "Reibers" (tr?panon, terebra) +und der "Unterlage" (storeys eschara, tabula, wohl von tendere, tetamai). Ebenso +ist die Kleidung beider Voelker wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht +voellig dem Chiton, und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja +selbst in dem so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern +gemein, dass die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was +roemischerseits in den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich +sich ausspricht ^7 und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf +berechneten Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern in +Sprache und Sitte zurueck auf dieselben Elemente alles, was die materiellen +Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die +Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch +eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden. +------------------------------------- +^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte +aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit logch/e/ +zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen +oder Spaniern entlehnt. +------------------------------------- +Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit +sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu +leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters +Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die +Charaktere der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der graecoitalischen +Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen innerlichen +Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen und den Italikern hat +jene tiefe geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren Nachwirkung noch bis +auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind +in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so durchaus national entwickelt +worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Voelker +fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen ist. +Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde die Nation, +dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das schoene und gute +Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang war, dessen politische Entwicklung in +der Vertiefung des urspruenglichen Partikularismus der einzelnen Gaue und +spaeter sogar in der innerlichen Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen +religioese Anschauung erst die Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter +leugnete, das die Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem +Gedanken in aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie +Bahn gab; und jenes roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die +Buerger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte, +das nichts forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger +zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit auszufuellen, das +die keusche Verhuellung des Koerpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, +wer anders sein wollte als die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem +der Staat alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente +hohe Gedanke - wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken +zurueckzufuehren auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und +beide vorbereitete und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen +Schleier lueften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, +die Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine aeltere +Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu +leihen, aber die Richtung zu weisen. +Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in +Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehoert +hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ^8, +welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet +und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises +die Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. +Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose +Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den Griechen +fremd und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien +sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde die +vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei lag, +von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen ihren +Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche und +rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe als ein +gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward. +----------------------------------------------- +^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der +Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder +abgeschlossenen" (gamos epi paid/o/n gn/e/si/o/n arot/o/ - matrimonium liberorum +quaerendorum causa). +----------------------------------------------- +Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der +Nachkommen desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen +wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in der +schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der Geschlechtsverband als +korporative Macht dem Staat gegenueber sich noch weit in die historische Zeit +hinein behauptet hat, erscheint der italische Staat sofort insofern fertig, als +ihm gegenueber die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die +Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger darstellt. +Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht gegenueber in Griechenland +weit frueher und vollstaendiger zur innerlichen Freiheit und eigenartigen +Entwicklung gediehen ist als in Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in +der bei beiden Voelkern durchaus verschiedenartigen Entwicklung der +urspruenglich doch gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt +der Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu, +waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre Vorfahren +urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. Aber waehrend in +Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh verschwindet, wird er bei +den Italikern, und zwar nicht bloss bei den Roemern, zum Hauptnamen, so dass der +eigentliche Individualname, das Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als +sollte die geringe und immer mehr zusammenschwindende Zahl und die +Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders der roemischen Individualnamen, +verglichen mit der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im +Bilde zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung der +Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag. +Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es +fuer die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren +italischen wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch +die Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. Die +"Gesetze des Koenigs Italus", die noch in Aristoteles' Zeiten angewendet wurden, +moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen Institutionen bezeichnen. +Frieden und Rechtsfolge innerhalb der Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach +aussen, ein Regiment des Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der +waffenfaehigen Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten +gewesen sein. Gericht (crimen, krinein), Busse (poena, poin/e/), +Wiedervergeltung (talio, tala/o/ tl/e/nai) sind graecoitalische Begriffe. Das +strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die Rueckgabe des +Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern und zum +Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die Grundgedanken der +roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur zur Bestaetigung oder +Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an sie gebrachten Antraege befugte +Volksversammlung - sind kaum irgendwo so scharf ausgesprochen wie in +Aristoteles' Bericht ueber die aeltere Verfassung von Kreta. Die Keime zu +groesseren Staatenbuenden in der staatlichen Verbruederung oder gar der +Verschmelzung mehrerer bisher selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) +sind gleichfalls beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der +Grundlagen hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als +dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit +erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs wie die +der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. Wie verschieden aber +die auf dieser gleichen Basis in Italien und in Griechenland aufgebauten +Politien waren und wie vollstaendig der ganze Verlauf der politischen +Entwicklung jeder der beiden Nationen als Sondergut angehoert ^9, wird die +weitere Erzaehlung darzulegen haben. +--------------------------------------------- +^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen +ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass +die roemischen Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen, +und doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine +Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes +Spiel treibt, versteht sich von selbst. +--------------------------------------------- +Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas +dem Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter +Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der +roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren +Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen +Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der +Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes (temenos, templum), in manchen +Opfern und Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig +ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so +vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur +weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder +missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den +Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die +graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte, so +schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein +Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken am +Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der Goetter +die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass es, dass +die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer einzelne +Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten bereiten und +geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er den Zeus +auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder auflaechelte, +blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia; und so +maechtig lebten ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald in ihnen +nichts sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene Menschen und +sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl anders, +aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des italischen +Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form ihn +verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel aufschlaegt, +so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet ist Anschauung und dieses +Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und Allgemeine; jedem +Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der Vorratskammer, ist der mit +ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des +Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die +weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden +Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in den +Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit vergeistigt; so wird +beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann angerufen der Geist der +Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, Zudeckens, Eggens und so fort bis zu +dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Oeffnens der Scheuer; und in +aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere physische Ereignis mit +heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise indes die Abstraktion +beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die Ehrfurcht der Menschen; so sind +Jupiter und Juno die Abstraktionen der Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea +Dia oder Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei +den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und +koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, vollkommen +durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der +Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch +zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger festhalten, weil ihm +die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der Allegorie sich zu +trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und allgemeinsten Mythen, zum +Beispiel der den Indern, Griechen und selbst den Semiten gelaeufigen Erzaehlung +von dem nach einer grossen Flut uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des +gegenwaertigen Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt +worden. Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die +hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften +nicht des Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der +platten Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht +maechtiger fassten als die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von +Hellas, davon wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische, +dem Worte wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die +"Religio", das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und +demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, dieses die +Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen +Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die Freiheit, hier +die Notwendigkeit. +Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in +Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten Zeit des +vollen und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. +Die einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus +dieselben: der ehrbare Waffentanz, der "Sprung" (triumpus, thriambos, di- +th?rambos); der Mummenschanz der "vollen Leute" (satyroi, satura), die, in +Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest beschliessen; endlich +das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit +angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt so +deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen und der +Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden Nationen in keiner +anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die Jugendbildung blieb in Latium +gebannt in die engen Schranken der haeuslichen Erziehung; in Griechenland schuf +der Drang nach mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen +Geistes und Koerpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut +gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der +Duerftigkeit seiner kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der +kulturlosen Voelker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den +religioesen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene +Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, derengleichen die Geschichte +nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium gibt es im oeffentlichen wie im +Privatleben keine anderen Maechte als Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen +war es vorbehalten, die beseligende Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in +sinnlich idealer Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den +verlorenen Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden. +So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes +erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die Vorzuege der +Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer Fasslichkeit und von hellerem +Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung +und Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen +Goetter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich +einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit +wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand +wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht bilden lernte wie +Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben das Beste und Eigenste des +griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich machte, von der nationalen Einheit +zur politischen fortzuschreiten, ohne doch die Politie zugleich mit der Despotie +zu vertauschen. Die ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und +ersetzte ihnen selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen +abging; wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht +dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und +Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, nur die +Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. Entschlossen gab +dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit willen und lernte dem +Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der +Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche Keim +darueber verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl, +wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter allen Kulturvoelkern +des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale +Einheit, die ihm endlich ueber den zersplitterten hellenischen Stamm und ueber +den ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand legte. +3. Kapitel +Die Ansiedlungen der Latiner +Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil +Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung ueber +Indien, teils in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz +der Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande +und von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem +asiatischen und dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen +naeher in die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der +beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen, +raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer die Annahme einer +allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung +liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine engere Lokalisierung ist +ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die einzelnen Staemme auf ihren +weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europaeische mag noch nach dem +Ausscheiden der Inder laengere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben; denn +allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt +und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom +Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und +andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist +es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten, +Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen also wohl +vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres +erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette gelangt +sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt +haben moegen, laesst sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem +Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland +gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in ihre +Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten. Der Zug +des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergruecken Italiens in der +Richtung von Norden nach Sueden laesst sich noch deutlich verfolgen; ja die +letzten Phasen desselben gehoeren der vollkommen historischen Zeit an. Weniger +kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog +sie in aehnlicher Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die +ersten sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen erst, +wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die latinischen +Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, dass die Sabeller +sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst von diesen aus, wo es anging, +sich zwischen die latinischen Voelker draengten. +Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer +Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten +Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden, +verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften +zeigen, von einem den Sabellern naeher als den Latinern verwandten Stamm +besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen +Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola +(Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci +(Arbeiter) sind nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, +dass, als Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und +wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausoner, Kampanien innehatten. Auch die +Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften, +die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten +Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt; +es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch +vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung +dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die +Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den +gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in Beziehung +zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber Antiochos von +Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der Brettischen Halbinsel) ein +Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei; und es scheinen +diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen +Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides' Zeit in Italien gab, +und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des +sizilischen Griechisch mit dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus +der alten Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den +alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; nach allen +Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern wahrscheinlich auch die +kampanische und lucanische Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den +Buchten von Tarent und Laos und die oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter +Zeit von verschiedenen Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen. +Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, +Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in +Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten +nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich in +Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der sabinischen +Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer +und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen, eine taetige Rolle in der +Geschichte der Halbinsel zu spielen. +Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden +sind und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner +wie gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die +Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen +bestimmt war. +Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der +grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des +Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber Schicht schoben +desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die +Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner +und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe +ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin durch +das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss des +Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem Vorgebirg +von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem Gestade nur +wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite etruskische Huegelland +sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem +Tiberis, dem "Bergstrom", der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den +sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Flaeche auf teils die +steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im +Suedwesten, sowie die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom; +teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum +Teil es noch sind: die bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das +nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der +Ebene emporragt. +Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen +der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den ausserhalb dieses +Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt werden, der "alten Latiner" +(prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, +ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des +Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen +Bewohnern ein ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die +Waffenruhe stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die +Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die bessere +Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese folgenreiche +Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen Strecken suedlich +vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt, in den Haenden +umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae +sind nicht mehr urspruenglich latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes +Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und +dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig groesser als der +jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die "Ebene" ^1, wie sie von +den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die Landschaft ist eben, aber +nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten +Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche unterbrochen durch maessig hohe, oft +ziemlich steile Tuffhuegel und tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden +Steigungen und Senkungen des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, +deren Verdunsten in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden +organischen Substanzen, die boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in +alter wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, +dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden seien, wie +ihn das Missregiment des letzten Jahrhunderts der Republik und das der Paepste +herbeigefuehrt haben; ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des +Wassers und wirkt noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis +auf einen gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet +der Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum +Teil aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das +Austrocknen der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung +einer dichten ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden +Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht +verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont +sind, eine fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf +einer niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer +das, was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote, +vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger +anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen +der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden, +allein der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung, +Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva +nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus +sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere Wollstoffe +gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht erloeschen liess. Im uebrigen +musste die Landschaft einem einwandernden ackerbauenden Volke einladend +erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne +Duengung ertragsfaehig, ohne nach italienischem Massstab auffallend ergiebig zu +sein; der Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser +ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung jede +frische Quelle. +---------------------------------------------------------- +^1 Wie latus (Seite) und plat?s (platt); es ist also das Plattland im +Gegensatz zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die "Ebene" den +Gegensatz bildet zu Samnium. Latus, ehemals stlatus gehoert nicht hierher. +^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique +des Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die Limagne +in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, +mit einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten +ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die +Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden +vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von +Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt +dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten +spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann +dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal +im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer +einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt +dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden +Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens durch +kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne Zweifel die +Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma. +------------------------------------------------------ +Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in +der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind +darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges indes laesst sich +dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten. +Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl +Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die aeltesten +"Landquartiere" (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen Quartier ist es +ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung der Claudischen Geschlechtsgenossen am +Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der +aeltesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der +spaeter hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne +Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, die den +Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben, soweit sie nicht +gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, Lemonii, Pollii, Pupinii, +Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen Patrizierfamilien, die Aemilii, +Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. +Bemerkenswert ist es, dass unter all diesen Geschlechtern kein einziges +erscheint, das nachweislich erst spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich +wie der roemische, wird jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische +Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter +Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das "Haus" +(oikia) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr haeufig die +Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen +"Haus" (vicus) oder "Bezirk" (pagus von pangere) deuten gleichfalls das +Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch +begreiflicherweise ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein +Acker, so gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die +aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete Zeit +noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der Feldgemeinschaft +bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium selbst sich zu +Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon als +Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage, auf die +wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermoegen, in welcher +Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung gefordert wird, +sich in Latium gestaltet hat ^3, in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung +noch auf aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen +mit beruhen mag. +----------------------------------------------- +^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen +Tag festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert +Koepfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit +gewaehlten Hausvaters (Goszpodar) in demselben Hause beisammen. Das Vermoegen +des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der +Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie +und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z. +B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, +Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen +Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen +moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde. +------------------------------------------------- +Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als +selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen +Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu gegenseitiger +Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff +verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher +Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau +so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, +das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt +des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine +gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die gemeinen +Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag +des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich zusammenfanden und wo sie im +Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in +den Weilern, die aber uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. +Ganz aehnliche alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande +der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heisst in +Italien "Hoehe" (capitolium, wie akra, das Berghaupt) oder "Wehr" (arx von +arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage einer kuenftigen, indem die +Haeuser an die Burg sich anschliessen und spaeterhin sich umgeben mit dem +"Ringe" (urbs mit urvus, curvus, vielleicht auch mit orbis verwandt). Den +aeusserlichen Unterschied zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, +deren die Burg moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel +nur ein einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die +vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen +Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst spaet und zum Teil noch +bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig gelangt sind, wie im Marserland und +in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen sich erkennen laesst. Die +Landschaft der Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern +in unzaehligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher +Mauerringe, die als "veroedete Staedte" mit einzelnen Tempeln das Staunen der +roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre +"Urbewohner" (aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu koennen +meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Staedte +erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, wie sie in aelterer Zeit +ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger kunstvoller Weise angelegt, +bestanden. Dass in derselben Epoche, wo die zu staedtischen Ansiedlungen +uebergegangenen Staemme ihren Staedten steinerne Ringmauern gaben, auch +diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die +Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist +natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher +Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten verlassen und bald +den spaeteren Generationen ein Raetsel. +Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse +Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die +urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen +Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue +sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem +historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die +gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage +darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen +zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb +Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen +Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des +latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen +Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften +Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten +Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und +gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der +Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der +Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen +Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden +her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden +Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor allem +der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand mannshoch +gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges +entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau auf +dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist. +Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten +Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter die ansehnlichen +Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der +Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber, +Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte Mittelpunkte +latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder namhaften und zum +Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren in aeltester Zeit +politisch souveraen und wurden ein jeder von seinem Fuersten unter Mitwirkung +des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch +ging nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen +ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen +religioesen und staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der saemtlichen +latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand urspruenglich nach allgemeinem +italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die +Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie gesagt; +als der aelteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward. Der +berechtigten Gemeinden waren anfaenglich dreissig, wie denn diese Zahl als Summe +der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in Italien ungemein haeufig +begegnet. Welche Ortschaften zu den dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie +sie in Beziehung auf die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den +dreissig albanischen Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht +ueberliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen +Eidgenossenschaften zum Beispiel der Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und +Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das "latinische Fest" (feriae +Latinae), an welchem auf dem "Berg von Alba" (mons Albanus, Monte Cavo) an einem +alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem "latinischen Gott" +(Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu +dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses +an Vieh, Milch und Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck +zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und sind +wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser Verbindung +dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen. Seit aeltester Zeit +schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg von Alba auch Versammlungen +der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der benachbarten latinischen +Dingstaette am Quell der Ferentina (bei Marino); und ueberhaupt kann eine solche +Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des +Bundes und eine fuer die ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde +wegen Verletzung des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem +Fall selbst auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und glaublich. +Auch die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen +Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des aeltesten Bundesrechts +gedacht werden, so dass also der Latiner mit der Latinerin rechte Kinder +erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben und Handel und Wandel treiben +konnte. Der Bund mag ferner fuer die Streitigkeiten der Gaue untereinander ein +Schieds- und Bundesgericht angeordnet haben; dagegen laesst sich eine +eigentliche Beschraenkung des souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und +Frieden durch den Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass +mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg +abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei denn ein Bundesfeldherr, ein +Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, +dass in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu +leisten, oder dass es ihr umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg +selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass +waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen +Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich in +dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit zugestanden. +Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des fuehrenden Gaues zu +bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine Ursache vorhanden ist, in +der albanischen Vorstandschaft eine wahre politische Hegemonie ueber Latium zu +erkennen und dass moeglicher-, ja wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in +Latium zu bedeuten hatte als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. +Ueberhaupt war der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes +vermutlich lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges +Aggregat verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der +rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der latinische +Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfasst haben mag, so hat +er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt - +sein Gegenbild in Griechenland ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern +die boeotische oder aetolische Eidgenossenschaft. +----------------------------------------------- +^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand" (indutiae Macr. Sat. +1, 16; ekecheriai Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt, waehrend +desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). +^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba +einstmals in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei +genauerer Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte +geht nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und +es ist sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach manchem +durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher +einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom +niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen +Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt +hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die +hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen +Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede sein; und +am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, 10 +aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln. +----------------------------------------------- +Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien +schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel, +wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und +geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, und es +muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, dass sie in einem +gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber +doch das Gefuehl der nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und +damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem +jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit +der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte. +4. Kapitel +Die Anfaenge Roms +Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses stromaufwaerts +erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel, hoehere auf dem rechten, +niedrigere auf dem linken; an den letzteren haftet seit mindestens +dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht +angeben, wie und wann er aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten +uns bekannten Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; +und diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in +frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis +fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst sich +nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind. +----------------------------------------------- +^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen +saemtlich aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, +Fabii Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus. +----------------------------------------------- +Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der +Gliederung der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, +dass dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich +ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem +einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, woraus +in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der Gemeinde ist ^3, +zeigt wohl am deutlichsten, dass die Roemer namentlich in staatsrechtlicher +Beziehung fuer "teilen" und "Teil" regelmaessig sagen "dritteln" (tribuere) und +"Drittel" (tribus) und dieser Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die +urspruengliche Zahlbedeutung einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede +dieser drei ehemaligen Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der +gemeinschaftlichen Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten +gleichmaessig vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare +Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, der +Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer, wahrscheinlich auf +diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die +aelteste roemische Buergerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die +unverstaendige Meinung, dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft +hier an und bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen +italischen Rassen als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und +das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion +rein und volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und +sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu verwandeln. +Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst +sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der +komponierenden Elemente des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden +kann. Dass die Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, +da sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die +Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber +die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege +steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die +zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies kann +wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft bewahrte +Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in +die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden +waere. Es mag also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der +sabellische Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf +gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine sabellische +Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da +die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den +Platz vor den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier den +aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener +Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie +viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter +erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius Claudius und +seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese Aufnahme der Claudier +unter die Roemer berechtigt die aeltere der Titier unter die Ramner, die +Gemeinde darum den Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht +einzelner, im Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch +sabellische Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die +latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen Anhalt ^4. Es +waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung einer einzelnen +Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten Stamm die latinische +Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt haette; wobei vor allem +nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern +sich ansaessig machten, die latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht +auf Rom. Das neue dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger +urspruenglich sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner +gewesen war, ein Teil der latinischen Nation. +---------------------------------------------------------------------- +^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht notwendig +verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, aber fuer alle +gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, 15; Hdt. 1, 170). +^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische tritt?s, die umbrische +trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der Gemeinde eine +graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die Dreiteilung der roemischen +Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen +Staemme zurueckgefuehrt werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung +sich also auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im +graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein +scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer +koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen +Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit Sicherheit +nachzuweisen. +^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine Mischsprache +aus griechischen und nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von +allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A. +Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch +in dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte +finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen +Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied zwischen +zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass dies ebenso wohl und +haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher Mischung. +--------------------------------------------------- +Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene +Ramner, Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen +Huegeln ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker +bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag das +"Wolfsfest" sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen Huegel +beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die schlichten Spaesse +patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig genug noch im christlichen Rom +sich unter allen heidnischen Festen am laengsten behauptet hat. +Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer +eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich in keinem +Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Wohl aber +verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer +hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, +waehrend man nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. +Die Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die +der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen in +Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen Quellen- denn +weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem Capenischen Tor noch der +spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu +kommt das haeufige Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in +der Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere +zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler und +Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die Oertlichkeit +nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es ausgesprochen worden, +dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten +Landstrichs sich nicht die erste naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden +Bauern gelenkt haben koenne, sondern dass die Not oder vielmehr irgendein +besonderer Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die +Legende hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage Roms +durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen Fuerstensoehne +Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch der aeltesten Quasihistorie, +die seltsame Entstehung des Orts an so unguenstiger Staette zu erklaeren und +zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von +solchen Maerchen, die Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade +geistreiche Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu +machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch einen Schritt +weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen Lokalverhaeltnisse nicht ueber +die Entstehung des Ortes, aber ueber die Veranlassung seines raschen und +auffallenden Gedeihens und seiner Sonderstellung in Latium eine positive +Vermutung aufzustellen. +Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. +Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in naechster +Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen Mauerring entfernt, +und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren gewesen sein. Gegen Sueden trifft +man in einem Abstand von drei deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden +Tusculum und Alba und es scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter +gereicht zu haben als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. +Ebenso war in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium +bereits am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau +ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, erstreckt er +sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden Ufern des Tiber gegen das +Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der Kueste irgendeine als alter +Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, irgendeine Spur alter Gaugrenze +begegnete. Die Sage, die fuer alles einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu +berichten, dass die roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die "sieben +Weiler" (septem pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig +Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am rechten +Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am linken den +roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der "Muendung" (Ostia) angelegt habe. +Aber dafuer, dass die Besitzungen am etruskischen Ufer vielmehr schon zu der +aeltesten roemischen Mark gehoert haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der +eben hier, am vierten Milienstein der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der +schaffenden Goettin (dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes +und der Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit das +Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen roemischen, eben +hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie, +das heisst Vorstadt gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist +Latiums natuerliche Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande der +notwendige Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die +Grenzwehr des latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepot +fuer den latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums +eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und +der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide Ufer des +Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den Anio herabkommenden +Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der damaligen maessigen Groesse +der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz +gewaehrte als die unmittelbar an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht +seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen +Verhaeltnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die +von ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. Daher +ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war, was fuer Latium +Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und Handelsfreund wurde; daher die +ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und des Brueckenbaues ueberhaupt in dem +roemischen Gemeinwesen; daher die Galeere als staedtisches Wappen. Daher der +uralte roemische Hafenzoll, dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten +(promercale), nicht was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen +von Ostia einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel +war. Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des +gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in Rom. In +diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine +geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die juengste +als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft schon einigermassen +bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche andere Hoehe der Campagna mit +Burgen besetzt, als das latinische Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein +Beschluss der latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines +verschollenen Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der +Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist uns +nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an diese +Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere Beobachtung an. Wo +uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem latinischen Gemeindebund +als einheitlich geschlossene Stadt gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen +Doerfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und +Versammlungen oder im Notfall zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im +roemischen Gau weit frueher beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. +Nicht als ob der Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein +rechtes Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der +Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den +luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben dem Bauer +muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden und +Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die dichte +Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5 Quadratmeilen zum +Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der +aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte, +also mindestens 10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art +einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der +weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf +ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz gegen +die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der Gegensatz ist des +Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder +Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom +zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was +Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings +zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten +Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften +war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen +Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch entwickelte und +damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser +merkantilen und strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger +und ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig +verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene staedtische +Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen +ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren +Anlage mit der Entwicklung des roemischen Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung +notwendig Hand in Hand gegangen sein muss. +Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der +Jahrhunderte Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den +Palatin, in spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von +der regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern +dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei +von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am +Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den palatinischen +Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung wenigstens an den dem +Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin, +dass hier der Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf +dem Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte +"Einrichtung" (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen das Haus +bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde eine Scholle getan +hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die saemtlichen Kurien jede an +ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen Zwecken sich versammelten +(curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der "Springer" (curia saliorum), +zugleich der Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der +"Woelfe" (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und an diesem +Huegel ward die Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde +das strohgedeckte Haus des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters +Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen +angetrieben war, der aus dem Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom +Aventin her ueber das Tal des Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, +aufgeschossene Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den +Glaeubigen gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher +hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. Die +Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt und deshalb verschollen; +nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz um den Mundus, spaeter der Platz +des Apollo genannt, die aelteste Versammlungsstaette der Buergerschaft und des +Senats, die ueber dem Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der +roemischen Gemeinde gewesen sein moegen. +Dagegen hat sich in dem "Fest der sieben Berge" (septimontium) das Andenken +bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um den Palatin sich +gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern erwachsen, eine jede durch +besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den +urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich die +Aussendeiche, angelehnt. Die "sieben Ringe" sind der Palatin selbst; der +Cermalus, der Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach +dem Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den Palatin +mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen Bauten fast ganz +verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der Cispius, die drei +Hoehen des Esquilin; endlich die Sucusa oder Subura, eine ausserhalb des +Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte, unterhalb S. Pietro in +Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin und dem Quirinal angelegte +Festung. In diesen offenbar allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die aelteste +Geschichte des palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal +wenn man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete +Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt. +Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und +urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie +ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten +Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der Servianischen +Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, liegen im Kreise um den +Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse, +worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der +palatinischen Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und +die Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt +mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile +des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche vermutlich +nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; die auf den +Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen den Palatin aus laeuft, +endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von welcher das ganze Quartier den +Namen empfing. Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche Stadt, und der +suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des +Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter liegende Tal hin +sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter gewesen zu sein +als die in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten +Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht. Eine +merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile hat einer der +aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt, das auf dem Anger des +Mars jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde bei +diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten zwischen den Maennern der Subura und +denen von der Heiligen Strasse und je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe +entweder an den mamilischen Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem +Koenigshaus unter dem Palatin angenagelt. Es waren die beiden Haelften der +Altstadt, die hier in gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals +waren also die Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen +ausschliesst - in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie +inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der spaeteren +Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets neben dem +suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich gegolten. Auch noch +andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und Aventin, moegen von der Gemeinde +der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor allem die "Pfahlbruecke" (pons +sublicius) ueber den natuerlichen Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das +Pontifikalkollegium allein buergt dafuer hinreichend - schon damals bestanden +und man auch den Brueckenkopf am etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum +nicht ausser acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs +in ihren Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die +spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen lediglich +aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen praktischen Zweck +offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende sein sollte und jederzeit +leicht musste abgebrochen oder abgebrannt werden koennen: man erkennt daraus, +wie lange Zeit hindurch die roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher +und unterbrochen beherrscht hat. +Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen Ansiedlungen zu +den drei Gemeinden, in die die roemische staatsrechtlich seit unvordenklich +frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer +urspruenglich selbstaendige Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie +freilich auch urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben +Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen gewohnt und +was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, wird der verstaendige +Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen von der Tarpeia und die +Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr werden schon die beiden +Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und Palatin und ebenso das vorstaedtische +jedes in die drei Teile der Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es +zusammenhaengen kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und +palatinischen wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare +Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische Siebenhuegelstadt +vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung von derselben geblieben +als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den +neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen, +also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die +Staette bereitet. +Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem +spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor alters +bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft gegenueber eine +zweite auf dem Quirinal. Die "alte Burg" (Capitolium vetus) mit einem Heiligtum +des Jupiter, der Juno und der Minerva und einem Tempel der Goettin des +Treuworts, in welchem Staatsvertraege oeffentlich aufgestellt wurden, ist das +deutliche Gegenbild des spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und +Minervatempel und mit dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv +bestimmten Tempel der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass +auch der Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens +gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem Palatin +und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und der aelteste +Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt weiter zusammen, dass +dessen Dienerschaft, die beiden uralten Genossenschaften der Springer (salii) +und der Woelfe (luperci), in dem spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind +und neben der palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, +neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, die ihr +Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat ^5. Alle diese +Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen um so hoehere Bedeutung, +wenn man sich erinnert, dass der genau bekannte Umkreis der palatinischen +Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss und dass spaeterhin in dem +Servianischen Rom, waehrend die drei ersten Bezirke der ehemaligen palatinischen +Stadt entsprechen, aus dem Quirinal nebst dem benachbarten Viminal das vierte +Quartier gebildet wurde. So erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der +Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und +Quirinal angelegt ward - hier beruehrten sich ja die beiderseitigen Marken und +musste von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen hatten, +zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgefuehrt werden. +------------------------------------------------ +^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht +daraus hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die +Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die Fabier +zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer auf dem Quirinal +(Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien zusammenhaengen oder nicht. +----------------------------------------------- +Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli +2253) Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem +Luperkalkult zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. +1, S. 17) findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; die +bei den Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist +also entstellt und das Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen +Quinctiliern, sondern den weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die +Quinctier (Liv. 1, 30) oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen +Geschlechtern genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen +und das Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein. +Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom +Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische +Stadt sich die "der sieben Berge", ihre Buerger "die von den Bergen" montani) +sich nennen, die Bezeichnung "Berg" wie an den uebrigen ihr angehoerigen Hoehen, +so vor allem an dem Palatin haftet, so heisst die quirinalische Spitze, obwohl +nicht niedriger, im Gegenteil etwas hoeher als jene, und ebenso die dazu +gehoerige viminalische im genauen Sprachgebrauch nie anders als "Huegel" +(collis); ja in den sakralen Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der +"Huegel" ohne weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe +ausfuehrende Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst +ansaessige Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der +vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte +Servianische das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der +Gegend haftenden Namen der "Roemer" moegen dabei die Huegelmaenner ebenso wie +die von den Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini) sich +genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich eine +Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an Beweisen, welche +ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer stammfremd +zu erklaeren, fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus ^7. +------------------------------------------ +^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, +der Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch +keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem +Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie gezeigt ist, +alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; andrerseits ist es +unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher +lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und +collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung +des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars quirinus, der +speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt +wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel +gefundenen Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der +Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der +Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl +collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet als +der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer. +^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. +1, S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von den +Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene etymologisch-historische +Hypothese, dass das lateinische quiris quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen +Cures verwandt und demnach des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden +sei. Auch wenn die sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, +duerfte daraus der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die +alten Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen "latiarischen +Huegel" gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, aber nicht erwiesen. Mars +quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus fidius sind wohl sabinische, +aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar in der Epoche, wo Latiner und +Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. Wenn an den heiligen Staetten des +spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie der des Semo Sancus +vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta sanqualis), der uebrigens +auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder unbefangene Forscher darin nur +einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht fuer ihre Entlehnung aus +dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, dass alte Stammgegensaetze dennoch +hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet werden; aber wenn dies der Fall war, +so sind sie fuer uns verschollen und die unseren Zeitgenossen gelaeufigen +Betrachtungen ueber das sabinische Element im Roemerrum nur geeignet, vor +dergleichen aus dem Leeren in das Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen. +-------------------------------------------------------- +So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch +die Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei gesonderte +und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen einander gegenueber, +einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani und die Trasteverini. Dass die +Gemeinde der sieben Berge schon frueh die quirinalische bei weitem ueberwog, ist +mit Sicherheit zu schliessen sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und +Vorstaedte als auch aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in +der spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen lassen. +Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer rechten +und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile der Ansiedlung +gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander jaehrlich um das Pferdehaupt +stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch die einzelnen Berge, ja die +einzelnen Kurien - es gab noch keinen gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die +verschiedenen Kurienherde standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch +nebeneinander - moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das +ganze Rom eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche +Stadt gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten und +maechtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der Verteidigung +faehig, also auch wohl beduerftig. Erst der grossartige Wallbau, der dem Koenig +Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom +Palatin und Quirinal, sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen +Anhoehen des Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring +umzogen und somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe +dieses gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden +Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der +Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den andern +latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen Zeiten leerstehenden +Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen Anfang festerer Ansiedlung +darboten, der aeltesten handel- und tatenlosen Epoche des latinischen Stammes +entspricht, wie dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in +den "sieben Ringen" zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen durch +die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem +und freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl auch +zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in der +Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer einheitlichen Grossstadt, der +Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in der die Stadt Rom um die +Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft zu ringen und endlich sie zu +erringen vermochte. +5. Kapitel +Die urspruengliche Verfassung Roms +Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und Geraet +- das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die +Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber +gehen die Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen +Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefasst +und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an schlichter, +aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst vorgezeichneten +Rechtsverhaeltnisse. +Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt +gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des +Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) +angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren rechten +Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem, +einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die +Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich sind, +der Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar +keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem roemischen +Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Uebel, denn er +ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein +Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in fruehester Zeit dem +Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme fremder Kinder anstatt +eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein trug die roemische +Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in der sittlich geordneten +Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann nur der Mann sein; +die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter dem Manne +zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, +die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig gehoert +die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig +hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die vaterlose +unverheiratete Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese sind es und +nicht der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird. +Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin. Befreit +von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden Arbeiten des +Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische Hausmutter sich wesentlich +nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der Spindel, die fuer die Frau +ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde die sittliche Verpflichtung +der Eltern gegen die Kinder von der roemischen Nation voll und tief empfunden, +und es galt als arger Frevel, wenn der Vater das Kind vernachlaessigte oder +verdarb oder auch nur zum Nachteil desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber +rechtlich wird die Familie unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen +allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber ist alles +rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, der Stier und der Sklave, aber nicht +minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die freie Wahl des Mannes zu seiner +Ehefrau wird, so steht auch das Kind, das sie ihm geboren, aufzuziehen oder +nicht, in seinem freien Willen. Es ist nicht Gleichgueltigkeit gegen die +Familie, welche diese Satzung eingegeben hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, +dass Hausbegruendung und Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und +Buergerpflicht sei, tief und ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. +Vielleicht das einzige Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten +Unterstuetzung ist die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren +werden, eine Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung +dachte, zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit Ausnahme +der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie gemeinschaedlich +auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung derselben verwandelte +sich bald aus der rechtlichen Ahndung in religioese Verwuenschung; denn vor +allen Dingen war der Vater in seinem Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der +Hausvater haelt die Seinigen nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat +auch das Recht und die Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und +sie nach Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen +gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken, sein +"eigenes Vieh" (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber rechtlich bleibt +aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit oder durch fremde Gabe, im +vaeterlichen oder im eigenen Haushalte gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und +es kann, so lange der Vater lebt, die untertaenige Person niemals eigenes +Vermoegen haben, daher auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern +und nie vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher +Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch nicht +selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls befugt war zu +veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch den Sohn einem Dritten +zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein Fremder, so wird der Sohn sein +Knecht; ist er ein Roemer, so wird der Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines +Roemers werden kann, seinem Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die +vaeterliche und eheherrliche Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung +ausser der schon erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten +Missbraeuche mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt +wurden; so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn +verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der +Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der Ehemann +den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne vorher die naechsten +Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der Frau, zugezogen zu haben. Aber +eine rechtliche Minderung der Gewalt lag in der letzteren Einrichtung nicht; +denn die bei dem Hausgericht zugezogenen Blutsverwandten hatten nicht zu +richten, sondern nur den richtenden Hausvater zu beraten. Es ist die +hausherrliche Macht aber nicht bloss wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der +Erde verantwortlich, sondern auch, so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich +und unzerstoerlich. Nach den griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der +erwachsene, tatsaechlich selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; +die Macht des roemischen Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das Alter, +nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille +aufzuheben, nur dass die Person des Gewalthabers wechseln kann: denn allerdings +kann das Kind im Wege der Adoption in eines andern Vaters Gewalt kommen, die +Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des Vaters uebergehen in die Hand des +Mannes und, aus ihrem Geschlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den +Gottesschutz des Mannes eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es +ihrem Vater war. Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich +von dem Herrn, als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des +ersteren ward frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung des +letzteren wurde erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich gemacht. Ja, +wenn der Herr den Knecht und der Vater den Sohn verkauft und der Kaeufer beide +freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der Sohn aber faellt durch die +Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere vaeterliche Gewalt. So ward durch +die unerbittliche Konsequenz, mit der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt +von den Roemern aufgefasst wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. +Indes, bei aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an +die Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der +Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch rechtlich +aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch abgesehen davon, dass +sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt, ist voruebergehender und +gewissermassen stellvertretender Art. Weib und Kind sind nicht bloss um des +Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur fuer den Eigentuemer, wie in dem +absoluten Staat die Untertanen nur fuer den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl +auch Gegenstand des Rechts, aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht Sachen, +sondern Personen. Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die Einheit des +Hauses im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert; wenn aber der +Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren ein und erlangen +nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen die bisher vom +Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod des Herrn die rechtliche +Stellung des Knechtes in nichts sich aendert. +--------------------------------------------------- +^1 Es gilt dies nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium +confarreatione), sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar nicht +an sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die +Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung (usus) +ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der Weg geoeffnet, +Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er sie gewann, also namentlich +in der bis zur Vollendung der Verjaehrung verfliessenden Zeit, war das Weib, +ganz wie bei der spaeteren Ehe mit causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, +sondern pro uxore; bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt +sich dieser Satz, dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht +Ehefrau sei, sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3, +14). +^2 Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig, +ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht. +Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt' an und lies ihn durch. +Es deckt der schlechte Grabstein eine schoene Frau. +Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie; +Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann; +Zwei Soehne gebar sie; einen liess auf Erden sie +Zurueck, den andern barg sie in der Erde Schoss. +Sie war von artiger Rede und von edlem Gang, +Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh. +Vielleicht noch bezeichnender ist die Auffuehrung des Wollspinnens unter +lauter sittlichen Eigenschaften, die in roemischen Grabschriften nicht ganz +selten ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta +domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo +diligentia fide par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der +Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis, +lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus non +conspiciendi, cultus modici. +------------------------------------ +Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod des +Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben selbstaendig +gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher Hinsicht sich noch als +eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in vielen anderen Beziehungen Gebrauch +gemacht wird, vor allen Dingen aber, um die Stellung der Witwe und der +unverheirateten Toechter zu ordnen. Da nach aelterer roemischer Ansicht das Weib +nicht faehig ist, weder ueber andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so +bleibt die Gewalt ueber sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut +(tutela), bei dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen +Hausherrn jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen +Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne, ueber die +Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die einmal gegruendete +Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres Urhebers ausstarb; nur +musste freilich von Generation zu Generation faktisch das Band sich lockern und +zuletzt selbst die Moeglichkeit des Nachweises der urspruenglichen Einheit +verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie +und des Geschlechts, oder, nach roemischem Ausdruck, der Agnaten und der +Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfasst nur +diejenigen Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad +ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen, das +Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die Abstammung selbst von einem +gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr vollstaendig die Zwischenglieder, +also nicht den Grad, nachzuweisen vermoegen. Sehr klar spricht sich das in den +roemischen Namen aus, wenn es heisst: "Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des +Quintus und so weiter, der Quintier", so reicht die Familie so weit, als die +Aszendenten individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt +ergaenzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, +der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat. +Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn +vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen Familien- +und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar nicht die Gaeste, das +sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, welche voruebergehend in einem +fremden Hause verweilen, und ebensowenig die Sklaven, welche rechtlich nur als +Habe, nicht als Glieder des Hauses angesehen werden, aber wohl die Hoerigen +(clientes, von cluere), das heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie +Buerger irgendeines Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande +geschuetzter Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen +Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils +diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner +Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit geschenkt +hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit nicht ein streng +rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein unfreier Mann, fuer den +Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. Darum bilden die "Hoerigen" +(clientes) des Hauses in Verbindung mit den eigentlichen Knechten die von dem +Willen des "Buergers" (patronus, wie patricius) abhaengige "Knechtschaft" +(familia); darum ist nach urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das +Vermoegen des Klienten teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn +vorkommenden Falls in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu +strafen; und es sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn gegen den +Klienten nicht so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schaerfe +dieses hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite +die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu sorgen und +sie zu vertreten, bei dem tatsaechlich freier gestellten Klienten groessere +Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders musste die faktische +Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich naehern, wo das Verhaeltnis durch +mehrere Generationen hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der +Freigelassene selber gestorben waren, konnte das Herrenrecht ueber die +Nachkommen des Freigelassenen von den Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht +ohne schreiende Impietaet in Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem +Hause selbst sich ein Kreis abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich +ebenso unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen. +Auf diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen +als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten +Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier, +Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus den vereinigten Marken dieser +Geschlechter; roemischer Buerger war, wer einem jener Geschlechter angehoerte. +Jede innerhalb des Kreises in den ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als +echte roemische und begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in +unrechter oder ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband +ausgeschlossen. Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die "Vaterkinder" +(patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die Geschlechter +wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien dem Staat, wie sie +bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und Geschlechterkreise blieben innerhalb +des Staates bestehen; allein dem Staate gegenueber galt die Stellung in +denselben nicht, so dass der Haussohn im Hause unter, aber in politischen +Pflichten und Rechten neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen +aenderte sich natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines +jeden Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar +blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, der sie +angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass von dem Gottesdienst und +den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht +gaenzlich ausgeschlossen werden konnten, wenn auch die eigentlichen +buergerlichen Rechte wie die eigentlichen buergerlichen Lasten +selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so mehr galt dies von den +Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand der Staat wie das Haus aus den +eigenen und den zugewandten Leuten, den Buergern und den Insassen. +Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter +sind, so ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der +Familie nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem +dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich +bestehen soll, findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen +nicht, die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes +Gnaden sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter +(rex) und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in spaeterer Zeit +in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die wohlversperrte +Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und die roemischen Penaten zu +finden sind - sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend, +das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt beginnt, wenn das Amt erledigt und der +Nachfolger bezeichnet ist, sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist +die Gemeinde dem Koenig erst schuldig, wenn er die Versammlung der +waffenfaehigen Freien zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat. +Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater +zukommt, und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern +der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt alle +Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im Namen der +Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze Volk, obwohl sonst kein +Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft +gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmaechtig im Frieden wie im Kriege, +weshalb die Boten (lictores, von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall +voranschreiten, wo er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, +oeffentlich zu den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem +Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht und die +Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich Stockschlaege wegen +Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in allen privaten und kriminellen +Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt ueber Leben und Tod wie ueber die +Freiheit, so dass er dem Buerger den Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen +oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland +anordnen kann; der Berufung an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem +Bluturteil stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet +das Volk zum Kriege auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muss er bei +Feuerlaerm persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause +nicht der Maechtigste ist, sondern der allein Maechtige, so ist auch der Koenig +nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er mag aus den der +heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen Maennern +Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er mag, um sich die +Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse andern uebertragen, die +Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der +minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung der Verbrechen; er mag namentlich, +wenn er den Stadtbezirk zu verlassen genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus +urbi) mit der vollen Gewalt eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber +jede Amtsgewalt neben der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder +Beamte nur durch den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der +aeltesten Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer +(tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei (celeres), +sind nichts als Beauftragte des Koenigs und keineswegs Magistrate im spaeteren +Sinn. Eine aeussere rechtliche Schranke hat die Koenigsgewalt nicht und kann sie +nicht haben; fuer den Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter +innerhalb der Gemeinde wie fuer den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod +beendigt seine Macht. Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, +auf den im Fall der Vakanz das "Zwischenkoenigtum" (interregnum) uebergeht. Eine +formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst nach der +Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden Kollegium der +Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger der Gewalt den neuen +Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird "der hohe Goettersegen, unter dem die +beruehmte Roma gegruendet ist", von dem ersten koeniglichen Empfaenger in +stetiger Folge auf die Nachfolger uebertragen und die Einheit des Staats trotz +des Personenwechsels der Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese Einheit des +roemischen Volkes, die im religioesen Gebiet der roemische Diovis darstellt, +repraesentiert rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht die des +hoechsten Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss +geht, der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene +Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in gleicher +Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen Verfassung eine +Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott und Koenig in +aegyptischer und orientalischer Weise ineinander verschwommen. Nicht der Gott +des Volkes ist der Koenig, sondern viel eher der Eigentuemer des Staats. Darum +weiss man auch nichts von besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts +oder von irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff +waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit frueheren +Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr kann rechtlich +jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib gesunde roemische Mann +zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also eben nur ein gewoehnlicher +Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem aber die Notwendigkeit, dass einer +Herr sein muesse in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen, +den Bauer ueber Bauern, den Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater +unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so +unterwirft sich der Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen Besseren +zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Koenigsgewalt. +Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel +Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute schmaelern, +er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig +eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber wenn er es tat, so vergass er, +dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von +dem Volke, das er vertrat, und wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides +vergass, den es ihm geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber der +Koenigsgewalt lag darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu aendern +befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der +Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein musste oder ein +nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So +ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im tiefsten Grunde +verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im modernen Leben so +wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen Staat ein entsprechendes Abbild +vorhanden. +----------------------------------------------- +^3 Dass Lahmheit vom hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das +roemische Buergertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, +versteht sich so sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien +ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen. +----------------------------------------------- +Die Einteilung der Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl +mit curare = coerare, koiranos verwandt); zehn Pflegschaften bilden die +Gemeinde; jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie +equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei kombinierten +Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als Teil (tribus) der ganzen +Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit +der Zahl der Teile. Diese Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den +Personalbestand der Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die +Feldmark, soweit diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, +sondern auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter +den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend +gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum Beispiel +Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser aeltesten Zeit der +Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, von denen schon die Rede +war. +In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet diese Verfassung in dem Schema der +spaeterhin unter roemischem Einfluss entstandenen latinischen oder +Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten dieselben hundert Ratmaenner +(centumviri). Aber auch in der aeltesten Tradition ueber das dreiteilige Rom, +welche demselben dreissig Kurien, dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; +dreitausend Fusssoldaten beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen +hervor. +------------------------------------------ +^4 Selbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh +verschwunden ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, und +merkwuerdig genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, +unter allen deren unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten +zuhalten, bei der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn +Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in der +Dreissigkurienverfassung sind. +------------------------------------------- +Nichts ist gewisser, als dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in +Rom entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, +vielleicht sogar ueber die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen +Dingen sehr glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen +Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die +Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im vollsten +Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom, sondern tritt in dem +neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als +wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts ueberhaupt. +Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die "Teile" +koennen schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen sein, weil ihr Vorkommen +ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufaellig ist; wo es deren gab, kam ihnen +sicher keine andere Bedeutung zu, als dass das Andenken an eine Epoche, wo diese +Teile selber Ganze gewesen waren, sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends +ueberliefert, dass der einzelne Teil einen Sondervorstand und +Sonderzusammenkuenfte gehabt habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht +dafuer, dass im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es +zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden sind. +Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare, als es Teile +gab; aber es befehligte nicht jedes dieser Kriegstribunenpaare das Kontingent +einer Tribus, sondern sowohl jeder einzelne Kriegstribun wie alle zusammen +geboten ueber das gesamte Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen +Kurien verteilt, die Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur +gegeben. Darauf, dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise +eingegriffen hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes +gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in der roemischen +Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall ist dies nur in so +beschraenkter Weise geschehen, dass der verwandtschaftliche Grundcharakter des +Geschlechtes dadurch nicht veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl +der Geschlechter, noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als +rechtlich fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu +stellen hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem +Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger genommen hat. Das +einzig funktionierende Glied in dem aeltesten Verfassungsorganismus ist die +Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. +Eine solche Pflegschaft war eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder +wenigstens zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem +besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen curialis) +hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und geschaetzt, und im +Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und stimmte nach Kurien ab. +Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der Abstimmung wegen eingefuehrt sein, +da man sonst sicherlich die Zahl der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde. +------------------------------------------------------- +^5 Es liegt dies schon im Namen. Der "Teil" ist, wie der Jurist weiss, +nichts als ein ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der Gegenwart +ohne alle Realitaet. +------------------------------------------------------- +So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen war +innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es kein Volk, +das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des andern Satzes es +den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des Gegensatzes zwischen +Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern tritt vielleicht nirgends mit solcher +Deutlichkeit hervor wie in der Behandlung der uralten Institution des +Ehrenbuergerrechts, welches urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu +vermitteln. Wenn ein Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger +hineingenommen ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo +er dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem ihm +neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in Hellas immer +geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in mehreren Gemeinden +gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger entwickelte Gemeindegefuehl +Latiums duldete es nicht, dass man zweien Gemeinden zugleich als Buerger +angehoeren koenne, und liess fuer den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht +die Absicht hatte, sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen +Ehrenbuergerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und +Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher vorgekommen +war. +Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen aussen ging Hand in +Hand, dass aus dem Kreise der roemischen Buergergemeinde jede +Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Dass die +innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt +werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde +bereits erwaehnt; derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, +konnte also als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. +Standesvorzuege aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den +Lucerern in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen +Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der +Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine Eliten- oder +Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die wohlhabendste, +bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich schloss, war natuerlich +angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch dieser Gegensatz war rein +tatsaechlicher Art und der Eintritt in die Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier +gestattet. Es war einzig und allein die verfassungsmaessige Gliederung der +Buergerschaft, welche rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die +rechtliche Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen +Erscheinung durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde +vor den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem noch +nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber durfte der Reiche und Vornehme +wie der Arme und Niedriggeborene oeffentlich nur erscheinen in dem gleichen +einfachen Umwurf (toga) von weissem Wollenstoff. Diese vollkommene +Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel urspruenglich begruendet in der +indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser Schaerfe der Auffassung und +Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten und der folgenreichsten +Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und wohl mag man dabei sich +erinnern, dass in Italien keine den latinischen Einwanderern botmaessig +gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und geringerer Kulturfaehigkeit begegnet und +damit die hauptsaechliche Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen, +der spartanische und thessalische und wohl ueberhaupt der hellenische Adel und +vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft hat. +Dass der Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von +selbst. Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die +Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die Buerger +sind zugleich die "Kriegerschaft" (populus, verwandt mit populari verheeren); in +den alten Litaneien ist es die "speerbewehrte Kriegsmannschaft" (pilumnus +poplus), auf die der Segen des Mars herabgefleht wird und selbst die Benennung, +mit welcher der Koenig sie anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des +Wehrmanns gefasst. In welcher Art das Angriffsheer, die "Lese" (legio) gebildet +ward, ist schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand +sie aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen oder +flexuntes, die Schwenker) unter den drei Abteilungsfuehrern der Reiter (tribuni +celerum) ^7 und drei Tausendschaften der Fussgaenger (milites) unter den drei +Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni militum); letzteres war vermutlich von +Haus aus der Kern des Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl +ausser Reihe und Glied fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen +gekommen sein ^8. Der Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser dem +Kriegsdienst konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger treffen, wie +die Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im Kriege wie im Frieden +(I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker oder zur Anlage oeffentlicher +Bauten; wie schwer namentlich der Bau der Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, +zeigt, dass der Name der "Fronden" (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine +regelmaessige direkte Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte +regelmaessige Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es +derselben nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt oeffentliche +Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine solche ueberhaupt +vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet ward, den zunaechst +die Auflage traf, oder auch von dem, der selber nicht dienen konnte oder wollte. +Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst noetigen Opfertiere wurden durch eine +Prozesssteuer beschafft, indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag, eine nach +dem Werte des Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den +Staat erlegte. Von stehenden Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird +nichts berichtet. Dagegen flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, 62), sowie +die Einnahme von den Domaenen, namentlich der Weidezins (scriptura) von dem auf +die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die die +Nutzniesser der Staatsaecker an Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der +Ertrag der Viehbussen und Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen +endlich wurde eine Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene +Anleihe betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe +die Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht +entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig leitete +die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, das, nach den Angaben +ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten roemischen Koenigsgeschlechts der +Tarquinier zu schliessen, regelmaessig bedeutend gewesen sein muss, fiel das +Staatsvermoegen nicht zusammen und namentlich der durch die Waffen gewonnene +Acker scheint stets als Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der +Koenig in der Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen +beschraenkt war, ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere Entwicklung, +dass die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann, wogegen es Sitte +sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des im Kriege +gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten. +---------------------------------------- +^6 Quiris quiritis oder quirinus wird von den Alten gedeutet als der +Lanzentraeger, von quiris oder curis = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern +zusammen mit samnis, samnitis und sabinus, das auch bei den Alten von sa?nion, +Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an arquites, +milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die im Tausend, die zu +Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen Oberwurf gehen, auch unrichtig +sein, sie ist mit der roemischen Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen. +Ebenso werden die Juno quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als +speerschwingende Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist quiris der +Wehrmann, das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der Sprachgebrauch ueberein. Wo +die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, wird nie von Quiriten gesprochen, +sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma, populus, civis, ager Romanus), +weil die Benennung quiris so wenig eine lokale Bedeutung hat wie civis oder +miles. Eben darum koennen auch diese Bezeichnungen nicht miteinander verbunden +werden: man sagt nicht civis quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen +Standpunkten aus, denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet die +feierliche Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass "dieser Wehrmann mit Tode +abgegangen" (ollus quiris leto datus), und ebenso redet der Koenig die +versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und spricht, wenn er zu Gericht sitzt, +nach dem Rechte der wehrhaften Freien (ex iure quiritium, ganz gleich dem +juengeren ex iure civili). Populus Romanus, quirites ( populus Romanus quiritium +ist nicht genuegend beglaubigt) heisst also "die Gemeinde und die einzelnen +Buerger" und werden darum in einer alten Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus +die prisci Latini, den quirites die homines prisci Latini entgegengesetzt +(Becker, Handbuch, Bd. 2, S. 20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur +sprachliche und sachliche Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe +der roemischen Gemeinde einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden +und nach deren Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den der +aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. Vgl. 1, 68 +A. +^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt Dionysios (2, 64) +nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Fuehrer der Reiter (oi +/e/gemones t/o/n Keleri/o/n). Nach dem praenestinischen Kalender wird am 19. +Maerz ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus pon]tificibus et +trib(unis) celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der +aeltesten roemischen Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen +in der Schrift 'De viris illustribus' 1 Celer selbst centurio genannt wird. +Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen sein +(Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die Verbannung der +Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15; +19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm schoepfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den +tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem magister equitum des +republikanischen Diktators, dem Praefectus Praetorio der Kaiserzeit. +Von diesen Angaben, den einzigen, die ueber die tribuni celerum vorhanden +sind, ruehrt die letzte nicht bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen +Gewaehrsmaennern her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, +welcher nur "Teilfuehrer der Reiter" heissen kann; vor allen Dingen aber kann +der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte +Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen sein mit +der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also stehenden Magistratur. +Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der Nachricht des Pomponius, die +offenbar lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit +historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum +den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die +Abteilungsfuehrer der Reiter gewesen sind, also voellig verschieden von dem +Reiterfeldherrn. +^8 Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und arquites +und die spaetere Organisation der Legion. +------------------------------------------ +Indes nicht bloss leistend und dienend erscheint die roemische +Buergerschaft, sondern auch beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten +hierzu die Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht +waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die "Lanzenmaenner" +(quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief, um ihnen +eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie foermlich auf die +dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten hiess (comitia), um sie nach +Kurien zu befragen. Ordnungsmaessig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24. +Maerz und zum 24. Mai, dergleichen foermliche Gemeindeversammlungen an und +ausserdem, so oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger +nicht zum Reden, sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. +Niemand spricht in der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu +gestatten fuer gut findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache Antwort auf +die Frage des Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung, ohne Bedingung, ohne +Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die roemische Buergergemeinde eben wie die +deutsche und vermutlich die aelteste indogermanische ueberhaupt die eigentliche +und letzte Traegerin der Idee des souveraenen Staats; allein diese +Souveraenitaet ruht im ordentlichen Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier +nur darin, dass die Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher +freiwillig verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt +angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und +botmaessig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise +anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden +durfte, als die ihr ganz aehnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert +werden darf. Es war durchaus folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der +Souveraen, ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich +nicht beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die +Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich +souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der +Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden Rechtsordnung +oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem einzelnen Fall notwendig +wird; und hier tritt denn auch in der roemischen Verfassung ohne Ausnahme die +Buergerschaft handelnd auf, so dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt +vollzogen wird durch das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder +Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und Regierten selbst +durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig sanktioniert wird, so wird +auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande gebracht durch eine +Anfrage (rogatio), welche der Koenig an die Buerger gerichtet und welcher die +Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel +auch verweigert werden durfte. Darum ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, +wie wir es fassen, der von dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder +gerichtete Befehl, sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des +Staates durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen +Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Faellen, die der ordentlichen +Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann jeder +unbeschraenkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass +er dasselbe sofort aufgibt; dass das Eigentum vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe +und bei seinem Tode auf einen andern uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es +sei denn, dass ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloss die auf +dem Markt versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft +bewilligen konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen +Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit nicht +verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan ist, sich +nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn, dass ihm die +Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im gewoehnlichen Rechtslauf +kann das Buergerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren +werden - es sei denn, dass die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen +Aufgeben gestatte, was beides unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss +nicht in gueltiger Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft +den todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter nach +Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, da der Koenig +nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass der zum Tode verurteilte +Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der Richter ihm die Betretung des +Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang der Provokation, die darum auch +vorzugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen +ist, sondern dem gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im +gewoehnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige +Vertrag nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill die +Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie notwendig +befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem +Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim +Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an +die gewoehnliche Versammlung der Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich +ueberhaupt, wenn der Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des +bestehenden gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und +insofern ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des +Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen und in allen +aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der Gemeinde nicht mit +rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein zum Patrizier erklaerte Mann +blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es konnte der nichtige Akt nur etwa +faktische Folgen erzeugen. Insofern war also die Gemeindeversammlung, wie +beschraenkt und gebunden sie auch auftrat, doch von alters her ein konstitutives +Element des roemischen Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als +neben dem Koenig. +-------------------------------------------------------- +^9 Lex, die Bindung (verwandt mit legare, zu etwas verbinden) bezeichnet +bekanntlich ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines +Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach +annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der Fall zu +sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent der Koenig, der +Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung des letzteren ist also auch +sprachlich praegnant bezeichnet. +-------------------------------------------------------- +Aber neben dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der +aeltesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln +bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben beide und +innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies ist der Rat der Alten +oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe hervorgegangen aus der +Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, dass in dem urspruenglichen Rom +die saemtlichen Hausvaeter den Senat gebildet haetten, ist staatsrechtlich +insofern richtig, als jedes der nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter +des spaeteren Rom seinen Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der +aeltesten Stadt als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies +wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, +wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst +jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, sei es +durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es durch Erbfolge +bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat nichts +gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom +Koenig wie von der Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der +letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten +gewissermassen eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings +ist jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem +latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der erste und +vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu +entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, moeglicherweise in Latium +lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie wir das roemische Geschlecht +kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt und zur Vertretung des +gemeinsamen Patriarchen, von dem alle Geschlechtsmaenner abstammen oder +abzustammen behaupten, von den lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner +vorzugsweise berufen, so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem +Geschlecht ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht +werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates der +Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige Rechtsfolgen +uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung des Senats, wonach +er etwas anderes und mehr ist als ein blosser Staatsrat, als die Versammlung +einer Anzahl vertrauter Maenner, deren Ratschlaege der Koenig einzuholen +zweckmaessig findet, beruht lediglich darauf, dass er einst eine Versammlung +gewesen war gleich jener, die Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum +zu Rate sitzenden Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die +Gesamtheit der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder +eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war; aber +in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die Zahl der +Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht auf die Zahl +der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert festgestellt worden, sodass +von der Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der Senatssitze auf +die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die staatsrechtlich +notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten +berufen worden; und wenn in spaeterer Zeit dies lebenslaengliche Verbleiben mehr +tatsaechlich als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit +stattfindenden Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den +unwuerdigen oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese +Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die Wahl der +Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht mehr gab, bei dem +Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in aelterer Zeit, solange noch +die Individualitaet der Geschlechter im Volke lebendig war, als Regel, wenn ein +Senator starb, der Koenig einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben +Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich ist erst mit +der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der Volksgemeinde hiervon +abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren ganz in das freie Ermessen des +Koenigs uebergegangen, so dass nur das noch als Missbrauch erschien, wenn er +erledigte Stellen unbesetzt liess. +Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass die +Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von Rechts wegen +den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn sie auch, nach der schon in +dem Hause so scharf sich auspraegenden monarchischen Grundanschauung der Roemer, +zur Zeit immer nur von einem dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt +werden kann. Ein jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der +Ausuebung, aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch +seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben gleichartig +sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur dass der des Koenigs +hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. Hierauf beruht es ferner, +dass, wie bereits erwaehnt ward, die koenigliche Gewalt in der roemischen +Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt werden kann. Stirbt der Koenig, so treten +ohne weiteres die Aeltesten an seine Stelle und ueben die Befugnisse der +koeniglichen Gewalt. Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur +Zeit Herr sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es +unterscheidet sich ein solcher "Zwischenkoenig" (interrex) von dem auf +Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der Gewalt. Die +Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber festgesetzt auf +hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren in der Art +um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt ist, der zeitige +Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los festgesetzten +Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage uebergibt. Ein Treuwort +wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von der Gemeinde nicht geleistet. Im +uebrigen aber ist der Zwischenkoenig berechtigt und verpflichtet, nicht bloss +alle dem Koenig sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst +einen Koenig auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von ihnen fehlt +ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird als +mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger ernannt ist. Also ist +diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin der Herrschermacht +(imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des roemischen Gemeinwesens und in +ihr die Buergschaft gegeben fuer die ununterbrochene Dauer desselben und seiner +monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat +spaeter den Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein duenkte, so ist das +nur in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat eine solche gewesen. +Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser +Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches Glied der +roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten sich nicht in die +Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine Stellvertreter freilich hat +dieser, falls er nicht imstande war, selbst das Heer zu fuehren oder den +Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von jeher aus dem Senat genommen - weshalb +auch spaeter noch die hoechsten Befehlshaberstellen regelmaessig nur an +Senatoren vergeben und ebenso als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet +werden. Aber weder bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat +in seiner Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom +nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats gegeben +hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer der bestehenden +Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der Buergerschaft. Es lag deshalb +ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von dieser gefassten Beschluss zu pruefen +und, wenn derselbe die bestehenden Rechte zu verletzen schien, demselben die +Bestaetigung zu versagen; oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo +verfassungsmaessig ein Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei jeder +Verfassungsaenderung, bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der Erklaerung eines +Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf man dies +wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der Buergerschaft und dem Rat +gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den beiden Haeusern in dem heutigen +konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl Gesetzgeber als +Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur dann kassieren, wenn die Gemeinde +ihre Befugnisse ueberschritten, also bestehende Verpflichtungen gegen die +Goetter oder gegen auswaertige Staaten oder auch organische Einrichtungen der +Gemeinde durch ihren Beschluss verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es +vom groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die +Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss erhoben +hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu erlegen verpflichtet +schien, von derselben umsonst gefordert worden war, der roemische Sendbote die +Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit den Worten schloss: "darueber aber +wollen wir Alten Rat pflegen daheim, wie wir zu unsrem Rechte kommen"; erst wenn +der Rat der Alten sich einverstanden erklaert hatte, war der nun von der +Buergerschaft beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. +Gewiss war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges +Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen und +durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt zu +entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des hoechsten Amtes der Senat die Dauer +der Gemeindeverfassung verbuergte, finden wir auch hier ihn als den Hort der +gesetzlichen Ordnung gegenueber selbst der hoechsten Gewalt, der Gemeinde. +Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch die allem Anschein nach uralte +Uebung an, dass der Koenig die an die Volksgemeinde zu bringenden Antraege +vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen saemtliche Mitglieder eines nach +dem anderen darueber ihr Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht +zustand, den gefassten Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich +vorher die Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu +befuerchten sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich +brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Maenner +Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung nach +dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur Seite zu stehen. +Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der bisher bezeichneten Kompetenz, +die spaetere Machtfuelle des Senats hervorgegangen; die Anfaenge indes sind +unscheinbar und gehen eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu +antworten, wenn sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei +Angelegenheiten von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche +waren, also zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu +bringender Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der +Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das eroberte +Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, rechtlich notwendig +war eine solche vorherige Befragung nicht. Der Koenig beruft den Rat, wenn es +ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; ungefragt darf kein Ratsherr seine +Meinung sagen, noch weniger der Rat sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem +einen Fall, wo er in der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der +Zwischenkoenige festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den +Senatoren und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens zu +berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der Ratschlag sodann +ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu folgen, ohne dass dem +Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht praktische Geltung zu +schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs allgemein anwendbare +Kassationsrecht. "Ich habe euch gewaehlt, nicht dass ihr mich leitet, sondern um +euch zu gebieten": diese Worte, die ein spaeterer Schriftsteller dem Koenig +Romulus in den Mund legt, bezeichnen nach dieser Seite hin die Stellung des +Senats gewiss im wesentlichen richtig. +Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische Buergergemeinde, +an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber allein zu handeln war +sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von der bestehenden Ordnung +abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die Versammlung der lebenslaenglich +bestellten Gemeindeaeltesten, gleichsam ein Beamtenkollegium mit koeniglicher +Gewalt, berufen im Fall der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur +definitiven Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den +rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche Gewalt selber +war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch die Gesetze gebunden +(imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des Koenigs Gebot, gerecht oder +nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden musste, gebunden, insofern ein dem +Herkommen zuwiderlaufendes und nicht von dem wahren Souveraen, dem Volke, +gutgeheissenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war +die aelteste roemische Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle +Monarchie. Wie in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des +Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen, +den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten die +Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische Volksgemeinde ungefaehr, was in +England der Koenig ist und das Begnadigungsrecht, wie in England ein +Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der Volksgemeinde, waehrend +alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde stand. +Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu dessen +einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich weit entfernt von +der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der modernen Idee einer +unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte wohl ueber die Person des +Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten und Bestrafung der Vergehen und +Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das einen einzelnen Mann wegen nicht +allgemein verpoenter Handlungen mit Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst +wenn in den Formen nicht gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und +Unrecht erschienen. Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich +der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der +Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen Polizeistaat, das +Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen Kosten gross gemacht. Es +ist einer der unleugbarsten wie einer der merkwuerdigsten Saetze der aeltesten +roemischen Verfassung, dass der Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, +aber nicht ihm seinen Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit +bleibender Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst +die Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke +bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre praktische +Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der gewiss befugt und +verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht zuwiderlaufenden +Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so +wie die roemische allmaechtig; aber in keiner Gemeinde auch lebte der +unstraeflich sich fuehrende Buerger in gleich unbedingter Rechtssicherheit +gegenueber seinen Mitbuergern wie gegenueber dem Staat selbst. +So regierte sich die roemische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen +verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in +unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Auspraegung +der eigenen Nationalitaet, waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt +werden - dem Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore +weit aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern +erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht sich, dass sie auf der +aelteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen Verfassung beruht; +aber es liegt doch eine unuebersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen +zwischen den Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus' Bericht +ueber Deutschland sie schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen +Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des deutschen +Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt der Gemeinde; +aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz und der geregelten +Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag ferner sein, dass, wie das +roemische Koenigtum den Purpurmantel und den Elfenbeinstab sicher den Griechen - +nicht den Etruskern - entlehnt hat, so auch die zwoelf Liktoren und andere +Aeusserlichkeiten mehr vom Ausland heruebergenommen worden sind. Aber wie +entschieden die Entwicklung des roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach +Latium gehoert, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, +beweist die durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern +latinischer Praegung. +Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des roemischen Staats fuer +alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn trotz der wandelnden Formen +steht es fest, solange es eine roemische Gemeinde gibt, dass der Beamte +unbedingt befiehlt, dass der Rat der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist +und dass jede Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das +heisst der Volksgemeinde. +6. Kapitel +Die Nichtbuerger und die reformierte Verfassung +Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein +grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir Kunde haben, ist ein +dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung des Roemerrums endigen die +aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem aeltesten Verschmelzungsprozess +der Ramner, Titier und Lucerer, von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt +ist, ist der frueheste derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die +Huegelbuergerschaft aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden +Gemeinden wird, als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig +und die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht werden +duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der Doppelinstitution +oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der uebrigbleibenden auf die +ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der Heiligtuemer und Priesterschaften +hielt man im ganzen den ersten Weg ein. Die roemische Gemeinde besass fortan +zwei Springer- und zwei Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen +zwiefachen Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester +des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es ist glaublich, +wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten altlatinischen +Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen, Fetialen in +gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien der beiden Gemeinden +vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind. Ferner trat in der oertlichen +Einteilung zu den drei Quartieren der palatinischen Stadt, Subura, Palatin und +Vorstadt, die Huegelstadt auf dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei +dem urspruenglichen Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der +Vereinigung wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit +gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in Beziehung auf +die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren Annexionsprozesse +wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel die roemische Gemeinde in +die bisherigen drei Teile zu je zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen +sie nun ihrerseits mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die +bestehenden Teile und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist +dies in der Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der +Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit den +Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan jene Teile +doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die Ramner und die +Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, posteriores). Eben damit +haengt wahrscheinlich die in den organischen Institutionen der Gemeinde ueberall +hervortretende paarweise Anordnung zusammen. So werden die drei Paare der +heiligen Jungfrauen ausdruecklich als die Vertreterinnen der drei Teile erster +und zweiter Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist +vermutlich aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im +Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde +hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische Buergerreiterei auf sechs +Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer wahrscheinlich auch von drei auf +sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des Fussvolks ist nichts +ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen Gebrauch, dass die Legionen +regelmaessig je zwei und zwei einberufen wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen, +und wahrscheinlich ruehrt von dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her, +dass nicht, wie wohl urspruenglich, drei, sondern sechs Abteilungsfuehrer die +Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat +entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert +Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale geblieben; +womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der angesehensten Maenner der +neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der palatinischen Stadt aufgenommen +sein mag. Ebenso verfuhr man mit den Magistraturen: auch der vereinigten +Gemeinde stand nur ein Koenig vor, und von seinen hauptsaechlichsten +Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, dass +die sakralen Institutionen der Huegelstadt fortbestanden und in militaerischer +Hinsicht man nicht unterliess, der verdoppelten Buergerschaft die doppelte +Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber die Einordnung der quirinalischen Stadt +in die palatinische eine wahre Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir +mit Recht angenommen haben, dass der Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- +und den quirinalischen Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und +zweiten Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der +Quirinalstadt die "zweiten" oder die "minderen" gewesen. Indes war der +Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den +Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen Ratsherren +vor denen der "minderen" gefragt. In gleicher Weise steht das collinische +Quartier im Range zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen der palatinischen +Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem des palatinischen, die +quirinalischen Springer und Woelfe hinter denen vom Palatin. Sonach bezeichnet +der Synoekismus, durch den die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich +aufnahm, eine Mittelstufe zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner +und Lucerer miteinander verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen Teil zwar +durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber +noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen liess +man nicht bloss bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme +von Alba, geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, +was spaeterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam. +Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen war +mehr eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung der +bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozess, der weit +allmaehlicher durchgefuehrt ward und weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die +ersten Anfaenge gleichfalls bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die +Verschmelzung der Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der +roemischen Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die "Hoerigen" +(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen +Buergerhaeuser, oder die "Menge" (plebes, von pleo, plenus), wie sie negativ +hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. Die Elemente zu +dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt ward, bereits +in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde musste diese Klasse aus +einem zwiefachen Grunde tatsaechlich und rechtlich zu groesserer Bedeutung +erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie +Hoerige besitzen; besonders mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung +ihres Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen, die +Masse der Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen +den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, so dass sie gleichsam als +Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in +Klientelverhaeltnis traten. Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht +ueber die einzelnen Buerger die Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen +missbraeuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu +schuetzen. Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische Landrecht +der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte Rechtsstellung der +Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn der Herr bei Gelegenheit +eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament, Prozess, Schatzung - sein +Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend aufgegeben habe, weder er selbst +noch seine Rechtsnachfolger diesen Verzicht gegen die Person des Freigelassenen +selbst oder gar seiner Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich +rueckgaengig machen koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar +weder Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung +von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes in einer +mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was ihnen zuteil ward, +war ein gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder +Unfreiheit; und darum scheinen laengere Zeit hindurch ihre vermoegensrechtlichen +Beziehungen gleich denen der Sklaven als Rechtsverhaeltnisse des Patrons +gegolten und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn +auch zusammenhaengen wird, dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen +einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber +allmaehlich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in +eigenem Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung +ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen und zu +erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Buergern zwar +weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehoerigen, +eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl gewehrt +werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden +Rechtsverhaeltnisse der eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und +des Geschlechts, der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der +buergerrechtlichen zu gestalten. +---------------------------------------------------- +^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2). +---------------------------------------------------- +Teilweise zu aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, +insofern auf Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen +und dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit +uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben. Das roemische +Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet noch von Geschlossenheit der +Liegenschaften und gestattet einesteils jedem dispositionsfaehigen Mann bei +seinen Lebzeiten vollkommen unbeschraenkte Verfuegung ueber sein Vermoegen, +anderseits, soviel wir wissen, jedem, der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen +Buergern befugt war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte +Recht bewegliches und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen +konnten, in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist +eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang ihrer Bedeutung dem +internationalen Verkehr verdankte, so auch das Niederlassungsrecht mit +grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde ungleicher Ehe, jedem freigelassenen +Knecht, jedem nach Rom unter Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden +Fremden gewaehrt hat. +Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die +Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die Ansiedlung +freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in Rom bald schwer und +wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis mit dem faktischen Zustand +in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen des Verkehrs, die durch das latinische +Buendnis allen Latinern gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung +mit Einschluss selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand +steigende Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der +Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil der +Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten +Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in seiner +alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel wohl sein eigenes +Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht vertauschte. Dazu lastete der Krieg +ausschliesslich auf den Altbuergern und lichtete bestaendig die Reihen der +patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die Insassen an dem Erfolg der Siege +Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute dafuer zu bezahlen. +Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, dass das roemische +Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat der Fall +war. Dass er noch laengere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der +Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an +einzelne ansehnliche auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer +Heimat oder nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht +empfingen - denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und +immer seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise +stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der Zivilehe, +wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne Konfarreation +zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht erwarb, so gut wie das +in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die schon +vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiss nicht urspruengliche +Zivilehe eben eingefuehrt ward, um das Zusammenschwinden des Patriziats zu +hemmen ^2. Auch die Massregeln, durch welche bereits in aeltester Zeit auf die +Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern +hingewirkt ward, gehoeren in diesen Zusammenhang. +------------------------------------------------------- +^2 Die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass +dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das hohe Alter der +Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die religioese Ehe die +eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von der religioesen Ehe +hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, dass die religioese Ehe +selbst als eigentuemliche und rechtlich notwendige Erwerbsform der Frau galt, +wogegen zu der Zivilehe eine der anderweitigen allgemeinen Formen des +Eigentumserwerbs, Uebergabe von seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, +hinzutreten musste, um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden. +------------------------------------------------------ +Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in +bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, waehrend die +der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte; und infolgedessen +erhielten die Insassen unmerklich eine andere und freiere Stellung. Die +Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene Knechte und schutzbeduerftige +Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen Buergerschaften der im Krieg +unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen +Ansiedler, die nicht durch Gunst des Koenigs oder eines anderen Buergers, +sondern nach Bundesrecht in Rom lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt +gewannen sie Geld und Gut in der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger +ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den +einzelnen Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht, +der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies schon nicht +mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und die Beziehungen zu dem +Patron traten damit von selbst immer mehr zurueck. War in aelterer Zeit der +Klient ausschliesslich fuer den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des +Patrons, so musste, je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die +Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne +Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge und +Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der Nichtbuerger, +namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen Gemeinden, standen +ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich von Haus aus nicht in der +Klientel der koeniglichen und der sonstigen grossen Geschlechter und gehorchten +dem Koenig ungefaehr in gleicher Art wie die Buerger. Dem Koenig, dessen +Herrschaft ueber die Buerger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der +Gehorchenden, musste es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm +abhaengigen Schutzleuten sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu +bilden. +So erwuchs neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den +Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; +rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, dem +Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr bedeutender, indem +jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem der politisch berechtigten +Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie +das Gefuehl der besonderen Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der +politischen Zuruecksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen +gleichmaessig waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen des +politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde. +Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes +schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz vorzuzeichnen +schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen traegt vom Koenig Servius +Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel, wie +alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was wir wissen, nicht durch +historische Ueberlieferung, sondern nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren +Institutionen wissen; aber ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie +gefordert haben koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte +gab. Sie muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige ihren +Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf Befreiung von +der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der Nichtbuerger teils zu der +Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, dem Staat im Notfall +vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, teils zu dem Aufgebot. Beides +wird in der Servianischen Verfassung zusammengefasst, ist aber schwerlich +gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen ist die Heranziehung der Nichtbuerger +vermutlich von den oekonomischen Lasten: es wurden diese frueh auch auf die +"Begueterten" (locupletes) oder die "stetigen Leute" (adsidui) erstreckt, und +nur die gaenzlich Vermoegenslosen, die "Kinderzeuger" (proletarii, capite censi) +blieben davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der +Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die Buergerschaft +als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules, mochten sie Buerger oder +bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus einer persoenlichen zu einer +Reallast. Im einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder +ansaessige Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss +der Hauskinder ansaessiger Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst +der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz +gelangt war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war der +Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst herangezogen, +sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der Fall war, auf +roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der Groesse der +Grundstuecke wurde die kriegstuechtige Mannschaft eingeteilt in die +Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in vollstaendiger Ruestung +erscheinen mussten und insofern vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, +waehrend von den vier folgenden Reihen der kleineren Grundbesitzer, den +Besitzern von Dreivierteln, Haelften, Vierteln und Achteln einer ganzen +Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung der Dienstpflicht, nicht aber die volle +Armierung verlangt ward, und sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem) +standen. Nach der damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Haelfte der +Bauernstellen Vollhufen, waehrend die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener +jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansaessigen ausmachten; +weshalb festgesetzt ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig Vollhufener je +zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben +werden sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei: die Zahl der Abteilungen +wurde in dieser verdreifacht, und nur darin wich man hier ab, dass die bereits +bestehenden sechs Abteilungen mit den alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi +und secundi) den Patriziern blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich +aus den Nichtbuergern gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl +darin zu suchen, dass man damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu +formierte und nach der Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen +aus militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und +regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen +Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man denn auch +bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre hergebrachten Namen. +Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu machen, wurden die +unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen, soweit sie Grundbesitz +hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Reitern die Pferde - +jeder Reiter hatte deren zwei - zu stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf +neun Fusssoldaten ein Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr +geschont. +---------------------------------------------------- +^3 Aus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem +Eintritt der Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft +aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen. +----------------------------------------------------- +Die nicht ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der +Wehrpflichtigen stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu +stellen sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer +zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken und +Gefallenen ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden. +Zum Behuf der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier +"Teile" (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen +Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches Namens +nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die Strasse dieses Namens, +die Carinen und der Caelius angehoerten; den esquilinischen; und den +collinischen, den der Quirinal und Viminal, die "Huegel" im Gegensatz der +"Berge" des Kapitol und Palatin, bildeten. Von der Bildung dieser Distrikte ist +bereits frueher die Rede gewesen und gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der +alten palatinischen und quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In +welcher Weise es herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem +dieser Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der +Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten, ergibt sich +aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung. Ueberhaupt hat diese +Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und nur folgeweise auf die +Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen Charakter und namentlich ist ihr +niemals eine religioese Bedeutung zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt +eine gewisse Zahl der raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht +dieselben ebensowenig zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, +dass in jeder ein Larenaltar errichtet ward. +Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annaehernd den vierten Teil wie +der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen, +sodass jede Legion und jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk +zaehlte, um alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und +gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den maechtigen Hebel +des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger zu einem Volke zu +verschmelzen. +Militaerisch wurde die waffenfaehige Mannschaft geschieden in ein erstes +und zweites Aufgebot, von denen jene, die "Juengeren", vom laufenden achtzehnten +bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst +verwandt wurden, waehrend die "Aelteren" die Mauern daheim schirmten. Die +militaerische Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine +vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx von +sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend +Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400 "Ungeruestete" (velites, s. 1, +84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die +vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und sechsten standen die +minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten Abteilung; die beiden letzten +traten als letzte Glieder zu der Phalanx hinzu oder kaempften daneben als +Leichtbewaffnete. Fuer die leichte Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der +Phalanx so verderblich sind, war gesorgt. Es standen also in derselben 84 +Zenturien oder 8400 Mann, davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der +beiden folgenden Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 +der fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der Phalanx +2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum Ausruecken bestimmte +Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die fuer die Stadtverteidigung +zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde; wodurch also der Normalbestand des +Fussvolks auf 16800 Mann kam, 80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, +28 der letzten Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft +sowie die der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, +welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft nur der +dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des roemischen Heeres +ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an 20000 Mann; welche Zahl +dem Effektivbestand der roemischen Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der +Einfuehrung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen +haben wird. Bei steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien +vermehrt, sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen +Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die +roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig durch +Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke umgingen. +Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfaeltigere +Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde entweder jetzt +eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, dass ein Erdbuch angelegt werde, +in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre Aecker mit dem Zubehoer, den +Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen +sollten. Jede Veraeusserung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde +fuer nichtig erklaert und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich +Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der +servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus hervorgegangen. +Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militaerischer +Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch nicht ein einziger Zug, +der auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung der Zenturien hinwiese; +und dies allein muss fuer jeden, der in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, +genuegen, um ihre Verwendung zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu +erklaeren. Wenn, wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr +ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies keinen +Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und neben den Kurien +die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch die Zenturienordnung +lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit der Buergschaft durch die +Beziehung der Insassen zu steigern, und insofern nichts verkehrter ist, als die +Servianische Ordnung fuer die Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so +wirkte doch folgeweise die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf +ihre politische Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch +Offizier werden koennen, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in +Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden. Wenn +ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen Buergerschaft durch die +Zenturieninstitution der Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmaelert +werden sollte, so mussten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die +bisherige Buergerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot +geuebt hatte, uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien. Die +Zenturien also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines +Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der +spaeteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer Beteiligung der +Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein zunaechst +trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr folgeweise ein, als dass +er geradezu beabsichtigt worden waere, und nach wie vor der Servianischen Reform +galt die Kurienversammlung als die eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung +das ganze Volk dem Koenig verpflichtete. Neben diesen neuen grundsaessigen +Vollbuergern standen die angesessenen Auslaender aus dem verbuendeten Latium als +teilnehmend an den oeffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher +municipes); waehrend die ausser den Tribus stehenden, nicht ansaessigen und des +Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger nur als steuerpflichtig (aerarii) in +Betracht kommen. +Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und +Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen +Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht +beherrscht haben. +Wann und wie diese neue militaerische Organisation der roemischen Gemeinde +ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen moeglich. Sie setzt die vier +Quartiere voraus, das heisst, die Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor +die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine +urspruengliche Grenze betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle +ebensoviel Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den +Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht +moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir als Minimum 10000 +Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 deutschen Quadratmeilen +Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, Haeuserraum und nicht +kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz bringt, das Gebiet zu der Zeit, +wo diese Reform durchgefuehrt ward, mindestens eine Ausdehnung von 20 +Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben +muss. Folgt man der Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 +ansaessigen und waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei +dem ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, zeigt ein +Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert, sondern +vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des Normalstandes der +Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie zu fuenf Koepfen +ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu ergeben schienen und +diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt ward. Aber auch nach jenen +maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer +Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen und mindestens der dreifachen Zahl +von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grundsaessigen Leuten und Knechten +notwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio +gewonnen, sondern auch die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische +Verfassung festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das +Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl nach urspruenglich +gestellt hat, ist nicht zu ermitteln. +---------------------------------------------------------- +^4 Schon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; +Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. +Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu +berichtigen ist) den Empfaengern klein. +Die Vergleichung der deutschen Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und +Morgen, beide urspruenglich mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen +werden als urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30, +nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette haeufig, +wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei +Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des roemischen Heredium +von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe von 20 Morgen den +Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, dass die +Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst. +------------------------------------------------------- +Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische +Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den +Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der Verfassung +des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie entstanden ist unter +griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen truegen, wie zum Beispiel die +schon von den Alten hervorgehobene, dass auch in Korinth die Ritterpferde auf +die Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung der Ruestung wie +der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist sicher kein +zufaelliges Zusammentreffen. Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten Jahrhundert +der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen +Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das +Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden wir hierin den +Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform hervorrief, eine im +wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng +monarchische Form des roemischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte +Verfassungsaenderung. +--------------------------------------------- +^5 Auch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und +der Behandlung der attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen +hat eben wie Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und +dann auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger hier +ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es +sich, wie dieselben Ursachen - staedtische Zentralisierung und staedtische +Entwicklung - ueberall und notwendig die gleichen Folgen herbeifuehren. +--------------------------------------------- +7. Kapitel +Roms Hegemonie in Latium +An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und +leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem +Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde allmaehlich in +den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein und politische Maechte +angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen fruehesten Raufhaendeln und +Beutezuegen, in denen der Charakter der Voelker sich bildet und sich aeusserst +wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein +italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die +geschichtliche Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse +der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu +erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und seines +Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten Grenzen der +vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie waren +landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem Hauptort des +Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Kueste zu bis an die etwas +ueber drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). "Groessere +und kleinere Voelkerschaften", sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten +Rom, "umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen Ortschaften +wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren". Auf Kosten zunaechst dieser +stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten Erweiterungen des roemischen +Gebietes erfolgt zu sein. +Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen +Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, +Cameria, Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom und +scheinen schon in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer ihre +Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde erscheint in +diesem Bezirk spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch Buendnis mit Rom seine +Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brueckenkopf der Etrusker am +linken Ufer des Tiber, kaempften Latiner und Etrusker, das heisst Roemer und +Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio +und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; +bis in die spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit +dem Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes ^1. +Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9 +Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen Kaempfe +ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte +Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole +Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und zerstoert. Wie der +Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht ueberliefert; der +Kampf der drei roemischen gegen die drei albanischen Drillingsbrueder ist nichts +als eine personifizierte Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und eng +verwandter Gaue, von denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war. Wir +wissen eben nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und +Zerstoerung Albas durch Rom ^2. +---------------------------------------------------- +^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und +Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche +Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in der Tat +stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und hoechst +unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare auf diese beiden +verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren Antiquaren fuer +geschichtliche Urkunden gehalten. +^2 Aber zu bezweifeln, dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom +ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein +Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung +in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und +Unmoeglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen +historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe +zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die Frage +selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass die latinische +Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings +untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer +Familien in den roemischen Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die +Roemer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei +gegeben haben? Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in +religioeser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba +auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter, +sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und gegruendet +ward. +---------------------------------------- +Dass in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge +festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht benachbarten +Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher +Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere verhaeltnismaessig ansehnliche +Macht begruendet haben moegen, laesst sich vollends nur vermuten. +Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte ueber den +rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser aeltesten latinischen +Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, dass sie nach demselben +Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige roemische Gemeinde +hervorgegangen war; nur dass die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue +nicht einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten +Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern voellig und +spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des latinischen +Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen politischen Mittelpunkt +ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er selbstaendige +Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die Griechen es taten und damit in ihren +Kolonien vorlaeufig Klienten und kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am +merkwuerdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom +erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte +man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische Selbstaendigkeit +und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbuerger-, sondern liess ihnen +bloss, wenn sie es bereits besassen, das allgemeine roemische Buergerrecht ^3. +Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch das Schicksal der schwaecheren Gaue, +die durch Waffengewalt oder auch durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren +untertaenig wurden. Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der +Mark der Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in +dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat gegruendet. Eine foermliche +Uebersiedelung der Besiegten in die neue Hauptstadt, wie sie bei den +Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird man hierunter freilich nicht +unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums konnten in dieser Zeit wenig +mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der Bauern; im ganzen genuegte die +Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den neuen Hauptort. Dass selbst die +Tempel oft am alten Platze blieben, laesst sich an dem Beispiel von Alba und +Caenina dartun, welchen Staedten noch nach der Zerstoerung eine Art religioeser +Scheinexistenz geblieben sein muss. Selbst wo die Festigkeit des geschleiften +Ortes eine wirkliche Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man mit +Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen Weilern ihrer +alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch die ueberwundenen +alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem neuen Hauptort +niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen Erzaehlungen aus der Sagenzeit +Latiums der Satz des roemischen Staatsrechts, dass nur, wer die Grenzen des +Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das Pomerium) vorzuschieben befugt sei. +Natuerlich wurde den ueberwundenen, uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das +Schutzverwandtenrecht aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber auch +wohl mit dem Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt. Noch in der +Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die roemische +Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier, +Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das Andenken +ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtuemer, unter denen das +Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu +grossem Ansehen erhob. +------------------------------------------------ +^3 Hieraus entwickelte sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder +Buergerkolonie (colonia civium Romanorum), das heisst einer faktisch +gesonderten, aber rechtlich unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in +der Hauptstadt aufgeht wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und +als stehende Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist. +^4 Darauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i +mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen +Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die +latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche +Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das Zwoelftafelgesetz +ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini prisci +cives Romani, das heisst die von den Roemern in das Plebejat genoetigten +Gemeinden Latiums. +------------------------------------------ +Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war +natuerlich nichts weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die +Entwicklung Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze +der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern es +gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe +Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika +Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem +bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer +Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen +Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und gluecklicher festhielt als +irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in +Hellas die Folge seiner fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine +Groesse lediglich demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System zu +danken. +Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige, +unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden duerfen, so +kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht +bloss die problematische Groesse und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die +Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. +Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die +Vorstandschaft unter den dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas +hob natuerlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die +boeotische Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen +Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als +Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und +welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, +vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die roemische Hegemonie +ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne +Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr +entzogen haben moegen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, +als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft +gegenueberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten +gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die +unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der +materielle Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser +war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte +Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, dass Rom +nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische Gemeinde ward, +sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die +Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der kuenftigen +Hegemonie der roemischen Gemeinde ueber die gesamte latinische +Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhaeltnisse so +bestimmt wie moeglich zu bezeichnen. +---------------------------------------------------- +^5 Es scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde +Bovillae gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen +Staedte eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und +der Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre +Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23). +--------------------------------------------------------------- +Die Form der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines +gleichen Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen +Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark +und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die Verteidigung festgestellt +ward. "Friede soll sein zwischen den Roemern und allen Gemeinden der Latiner, +solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg fuehren untereinander +noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem +Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und gleichmaessig +verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg." Die verbriefte +Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, +verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte +verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des +Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht wie in unserer +Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb jeder Gemeinde +formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war das latinische +Recht mit dem roemischen nicht notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, +dass die Klagbarkeit der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den +latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein +volkstuemliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die +Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin, dass das +Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz Latium. Am +schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen ueber den +Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Buergers. Nach einem +alten ehrwuerdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem +Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das +Buergerrecht einbuessen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe +war, das Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem Staat +und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz erstreckte man +auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als +Knecht leben koennen innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft. Anwendungen davon +sind die in die Zwoelf Tafeln aufgenommene Bestimmung, dass der +zahlungsunfaehige Schuldner, wenn der Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft +werden muesse jenseits der Tibergrenze, das heisst ausserhalb des +Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, +dass der von den Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, +so wie er einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft +innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen +zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon frueher bemerkt worden ist, +haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunaechst jeder Latiner nur +da ausueben, wo er eingebuergert war; dagegen lag es im Wesen der +privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich +niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den +besonderen Buergerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines +eidgenoessisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als +Buerger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle +Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die +allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen Erwerb, staedtische Genuesse +darzubieten hatte, und dass die Zahl der Insassen in Rom sich reissend schnell +vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist +begreiflich. +In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde +selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen, +sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden als +solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass Albas Stellung +zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als die Roms, und dass die +letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt haetten, so ist dies insofern +wohl moeglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als +Sonderstaat dem Bunde gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag, +eben wie die Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen +Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas Vorstandschaft +gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms Protektorat von Haus aus +wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen sein. In der Tat scheint +Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt zu haben, waehrend Rom die latinischen +Abgeordneten selbstaendig, unter Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte +gewaehlten Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit +der Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit der +Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem +Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom und Latium, +teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im +Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem Vertrag mit Latium sich +verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde ein Sonderbuendnis einzugehen - +eine Bestimmung, aus der die ohne Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der +Eidgenossenschaft gegenueber der maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar +heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, +sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die +spaetere Weise des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich +starken Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand +ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der +latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste hier den +erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem die vom +latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus der Beobachtung des +Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der getroffenen Wahl versichert +hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut gewonnen war, wurde nach dem Ermessen +der Roemer unter die Bundesglieder verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die +roemisch-latinische Foederation nur durch Rom vertreten worden ist, laesst sich +nicht mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch +Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach +Bundesschluss, sei es infolge eines feindlichen Ueberfalls, ein Bundeskrieg +gefuehrt ward, so mag bei der Fuehrung wie bei der Beendigung desselben auch der +latinische Bundesrat rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsaechlich freilich +wird Rom damals schon die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein +einheitlicher Staat und ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander +treten, das Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt. +Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig +bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der +latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter +ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunaechst +den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht +auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern gelang, diesen auf dem +latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen +etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus +dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu verdraengen. Dagegen behaupten sie sich, +wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der +Tibermuendung. Den Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr +ueberlegenen Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den +entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit +bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen Nachbarn von +zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der bestaendige Kriegsschauplatz +aber war die Suedgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker. +Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am fruehesten erweitert, +und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande +begruendeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft +konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von denen die +aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen. Wie weit indes das +roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit sich erstreckte, laesst sich +in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den benachbarten latinischen und +volskischen Gemeinden ist in den roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug +und nur zuviel die Rede; aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa +die der Einnahme von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen +Kern enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen Roms +gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat, laesst sich +nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenueber als in dem +latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik entschieden gegeben +und laesst erkennen, dass in Rom schon in der Koenigszeit eine energische +Machtentfaltung nach aussen hin stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse +Taten, ungemeine Erfolge hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der +Koenigszeit Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein +fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen. +So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu +einigen und zugleich sein Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom +selbst aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus +einer regsamen Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden +Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung und die +darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der +Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser +innerlichen Umwandlung des roemischen Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich +musste mit den reicher stroemenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, +mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern. +Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muss +bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform +stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und einheitlichen +Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft nicht dabei beharren, +die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander mit Gebaeuden sich gefuellt hatten, +zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel und +die Hoehe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium +verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man schritt zu +dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende Stadtwall begann am +Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen Huegel, an dem neuerdings +(1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den Fluss zu, teils an +dem entgegengesetzten oestlichen, die kolossalen Ueberreste dieser uralten +Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen +von Alatri und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken +unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer gewaltigen +Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich dastehen und deren +geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit fortwirken werden. Weiter +umfasste der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des Esquilin, Viminal und +Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder in groesseren Resten zu +Tage gekommener Bau, nach aussen von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen +vorgezogenen Graben geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt +zu abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den Mangel der +natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum Kapitol, dessen +steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des Stadtwalls ausmachte, und +stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an den Fluss. Die Tiberinsel nebst +der Pfahlbruecke und das Ianiculum gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl +aber war die letztere Hoehe ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der +Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien +staedtischen Anbau ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin +freistehenden und bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden +tarpeischen Huegel die neue "Burg" (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem +Burgbrunnen, dem sorgfaeltig gefassten "Quellhaus" (tullianum), der Schatzkammer +(aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der Buergerschaft +(area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die regelmaessigen +Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben. Privatwohnungen dauernder Art +sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf dem Burghuegel geduldet worden ^7; und +der Raum zwischen den beiden Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes +(Ve-diovis) oder, wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl +war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden +aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das +Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbstaendiges, +auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges Kastell, dessen Tor +wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen hat ^8. In aehnlicher Weise, +wenn auch schwaecher, scheint der Aventin befestigt und der festen Ansiedelung +entzogen worden zu sein. Es haengt damit zusammen, dass fuer eigentlich +staedtische Zwecke, zum Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers, +die roemische Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner +(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen, aber doch +nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani Aventinenses, +Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9. Der von der neuen +Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser der bisherigen palatinischen +und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des +Aventin, ferner das Ianiculum ^10; der Palatin als die eigentliche und aelteste +Stadt ward von den uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war, +wie im Kranz umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen. +Aber das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem +auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen war, +welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd fuellte, sodass +hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das Tal zwischen dem Kapitol und +der Velia sowie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die heute noch +stehenden, aus prachtvollen Quadern zusammengefuegten unterirdischen +Abzugsgraeben, welche die Spaeteren als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom +anstaunten, duerften eher der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei +verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit +erzaehlt wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die Koenigszeit, +wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des Mauerrings und +der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den entsumpften oder +trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen, wie die neue Grossstadt +sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der Gemeinde, bis dahin der kapitolinische +Platz auf der Burg selbst, ward verlegt auf die Flaeche, die von der Burg gegen +die Stadt sich senkte (comitium), und dehnte von dort zwischen dem Palatin und +den Carinen in der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der der Burg +zugekehrten Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines Altanes ueber +die Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste der +Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz; und auf dem +Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das spaeter den Namen der +hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den Richterstuhl (tribunal) und die +Buehne, von wo aus zur Buergerschaft gesprochen ward (die spaeteren rostra), +wurden ebenfalls auf der Dingstaette selbst errichtet. Ihre Verlaengerung gegen +die Velia ward der neue Markt (forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem +Palatin, erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia) +und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels, einschloss; +nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein dazu gehoeriges zweites +Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde oder der Tempel der Penaten, der +heute noch steht als Vorhalle der Kirche Santi Cosma e Damiano. Es ist +bezeichnend fuer die neu und in ganz anderer Art, als die Ansiedelung der +"sieben Berge" es gewesen war, geeinigte Stadt, dass neben und ueber die +dreissig Kurienherde, mit deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische +Rom sich begnuegt hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche +Stadtherd trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die +Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen Aventin und Palatin ward +fuer die Rennspiele der "Ring" abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am +Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald entstand hier eines der am +dichtesten bevoelkerten Quartiere. Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und +Heiligtuemer, vor allem auf dem Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf +der Hoehe der Burg der weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem +Volk all diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die +umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der Besiegten +triumphierte. +---------------------------------------- +^6 Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von +der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze des +Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen akra und +koryph/e/ entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische Stadt ihr +capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen Burghuegels ist mons +Tarpeius. +^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret, +untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die +Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, +Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386. +^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die "Heilige Strasse", auf die Burg +hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach links macht, ist +noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. Dieses selbst wird in den +grossen Bauten, die spaeter am Clivus stattfanden, untergegangen sein. Das +sogenannte Tor an der steilsten Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem +Namen des janualischen oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in +Kriegszeiten stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese +Bedeutung und ist nie ein wirkliches Tor gewesen. +^9 Es kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, +5, 2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5, +50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, +Roemische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen +6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3. die +pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani pagi +Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiss nicht +zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom +vorkommen, eben den von den vier oertlichen Tribus aus-, aber von der +Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Huegeln, dem Kapitol und dem +Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehoerigen Ianiculum angehoeren; und +damit steht weiter im Zusammenhang, dass als Bezeichnung der gesamten +staedtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser +der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die +staedtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive +si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen +drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche +Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher +die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum +und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal. +^10 Die "Siebenhuegelstadt" im eigentlichen und religioesen Sinn ist und +bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das Servianische Rom +sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit (vgl. z. B. Cic. Att. 6, 5, 2; +Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt betrachtet, wahrscheinlich weil das auch +in der Kaiserzeit eifrig gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines +Stadtfest zu gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung +gelangt, welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen zu +den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus, Aventinus, +Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus zaehlt kein alter +Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der traditionellen Erzaehlung +von der allmaehlichen Entstehung der Stadt (Jordan, Topographie der Stadt Rom im +Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur +uebergangen, weil sonst acht herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche +die sieben Berge (montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit +Konstantins des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, +Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, offenbar +als colles, fehlen und dafuer zwei "montes" vom rechten Tiberufer, darunter +sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer liegende Vaticanus mit +hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen geben Servius (Aen. 6, 783), +die Berner Scholien zu Vergils Georgiken (2, 535) und Lydus (mens. p. 118 +Bekker). +^11 Sowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des +Dionysios (2, 25), dass der Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag, +bezeugen es, dass diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der +zweiten (Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den +Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist +die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen. +------------------------------------------ +Die Namen der Maenner, auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten +sich erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den +aeltesten roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die +verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus Hostilius, +das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die grosse Kloake, den +Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Aelteren, den Dianatempel und den +Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben moegen richtig sein, und es +scheint nicht zufaellig, dass der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen +Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der Stadtwaelle wesentliche +Ruecksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im +ganzen aber wird man sich begnuegen muessen, aus dieser Ueberlieferung zu +entnehmen, was schon an sich einleuchtet, dass diese zweite Schoepfung Roms mit +der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der Umschaffung des +Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus einem und +demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber weder eines Mannes +noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch in diese Umgestaltung des +roemischen Gemeindewesens die hellenische Anregung maechtig eingegriffen hat, +ist ebenso unzweifelhaft, als es unmoeglich ist, die Art und den Grad dieser +Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, dass die Servianische +Militaerverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und dass die Circusspiele +nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird spaeter gezeigt werden. Auch das +neue Koenigshaus mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein griechisches Prytaneion +und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte +Vestatempel in keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach hellenischem +Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, was die +Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft die +ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster diente und darum auch das neue +Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen Artemision nachgebildet ward. +8. Kapitel +Die umbrisch-sabellischen Staemme +Anfaenge der Samniten +Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme +begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch +mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. Es +ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der Klang +der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch +Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie in +aeltester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die illyrischen +Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den Umbrern es +Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden zu einzelne +Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen +Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der umbrischen +Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten Ansiedlungen im +Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die zahlreichen +umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name von Clusium, +Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders begegnen dergleichen +Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen italischen Bevoelkerung in dem +suedlichen Strich Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) +und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das +Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als die +etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften zum Vorschein +gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit dem Etruskischen +Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem Latinischen analog ist ^1. +Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis gehoeren die +uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben +die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend spaeter als die Landschaft +nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach +der tuskischen Eroberung umbrische Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter +nach der roemischen Eroberung im Vergleich mit dem zaehen Festhalten +etruskischer Sprache und Sitte im noerdlichen Etrurien so auffallend schnell +erfolgende Latinisierung der suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin +ihren letzten Grund. Dass von Norden und Westen her die Umbrer nach harten +Kaempfen zurueckgedraengt wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen +des Apennin, das sie spaeter innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage +ebenso deutlich, wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken +ihre aehnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die +Tusker den Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in +den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst +anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwuenscht. +---------------------------------------- +^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen +(R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus dem +primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen. +Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa, +das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. .... zenatuo +sentem .... dedet cuando ... cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena +La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum. +Zugleich mit diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften gefunden +von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift. +--------------------------------------- +Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes dringen +die Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da +sie die Ebenen schon von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne +Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und mit +ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise +damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir spaeter +ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss von dem +Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen mit den +Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen Westkueste +wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der +von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem +Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch +minder dicht war; waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser +Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner +Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren +zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und drueben, +woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in zahlreichen +Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so frueh und so +schnell sich latinisieren konnten. +Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina +oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich +anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste die +bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern wich oder sich +unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen apulischen Kuestenland die alte +einheimische Bevoelkerung der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an +der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese +Wanderungen stattfanden, laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber +doch um die Zeit, wo in Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die +Sabiner, gedraengt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, +die in dem Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen +waeren, preiszugeben und ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter +sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze bescheren +moechten. Den einen Schwarm fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner +oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in +spaeterer Zeit von da aus die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den +Quellen des Tifernus besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre +Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie +leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das +wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; +einen dritten der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die +Hirpiner. In aehnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die +uebrigen kleinen Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am +Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze, +die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den +Volskern und den Latinern sich beruehrend. In ihnen allen blieb das Gefuehl der +Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in +jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf +erlagen und die westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen +oder hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Staemme +in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrueckt dem Anstoss +der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Staedtisches Leben entwickelte bei +ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre +geographische Lage sie beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung +genuegten die Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen +blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem +jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie bei +den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation +der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder lockere +Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe +Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone +hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, +dass diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in voelliger +Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer +Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen Nation in die +Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das +Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden der +Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. +Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an, umschloss ein +vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation und gab ihr +die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf +zu ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig als wir +die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in Samnium keine einzelne +Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer Mittelpunkt den samnitischen +Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft des Landes +in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertretern +gebildeten Versammlung lag; sie war es, die erforderlichenfalls den +Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen, dass die Politik dieser +Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv ist, sondern sich +beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft +so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass die Erweiterung des Gebiets +planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden +Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden +Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten +besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub ausgingen und von +der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben waren. Doch gehoeren die +Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des Tyrrhenischen und des +Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode an; waehrend die Koenige +in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in +denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der +durch diese samnitische Ansiedelung veranlassten Voelkerbewegungen ist der +Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre +der Stadt 230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr +romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen Zuegen +zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten zu einem Heer vereinigt +haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit diesen die von den +umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten Iapyger. Indes das Unternehmen +scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der ueberlegenen hellenischen +Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos, den Sturm der Barbaren +von der schoenen Seestadt abzuschlagen. +9. Kapitel +Die Etrusker +Im schaerfsten Gegensatz zu den latinischen und den sabellischen Italikern +wie zu den Griechen steht das Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber +nannten, der Rasen ^1. Schon der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; +statt des schlanken Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke +der Etrusker nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was +wir wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst gleichfalls auf +eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen +Staemmen schliessen, so namentlich die Religion, die bei den Tuskern einen +trueben phantastischen Charakter traegt und im geheimnisvollen Zahlenspiel und +wuesten und grausamen Anschauungen und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit +entfernt von dem klaren Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren +hellenischen Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das +wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns gekommene +Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer die Entzifferung +darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass es bis jetzt nicht einmal +gelungen ist, den Platz des Etruskischen in der Klassifizierung der Sprachen mit +Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich +unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der aelteren ist die Vokalisierung +vollstaendig durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne +Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen Endungen +und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies weiche und +klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte und rauhe Sprache +verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramtha aus ramuthaf, Tarchnaf aus +Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchsentre aus Menelaos, +Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt am +deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den Etruskern schon in +sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich wurde wie im Lateinischen und in den +rauheren griechischen Dialekten der Akzent durchaus auf die Anfangssilbe +zurueckgezogen. Aehnlich wurden die aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend +die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die +Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen th ph ch +beibehielten, liessen die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das ph +gaenzlich, ausser in Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen +drei in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum +Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder Uthuze +heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren Bedeutung ermittelt ist, +entfernen die meisten sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so +die Zahlwoerter alle; so die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig +als Metronymikon, wie zum Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von +Chiusi uebersetzt wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur +Bezeichnung des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum +Beispiel die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem +Kasus clensi Sohn; sech Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms, Aphrodite +Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen fremdartigen Formen +und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen +und den italischen Sprachen. Die Eigennamen sind im wesentlichen nach dem +allgemeinen italischen Schema gebildet: die haeufige gentilizische Endung enas +oder ena ^4 kehrt wieder in der auch in italischen, besonders sabellischen +Geschlechtsnamen haeufigen Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas +und Spurinna den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe +von Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern als +etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung nach so +durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich von Haus aus +etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen sein muessen: so Usil +(Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, aurora, sol), Minerva +(menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. Indes da diese Analogien erst +aus den spaeteren politischen und religioesen Beziehungen zwischen Etruskern und +Latinern und den dadurch veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren +koennen, so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen +Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den saemtlichen +griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die Sprache der +Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern; "tuskisch und +gallisch" sind Barbarensprachen, "oskisch und volskisch" Bauernmundarten. Wenn +aber die Etrusker dem griechisch-italischen Sprachstamm fernstanden, so ist es +bis jetzt ebensowenig gelungen, sie einem andern bekannten Stamme +anzuschliessen. Auf die Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die +verschiedenartigsten Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen +Frage, aber alle ohne Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem +baskischen, an das den geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht +werden koennte, haben entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt. +Ebensowenig deuten die geringen Reste, die von der liturgischen Sprache in Orts- +und Personennamen auf uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit den Tuskern. Nicht +einmal die verschollene Nation, die auf den Inseln des tuskischen Meeres, +namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu +Tausenden aufgefuehrt hat, kann fueglich mit der etruskischen in Verbindung +gebracht werden, da im etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude +vorkommt. Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige +Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen +beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer Inschriften +sicher emi, eimi und findet die Genetivform konsonantischer Staemme veneruf, +rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, entsprechend der alten +sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name des etruskischen Zeus Tina oder +Tinia wohl mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen wie Zan mit dem +gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies zugegeben erscheint das etruskische +Volk darum kaum weniger isoliert. "Die Etrusker", sagt schon Dionysios, "stehen +keinem Volke gleich an Sprache und Sitte"; und weiter haben auch wir nichts zu +sagen. +--------------------------------------- +^1 Ras-ennae mit der 1, 131 erwaehnten gentilizischen Endung. +^2 Dahin gehoeren z. B. Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice +thumamimathumaramlisiaeipurenaietheeraisieepanaminethunastavhelefu oder: mi +ramuthas kaiufinaia. +^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff geben zum +Beispiel der Anfang der grossen Perusiner Inschrift: eulat tanna larezu amevachr +lautn velthinase stlaafunas slelethcaru. +^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der Vokal in der +vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge der Zurueckziehung +des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt und sogar ausgestossen. So +finden wir neben Porsena, auch Porsena, neben Caecina Ceicne. +---------------------------------------- +Ebensowenig laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien +eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf +jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche +Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage eifriger +verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der Archaeologen, vorzugsweise +nach dem zu forschen, was weder wissbar noch wissenswert ist, "nach der Mutter +der Hekabe", wie Kaiser Tiberius meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten +etruskischen Staedte tief im Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine +einzige namhafte etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber +eben sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat; da +ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden sich bewegen, +so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel gekommen; wie denn auch +die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst finden, mit einer Einwanderung +ueber das Meer sich schlecht vertragen wuerde. Eine Meerenge ueberschritten +schon in fruehester Zeit die Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an +der italischen Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die +aeltere Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es +ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die raetischen Alpen +nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in Graubuenden und Tirol +nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die historische Zeit etruskisch +redeten und auch ihr Name auf den der Rasen anklingt; sie koennen freilich +Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po, aber wenigstens ebenso gut auch +ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener Teil des Volks sein. +Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung aber tritt in grellen +Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus Asien ausgewanderte Lyder +seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot findet sie sich und kehrt dann in +zahllosen Wandlungen und Steigerungen bei den Spaeteren wieder, wenngleich +einzelne verstaendige Forscher, wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich +dagegen erklaerten und darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und +Sprache zwischen Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich +zeige. Es ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm +nach Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen; +wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen Quiproquo. +Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form scheint die +urspruengliche und der griechischen Tyr-s/e/noi, Tyrr/e/noi, der umbrischen +Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu liegen - begegneten +sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke der Torr/e/boi oder auch +wohl Tyrr-/e/noi, so genannt von der Stadt T?rra; und diese offenbar zufaellige +Namensvetterschaft scheint in der Tat die einzige Grundlage jener durch ihr +hohes Alter reicht besser gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen +Turmes darauf aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem +lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und endlich +noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen Seeraeuber mit +Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren pluendernden und +hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine der heillosesten +Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die Tyrrhener bezeichnen bald die +lydischen Torrheber - so in den aeltesten Quellen, wie in den Homerischen +Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener die pelasgische +Nation; bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die letzteren mit den +Pelasgern oder den Torrhebern je sich nachhaltig beruehrt oder gar die +Abstammung mit ihnen gemein haetten. +Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was die +nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort aus sich +weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion in der Landschaft +noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch grenzend mit den Venetern +illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich mit den Ligurern, ist vielfach +beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der schon erwaehnte rauhe etruskische +Dialekt, den noch in Livius' Zeit die Bewohner der raetischen Alpen redeten, +sowie das bis in spaete Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und +an den Muendungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener als +der herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten Kaufstaedte Atria +und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und Ravenna tuskische +Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den Padus +ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten Ufer desselben das +etruskische und umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen hat als auf dem +frueh aufgegebenen linken. Doch sind ueberhaupt die Landschaften noerdlich vom +Apennin zu rasch von einer Nation an die andere gelangt, als dass eine +dauerhafte Volksentwicklung sich hier haette gestalten koennen. +Weit wichtiger fuer die Geschichte wurde die grosse Ansiedelung der Tusker +in dem Lande, das heute noch ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer +hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische +Okkupation und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem +Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom Apennin +abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre bleibende Staette +gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich behauptet. +Die Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus; das Gebiet +von da nordwaerts bis zur Muendung der Macra und dem Apennin war streitiges +Grenzland, bald ligurisch, bald etruskisch, und groessere Ansiedlungen gediehen +deshalb daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der +Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo, spaeterhin der +Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet zwischen dem +Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete, Falerii, +Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren Distrikte, +moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den Etruskern eingenommen +zu sein scheint und dass die urspruengliche italische Bevoelkerung sich hier, +namentlich in Falerii, wenn auch in abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben +muss. +Seitdem der Tiberstrom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium +bildete, mag hier im ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und +eine wesentliche Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen +die Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker +ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom rechten +Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu haben als zum Beispiel +von den Stammesverwandten in Gabii und Alba; natuerlich, denn dort schuetzte +nicht bloss die Naturgrenze des breiten Stromes, sondern auch der fuer Roms +merkantile und politische Entwicklung folgenreiche Umstand, dass keine der +maechtigeren etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen +Ufer Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren es auch, mit +denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten, namentlich um +den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf dem linken Tiberufer, aehnlich +wie auf dem rechten den Roemern das Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf diente +und bald in den Haenden der Latiner, bald in denen der Etrusker sich befand. +Dagegen mit dem etwas entfernteren Caere war das Verhaeltnis im ganzen weit +friedlicher und freundlicher, als es sonst unter Nachbarn in solchen Zeiten +vorzukommen pflegt. Es gibt wohl schwankende und in die graueste Fernzeit +gerueckte Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische +Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben einen +Weinzins auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der einstmalige +Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges Verhaeltnis zwischen +den beiden uralten Mittelpunkten des Handels- und Seeverkehrs in Latium und in +Etrurien. Sichere Spuren von einem Vordringen der Etrusker ueber den Tiber +hinaus auf dem Landweg mangeln ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen +Barbarenheer, das Aristodemos im Jahre 230 (524) der Stadt unter den Mauern von +Kyme vernichtet, die Etrusker in erster Reihe genannt; indes selbst wenn man +diese Nachricht als bis ins einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, +dass die Etrusker an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger ist +es, dass suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete etruskische +Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer ernstlichen Bedraengung +der latinischen Nation durch die Etrusker gar nichts wahrgenommen wird. Der +Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung blieb den Roemern, +soviel wir sehen, unangefochten. Was die Uebersiedlungen etruskischer +Gemeinschaften nach Rom anlangt, so findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen +Annalen gezogener Bericht, dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von +Volsinii und nach dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, +angefuehrt habe, von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies +zuverlaessig sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges +von diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der Zusatz, +dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, +gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung solcher Archaeologen, die +mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf etruskische Ansiedlungen in Rom +deutet weiter das "Tuskerquartier" unter dem Palatin. +Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das letzte +Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der Tarquinier, aus +Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie die Sage will, sei es +aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas vor kurzem aufgefunden worden ist; +auch der in die Sage verflochtene Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist +unlateinisch, dagegen in Etrurien gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, +wonach Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten +Griechen war und in Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage +und die geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt, +sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt etwas mehr +entnommen werden kann als die nackte und im Grunde gleichgueltige Tatsache, dass +zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft das koenigliche Szepter in Rom +gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, dass diese Herrschaft eines Mannes +tuskischer Herkunft ueber Rom weder als eine Herrschaft der Tusker oder einer +tuskischen Gemeinde ueber Rom, noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber +Suedetrurien gefasst werden darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer +die andere Annahme irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der +Tarquinier spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat +waehrend der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in +Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige +Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes unterbrochen. +Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen das latinische +Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den Kaempfen der Etrusker mit +den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst nach der Vertreibung der Koenige +in Rom ueberschritten, teils in der Richtung der etruskischen Nation auf +Seefahrt und Meer- und Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen +Ansiedelungen entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter +die Rede sein wird. +Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen und latinischen auf +der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die fruehe Richtung der Nation aber +auf Schiffahrt, Handel und Industrie scheint rascher, als es sonst in Italien +der Fall gewesen ist, hier eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen +zu haben; zuerst von allen italischen Staedten wird in den griechischen +Berichten Caere genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder +kriegstuechtig und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische +Sitte, mit Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste +Verfassung der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit +der roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die aehnliche +Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie die roemischen; +Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber; fuer die Aehnlichkeit der +Geschlechterordnung buergt die Analogie des Namensystems, nur dass bei den +Etruskern die Abstammung von muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als +im roemischen Recht. Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie +umschloss nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die +kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso wie die +Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand aus zwoelf +Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den Goetterdienst, und ein +Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester anerkannten, aber doch im +wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein scheinen und zum Teil wenigstens +so maechtig, dass weder eine Hegemonie sich bilden noch die Zentralgewalt zur +Konsolidierung gelangen konnte. Im eigentlichen Etrurien war die Metropole +Volsinii; von den uebrigen Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere +Ueberlieferung nur Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso +selten, dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte +selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt regelmaessig +eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann ins Interesse zieht, +und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen wird, so schliessen sich +dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es scheint den etruskischen +Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen italischen Stammbuenden von Haus +aus an einer festen und gebietenden Oberleitung gefehlt zu haben. +10. Kapitel +Die Hellenen in Italien Seeherrschaft der Tusker und Karthager +Nicht auf einmal wird es hell in der Voelkergeschichte des Altertums; und +auch hier beginnt der Tag im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in +tiefes Werdegrauen eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen +Becken des Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte +Kultur ans Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten +Stadien der Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den Meister und +Herrn zu finden, ist in hervorragendem Masse auch den Voelkern Italiens zuteil +geworden. Indes lag es in den geographischen Verhaeltnissen der Halbinsel, dass +eine solche Einwirkung nicht zu Lande stattfinden konnte. Von der Benutzung des +schwierigen Landwegs zwischen Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet +sich nirgends eine Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von +Italien aus schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die +aelteste Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der +Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als Heimat des +Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich eine andere quer durch +die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa fuehrende an; aber Elemente der +Zivilisation konnten von dort her den Italikern nicht zukommen. Es sind die +seefahrenden Nationen des Ostens, die nach Italien gebracht haben, was +ueberhaupt in frueher Zeit von auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist. +Das aelteste Kulturvolk am Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch +nicht ueber Meer und haben daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig +aber kann dies von den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die +von ihrer engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter +allen bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des +Fisch- und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, die +zuerst den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit das Mittelmeer +bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast an allen Gestaden +desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische Seestationen: wie in +Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, Libyen und Spanien, so auch im +italischen Westmeer. Um ganz Sizilien herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe +die Griechen dorthin kamen, oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl +sich festsetzten, die Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre +Faktoreien gegruendet, des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu +gewinnen. Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von +phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige mit +einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei bei Caere, deren +Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der kleinen Ortschaft an der +caeritischen Kueste Punicum, teils in dem zweiten Namen der Stadt Caere selbst, +Agylla, welcher nicht, wie man fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern +phoenikisch ist und die "Rundstadt" bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen +Caere sich darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen es +an den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall weder +bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast spurloses +Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund vor, sie fuer aelter +zu halten als die gleichartigen hellenischen Ansiedlungen an denselben Gestaden. +Ein unveraechtliches Anzeichen davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen +Maenner erst durch Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre +latinische, der griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren +alle aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens +entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der +phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode +zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen des +caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat lag, wenn man sich +erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich Kuestenfahrt war und blieb, +den Phoenikern kaum eine Landschaft am Mittelmeer so fern wie der italische +Kontinent. Sie konnten ihn nur entweder von der griechischen Westkueste oder von +Sizilien aus erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt +frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der Adriatischen wie +der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen unmittelbaren Einfluss der +Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, ist deshalb kein Grund vorhanden; auf die +spaeteren Beziehungen der phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer +zu den italischen Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung +zurueckkommen. +Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die +zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die italischen +Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher Gegend und zu +welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin gelangt sind, laesst nur die +erstere sich mit einiger Sicherheit und Vollstaendigkeit beantworten. Es war das +aeolische und ionische Gestade Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr +sich grossartig entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des +Schwarzen Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des +Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien geblieben +ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die Griechen frueher das +Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken an die einstmalige Entdeckung +der Sued- und Ostkueste Italiens durch ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste +griechische Ansiedlung in Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine +Gruendung der gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach +glaubwuerdiger hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen +Phokaeer, die zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald +folgten auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach: +Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier, +Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung Amerikas die +zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin zu fahren und dort sich +niederzulassen; wie die Solidaritaet der europaeischen Zivilisation den neuen +Ansiedlern inmitten der Barbaren deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer +alten Heimat, so war auch die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im +Westland kein Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes +der Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu +Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und deutsche +Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch das griechische +Sizilien und "Grossgriechenland" aus den verschiedenartigsten hellenischen +Stammschaften oft ununterscheidbar zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser +einigen mehr vereinzelt stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren +Pflanzstaedten Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode +gegruendete Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei +Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen Staedte +zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme mit den uebrigen +griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, in Sizilien Zankle (spaeter +Messana), Naxos, Katane, Leontini, Himera zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris +und die Mehrzahl der grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische, +welcher Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen +Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen Pflanzstadt +Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die aeltere +hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen Einwanderung im +Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben sich vorzugsweise nur die +Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie Korinth und Megara, die rein dorischen +Landschaften dagegen nur in untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn +die Ionier waren ein altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme aber +sind erst verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen Bergen in die +Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten dem Seeverkehr ferner +geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen Einwanderergruppen +auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. Die phokaeischen Ansiedler praegen +nach dem in Asien herrschenden babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte +folgen in aeltester Zeit dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im +ganzen europaeischen Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen +Modifikation desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen +Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige +Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt hatte, nur +dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken vielmehr nach der +Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der der sizilischen Dorer. +Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und Ansiedlungen wird wohl fuer +immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. Zwar eine gewisse Folge darin tritt +auch fuer uns noch unverkennbar hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen, +welche, wie der aelteste Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern +eignet, in den Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das +oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See +verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa noch +von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde nach +Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen Dichtung +mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche am fruehesten mit +dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige Kunde von Sizilien und +Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter des Ostens konnten, wie +seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften Orient, ungestoert die leeren +Raeume des Westens mit ihren luftigen Gestalten erfuellen. Bestimmter treten +schon in den Hesiodischen Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; +sie kennen aus beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und +Staedten; doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten +nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte Gestade +Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. Ebenso laesst die +Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger Sicherheit sich bestimmen. +Als die aelteste namhafte Ansiedlung im Westland galt offenbar schon dem +Thukydides Kyme; und gewiss hat er nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen +Schiffer mancher Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den +Barbaren war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt +urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser Ansiedlung +leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf dem Festland dazu +ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die noch heute den +ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt traegt. Nirgends in Italien sind +denn auch die Oertlichkeiten der kleinasiatischen Maerchen mit solcher +Festigkeit und Lebendigkeit lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo +die fruehesten Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst +das Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu wandeln +meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden Aornossee +zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen Nachbarn der Italiker +wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb der Name desjenigen italischen +Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen war, der Name der Opiker, von ihnen +noch lange Jahrhunderte nachher fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist +ferner glaublich ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung in +Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch einen +betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener Einwanderung wieder +die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und Naxos auf Sizilien die +aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in Italien und Sizilien +gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die achaeischen und dorischen +Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind. +Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen auch +nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung der achaeischen +Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen Stadt Taras im Jahre 46 +Roms (708) moegen die aeltesten Daten der italischen Geschichte sein, deren +wenigstens ungefaehre Richtigkeit als ausgemacht angesehen werden kann. Um +wieviel aber die Ausfuehrung der aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser +Epoche zurueckliege, ist ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der +Hesiodischen und gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers +richtig bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der +Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle anderen +der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer die Geschichte +der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache erwaegt, dass den +Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der hellenische Stammname +aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung der Hellenen von dem in +Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder Graeci entlehnten ^1, wird +geneigt sein, den fruehesten Verkehr der Italiker mit den Griechen um ein +bedeutendes hoeher hinaufzuruecken. +------------------------------------------- +^1 Ob der Name der Graeker urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland +und der Gegend von Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das +Westmeer reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in +ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des +eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte Nation +uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als aelterer +Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit beiseite geschoben +und dem hellenischen untergeordnet, welcher letztere bei Homer noch nicht, wohl +aber, ausser bei Hesiod, schon bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704) +auftritt und recht wohl noch bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L. +Duncker, Geschichte des Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also +bereits vor dieser Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt, dass +jener in Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der +griechischen Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei +nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der +hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen ist als +diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer sich fixierte als +dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den wohlbekannten +naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es damit vereinigen will, dass +noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms Italien den kleinasiatischen +Griechen voellig unbekannt war, ist schwer abzusehen. Von dem Alphabet wird +unten die Rede sein; es ergibt dessen Geschichte vollkommen die gleichen +Resultate. Man wird es vielleicht verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin +die Herodotische Angabe ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es +etwa keine Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen? +---------------------------------------- +Die Geschichte der italischen und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil +der italischen; die hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten +Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten und Rechten +der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den verschiedenen Charakter +der griechischen Ansiedlungen daselbst zu bezeichnen und wenigstens gewisse +Grundzuege hervorzuheben, durch die der verschiedenartige Einfluss der +griechischen Kolonisierung auf Italien wesentlich bedingt worden ist. +Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am +meisten geschlossene war diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund +hervorging, welchen die Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, +Sybaris mit seinen Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, +Terina und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen +genommen, einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen, dem +dorischen naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des sonst +allgemein in Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit an der +altnationalen hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine besondere +Nationalitaet den Barbaren wie den andern Griechen gegenueber in einer festen +buendischen Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer laesst sich +anwenden, was Polybios von der achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: "nicht +allein in eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie, +sondern sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und +Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter". +Dieser Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die +Staedte waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne +Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den Bruecken seiner +Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm Milesier und Etrusker. Dagegen +besassen die Griechen hier nicht bloss die Kuestensaeume, sondern herrschten von +Meer zu Meer in dem "Wein-" und "Rinderland" (Oinotria, Italia) oder der +"grossen Hellas"; die eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel +oder gar in Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit +die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme und +fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und Poseidonia +gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des Krathis und Bradanos +warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen Ertrag ab - vielleicht ist +hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut worden. Von der hohen Bluete, zu welcher +diese Staaten in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die +einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre Muenzen +von strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die fruehesten +Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung erweislich im Jahre +174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen zeigen, dass die +Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben um diese Zeit im +Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern in der Technik +demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt der dicken, oft nur einseitig +gepraegten und regelmaessig schriftlosen Silberstuecke, welche um diese Zeit in +dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern ueblich waren, +schlugen die italischen Achaeer mit grosser und selbstaendiger Geschicklichkeit +aus zwei gleichartigen, teils erhaben teils vertieft geschnittenen Stempeln +grosse duenne, stets mit Aufschrift versehene Silbermuenzen, deren sorgfaeltig +vor der Falschmuenzerei jener Zeit - Plattierung geringen Metalls mit duennen +Silberblaettern - sich schuetzende Praegweise den wohlgeordneten Kulturstaat +verraet. +Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. In der muehelosen, weder +durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch durch eigene schwere Arbeit auf +die Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen frueh die Spannkraft +des Koerpers und des Geistes. Keiner der glaenzenden Namen der griechischen +Kunst und Literatur verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren +unzaehlige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische +Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der +Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess die +strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden frueh ans +Ruder gekommen war und im Notfall an der Bundesgewalt einen sicheren Rueckhalt +fand: wohl aber drohte die Verwandlung der Herrschaft der Besten in eine +Herrschaft der Wenigen, vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in den +verschiedenen Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig sich +aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des Pythagoras +bezeichnete solidarische Verbindung der "Freunde", sie gebot, die herrschende +Klasse "gleich den Goettern zu verehren", die dienende "gleich den Tieren zu +unterwerfen", und rief durch solche Theorie und Praxis eine furchtbare Reaktion +hervor, welche mit der Vernichtung der pythagoreischen "Freunde" und mit der +Erneuerung der alten Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, +Massenerhebungen der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische +Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten +Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, bis ihre +politische Macht darueber zusammenbrach. +Es ist danach nicht zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die +daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die +uebrigen griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus +ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als den +Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die Eingeborenen und +zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne doch den Italikern durch +vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu eroeffnen. So ist in Sybaris und +Metapont, in Kroton und Poseidonia das griechische Wesen, das sonst allen +politischen Missgeschicken zum Trotz sich lebenskraeftig zu behaupten wusste, +schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet, +und die zwiesprachigen Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der +eingeborenen Italiker und der Achaeer und den juengeren Einwanderern +sabellischer Herkunft hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig +gelangt. Indes, diese Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende Periode. +Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen +der uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn +keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer +Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art an einer +befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle diese Staedte +zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und darum denn auch, ganz +abweichend von den achaeischen, durchgaengig an den besten Haefen und +Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, die Veranlassung und die Epoche dieser +Gruendungen waren mannigfach verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine +gewisse Gemeinschaft - so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch +gewisser moderner Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der +Sprache, der auch in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel +Kyme ^3, von Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die +Entwicklung Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade +wichtig geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend +in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des dorischen Tarent +und des ionischen Kyme. +------------------------------------------------- +^2 So sind die drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als +leicht zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen +vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder ausschliesslich +oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, waehrend die uebrigen Griechen +Italiens und Siziliens ohne Unterschied des Stammes sich ausschliesslich oder +doch sehr vorwiegend der juengeren Formen bedient haben. +^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Tongefaess Tataies emi +leyqthos. Fos d'an me klephsei th?phlos estai. +--------------------------------- +Den Tarentinern ist unter allen hellenischen Ansiedlungen in Italien die +glaenzendste Rolle zugefallen. Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der +ganzen Suedkueste, machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepot fuer den +sueditalienischen Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem +Adriatischen Meer. Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und +Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft der +tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte - beide +Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos -, +beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch den +Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im griechischen +Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen Muenzen sind noch +heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften tarentinischen Verkehrs. +Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit Sybaris um den ersten Rang unter den +unteritalischen Griechenstaedten rang, muessen seine ausgedehnten +Handelsverbindungen sich angeknuepft haben; indes auf eine wesentliche +Erweiterung ihres Gebietes nach Art der achaeischen Staedte scheinen die +Tarentiner nie mit dauerndem Erfolg ausgegangen zu sein. +Wenn also die oestlichste der griechischen Ansiedlungen in Italien rasch +und glaenzend sich emporhob, so gediehen die noerdlichsten derselben am Vesuv zu +bescheidnerer Bluete. Hier waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus +die Kymaeer auf das Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart +am Meere eine zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia +(spaeter Puteoli), und weiter die "Neustadt" Neapolis gegruendet wurden. Sie +lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und Sizilien, nach +den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650) festgestellt hatte, in +einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus gemaessigten Verfassung, welche +die Macht in die Haende eines aus den Reichsten erlesenen Rates von Mitgliedern +legte - eine Verfassung, die sich bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten +Usurpatoren wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren +Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus Zwang oder +aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt auf einen engen +Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und unterdrueckend gegen die +Eingeborenen auftraten, sondern friedlich mit ihnen handelten und verkehrten, +erschufen sie sich selbst eine gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den +ersten Platz unter den Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein. +Wenn zu beiden Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die +ganze suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere oestliche +Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so gestalteten dagegen auf +der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv und auf der ganzen Ostkueste die +Verhaeltnisse sich wesentlich anders. An dem dem Adriatischen Meer zugewandten +italischen Gestade entstanden griechische Ansiedlungen nirgends; womit die +verhaeltnismaessig geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der +griechischen Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und den +zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich zusammenhaengt. Zwar +wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser Kueste zwei ansehnliche +Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt Durazzo; 127 587) und Apollonia +(bei Avlona; um 167 627) noch waehrend der roemischen Koenigsherrschaft +gegruendet; aber weiter noerdlich ist, mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden +Niederlassung auf Schwarzkerkyra (Curzola; um 174? 580) keine alte griechische +Ansiedlung nachzuweisen. Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die +griechische Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat, +wohin doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat +seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach Rom (um +44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein Handelszug bestand, +dessen Entrepots auf der italischen Kueste die Staedte an der Pomuendung, Spina +und Atria, waren. Die Stuerme der Adriatischen See, die Unwirtlichkeit +wenigstens der illyrischen Kuesten, die Wildheit der Eingeborenen reichen +offenbar allein nicht aus, um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist +es von den wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden Elemente der +Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften einwirkten, +sondern erst aus den westlichen in diese gelangten. Selbst in den Handelsverkehr +teilte sich mit Korinth und Kerkyra die oestlichste Kaufstadt +Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch den Besitz von Hydrus +(Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf der italischen Seite +beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung an der ganzen Ostkueste +nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht bestanden - Ankons Aufbluehen faellt +in weit spaetere Zeit und noch spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es +wohl begreiflich, dass die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in +Tarent loeschten. Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit +Apulien; auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im +Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die ersten +Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer spaeteren +Epoche. +Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich vom Vesuv in aeltester +Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf den Inseln und Landspitzen +hellenische Faktoreien bestanden, laesst sich nicht bezweifeln. Wohl das +aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die Lokalisierung der Odysseussage an den +Kuesten des Tyrrhenischen Meeres ^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des +Aeolos wiederfand, wenn man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am +Misenischen die der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das +ragende Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn +bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne des +Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, im "innersten +Winkel der heiligen Inseln" die Tyrrhener beherrschen oder in einer juengeren +Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke, Auson der Sohn des Odysseus +und der Kalypso heisst, so sind das alte Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, +welche der lieben Heimat auf der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe +herrliche Lebendigkeit der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den +Fahrten des Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung +derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der kymaeischen +Schiffer. +------------------------------------------- +^4 Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische +Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische 'Theogonie' in einem ihrer +juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor +Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und der +sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an, wo Italien +den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher sehr alt; und es +kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen mit Sicherheit in die +roemische Koenigszeit gesetzt werden. +------------------------------------------- +Andere Spuren dieser aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der +Insel Aethalia (Ilva, Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von +Griechen besetzten Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des +Hafenplatzes Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der +caeritischen Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss +die Namen unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die +eigentuemliche, von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen Stadtmauern +sich wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern von Pyrgi. Aethalia, "die +Feuerinsel", mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben mag in diesem +Verkehr die erste Rolle gespielt und hier die Altsiedlung der Fremden wie ihr +Verkehr mit den Eingeborenen seinen Mittelpunkt gehabt haben; um so mehr als das +Schmelzen der Erze auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit +dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia auf der +Elba gegenueberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt +und von ihnen in Betrieb genommen. +Wenn die Fremden, wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- +und Landraub obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit +sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven fortzufuehren, +so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das Vergeltungsrecht aus; und dass +die Latiner und Tyrrhener dies mit groesserer Energie und besserem Glueck getan +haben als ihre sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, +sondern vor allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich +der Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte und +Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch Herren ihrer +eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die sueditalischen Staemme +erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker Mittelitaliens, freilich sehr +wider den Willen der Lehrmeister, zur Seefahrt und zur Staedtegruendung +angeleitet. Hier zuerst muss der Italiker das Floss und den Nachen mit der +phoenikischen und griechischen Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst +begegnen grosse Kaufstaedte, vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am +Tiber, die, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung +vom Meere zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte an der +Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum, sicher keine +griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den geschichtlichen Verlauf +dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet gegen fremden Eingriff +darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande; wohl aber laesst es noch +sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung Italiens von der groessten +Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium und im suedlichen Etrurien einen +andern Gang genommen hat als in der eigentlichen tuskischen und den sich daran +anschliessenden Landschaften. +Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem "wilden Tyrrhener" den +Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche Gestade +an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint sein, dass man die +griechische Kolonisierung in einigen Landschaften Mittelitaliens geduldet, in +andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts vom Vesuv hat ueberhaupt in +geschichtlicher Zeit nirgends eine unabhaengige griechische Gemeinde bestanden, +und wenn Pyrgi dies einmal gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn +unserer Ueberlieferung in die Haende der Italiker, das heisst der Caeriten +zurueckgekehrt sein. Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium und ebenso an der +Ostkueste der friedliche Verkehr mit den fremden Kaufleuten geschuetzt und +gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem merkwuerdig ist die Stellung +von Caere. "Die Caeriten", sagt Strabon, "galten viel bei den Hellenen wegen +ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit, und weil sie, so maechtig sie waren, des +Raubes sich enthielten." Nicht der Seeraub ist gemeint, den der caeritische +Kaufmann wie jeder andere sich gestattet haben wird; sondern Caere war eine Art +von Freihafen fuer die Phoeniker wie fuer die Griechen. Wir haben der +phoenikischen Station - spaeter Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und +Alsion bereits gedacht; diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich +enthielten, und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine +schlechte Reede besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher +Bluete gelangt ist und fuer den aeltesten griechischen Handel noch groessere +Bedeutung gewonnen hat als die von der Natur zu Emporien bestimmten Staedte der +Italiker an den Muendungen des Tiber und des Po. Die hier genannten Staedte sind +es, welche in uraltem religioesen Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste +unter allen Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische +Koenig Arimnos, vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem +Tempel des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem +Verkehr stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der aeltesten +caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische Heiligtum sowohl +wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, wo die Italiker friedlich +schalteten und mit dem fremden Kaufmann freundlich verkehrten, wurden vor allen +reich und maechtig und wie fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime +der hellenischen Zivilisation die rechten Stapelplaetze. +Anders gestalteten sich die Verhaeltnisse bei den "wilden Tyrrhenern". +Dieselben Ursachen, die in der latinischen und in den vielleicht mehr unter +etruskischer Suprematie stehenden als eigentlich etruskischen Landschaften am +rechten Tiberufer und am unteren Po zur Emanzipierung der Eingeborenen von der +fremden Seegewalt gefuehrt hatten, entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, +sei es aus anderen Ursachen, sei es infolge des verschiedenartigen, zu Gewalttat +und Pluenderung hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub und die eigene +Seemacht. Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus Aethalia und Populonia +zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward, wie es scheint, hier nicht +geduldet, und bald durchstreiften sogar etruskische Kaper weithin die See und +machten den Namen der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache +galt diesen der Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die +Griechen das italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem +diese wilden Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, zeigt +am deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und kampanischen Kueste. +Zwar behaupteten im eigentlichen Latium sich die Latiner und am Vesuv sich die +Griechen; aber zwischen und neben ihnen geboten die Etrusker in Antium wie in +Surrentum. Die Volsker traten in die Klientel der Etrusker ein; aus ihren +Waldungen bezogen diese die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der +Antiaten erst die roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es +wohl, warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das +laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch steileren, +aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der Buchten von Neapel +und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende Korsarenwarte, wurde frueh +von den Etruskern in Besitz genommen. Sie sollen sogar in Kampanien einen +eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet haben und etruskisch redende Gemeinden +haben hier noch in vollkommen historischer Zeit im Binnenlande bestanden; +wahrscheinlich sind diese Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft +der Etrusker im kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am +Vesuv hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf Raub +und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen Staedten zeugen +namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens vom Jahre 200 der Stadt +(550) an die etruskischen Staedte, besonders Populonia, nach griechischem Muster +und auf griechischen Fuss geschlagen haben; dass dieselben nicht den +grossgriechischen, sondern vielmehr attischen, ja kleinasiatischen Stempeln +nachgepraegt wurden, ist uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche +Stellung der Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich +fuer den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit vorteilhafteren +als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend geboten sie am westlichen +ueber den grossen italischen Freihafen, am oestlichen ueber die Pomuendung und +das Venedig jener Zeit, ferner ueber die Landstrasse, die seit alter Zeit von +Pisa am Tyrrhenischen nach Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in +Sueditalien ueber die reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die +wichtigsten italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das +volaterranische und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der +Ostsee ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie, +gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel emporkommen; +und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der etruskische und +milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener Verbindung von Kaperei und +Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus entsprang, in welchem Etruriens Kraft +frueh sich selber verzehrt hat. +Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die +Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden, so +griff dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in diejenige Rivalitaet +ein, die damals Handel und Schiffahrt auf dem Mittellaendischen Meere vor allem +beherrschte: in die Rivalitaet der Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht +dieses Orts, im einzelnen darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit +diese beiden grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in +Griechenland und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen, +spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft rangen; +unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht gekaempft, aber die +Folgen derselben doch auch in Italien tief und nachhaltig empfunden. Die frische +Energie und die universellere Begabung des juengeren Nebenbuhlers war anfangs +ueberall im Vorteil; die Hellenen entledigten sich nicht bloss der phoenikischen +Faktoreien in ihrer europaeischen und asiatischen Heimat, sondern verdraengten +die Phoeniker auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten und Kyrene und +bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen Haelfte der +sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen Handelsplaetze der +energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward auch im westlichen Sizilien +Selinus (126 628) und Akragas (174 580) gegruendet, schon von den kuehnen +kleinasiatischen Phokaeern die entferntere Westsee befahren, an dem keltischen +Gestade Massalia erbaut (um 150 600) und die spanische Kueste erkundet. Aber +ploetzlich, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der +hellenischen Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses +Stockens der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den +Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die maechtigste +ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die den Seeverkehr auf +dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch den juengeren Rivalen auch +bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft ueber die Westsee, dem Besitze +beider Verbindungsstrassen zwischen dem oestlichen und dem westlichen Becken des +Mittelmeeres und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient und +Okzident, so konnte doch wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von +Sardinien und Sizilien noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren +Behauptung setzte Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche +zaehe und umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand +der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren +phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides schildert, +waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich ausgedehnte +Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen Festungen. Hatten bisher +die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt den Griechen gegenuebergestanden, +so zentralisierte jetzt die maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze +Wehrkraft ihrer Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische +Geschichte nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das +wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge +Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu +erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier und +Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen Ansiedlungen auf +Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten, wurden sie durch die +Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker wieder von dort vertrieben. +Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia (Aleria) auf Korsika Caere +gegenueber niederliessen, erschien, um sie von dort zu vertreiben, die +vereinigte Flotte der Etrusker und der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark; +und obwohl in dieser Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt +- die nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so +erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff bezweckt +hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber an der weniger +ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich nieder. Ein Traktat +zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss die Regeln ueber Wareneinfuhr +und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch ein Waffenbuendnis (symmachia) ein, +von dessen ernstlicher Bedeutung eben jene Schlacht von Alalia zeugt. +Charakteristisch ist es fuer die Stellung der Caeriten, dass sie die +phokaeischen Gefangenen auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den +Frevel zu suehnen, den delphischen Apoll beschickten. +Latium hat dieser Fehde gegen die Hellenen sich nicht angeschlossen; +vielmehr finden sich in sehr alter Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu +den Phokaeern in Hyele wie in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar +gemeinschaftlich mit den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere +Saguntum gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf die +Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen +zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den Latinern +und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern durch Vermittlung +der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, ihn stets mit dem +griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder den Namen der Stadt +Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den Griechen entlehnt haben, +dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern mit dem ebenfalls die griechische +Vermittlung ausschliessenden Namen der sarranischen bezeichnet werden ^7, +beweist ebenso wie die spaeteren Vertraege den alten und unmittelbaren +Handelsverkehr zwischen Latium und Karthago. +------------------------------------------------ +^5 Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago. +^6 Der Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio +Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich stammverwandt mit +dem der Hebraeer. +^7 Sarranisch heissen den Roemern seit alter Zeit der tyrische Purpur und +die tyrische Floete, und auch als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem +Hannibalischen Krieg in Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende +Stadtname Sarra ist wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen +Namen Sor gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern +nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K. Movers, Die +Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174. +-------------------------------------------- +Der vereinigten Macht der Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die +westliche Haelfte des Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der +nordwestliche Teil von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos an +der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im unmittelbaren +oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des Kyros und Kroesos, eben +als der weise Bias die Ionier zu bestimmen suchte, insgesamt aus Kleinasien +auswandernd in Sardinien sich niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der +karthagische Feldherr Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der +wichtigen Insel mit Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das +ganze Gestade Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen Gemeinde. +Korsika dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern zu und die +Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel, dem Pech, +Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in den Gewaessern westlich +von Sizilien und Sardinien herrschten die verbuendeten Etrusker und Karthager. +Zwar gaben die Griechen den Kampf nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen +Rhodier und Knidier setzten auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich +fest und gruendeten hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh trotz +seiner Isolierung und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis nach den +Pyrenaeen. An den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt Rhoda +(jetzt Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich angesiedelt, +ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten geherrscht +haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer die Hellenen vorbei; nach +Akragas' Gruendung sind ihnen bedeutende Gebietserweiterungen am Adriatischen +wie am westlichen Meer nicht mehr gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der +Atlantische Ozean blieben ihnen verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die +Liparaeer mit den tuskischen "Seeraeubern", die Karthager mit den Massalioten, +den Kyrenaeern, vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner Seite +hin ward ein dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der Jahrhunderte +langen Kaempfe war im ganzen die Aufrechterhaltung des Status quo. +So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern es zu danken, +dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften nicht kolonisiert +wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine nationale Seemacht ins Leben +trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren, dass die Phoeniker es schon der Muehe +wert fanden, wenn nicht gegen die latinischen, doch wenigstens gegen die +seemaechtigeren etruskischen Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, +die aller Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den +Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den +Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden +rivalisierenden Interessen. +11. Kapitel +Recht und Gericht +Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu +machen, vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die +Entwicklung der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken +und Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes +beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der Versuch, +diese Zustaende, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben +fuer diese aelteste, geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen +notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der +alten Kulturvoelker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum +Bewusstsein bringen laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten +Voelkernamen und getruebten Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir +muehsam begreifen, dass sie einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche +Rede durch diese saeuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner +und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser +schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im +Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgepraegt, wie man +gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern kam und die +weiteren Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser Wissen ist, schon +fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der Sabeller und das etruskische, so +wird doch selbst die geringe und lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens +eine Anschauung oder doch eine Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen +Betrachtung, um dies gleich hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich +zusammenfassen, dass bei den Italikern und insbesondere bei den Roemern von den +urzeitlichen Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei +irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, Streitwagen, +Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau, primitive Bestattungsform, +Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende Geschlechtsverfassung, lebendiger +Natursymbolismus - alle diese und unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen +wohl auch als Grundlage der italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber +wo diese uns zuerst anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos +verschwunden, und nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber +ihr einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte bei +einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die griechische und +deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen Charakter. +Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen: nur +von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung einige Kunde +auf uns gekommen. +Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem +Koenig, welcher Gericht oder "Gebot" (ius) haelt an den Spruchtagen (dies fasti) +auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem Wagenstuhl +(sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor ihm der +Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber die Knechte +der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste maennliche +Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst nicht als Glieder der +Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte die +hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine +eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des +dem Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen +Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der +koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur. +Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich +vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die +Toetung des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die +Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon +bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die Blutrache +in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt unterdrueckt +worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den Genossen und dem +Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem deutschen Recht zukommt, in dem +aeltesten roemischen etwas wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in +jenem so haeufig ist, dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den +Waffen in der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig +behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess, je nachdem +der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten einschreitet. Zu +jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen ist, also vor allen Dingen +im Falle des Landesverrats oder der Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) +und der gewaltsamen Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der +arge Moerder (parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen +oder Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch +boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Goetter und +des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den +gemeinen Frieden und werden deshalb dem Hochverraeter gleich geachtet. Den +Prozess eroeffnet und leitet der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit +den zugezogenen Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, +nachdem er den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die +Urteilsfaellung an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat +genommen werden; die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die +Zweimaenner fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die +spaeteren staendigen Stellvertreter, die "Mordspuerer" (quaestores parricidii), +denen zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse +polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber +wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist Regel, +doch kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung zur +Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer ueberwiesen ist, +den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem Leben; die +Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen +gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt. Begnadigen +kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig aber kann dem +Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) gestatten oder +verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine Begnadigung des verurteilten +Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall +tut, darf an demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus +betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher +geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der +Vesta zufaellig begegnet. +------------------------------------------ +^1 Dieser "Wagenstuhl" - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht wohl +moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in der Weise +erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt war, woher das +Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche Gelegenheiten blieb, und +dass er urspruenglich, solange es noch kein erhoehtes Tribunal gab, auf dem +Comitium oder wo er sonst wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach. +^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, +24) sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte ermordet +haetten; dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht +geweigert habe; dass dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus +die Moerder des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass +aber infolge goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener Strafgerichte +sowohl die ersten als die zweiten Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich +zur gerechten Strafe gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine +Historisierung der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der +Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden +Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber auch +verwirrt oder zurechtgemacht. +------------------------------------------------ +Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt +der Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name +multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner +Hand. +In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine Friede +verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher +den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter Gewalt zwingt, sich mit ihm +persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind beide Parteien erschienen und hat der +Klaeger die Forderung muendlich vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in +gleicher Weise verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen +oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die +regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich +zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein, +wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne +(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder seine +gerechte Forderung nicht erfuellt ward. +Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war +und wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht +bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat +ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die Erbitterung, +welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen diesen. Erschien +der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht imstande, die von dem +Beschaedigten geforderte und von dem Richter gebilligte Schaetzung zu erlegen, +so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zugesprochen. +Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den +leichteren Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen +durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge +fordern und Zahn um Zahn. +Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in +Feldgemeinschaft benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt +worden ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem "Sklaven- +und Viehstand" (familia pecuniaque) entwickelt. Als Rechtsgrund desselben gilt +nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles +Eigentum als dem einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben +und Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in +dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. Alles +Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen +wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit +ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und +kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das +vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die +Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche +Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch +versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein +Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den +Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen Beschraenkungen +des Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem +erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die Einrichtung, +wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und seine Kinder desselben +beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter Vormundschaft gesetzt +ward, wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst +aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere +Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden +Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers und +Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen Recht +miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit +Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten, +durchaus nicht zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich +unmoeglich; anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient die +sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den Glaeubiger +gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort (fiducia) gibt, +bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu veraeussern und sie nach +Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem Schuldner zurueckzustellen. +Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die +Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten +(praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen die +Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen Anspruch auf +Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach +kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig +hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. Rechtlich +klagbar sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die +versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner +der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich +abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die +Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den bedungenen +Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das Kupfer anstatt der +Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser geworden war, geschah durch +Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer auf der von einem Unparteiischen +richtig gehaltenen Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer +dafuer einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der +Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls buesst er +dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet haette. Immer aber +bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug um Zug beiderseits erfuellt +war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum und begruendet keine Klage. In +aehnlicher Art wird das Darlehen eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner +vor Zeugen die bedungene Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur +Rueckgabe zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu +entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das Jahr zehn +Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die +Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat gegenueber seine +Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit allem, was er hatte, +verkauft; dass der Staat forderte, genuegte zur Konstatierung der Schuld. Ward +dagegen von einem Privaten die Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig +angezeigt (vindiciae), oder erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens +nicht, so kam es darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, +was bei Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was +bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen leicht +bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des Sachverhaeltnisses geschah in +Form einer Wette, wobei jede Partei fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz +(sacramentum) machte: bei wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen +von fuenf Rindern, bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied +sodann, wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei +den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht +gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage hatte +verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand, +also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern er nicht Zeugen fuer die +Rueckzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren "durch Handanlegung" (manus +iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht +stellte, lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der +Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten und +diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren +eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persoenlich +verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der Proletarier +nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch Vertretung ein, so +sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn +abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage +verstrichen, war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt +ausgestellt und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und dies +alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu toeten +und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner +Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven +Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der roemischen +Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave werden. So ward +Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den Dieb und +Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den zahlungsunfaehigen +Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt. +------------------------------------------------- +^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als +die Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums +gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die Tradition +angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht. Ihrem +Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie passt +zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand erworben werden +und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das Vermoegen +wesentlich in Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung +derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird demnach eine +Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch der Gebrauch +der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die Manzipation +urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen Reform bei +allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete die +Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, dass nur +diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten. +^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des Kapitals +(uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das zwoelfmonatliche zehn +vom Hundert. +--------------------------------------------- +Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur +Schirmung des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der +Wahnsinnigen und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der +Hut desselben berief. +Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle +Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die Witwe mit den +Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren von der gesetzlichen +Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem +Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist; +indes scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig geworden zu sein, und wo +sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem jeden ueber +sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermassen +abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen einem Freund uebertrug, der +dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen gemaess verteilte. +Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte +freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen +dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger +Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren +der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die +Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem +Herrn nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach +Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo +sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber +anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. Eine +eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch nicht - der +beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht gegeben haben kann -, +sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt, welche das Recht sonst darbot: +das Testament, der Prozess, die Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung +seines letzten Willens in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte +oder wenn er dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die +Freiheit anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu +lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als frei +selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach anfangs als +Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere Schwierigkeiten als die +Freilassung des Knechts stiess diejenige des Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis +des Herrn zum Knecht zufaellig und darum willkuerlich loesbar ist, so kann der +Vater nie aufhoeren Vater zu sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem +Vater sich zu loesen, erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser +entlassen zu werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine +Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben. +Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten, +zwischen denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige privatrechtliche +Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen +Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie +seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht erworben +wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das Grundstueck, das +ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische Buerger wohl faktisch +gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer gelten; denn die +Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne Buerger nicht befugt. Anders +ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, +bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und +hier haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder +zurueckzunehmen. +Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere +Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der roemischen +gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige Buendnis zwischen Rom und +Latium alle Vertraege zwischen Roemern und Latinern fuer rechtsgueltig und +verordnete zugleich fuer diese einen beschleunigten Zivilprozess vor +geschworenen "Wiederschaffern" (reciperatores), welche, da sie, gegen den +sonstigen roemischen Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu +uebertragen, immer in der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein +aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und +Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages +und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die Formen, in +denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, waren natuerlich +die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer miteinander verkehrten; +denn die Manzipation und das Nexum sind urspruenglich gar keine Formalakte, +sondern der praegnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte +wenigstens so weit man lateinisch sprach. +In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem eigentlichen +Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit den Caeriten und +anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr und Rechtsfolge +abgeschlossen und die Grundlage des internationalen Privatrechts (ius gentium) +geworden sein, das sich in Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat. +Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der "Wandel" (von +mutare; wie dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf +einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des Schuldners, +sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer Hand in die andere beruht +und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem +einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, dass das Wort +als moiton im sizilischen Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das +Wiedererscheinen des lateinischen carcer in dem sizilischen karkaron. Da es +sprachlich feststeht, dass beide Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird +ihr Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den +haeufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie +veranlasste, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in den +aelteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, sich zu +unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen Gefaengnisses, +"Steinbrueche" oder latomiai, in alter Zeit auf das erweiterte roemische +Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen. +Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser +Institutionen, die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes +Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten Aufzeichnung des +roemischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Koenigszeit sich +wohl fuer einzelne Punkte, aber nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen +wir darin das Recht einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als +konsequenten Acker- und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, +wie zum Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig +verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den +Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer sind zum +Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach roemischer wie nach +deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd erscheinen musste, und vor allem +die uralte latinische Formel der Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch +bei den Kelten und den Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das "reine Kraut" +(herba pura, fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der +angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen Ausnahmen +aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen Gebraeuche schuetzten +- dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch das Fetialenkollegium +namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das roemische Recht, das wir +kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und fordert in allen Faellen nicht +mehr und nicht weniger als den vollen und reinen Ausdruck des Willens. Die +Uebergabe der Sache, die Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind +vollzogen, so wie die Parteien die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert +haben; es ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu +geben, den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu +verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzufuehren; aber +alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem roemischen Landrecht +rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus der Religion alle +Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward, wurde auch aus dem +Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist hier jener aelteste +Zustand, den die hellenischen wie die germanischen Institutionen uns darstellen, +wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der Autoritaet der kleineren, in die +Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gaenzlich +beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergaenzung der +unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine +ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung des einzelnen +beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl einmal bei den +Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sakralrechts, +zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger den naechsten +Verwandten des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich +finden; allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken +erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar vernichtet +ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; aber die +ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet ist durch +sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der Staat dem Buerger +gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund ist ueberall der Staat: die +Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; +alles Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung +von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde +in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es +bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des oeffentlichen und des +Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat, welche +unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer Lebensstrafe nach sich +ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder den Gast, welche zunaechst auf +dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder Befriedigung des Verletzten erledigt +und niemals mit dem Leben gebuesst werden, sondern hoechstens mit dem Verlust +der Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung des +Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in +Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge Wechselprozess +zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr +vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende Rechtsgleichheit auch +dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den Maennern voellig auf +eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt sind; ja der kaum +erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht ueber sein +Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist in seinem Kreise so souveraen, +wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst charakteristisch ist das +Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, sondern anstatt der +Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage das Hypothekarverfahren +schliesst, der Uebergang des Eigentums vom Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen +ist der persoenliche Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen +ausschweifendsten Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, +den zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und ihm +dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott ausbedingt, hier +in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den Punkt wegen des +Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es der Jude tat. Deutlicher +konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass es zugleich unabhaengige, nicht +verschuldete Bauernwesen und kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles +Scheineigentum aber wie alle Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu +unterdruecken beabsichtige. Nimmt man dazu das frueh anerkannte +Niederlassungsrecht saemtlicher Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene +Gueltigkeit der Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das +Hoechste von seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des +einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm, dies nur +tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs selber niederwarf und +die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie beschraenkte. Gestattend oder +hemmend tritt das Recht stets unbedingt auf: wie der unvertretene Fremde dem +gehetzten Wild, so steht der Gast dem Buerger gleich; der Vertrag gibt +regelmaessig keine Klage, aber wo das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da +ist es so allmaechtig, dass dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine +menschliche und billige Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das +Recht eine Freude daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die +aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam +dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, die gemuetliche +Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten, sind +dem Roemer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein Symbol +angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles Noetige wird +vollzogen ohne Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert +werden kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts, den zu gewinnen andere +Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber es ist schrecklich, dies Recht +mit seiner unerbittlichen Strenge, die man sich nicht allzusehr gemildert denken +darf durch eine humane Praxis, denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die +Bleidaecher und die Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der +Arme in den Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die +Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein Recht +gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze der Freiheit +und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge unverfaelscht und +ungemildert walteten und heute noch walten. +12. Kapitel +Religion +Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher angedeutet ward, +hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem hoeheren und +idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine wie +das Grosse wiederholte. Der Staat und das Geschlecht, das einzelne Naturereignis +wie die einzelne geistige Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja +jede Handlung innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen +Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im ewigen +Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis. Der Schutzgeist, +der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht laenger als diese Handlung +selbst, der Schutzgeist des einzelnen Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; +und nur insofern kommt auch diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche +Handlungen und gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer +aufs neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten ueber +jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff auch der +Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott entgegentreten mag, so +koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten dennoch durch Gemeindebeschluss in +Rom eingebuergert werden, und wenn aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom +uebersiedelten, wurden auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue +Staette sich zu bereiten. +Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder Beruehrung mit +den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem Verzeichnis der +oeffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae) der roemischen Gemeinde, +das in dem Kalender derselben erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus dem +roemischen Altertum auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben +nehmen die Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem +Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig, ausserdem die +saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter noch zu erwaehnende Tage; +seinem Widerspiel, dem "boesen Jovis" (Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) +gewidmet. Dem Mars dagegen gehoert das Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das +grosse Kriegerfest in diesem, von dem Gotte selbst benannten Monat, das, +eingeleitet durch das Pferderennen (equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an +den Tagen des Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), des +Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der Drommetenweihe +(tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie, wenn ein Krieg zu fuehren +war, derselbe mit diesem Feste begann, so folgte nach Beendigung des Feldzuges +im Herbst wiederum eine Marsfeier, das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. +Oktober). Dem zweiten Mars endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar +(Quirinalia) eigen. Unter den uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und +Weinbau bezueglichen die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine +untergeordnete Rolle spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse Reihe der +Fruehlingsfeste im April, wo am 15. der Tellus, das ist der naehrenden Erde +(fordicidia, Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der Ceres, das ist der +Goettin des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann am 21. der befruchtenden +Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter als dem Schuetzer der Reben +und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden Faesser von der vorjaehrigen Lese +(Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia) +Opfer dargebracht werden. Ebenso wird nach vollendeter Arbeit und gluecklich +eingebrachtem Feldersegen dem Gott und der Goettin des Einbringens und der +Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops ein Doppelfest gefeiert: zunaechst +unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21. August, Consualia; 25. August, +Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen der Speicher vor allem offenbar +wird (15. Dezember, Consualia; 19. Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren +beiden Feiertagen die sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest der +Aussaat (Saturnalia von Saturnus oder Saturnus, 17. Dezember), einschaltete. +Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest (meditrinalia, 11. Oktober), so +benannt, weil man dem jungen Most heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem +Weingott nach vollendeter Lese dargebracht, waehrend die urspruengliche +Beziehung des dritten Weinfestes (Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen +Festen kommen weiter am Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) +der Hirten zu Ehren des guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest +(Terminalia, 23. Februar) der Ackerbauer, ferner das zweitaegige sommerliche +Hainfest (Lucaria, 19., 21. Juli) das den Waldgoettern (Silvani) gegolten haben +mag, die Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kuerzesten Tages, +der die neue Sonne herauffuehrt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember). +Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das fuer die Hafenstadt +Latiums sich nicht anders erwarten laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der +See (Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17. August) und des +Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in +diesem Goetterkreis nur vertreten durch den Gott des Feuers und der +Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag +(Volcanalia, 23. August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, +23. Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis +(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die Goettin der +Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als Schuetzerin der Geburten +verehrt ward. +Dem haeuslichen und Familienleben ueberhaupt galten das Fest der Goettin +des Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der Penaten +(Vestalia, 9. Juni); das Fest der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das +Fest des Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), +das Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige +Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die buergerlichen +Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht klaren Festtage der +Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5. +Juli), von denen wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das +Fest der sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem +Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) gewidmet. +Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter und der Acca +Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest (23. Dezember), +sind ihrem Wesen nach verschollen. +----------------------------------------------- +^1 Das ist allem Anschein nach das urspruengliche Wesen der "Morgenmutter" +oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass, wie die +Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die Morgenstunde fuer die Geburt +als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin ist die Mater matuta wohl +erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus geworden; schon dass die +Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt ward, spricht dagegen, sie +urspruenglich als Hafengoettin zu fassen. +----------------------------------------------- +Diese Tafel ist vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; +und wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit +Wandel- und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, +in dem, was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in eine +sonst fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der +altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits erfolgt, als diese +Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch +stand der kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen +Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet; +noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss des +roemischen, sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen +Epoche, wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war +allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, vorwiegend +gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind niederwerfende +goettliche Vorfechter der Buergerschaft - natuerlich in der Art, dass eine jede +Gemeinde ihren eigenen Mars besass und ihn fuer den staerksten und heiligsten +unter allen achtete, demnach auch jeder zu neuer Gemeindebegruendung +auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist +sowohl in der - sonst goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch +wahrscheinlich in den saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der +erste Monat geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls +keiner Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter Zeit +in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht knuepft sich +die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige Tier des Mars, ist auch +das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, und was von heiligen Stammsagen +die roemische Phantasie aufzubringen vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck +auf den Gott Mars und seinen Doppelgaenger, den Quirinus. In dem +.Festverzeichnis nimmt allerdings der Vater Diovis, eine reinere und mehr +buergerliche als kriegerische Widerspiegelung des Wesens der roemischen +Gemeinde, einen groesseren Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des +Jupiter an Rang den beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr +hervorragende Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar +ganz glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis neben Mars +stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte Mittelpunkt der +Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde auch damals noch der +kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war, wogegen gleichzeitig nicht der +durch die Griechen spaeter eingefuehrte "Sorgenbrecher", sondern der Vater Jovis +selbst als der Gott galt des herzerfreuenden Weines. +----------------------------------- +^2 Aus Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich +durch verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in o +(aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in der Doppelform +Mar-Mor (vgl. Ma-murius) neben Mar-Mar und Ma-Mers. +----------------------------------- +Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die roemischen Gottheiten im +einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren +eigentuemlichen, zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben. +Abstraktion und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der +hellenischen Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer +Naturerscheinung oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen +jede Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen +als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte Gottheit: +"bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib"; dafuer der tiefhaftende +Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde +unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott +bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen hinueberlocke. Ein Ueberrest +dieser maechtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der aeltesten und +nationalsten italischen Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die Abstraktion, +die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer weiteren +Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen der Dinge +einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen Glaubensbilder auf einer +unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und des Begreifens. Wenn dem Griechen +jedes bedeutsame Motiv sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis +erweitert, so bleibt dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen +nackten Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher +Verklaerung, dem goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und +geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion +nichts auch nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich +waere. Sie weiss wohl auch von einem "schlimmen Gott" (Ve-diovis), von +Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten der +boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des Diebstahls +(laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das Menschenherz doch auch +sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit dem +Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen in der Natur und dem Menschen, +welches der Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen +soll. Es gab in der roemischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen +der Stadtgoetter, der Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war jedem +offenbar. +Die nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die wichtigen +Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie terminologisch +auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch dem Privatrecht zu Grunde +liegenden Einteilung von Personen und Sachen - zu klassifizieren, um darnach die +Goetter und Goetterreihen selber richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung +der Menge zu weisen (indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen +von der einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit ging +die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat (saturnus) und +Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein (terminus) gehoeren zu den +aeltesten und heiligsten roemischen Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste +unter allen roemischen Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein +eigentuemlich italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; +und doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische +Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns zunaechst +der "Geist der Eroeffnung" anzurufen sei, und vor allem das tiefe Gefuehl davon, +dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen Goetterbegriffe in Reihen +zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren Goetter der Hellenen notwendig jeder +fuer sich standen ^3. Vielleicht der innigste unter allen roemischen ist der +Kult der in und ueber dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im +oeffentlichen Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der +der Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen +Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der Familienmahlzeit +ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu verrichten noch zu des +aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters erstes Geschaeft war. Aber in +der Rangordnung der Goetter nahmen diese Haus- und Feldgeister eher den letzten +als den ersten Platz ein; es war, wie es bei einer auf Idealisierung +verzichtenden Religion nicht anders sein konnte, nicht die weiteste und +allgemeinste, sondern die einfachste und individuellste Abstraktion, in der das +fromme Herz die meiste Nahrung fand. +---------------------------------------- +^3 Dass Tor und Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist +und er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch +vor dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn +unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der nach zwei +Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten hin sich oeffnenden +Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf man um so weniger aus ihm +machen, als der von ihm benannte Monat urspruenglich der elfte, nicht der erste +ist; vielmehr scheint dieser Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser +Zeit nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von +vorn beginnt. Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der Spitze des +Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich des Janus +hineingezogen ward, versteht sich von selbst. +------------------------------------- +Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die +praktische und utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der +oben eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und +Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel - das +ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu recht wohl, +dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- und Gluecksgoettin +(fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle aus dem taeglichen Verkehr +hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch schon sehr +frueh weit und breit von den Roemern verehrt auftreten. Strenge +Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische Spekulation waren zu tief im roemischen +Wesen begruendet, um nicht auch dessen goettliches Abbild bis in den innersten +Kern zu durchdringen. +Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der +sterblichen Menschen, die "Guten" (manes) lebten schattenhaft weiter, gebannt an +den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von den Ueberlebenden +Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen der Tiefe und keine Bruecke +fuehrte aus der unteren Welt weder zu den auf der Erde waltenden Menschen noch +empor zu den oberen Goettern. Der griechische Heroenkult ist den Roemern voellig +fremd und wie jung und schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt +schon die ganz unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. +Numa, der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in Rom nie +als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen. +Die aeltesten Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem +auf Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der "Zuender des Mars" +(flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt ward, und die +zwoelf "Springer" (salii), eine Schar junger Leute, die im Maerz den Waffentanz +zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass die Verschmelzung der +Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung des roemischen Mars und +damit die Einfuehrung eines zweiten Marspriesters - des flamen Quirinalis - und +einer zweiten Taenzergilde - der salii collini - herbeifuehrte, ist bereits +frueher auseinandergesetzt worden. +Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach weit +ueber Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, fuer welche entweder +Einzelpriester angestellt waren -solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des +Volcanus, des Hafen- und des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen +Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine +derartige Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf "Ackerbrueder" (fratres +arvales), welche die "schaffende Goettin" (dea dia) im Mai anriefen fuer das +Gedeihen der Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in +dieser Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches wir ihr in der +Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische Bruederschaft sich an, +die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu bewahren und zu besorgen hatte, +sowie die fuer die Herde der dreissig Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender +(flamines curiales). Das schon erwaehnte "Wolfsfest" (lupercalia) wurde fuer die +Beschirmung der Herden dem "guenstigen Gotte" (faunus) von dem +Quinctiergeschlecht und den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen +Fabiern im Monat Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die +"Woelfe" (luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und wen sie +trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern gentilizischen Kulten +zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten. +Zu diesem aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich +neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf die +neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam zum zweitenmal +gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste beste Jovis vom +Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes, an die Spitze der gesamten +roemischen Goetterschaft, und sein fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis, +bildet mit den beiden Marspriestern die heilige oberpriesterliche Dreiheit. +Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes - der Vesta - und +der dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche Jungfrauen versahen, +gleichsam als die Haustoechter des roemischen Volkes, jenen frommen Dienst und +hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes den Buergern zum Beispiel und zum +Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es war dieser haeuslich-oeffentliche +Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie er denn auch von allem +Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen Verfemung gewichen ist. Ferner +wurde der Aventin der Diana angewiesen als der Repraesentantin der latinischen +Eidgenossenschaft, aber eben darum eine besondere roemische Priesterschaft fuer +sie nicht bestellt; und zahlreichen anderen Goetterbegriffen gewoehnte +allmaehlich die Gemeinde sich in bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder +durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu +huldigen, wobei sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der +Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass deren +zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied man unter ihnen +jene drei "grossen Zuender" (flamines maiores), die bis in die spaeteste Zeit +nur aus den Altbuergern genommen werden konnten, ebenso wie die alten +Genossenschaften der palatinischen und quirinalischen Salier stets den Vorrang +vor allen uebrigen Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen +und stehenden Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften +oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur Deckung +der vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den einzelnen Tempeln +gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen. +Dass der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der +sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht zu bezweifeln; +nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und Vestalinnen nicht spezifisch +roemische, sondern allgemein latinische Institutionen gewesen und wenigstens die +drei ersten Kollegien scheinen in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach +roemischem Muster gebildet zu sein. +Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis des Staats, so auch der +einzelne Buerger innerhalb seines individuellen Kreises aehnliche Anordnungen +treffen und seinen Goettern nicht bloss Opfer darbringen, sondern auch Staetten +und Diener ihnen weihen. +Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen +an den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. Jeder +Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde natuerlich +durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio und die Ritterschaft +durch ihre Obristen; und keine priesterliche Vermittlung durfte das +urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken oder verdunkeln. Allein es ist +freilich nicht leicht, mit dem Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine eigene +Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber +recht versteht, der weiss den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, +sondern auch zu lenken, sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. +Darum ist es natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige Leute +zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen +Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus national-italische +Institution, die auf die politische Entwicklung weit bedeutender eingewirkt hat +als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft +verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung +einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der +Tradition fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren +richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren treue +Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese geschlossenen und +sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden Genossenschaften sind +dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und Wissenschaften geworden. In der +roemischen und ueberhaupt der latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher +Kollegien urspruenglich nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die +sechs "Voegelfuehrer" (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus dem Flug +der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich betrieben und in ein +gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward. Die sechs "Brueckenbauer" +(pontifices) fuehrten ihren Namen von dem ebenso heiligen wie politisch +wichtigen Geschaeft, den Bau und das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es +waren die roemischen Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen +verstanden; woher ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu +fuehren, dem Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu +sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage +vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den ganzen +Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe, Testament und +Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte Geschaeft nicht gegen das +goettliche Recht irgendwie verstosse, und ging von ihnen die Feststellung und +Bekanntmachung der allgemeinen exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter +dem Namen der Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller +Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die allgemeine +Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was damit zusammenhing - und +was hing nicht damit zusammen? Sie selbst bezeichneten als den Inbegriff ihres +Wissens "die Kunde goettlicher und menschlicher Dinge". In der Tat sind die +Anfaenge der geistlichen und weltlichen Rechtswissenschaft wie die der +Geschichtsaufzeichnung aus dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn +wie alle Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft, +musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der Errichtung +der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung nicht entstehen +konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell werden, das ueber +Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein Gutachten zu geben allein kompetent +war. +------------------------------------------------------- +^4 Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen +Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen (z. B. Cic. +leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der pater patratus der +Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen Kollegien aber nicht. Jene +also stehen auf einer Linie mit der Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, +Luperkern als aeltestes latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris +faciundis und die anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die +Servianischen Tribus und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom +beschraenkt geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices, +ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische Schema +anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen, oder es +bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat, pons nicht +Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer. +Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn schwanken. +Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt Cicero (leg. agr. 2, 35, +96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht dies, sondern nur, dass die Zahl +der roemischen Augurn durch drei teilbar sein und insofern auf eine ungerade +Grundzahl zurueckgehen muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum +Ogulnischen Gesetz sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), +indem er Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die Zahl +der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20. +------------------------------------------------------- +Gewissermassen laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten +Genossenschaften geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig +Staatsboten (fetiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als +lebendiges Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden +durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des vertragenen +Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den Suehneversuch und die +Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus fuer das Voelkerrecht, was die +Pontifices fuer das Goetterrecht, und hatten daher auch wie diese die Befugnis, +Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen. +Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie wichtige +und umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am +wenigsten bei den am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern +sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht unmittelbar zu +erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen hatten. So steht auch der +vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem Koenig nach, sondern er darf +ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und +wann er die Voegel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und +verdolmetscht ihm, wenn es noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann +der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders +eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit unerbittlicher +Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, dass in +dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu verbleiben und, von +allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Buerger dem geringsten +Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung beruht +wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in untergeordneter +Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkraeften; sie bewegt sich darum auch +vorwiegend in Aeusserungen der Freude, in Liedern und Gesaengen, in Spielen und +Taenzen, vor allem aber in Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden, +regelmaessig von Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in +Italien das Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist +den Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche +Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit des Jubels +ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit gegen die Goetter +ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten latinischen Kultes; und auch +das freie Walten der Phantasie wird durch die sittliche Zucht, in der die Nation +sich selber haelt, mit eiserner Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die +Auswuechse, die von solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern +ferngeblieben. Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld +und irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein Verbrechen +gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im innersten Wesen +auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum Tode verurteilten +Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes Suehnopfer wie die im +gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes; der naechtliche Dieb der +Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie der boese Feind auf dem Schlachtfeld +der Mutter Erde und den guten Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke +der Stellvertretung begegnet hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, +ohne dass auf einen bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie +versoehnen, wer sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige +Erdspalten sich schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn +ein braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde +stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der heilige Lenz, indem den Goettern +dargebracht wird, was der bestimmte Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden +laesst. Will man dies Menschenopfer nennen, so gehoert solches freilich zum Kern +des latinischen Glaubens; aber man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in +die Ferne irgend zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, +sich beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht +ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt. +Menschenopfer anderer Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und +beruhen wenigstens bei den indogermanischen Staemmen ueberall, wo sie vorkommen, +auf spaeterer Ausartung und Verwilderung. Bei den Roemern haben sie nie Eingang +gefunden; kaum dass einmal in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und +Verzweiflung ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von +Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den Roemern +verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und Prophetentum hat in +Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in Griechenland und nie vermocht, das +private und oeffentliche Leben ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern +Seite ist dafuer auch die latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit +und Trockenheit verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und +geistlosen Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, +vor allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer +Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine Richtung +auf das Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben wird und nicht +minder scharf noch in dem heutigen Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die +Goetter stehen dem Menschen voellig gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; +jeder von ihnen hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und +Leistungen, und da die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente +des irdischen Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines +jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine muehsame +und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen auch nur sich +bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen Rechtes kundigen und +dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu ungemeinem Einfluss gelangen. +Denn der rechtliche Mann erfuellt die Vorschriften des heiligen Rituals mit +derselben kaufmaennischen Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen +Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es +seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein: +das Geluebde ist der Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen +dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine +gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein +Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte +Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der Menschen alle +Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der roemische Kaufmann, seiner +konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag bloss dem Buchstaben nach +zu erfuellen befugt ist, so ward auch, wie die roemischen Theologen lehren, im +Verkehr mit den Goettern das Abbild statt der Sache gegeben und genommen. Dem +Herrn des Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren +statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater Tiberis wurden +zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer jaehrlich dreissig von +Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfen ^5. Die Ideen goettlicher Gnade +und Versoehnbarkeit sind hier ununterscheidbar gemischt mit der frommen +Schlauigkeit, welche es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte +Befriedigung zu beruecken und abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl +von gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes Bangen +vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das den +pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde liegt, sondern sehr +irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von demjenigen Zagen, mit dem der +roemische Schuldner seinem gerechten, aber sehr genauen und sehr maechtigen +Glaeubiger sich naht. Es ist einleuchtend, dass eine solche Religion die +kuenstlerische und die spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu +zeitigen geeignet war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit +menschlichem Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss +die Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten auch +die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste Eigentuemlichkeit +der Menschennatur und eben darum der Kern aller Weltreligion ist. Durch sie +konnte die einfache Naturanschauung zu kosmogonischen, der schlichte +Moralbegriff zu allgemein humanistischen Anschauungen sich vertiefen; und lange +Zeit hindurch vermochte die griechische Religion die physischen und +metaphysischen Vorstellungen, die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu +fassen und mit dem wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor +die Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt hatte, +zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der Gottheitsbegriffe so +vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler noch der Dichter daran sich +heranzubilden vermochte und die latinische Religion der Kunst stets fremd, ja +feindlich gegenueberstand. Da der Gott nichts war und nichts sein durfte als die +Vergeistigung einer irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen +Gegenbild seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von +Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu trueben und zu +befangen. Darum war der urspruengliche roemische Gottesdienst ohne Gottesbilder +und Gotteshaeuser; und wenngleich auch in Latium, vermutlich nach griechischem +Vorbild, schon in frueher Zeit der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen +(aedicula) gebaut ward, so galt doch diese bildliche Darstellung als den +Gesetzen Numas zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit +Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein ihr +eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete ueber die nach +Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller zeugenden Kraft in der +roemischen Religion ist gleichfalls die letzte Ursache, warum die roemische +Poesie und noch mehr die roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und +blieben. +----------------------------------------------- +^5 Hierin konnte nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer +finden. +----------------------------------------------- +Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. +Der praktische Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion +erwuchs, war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes, +formuliertes Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen +Bevormundung des Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die Stelle +der Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht +der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der +ersteren Art gehoerte ausser der religioesen Einschaerfung der Heiligung des +Feiertags und eines kunstmaessigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten +kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen +Ruecksichten zusammenhaengende Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den +Roemern ungemein frueh, weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte +Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens +voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. Man +wird es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion +diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch +war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den +verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater oder den +Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast oder den zugewandten +Mann die Treupflicht verletzte; wenn der ungerechte Nachbar den Grenzstein +verrueckte oder der Dieb sich bei naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden +anvertrauten Halmfrucht vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem +Haupt des Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei +gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist nur +ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in Rom waehrend des +staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen Buerger oder gar dem +voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung solchen goettlichen Fluches +zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem goettlichen Strafgericht anheim +gefallen, nicht der menschlichen Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf +dem dieser Bannfluch fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige +Naturen Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht; +vielmehr ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und, +nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach seiner +gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den Gebannten der +verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten (supplicium) und also +die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen +geringerer Art, so tritt an die Stelle der Toetung des Schuldigen die Loesung +durch Darbringung eines Opfertiers oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze +Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung. +Weitere Leistungen aber als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung +und Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich +viel hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion +nicht bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale +Einigung, soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und +Goetterfeste, um Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die Musen, +bewegt sich alles, was im hellenischen Leben gross, und alles, was darin +nationales Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch Latiums Vorzuege +vor Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt wie sie ist auf das Mass +der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem vollkommen verstaendlich und allen +insgemein zugaenglich; und darum bewahrte die roemische Gemeinde ihre +buergerliche Gleichheit, waehrend Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des +Denkens der Besten stand, von fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen +der Geistesaristokratie gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede +andere urspruenglich hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur +der oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich taeuscht, +weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach erscheinen. Dieser +innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der Zeiten so notwendig wie der +Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne und auch die latinische Religion ist +also spaeterhin verdorrt; aber laenger als die meisten Voelker haben die Latiner +die naive Glaeubigkeit sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie +die Farben die Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind +Kunst und Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer +des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die +Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz auch der naiven +Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter vergeblich sich bemueht zu +erringen. Eben die gewaltige geistige Entwicklung der Hellenen, welche jene +immer unvollkommene religioese und literarische Einheit erschuf, machte es ihnen +unmoeglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie buessten damit +die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die Verschmelzbarkeit ein, welche +die Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es waere darum wohl an der Zeit, +einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung, welche die +Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die Roemer nur auf Kosten der Griechen +preisen zu koennen meint und, wie man die Eiche neben der Rose gelten laesst, so +auch die beiden grossartigen Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat, +nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es zu begreifen, dass ihre Vorzuege +gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte +Grund der Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium +nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat. +Kein Volksstamm der Erde fuer sich allein war gross genug, weder das Wunder der +hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen Kultur zu erschaffen; +diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, wo aramaeische Religionsideen +in den indogermanischen Boden sich eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas +der Prototyp der rein humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der +Prototyp der nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren +und von beiden zu lernen. +Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und ungehemmten +durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem nationalen Charakter keinen +Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem +Auslande heruebergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts +an einzelne Fremde den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von +alters her mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich; +bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern und +Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist bereits +gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt worden sind, +ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von +lascivus), und die Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare), +welche man wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach +sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, +und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr wissen, dass +frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der griechische +Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass gaben die griechischen +Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter beschraenkte sich im ganzen auf Ja +und Nein und hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es +scheint, urspruenglich italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit sehr alter +Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen +Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche erteilten. +Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar frueh bemueht, und +Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin Apollons, der kymaeischen +Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der griechischen Gastfreunde aus +Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in fruehester Zeit +ein eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von +zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis) bestellt, auch fuer dasselbe +zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft; +diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Faellen an, wenn es, um ein +drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man +doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den +delphischen Apollon selbst wandten schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser +den schon erwaehnten Sagen ueber diesen Verkehr zeugt davon noch teils die +Aufnahme des mit dem delphischen Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus +in alle uns bekannte italische Sprachen, teils die aelteste roemische Form des +Namens Apollon Aperta, der Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des +dorischen Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische +Herakles ist frueh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und +dort in eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als +Gott des gewagten Gewinns und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb +sowohl von dem Feldherrn der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem +Kaufmann der Zehnte des errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf +dem Rindermarkt dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der +Gott der kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar +geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem +alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung des +Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, mit einem +alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens verehrt und in den Gassen +der Staedte wie an den Landstrassen standen ueberall seine Altaere. Die +Schiffergoetter ferner, Kastor und Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der +Gott des Handels, Hermes, der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios +oder Aesculapius, wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren +oeffentliche Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der "guten +Goettin" (bona dea) damium, entsprechend dem griechischen damion oder d/e/mion, +mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter Entlehnung +muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer spaeter als "Vater +Befreier" gefasst ward und mit dem Weingott der Griechen, dem "Loeser" (Lyaeos) +zusammenfloss, und dass der roemische Gott der Tiefe der "Reichtumspender" +(Pluton - Dis pater) hiess, dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch +Anlautung und durch Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, +dass heisst Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die +aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen Ionier, der +ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war das Schnitzbild in dem +roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus gefertigt. Nur auf diesem Wege, +durch die frueh mit orientalischen Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, +dionysischen, plutonischen, herakleischen und Artemismythen, hat in dieser +Epoche die aramaeische Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf +Italien geuebt. Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen +Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst +Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht haben. +--------------------------------------- +^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur +gereihte Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an +die Runen erinnert. +---------------------------------------- +Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von +sekundaerer Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie +etwa die Sage von den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz +verschollen; im grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische +Schoepfung des Volkes, bei dem wir sie finden. +Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu +schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die +latinische mit lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von +der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen +Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie +gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war +beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die Titier +schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn. Ueberall, wo wir +vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der +Goetter als Abstraktion des Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden +Staemmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus +diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den +charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen. +Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns gekommen +sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine duestere und dennoch +langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feierliche +Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet. +Wir kennen zwar den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher +Vollstaendigkeit und Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere +Gruebelei auch manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die +duesteren und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich +entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat +nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik +und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des etruskischen +Volkes begruendet. +Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen +Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt +treten unter den etruskischen Goettern die boesen und schadenfrohen in den +Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der +Gefangenen einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, +in Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe +friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen "guten Geister", wie die Latiner +sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die armen Seelen zur +Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von dem Totenfuehrer; +einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit Fluegeln und einem grossen +Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um +den Mann zu kostuemieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz +wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein verbunden, +dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach gewissen geheimnisvollen +Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Goetter. Es ist merkwuerdig, +dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker frueh von den Griechen deren +finstere Vorstellungen entlehnten, wie denn die acherontische Lehre und der +Charon eine grosse Rolle in der etruskischen Weisheit spielen. +Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen und +Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter; +allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im +allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im +Laufe der Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie +zum Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man +suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt schleunigst +getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit nicht. Der +tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der Opfertiere +dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne heraus, und je seltsamer die +Goettersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er +an, was er verkuende und wie man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden +die Blitzlehre, die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der +ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die +Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, der von einem +Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, Tages genannt - man sollte +meinen, dass das zugleich kindische und altersschwache Treiben in ihm sich +selber habe verspotten wollen -, also Tages hatte sie zuerst den Etruskern +verraten und war dann sogleich gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, +welche Goetter Blitze zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels +und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen +dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob +dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben +lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte +oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame Kuenste +mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies +Gaukelspiel dem roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter +in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in +dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch die einheimischen und die +griechischen Orakel. +Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als sie +von dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten +Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt mit ihren +Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische Jupiter selber +befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie entstanden ist, so auch +wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die +Saecula sind. Ueber den geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und +Philosophie einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch +ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen +gewesen zu sein. +13. Kapitel +Ackerbau, Gewerbe und Verkehr +Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der +aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf +dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht werden, +anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, namentlich die +roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend zu schildern. +Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der +Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt. Der +Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der sabellischen und +der etruskischen nicht minder als der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat +es in Italien in geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die +Staemme ueberall, je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem +Masse, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es +empfand, dass jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene +Sitte, die Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der +kuenftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete. +Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich allein mit +einiger Bestimmtheit sprechen laesst, nicht bloss der Schwerpunkt des Staates +urspruenglich in der Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die +Gesamtheit der Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt +am klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil +des roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war und +also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der Ansaessigkeit +ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung dies Missverhaeltnis und die +daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer einmal, sondern fuer alle Folgezeit, +indem sie die Gemeindeglieder ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein +fuer allemal nach der Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der +Wehrpflicht auf die Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen +Lauf der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und +Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf die +Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so hatte der Krieg +den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu vermehren. Die +ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz in der roemischen +Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem Aeussersten nicht kam, wurde +ihr doch nicht Kriegskontribution oder fester Zins auferlegt, sondern die +Abtretung eines Teils, gewoehnlich eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann +regelmaessig roemische Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und +erobert wie die Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften +Boden also im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die +Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der Krieg +gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also die Eroberung, die +der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten verloren, aber kaum je bei +dem Frieden roemischen Boden abgetreten haben, so verdanken sie dies dem zaehen +Festhalten der Bauern an ihrem Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde +liegt die Kraft des Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die +ausgedehnteste und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf +die geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft. +Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach +den einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag unter +die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt ward, ist bereits +angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und Geschlechtergemeinde innerlich +zusammenhaengen und auch spaeterhin in Rom noch das Zusammenwohnen und +Wirtschaften der Mitbesitzer sehr haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische +Rechtsueberlieferung weiss noch zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in +Vieh und Bodenbenutzung bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu +Sondereigentum aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste +Bezeichnung des Vermoegens als "Viehstand" (pecunia) oder "Sklaven- und +Viehstand" (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder und Sklaven +als "Schaefchen" (peculium); ferner die aelteste Form des Eigentumserwerbs durch +Handangreifen (mancipatio), was nur fuer bewegliche Sachen angemessen ist, und +vor allem das aelteste Mass des "Eigenlandes" (heredium von herus, Herr) von +zwei Jugeren oder preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen +sein kann ^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, +laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest, dass die +aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als Surrogat dafuer die +Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die Servianische den aufgeteilten Acker +voraussetzt. Aus derselben Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des +Grundbesitzes aus mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun +und zu leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des Pfluges +gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe ist nicht +mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt ward, schwerlich geringer +als zu 20 Morgen angenommen werden. +------------------------------------------------------------ +^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten +Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die +Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie bei den +Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes in jedem +wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet worden, so wuerde +doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von zerstueckelten Hufen ausgehen. +Allein es ist vielmehr das Gegenteil der Fall; die Individualnamen der +roemischen Hufen (fundus Cornelianus) zeigen deutlich, dass der aelteste +roemische Individualgrundbesitz faktisch geschlossen war. +^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur Zeit +des Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et +locupletes vocabantur. - (Numa) primum agros, quos bello Romulus ceperat, +divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig +Kuriendistrikte teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest +einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16). +^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die +Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der Kaiserzeit +rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf roemische Scheffel +Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines Heredium ist demnach, +selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es lediglich als Ackerland +betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht nimmt, 50 oder nach Abzug des +Saatkorns 40 Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet +Cato (agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine roemische +Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber +beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich darauf, dass der Sklave der +spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie Bauer der aelteren von Getreide +gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die Annahme des fuenffachen Kornes +eine zu niedrige ist; beides ist wohl richtig, aber fuer beides gibt es eine +Grenze. Ohne Zweifel sind die Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und +die Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und +intensive Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders fuer die aeltere +Zeit in Anschlag zu bringen; aber die aeltere roemische Weidewirtschaft war, +wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und die +Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner wegen der +Intensitaet der aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen Steigerung besonders +des Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben die Bauern dieser Zeit ihren +Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen, als die Plantagenbesitzer der +spaeteren Republik und der Kaiserzeit ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu +halten sein, da es ja um Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder +rationell noch mit grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme +des zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und sie +genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme Defizit, welches +auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag des Heredium und dem Bedarf des +Hauswesens bleibt, durch blosse Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird +der Gegenbeweis erst dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle +landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer +ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag eines +Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die Ernaehrung +einer Familie ausreichend herausstellt. +Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit +Koloniegruendungen mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige +Beispiel der Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von +denjenigen Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, +Argumente zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail +zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden und unterliegt auch noch anderen +sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, dass bei der nichtkolonialen +Ackeranweisung an die gesamte Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur +wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten +auch keineswegs in den Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in +der Regel zu den bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt +werden (vgl. CIL I, p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein +als eine Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums +ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger +bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von +sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen. +---------------------------------------------- +Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche +Korn war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und +Gemuese fleissig gezogen. +--------------------------------------------- +^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den +Nachweis zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes +hat leben koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust. +1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen zehn +Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, woraus denn +gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, doch einen +betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. Es ist aber vielmehr +das Umgekehrte richtig und jene nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu +erklaeren aus dem Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und +saeten, den Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier +durch das Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der +Spelt auch heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert +nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen aber +geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. Hanssen mitteilt, +rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer den wuerttembergischen Morgen an +Weizen (bei einer Aussaat von - Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht +von 275 Pfund (= 825 Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von -1 Scheffel) +mindestens sieben Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), +welche durch die Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert +der Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei +gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht nach +aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung (als Kern") +weniger als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet worden ist, sondern +weil es zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und +gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf +Weizen gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht +wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist +genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der +Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht +unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren +Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend von +Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der +Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden +ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei vorschreitender +Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige +Uebergang der italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein +Fortschritt gewesen. +-------------------------------------------------------- +Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler +nach Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende +Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt und diese dem +Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen entlehnten Weingott, dem +Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig +Mezentius von Caere von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert, +wenn als die Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu +ueberschreiten, in einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten +italischen Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor +allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der +Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh und +allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige Rebenzucht +hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste Priester der +Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst damit begonnen hatte; +in gleicher Weise verbot eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen +Weines, bevor der Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso +gehoert hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das +Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte +Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen +Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das +nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten +Getreides untersagten. +Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien +gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der +Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; es stimmt dazu, dass der +Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual eine weit untergeordnetere Rolle +spielen als der Saft der Rebe. Wie wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume +hielt, beweisen der Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt +unweit des Curtischen Teiches gepflanzt wurden. +--------------------------------------- +^5 Oleum, oliva sind aus elaion, elaia, amurca (PHlhefe) aus amorg/e/ +entstanden. +--------------------------------------- +Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in +Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren ebenfalls +mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die roemische +Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen. +--------------------------------------- +^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) +umgehauen ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX +fehlt in allen guten Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, +interpoliert. +----------------------------------------- +Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und +ueberhaupt die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den +gewoehnlichen Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit +verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, auch +die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. Eine +selbstaendige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand +wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr +beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die +gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders +Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und wieder zu +pfluegen - der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so +dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war +mehr intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene +Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige +Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die +geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener war +die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle ueberkommene +Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie +zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und das Berieselungssystem der +Wiesen, moegen schon frueh von den Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig +entwickelt worden sein; begann doch die roemische Literatur selbst mit der +theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und verstaendigen Arbeit +folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die Religion ihr Recht +geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und +der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also +durchschnittlich viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen +und zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe +bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der Feiermonat nach +vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); waehrend dieser Fristen rastete +nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es ruhten in Feiertagsmusse nicht +bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der Stier. +In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in +aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer die +Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen Verschleuderer +ererbten Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen +zu lassen. Den Frauen war ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich +entzogen, und wenn sie sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen +Geschlechtsgenossen zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der +Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch, dass +es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an der +verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger verordnete, teils +durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs fuehrende Exekutivverfahren +bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere +Mittel seinen Zweck sehr unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb +gesetzlich unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die +Miterben im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das +aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu jeder Zeit +jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder friedlich +zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen Geiste des +roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch, dass es +schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern nicht gefehlt hat, +bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. Die Verhinderung der +uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der Gewohnheit und dem gesunden +Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass man sich hierin nicht getaeuscht hat +und die Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind, beweist schon die +allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen. +Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch die Ausfuehrung von Kolonien, +welche regelmaessig die Gruendung einer Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig wohl +auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung +einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem schwieriger ist es, die +Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu erkennen. Dass es einen solchen in +nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist nach der fruehen Entwicklung der +Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert sich auch leicht teils aus der +Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl +der in den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand +von groesseren Grundbesitzern ins Leben rufen musste, teils aus der Menge der in +Rom zusammenstroemenden kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche +Grosswirtschaft, gestuetzt auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie +spaeter in Rom finden, kann fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr +ist die alte Definition, wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind von den +Aeckern, die sie an geringe Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher +zu ziehen und wird urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, +den er nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in +kleinen Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies +noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder +Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein Verhaeltnis +dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des "Bittbesitzes" (precarium) +erscheint. Der Empfaenger behielt diesen, solange es dem Verleiher beliebte, und +hatte kein gesetzliches Mittel, um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; +vielmehr konnte dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung +des Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht notwendig; +ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der Regel in der Abgabe +eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo dann das Verhaeltnis der +spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von ihr unterschieden bleibt teils +durch den Mangel eines festen Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit +auf beiden Seiten und den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters +vermittelten Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein +Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, religioes +geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch nicht. Das +durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte ohne Zweifel im letzten +Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch keineswegs +erst durch die Aufhebung der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der +einzelne, konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen +Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die +roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der Klient mit +seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu Schutz und Treue +anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen Gutswirtschaft erklaert es +sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern in Rom ein Land-, kein Stadtadel +hervorging. Da die verderbliche Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd +blieb, fand sich der roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz +gefesselt als der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff +selber ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein guter +Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er nur ein +Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend der heissen +Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde durch diese Ordnungen +eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der Vornehmen zu den Geringen +hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert. Die freien +Bittpaechter, hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten +Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats aus und +waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der kleine Zeitpaechter +dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. Die fuer den Herrn den +Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem weniger zahlreich als die +freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde Nation nicht sogleich eine +Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr +beschraenktem Umfang vorhanden gewesen zu sein und infolgedessen die freien +Arbeiter eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir +spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren Epoche die +"Tageloehner" (th/e/tes) vielfach an der Stelle der spaeteren Sklaven und hat in +einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die historische +Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war doch regelmaessig +italischer Abkunft; der volskische, sabinische, etruskische Kriegsgefangene +musste seinem Herrn anders gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und +der Kelte. Dazu hatte er als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch +tatsaechlich Land und Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine +Freilassung gab, lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. +Wenn es mit dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so +war er keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe vom +wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen +Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und +kleine; sondern es erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei +gestellten Grundherren die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den +ackerbauenden und eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die +roemische Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen +konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht demjenigen, +der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die Pflugschar zu +fuehren. +Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der +Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der Gemeinweide +betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu +anderen Zwecken bestimmten und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem Stande +gehaltenen Herden benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe +gegen eine maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am +Gemeindeanger mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum +Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der einzelnen +Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide kann in Rom schon +deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum auch von dem Insassen +erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem Insassen wohl nur +ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. In dieser Epoche indes +scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine +untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl +nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich +unter die Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt +ward. +Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, +daneben aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus +der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner, +und in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs Numa, das heisst unter +den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen, acht +Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, der Goldschmiede, der +Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Faerber, der Toepfer, der +Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die +gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die Wolle +zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde +Rechnung arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird. +Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es +bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit +der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum +Beispiel fuer den heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die +spaeteste Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das +staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen +diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen +sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die Masse der +fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersklaven und die +steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen +Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen +Streitgott Mamers, sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach +dem goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche +Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse Volcanus +erscheint bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in dem +aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und das Schwert +zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von +jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst begegnet. Seit +indes die Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich auf die +Ansaessigen legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl +infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom Waffenrecht +ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den Kupferschmieden und +gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch organisierte Abteilungen dem +Heer beigegeben wurden; und es mag dies wohl der Anfang sein zu der spaeteren +sittlichen Geringschaetzung und politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die +Einrichtung der Zuenfte hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im +Namen ihnen gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich +zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass unkundige Leute +in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich +keine Spuren weder von Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte +Fabrikation - freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens +die Nachrichten so voellig versiegt wie ueber die Gewerke. +Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr der +Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst. Die Messen +(mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten +(nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die +internationalen Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit +der Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden haben; +die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten diese +Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu erledigen und +ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch groessere +Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche Landesversammlung am Tempel der +Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii, welche zugleich +als Messe diente und auch von roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. +Aber die bedeutendste unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte +im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu +finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der hohe, +einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der Natur selbst den +Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der Grenzscheide der +etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher letzteren er meistens +gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium und Umbrien aus mit +Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen hier die roemischen +Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten manchen Hader mit den Sabinern +herbei. +Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das +erste griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier +halfen bei vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus; +hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen aeltesten +Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste Tauschmittel waren +Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen; sowohl die +Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein stellvertretender oder +als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen Gross- und Kleinvieh reichen, +wie die Wiederkehr von beiden besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in +die graecoitalische, sondern noch darueber hinaus in die Zeit der reinen +Herdenwirtschaft zurueck ^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die +Ackerbestellung und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher Menge +bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle erzeugten, +sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf, wie denn den +kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die "Kupferung" (aestimatio) hiess. +In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen, auf der ganzen Halbinsel +gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter noch genauer zu erwaegenden +einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung und in dem italischen +Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten sich noch selbst ueberlassenen +Internationalverkehrs der italischen Voelker vorliegen. +----------------------------------------------- +^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich +daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf zu +zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus p. 237, vgl. +p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn nach +islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier, wie auch +sonst, das deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem +substituiert hat. +Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den +Deutschen (englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt. +----------------------------------------------- +In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen +Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz +unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen geringen und +unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen +zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische +Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung +ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser +Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien +Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch +in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die +aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken +schliessen, die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus +Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils +und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn +natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie +nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung +der Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen +Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag +dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber und +Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder +selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der +Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen +sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter +den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn +auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste +in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen +Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck gestritten +werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung ist; im +ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste in +aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo +von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur +wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch +griechischen Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass +die aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen sind. +In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit +eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach +Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen, +aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster, darunter +mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder eingeschnitzten +Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die letzten koennen aus dem +Norden auf dem Landweg gekommen sein; die uebrigen Gegenstaende aber beweisen +die Einfuhr von Salben und Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher +kamen Linnen und Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch +der linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen +Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten Lehnnamen +(linon linum; porph?ra purpura; sk/e/ptron skip/o/n scipio, auch wohl elephas +ebur; th?os thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer Anzahl auf Ess- und +Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die Benennung des Oels (vgl. 1, +200), der Kruege (amphore?s amp[h]ora ampulla; krat/e/r cratera), des Schmausens +(k/o/maz/o/ comissari), des Leckergerichts (ops/o/nion opsonium), des Teiges +(maza massa) und verschiedener Kuchennamen (glyko?s lucuns; plako?s placenta; +tyro?s turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina +patan/e/) und des Specks (arvina arbin/e/) in das sizilische Griechisch Eingang +gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, kerkyraeisches und +kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, beweist eben wie diese +sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach +Italien. Dass die griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur +Eingang fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (sk?tos) +bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich +gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten +Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt: +Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9; +ferner die griechische Benennung des Briefes (epistol/e/ epistula), der Marke +(tessera, von tessara ^10), der Waage (stat/e/r statera) und des Aufgeldes +(arrab/o/n arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer +Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende +Austausch der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der +barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor +allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta = +plako?nta; ampora = amphorea; statera = stat/e/ra), ist der klarste Beweis ihres +hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes (Mercurius) erscheint von +Haus aus durch griechische Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum +auf die Iden des Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten +als den Sohn der schoenen Maia. +----------------------------------------------- +^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer +phoenikischen und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., +Taf. 32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum +Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist. +^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies +nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch antenna kann +von ana (anhelare, antestari) und tendere = supertensa herkommen. Dagegen sind +griechisch gubernare steuern kybernan, ancora Anker agkyra, prora Vorderteil +pr/o/ra, aplustre Schiffshinterteil aphlaston, anquina der die Rahen +festhaltende Strick agkoina, nausea Seekrankheit naysia. Die alten vier +Hauptwinde - aquilo der Adlerwind, die nordoestliche Tramontana; volturnus +(unsichere Ableitung, vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der +ausdoerrende Suedwestwind, der Scirocco; favonius, der guenstige, vom +Tyrrhenischen Meer herwehende Nordwestwind - haben einheimische nicht auf +Schiffahrt bezuegliche Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind +griechisch (wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus = +ap/e/li/o/t/e/s, Africus = lips). +^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die xyl/e/phia kata +phylak/e/n brachea tele/o/s echonta charakt/e/ra (Polyb. 6, 35, 7); die vier +vigiliae des Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die +Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; die +Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf +die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen Lager eingewirkt haben. +Die Verwendung der nicht dorischen Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete +Uebernahme des Wortes. +------------------------------------------ +Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine +Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst +zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine +Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann Sklaven +und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im Ausland +Missernte eingetreten war, sein Getreide. +Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden +Aequivalente ist schon frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel +in Latium und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen +alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen Passivhandel +fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig +bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der +uralte Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; +dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua +wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte +Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium +vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in allen +einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit +ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden sich in +Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine Sonderstellung gehabt zu +haben und mit Falerii und dem suedlichen Etrurien in besonders enger Verbindung +gewesen zu sein scheint, die latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck +auslaendischer Herkunft und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer +Zeit aufweist, vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher +Rasen die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der Zeit +nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; Latium hat +in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst +die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn nur aeusserst selten haben +dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In +Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und +auf Latium, aber nur dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt +ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben +Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; aber in +der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit zurueck hinter +den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, dass die nach +griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren auch in Latium, +namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend +Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt hat. +Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner und +Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten Handel der +Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas aussprechen als die +Vermutung, dass er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. +Dass die westlichen Etrusker sich dreist in die oestlichen Meere wagten und +nicht bloss mit Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland +verkehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss +die attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so +zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt, +wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt die +tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein gesuchter Artikel +wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die Silberstuecke von Populonia +sind nachgepraegt einem uralten, einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, +anderseits bloss mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das +sich in Athen und an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden +hat und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss +geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der +karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die Etrusker mit +den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; es ist +beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser einheimischem +Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren sich gefunden haben, +welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herruehren koennen, +wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt wurden. +Indes darf diesem phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und +namentlich nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen +Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht +von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind. +Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir +auch Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der etruskischen +Aufnahme hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich +sind, eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. Am +deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen +Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische weicht +nicht unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide +Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer +Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern wiederholt +sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische Pultuke sind +jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; der tuskische +Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische Ulixes gibt genau die +in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der tuskische Aivas +der altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax einer wohl auch +sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der samnitische +Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us +Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums ausschliesslich auf den Zug des +latinischen Handels zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede +andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene +Muenze von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern, +Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei den +Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen Geldwesens zu +dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische Bezeichnung der +Silbermuenze nomos, das sizilische Mass /e/mina als nummus und hemina in +gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die italischen +Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung +des nach dem Gewichte an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen +sind, in den korrupten und hybriden Formen litra, trias, tetras, ezas, oygkia +schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen +Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und +Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in ein +festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der +zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht +gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent eines +sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des roemischen +Pfundes) als Silbermuenze (litra argyrioy, das ist "Kupferpfund in Silber") +schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus geschlagen ward. Es kann danach +nicht bezweifelt werden, dass die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an +Geldes Statt umliefen; und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der +Handel der Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische +Geld nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen +Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen des +Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den sizilischen Dialekt +und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. Auch von dem alten Verkehr +der Latiner mit den chalkidischen Staedten in Unteritalien, Kyme und Neapolis, +und mit den Phokaeern in Elea und Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder +bestimmte Spuren. Dass er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den +Sikelioten, beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach +Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an Aesculapius, Latona, +Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen zeigen. Wenn der Verkehr mit den +urspruenglich ionischen Staedten, wie Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen +waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur gleichgestanden haette, so +wuerden ionische Formen wenigstens daneben erscheinen; obwohl allerdings auch in +diese ionischen Kolonien selbst der Dorismus frueh eingedrungen ist und der +Dialekt hier sehr geschwankt hat. Waehrend also alles sich vereinigt, um den +regen Handel der Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem +mit den sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich +ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den +afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke hinreichend belegen, in seiner +Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter Reihe gestanden +haben; namentlich ist dafuer beweisend, dass - von einigen Lokalnamen abgesehen +- es fuer den alten Verkehr der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer +Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis gebricht ^11. +---------------------------------------------------------- +^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen oertlichen +Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar aus dem +Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in demselben +vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich arrabo oder arra +und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst +Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern +eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern +aufzuweisen hat. Dass elephas und ebur von dem gleichen phoenikischen Original +mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes selbstaendig gebildet seien, +ist sprachlich unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so +nicht verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch +nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus; mag +dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem +Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie schon +die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches Lehnwort. +---------------------------------------------------------- +Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von +italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so +hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle Wahrscheinlichkeit +fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen Bezeichnungen des +Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen Sprachgebrauch der +Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten eindringen koennen, dass +sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer gegen Schmuck einhandelten. +Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel in +Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand +selbstaendig gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund +dieser auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang +an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine Annahme, +die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren +schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der +von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von +Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische Eigenhandel +musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er allein die Schiffe und +in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz +zwischen Land- und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt; +die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die +Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese +Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung +zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der +latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen ward Rom +keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der +Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde. +14. Kapitel +Mass und Schrift +Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des +Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst +ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und +Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen +Bahnen zu folgen. +Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen, +raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, +das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die +Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des +Mondes oder Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der +leichter misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit +ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder das +"Gewicht" (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus gleichen Teilen +bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fuenf oder die +Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das Dezimalsystem. Es ist +schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles Zaehlens und Messens nicht bloss +ueber die Trennung des griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die +fernste Urzeit zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem +Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen +Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen vorwaerts, +sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu zaehlen, ist wenigstens +aelter als die Trennung der Griechen und Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer +das Alter und die urspruengliche Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den +Indogermanen gewaehrt die bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen +Sprachen in den Zahlwoertern bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, +so sind hier alle aeltesten Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es +genuegt, an die so gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, +Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an +die Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende +Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren, +den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und Schrift angehoerige +Anwendungen dieses aeltesten Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen +italischen Ziffern. Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der +Griechen und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei +aeltesten und unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I, +V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und +der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phoenikern entlehnt, dagegen +den Roemern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze +zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der +Regsamkeit des aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen +Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen +erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen. +Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es +gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 Fuss ins +Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in +denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen +und wahrscheinlich von den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt +worden sind, die Teilung des "Ganzen" (as) in zwoelf "Einheiten" (unciae) +vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen +Priesterschaften, die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die +etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im roemischen +Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo der Fuss (pes) in +zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des roemischen +Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem zusammengesetzte +"Trieb" (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. Im Koerpermass moegen aehnliche +Bestimmungen verschollen sein. +------------------------------------------ +^1 Urspruenglich sind sowohl "actus" Trieb, wie auch das noch haeufiger +vorkommende Doppelte davon, "iugerum", Joch, wie unser "Morgen" nicht Flaechen-, +sondern Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, +mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe +des Pfluegers. +-------------------------------------------- +Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein +mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein neben der +Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden +werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an +der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf +Mondkreislaeufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus +gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff +eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste +duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und +vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen. +Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische +Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber wohl das +Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das heisst diejenigen +Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich ist, die Folgen des neuen +internationalen Verkehrs. Der aelteste roemische Fuss ist verschollen; der, den +wir kennen und der in fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus +Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in +Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn +Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht in ein +festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien herrschte, +nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis, dass der latinische Verkehr +vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier roemische Pfund wurden gleich drei +attischen Minen oder vielmehr das roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen +Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber +bieten die roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den griechischen +entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach medimnos congius aus choe?s, +hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von ox?baphon) entstanden +sind, waehrend umgekehrt xest/e/s Korruption von sextarius ist; teils in den +Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer +Fluessigkeiten der Congius oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden +letzteren auch fuer trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht +dem attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu +dem griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. +Fuer den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen Namen und Zahlen +die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes sizilisch-latinischen Verkehrs +geschrieben. +Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der +Roemer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen +Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die +Ziffer 100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens +das Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das +Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische im +wesentlichen in Etrurien angenommen ward. +In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der +italische Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, +spaeter unter griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich +die Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am +unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach +zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, lange +Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden auf dem +roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis in spaete Zeit hinab +verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an jedem der vier Mondphasentage die +von da bis zum naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch die Priester +abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei +den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon +gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von dem +naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die bei der +mittleren Dauer von 7? Tagen zwischen sieben- und achttaegiger Dauer wechselten; +und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer des synodischen +Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-, bald +dreissigtaegig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die +kleinste, der Mond die groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann +man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der +Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der +Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme +auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und die +Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die Griechen +von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet gewesen, da +die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und den +Italikern voellig selbstaendig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon +in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, +doch zur Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit +fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der Rechnung +nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer Frist +von zehn Monaten als eines "Ringes" (annus) oder eines Jahrganzen traegt alle +Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber auch noch in einer sehr +fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der griechischen Einwirkung +liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das Duodezimalsystem in Italien +entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des Sonnenlaufs als des +Zwoelffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf +die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den +Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit der Monat +als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in den Namen des +Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl die Italiker unter +sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen zugleich dem Mond und der +Sonne entsprechenden praktischen Kalender herzustellen - diese in gewissem Sinne +der Quadratur des Zirkels vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen +und zu beseitigen es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor +der Epoche, wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter +beschaeftigt haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind +verschollen. Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern +latinischen Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische Zeitmessung +ist ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf der aeltesten +griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes +und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme eines +Mondumlaufs von 29 Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12 Mondmonaten oder 368_ +Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder dreissigtaegigen und der hohlen +oder neunundzwanzigtaegigen Monate sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen +Jahre, daneben aber durch willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger +Harmonie mit den wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, +dass diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern in +Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die sich +geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und +ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl +aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von +ihrem Muster ab. Dies roemische Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste +Monat desselben und der einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst +nach dem Mars (Martius), die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen +(maius) und Gedeihen (iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen +(quinctilis, sextilis, september, october, november, december), der elfte vom +Anfangen (ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und +der Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der +zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu +dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein +namenloser "Arbeitsmonat" (mercedonius) am Jahresschluss, also hinter dem +Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem altnationalen +heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in der Dauer +derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und sechs +neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden, +abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten +Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm +gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften und achten +- einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner einem in +drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes +andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + +382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der urspruenglichen +Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige Wochen; er liess +die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen Kalenderverhaeltnisse +durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und setzte auf deren +Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein fuer allemal das +erste Viertel in den einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den +neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den fuenfzehnten, +in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest geordneten Verlauf der +Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der zwischen dem Neumond und dem +ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt zu werden; davon empfing der Tag des +Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer +achttaegigen Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den +Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag (nonae). +Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das +dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint +hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen +zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen an die aelteste griechische Jahrform sich +anlehnt, so tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der +damals in Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich +bewegenden Lehren des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser +roemische Kalender, so deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem +Mond- wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem +Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches +Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste griechische, nicht +anders als mittels haeufiger willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da +man den Kalender schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet +hat, hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der +Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach +zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes Eingestaendnis +der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des aeltesten roemischen +Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser roemische Kalender +mindestens als allgemein latinisch angesehen werden koennen. Bei der allgemeinen +Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen +in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen +Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das +tatsaechlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren +willkuerlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn +beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen schwanken. +Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien aus +fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen +Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere +untergeordnete Umgestaltungen erfahren. +---------------------------------------- +^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in +jedem Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. +oder 15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45 +Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die +geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das +Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen +wird. +----------------------------------------- +Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre +der Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige +Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen ist. Dagegen +scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit verbundene Schatzung und +Suehnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung der Anlage nach +gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes infolge der bald in +der Abhaltung der Schatzungen einreissenden Unregelmaessigkeit ihre +chronologische Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat. +Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben +sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den +italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus +hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit +Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden +koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen +Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, beweist am besten die +Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und +heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu +Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; +und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame +Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem +der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, erleichtert +eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn auch hier das +erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden ist. Erst die +Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in hoechst +abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten aramaeischen +Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch Hinzufuegung der +Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier fuer die Griechen als +Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a e i o und +durch Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der Silbe in die +Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides sagt: +Heilmittel also ordnend der Vergessenheit +Fuegt ich lautlos' und lautende in Silben ein +Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen. +Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht +worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die +Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme oder +Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten Vermittlungsstaetten des +internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein +wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste +hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den +Zusatz der drei Buchstaben x ph ch und die Abaenderung der Zeichen fuer y g l +^3. Auch das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische +Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus dem +griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach Etrurien und +nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das etruskische Alphabet +kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und nur ein einfaches k ^4 und vom r +nur die aeltere Form P; das latinische kennt, soviel wir wissen, nur ein +einziges s, dagegen ein doppeltes k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die +juengere Form R. Die aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und +windet sich wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten +Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt, soweit +unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in +gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach rechts +oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den Roemern in jener, +bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach Etrurien gebrachte +Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten Charakters dennoch in eine +sehr alte, wenn auch nicht positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da +die beiden Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene +Laute nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, das +nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige +Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern der +griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San nebeneinander im +Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, wie wir es kennen, im +ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in +Latium nicht, wie in Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, +sondern die Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen +Nachbarn laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht +hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass +die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die juengeren +AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was sich nur erklaeren +laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre griechischen Aufzeichnungen wie +fuer die in der Muttersprache sich des griechischen Alphabets als solchen +bedienten. Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren +Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und dem +aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien +frueher geschrieben worden ist als in Rom. +------------------------------------------- +^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen +darin, dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem +vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, die verschiedenartigsten +Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und +dass jeder dieser Vorschlaege seine eigene Geschichte gehabt hat. Die +wichtigsten dieser Vorschlaege, die auch fuer die Geschichte der italischen +Schrift im Auge zu behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden. +I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute x ph ch. Dieser Vorschlag ist +so alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta +alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten +Alphabete unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin, +die Zeichen CH xi, PH phi, PS chi dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in +dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und +Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme gefunden. +Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des Archipels, ferner +auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, +fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des phoenikischen Alphabets +(Samech) X im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei +neuen Zeichen zwar das PH auch fuer phi, aber das CH nicht fuer xi sondern fuer +chi. Das dritte, urspruenglich fuer chi erfundene Zeichen liess man wohl +meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man es fest, gab ihm +aber den Wert psi. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte auch Athen, nur dass +hier nicht bloss das psi, sondern auch das xi nicht angenommen, sondern dafuer +wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward. +II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die +naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn saemtliche +uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide +Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit +muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen +Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den Sibilanten, +wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und +das achtzehnte (S) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren +vielmehr jenes - und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln, +in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das +Zeichen des i durch einfachen Strich ?, was bei weitem das Gewoehnlichere war +und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das +gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der +Form M auch neben dem ? festhielten. +III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit G g zu verwechselnden l L +durch V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von +Korinth abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem g +statt der haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben. +IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer r R p p +und r P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche +juengere Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen +Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in +dem eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist +die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie die +aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter. +Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist +in aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der +Inseln des Aegaeischen Meeres. +Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und +geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten +Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen +Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die +vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des +griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle +Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch fuer +die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten +ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets +unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen +Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig +zu grosses Gewicht legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, +darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X als x oder als ch in zwei +Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26 +Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische, aus dem +das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das gemeingriechische der +aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es haben aber vielmehr im Alphabet die +einzelnen Landschaften sich den verschiedenen Modifikationsvorschlaegen +gegenueber wesentlich eklektisch verhalten und ist der eine hier, der andere +dort rezipiert worden. Eben insofern ist die Geschichte des griechischen +Alphabets so lehrreich, als sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne +Gruppen der griechischen Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in +keinem solchen Wechselverhaeltnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so +ist schon auf den merkwuerdigen Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den +chalkidischen und dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht +worden; in jenen sind durchgaengig die primitiven Formen festgehalten, in diesen +die verbesserten Formen angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten +kommend sich gewissermassen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die +italischen Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem +Alphabet der italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; +dass aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern +beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die +verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben +bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen +ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei +ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner +ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als +dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es +empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei +den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen +Tongefaesses ausschliesslich die juengere Form begegnet. +^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht +zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur +desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen +Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf +jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein +gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann zu +diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am Schluss +stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen Wert haben als +den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte ist und das in dem, die +Abweichungen .des etruskischen Alphabets von seinem Muster darlegenden +Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem nach +Etrurien gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem +chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich eine +lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet zunaechst +nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig werdendes Zeichen im +Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer und Zufall +gewaltet; so hat das attische Alphabet das achtzehnte phoenikische Zeichen +eingebuesst, die uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im Alphabet +festgehalten. +^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, +1887), unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und +lateinischer Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das +raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel in den AdI +52, 1880) die aeltere Form des r. +------------------------------------------- +Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die +Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen +schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor +Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische +Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes +etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist - +offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der +Buchstabenschrift in Etrurien. +Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die +Geschichte dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch +wichtiger; denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen +Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den +Kuesten mit den Fremden. In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in +der man sich im wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente, +scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen +Toskana beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria +und Spina aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu +den Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits +derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und +Steiermark reichen. Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, +welche sich hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter +Zeilenschrift, auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht +mehr zu unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens f, +wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese +Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, waehrend +sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei saemtlichen +sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich eingebuergert; im weiteren +Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am +Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale +erfahren, haeufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue +Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets +aber ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen Graeber, +sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in einem +derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer +wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das reformierte +selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so versagt sich +fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien +gelangte. +Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, +Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf +Latium beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich +behauptet; nur fielen g k und z s allmaehlich lautlich zusammen, wovon die Folge +war, dass je eins der homophonen Zeichen (k z) aus der Schrift verschwand. In +Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten Jahrhunderts der +Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und literarische +Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer nun erwaegt, +dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von g c und k k noch +regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo die Laute in der +Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem die +Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege liegt; +dass endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung eines +konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist verstrichen +sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der Schreibkunst +in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der aegyptischen +Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor Christi Geburt, naeher +liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland die Olympiadenchronologie +beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst +zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit +ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den +ein Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, und +der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an +Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel +des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Buendnisses, das Koenig Servius +Tullius mit Latium abschloss und das noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im +Dianatempel auf dem Aventin sah - freilich wohl in einer nach dem Brand mit +Hilfe eines latinischen Exemplars hergestellten Kopie, denn dass man in der +Koenigszeit schon in Metall grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den +Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der +Kaiserzeit als auf die aelteste derartige roemische Urkunde und das +gemeinschaftliche Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, +scribere verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf +Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), spaeter auch +auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der +Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die aeltesten, +im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol bewahrten +Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch noetig sein, zu +erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat +"Vaeter und Eingeschriebene" (patres conscripti), an das hohe Alter der +Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen und des roemischen +Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten Zeit der Republik von +Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und Maedchen der Vornehmen lesen +und schreiben lernten, so kann das, aber muss nicht notwendig erfunden sein. +Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten +hat uns die Kunde der aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die +Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung berufen +war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, fuer +die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und Charakteren, Schlachtberichte +und Revolutionserzaehlungen zu begehren und ueber deren Erfindung zu +vernachlaessigen, was die vorhandene schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und +entsagenden Forscher nicht verweigert haben wuerde. +------------------------------------------------------------- +^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen +sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der wir +Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner Entstehung +niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber ihren Text nicht auf +das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine nach dem gallischen Brande +vorgenommene offizielle Niederschrift, beweist die Erzaehlung von der damals +erfolgten Wiederherstellung der Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, +dass ihr Text keineswegs die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie +aufwies, auch abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum +Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue +Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann. +^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. +Dagegen hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von k. +^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen +gilt dieses natuerlich nicht; hier wird g nicht durch c, sondern durch G (GAL +Galeria), k in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), vor a +durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man +den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen Konsonanten durch C ausgedrueckt, +dagegen vor a durch K, vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q. +^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen Gedichte, +wenn auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor +die Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom +850); denn die Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der +Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen +Zeit an. +^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben. +--------------------------------------------- +Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die +schwache und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im +Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den +Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich daraus, +dass sie das Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den Ruecken des +Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer +Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits +enthaelt diese Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, +welche die spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene +roemische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung +geduldig wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern +aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem eine Spur +sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen +Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass sie nicht einmal das +so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja wo +Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die +von den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben. +---------------------------------------------- +^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v +entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat +die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit +zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen +Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet +angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav +Meyer, Griechische Grammatik, 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein +aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich naehern. +--------------------------------------------- +Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die +Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben +besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten +untergegangen, waehrend die Umbrer g d, die Samniten d, die Roemer g einbuessten +und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den Etruskern +schon frueh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich Ansaetze +derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn +waehrend der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das +letzte wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich +der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spaetere +Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden +von den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen maechtigen +Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen Loesung der nationalen Schrift +von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmaehlich die Mediae und ihre +Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und Vokale zerruettet, von welchen +Lautverschiebungen oder vielmehr Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz +ungriechisch ist. Die Zerstoerung der Flexions- und Derivationsformen geht mit +dieser Lautzerruettung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also +im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an jeder +Sprache fortwaehrend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell ein Damm +entgegengesetzt wird; nur dass von dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in +der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese Barbarisierung die Etrusker in +staerkerem Masse erfasste als irgendeinen der italischen Staemme, stellt sich zu +den zahlreichen Beweisen ihrer minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es +scheint, unter den Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am +wenigsten die suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen +wurden, so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen +wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben. +15. Kapitel +Die Kunst +Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; +insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch +vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische nicht; es +fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche +zu idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste +der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen +vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei +Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die +guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komoedie +und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische +Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und +Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation +gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht ueber +Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und +ein echtes Drama erzeugt. Auch die hoechsten in Italien gelungenen literarischen +Leistungen, goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie +Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr +rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter +wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent weit weniger +hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich steigert und +an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und herzvertrocknendes +Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der +Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein Aeusserliches unterschieden werden +kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der +Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, +sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist er denn auch in +den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause und darin in der +alten Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der neuen der Meister +aller Nationen geworden. +Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich, die +Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens +zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie +reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie +jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen +Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich +durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten +Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener +hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische +Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den Kaempfern +die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene geordnet in drei +Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben, alle in roten Roecken mit +kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Maenner ueberdies +behelmt, ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der +Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf den Schurz +mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die aelteste und +heiligste von allen Priesterschaften die "Springer" und durften die Taenzer +(ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem oeffentlichen Aufzug und namentlich bei +keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein +gewoehnliches Gewerbe ward. Wo aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die +Spielleute oder, was in aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich +ein. Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem +Begraebnis, und neben der uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer +steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde +(collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das +alte und selbst der strengen roemischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, +an ihrem Jahresfest maskiert und suessen Weines voll auf den Strassen sich +herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als +untergeordnete, aber notwendige Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche +Genossenschaften fuer beide bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als +ein Zufaelliges und gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich +entstehen oder dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen. +Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen +Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der "guenstige Geist" +(faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das verkuenden die, denen +es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch gemessener +Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen weissagenden Gesaengen der vom +Gott ergriffenen Maenner und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen +Zaubersprueche, die Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach +und die boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft +oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass in diesen wohl +von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln erscheinen ^1. Fester +ueberliefert und gleich uralt sind die religioesen Litaneien, wie die Springer +und andere Priesterschaften sie sangen und tanzten und von denen die einzige bis +auf uns gekommene, ein wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der +Ackerbrueder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient: +------------------------------------------------- +^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den +Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich +seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich +daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nuechtern +eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend, +die Worte spricht: "Ich denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde empfange das +Unheil, Gesundheit sei mein Teil" (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro +rust. 1, 2, 27). +-------------------------------------------------------------------- +Enos, Lases, iuvate! +Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores! +Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber! +Semunis alternei advocapit conctos! +Enos, Marmar, invato! +Triumpe! ^2 +-------------------------------------------------------------------- +^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, +sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera +(limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die +ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die +Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile. +Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat +deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied - asted noisi ope toitesiai +pakariuois - duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine +(wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher verstaendlich sind nur +einzelne Woerter; bemerkenswert vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als +umbrische und oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im +Wert von et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten. +------------------------------------------------------------ + +an die Goetter Uns, Laren, helfet! + Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars, + lass einstuermen auf mehrere. + Satt sei, grauser Mars! + +an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie! +Brueder + +an alle +Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen + +an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf! + +an die einzelnen Springe! +Brueder + +Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der Baliarischen +Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die aeltesten +Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu dem Latein der Zwoelf +Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl +duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den +indischen Veden vergleichen. +Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass +es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, wuerde +sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die +sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es ausdruecklich bezeugten. +Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein Buerger zur Bestattung +weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau +und sang ihm unter Begleitung eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia). +Desgleichen wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte +die Vaeter auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum +Lobe der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne +Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei dem +Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich den Griechen +entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es +versteht sich, dass sie schilderten und erzaehlten und insofern neben und aus +dem lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten. +Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel ueber +die Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz +oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in +den Verhaeltnissen, dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den +Hochzeiten aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht +mehrere Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der +Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend +einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden +hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der +fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer +volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer das +Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und +Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war. +Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und Drama. +Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum +Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig von Kindern vorgetragen +wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit waren dieselben vollstaendig +verschollen. Die Komoedien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in +dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte +von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das +Mass, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken. +Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft; +die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich fixierten +metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen +begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnische ^3 oder +faunische Mass, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit +der aeltesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer +weit spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung +geben. +------------------------------------------ +^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das "Liedermass", insofern die +satura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm +ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Saturnus benannt; sein +Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist moeglich, +dass die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden. Aber +Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich +gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus saturnius mit dem Gott Saturnus +und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der spaeteren Zeit +an. +------------------------------------------ +Quod re sua difeidens - aspere afleicta +Parens timens heic vovit - voto hoc souto +Decuma facta poloucta - leibereis lubentes +Donu danunt - Hercolei - maxsume - mereto +Semol te orant se voti - crebro condemnes +Was, Missgeschick befuerchtend - schwer betroffnem Wohlstand, +Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des Geloebnis eintraf, +Zu Weih' und Schmaus den Zehnten - bringen gern die Kinder +Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten; +Sie flehn zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest. +In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig +gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass +namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei +Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die +saturnische Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum +vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl +das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen +sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das +der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten +iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer hoehere +poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu entwickeln. +Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die +ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns +verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird als einem +kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie der +Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen +Instrument. +Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen +Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der +Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus - Masken, die man so artig +wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der +italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass diese Masken bereits der +aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren, laesst sich natuerlich nicht +eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die +Volksbuehne von unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in +Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da +jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da endlich +die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele ohne feste, dem +Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal zuweisende Masken nicht wohl +denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfaenge des roemischen +Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie als diese Anfaenge selbst betrachten +duerfen. +Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von +Latium spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen +ueber die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil +wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, namentlich der +griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche letztere den Latinern +natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich +der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade +selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der +Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. +Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen +noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen +wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in +fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und +weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine +Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine +musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es darf wohl +ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch +nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische +Befruchtung aber blieb nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die +"Saiten" (fides, von sphid/e/ Darm; auch barbitus barbytos) ist nicht, wie die +Floete, in Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument +gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist teils die +barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre Anwendung selbst +im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen bereits in dieser Zeit nach +Latium floss, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke +mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; +und auch die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des +Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in Alumentus, +des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele in Stimula lassen +erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen von Latinern vernommen +und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem kann das roemische Haupt- +und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine +spaetere Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluss erhalten +haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund eines von +dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum gewoehnlich bei der +Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und den mit ihm +zusammen hausenden Goettern ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem +zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit einer Arena und +Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms, +geordnet nach den Abteilungen der Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die +Kaempfer und die frueher beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen +Musik; hierauf die Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen +heiligen Geraet; endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest +selbst war das Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf +zu Wagen, zu Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach +homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die +abgesprungenen Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer +Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen +die Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich +miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der +Wettkaempfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern +gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in +Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, +auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich +liessen die Wettkaempfe an diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen +Karneval, wobei denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen +entfaltet haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel +Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die im ernsten +Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle; der tapfere +Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der erschlagenen Gegner aus und +trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde +ihn geschmueckt hatte. +----------------------------------------------------------- +^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie +spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit dem +urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso unvereinbar, wie es +nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben in Etrurien lernten. Dass +das Studium der etruskischen Sprache damals in Rom die Rolle gespielt habe wie +etwa jetzt bei uns das Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten +heutigen Bekenner des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen +Haruspicin etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten, +einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. O. +Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist die Angabe von +den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der Republik herausgesponnen +aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren Annalen, welche zum Beispiel den +Mucius Scaevola seiner Unterhaltung mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch +lernen lassen (Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es +gab allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine gewisse +Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern erforderte. +^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. +Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, +vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter +nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger unschicklich +(Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik im Jahre 639 +wurden nur der "latinische Floetenspieler samt dem Saengern, nicht der +Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur zur Floete +(Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor. +carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was +Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf +Privatgastmaehler uebertragen. +^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es +noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag +circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. +Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst spaeter +hinzugekommen sind. Dass in jeder Kampfgattung urspruenglich nur einmal +gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu +fuenfundzwanzig Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), +so ist das Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter +und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in den +roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte +Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die weisse und die rote. +Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die +sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne +Zweifel knuepfte es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys +(7, 72) gedenkt. +---------------------------------------------------------- +Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen +oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch in den +Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen Leichenfeier +traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch +Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer +vorher besonders zu dem Begraebnis eingeladen ward. +Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene +Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor +allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen Feier und eines +kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Uebungen, die bei dem +Fest von Olympia nach Pindaros' Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen, +Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit +des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein +Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes +zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und +Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese Uebereinstimmung +nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter Volksgemeinschaft oder eine +Folge des aeltesten internationalen Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht +die ueberwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es +kennen, ist keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst +erst zu den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie +die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss erfolgt ist (I, 109), +kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere Belustigungsweise - der "Sprung" +(triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem +Albaner Berg noch lange in Uebung gebliebene Schaukeln - mit den griechischen +Rennen verbunden und bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt +worden sein. Es ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in +Hellas, aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische +Stadion (dorisch spadion) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher +Zeit in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt sogar ein +ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die Pferde- und Wagenrennen +von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere Angabe sie aus +Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Roemer ausser den musikalischen und +poetischen Anregungen auch den fruchtbaren Gedanken des gymnastischen +Wettstreits den Hellenen zu verdanken. +Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus +denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese +selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der +Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als der roemische Knabe wie +jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspiess fuehren lernte und +als in Rom jeder Gemeindebuerger zugleich Soldat war; sondern es genoss die +Tanzkunst von jeher oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen +Wettkaempfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische +Lyrik und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische +Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse +die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht. +Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht aufgingen +oder verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb +und tuechtig, aber fern von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des +Koerpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen +Wettkaempfe der Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, +aber ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne +Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und +Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste +Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die +roemischen bald in die Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von +unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein +Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das +Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum die Rede. +Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und +die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der +goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen Boden eben nur wenige +Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen +Goetter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter +persoenlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso +sind die Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne +Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in +sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der +Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es +in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und +herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der Poesie, dass sie die +Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und aus den Staemmen ein Volk, +aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch +unsere Weltliteratur die Gegensaetze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, +so hat die griechische Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum +hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in +Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben, +aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch denkbar +waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die Hesiodischen 'Werke +und Tage'. Es konnte wohl das latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest +werden wie die Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall +ein Sagenkreis anknuepfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede +Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin +wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und +Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst. +Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen +Kuenste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, +auch fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie +eignen wohl ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und +Totenlied gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die +Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die +Musen von Hellas weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der +Dichter die Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium +hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache +keine Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier +unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die Uebung +musischer Kuenste hat sich hier frueh teils auf Frauen und Kinder, teils auf +zuenftige und unzuenftige Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den +Frauen, die Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt +worden; auch die religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern +ausgefuehrt. Die Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die +Klagefrauen (praeficae) unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in +Hellas stets blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren, +ehrenvolle und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende +Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der Buergerschaft mehr +und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um so entschiedener, je mehr +die Kunst sich oeffentlich darstellte und je mehr sie von den belebenden +Anregungen des Auslandes durchdrungen war. Die einheimische Floete liess man +sich gefallen, aber die Lyra blieb geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel +zugelassen ward, so schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss +gleichgueltig, sondern schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in +Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen +zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, +schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und +indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier +nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen +Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den Schranken der +engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von der Seite und +begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel auf das Feld, sondern +auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste +oder in den Rat geladen war. Diese haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den +Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden +Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des +werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der +Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen Tradition, die +Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst (gravitas) und der +sittliche und wuerdige Charakter des roemischen Lebens. Wohl war auch diese +Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum +bewusster Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber ueber der +Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur +durchgefuehrt werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der +eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so +reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen. +----------------------------------------------- +^7 Vates ist wohl zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der +Salier zu fassen sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem +griechischen proph/e/t/e/s: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort +und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff +des gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten. +---------------------------------------------- +Ueber die Entwicklung der musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern +mangelt uns so gut wie jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass +auch in Etrurien die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler +(subulones) frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein +Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom um geringen +Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist es, dass +an dem etruskischen Nationalfest, welches die saemtlichen Zwoelfstaedte durch +einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des roemischen Stadtfestes +gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr +als die Latiner zu einer nationalen, ueber den einzelnen Gemeinden stehenden +musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande. +Anderseits mag wohl in Etrurien schon in frueherer Zeit der Grund gelegt sein zu +der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen +Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem allgemeinen Verfall die +Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden, Chaldaeern und Aegyptern die +Ehre teilten, als Urquell goettlicher Weisheit angestaunt zu werden. +Womoeglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus +natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie der der Nachbarstaemme nachgestanden +hat. Vielmehr laesst sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei +Hauptstaemme vermuten, dass an kuenstlerischer Begabung die Samniten den +Hellenen am naechsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; +und eine gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die +bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie Naevius, +Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehoeren, wogegen +Etrurien in der roemischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den +Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und +worteverkraeuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal +eines hoffaertigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen. +Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes +Gemeingut der Staemme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist +dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen +Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher +durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung (cavum +aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser "schwarzen +Decke" (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt; hier werden die +Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre aufgestellt; hier empfaengt +der Mann die Gaeste und sitzt die Frau spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus +hatte keinen Flur, insofern man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustuer +und der Strasse dafuer nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der +Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte +und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung +mangelte, ausser dass um den Wohnraum herum Schlaf- und Vorratskammern +angebracht werden konnten; und an Treppen und aufgesetzte Stockwerke ist noch +weniger zu denken. +------------------------------------------------ +^8 Dass die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und +etruskischen, sondern der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt +werden. +----------------------------------------------- +Ob und wieweit aus diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik +hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der +fruehesten Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen +volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste +italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem +Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten +Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das aelteste unter den +kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von +Orchomenos und Mykenae durch uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende +und mit einem grossen Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In +derselben Weise ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von +Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus (tullianum) +am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die Spitze +abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich voellig +in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die groesste +Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen Ringmauern +kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina +haeufig vor und gehoeren der Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken +Italiens, obwohl der groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst +viel spaeter, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt +aufgefuehrt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus +grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen kleineren +Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus vieleckig +zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber die Wahl des einen +oder des anderen dieser Systeme entschied in der Regel wohl das Material, wie +denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur aus Tuff baute, deswegen der +Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie der beiden ersten einfacheren Arten +mag man auf die des Baustoffs und des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann +schwerlich fuer zufaellig gehalten werden, dass auch der kuenstliche polygone +Mauerbau und das Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden und die +unbeschildete rechte Seite des Angreifers den Verteidigern blosslegenden Torweg +den italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen eignet. Bedeutsame +Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens, der von den Hellenen +zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem Verkehr war, der +eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er in Etrurien nur in Pyrgi +und in den nicht sehr weit davon entfernten Staedten Cosa und Saturnia begegnet; +da die Anlage der Mauer von Pyrgi, zumal bei dem bedeutsamen Namen ("Tuerme"), +wohl ebenso sicher den Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von +Tirynth, so steht hoechst wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor +Augen, an denen die Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel endlich, der in +der Kaiserzeit der tuscanische hiess und als eine den verschiedenen griechischen +Tempelbauten koordinierte Stilgattung betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben +wie der griechische ein gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber +welchem Waende und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im +einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen Detail, +voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem diesem +wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische Baukunst vor der +Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten, Verhacke und Erd- und +Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die Steinkonstruktion erst in +Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum zu +bezweifeln ist es, dass die Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens +kennenlernten und von ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von +chalix), die Maschine (machina m/e/chan/e/), das Richtmass (groma, verdorben aus +gn/o/m/o/n gn/o/ma) und den kuenstlichen Verschluss (clatri kl/e/thron) +ueberkamen. Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum +gesprochen werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses neben den +durch griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen manches Eigentuemliche +festgehalten oder auch erst entwickelt worden sein und dies dann wieder auf den +Bau der italischen Goetterhaeuser zurueckgewirkt haben. Die architektonische +Entwicklung des Hauses aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner +und selbst der Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der +guten alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, sondern +nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon begonnen hatte, das +Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem Muster des menschlichen +Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und dem Geist ein Grabgemach zu +errichten. Dass man in Latium zu solchen Luxusbauten erst unter etruskischem +Einfluss vorschritt, beweist die Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des +aeltesten Hausbaustils als tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser +Uebertragung anlangt, so ahmt der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen +Umrisse des Zeltes oder des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern +gebaut und mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten +Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der Notwendigkeit +und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb der scharfe +griechische Gegensatz zwischen der von Holz hergerichteten Menschen- und der +steinernen Goetterwohnung fremd; die Eigentuemlichkeiten des tuscanischen +Tempels: der mehr dem Quadrat sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die +groessere Weite der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die +gesteigerte Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber +die tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des Tempels +an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues hervor. +--------------------------------------------------------- +^9 Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus +einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier Metern starke +Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am Viminal und Quirinal, +wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natuerliche Verteidigung +fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach aussen durch eine aehnliche Futtermauer +abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, +nach zuverlaessigen Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog +sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die +Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind in neuerer Zeit +ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen. Die Tuffbloecke derselben sind im +laenglichen Rechteck behauen, durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) +hoch und breit, waehrend die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern +wechselt, und ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den +Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet. +Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen +Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffbloecke von +drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf welchem dann aus Bloecken von +demselben Material und derselben Groesse, wie sie bei der Mauer sonst verwandt +waren, die Aussenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint +auf der oberen Flaeche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 +roem. Fuss, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine +Breite bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke +aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei +spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen. +Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am +Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin +aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. +2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer Ueberreste der Burgmauer +des palatinischen Rom erklaert worden sind. +^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum. +----------------------------------------------------- +Die bildenden und zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das +Haus muss erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu schmuecken. +Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon waehrend der +roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien, wo +Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird die Kunst oder, +wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss gefasst haben. Die +griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, wie ihr Abbild +beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es moegen wohl die Etrusker in +nicht viel spaeterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu +arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von +etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermuenzen von +Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden +Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen von den etruskischen +Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch stellten, die besten eben +dieser Urzeit angehoert haben, und auch die etruskischen Terrakotten koennen +nicht ganz gering gewesen sein, da die aeltesten in den roemischen Tempeln +aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, die Bildsaeule des kapitolinischen +Jupiter und das Viergespann auf seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und +die grossen derartigen Aufsaetze auf den Tempeldaechern ueberhaupt bei den +spaeteren Roemern als "tuscanische Werke" gingen. +Dagegen war bei den Italikern, nicht bloss bei den sabellischen Staemmen, +sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit +noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande +gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde +schon gedacht; dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften +versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in +Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der +Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das +aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem massaliotischen der +ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es +sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zuenfte der Toepfer, +Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens +daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich, +eine konkrete Vorstellung zu gewinnen. +Versuchen wir aus den Archiven aeltester Kunstueberlieferung und +Kunstuebung geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunaechst offenbar, +dass die italische Kunst ebenso wie italisches Mass und italische Schrift nicht +unter phoenikischem, sondern ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich +entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, +die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und +insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten +Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt auf die +drei griechischen Kuenstler: den "Bildner", "Ordner" und "Zeichner", Eucheir, +Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass diese Kunst +zunaechst von Korinth und zunaechst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer +Nachahmung orientalischer Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer +selbstaendig entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der +urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten, so sind doch +auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit nachgeschnitten worden, +wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter griechischer Inschrift sich in +Aegina gefunden hat, und koennen also den Etruskern recht wohl durch die +Griechen zugekommen sein. Von dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte nur +von dem Griechen. +-------------------------------------------------------- +^11 Wenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die +Roemer mehr als 170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er +offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen +Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne +Zweifel das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden +Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230. +------------------------------------------------------ +Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die +Kunstmuster zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort +nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen +und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien +wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in sehr beschraenkter +Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die +Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und +Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem +dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, +in dem um die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines +besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische Stil dem +juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene +ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen +griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium mangelt es so gut wie ganz +an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja +genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und +Verkehrsbeziehungen auch fuer die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann +mit Sicherheit angenommen werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen +wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und +die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis widerspricht +dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die aeltere etruskische Kunst +auch fuer Latium Muster. Den sabellischen Staemmen ist wie das griechische +Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur +durch Vermittlung der westlicheren italischen Staemme nahegetreten. +Wenn aber endlich ueber die Kunstbegabung der verschiedenen italischen +Nationen ein Urteil gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was +freilich in den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher +hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind und +massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den +latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit nicht minder +wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich dies allerdings fuer +jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmaessige wie schoene polygone +Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland haeufig, in Etrurien +selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken geschichtet. +Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen Hervorhebung des +Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge der spaeteren +roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen zu erkennen. Dagegen haben +die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, aber auch verdorben, indem +sie die fuer den Steinbau festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf +den Holzbau uebertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten +Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu reden, +"ein breites, niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen" gegeben haben. +Die Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen Kunst nur sehr weniges +ihrem energisch realistischen Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen, +der Idee nach und innerlich sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen +Mauerbaus vielleicht ihre Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist +ein merkwuerdiges Zeugnis handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig +festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch +nur genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben mag, so gut wie man +laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, +wird man sich auch noch entschliessen muessen, in der Geschichte der italischen +Kunst die Etrusker aus der ersten in die letzte Stelle zu versetzen. + + + + +End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 +by Theodor Mommsen + diff --git a/old/1momm10.zip b/old/1momm10.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..1f291f9 --- /dev/null +++ b/old/1momm10.zip diff --git a/old/1momm10h.zip b/old/1momm10h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c7e9f99 --- /dev/null +++ b/old/1momm10h.zip diff --git a/old/1momm10u.zip b/old/1momm10u.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..39aa9c2 --- /dev/null +++ b/old/1momm10u.zip diff --git a/old/3060-0.txt b/old/3060-0.txt Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..f274410 --- /dev/null +++ b/old/3060-0.txt diff --git a/old/3060.txt b/old/3060.txt new file mode 100644 index 0000000..db31577 --- /dev/null +++ b/old/3060.txt @@ -0,0 +1,9237 @@ +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 by Theodor +Mommsen (#1 in our series by Theodor Mommsen) + +Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the +laws for your country before redistributing these files!!! + +Please take a look at the important information in this header. We +encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic +path open for the next readers. + +Please do not remove this. + +This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not +change or edit it without written permission. The words are carefully +chosen to provide users with the information they need about what they +can legally do with the texts. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations* + +Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further +information is included below. We need your donations. + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. As the requirements for other states are met, additions +to this list will be made and fund raising will begin in the additional +states. These donations should be made to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University +Ave. Oxford, MS 38655 + + +Title: Rmische Geschichte Book 1 + +Author: Theodor Mommsen + +Release Date: February, 2002 [Etext #3060] [Yes, we are about one year +ahead of schedule] + +Edition: 10 + +Language: German + +The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte by Theodor Mommsen +******This file should be named 3060.txt or 3060.zip****** + +Thanks to KGSchon for preparing this etext. + +Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions, +all of which are in the Public Domain in the United States, unless a +copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of +these books in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our books one year in advance of the +official release dates, leaving time for better editing. Please be +encouraged to send us error messages even years after the official +publication date. + +Please note: neither this list nor its contents are final till midnight +of the last day of the month of any such announcement. The official +release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central +Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may +often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to +do so. + +Most people start at our sites at: http://gutenberg.net +http://promo.net/pg + + +Those of you who want to download any Etext before announcement can surf +to them as follows, and just download by date; this is also a good way +to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers +produce obviously take a while after an announcement goes out in the +Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 + +Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, as it +appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The time +it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get +any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and +analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience +is one hundred million readers. If our value per text is nominally +estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this +year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts +in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's +population then the total should reach over 300 billion Etexts given +away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files +by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten +thousand titles each to one hundred million readers, which is only about +4% of the present number of computer users. + +At our revised rates of production, we will reach only one-third of that +goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get +some real funding. + +Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the +next 100 years. + +We need your donations more than ever! + +Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas, +Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana, +and Vermont. 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Therefore, aspirations are not marked +in Greek words, nor is there any differentiation between the different +accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well. + +Theodor Mommsen Roemische Geschichte Erstes Buch Bis zur Abschaffung des +roemischen Koenigtums + +Vorrede zu der zweiten Auflage Die neue Auflage der 'Roemischen +Geschichte' weicht von der frueheren betraechtlich ab. Am meisten +gilt dies von den beiden ersten Buechern, welche die ersten fuenf +Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo die pragmatische +Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich selbst Inhalt und +Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die Schwierigkeiten, +welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit- und +Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der +Art, dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. +Obwohl der Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten +der Forschung und der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er +dasselbe dem Publikum vorlegte, so blieb dennoch notwendig, hier noch +viel zu tun und viel zu bessern. In diese Auflage ist eine Reihe neu +angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die staatsrechtliche +Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der dichtenden und +bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden. Ueberdies +wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung +durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung +klarer und uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten +Buche die inneren Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der +Karthagischen Kriege nicht, wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, +sondern mit der durch die Wichtigkeit wie die Schwierigkeit des +Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt worden. Der billig +Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu loesen +unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen +wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der +Verfasser es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht +jene leicht ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, +sondern vielmehr wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige +gerichtet hat, darin es abgeschlossen und fertig war. Im uebrigen hat +der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich bemueht. +Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte beibehalten; +die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor Christi +Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der +Stadt dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 +gleichgesetzt worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge +des roemischen Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem +1. Juli beruecksichtigt werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der +Stadt den letzten zehn Monaten des Jahres 753 und den zwei ersten des +Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten Monaten von Ol. 6, 3 und +den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das roemische und +griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden, dass +Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und +fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle +Summen bis zu 100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden +Gewichtsquantums zugrunde gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= +327,45 Gramm) Geld gleich 4000 Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes +zum Silber 1:15,5 zu 304 Talern preussisch, der Denar nach Silberwert +zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird. Die dem ersten Bande +beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische Konsolidierung +Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag. Die +Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. +Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben +werden **, da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich +machen, das Werk so rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern. +------------- * Hier in Klammern im Text. ** Karte und Register +sind hier weggelassen. ------------- Breslau, im November 1856 Die +Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande +dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst +gewesen ist, sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den +neu aufgefundenen Fragmenten des Licinianus, welche er durch die +zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, Herrn Karl Pertz, bereits +vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat einsehen duerfen und die +zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der Schlacht bei Pydna +bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige Ergaenzung, +freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben. Breslau, im Mai +1857 Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage Die dritte (vierte, +fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird man im ganzen +von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden. Kein +billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, +wie das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue +Auflagen jede inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, +das heisst zu wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, +seit dem Erscheinen der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich +dem Verfasser als versehen oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig +berichtet worden; zu einer Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich +keine Veranlassung dargeboten. Eine Ausfuehrung ueber die Grundlagen +der roemischen Chronologie im vierzehnten Kapitel des dritten Buches +ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe angemessener Weise in einer +besonderen Schrift ('Die roemische Chronologie bis auf Caesar'. Zweite +Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze +Darlegung der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit +eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert. +Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; +am 4. August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober +1902. Meinem Freunde Moritz Haupt In Berlin Erstes Buch Bis zur +Abschaffung des roemischen Koenigtums + + +Ta palaistera saph/o/s men eyrein dia chronoy pl/e/thos ad?nata /e/n. Ek +de tekm/e/ri/o/n /o/n epi makrotaton skopo?nti moi piste?sai xymbainei +oy megala nomiz/o/ genesthai, o?te kata to?s polemoys oite es ta alla. +Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht +genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung +im grossen Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht +erheblich waren, weder in bezug auf die Kriege noch sonst. Thukydides 1. +Kapitel Einleitung Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das +tief einschneidend in die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet +und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald +wieder sich in betraechtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile +der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten +Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich +betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein Ganzes +ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die +Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der +Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien +an uns vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen +Stammes an dem suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen +Nation, die die Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein +bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des +Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europaeischen +Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl +knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an andere Gesichts- +und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren eigenen +abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten +Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger +Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen +Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach +sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch +weder ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt +Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit +gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom +bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf +eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation +gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle +Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet +und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue +Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie +die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer +ergossen und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der +noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer +an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von +der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die +neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen +Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl +anschliesst an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der +Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, aber +auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und +Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen +der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende +Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss +erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst +das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des +erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein; +das grossartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie +erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am +Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in +hoeherem Sinne neu gestellt wird. Unsere Aufgabe ist die Darstellung +des letzten Akts jenes grossen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte +Geschichte der mittleren unter den drei Halbinseln, die vom noerdlichen +Kontinent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch +die von den westlichen Alpen aus nach Sueden sich verzweigenden Gebirge. +Der Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher Richtung zwischen dem +breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des Mittelmeers, +an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu +der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen +erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher +Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach +einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in +einen flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug +und schliesst dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln +ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab +sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete +Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, +demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im +siebenten Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia +bis Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte +Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin. +Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit +durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene +Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen +eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von +dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und +Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von +dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen +Ruecken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in +einfoermiger Flaeche mit schwach entwickelter Kuesten- und Strombildung +aus. An der Suedkueste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen +der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Huegelland eine ausgedehnte +Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich und fruchtbar +ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden Stroemen, +namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst +zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und +Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, +Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von +Kampanien das Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette +fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies +schliesst, wie an Griechenland der Peloponnes, so an Italien die Insel +Sizilien sich an, die schoenste und groesste des Mittelmeers, deren +gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor allem im Osten +und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, grossenteils +vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die +sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen "Riss" (R/e/gion) +der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch +geschichtlich Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil +Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben +Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung. +Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemaessigte +Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen Bergen und im +ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der Kuestenentwicklung steht +sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen +zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn +ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und +kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer +bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit +des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen +in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in +gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach Osten +gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische +und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die apulischen und +messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter Bedeutung; +und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche +Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen +Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng +benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander +abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von Otranto aus die +akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich +doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt als auf der +naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den +Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker vorgezeichnet: +die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt +erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der +andere nach Westen. Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt +werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem +Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst +ueber Italien, dann ueber die Welt gewann, so laesst sich doch dies im +hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, +was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu nennen gewohnt +ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der +Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein +Zweig sind. Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: +in die innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der +Fuehrung des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen +Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen +Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefaehrdung seiner +nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung +durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch Griechen +und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren +Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden italischen +Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der +Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor +Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt +der beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen +die Punischen Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des +Roemerreiches bis an und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen +Status quo der roemischen Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des +gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Buechern +erzaehlt werden. 2. Kapitel Die aeltesten Einwanderungen in Italien +Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten +Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im +Altertum der Glaube allgemein, dass dort wie ueberall die erste +Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung +ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische +Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem +Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch +wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines +Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist. Wohl aber +liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung in +dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen +zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder +kulturfaehigen oder auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher +stehende Nationen soweit moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien +indes ist auffallend arm an Denkmaelern der primitiven Epoche und +steht in dieser Beziehung in einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen +Kulturgebieten. Den Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge +muss in England, Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor +indogermanische Staemme hier sich ansaessig machten, ein Volk vielleicht +tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von +Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton oder Knochen +verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, +des Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In +aehnlicher Weise ging in Indien der indogermanischen eine minder +kulturfaehige dunkelfarbige Bevoelkerung vorauf. In Italien +aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten Nation, wie im +keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die schwarzen +Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt die +Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie +sie die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten +der sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren +scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der +Annahme berechtigt, dass in Italien die Existenz des Menschengeschlechts +aelter sei als die Bebauung des Ackers und das Schmelzen der Metalle; +und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens das Menschengeschlecht +einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden hat, die wir den +Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede Spur +schlechterdings ausgeloescht. Die Elemente der aeltesten Geschichte sind +die Voelkerindividuen, die Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin +in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von den Hellenen, die +Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den Bewohnern der +sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich bezeugt. +Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, +deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern +hoechstens auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren +Nationalitaet nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von +aussen her erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet +die Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig +angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten, +angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren +Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger +Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte +zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die +Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer +uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, +aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen +der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die +mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief +eingepraegt, um durch die nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu +werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollstaendig +bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste +erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die Stammverschiedenheit oder +Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und +Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. So lehrt uns die Sprachforschung +drei italische Urstaemme unterscheiden, den iapygischen, den +etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen +der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und +dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten +angehoeren. Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im +aeussersten Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen +Halbinsel, sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen +Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer +des Idioms der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser +Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen Staemmen +unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren +dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch +in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt +wohl, um dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, +nicht aber, um positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache +und diesem Volk in der Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die +Inschriften sind nicht entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass +dies dereinst gelingen wird. Dass der Dialekt den indogermanischen +beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen aihi und ihi entsprechend +dem sanskritischen asya, dem griechischen oio anzudeuten. Andere +Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten Konsonanten +und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen +iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in +einer gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die +Annahme einer vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen +Nation mit den Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den +Inschriften mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in +der auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen +Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich +hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos' Zeit (400 Roms, [350]) als +ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert der +Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland +aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft +geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich +vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen +Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber +doch keineswegs so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen +rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung +vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes und +besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes +nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich +uns dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen +begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere +Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation passt +wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich +gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen +Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten +Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien +gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht +werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig +unbekannt war. Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, +so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung +erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die +am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner +Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem +suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation. +------------------------------------------------------- ^1 Ihren Klang +moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras artahiaihi +berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. ^2 Man hat, freilich +auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache von solcher +Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine +Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen +albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich +bestaetigen und sollten anderseits die Albanesen - ein ebenfalls +indogermanischer und dem hellenischen und italischen gleichstehender +Stamm - wirklich ein Rest jener hellenobarbarischen Nationalitaet sein, +deren Spuren in ganz Griechenland und namentlich in den noerdlichen +Landschaften hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet +damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger +in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst +noch nicht folgen. +----------------------------------------------------------------- Die +Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung +zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen +desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm +sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der +iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig das +italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel +beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner einerseits, +anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern, den Marsern +und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den Samniten +ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen +Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied +sind in der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in +der sie eine Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im +Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie +uebereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen +hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit +selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die +haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den +Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines +ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein +f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit +moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschaedigt +erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurueckziehen +des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der Endungen +haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den +Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als +diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen +ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern +spaetere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich +schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den +italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; +die schliessenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr +noch im Samnitischen mit Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das +Umbrische auch diese fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass +die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren +zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch Anfuegung von +r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste Teil +der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet +wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung +den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die +italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, +haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, +grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker +scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in +den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den +Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe +festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist +die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo +durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter. Diese aus einer reichen +Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele genuegen, um +die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen +indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich +sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; +der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und +der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie +aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss frueh und klar +den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein; denn wir finden in +der roemischen Sprache ein uraltes Wort raetselhaften Ursprungs, Graius +oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet, und ebenso bei den Griechen +die analoge Benennung Opikos, die von allen, den Griechen in aelterer +Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht aber von +Iapygern oder Etruskern gebraucht wird. Innerhalb des italischen +Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in einen bestimmten +Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings sind +von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische +Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter +und schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die +einen, wie der volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern +auf uns gekommen, um sie in ihrer Individualitaet zu erfassen oder +auch nur die Mundarten selbst mit Sicherheit und Genauigkeit zu +klassifizieren, waehrend andere, wie der sabinische, bis auf geringe, +als dialektische Eigentuemlichkeiten im provinzialen Latein erhaltene +Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst die Kombination der +sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen Zweifel, dass +diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des grossen +italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem +lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch +wieder von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und +sonst haeufig sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach +- so pis fuer quis; ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen +scheiden, zum Beispiel dem Keltischen in der Bretagne und Wales p, +dem Gaelischen und Irischen k eigen ist. In den Vokalen erscheinen die +Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt den noerdlichen Dialekten +sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen Dialekten sie wenig +gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der Zusammensetzung der +Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwaecht, was nicht +geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter +auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der +ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, +im Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen +im Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern +italischen Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural +auf bus ist nur im Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische +Infinitiv auf um ist den Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, +von der Wurzel es gebildete Futur nach griechischer Art (her-est wie +leg-s/o/) bei den Roemern fast, vielleicht ganz verschollen und ersetzt +ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder durch analoge +Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Faelle, zum Beispiel in +den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden fuer +die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge +zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen +selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische +Mundart zu der umbrisch- samnitischen etwa wie die ionische zur +dorischen, waehrend sich die Verschiedenheiten des Oskischen und des +Umbrischen und der verwandten Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen +des Dorismus in Sizilien und in Sparta. Jede dieser Spracherscheinungen +ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen Ereignisses. Es laesst +sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, dass aus dem +gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein Stamm +ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich +in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten +und diese wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche +noch spaeter in Umbrer und Osker auseinander gingen. Wo und wann diese +Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht lehren, und +kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen ahnend +zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen +Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die +Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig +und vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk +sich befand, als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und +damit uns die Anfaenge der Geschichte gewaehren, welche nichts ist +als die Entwicklung der Zivilisation. Denn es ist namentlich in der +Bildungsepoche die Sprache das treue Bild und Organ der erreichten +Kulturstufe; die grossen technischen und sittlichen Revolutionen sind +darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft +nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus welchen alle +unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist. Waehrend die jetzt getrennten +indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen Stamm bildeten, +erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem angemessenen +Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell +festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der +gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem +Wortschatz nicht bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der +Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den +urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die +Brust des Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwoerter +nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer gewohnheitsmaessig +ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen Stammes und +weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung +erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des +Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten +Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gaus ist lateinisch bos, +griechisch bo?s; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch ois; +sanskritisch avas, lateinisch equus, griechisch ippos; sanskritisch +hansas, lateinisch anser, griechisch ch/e/n; sanskritisch atis, +griechisch n/e/ssa, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus, +taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in dieser fernsten +Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf unsere +Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten +Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, +ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der +Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen +dafuer, dass schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache +spricht eher dagegen als dafuer. Unter den lateinisch-griechischen +Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von +zea, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, uebrigens im +Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muss +nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen +Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende +Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche +Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in +primitiven Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung +der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, +der Weizen- und Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und +Haferbau der Germanen und Kelten koennten an sich wohl alle auf einen +gemeinschaftlichen urspruenglichen Feldbau zurueckgehen. Aber auf der +andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche Benennung +einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, dass man vor der +Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden Gersten- und +Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man schon +Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung +ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl +der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, +aber durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei +den Indern ueberhaupt Flur, kurnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder +und Schiff, venas das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende +Trank. Die Woerter also sind uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf +die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf +das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die Meeresflaeche +(aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der aeltesten +Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht +wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen +und zum Beispiel von dem sanskritischen kurnu sowohl das zum Zerreiben +bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, +litauisch girnos ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als +wahrscheinlich annehmen, dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau +noch nicht kannte, und als gewiss, dass, wenn es ihn kannte, er doch +noch in der Volkswirtschaft eine durchaus untergeordnete Rolle spielte; +denn waere er damals schon gewesen, was er spaeter den Griechen und +Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich eingepraegt, als +es geschehen ist. Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der +Indogermanen sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch domos; +sanskritisch veas, lateinisch vicus, griechisch oikos; sanskritisch +dvaras, lateinisch fores, griechisch th?ra; ferner fuer den Bau von +Ruderbooten die Namen des Nachens - sanskritisch naus, griechisch na?s, +lateinisch navis - und des Ruders - sanskritisch aritram, griechisch +eretmos, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch der Wagen +und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas +(Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch ax/o/n, am- axa; +sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch zygon. Auch die +Benennungen des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, +griechisch esth/e/s - und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, +lateinisch suo; sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch n/e/th/o/ +- sind in allen indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren +Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in gleicher Weise sich +sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur +Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes Erbgut +der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der +Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen +verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), +vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese +Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die +Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis, +lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet. +----------------------------------------------- ^3 Nordwestlich von Anah +am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste, Weizen und Spelt im +wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Geographie botanique raisonnee. +Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen +in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische +Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.). ^4 Wenn +das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben +und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und +Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, +und kann diese erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten +unabhaengig voneinander, in die des Webens uebergegangen sein. Auch der +Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die +Inder kennen die Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute +nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist den Italikern wohl noch +spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens sieht cannabis +ganz aus wie ein spaetes Lehnwort. +----------------------------------------------- Nicht minder reichen in +diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen die Entwicklung +aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die Stellung von +Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum des +Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie +ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche +Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. +Dagegen die positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen +Koenigtum und Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der +Koenigs- und Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der +Buerger gehoert ueberall einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente +der Wissenschaft und der Religion zeigen Spuren urspruenglicher +Gemeinschaft. Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch atam, +ekaatam, lateinisch centum, griechisch e-katon, gotisch hund); der +Mond heisst in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst +(mensis). Wie der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas, +lateinisch deus, griechisch theos) gehoeren zum gemeinen Gut der Voelker +auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die +Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der +Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen +auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die +schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken +der indischen wie der griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst +einzelne der Goetter vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber +verehrten bis auf die Namen ueberein - so ist der Uranos der Griechen +der Varunas, so der Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djaus pita der +Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist +durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere indische Goetterlehre +ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen +Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon +mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche +Windspiel Sarama, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne +und Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden +Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten +treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn +der Sarama, dem Sarameyas oder Hermeias geworden, und die raetselhafte, +ohne Zweifel auch mit der roemischen Cacussage zusammenhaengende +hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint +nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen +Naturphantasie. Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den +die Indogermanen vor der Scheidung der Staemme erreichten, mehr der +allgemeinen Geschichte der alten Welt angehoert, so ist es dagegen +speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es +moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand, +als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies +keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der +italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte. +Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich +ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die +Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk +waren. Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, +die im ganzen noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft +rechtfertigt. Ein geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen +Ackerbaus mit dem der chinesischen, aramaeischen und aegyptischen +Staemme wird schwerlich in Abrede gestellt werden koennen; und doch sind +diese Staemme den Indogermanen entweder stammfremd oder doch zu einer +Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch keinen Feldbau gab. +Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie heutzutage +die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn +die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem +bestimmten Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung +von fuenf Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im +allgemeinen wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche +ohne Zweifel richtig. Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des +Alphabets, der Streitwagen, des Purpurs und andern Geraets und Schmuckes +gestattet weit oefter einen Schluss auf alten Voelkerverkehr als auf +urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker anlangt, +so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten Beziehungen dieser +beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, wie Schrift +und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als +voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten +Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller +aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager agros, aro aratrum aro/o/ +arotron, ligo neben lachain/o/, hortus chortos, hordeum krith/e/, milium +melin/e/, rapa raphanis, malva malach/e/, vinum oinos, und ebenso das +Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form +des Pfluges, der auf altattischen und roemischen Denkmaelern ganz gleich +gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten Kornarten: Hirse, Gerste, +Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu schneiden und +sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu lassen, +endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls poltos, pinso ptiss/o/, +mola m?l/e/, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch +deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder +Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste +griechische Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht die Benennung +"Weinland" (Oinotria), die bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern +hinaufzureichen scheint. Danach muss der Uebergang vom Hirtenleben zum +Ackerbau oder, genauer gesprochen, die Verbindung des Feldbaus mit der +aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, nachdem die Inder aus dem +Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen +und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens scheinen, +als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter +sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu +einem Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, +dass die wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern +der indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und +Griechen mit den keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, +lettischen Staemmen gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen +Erbgutes von dem wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und +Sprache ist noch lange nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit +der Gliederungen und Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung +der Sprachen in dieser Beziehung hat kaum begonnen, und auch die +Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre Darstellung der Urzeit +vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, vielmehr dem +groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es +darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der +Kultur der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein +und zwischen der Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch +ungetrennt zusammenlebten; die Unterscheidung der den asiatischen +Gliedern dieser Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen +Kulturresultate von denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser +letzteren, wie die griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede +fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst +nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen Untersuchungen +gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die graecoitalische, +wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern des Volks- +und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben. +Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet anstatt +der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im +geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta +oder Estia, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch +beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen +Stammsagen legt dem Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen +haben muessen, Vitalus oder Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom +Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft sinnig die urspruengliche +italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es, +wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den Ackerstier +macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk bezeichnen +als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter (Opsci). +Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen +Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk +auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den +Italikern wie bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6. +---------------------------------------------------------- ^5 So finden +sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen, mundartlich +eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, arimnas, +im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben +hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch +malunas, keltisch malirr. Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man +es nicht zugeben koennen, dass es eine Zeit gegeben wo die Griechen in +allen hellenischen Gauen nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht +Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und +Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht dies nicht darauf, +dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich nach +dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es +sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung +der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der +Lokalitaet mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer +Weise verband, als dies spaeter der Fall war. ^6 Nichts ist dafuer +bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die aelteste +Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung setzte. +So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die +Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach, +Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in +Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch +in alten griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber "Ernte" +heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, +entnimmt ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung +des Pflugs bei der Stadtgruendung ist bekannt. +--------------------------------------------------------- Wie der +Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die +Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie +denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben +nicht gedacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 +Fuss ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das +Prinzip der Limitation ist dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach +einer der Himmelsgegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden +nach Sueden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum, +temenos von temn/o/) er steht, alsdann in gewissen festen Abstaenden den +Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger +Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle (termini, in +sizilischen Inschriften termones, gewoehnlich oroi) bezeichnen. Diese +Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen +Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber +auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie +wahrscheinlich ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese +sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich +roemisch und charakteristisch ist erst die eigensinnige Ausbildung +des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, wo Fluss und Meer eine +natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess, sondern mit dem +letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss. Aber +nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten +der aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge +Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische +Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, +das in Italien bestaendig festgehalten ward; das wesentliche Stueck und +urspruenglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das +Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett, +dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das homerische +Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster Decke. Nicht +dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist +altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber +gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht +allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und +Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte +italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, +deren Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, +von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin +trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass +sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank +liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch +Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber +gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker zusammen in +den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des "Reibers" (tr?panon, +terebra) und der "Unterlage" (storeys eschara, tabula, wohl von tendere, +tetamai). Ebenso ist die Kleidung beider Voelker wesentlich identisch, +denn die Tunika entspricht voellig dem Chiton, und die Toga ist nichts +als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem so veraenderlichen +Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass die beiden +Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in den +aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich sich ausspricht +^7 und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten +Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern +in Sprache und Sitte zurueck auf dieselben Elemente alles, was die +materiellen Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten +Aufgaben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden +Voelkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest +worden. ------------------------------------- ^7 Unter den beiderseits +aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte aufgezeigt werden +koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit logch/e/ zusammenhaengend, ist +als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen oder Spaniern +entlehnt. ------------------------------------- Anders ist es in dem +geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit sich selbst, mit +seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu leben, laesst +so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters Reich; und +auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die Charaktere +der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der graecoitalischen +Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen +innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen +und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich +offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich +fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind in Italien wie in +Griechenland so eigentuemlich, so durchaus national entwickelt worden, +dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Voelker +fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen +ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde +die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das +schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang war, +dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen +Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen +Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst +die Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die +Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in +aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn +gab; und jenes roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, +die Buerger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der +Goetter bannte, das nichts forderte und nichts ehrte als die nuetzliche +Tat und jeden Buerger zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit +rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche Verhuellung des Koerpers +schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als +die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat alles war +und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe Gedanke +- wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren +auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide +vorbereitete und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen +Schleier lueften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht +werden, die Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung +an eine aeltere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen +Lesers nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen. Alles, +was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in +Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen +Dingen gehoert hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des +gesellschaftlichen Lebens ^8, welche dem Manne die Monogamie gebietet +und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen Stellung +der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises die Ebenbuertigkeit beider +Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. Dagegen ist die +schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose Entwicklung der +eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den Griechen fremd +und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien +sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde +die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der +Sklaverei lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten +und in allen ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen +frueh tatsaechliche und rechtliche Milderungen stattfanden und zum +Beispiel die Sklavenehe als ein gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward. +----------------------------------------------- ^8 Selbst im einzelnen +zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der Bezeichnung der rechten +Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder abgeschlossenen" (gamos epi +paid/o/n gn/e/si/o/n arot/o/ - matrimonium liberorum quaerendorum +causa). ----------------------------------------------- Auf dem Hause +beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen +desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen +wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in +der schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der +Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenueber sich +noch weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint +der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenueber +die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die +Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger +darstellt. Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht +gegenueber in Griechenland weit frueher und vollstaendiger zur +innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in +Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in der bei beiden Voelkern +durchaus verschiedenartigen Entwicklung der urspruenglich doch +gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt der +Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu, +waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre +Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. +Aber waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh +verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den +Roemern, zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das +Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und +immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der +italischen, besonders der roemischen Individualnamen, verglichen mit +der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde +zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung +der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag. Ein Zusammenleben +in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer die +graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen +wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die +Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. +Die "Gesetze des Koenigs Italus", die noch in Aristoteles' Zeiten +angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen +Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der +Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des +Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen +Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten +gewesen sein. Gericht (crimen, krinein), Busse (poena, poin/e/), +Wiedervergeltung (talio, tala/o/ tl/e/nai) sind graecoitalische +Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die +Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den +Italikern und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die +Grundgedanken der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur +zur Bestaetigung oder Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an +sie gebrachten Antraege befugte Volksversammlung - sind kaum irgendwo +so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles' Bericht ueber die aeltere +Verfassung von Kreta. Die Keime zu groesseren Staatenbuenden in der +staatlichen Verbruederung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher +selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls +beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen +hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als +dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit +erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs +wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. +Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in +Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollstaendig der ganze +Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als +Sondergut angehoert ^9, wird die weitere Erzaehlung darzulegen haben. +--------------------------------------------- ^9 Nur darf man natuerlich +nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen ueberall zu aehnlichen +Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass die roemischen +Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen, und +doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine +Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier +sein neckendes Spiel treibt, versteht sich von selbst. +--------------------------------------------- Nicht anders ist es in +der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem Volksglauben der +gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter Naturanschauungen +zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der +roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in +spaeteren Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in +zahlreichen Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des +Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes +(temenos, templum), in manchen Opfern und Zeremonien, stimmten die +beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig ueberein. Aber dennoch +gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so vollstaendig national +und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur weniges in +erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder +missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in +den Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die +graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten +hatte, so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die +bis dahin nur ein Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern +mochten, wenn die Wolken am Himmel hin gejagt wurden, sich das so +ausdruecken, dass die Huendin der Goetter die verscheuchten Kuehe der +Herde zusammentreibe; der Grieche vergass es, dass die Kuehe eigentlich +die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer einzelne Zwecke +gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten bereiten und +geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er +den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder +auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des +Zeus, Athenaia; und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er +sich geschaffen, dass er bald in ihnen nichts sah als vom Glanze der +Naturkraft strahlende und getragene Menschen und sie frei nach den +Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl anders, aber nicht +schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des italischen +Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form +ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel +aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet +ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das +Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem +Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm +vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen +Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno, +der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr +der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in +den Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit vergeistigt; so wird +beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann angerufen der Geist +der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, Zudeckens, Eggens und +so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Oeffnens der +Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere +physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise +indes die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die +Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der +Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende, +Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei den Samniten, Dea +cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und koerperlich +erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, vollkommen durchsichtige +Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der Urzeit +deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch +zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger festhalten, +weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der +Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und +allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst +den Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen +Flut uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen +Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden. +Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die +hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und +bedurften nicht des Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, +die nur der platten Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig +und vielleicht maechtiger fassten als die nach dem Bilde des Menschen +geschaffenen Goetter von Hellas, davon wuerde, auch wenn die Geschichte +schwiege, schon die roemische, dem Worte wie dem Begriffe nach +unhellenische Benennung des Glaubens, die "Religio", das heisst die +Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und demselben Erbschatz +jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, dieses die Abstraktionen +des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen +Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die Freiheit, +hier die Notwendigkeit. Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, +auch von dessen Nachbild in Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und +am meisten in der aeltesten Zeit des vollen und einfachen Daseins, den +Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die einfachsten Elemente +der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare +Waffentanz, der "Sprung" (triumpus, thriambos, di- th?rambos); der +Mummenschanz der "vollen Leute" (satyroi, satura), die, in Schaf- und +Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest beschliessen; endlich +das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit +angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt +so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen +und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden +Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen. +Die Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken +der haeuslichen Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach +mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen Geistes +und Koerpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut +gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in +der Duerftigkeit seiner kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe +der kulturlosen Voelker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus +den religioesen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und +aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, +derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium +gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als +Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die +beseligende Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer +Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen +Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden. +So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes +erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. +Die Vorzuege der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer +Fasslichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des +Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfaehigkeit +des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Goetter ist der reiche +Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich einseitig +entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit +wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten +verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht +bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben +das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich +machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten, ohne +doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die ideale +Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen selbst bis +zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen abging; wo immer +in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht dieser +nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und +Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, +nur die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. +Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit +willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen +verstaende. Mochte der Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und +der schoenste menschliche Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer +ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt +hat, und errang allein unter allen Kulturvoelkern des Altertums bei +einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale Einheit, die +ihm endlich ueber den zersplitterten hellenischen Stamm und ueber den +ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand legte. 3. Kapitel Die +Ansiedlungen der Latiner Die Heimat des indogermanischen Stammes ist +der westliche Teil Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in +suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils in nordwestlicher ueber +Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen, +ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und von der See +entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und +dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen naeher in +die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat +der beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des +aramaeischen, raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer +die Annahme einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- +und Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine +engere Lokalisierung ist ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, +die einzelnen Staemme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der +europaeische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder laengere Zeit in +Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier +die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in +Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom Kaspischen +Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und andere +der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist +es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten, +Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen +also wohl vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des +Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker +an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch +mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben moegen, laesst sich +nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von +Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland +gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in +ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht +gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren +Bergruecken Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich +noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der +vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den +die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in aehnlicher +Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die ersten +sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen +erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die +latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, +dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst +von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker +draengten. Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge +ein latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, +welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und +Kampanien offenstanden, verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie +die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern naeher als +den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor +der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner; +denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, +Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind +nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als +Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und wahrscheinlich +latinischer Stamm, die Ausoner, Kampanien innehatten. Auch die +Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten +Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden +von den besten Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem +italischen Stamm gestellt; es ist nichts im Wege, sie dem latinischen +Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch vor dem Beginn der staatlichen +Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung dieser Gegenden und +deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die Spuren +der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den +gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in +Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber +Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der +Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus +Rom gekommen sei; und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der +von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, +deren es noch zu Thukydides' Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die +auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen +Griechisch mit dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der +alten Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den +alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; +nach allen Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern +wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das +eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die +oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen +Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen. Die Schicksale dieser +Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, Grossgriechenland und +Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Beruehrung in +einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten nicht +vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich +in Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der +sabinischen Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die +Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen, eine +taetige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen. Anders war es +in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind und es +den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie +gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf +die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt +einzugreifen bestimmt war. Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von +Latium der Schauplatz der grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen +die langsam bildende Kraft des Wassers und die Ausbrueche gewaltiger +Vulkane Schicht ueber Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem +entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehoere. +Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die +dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe +ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin +durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, +Nebenfluss des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich +ziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem +Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im +Norden in das weite etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet +eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem +"Bergstrom", der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den +sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Flaeche auf +teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen +Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe +des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene +Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die bedeutendste +unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei +zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt. +Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem +Namen der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den +ausserhalb dieses Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt +werden, der "alten Latiner" (prisci Latini). Allein das von ihnen +besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener +mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des Tiber ist den Latinern +ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein +ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die Waffenruhe +stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die +Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die +bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese +folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen +Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte +beginnt, in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler +und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich +latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem +Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und dem Meer, +ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig groesser als der +jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die "Ebene" ^1, +wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die +Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum +Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche +unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und +tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen +des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten +in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen +Substanzen, die boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter +wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, +dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden +seien, wie ihn das Missregiment des letzten Jahrhunderts der Republik +und das der Paepste herbeigefuehrt haben; ihre Ursache liegt vielmehr +in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt noch heute wie vor +Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen gewissen Grad die +boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der Bodenkultur; +wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil aber +darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen +der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer +dichten ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden +Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht +verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris +und Metapont sind, eine fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich +erinnern, dass auf einer niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt +einen schaerferen Blick hat fuer das, was die Natur erheischt, und eine +groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote, vielleicht auch physisch ein +elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger anschmiegt. In Sardinien +wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen der Ackerbau +noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden, allein +der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung, +Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria +cattiva nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde +Feuer; woraus sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig +in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht +erloeschen liess. Im uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden +ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke +und Karst zu bearbeiten und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach +italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt +durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser ist kein +Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung +jede frische Quelle. +---------------------------------------------------------- ^1 Wie latus +(Seite) und plat?s (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz zu +der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die "Ebene" den Gegensatz +bildet zu Samnium. Latus, ehemals stlatus gehoert nicht hierher. ^2 Ein +franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des +Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die +Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und +ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und +Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens +2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein +ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der +Ackerbau wird fast ganz von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst +oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafuer der leichte Pflug ein der mit +zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen +sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu +gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und +Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer einen Arpent +Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt dessen +unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden +Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens +durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne +Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die +Campagna di Roma. ------------------------------------------------------ +Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner +in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und +wir sind darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges +indes laesst sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit +vermuten. Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl +Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus +die aeltesten "Landquartiere" (tribus rusticae) zu bilden. Von dem +Claudischen Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung +der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht +ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung +hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der spaeter +hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne +Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, +die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben, +soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, +Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen +Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, +Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter +all diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst +spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird +jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus +aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter +Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das +"Haus" (oikia) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch +dort sehr haeufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die +entsprechenden italischen Benennungen "Haus" (vicus) oder "Bezirk" +(pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der +Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise +ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so +gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die aber, +wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete +Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der +Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium +selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner +schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist +eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu +bestimmen vermoegen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch +eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3, +in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf aeusserlicher +Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen mit beruhen +mag. ----------------------------------------------- ^3 In Slawonien, wo +die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag festgehalten +wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert Koepfen +stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit +gewaehlten Hausvaters (Goszpodar) in demselben Hause beisammen. Das +Vermoegen des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet +der Hausvater; der Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. +Privaterwerb durch Industrie und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte +aus dem Hause, auch der Maenner, z. B. durch Einheiraten in eine fremde +Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, Slawonien und Kroatien. Pest +1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen Verhaeltnissen, die von den +aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen moegen, naehert +das Haus sich der Gemeinde. +------------------------------------------------- Von Haus aus aber +galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als selbstaendige +Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen +Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu +gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in +Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- +und sittengleicher Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen +Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig fehlen wie der +Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, das heisst die +Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt des +Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur +eine gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die +gemeinen Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen +an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich +zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem +einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber +uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz aehnliche +alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande der +Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz +heisst in Italien "Hoehe" (capitolium, wie akra, das Berghaupt) oder +"Wehr" (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage +einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen +und spaeterhin sich umgeben mit dem "Ringe" (urbs mit urvus, curvus, +vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied +zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg +moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein +einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die +vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen +Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst spaet und zum +Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig gelangt sind, wie +im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen +sich erkennen laesst. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der +Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in unzaehligen offenen Weilern +wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher Mauerringe, die als "veroedete +Staedte" mit einzelnen Tempeln das Staunen der roemischen wie der +heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre "Urbewohner" +(aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu koennen meinten. +Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Staedte +erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, wie sie in +aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger +kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo +die zu staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten +steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in +offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer +Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in +der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht +mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten verlassen und bald den +spaeteren Generationen ein Raetsel. Jene Gaue also, die in einer +Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse Anzahl +Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die +urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen +Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen +Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von +besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das +den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am +meisten gesicherte Lage darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne +Zweifel von den Ankoemmlingen zuerst besetzt worden. Hier lag denn +auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb Palazzuola zwischen dem +Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen Berg (Monte Cavo) +lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des latinischen Stammes +und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen Gemeinden galt; +hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften Lanuvium, +Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten Bauwerken, +welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und gleichsam +der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der Tat, +wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der +Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen +Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von +Norden her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu +verteidigenden Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei +laesst; und vor allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss +maechtige Lavawand mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in +dem alten Krater des Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine +jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau auf dem Berge selbst ein +bedeutender Raum gewonnen worden ist. Natuerliche Festen der latinischen +Ebene sind auch die Spitzen der letzten Auslaeufer der Sabinergebirge, +wo aus solchen Gauburgen spaeter die ansehnlichen Staedte Tibur und +Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der Ebene +zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber, +Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte +Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder +namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue +waren in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von +seinem Fuersten unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung +der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der +Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern +es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und +staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen +Gaue. Die Vorstandschaft stand urspruenglich nach allgemeinem italischen +wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die +Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie +gesagt; als der aelteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward. +Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich dreissig, wie denn diese +Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in +Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu den +dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf +die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig +albanischen Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht +ueberliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen +Eidgenossenschaften zum Beispiel der Boeoter und der Ionier die +Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das +"latinische Fest" (feriae Latinae), an welchem auf dem "Berg von Alba" +(mons Albanus, Monte Cavo) an einem alljaehrlich von dem Vorstand dafuer +fest gesetzten Tage dem "latinischen Gott" (Iuppiter Latiaris) von dem +gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus +hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh, +Milch und Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck +zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und +sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser +Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen. +Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg +von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf +der benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei +Marino); und ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht +werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die +ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung +des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst +auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch +die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen +Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des aeltesten +Bundesrechts gedacht werden, so dass also der Latiner mit der Latinerin +rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben +und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die +Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht +angeordnet haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des +souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den +Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit +der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg +abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei denn ein +Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber +wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde +rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr +umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein +Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend +der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen +Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich +in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit +zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des +fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine +Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre +politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja +wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte +als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war +der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich +lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat +verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der +rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der +latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfasst +haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die +Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in Griechenland ist nicht +die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische +Eidgenossenschaft. ----------------------------------------------- ^4 +Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand" (indutiae Macr. Sat. +1, 16; ekecheriai Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt, +waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). ^5 Die oft in +alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals in den +Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer +Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht +nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, +und es ist sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach +manchem durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung +Latiums, schon vorher einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist +es bemerkenswert, dass Rom niemals als Erbin Albas eigentliche +Herrschaftsansprueche gegen die latinischen Gemeinden geltend gemacht, +sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt hat, die +freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die +hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen +Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede +sein; und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 +und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln. +----------------------------------------------- Diese allgemeinen +Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien schaerfer zu +ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel, wie +die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und +geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, +und es muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, +dass sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre +Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefuehl der nationalen +Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und damit den Fortschritt +vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem jede +Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit +der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte. 4. Kapitel +Die Anfaenge Roms Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des +Tiberflusses stromaufwaerts erheben sich an beiden Ufern desselben +maessige Huegel, hoehere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an +den letzteren haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name +der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht angeben, wie und wann er +aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten uns bekannten +Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; und +diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in +frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes +Zeugnis fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung +laesst sich nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute +sind. ----------------------------------------------- ^1 Aehnlichen +Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich aeltester +Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii +Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus. +----------------------------------------------- Aber sie blieben nicht +allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung der aeltesten +roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass dieselbe +hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich +ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem +einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, +woraus in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der +Gemeinde ist ^3, zeigt wohl am deutlichsten, dass die Roemer namentlich +in staatsrechtlicher Beziehung fuer "teilen" und "Teil" regelmaessig +sagen "dritteln" (tribuere) und "Drittel" (tribus) und dieser Ausdruck +schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung +einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen +Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen +Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig +vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare +Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, +der Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer, +wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat mit diesen +drei Elementen, in die die aelteste roemische Buergerschaft zerfiel, +den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige Meinung, dass die +roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und bemueht sich +in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen als +komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das +wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und +volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und +sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu +verwandeln. Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen +Hypothesen laesst sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die +Nationalitaet der komponierenden Elemente des aeltesten roemischen +Gemeinwesens gesagt werden kann. Dass die Ramner ein latinischer +Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da sie dem neuen roemischen +Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die Nationalitaet der vereinigten +Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber die Herkunft der +Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege steht, sie +gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die zweite +dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies +kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft +bewahrte Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem +Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen +Sonderrituals gestiftet worden waere. Es mag also in einer sehr fernen +Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm sich noch in Sprache +und Sitte bei weitem weniger scharf gegenueber standen als spaeter der +Roemer und der Samnite, eine sabellische Gemeinde in einen latinischen +Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da die Titier in der +aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den Platz vor +den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier +den aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung +verschiedener Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; +aber schwerlich hat sie viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die +einige Jahrhunderte spaeter erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus +Clauzus oder Appius Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom. +So wenig wie diese Aufnahme der Claudier unter die Roemer berechtigt +die aeltere der Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den +Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner, im +Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische +Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die +latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen +Anhalt ^4. Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung +einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten +Stamm die latinische Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt +haette; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, +wo die Titier neben den Ramnern sich ansaessig machten, die latinische +Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue dreiteilige +roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger urspruenglich sabellischer +Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner gewesen war, +ein Teil der latinischen Nation. +---------------------------------------------------------------------- +^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht +notwendig verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, +aber fuer alle gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, +15; Hdt. 1, 170). ^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische +tritt?s, die umbrische trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die +Dreiteilung der Gemeinde eine graecoitalische Grundform sei; in +welchem Falle die Dreiteilung der roemischen Gemeinde gar nicht auf die +Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen Staemme zurueckgefuehrt +werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung sich also +auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im +graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu +sein scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die +Umbrer koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss +der roemischen Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es +nicht mit Sicherheit nachzuweisen. ^4 Nachdem die aeltere Meinung, +dass das Lateinische als eine Mischsprache aus griechischen und +nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von allen Seiten +aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A. Schwegler, +Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch in +dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer +Dialekte finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder +geschichtlichen Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache +als Mittelglied zwischen zwei anderen erscheint, so weiss jeder +Sprachforscher, dass dies ebenso wohl und haeufiger auf +organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher Mischung. +--------------------------------------------------- Lange bevor eine +staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner, Titier, +Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln +ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker +bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag +das "Wolfsfest" sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen +Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die +schlichten Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig +genug noch im christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am +laengsten behauptet hat. Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere +Rom hervor. Von einer eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie +annimmt, kann natuerlich in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht +an einem Tage gebaut worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche +Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer hervorragenden +politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, waehrend man +nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die +Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als +die der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum +gedeihen in Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an +ausgiebigen Quellen- denn weder der sonst treffliche Born der Camenen +vor dem Capenischen Tor noch der spaeter im Tullianum gefasste +Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das haeufige +Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in der +Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug +dem Meere zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich +oeffnenden Taeler und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den +Ansiedler ist die Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in +alter Zeit ist es ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und +unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht +die erste naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt +haben koenne, sondern dass die Not oder vielmehr irgendein besonderer +Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die Legende +hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage +Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen +Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch +der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so +unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die +allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die +Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche +Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu +machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch +einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen +Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber ueber +die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und +seiner Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen. +Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. +Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in +naechster Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen +Mauerring entfernt, und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren +gewesen sein. Gegen Sueden trifft man in einem Abstand von drei +deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es +scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben +als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war +in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits +am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische +Gau ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, +erstreckt er sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden +Ufern des Tiber gegen das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der +Kueste irgendeine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, +irgendeine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die fuer alles +einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu berichten, dass die +roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die "sieben Weiler" (septem +pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig Romulus +den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am rechten +Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am +linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der "Muendung" +(Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen am etruskischen +Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert haben +muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein +der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin +(dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der +Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit +das Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen +roemischen, eben hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt +selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt gewesen. Es kann das +nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche Handelsstrasse, +seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige Ankerplatz der +Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr des +latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepot fuer +den latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung +Latiums eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer +festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, +das ueber beide Ufer des Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den +Tiber oder den Anio herabkommenden Flussschiffer ebenso bequem gelegen +war wie bei der damaligen maessigen Groesse der Fahrzeuge dem Seefahrer, +und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz gewaehrte als die unmittelbar +an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht seine Entstehung, doch +seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhaeltnissen +verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von +ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. +Daher ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien +war, was fuer Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und +Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und +des Brueckenbaues ueberhaupt in dem roemischen Gemeinwesen; daher die +Galeere als staedtisches Wappen. Daher der uralte roemische Hafenzoll, +dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht +was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia +einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war. +Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des +gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in +Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, +mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen +eher die juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft +schon einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche +andere Hoehe der Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische +Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein Beschluss der latinischen +Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen +Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der +Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist +uns nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an +diese Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere +Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem +latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt +gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die +gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall +zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher +beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer +seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes Heim zu +betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der Campagna +musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den +luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben dem +Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden +und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die +dichte Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5 +Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden +kann und schon nach der aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von +3300 freien Maennern stellte, also mindestens 10000 freie Einwohner +zaehlte, erklaert sich auf diese Art einigermassen. Aber noch mehr. +Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der weiss es, dass das +Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf ihrem +staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz +gegen die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der +Gegensatz ist des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt +wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende +Landschaft und Rom zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen +und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen +latinischen Staedte, muss allerdings zurueckgefuehrt werden auf +seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten Geist seiner +Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften +war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen +Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch +entwickelte und damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. +Die Verfolgung dieser merkantilen und strategischen Entwicklung +der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und ausfuehrbarer als das +unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig verschiedene Gemeinden +der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene staedtische Entwicklung koennen +wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen ueber die +allmaehlich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren +Anlage mit der Entwicklung des roemischen Gemeinwesens zu staedtischer +Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein muss. Die urspruengliche +staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte Rom erwachsen +ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in +spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der +regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und +Mauern dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit +sichtbar; zwei von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro +und die Porta Mugionis am Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach +bekannt, und den palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus +nach eigener Anschauung wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius +zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin, dass hier der +Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf dem +Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte +"Einrichtung" (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen +das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde +eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die +saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen +und anderen Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war +das Versammlungshaus der "Springer" (curia saliorum), zugleich der +Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der +"Woelfe" (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und +an diesem Huegel ward die Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich +lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus des Romulus, die +Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran +der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem Speerschaft, +welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des +Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene +Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen +gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher +hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. +Die Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt und deshalb +verschollen; nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz um +den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, die aelteste +Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber dem +Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen +Gemeinde gewesen sein moegen. Dagegen hat sich in dem "Fest der sieben +Berge" (septimontium) das Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, +welche allmaehlich um den Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, +eine nach der andern erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch +schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den urspruenglichen Mauerring +des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich die Aussendeiche, +angelehnt. Die "sieben Ringe" sind der Palatin selbst; der Cermalus, der +Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem +Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den +Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen +Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius +und der Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucusa oder +Subura, eine ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen +schuetzte, unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen +dem Esquilin und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar +allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die aelteste Geschichte des +palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn +man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete +Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt. Der Palatin war der +Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und urspruenglich einzige +Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie ueberall +nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten +Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der +Servianischen Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, +liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des +Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt +haben mag an den wohl schon in der palatinischen Stadt lebhaften +Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und die Niederlassung +auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt mit dem +Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile +des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche +vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; +die auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen +den Palatin aus laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von +welcher das ganze Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen +bilden die anfaengliche Stadt, und der suburanische Bezirk derselben, +der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro +in Vincoli und ueber das darunter liegende Tal hin sich erstreckte, +scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter gewesen zu sein als die +in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten +Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht. +Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile +hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt, +das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses: +bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten +zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse und +je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen +Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem +Palatin angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier +in gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren +also die Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen +ausschliesst - in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, +wie inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der +spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets +neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich +gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und +Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; +vor allem die "Pfahlbruecke" (pons sublicius) ueber den natuerlichen +Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein +buergt dafuer hinreichend - schon damals bestanden und man auch den +Brueckenkopf am etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser +acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in +ihren Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in +die spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen +lediglich aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen +praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende +sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen oder abgebrannt +werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die +roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen +beherrscht hat. Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen +staedtischen Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die roemische +staatsrechtlich seit unvordenklich frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu +ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer urspruenglich selbstaendige +Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie freilich auch +urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben +Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen +gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, +wird der verstaendige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen +von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr +werden schon die beiden Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und +Palatin und ebenso das vorstaedtische jedes in die drei Teile der +Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhaengen +kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen +wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei +Paare Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische +Siebenhuegelstadt vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung +von derselben geblieben als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie +die Blaetter des Waldes fuer den neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie +ungesehen von Menschenaugen niederfallen, also hat diese verschollene +Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die Staette bereitet. +Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem +spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor +alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft +gegenueber eine zweite auf dem Quirinal. Die "alte Burg" (Capitolium +vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und +einem Tempel der Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege +oeffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des +spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und Minervatempel und mit +dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel +der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass auch der +Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens +gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem +Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und +der aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit +haengt weiter zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten +Genossenschaften der Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in +dem spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der +palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, neben +den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, die ihr +Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat ^5. Alle +diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen um so +hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau bekannte +Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss +und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten +Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal +nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So +erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das +feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal +angelegt ward - hier beruehrten sich ja die beiderseitigen Marken und +musste von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen +hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgefuehrt +werden. ------------------------------------------------ ^5 Dass die +Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus +hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die +Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die +Fabier zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer +auf dem Quirinal (Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den +Luperkalien zusammenhaengen oder nicht. +----------------------------------------------- Uebrigens heisst +der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253) Lupercus +Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult +zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S. +17) findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; +die bei den Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius +und Quinctilianus ist also entstellt und das Kollegium nicht den +verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, sondern den weit aelteren +Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, 30) oder +Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern +genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das +Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein. Endlich ist +auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom Quirinal +von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische +Stadt sich die "der sieben Berge", ihre Buerger "die von den Bergen" +montani) sich nennen, die Bezeichnung "Berg" wie an den uebrigen ihr +angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so heisst die +quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas +hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen +Sprachgebrauch nie anders als "Huegel" (collis); ja in den sakralen +Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der "Huegel" ohne weiteren +Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende +Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige +Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der +vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte +Servianische das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst +wohl an der Gegend haftenden Namen der "Roemer" moegen dabei die +Huegelmaenner ebenso wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa +Huegelroemer (Romani collini) sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz +der beiden Nachbarstaedte zugleich eine Stammverschiedenheit obgewaltet +hat, ist moeglich, aber an Beweisen, welche ausreichten, um eine auf +latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer stammfremd zu erklaeren, +fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus ^7. +------------------------------------------ ^6 Wenn spaeterhin fuer +die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der Name des +Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch keineswegs +der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem +Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie +gezeigt ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; +andrerseits ist es unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von +Haus aus wie nachher lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem +Gegensatz der montani und collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten +5. Kap.). Die spaetere Benennung des Quirinalis beruht darauf, dass zwar +urspruenglich der Mars quirinus, der speertragende Todesgott, sowohl +auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt wurde, wie denn noch +die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel gefundenen +Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der +Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der +Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch +wohl collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur +bezeichnet als der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer. ^7 Was man +dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, S. +480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von +den Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene +etymologisch-historische Hypothese, dass das lateinische quiris +quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen Cures verwandt und demnach +des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden sei. Auch wenn die +sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, duerfte daraus +der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die alten +Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen "latiarischen +Huegel" gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, aber nicht +erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus fidius +sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar +in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. +Wenn an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal +ein Name wie der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon +benannte porta sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel +begegnet, so wird jeder unbefangene Forscher darin nur einen Beweis +fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht fuer ihre Entlehnung aus dem +Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, dass alte Stammgegensaetze +dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet werden; aber wenn +dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die unseren +Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element +im Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das +Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen. +-------------------------------------------------------- So standen +an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die +Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei +gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen +einander gegenueber, einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani +und die Trasteverini. Dass die Gemeinde der sieben Berge schon frueh +die quirinalische bei weitem ueberwog, ist mit Sicherheit zu schliessen +sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstaedte als auch +aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in der spaeteren +Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen lassen. +Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer +rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile +der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander jaehrlich +um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch +die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab noch keinen +gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde +standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander - +moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom +eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt +gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten +und maechtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der +Verteidigung faehig, also auch wohl beduerftig. Erst der grossartige +Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht +bloss jene beiden Staedte vom Palatin und Quirinal, sondern auch noch +die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen des Kapitol und des +Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und somit das neue +Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses gewaltige +Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden Landschaft +ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der +Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den +andern latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen +Zeiten leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen +Anfang festerer Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und +tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter +die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in den "sieben Ringen" +zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische +Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem und +freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl +auch zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in +der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer einheitlichen +Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in der die +Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft +zu ringen und endlich sie zu erringen vermochte. 5. Kapitel Die +urspruengliche Verfassung Roms Vater und Mutter, Soehne und Toechter, +Hof und Wohnung, Knechte und Geraet - das sind die natuerlichen +Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter +als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber gehen die +Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen +Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich +aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen +gleich an schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der +Natur selbst vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse. Die Familie, das +heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie +Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des +Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) +angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren +rechten Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern +nebst allem, einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, +von der dagegen die Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie +entweder, wenn sie ehelich sind, der Familie des Mannes angehoeren, +oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Eigenes +Haus und Kindersegen erscheinen dem roemischen Buerger als das Ziel und +der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Uebel, denn er ist notwendig; +aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein +Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in fruehester Zeit dem +Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme fremder Kinder +anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein trug +die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in +der sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. +Familienhaupt kann nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von +Gut und Geld nicht hinter dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die +Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit +den Kindern, aber immer und notwendig gehoert die Frau dem Hause, nicht +der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig hausuntertaenig, die +Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die vaterlose unverheiratete +Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese sind es und nicht +der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird. +Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin. +Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden +Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische +Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und +daneben der Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug +^2. Ebenso wurde die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder +von der roemischen Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger +Frevel, wenn der Vater das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch +nur zum Nachteil desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich +wird die Familie unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen +allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber +ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, der Stier und der +Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die +freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind, +das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. +Es ist nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung +eingegeben hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung +und Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief +und ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige +Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist +die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren werden, eine +Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung dachte, +zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit +Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie +gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung +derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in +religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem +Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen +nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und +die Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und sie nach +Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen +gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken, +sein "eigenes Vieh" (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber +rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit +oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen Haushalte +gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater +lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher +auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie +vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher +Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch +nicht selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls +befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch +den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein +Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, so wird der +Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, seinem +Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche +Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon +erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche +mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden; +so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn +verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der +Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der +Ehemann den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne vorher +die naechsten Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der Frau, +zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung der Gewalt lag in der +letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht zugezogenen +Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den richtenden +Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber nicht bloss +wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde verantwortlich, sondern +auch, so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich und unzerstoerlich. +Nach den griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der erwachsene, +tatsaechlich selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; die +Macht des roemischen Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das +Alter, nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier +Wille aufzuheben, nur dass die Person des Gewalthabers wechseln kann: +denn allerdings kann das Kind im Wege der Adoption in eines andern +Vaters Gewalt kommen, die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des +Vaters uebergehen in die Hand des Mannes und, aus ihrem Geschlecht +und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottesschutz des Mannes +eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es ihrem Vater war. +Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich von dem +Herrn, als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des +ersteren ward frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung +des letzteren wurde erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich +gemacht. Ja, wenn der Herr den Knecht und der Vater den Sohn verkauft +und der Kaeufer beide freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der +Sohn aber faellt durch die Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere +vaeterliche Gewalt. So ward durch die unerbittliche Konsequenz, mit +der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt von den Roemern aufgefasst +wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. Indes, bei +aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an die +Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der +Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch +rechtlich aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch +abgesehen davon, dass sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt, +ist voruebergehender und gewissermassen stellvertretender Art. Weib und +Kind sind nicht bloss um des Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur +fuer den Eigentuemer, wie in dem absoluten Staat die Untertanen nur fuer +den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl auch Gegenstand des Rechts, +aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht Sachen, sondern Personen. +Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die Einheit des Hauses +im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert; wenn aber der +Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren ein und +erlangen nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen +die bisher vom Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod +des Herrn die rechtliche Stellung des Knechtes in nichts sich aendert. +--------------------------------------------------- ^1 Es gilt dies +nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium confarreatione), +sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar nicht an +sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die +Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung +(usus) ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der +Weg geoeffnet, Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er +sie gewann, also namentlich in der bis zur Vollendung der Verjaehrung +verfliessenden Zeit, war das Weib, ganz wie bei der spaeteren Ehe mit +causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, sondern pro uxore; bis in die +Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt sich dieser Satz, +dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht Ehefrau sei, +sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3, 14). ^2 +Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig, +ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht. Kurz, +Wandrer ist mein Spruch: halt' an und lies ihn durch. Es deckt der +schlechte Grabstein eine schoene Frau. Mit Namen nannten Claudia die +Eltern sie; Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann; Zwei Soehne +gebar sie; einen liess auf Erden sie Zurueck, den andern barg sie in +der Erde Schoss. Sie war von artiger Rede und von edlem Gang, Versah ihr +Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh. Vielleicht noch bezeichnender ist +die Auffuehrung des Wollspinnens unter lauter sittlichen Eigenschaften, +die in roemischen Grabschriften nicht ganz selten ist. Orelli 4639: +optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta domiseda. Orelli +4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo diligentia fide +par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der Turia +1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis, +lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus +non conspiciendi, cultus modici. ------------------------------------ +Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod +des Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben +selbstaendig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher +Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in +vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen aber, +um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Toechter zu ordnen. Da +nach aelterer roemischer Ansicht das Weib nicht faehig ist, weder ueber +andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so bleibt die Gewalt ueber +sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut (tutela), bei +dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen Hausherrn +jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen +Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne, +ueber die Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die +einmal gegruendete Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres +Urhebers ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation +faktisch das Band sich lockern und zuletzt selbst die Moeglichkeit +des Nachweises der urspruenglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und +hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie und des Geschlechts, +oder, nach roemischem Ausdruck, der Agnaten und der Gentilen. Beide +bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfasst nur diejenigen +Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad +ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen, +das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die Abstammung +selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr +vollstaendig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen +vermoegen. Sehr klar spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn +es heisst: "Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, +der Quintier", so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten +individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt +ergaenzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen +Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt +hat. Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn +vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen +Familien- und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar +nicht die Gaeste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, +welche voruebergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig +die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des Hauses +angesehen werden, aber wohl die Hoerigen (clientes, von cluere), das +heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie Buerger irgendeines +Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschuetzter +Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen +Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils +diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner +Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit +geschenkt hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit +nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein +unfreier Mann, fuer den Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. +Darum bilden die "Hoerigen" (clientes) des Hauses in Verbindung mit den +eigentlichen Knechten die von dem Willen des "Buergers" (patronus, +wie patricius) abhaengige "Knechtschaft" (familia); darum ist nach +urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das Vermoegen des Klienten +teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls +in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es +sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht +so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schaerfe dieses +hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite +die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu +sorgen und sie zu vertreten, bei dem tatsaechlich freier gestellten +Klienten groessere Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders +musste die faktische Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich +naehern, wo das Verhaeltnis durch mehrere Generationen hindurchgegangen +war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber gestorben waren, +konnte das Herrenrecht ueber die Nachkommen des Freigelassenen von den +Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietaet in +Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich +ein Kreis abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso +unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen. Auf +diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen +als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer +erfolgten Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der +Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus +den vereinigten Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer +einem jener Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in +den ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und +begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in unrechter oder +ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen. +Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die "Vaterkinder" +(patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die +Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien +dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und +Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem +Staate gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der +Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten +neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich +natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines jeden +Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar +blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, +der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass von dem +Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen +der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen werden konnten, +wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die eigentlichen +buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so +mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand +der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den +Buergern und den Insassen. Wie die Elemente des Staates die auf +der Familie ruhenden Geschlechter sind, so ist auch die Form der +Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie nachgebildet. +Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und +vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich bestehen soll, +findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen nicht, +die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes +Gnaden sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr +Leiter (rex) und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in +spaeterer Zeit in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und +die wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und +die roemischen Penaten zu finden sind - sie alle die sichtbare Einheit +des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt +beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist, sofort +und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem Koenig +erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfaehigen Freien +zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat +er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt, +und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern der +Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt +alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im +Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze +Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem +Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist +allmaechtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores, von +licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall voranschreiten, wo er in +amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, oeffentlich zu +den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem +Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht +und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich +Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in +allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt +ueber Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den +Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben +in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung +an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil stattzugeben, ist +er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege +auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muss er bei Feuerlaerm +persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause +nicht der Maechtigste ist, sondern der allein Maechtige, so ist auch der +Koenig nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er +mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen +Maennern Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er +mag, um sich die Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse +andern uebertragen, die Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im +Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung +der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen +genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt +eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt neben +der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch +den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der aeltesten +Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer +(tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei +(celeres), sind nichts als Beauftragte des Koenigs und keineswegs +Magistrate im spaeteren Sinn. Eine aeussere rechtliche Schranke hat +die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht haben; fuer den Herrn der +Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der Gemeinde wie fuer +den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt seine Macht. +Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, auf den im +Fall der Vakanz das "Zwischenkoenigtum" (interregnum) uebergeht. Eine +formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst +nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden +Kollegium der Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger +der Gewalt den neuen Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird "der +hohe Goettersegen, unter dem die beruehmte Roma gegruendet ist", von +dem ersten koeniglichen Empfaenger in stetiger Folge auf die Nachfolger +uebertragen und die Einheit des Staats trotz des Personenwechsels der +Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese Einheit des roemischen Volkes, +die im religioesen Gebiet der roemische Diovis darstellt, repraesentiert +rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht die des hoechsten +Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss geht, +der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene +Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in +gleicher Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen +Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die +Begriffe Gott und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise +ineinander verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig, +sondern viel eher der Eigentuemer des Staats. Darum weiss man auch +nichts von besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von +irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff +waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit +frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr +kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib +gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also +eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem +aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem Hause, zum +Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber Bauern, den +Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und +doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der +Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen Besseren zu halten. +Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Koenigsgewalt. +Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel +Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute +schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder sonst durch +Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber wenn +er es tat, so vergass er, dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam, +sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und +wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm +geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber der Koenigsgewalt lag +darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu aendern befugt war, +jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der Volksversammlung +und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein musste oder ein nichtiger +und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. +So ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im tiefsten +Grunde verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im +modernen Leben so wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen +Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden. +----------------------------------------------- ^3 Dass Lahmheit vom +hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das roemische Buergertum +Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, versteht sich so +sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien +ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen. +----------------------------------------------- Die Einteilung der +Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit curare = +coerare, koiranos verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde; +jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie +equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei +kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als +Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und +vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile. Diese +Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den Personalbestand der +Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit +diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, sondern auch +Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter +den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend +gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum +Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser +aeltesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, +von denen schon die Rede war. In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet +diese Verfassung in dem Schema der spaeterhin unter roemischem Einfluss +entstandenen latinischen oder Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten +dieselben hundert Ratmaenner (centumviri). Aber auch in der aeltesten +Tradition ueber das dreiteilige Rom, welche demselben dreissig Kurien, +dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; dreitausend Fusssoldaten +beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen hervor. +------------------------------------------ ^4 Selbst in Rom, wo die +einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh verschwunden ist, findet sich +noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwuerdig genug eben bei +demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter allen deren +unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten zuhalten, bei +der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn +Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in +der Dreissigkurienverfassung sind. +------------------------------------------- Nichts ist gewisser, als +dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in Rom entstanden, sondern +uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht sogar ueber +die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen Dingen sehr +glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen +Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die +Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im +vollsten Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom, +sondern tritt in dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen +Gemeindeordnungen auf als wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts +ueberhaupt. Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in +Kurien. Die "Teile" koennen schon deshalb kein wesentliches Moment +gewesen sein, weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl +zufaellig ist; wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung +zu, als dass das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze +gewesen waren, sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert, +dass der einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte +gehabt habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass +im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es +zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden +sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare, +als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser +Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder +einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte +Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die +Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf, +dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen +hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes +gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in der +roemischen Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall +ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen, dass der +verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht +veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, +noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich +fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen +hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem +Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger +genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in dem aeltesten +Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere +Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war +eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens +zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem +besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen +curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und +geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und +stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der +Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die Zahl +der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde. +------------------------------------------------------- ^5 Es liegt dies +schon im Namen. Der "Teil" ist, wie der Jurist weiss, nichts als ein +ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der Gegenwart ohne +alle Realitaet. ------------------------------------------------------- +So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen +war innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es +kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des +andern Satzes es den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des +Gegensatzes zwischen Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern +tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der +Behandlung der uralten Institution des Ehrenbuergerrechts, welches +urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein +Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger hineingenommen +ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo er +dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem +ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in +Hellas immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in +mehreren Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger +entwickelte Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass man zweien +Gemeinden zugleich als Buerger angehoeren koenne, und liess fuer +den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht die Absicht hatte, sein +bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen Ehrenbuergerrecht +nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und +Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher +vorgekommen war. Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken +gegen aussen ging Hand in Hand, dass aus dem Kreise der roemischen +Buergergemeinde jede Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt +ferngehalten wurde. Dass die innerhalb des Hauses bestehenden +Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt werden konnten, innerhalb +der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde bereits erwaehnt; +derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, konnte also +als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzuege +aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den Lucerern +in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen +Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht +vor der Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine +Eliten- oder Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus +die wohlhabendste, bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich +schloss, war natuerlich angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch +dieser Gegensatz war rein tatsaechlicher Art und der Eintritt in die +Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und +allein die verfassungsmaessige Gliederung der Buergerschaft, welche +rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die rechtliche +Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen Erscheinung +durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde vor +den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem +noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber durfte der Reiche +und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene oeffentlich nur erscheinen +in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weissem Wollenstoff. Diese +vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel urspruenglich +begruendet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser +Schaerfe der Auffassung und Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten +und der folgenreichsten Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und +wohl mag man dabei sich erinnern, dass in Italien keine den latinischen +Einwanderern botmaessig gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und +geringerer Kulturfaehigkeit begegnet und damit die hauptsaechliche +Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen, der spartanische +und thessalische und wohl ueberhaupt der hellenische Adel und +vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft hat. Dass der +Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von selbst. +Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die +Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. +Die Buerger sind zugleich die "Kriegerschaft" (populus, verwandt mit +populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die "speerbewehrte +Kriegsmannschaft" (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars +herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der Koenig sie +anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des Wehrmanns gefasst. +In welcher Art das Angriffsheer, die "Lese" (legio) gebildet ward, ist +schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand sie +aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen +oder flexuntes, die Schwenker) unter den drei Abteilungsfuehrern der +Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei Tausendschaften der Fussgaenger +(milites) unter den drei Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni +militum); letzteres war vermutlich von Haus aus der Kern des +Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und +Glied fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen +sein ^8. Der Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser +dem Kriegsdienst konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger +treffen, wie die Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im +Kriege wie im Frieden (I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker +oder zur Anlage oeffentlicher Bauten; wie schwer namentlich der Bau der +Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass der Name der +"Fronden" (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine regelmaessige direkte +Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte regelmaessige +Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es derselben +nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt oeffentliche +Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine solche +ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet +ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von dem, der selber +nicht dienen konnte oder wollte. Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst +noetigen Opfertiere wurden durch eine Prozesssteuer beschafft, +indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag, eine nach dem Werte des +Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den Staat +erlegte. Von stehenden Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird +nichts berichtet. Dagegen flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, +62), sowie die Einnahme von den Domaenen, namentlich der Weidezins +(scriptura) von dem auf die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die +Fruchtquote (vectigalia), die die Nutzniesser der Staatsaecker an +Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der Ertrag der Viehbussen und +Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde eine +Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe +betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe +die Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht +entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig +leitete die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, +das, nach den Angaben ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten +roemischen Koenigsgeschlechts der Tarquinier zu schliessen, regelmaessig +bedeutend gewesen sein muss, fiel das Staatsvermoegen nicht zusammen +und namentlich der durch die Waffen gewonnene Acker scheint stets als +Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der Koenig in der +Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen beschraenkt war, +ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere Entwicklung, dass +die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann, wogegen es Sitte +sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des im +Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten. +---------------------------------------- ^6 Quiris quiritis oder +quirinus wird von den Alten gedeutet als der Lanzentraeger, von quiris +oder curis = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern zusammen mit +samnis, samnitis und sabinus, das auch bei den Alten von sa?nion, +Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an +arquites, milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die +im Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen +Oberwurf gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit der roemischen +Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden die Juno +quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als speerschwingende +Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist quiris der Wehrmann, +das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der Sprachgebrauch ueberein. +Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, wird nie von Quiriten +gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma, populus, +civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so wenig eine lokale +Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum koennen auch diese +Bezeichnungen nicht miteinander verbunden werden: man sagt nicht civis +quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus, +denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet die feierliche +Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass "dieser Wehrmann mit Tode +abgegangen" (ollus quiris leto datus), und ebenso redet der Koenig die +versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und spricht, wenn er zu Gericht +sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften Freien (ex iure quiritium, ganz +gleich dem juengeren ex iure civili). Populus Romanus, quirites ( +populus Romanus quiritium ist nicht genuegend beglaubigt) heisst also +"die Gemeinde und die einzelnen Buerger" und werden darum in einer alten +Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus die prisci Latini, den quirites +die homines prisci Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd. 2, S. +20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche +Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen +Gemeinde einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und +nach deren Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den +der aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. +Vgl. 1, 68 A. ^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt +Dionysios (2, 64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf +die Fuehrer der Reiter (oi /e/gemones t/o/n Keleri/o/n). Nach dem +praenestinischen Kalender wird am 19. Maerz ein Fest auf dem Comitium +begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius +Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten roemischen +Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen in der +Schrift 'De viris illustribus' 1 Celer selbst centurio genannt wird. +Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen +sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes +die Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren +Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm +schoepfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer +des Antias, dem magister equitum des republikanischen Diktators, dem +Praefectus Praetorio der Kaiserzeit. Von diesen Angaben, den einzigen, +die ueber die tribuni celerum vorhanden sind, ruehrt die letzte nicht +bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen Gewaehrsmaennern +her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, welcher nur +"Teilfuehrer der Reiter" heissen kann; vor allen Dingen aber kann +der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte +Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen +sein mit der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also +stehenden Magistratur. Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der +Nachricht des Pomponius, die offenbar lediglich hervorgegangen ist aus +der mit immer steigender Unwissenheit historisierten Brutusanekdote, +so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum den tribuni militum in +Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die Abteilungsfuehrer der Reiter +gewesen sind, also voellig verschieden von dem Reiterfeldherrn. ^8 +Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und +arquites und die spaetere Organisation der Legion. +------------------------------------------ Indes nicht bloss leistend +und dienend erscheint die roemische Buergerschaft, sondern auch +beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten hierzu die +Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht +waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die "Lanzenmaenner" +(quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief, +um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie +foermlich auf die dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten +hiess (comitia), um sie nach Kurien zu befragen. Ordnungsmaessig setzte +derselbe zweimal im Jahr, zum 24. Maerz und zum 24. Mai, dergleichen +foermliche Gemeindeversammlungen an und ausserdem, so oft es ihm +erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger nicht zum Reden, +sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand +spricht in der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu +gestatten fuer gut findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache +Antwort auf die Frage des Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung, +ohne Bedingung, ohne Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die roemische +Buergergemeinde eben wie die deutsche und vermutlich die aelteste +indogermanische ueberhaupt die eigentliche und letzte Traegerin der Idee +des souveraenen Staats; allein diese Souveraenitaet ruht im ordentlichen +Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier nur darin, dass die +Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig +verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt +angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm +treu und botmaessig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in +hergebrachter Weise anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel +ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr ganz aehnliche +Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war durchaus +folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der Souveraen, +ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich nicht +beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die +Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich +souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht +der Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden +Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem +einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der +roemischen Verfassung ohne Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so +dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird +durch das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder +Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und Regierten +selbst durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig sanktioniert +wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande +gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an die Buerger +gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem +Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum +ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es fassen, der von +dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl, +sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates +durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen +Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Faellen, die der +ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf +kann jeder unbeschraenkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein +nur in der Art, dass er dasselbe sofort aufgibt; dass das Eigentum +vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei seinem Tode auf einen andern +uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es sei denn, dass ihm die Gemeinde +solches gestatte; was hier nicht bloss die auf dem Markt versammelte, +sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft bewilligen +konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen +Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit +nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan +ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn, +dass ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im +gewoehnlichen Rechtslauf kann das Buergerrecht nur gewonnen werden durch +die Geburt und nicht verloren werden - es sei denn, dass die Gemeinde +das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben gestatte, was beides +unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss nicht in gueltiger +Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft den +todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter +nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, +da der Koenig nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass +der zum Tode verurteilte Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der +Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang +der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem leugnenden +Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen ist, sondern dem +gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im gewoehnlichen +Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag +nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill +die Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie +notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, +nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag +bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch richtete sich +jene Frage, wie es scheint, nicht an die gewoehnliche Versammlung der +Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich ueberhaupt, wenn der +Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden +gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und insofern +ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des +Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen +und in allen aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der +Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein +zum Patrizier erklaerte Mann blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es +konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern +war also die Gemeindeversammlung, wie beschraenkt und gebunden sie auch +auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des roemischen +Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als neben dem Koenig. +-------------------------------------------------------- ^9 Lex, die +Bindung (verwandt mit legare, zu etwas verbinden) bezeichnet bekanntlich +ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines Vertrages, +dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach +annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der +Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent +der Koenig, der Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung +des letzteren ist also auch sprachlich praegnant bezeichnet. +-------------------------------------------------------- Aber neben +dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der aeltesten +Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln +bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben +beide und innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies +ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe +hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, +dass in dem urspruenglichen Rom die saemtlichen Hausvaeter den Senat +gebildet haetten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der +nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des spaeteren Rom seinen +Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der aeltesten Stadt +als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies wahrscheinlich +ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, wo wie +der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst +jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, +sei es durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es +durch Erbfolge bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben +Epoche auch der Senat nichts gewesen als die Gesamtheit dieser +Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom Koenig wie von der +Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der letzteren, +unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten gewissermassen +eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings ist +jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem +latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der +erste und vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung +die Gemeinde zu entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, +moeglicherweise in Latium lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie +wir das roemische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares +Haupt und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle +Geschlechtsmaenner abstammen oder abzustammen behaupten, von den +lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen, +so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht +ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht werden. +Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates +der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige +Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung +des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein blosser +Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, deren +Ratschlaege der Koenig einzuholen zweckmaessig findet, beruht lediglich +darauf, dass er einst eine Versammlung gewesen war gleich jener, die +Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum zu Rate sitzenden +Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die Gesamtheit +der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder eine +feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war; +aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die Zahl +der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht +auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert +festgestellt worden, sodass von der Verschmelzung der drei Urgemeinden +die Vermehrung der Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl +von dreihundert die staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit +ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in +spaeterer Zeit dies lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich +als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden +Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwuerdigen +oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese +Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die +Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht +mehr gab, bei dem Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in +aelterer Zeit, solange noch die Individualitaet der Geschlechter im +Volke lebendig war, als Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig +einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben +Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich +ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der +Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren +ganz in das freie Ermessen des Koenigs uebergegangen, so dass nur das +noch als Missbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess. +Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass +die Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von +Rechts wegen den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn +sie auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich auspraegenden +monarchischen Grundanschauung der Roemer, zur Zeit immer nur von einem +dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt werden kann. Ein +jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausuebung, +aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch +seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben +gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur +dass der des Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. +Hierauf beruht es ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die +koenigliche Gewalt in der roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt +werden kann. Stirbt der Koenig, so treten ohne weiteres die Aeltesten +an seine Stelle und ueben die Befugnisse der koeniglichen Gewalt. Jedoch +nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur Zeit Herr sein +kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es unterscheidet +sich ein solcher "Zwischenkoenig" (interrex) von dem auf Lebenszeit +ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der Gewalt. Die +Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber festgesetzt +auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren +in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt ist, +der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los +festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage +uebergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von +der Gemeinde nicht geleistet. Im uebrigen aber ist der Zwischenkoenig +berechtigt und verpflichtet, nicht bloss alle dem Koenig sonst +zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst einen Koenig +auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von ihnen fehlt +ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird +als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger ernannt +ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin +der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des +roemischen Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft gegeben fuer die +ununterbrochene Dauer desselben und seiner monarchischen, nicht aber +erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat spaeter den +Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein duenkte, so ist das nur +in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat eine solche gewesen. +Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser +Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches +Glied der roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten +sich nicht in die Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine +Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst +das Heer zu fuehren oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von +jeher aus dem Senat genommen - weshalb auch spaeter noch die hoechsten +Befehlshaberstellen regelmaessig nur an Senatoren vergeben und ebenso +als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder +bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner +Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom +nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats +gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer +der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der +Buergerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von +dieser gefassten Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die bestehenden +Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestaetigung zu versagen; +oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo verfassungsmaessig ein +Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei jeder Verfassungsaenderung, +bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der Erklaerung eines +Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf +man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der +Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den +beiden Haeusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war +nicht sowohl Gesetzgeber als Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur +dann kassieren, wenn die Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also +bestehende Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige +Staaten oder auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren +Beschluss verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom +groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die +Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss +erhoben hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu +erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war, +der roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit +den Worten schloss: "darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim, +wie wir zu unsrem Rechte kommen"; erst wenn der Rat der Alten sich +einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft +beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss +war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges +Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen +und durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt +zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des hoechsten Amtes der Senat +die Dauer der Gemeindeverfassung verbuergte, finden wir auch hier ihn +als den Hort der gesetzlichen Ordnung gegenueber selbst der hoechsten +Gewalt, der Gemeinde. Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch +die allem Anschein nach uralte Uebung an, dass der Koenig die an die +Volksgemeinde zu bringenden Antraege vorher dem Rat der Alten vorlegte +und dessen saemtliche Mitglieder eines nach dem anderen darueber ihr +Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht zustand, den gefassten +Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich vorher die +Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu befuerchten +sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich +brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer +Maenner Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen +Zusammensetzung nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als +Staatsrat zur Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr +als aus der bisher bezeichneten Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des +Senats hervorgegangen; die Anfaenge indes sind unscheinbar und gehen +eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn +sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei Angelegenheiten von +Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also +zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender +Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der +Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das +eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, +rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der +Koenig beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; +ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat +sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in +der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkoenige +festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den Senatoren +und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens +zu berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der +Ratschlag sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu +folgen, ohne dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht +praktische Geltung zu schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs +allgemein anwendbare Kassationsrecht. "Ich habe euch gewaehlt, nicht +dass ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten": diese Worte, die ein +spaeterer Schriftsteller dem Koenig Romulus in den Mund legt, bezeichnen +nach dieser Seite hin die Stellung des Senats gewiss im wesentlichen +richtig. Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische +Buergergemeinde, an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber +allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von +der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die +Versammlung der lebenslaenglich bestellten Gemeindeaeltesten, gleichsam +ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt, berufen im Fall +der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven +Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den +rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche +Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch +die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des +Koenigs Gebot, gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden +musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht +von dem wahren Souveraen, dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer +keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die aelteste roemische +Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie +in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des Staates +gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen, +den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten +die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische Volksgemeinde +ungefaehr, was in England der Koenig ist und das Begnadigungsrecht, wie +in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der +Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde +stand. Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu +dessen einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich +weit entfernt von der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der +modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte +wohl ueber die Person des Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten +und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das +einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpoenter Handlungen mit +Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht +gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und Unrecht erschienen. +Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich der +Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, +der Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen +Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen +Kosten gross gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der +merkwuerdigsten Saetze der aeltesten roemischen Verfassung, dass der +Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen +Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender +Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst die +Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke +bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre +praktische Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der +gewiss befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht +zuwiderlaufenden Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war +innerhalb ihres Kreises so wie die roemische allmaechtig; aber in keiner +Gemeinde auch lebte der unstraeflich sich fuehrende Buerger in +gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenueber seinen Mitbuergern wie +gegenueber dem Staat selbst. So regierte sich die roemische Gemeinde, +ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem +mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz +und unter sich, in scharfer Auspraegung der eigenen Nationalitaet, +waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt werden - dem +Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore weit +aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, +sondern erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht +sich, dass sie auf der aelteren italischen, graecoitalischen +und indogermanischen Verfassung beruht; aber es liegt doch eine +unuebersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den +Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus' Bericht ueber +Deutschland sie schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen +Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des +deutschen Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt +der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz +und der geregelten Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag +ferner sein, dass, wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den +Elfenbeinstab sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt +hat, so auch die zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr +vom Ausland heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die +Entwicklung des roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium +gehoert, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, +beweist die durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern +latinischer Praegung. Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des +roemischen Staats fuer alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn +trotz der wandelnden Formen steht es fest, solange es eine roemische +Gemeinde gibt, dass der Beamte unbedingt befiehlt, dass der Rat +der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist und dass jede +Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst +der Volksgemeinde. 6. Kapitel Die Nichtbuerger und die reformierte +Verfassung Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor +allen, ist ein grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir +Kunde haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung +des Roemerrums endigen die aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von +jenem aeltesten Verschmelzungsprozess der Ramner, Titier und Lucerer, +von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der frueheste +derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die Huegelbuergerschaft +aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird, +als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und +die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht +werden duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der +Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der +uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der +Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg +ein. Die roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei +Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen +Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester +des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es +ist glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten +altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen, +Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien +der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind. +Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den drei Quartieren der +palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Huegelstadt auf +dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem urspruenglichen +Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung +wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit +gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in +Beziehung auf die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren +Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung +zerfiel die roemische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je +zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen sie nun ihrerseits +mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die bestehenden Teile und +Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in der +Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der +Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit +den Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan +jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die +Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, +posteriores). Eben damit haengt wahrscheinlich die in den organischen +Institutionen der Gemeinde ueberall hervortretende paarweise Anordnung +zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen ausdruecklich +als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter Ordnung +bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist vermutlich +aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im Heerwesen: +nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde +hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische Buergerreiterei +auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer wahrscheinlich +auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des +Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen +Gebrauch, dass die Legionen regelmaessig je zwei und zwei einberufen +wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen, und wahrscheinlich ruehrt von +dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her, dass nicht, wie +wohl urspruenglich, drei, sondern sechs Abteilungsfuehrer die Legion +befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat +entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert +Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale +geblieben; womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der +angesehensten Maenner der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der +palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den +Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig +vor, und von seinen hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich +dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, dass die sakralen +Institutionen der Huegelstadt fortbestanden und in militaerischer +Hinsicht man nicht unterliess, der verdoppelten Buergerschaft die +doppelte Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber die Einordnung der +quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre Unterordnung der +ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben, dass der +Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen +Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten +Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der +Quirinalstadt die "zweiten" oder die "minderen" gewesen. Indes war der +Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den +Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen +Ratsherren vor denen der "minderen" gefragt. In gleicher Weise steht das +collinische Quartier im Range zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen +der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem +des palatinischen, die quirinalischen Springer und Woelfe hinter +denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synoekismus, durch den +die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine +Mittelstufe zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner und +Lucerer miteinander verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen +Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr +bilden, wohl aber noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre +sakralen Institutionen liess man nicht bloss bestehen, was auch nachher +noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba, geschah, sondern erhob +sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was spaeterhin in dieser +Weise nicht wieder vorkam. Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen +gleichartiger Gemeinwesen war mehr eine quantitative Steigerung als +eine innerliche Umgestaltung der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten +Inkorporationsprozess, der weit allmaehlicher durchgefuehrt ward und +weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten Anfaenge gleichfalls +bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die Verschmelzung der +Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der roemischen +Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die "Hoerigen" +(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen +Buergerhaeuser, oder die "Menge" (plebes, von pleo, plenus), wie sie +negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. +Die Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, +wie gezeigt ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der +Gemeinde musste diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich +und rechtlich zu groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die +Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hoerige besitzen; +besonders mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung ihres +Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen, +die Masse der Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen, +sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, +so dass sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den +Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten. +Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht ueber die +einzelnen Buerger die Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen +missbraeuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts +zu schuetzen. Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische +Landrecht der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte +Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn +der Herr bei Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament, +Prozess, Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend +aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen +Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner +Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen +koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder +Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung +von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes +in einer mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was +ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei +rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum scheinen laengere Zeit +hindurch ihre vermoegensrechtlichen Beziehungen gleich denen der Sklaven +als Rechtsverhaeltnisse des Patrons gegolten und dieser prozessualisch +sie notwendig vertreten zu haben, womit denn auch zusammenhaengen wird, +dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen einheben und sie vor +sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber allmaehlich +entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in eigenem +Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung +ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen +und zu erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den +Buergern zwar weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner +Gemeinde angehoerigen, eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte +denselben doch nicht wohl gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise +Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden Rechtsverhaeltnisse der +eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und des Geschlechts, +der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der buergerrechtlichen +zu gestalten. ---------------------------------------------------- +^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, +2). ---------------------------------------------------- Teilweise zu +aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, insofern auf +Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen und +dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit +uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben. +Das roemische Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet noch von +Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils jedem +dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen unbeschraenkte +Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel wir wissen, jedem, +der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern befugt war, selbst +dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte Recht bewegliches +und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen konnten, +in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es +ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang +ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch das +Niederlassungsrecht mit grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde +ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter +Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden Fremden gewaehrt hat. +Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die +Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die +Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in +Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis +mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen +des Verkehrs, die durch das latinische Buendnis allen Latinern +gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss +selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende +Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der +Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil +der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten +Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in +seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel +wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht vertauschte. +Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern und lichtete +bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die +Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute +dafuer zu bezahlen. Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, +dass das roemische Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, +als es in der Tat der Fall war. Dass er noch laengere Zeit eine +zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen +in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an einzelne ansehnliche +auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder +nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht empfingen - +denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer +seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise +stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der +Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne +Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht +erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens +wahrscheinlich, dass die schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende, +aber doch gewiss nicht urspruengliche Zivilehe eben eingefuehrt ward, um +das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmen ^2. Auch die Massregeln, +durch welche bereits in aeltester Zeit auf die Erhaltung einer +zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern hingewirkt +ward, gehoeren in diesen Zusammenhang. +------------------------------------------------------- ^2 Die +Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass +dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das +hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die +religioese Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von +der religioesen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, +dass die religioese Ehe selbst als eigentuemliche und rechtlich +notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der +anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Uebergabe von +seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, hinzutreten musste, +um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden. +------------------------------------------------------ +Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in +bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, +waehrend die der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte; +und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und +freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene +Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen +Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und +vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des +Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom +lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in +der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder +und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen +Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht, +der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies +schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, +und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr +zurueck. War in aelterer Zeit der Klient ausschliesslich fuer den +Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so musste, +je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der +Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne +Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge +und Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der +Nichtbuerger, namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen +Gemeinden, standen ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich +von Haus aus nicht in der Klientel der koeniglichen und der sonstigen +grossen Geschlechter und gehorchten dem Koenig ungefaehr in gleicher Art +wie die Buerger. Dem Koenig, dessen Herrschaft ueber die Buerger denn +doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, musste es +willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhaengigen Schutzleuten +sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu bilden. So erwuchs +neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den Klienten +ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; +rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, +dem Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr +bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem +der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel +der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefuehl der besonderen +Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der politischen Zuruecksetzung +den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen gleichmaessig +waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen des +politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen +Gemeinde. Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile +geschah indes schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener +Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen +traegt vom Koenig Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen +Ursprung nach in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von +der wir, was wir wissen, nicht durch historische Ueberlieferung, sondern +nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren Institutionen wissen; aber +ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben +koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie +muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige +ihren Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf +Befreiung von der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der +Nichtbuerger teils zu der Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, +dem Staat im Notfall vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, +teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung +zusammengefasst, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen +ist die Heranziehung der Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen +Lasten: es wurden diese frueh auch auf die "Begueterten" (locupletes) +oder die "stetigen Leute" (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich +Vermoegenslosen, die "Kinderzeuger" (proletarii, capite censi) blieben +davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der +Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die +Buergerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules, +mochten sie Buerger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde +aus einer persoenlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung +folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige Mann vom achtzehnten +bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der Hauskinder ansaessiger +Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der entlassene +Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt +war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war +der Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst +herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der +Fall war, auf roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der +Groesse der Grundstuecke wurde die kriegstuechtige Mannschaft +eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in +vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und insofern vorzugsweise das +Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von den vier folgenden Reihen +der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Haelften, +Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung +der Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und +sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der +damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen +Vollhufen, waehrend die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener +jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansaessigen +ausmachten; weshalb festgesetzt ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig +Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten +Reihe ausgehoben werden sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei: +die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin +wich man hier ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den +alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern +blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern +gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, +dass man damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und +nach der Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus +militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und +regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen +Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man +denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre +hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu +machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen, +soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes +einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei - zu +stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein +Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont. +---------------------------------------------------- ^3 Aus demselben +Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt der +Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft +aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen. +----------------------------------------------------- Die nicht +ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen +stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen +sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer +zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken +und Gefallenen ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden. Zum Behuf +der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier "Teile" +(tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen +Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches +Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die +Strasse dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den +esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die +"Huegel" im Gegensatz der "Berge" des Kapitol und Palatin, bildeten. Von +der Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen und +gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und +quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es +herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem dieser +Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der +Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten, +ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung. +Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und +nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen +Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung +zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der +raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig +zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder +ein Larenaltar errichtet ward. Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte +hatte annaehernd den vierten Teil wie der ganzen Mannschaft, so jeder +einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen, sodass jede Legion und +jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk zaehlte, um +alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und +gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den +maechtigen Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger +zu einem Volke zu verschmelzen. Militaerisch wurde die waffenfaehige +Mannschaft geschieden in ein erstes und zweites Aufgebot, von denen +jene, die "Juengeren", vom laufenden achtzehnten bis zum vollendeten +sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden, +waehrend die "Aelteren" die Mauern daheim schirmten. Die militaerische +Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine +vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx +von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend +Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400 "Ungeruestete" (velites, +s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, +bildeten die vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und +sechsten standen die minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten +Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx +hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte +Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind, +war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, +davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden +Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der +fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der +Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum +Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die +fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde; +wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann kam, +80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten +Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die +der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, +welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft +nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des +roemischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe +an 20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der roemischen +Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der Einfuehrung dieser neuen +Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei +steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt, +sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen +Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die +roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig +durch Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke +umgingen. Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die +sorgfaeltigere Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. +Es wurde entweder jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, +dass ein Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer +ihre Aecker mit dem Zubehoer, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den +Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veraeusserung, die +nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde fuer nichtig erklaert +und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich Aushebungsrolle +war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der +servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus +hervorgegangen. Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus +militaerischer Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch +nicht ein einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische +Bestimmung der Zenturien hinwiese; und dies allein muss fuer jeden, der +in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, genuegen, um ihre Verwendung +zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu erklaeren. Wenn, +wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr +ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies +keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und +neben den Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch +die Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit +der Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und +insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische Ordnung fuer die +Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise +die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische +Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch Offizier +werden koennen, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten +in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt +werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen +Buergerschaft durch die Zenturieninstitution der Sonderbesitz der +politischen Rechte nicht geschmaelert werden sollte, so mussten doch +unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige Buergerschaft +nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot geuebt hatte, +uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien. Die Zenturien +also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines Angriffskrieges +um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der spaeteren +Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer Beteiligung der +Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein +zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr +folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden waere, und +nach wie vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die +eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem Koenig +verpflichtete. Neben diesen neuen grundsaessigen Vollbuergern standen +die angesessenen Auslaender aus dem verbuendeten Latium als teilnehmend +an den oeffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher +municipes); waehrend die ausser den Tribus stehenden, nicht +ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger nur als +steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen. Hatte man somit bisher +nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und Schutzverwandte +unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen Klassen +fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht +beherrscht haben. Wann und wie diese neue militaerische Organisation +der roemischen Gemeinde ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen +moeglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heisst, die +Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand. +Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine urspruengliche Grenze +betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel +Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den +Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird +nicht moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir +als Minimum 10000 Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 +deutschen Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, +Haeuserraum und nicht kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz +bringt, das Gebiet zu der Zeit, wo diese Reform durchgefuehrt ward, +mindestens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich +aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben muss. Folgt man der +Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 ansaessigen und +waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem +ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, +zeigt ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert, +sondern vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des +Normalstandes der Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie +zu fuenf Koepfen ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu +ergeben schienen und diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt +ward. Aber auch nach jenen maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von +etwa 16000 Hufen mit einer Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen +und mindestens der dreifachen Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, +nicht grundsaessigen Leuten und Knechten notwendig anzunehmen, dass +nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio gewonnen, sondern auch +die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische Verfassung +festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das +Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl +nach urspruenglich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln. +---------------------------------------------------------- ^4 Schon um +480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; Colum. 1 +praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. Vict. +33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu +berichtigen ist) den Empfaengern klein. Die Vergleichung der deutschen +Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und Morgen, beide urspruenglich +mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen werden als +urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30, +nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette +haeufig, wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, +so wird bei Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des +roemischen Heredium von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe +von 20 Morgen den Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt +es zu bedauern, dass die Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst. +------------------------------------------------------- Im allgemeinen +aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische Institution +nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den +Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der +Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie +entstanden ist unter griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen +truegen, wie zum Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, dass +auch in Korinth die Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen +wurden; aber die Entlehnung der Ruestung wie der Gliederstellung von dem +griechischen Hoplitensystem ist sicher kein zufaelliges Zusammentreffen. +Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten Jahrhundert der Stadt +die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen +Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das +Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden +wir hierin den Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform +hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende +und nur durch die streng monarchische Form des roemischen Staats +in etwas abweichende Bahnen gelenkte Verfassungsaenderung. +--------------------------------------------- ^5 Auch die Analogie +zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der Behandlung der +attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat eben wie +Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und dann +auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger +hier ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto +bestimmter zeigt es sich, wie dieselben Ursachen - staedtische +Zentralisierung und staedtische Entwicklung - ueberall und notwendig +die gleichen Folgen herbeifuehren. +--------------------------------------------- 7. Kapitel Roms Hegemonie +in Latium An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere +und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; +mit dem Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde +allmaehlich in den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein +und politische Maechte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von +jenen fruehesten Raufhaendeln und Beutezuegen, in denen der Charakter +der Voelker sich bildet und sich aeusserst wie in den Spielen und +Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns +ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche +Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse der +einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu +erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und +seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten +Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben +worden; sie waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche +Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig +gegen die Kueste zu bis an die etwas ueber drei deutsche Meilen von +Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). "Groessere und kleinere +Voelkerschaften", sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten +Rom, "umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen +Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren". Auf +Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten +Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein. Die am oberen +Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden +Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, +Cameria, Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom +und scheinen schon in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer +ihre Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde +erscheint in diesem Bezirk spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch +Buendnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem +Brueckenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kaempften Latiner +und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter mit wechselndem Erfolg. +Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen +innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die +spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem +Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes +^1. Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9 +Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen +Kaempfe ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine +andere uralte Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die +alte heilige Metropole Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und +zerstoert. Wie der Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, +ist nicht ueberliefert; der Kampf der drei roemischen gegen die drei +albanischen Drillingsbrueder ist nichts als eine personifizierte +Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und eng verwandter Gaue, von +denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war. Wir wissen eben +nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und Zerstoerung +Albas durch Rom ^2. ---------------------------------------------------- +^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und +Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche +Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in +der Tat stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und +hoechst unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare +auf diese beiden verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren +Antiquaren fuer geschichtliche Urkunden gehalten. ^2 Aber zu bezweifeln, +dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom ausgegangen sei wie es +neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein Grund vorhanden. +Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung in seinen +Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Unmoeglichkeiten +ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen historischen +Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe +zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber +die Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass +die latinische Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer +Gemeinden schlechterdings untersagte. Noch weniger widerspricht +die Aufnahme einer Anzahl albischer Familien in den roemischen +Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die Roemer; warum soll es +nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei gegeben haben? +Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in religioeser +wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt; +welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter, +sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und +gegruendet ward. ---------------------------------------- Dass in +der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge +festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht +benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische +Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere +verhaeltnismaessig ansehnliche Macht begruendet haben moegen, laesst +sich vollends nur vermuten. Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen +wir genaue Berichte ueber den rechtlichen Charakter und die rechtlichen +Folgen dieser aeltesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht +zu bezweifeln, dass sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt +wurden, woraus die dreiteilige roemische Gemeinde hervorgegangen war; +nur dass die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht +einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten +Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern +voellig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die +Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen +politischen Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger +legte er selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die +Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und +kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in +dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die +faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte +man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische +Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbuerger-, +sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, das allgemeine +roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch das +Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch +durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren untertaenig wurden. +Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der +Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in +dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat gegruendet. Eine +foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die neue Hauptstadt, wie +sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird man hierunter +freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums konnten +in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der +Bauern; im ganzen genuegte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an +den neuen Hauptort. Dass selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, +laesst sich an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen +Staedten noch nach der Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz +geblieben sein muss. Selbst wo die Festigkeit des geschleiften Ortes +eine wirkliche Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man +mit Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen +Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch +die ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem +neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen +Erzaehlungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen +Staatsrechts, dass nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die +Stadtmauer (das Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde +den ueberwundenen, uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das +Schutzverwandtenrecht aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber +auch wohl mit dem Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt. +Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die +roemische Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter +die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, +Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen +Familienheiligtuemer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier +in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob. +------------------------------------------------ ^3 Hieraus entwickelte +sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder Buergerkolonie (colonia +civium Romanorum), das heisst einer faktisch gesonderten, aber rechtlich +unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in der Hauptstadt aufgeht +wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und als stehende +Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist. ^4 Darauf geht ohne +Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i mancipiique] forti +sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen Verkehr dem +Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die latinischen +Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche +Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das +Zwoelftafelgesetz ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die +sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heisst die von +den Roemern in das Plebejat genoetigten Gemeinden Latiums. +------------------------------------------ Diese Zentralisierung +mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war natuerlich nichts +weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die Entwicklung +Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze der +nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern +es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war +dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom +und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche +der weise Thales dem bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den +einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist +es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher +und gluecklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und +eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner +fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Groesse lediglich +demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System zu +danken. Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als +gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet +werden duerfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere +Bedeutung zu. Es sind nicht bloss die problematische Groesse und der +etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme +Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole +der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den +dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas hob natuerlich +den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die boeotische +Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter +des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als +Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. +Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder +nachfolgten, vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die +roemische Hegemonie ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu +haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor +allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben moegen. Schon damals +mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, +als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenueberstehen, schon damals +nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten gegen Karthager, Hellenen +und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn +sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der materielle +Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser +war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte +Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, +dass Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische +Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch +gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und +damit die Grundlage der kuenftigen Hegemonie der roemischen Gemeinde +ueber die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese +entscheidenden Verhaeltnisse so bestimmt wie moeglich zu bezeichnen. +---------------------------------------------------- ^5 Es scheint sogar +aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae gebildet und +diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Staedte eingetreten +zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der +Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); +ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23). +--------------------------------------------------------------- Die Form +der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines gleichen +Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen +Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der +ganzen Mark und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die +Verteidigung festgestellt ward. "Friede soll sein zwischen den Roemern +und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie +sollen nicht Krieg fuehren untereinander noch Feinde ins Land rufen noch +Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet +werden mit gesamter Hand und gleichmaessig verteilt werden, was gewonnen +ist im gemeinschaftlichen Krieg." Die verbriefte Rechtsgleichheit im +Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die +Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte +verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des +Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht wie in +unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings +blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den +Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem roemischen nicht +notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit +der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den latinischen +Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstuemliche +Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die +Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin, +dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in +ganz Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den +Bestimmungen ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit +des einzelnen Buergers. Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des +latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem Staat, wo er frei gewesen +war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Buergerrecht einbuessen; +sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, das +Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem +Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz +erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der +Bundesstaaten sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten +Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln +aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn +der Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden muesse jenseits der +Tibergrenze, das heisst ausserhalb des Bundesgebietes, und die Klausel +des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, dass der von den +Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er +einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft +innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch +Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon +frueher bemerkt worden ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte +konnte zunaechst jeder Latiner nur da ausueben, wo er eingebuergert war; +dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder +Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, nach +heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen Buergerrechten +der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenoessisches +Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Buerger +anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle +Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt +ausschlug, die allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen +Erwerb, staedtische Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der +Insassen in Rom sich reissend schnell vermehrte, seit die latinische +Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich. In +Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde +selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen, +sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden +als solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass +Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als +die Roms, und dass die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie +erlangt haetten, so ist dies insofern wohl moeglich, als Alba wesentlich +Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem Bunde +gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie die +Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen +Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas +Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms +Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit +gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt +zu haben, waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter +Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten +Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit der +Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit +der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels +auf dem Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom +und Latium, teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward. +Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem +Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde +ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der die ohne +Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der +maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten +zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in +dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise +des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken +Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand +ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der +latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste hier +den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem +die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus der +Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der +getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut +gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die Bundesglieder +verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die roemisch-latinische +Foederation nur durch Rom vertreten worden ist, laesst sich nicht +mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch +Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei +es nach Bundesschluss, sei es infolge eines feindlichen Ueberfalls, +ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der Fuehrung wie bei der +Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat rechtlich beteiligt +gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals schon die Hegemonie +besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und +ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das +Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt. Wie nach Albas +Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig bedeutenden +Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der +latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares +Gebiet weiter ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den +Etruskern, zunaechst den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den +Besitz von Fidenae nicht auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern +gelang, diesen auf dem latinischen Ufer des Flusses nur eine starke +Meile von Rom gelegenen etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt +zu bringen und die Veienter aus dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu +verdraengen. Dagegen behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten +im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung. Den +Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr ueberlegenen +Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den entfernteren +Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit +bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen +Nachbarn von zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der +bestaendige Kriegsschauplatz aber war die Suedgrenze, das Gebiet der +Rutuler und mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die +latinische Landschaft sich am fruehesten erweitert, und hier begegnen +wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande +begruendeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft +konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von +denen die aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen. +Wie weit indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit +sich erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden +mit den benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den +roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede; +aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme +von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern +enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen +Roms gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat, +laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenueber +als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik +entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon in +der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin +stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge +hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit +Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein +fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen. So war der latinische +Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu einigen und zugleich sein +Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom selbst aber war durch +die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus einer regsamen +Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden +Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung +und die darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter +dem Namen der Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten +Zusammenhang mit dieser innerlichen Umwandlung des roemischen +Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich musste mit den reicher stroemenden +Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten +politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern. Die +Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen +muss bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische +Reform stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und +einheitlichen Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft +nicht dabei beharren, die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander +mit Gebaeuden sich gefuellt hatten, zu verschanzen und etwa noch +zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel und die Hoehe am +entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium +verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man +schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende +Stadtwall begann am Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen +Huegel, an dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen +Abhang gegen den Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen, +die kolossalen Ueberreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein +gekommen sind, Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen von Alatri +und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken +unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer +gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich +dastehen und deren geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit +fortwirken werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den +ganzen Raum des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst +vor kurzem (1862) wieder in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau, +nach aussen von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen +Graben geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt +zu abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den +Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum +Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des +Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal +an den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum +gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Hoehe +ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg +gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau +ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und +bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Huegel +die neue "Burg" (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem Burgbrunnen, +dem sorgfaeltig gefassten "Quellhaus" (tullianum), der Schatzkammer +(aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der +Buergerschaft (area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die +regelmaessigen Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben. +Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf +dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum zwischen den beiden +Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder, +wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit +Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden +aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. +Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein +selbstaendiges, auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges +Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen +hat ^8. In aehnlicher Weise, wenn auch schwaecher, scheint der Aventin +befestigt und der festen Ansiedelung entzogen worden zu sein. Es haengt +damit zusammen, dass fuer eigentlich staedtische Zwecke, zum +Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers, die roemische +Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner +(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen, +aber doch nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani +Aventinenses, Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9. +Der von der neuen Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser +der bisherigen palatinischen und quirinalischen Stadt noch die beiden +Bundesfestungen des Kapitol und des Aventin, ferner das Ianiculum ^10; +der Palatin als die eigentliche und aelteste Stadt ward von den +uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war, wie im Kranz +umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen. Aber +das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem +auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen +war, welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd +fuellte, sodass hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das +Tal zwischen dem Kapitol und der Velia sowie das zwischen Palatin und +Aventin versumpfte. Die heute noch stehenden, aus prachtvollen Quadern +zusammengefuegten unterirdischen Abzugsgraeben, welche die Spaeteren +als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom anstaunten, duerften eher +der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei verwendet ist und +vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit erzaehlt +wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die Koenigszeit, +wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des +Mauerrings und der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den +entsumpften oder trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen, +wie die neue Grossstadt sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der +Gemeinde, bis dahin der kapitolinische Platz auf der Burg selbst, ward +verlegt auf die Flaeche, die von der Burg gegen die Stadt sich senkte +(comitium), und dehnte von dort zwischen dem Palatin und den Carinen in +der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der der Burg zugekehrten +Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines Altanes ueber die +Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste +der Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz; +und auf dem Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das +spaeter den Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den +Richterstuhl (tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft +gesprochen ward (die spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der +Dingstaette selbst errichtet. Ihre Verlaengerung gegen die Velia ward +der neue Markt (forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem Palatin, +erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia) +und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels, +einschloss; nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein +dazu gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde +oder der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der +Kirche Santi Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in +ganz anderer Art, als die Ansiedelung der "sieben Berge" es gewesen +war, geeinigte Stadt, dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit +deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt +hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche Stadtherd +trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die +Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen Aventin und +Palatin ward fuer die Rennspiele der "Ring" abgesteckt; das ward der +Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald +entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere. Auf allen +Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf dem Aventin +das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg der +weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all +diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die +umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der +Besiegten triumphierte. ---------------------------------------- ^6 +Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von +der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze +des Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen +akra und koryph/e/ entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische +Stadt ihr capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen +Burghuegels ist mons Tarpeius. ^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in +arce aut capitolio habitaret, untersagte wohl nur die Umwandlung des +Bodens in Privateigentum, nicht die Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. +Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. +386. ^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die "Heilige Strasse", auf +die Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach +links macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. +Dieses selbst wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus +stattfanden, untergegangen sein. Das sogenannte Tor an der steilsten +Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem Namen des janualischen +oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in Kriegszeiten +stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese Bedeutung +und ist nie ein wirkliches Tor gewesen. ^9 Es kommen vier solcher Gilden +vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, 2) mit eigenen magistri +(Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL +I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, Roemische +Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen +6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; +3. die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die +pagani pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). +Es ist gewiss nicht zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen +derartigen, die in Rom vorkommen, eben den von den vier oertlichen +Tribus aus-, aber von der Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden +Huegeln, dem Kapitol und dem Aventin, und dem zu derselben Befestigung +gehoerigen Ianiculum angehoeren; und damit steht weiter im Zusammenhang, +dass als Bezeichnung der gesamten staedtischen Eingesessenen Roms +montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser der bekannten Stelle Cic. +dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die staedtischen Wasserleitungen +bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive si[fis aquam +dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen +drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche +Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind +sicher die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin +und Ianiculum und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal. +^10 Die "Siebenhuegelstadt" im eigentlichen und religioesen Sinn ist +und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das +Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit +(vgl. z. B. Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt +betrachtet, wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig +gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu +gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung gelangt, +welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen +zu den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus, +Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus +zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der +traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen Entstehung der Stadt +(Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. +206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil sonst acht +herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge +(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins +des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, +Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, +offenbar als colles, fehlen und dafuer zwei "montes" vom rechten +Tiberufer, darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer +liegende Vaticanus mit hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen +geben Servius (Aen. 6, 783), die Berner Scholien zu Vergils Georgiken +(2, 535) und Lydus (mens. p. 118 Bekker). ^11 Sowohl die Lage der beiden +Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des Dionysios (2, 25), dass der +Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag, bezeugen es, dass +diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der zweiten +(Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den +Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, +so ist die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu +legen. ------------------------------------------ Die Namen der Maenner, +auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten sich erhoben, sind +nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den aeltesten +roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die +verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus +Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die +grosse Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den +Aelteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche +dieser Angaben moegen richtig sein, und es scheint nicht zufaellig, dass +der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die +stetige Verteidigung der Stadtwaelle wesentliche Ruecksicht nahm, auch +der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird +man sich begnuegen muessen, aus dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was +schon an sich einleuchtet, dass diese zweite Schoepfung Roms mit +der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der Umschaffung des +Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus +einem und demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber +weder eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch +in diese Umgestaltung des roemischen Gemeindewesens die hellenische +Anregung maechtig eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es +unmoeglich ist, die Art und den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es +wurde schon bemerkt, dass die Servianische Militaerverfassung wesentlich +hellenischer Art ist, und dass die Circusspiele nach hellenischem Muster +geordnet wurden, wird spaeter gezeigt werden. Auch das neue Koenigshaus +mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein griechisches Prytaneion und der +runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte +Vestatempel in keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach +hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, +was die Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen +Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster +diente und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin +dem ephesischen Artemision nachgebildet ward. 8. Kapitel Die +umbrisch-sabellischen Staemme Anfaenge der Samniten Spaeter als die der +Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme begonnen zu haben, +die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch mehr in der +Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. Es +ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der +Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der +Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht +unwahrscheinlich, dass sie in aeltester Zeit ganz Norditalien +innehatten, bis wo im Osten die illyrischen Staemme begannen, im Westen +die Ligurer, von deren Kaempfen mit den Umbrern es Sagen gibt, und auf +deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden zu einzelne Namen, +zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen +Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der +umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten +Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie +die zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars +alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. +Ganz besonders begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen +voraufgegangenen italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich +Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem +Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das +Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als +die etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften +zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit +dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem +Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; +in denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen +zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese +suedlichen Striche bedeutend spaeter als die Landschaft nordwaerts +vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach der +tuskischen Eroberung umbrische Bevoelkerung sich hier gehalten. Die +spaeter nach der roemischen Eroberung im Vergleich mit dem zaehen +Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im noerdlichen Etrurien so +auffallend schnell erfolgende Latinisierung der suedlichen Landschaft +findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass von Norden und +Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt wurden in +das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie spaeter +innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, +wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre +aehnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass +die Tusker den Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was +mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir +noch besitzen, werden nebst anderen Staemmen vor allem die Tusker als +Landesfeinde verwuenscht. ---------------------------------------- ^1 +In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen +(R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus +dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu +darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci +Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. +Cotena La. f. .... zenatuo sentem .... dedet cuando ... cuncaptum, das +ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia +dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit diesen und aehnlichen +haben sich einige andere Inschriften gefunden von abweichender +und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift. +--------------------------------------- Vermutlich infolge dieses von +Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die Umbrer vor gegen Sueden, +im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon +von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das +Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und mit +ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und +Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, +wie wir spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu +erzaehlen weiss von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium +und ihren Kaempfen mit den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich +laengs der ganzen Westkueste wiederholt haben. Im ganzen behaupten +die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten +Landschaft neben Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil +die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; +waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser Widerstand +zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner +Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz +abwehren zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme +hueben und drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit +den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich +sowie die Sabina so frueh und so schnell sich latinisieren konnten. Der +Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina +oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich +anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste +die bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern +wich oder sich unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen apulischen +Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung der Iapyger, zwar unter +steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im +ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, laesst sich +natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in Rom +die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt +von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem +Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren, +preiszugeben und ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter +sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze +bescheren moechten. Den einen Schwarm fuehrte der Stier des Mars: das +wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den +Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus die schoene Ebene +oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetzten und im +alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei +Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen +zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das +Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten +der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. +In aehnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die +uebrigen kleinen Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die +Vestiner am Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der +apulischen Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am +Fuciner See, diese mit den Volskern und den Latinern sich beruehrend. +In ihnen allen blieb das Gefuehl der Verwandtschaft und der Herkunft +aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich +ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die +westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder +hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen +Staemme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich +entrueckt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen. +Staedtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem +Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre geographische Lage sie +beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung genuegten die +Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen blieben in +den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden +gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie +bei den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur +Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder +lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint +die scharfe Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der +einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie +gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese Bergkantone in geringem +Zusammenhang unter sich und in voelliger Isolierung gegen das uebrige +Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als +irgendein anderer Teil der italischen Nation in die Entwicklung der +Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk der +Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden +der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das +latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung +an, umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die +samnitische Nation und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten +Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das +Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig als wir die Bundesverfassung +kennen; das aber ist klar, dass in Samnium keine einzelne Gemeinde +ueberwog und noch weniger ein staedtischer Mittelpunkt den samnitischen +Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft +des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus +ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die +erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es +zusammen, dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die +roemische aggressiv ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung +der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die +Leidenschaft so maechtig, dass die Erweiterung des Gebiets planmaessig +verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden +Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden +Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der Staat; was die +Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub +ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben +waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten +des Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren +Periode an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst +erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. +Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische +Ansiedelung veranlassten Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme +durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt +230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr +romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen +Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten zu einem +Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit +diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten Iapyger. +Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der +ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen +Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt +abzuschlagen. 9. Kapitel Die Etrusker Im schaerfsten Gegensatz zu den +latinischen und den sabellischen Italikern wie zu den Griechen steht das +Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber nannten, der Rasen ^1. Schon +der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; statt des schlanken +Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker +nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir +wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst +gleichfalls auf eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den +griechisch-italischen Staemmen schliessen, so namentlich die Religion, +die bei den Tuskern einen trueben phantastischen Charakter traegt und im +geheimnisvollen Zahlenspiel und wuesten und grausamen Anschauungen +und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit entfernt von dem klaren +Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren hellenischen +Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das +wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns +gekommene Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer +die Entzifferung darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass +es bis jetzt nicht einmal gelungen ist, den Platz des Etruskischen in +der Klassifizierung der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige +denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei +Sprachperioden. In der aelteren ist die Vokalisierung vollstaendig +durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne +Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen +Endungen und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies +weiche und klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte +und rauhe Sprache verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramtha aus +ramuthaf, Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, +Elchsentre aus Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die +Aussprache war, zeigt am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d +und t den Etruskern schon in sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich +wurde wie im Lateinischen und in den rauheren griechischen Dialekten der +Akzent durchaus auf die Anfangssilbe zurueckgezogen. Aehnlich wurden die +aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend die Italiker sie wegwarfen +mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die Griechen umgekehrt +mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen th ph ch beibehielten, liessen +die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das ph gaenzlich, ausser +in Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei +in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum +Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder +Uthuze heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren +Bedeutung ermittelt ist, entfernen die meisten sich weit von allen +griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle; so die Endung +al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie zum +Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi uebersetzt +wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung +des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum Beispiel +die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem +Kasus clensi Sohn; sech Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms, +Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen +fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien +zwischen dem Etruskischen und den italischen Sprachen. Die Eigennamen +sind im wesentlichen nach dem allgemeinen italischen Schema gebildet: +die haeufige gentilizische Endung enas oder ena ^4 kehrt wieder in der +auch in italischen, besonders sabellischen Geschlechtsnamen haeufigen +Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas und Spurinna +den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe von +Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern +als etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung +nach so durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich +von Haus aus etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen +sein muessen: so Usil (Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, +aurora, sol), Minerva (menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. +Indes da diese Analogien erst aus den spaeteren politischen und +religioesen Beziehungen zwischen Etruskern und Latinern und den dadurch +veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren koennen, +so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen +Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den saemtlichen +griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die +Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern; +"tuskisch und gallisch" sind Barbarensprachen, "oskisch und volskisch" +Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem griechisch-italischen +Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt ebensowenig gelungen, +sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. Auf die +Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die verschiedenartigsten +Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen Frage, aber alle +ohne Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem baskischen, an +das den geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht +werden koennte, haben entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt. +Ebensowenig deuten die geringen Reste, die von der liturgischen Sprache +in Orts- und Personennamen auf uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit +den Tuskern. Nicht einmal die verschollene Nation, die auf den Inseln +des tuskischen Meeres, namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften +Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu Tausenden aufgefuehrt hat, kann +fueglich mit der etruskischen in Verbindung gebracht werden, da im +etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude vorkommt. +Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige +Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen +beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer +Inschriften sicher emi, eimi und findet die Genetivform konsonantischer +Staemme veneruf, rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, +entsprechend der alten sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name +des etruskischen Zeus Tina oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina += Tag zusammen wie Zan mit dem gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies +zugegeben erscheint das etruskische Volk darum kaum weniger isoliert. +"Die Etrusker", sagt schon Dionysios, "stehen keinem Volke gleich +an Sprache und Sitte"; und weiter haben auch wir nichts zu sagen. +--------------------------------------- ^1 Ras-ennae mit der 1, 131 +erwaehnten gentilizischen Endung. ^2 Dahin gehoeren z. B. +Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice +thumamimathumaramlisiaeipurenaietheeraisieepanaminethunastavhelefu oder: +mi ramuthas kaiufinaia. ^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon +kann einen Begriff geben zum Beispiel der Anfang der grossen Perusiner +Inschrift: eulat tanna larezu amevachr lautn velthinase stlaafunas +slelethcaru. ^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der +Vokal in der vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge +der Zurueckziehung des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt +und sogar ausgestossen. So finden wir neben Porsena, auch Porsena, neben +Caecina Ceicne. ---------------------------------------- Ebensowenig +laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien eingewandert +sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf jeden +Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche +Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage +eifriger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der +Archaeologen, vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar +noch wissenswert ist, "nach der Mutter der Hekabe", wie Kaiser Tiberius +meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief +im Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine einzige namhafte +etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber eben +sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat; +da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden +sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel +gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst +finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen +wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die +Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen +Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die aeltere +Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es +ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die raetischen +Alpen nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in Graubuenden und +Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die historische Zeit +etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen anklingt; sie +koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po, aber +wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener +Teil des Volks sein. Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung +aber tritt in grellen Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus +Asien ausgewanderte Lyder seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot +findet sie sich und kehrt dann in zahllosen Wandlungen und Steigerungen +bei den Spaeteren wieder, wenngleich einzelne verstaendige Forscher, +wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich dagegen erklaerten und +darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und Sprache zwischen +Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich zeige. Es +ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm nach +Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen; +wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen +Quiproquo. Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form +scheint die urspruengliche und der griechischen Tyr-s/e/noi, Tyrr/e/noi, +der umbrischen Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu +liegen - begegneten sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke +der Torr/e/boi oder auch wohl Tyrr-/e/noi, so genannt von der Stadt +T?rra; und diese offenbar zufaellige Namensvetterschaft scheint in der +Tat die einzige Grundlage jener durch ihr hohes Alter reicht besser +gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen Turmes darauf +aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem +lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und +endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen +Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren +pluendernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine +der heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die +Tyrrhener bezeichnen bald die lydischen Torrheber - so in den aeltesten +Quellen, wie in den Homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder +auch bloss Tyrrhener die pelasgische Nation; bald endlich die italischen +Etrusker, ohne dass die letzteren mit den Pelasgern oder den Torrhebern +je sich nachhaltig beruehrt oder gar die Abstammung mit ihnen gemein +haetten. Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was +die nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort +aus sich weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion +in der Landschaft noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch +grenzend mit den Venetern illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich +mit den Ligurern, ist vielfach beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der +schon erwaehnte rauhe etruskische Dialekt, den noch in Livius' Zeit +die Bewohner der raetischen Alpen redeten, sowie das bis in spaete Zeit +tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und an den Muendungen +dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener als der +herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten Kaufstaedte +Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und Ravenna +tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den +Padus ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten +Ufer desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere +Wurzeln geschlagen hat als auf dem frueh aufgegebenen linken. Doch sind +ueberhaupt die Landschaften noerdlich vom Apennin zu rasch von einer +Nation an die andere gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwicklung +sich hier haette gestalten koennen. Weit wichtiger fuer die Geschichte +wurde die grosse Ansiedelung der Tusker in dem Lande, das heute noch +ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer hier einstmals +gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische Okkupation +und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem +Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom +Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre +bleibende Staette gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die +Kaiserzeit hinein sich behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich +tuskischen Gebietes machte der Arnus; das Gebiet von da nordwaerts bis +zur Muendung der Macra und dem Apennin war streitiges Grenzland, bald +ligurisch, bald etruskisch, und groessere Ansiedlungen gediehen deshalb +daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der +Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo, spaeterhin der +Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet zwischen +dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete, +Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren +Distrikte, moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den +Etruskern eingenommen zu sein scheint und dass die urspruengliche +italische Bevoelkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch in +abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben muss. Seitdem der Tiberstrom +die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium bildete, mag hier im +ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und eine wesentliche +Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen die +Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker +ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom +rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu +haben als zum Beispiel von den Stammesverwandten in Gabii und Alba; +natuerlich, denn dort schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des +breiten Stromes, sondern auch der fuer Roms merkantile und politische +Entwicklung folgenreiche Umstand, dass keine der maechtigeren +etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen Ufer +Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren es auch, +mit denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten, +namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf +dem linken Tiberufer, aehnlich wie auf dem rechten den Roemern das +Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf diente und bald in den Haenden der +Latiner, bald in denen der Etrusker sich befand. Dagegen mit dem etwas +entfernteren Caere war das Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und +freundlicher, als es sonst unter Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen +pflegt. Es gibt wohl schwankende und in die graueste Fernzeit gerueckte +Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische +Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben +einen Weinzins auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der +einstmalige Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges +Verhaeltnis zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des Handels- +und Seeverkehrs in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem +Vordringen der Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln +ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos +im Jahre 230 (524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die +Etrusker in erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht +als bis ins einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die +Etrusker an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger +ist es, dass suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete +etruskische Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer +ernstlichen Bedraengung der latinischen Nation durch die Etrusker gar +nichts wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer +der Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen, unangefochten. +Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom anlangt, so +findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener Bericht, +dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach +dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt habe, +von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies zuverlaessig +sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges von +diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der +Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen +Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung +solcher Archaeologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf +etruskische Ansiedlungen in Rom deutet weiter das "Tuskerquartier" unter +dem Palatin. Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das +letzte Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der +Tarquinier, aus Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie +die Sage will, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas +vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der in die Sage verflochtene +Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch, dagegen in Etrurien +gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach Tarquinius der Sohn +eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen war und in +Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die +geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt, +sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt +etwas mehr entnommen werden kann als die nackte und im Grunde +gleichgueltige Tatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft +das koenigliche Szepter in Rom gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, +dass diese Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft ueber Rom weder +als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde ueber Rom, +noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber Suedetrurien gefasst werden +darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer die andere Annahme +irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der Tarquinier +spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat waehrend +der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in +Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige +Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes +unterbrochen. Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen +das latinische Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den +Kaempfen der Etrusker mit den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst +nach der Vertreibung der Koenige in Rom ueberschritten, teils in +der Richtung der etruskischen Nation auf Seefahrt und Meer- und +Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen Ansiedelungen +entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter die +Rede sein wird. Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen +und latinischen auf der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die +fruehe Richtung der Nation aber auf Schiffahrt, Handel und Industrie +scheint rascher, als es sonst in Italien der Fall gewesen ist, hier +eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen zu haben; zuerst +von allen italischen Staedten wird in den griechischen Berichten Caere +genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig +und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit +Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung +der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit +der roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die +aehnliche Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie +die roemischen; Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber; +fuer die Aehnlichkeit der Geschlechterordnung buergt die Analogie +des Namensystems, nur dass bei den Etruskern die Abstammung von +muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als im roemischen Recht. +Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie umschloss +nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die +kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso +wie die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand +aus zwoelf Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den +Goetterdienst, und ein Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester +anerkannten, aber doch im wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein +scheinen und zum Teil wenigstens so maechtig, dass weder eine Hegemonie +sich bilden noch die Zentralgewalt zur Konsolidierung gelangen konnte. +Im eigentlichen Etrurien war die Metropole Volsinii; von den uebrigen +Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere Ueberlieferung nur +Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso selten, +dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte +selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt +regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann +ins Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen +wird, so schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es +scheint den etruskischen Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen +italischen Stammbuenden von Haus aus an einer festen und gebietenden +Oberleitung gefehlt zu haben. 10. Kapitel Die Hellenen in Italien +Seeherrschaft der Tusker und Karthager Nicht auf einmal wird es hell in +der Voelkergeschichte des Altertums; und auch hier beginnt der Tag +im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in tiefes Werdegrauen +eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen Becken des +Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte Kultur +ans Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten +Stadien der Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den +Meister und Herrn zu finden, ist in hervorragendem Masse auch den +Voelkern Italiens zuteil geworden. Indes lag es in den geographischen +Verhaeltnissen der Halbinsel, dass eine solche Einwirkung nicht zu Lande +stattfinden konnte. Von der Benutzung des schwierigen Landwegs zwischen +Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet sich nirgends eine +Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von Italien aus +schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die aelteste +Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der +Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als +Heimat des Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich +eine andere quer durch die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa +fuehrende an; aber Elemente der Zivilisation konnten von dort her den +Italikern nicht zukommen. Es sind die seefahrenden Nationen des Ostens, +die nach Italien gebracht haben, was ueberhaupt in frueher Zeit von +auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist. Das aelteste Kulturvolk am +Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch nicht ueber Meer und haben +daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig aber kann dies von +den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die von ihrer +engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen +bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des +Fisch- und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, +die zuerst den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit +das Mittelmeer bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast +an allen Gestaden desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische +Seestationen: wie in Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, +Libyen und Spanien, so auch im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien +herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe die Griechen dorthin kamen, +oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl sich festsetzten, die +Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre Faktoreien gegruendet, +des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu gewinnen. +Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von +phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige +mit einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei +bei Caere, deren Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der +kleinen Ortschaft an der caeritischen Kueste Punicum, teils in dem +zweiten Namen der Stadt Caere selbst, Agylla, welcher nicht, wie man +fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern phoenikisch ist und +die "Rundstadt" bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen Caere sich +darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen es an +den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall +weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast +spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund +vor, sie fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen +Ansiedlungen an denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen +davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen Maenner erst durch +Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre latinische, der +griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren alle +aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens +entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der +phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode +zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen +des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat +lag, wenn man sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich +Kuestenfahrt war und blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am +Mittelmeer so fern wie der italische Kontinent. Sie konnten ihn +nur entweder von der griechischen Westkueste oder von Sizilien aus +erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt +frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der +Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen +unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, +ist deshalb kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der +phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen +Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen. +Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die +zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die +italischen Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher +Gegend und zu welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin +gelangt sind, laesst nur die erstere sich mit einiger Sicherheit und +Vollstaendigkeit beantworten. Es war das aeolische und ionische Gestade +Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr sich grossartig +entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des Schwarzen +Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des +Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien +geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die +Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken +an die einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch +ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in +Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der +gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger +hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen Phokaeer, die +zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald folgten +auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach: +Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier, +Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung +Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin +zu fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der +europaeischen Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren +deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch +die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im Westland kein +Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes der +Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu +Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und +deutsche Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch +das griechische Sizilien und "Grossgriechenland" aus den +verschiedenartigsten hellenischen Stammschaften oft ununterscheidbar +zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser einigen mehr vereinzelt +stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren Pflanzstaedten +Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode gegruendete +Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei +Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen +Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme +mit den uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, +in Sizilien Zankle (spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini, +Himera zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris und die Mehrzahl der +grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische, welcher +Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen +Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen Pflanzstadt +Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die +aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen +Einwanderung im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben +sich vorzugsweise nur die Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie +Korinth und Megara, die rein dorischen Landschaften dagegen nur in +untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn die Ionier waren ein +altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme aber sind erst +verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen Bergen in die +Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten dem +Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen +Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. +Die phokaeischen Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden +babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit +dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im ganzen europaeischen +Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen Modifikation +desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen +Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige +Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt hatte, +nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken vielmehr +nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der +der sizilischen Dorer. Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und +Ansiedlungen wird wohl fuer immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. +Zwar eine gewisse Folge darin tritt auch fuer uns noch unverkennbar +hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen, welche, wie der aelteste +Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern eignet, in den +Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das +oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See +verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa +noch von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde +nach Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen +Dichtung mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche +am fruehesten mit dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige +Kunde von Sizilien und Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter +des Ostens konnten, wie seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften +Orient, ungestoert die leeren Raeume des Westens mit ihren luftigen +Gestalten erfuellen. Bestimmter treten schon in den Hesiodischen +Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; sie kennen aus +beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und Staedten; +doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten +nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte +Gestade Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. +Ebenso laesst die Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger +Sicherheit sich bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im +Westland galt offenbar schon dem Thukydides Kyme; und gewiss hat +er nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen Schiffer mancher +Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den Barbaren +war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt +urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser +Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf +dem Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die +noch heute den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt +traegt. Nirgends in Italien sind denn auch die Oertlichkeiten der +kleinasiatischen Maerchen mit solcher Festigkeit und Lebendigkeit +lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo die fruehesten +Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst das +Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu +wandeln meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden +Aornossee zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen +Nachbarn der Italiker wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb +der Name desjenigen italischen Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen +war, der Name der Opiker, von ihnen noch lange Jahrhunderte nachher +fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist ferner glaublich +ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung in +Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch +einen betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener +Einwanderung wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und +Naxos auf Sizilien die aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in +Italien und Sizilien gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die +achaeischen und dorischen Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind. +Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen +auch nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung +der achaeischen Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen +Stadt Taras im Jahre 46 Roms (708) moegen die aeltesten Daten der +italischen Geschichte sein, deren wenigstens ungefaehre Richtigkeit als +ausgemacht angesehen werden kann. Um wieviel aber die Ausfuehrung der +aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser Epoche zurueckliege, ist +ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der Hesiodischen und +gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers richtig +bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der +Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle +anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer +die Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache +erwaegt, dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der +hellenische Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung +der Hellenen von dem in Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder +Graeci entlehnten ^1, wird geneigt sein, den fruehesten Verkehr der +Italiker mit den Griechen um ein bedeutendes hoeher hinaufzuruecken. +------------------------------------------- ^1 Ob der Name der Graeker +urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland und der Gegend von +Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das Westmeer +reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in +ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des +eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte +Nation uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als +aelterer Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit +beiseite geschoben und dem hellenischen untergeordnet, welcher +letztere bei Homer noch nicht, wohl aber, ausser bei Hesiod, schon +bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704) auftritt und recht wohl noch +bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L. Duncker, Geschichte des +Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also bereits vor dieser +Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt, dass jener in +Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der griechischen +Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei +nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der +hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen +ist als diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer +sich fixierte als dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den +wohlbekannten naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es +damit vereinigen will, dass noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms +Italien den kleinasiatischen Griechen voellig unbekannt war, ist schwer +abzusehen. Von dem Alphabet wird unten die Rede sein; es ergibt dessen +Geschichte vollkommen die gleichen Resultate. Man wird es vielleicht +verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin die Herodotische Angabe +ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es etwa keine +Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen? +---------------------------------------- Die Geschichte der italischen +und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil der italischen; die +hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten +Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten +und Rechten der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den +verschiedenen Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu +bezeichnen und wenigstens gewisse Grundzuege hervorzuheben, durch +die der verschiedenartige Einfluss der griechischen Kolonisierung +auf Italien wesentlich bedingt worden ist. Unter allen griechischen +Ansiedlungen die intensivste und in sich am meisten geschlossene war +diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund hervorging, welchen die +Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, Sybaris mit seinen +Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina +und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen +genommen, einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen, +dem dorischen naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des +sonst allgemein in Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit +an der altnationalen hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine +besondere Nationalitaet den Barbaren wie den andern Griechen gegenueber +in einer festen buendischen Verfassung bewahrte. Auch auf diese +italischen Achaeer laesst sich anwenden, was Polybios von der +achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: "nicht allein in +eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie, sondern +sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und +Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter". Dieser +Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die Staedte +waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne +Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den +Bruecken seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm +Milesier und Etrusker. Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss +die Kuestensaeume, sondern herrschten von Meer zu Meer in dem "Wein-" +und "Rinderland" (Oinotria, Italia) oder der "grossen Hellas"; die +eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel oder gar in +Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit +die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme +und fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und +Poseidonia gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des +Krathis und Bradanos warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen +Ertrag ab - vielleicht ist hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut +worden. Von der hohen Bluete, zu welcher diese Staaten in unglaublich +kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die einzigen auf uns +gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre Muenzen von +strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die fruehesten +Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung erweislich +im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen +zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben +um diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, +sondern in der Technik demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt +der dicken, oft nur einseitig gepraegten und regelmaessig schriftlosen +Silberstuecke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie +bei den italischen Dorern ueblich waren, schlugen die italischen Achaeer +mit grosser und selbstaendiger Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen, +teils erhaben teils vertieft geschnittenen Stempeln grosse duenne, +stets mit Aufschrift versehene Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der +Falschmuenzerei jener Zeit - Plattierung geringen Metalls mit duennen +Silberblaettern - sich schuetzende Praegweise den wohlgeordneten +Kulturstaat verraet. Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. +In der muehelosen, weder durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch +durch eigene schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte +sogar den Griechen frueh die Spannkraft des Koerpers und des Geistes. +Keiner der glaenzenden Namen der griechischen Kunst und Literatur +verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren unzaehlige, +auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent +den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der +Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen +liess die strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen +Gemeinden frueh ans Ruder gekommen war und im Notfall an der +Bundesgewalt einen sicheren Rueckhalt fand: wohl aber drohte die +Verwandlung der Herrschaft der Besten in eine Herrschaft der Wenigen, +vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in den verschiedenen +Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig sich +aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des +Pythagoras bezeichnete solidarische Verbindung der "Freunde", sie gebot, +die herrschende Klasse "gleich den Goettern zu verehren", die dienende +"gleich den Tieren zu unterwerfen", und rief durch solche Theorie und +Praxis eine furchtbare Reaktion hervor, welche mit der Vernichtung +der pythagoreischen "Freunde" und mit der Erneuerung der alten +Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, Massenerhebungen +der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische Anwendung +unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten +Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, +bis ihre politische Macht darueber zusammenbrach. Es ist danach nicht +zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die daselbst +angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die uebrigen +griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus +ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als +den Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die +Eingeborenen und zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne +doch den Italikern durch vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu +eroeffnen. So ist in Sybaris und Metapont, in Kroton und Poseidonia das +griechische Wesen, das sonst allen politischen Missgeschicken zum Trotz +sich lebenskraeftig zu behaupten wusste, schneller, spur- und ruhmloser +verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet, und die zwiesprachigen +Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der eingeborenen Italiker +und der Achaeer und den juengeren Einwanderern sabellischer Herkunft +hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig gelangt. Indes, diese +Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende Periode. Anderer +Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der +uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn +keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu +ihrer Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art +an einer befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle +diese Staedte zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und +darum denn auch, ganz abweichend von den achaeischen, durchgaengig +an den besten Haefen und Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, +die Veranlassung und die Epoche dieser Gruendungen waren mannigfach +verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine gewisse Gemeinschaft +- so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch gewisser moderner +Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der Sprache, der auch +in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel Kyme ^3, von +Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die Entwicklung +Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade wichtig +geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend +in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des +dorischen Tarent und des ionischen Kyme. +------------------------------------------------- ^2 So sind die +drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als leicht +zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen +vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder +ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, +waehrend die uebrigen Griechen Italiens und Siziliens ohne Unterschied +des Stammes sich ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend der juengeren +Formen bedient haben. ^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen +Tongefaess Tataies emi leyqthos. Fos d'an me klephsei th?phlos estai. +--------------------------------- Den Tarentinern ist unter allen +hellenischen Ansiedlungen in Italien die glaenzendste Rolle zugefallen. +Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der ganzen Suedkueste, +machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepot fuer den sueditalienischen +Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem Adriatischen Meer. +Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und Verarbeitung +der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft der +tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte - +beide Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos +-, beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch +den Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im +griechischen Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen +Muenzen sind noch heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften +tarentinischen Verkehrs. Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit +Sybaris um den ersten Rang unter den unteritalischen Griechenstaedten +rang, muessen seine ausgedehnten Handelsverbindungen sich angeknuepft +haben; indes auf eine wesentliche Erweiterung ihres Gebietes nach Art +der achaeischen Staedte scheinen die Tarentiner nie mit dauerndem +Erfolg ausgegangen zu sein. Wenn also die oestlichste der griechischen +Ansiedlungen in Italien rasch und glaenzend sich emporhob, so gediehen +die noerdlichsten derselben am Vesuv zu bescheidnerer Bluete. Hier +waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus die Kymaeer auf das +Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart am Meere eine +zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia (spaeter +Puteoli), und weiter die "Neustadt" Neapolis gegruendet wurden. +Sie lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und +Sizilien, nach den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650) +festgestellt hatte, in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus +gemaessigten Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den +Reichsten erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung, +die sich bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren +wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren +Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus +Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt +auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und +unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich +mit ihnen handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine +gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den ersten Platz unter den +Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein. Wenn zu beiden +Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die ganze +suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere +oestliche Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so +gestalteten dagegen auf der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv +und auf der ganzen Ostkueste die Verhaeltnisse sich wesentlich anders. +An dem dem Adriatischen Meer zugewandten italischen Gestade entstanden +griechische Ansiedlungen nirgends; womit die verhaeltnismaessig +geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der griechischen +Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und +den zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich +zusammenhaengt. Zwar wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser +Kueste zwei ansehnliche Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt +Durazzo; 127 587) und Apollonia (bei Avlona; um 167 627) noch waehrend +der roemischen Koenigsherrschaft gegruendet; aber weiter noerdlich ist, +mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden Niederlassung auf Schwarzkerkyra +(Curzola; um 174? 580) keine alte griechische Ansiedlung nachzuweisen. +Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die griechische +Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat, wohin +doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat +seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach +Rom (um 44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein +Handelszug bestand, dessen Entrepots auf der italischen Kueste die +Staedte an der Pomuendung, Spina und Atria, waren. Die Stuerme der +Adriatischen See, die Unwirtlichkeit wenigstens der illyrischen Kuesten, +die Wildheit der Eingeborenen reichen offenbar allein nicht aus, +um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist es von den +wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden Elemente +der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften +einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese gelangten. +Selbst in den Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und Kerkyra die +oestlichste Kaufstadt Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch +den Besitz von Hydrus (Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf +der italischen Seite beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung +an der ganzen Ostkueste nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht +bestanden - Ankons Aufbluehen faellt in weit spaetere Zeit und noch +spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es wohl begreiflich, dass +die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in Tarent loeschten. +Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit Apulien; +auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im +Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die +ersten Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer +spaeteren Epoche. Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich +vom Vesuv in aeltester Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf +den Inseln und Landspitzen hellenische Faktoreien bestanden, laesst +sich nicht bezweifeln. Wohl das aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die +Lokalisierung der Odysseussage an den Kuesten des Tyrrhenischen Meeres +^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des Aeolos wiederfand, wenn +man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am Misenischen die +der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das ragende +Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn +bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne +des Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, +im "innersten Winkel der heiligen Inseln" die Tyrrhener beherrschen oder +in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke, +Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das alte +Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat auf +der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche Lebendigkeit +der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den Fahrten des +Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung +derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der +kymaeischen Schiffer. ------------------------------------------- ^4 +Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische +Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische 'Theogonie' in einem ihrer +juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor +Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und +der sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an, +wo Italien den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher +sehr alt; und es kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen +mit Sicherheit in die roemische Koenigszeit gesetzt werden. +------------------------------------------- Andere Spuren dieser +aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva, +Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von Griechen besetzten +Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes +Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der caeritischen +Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss die +Namen unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die +eigentuemliche, von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen +Stadtmauern sich wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern +von Pyrgi. Aethalia, "die Feuerinsel", mit ihren reichen Kupfer- und +besonders Eisengruben mag in diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und +hier die Altsiedlung der Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen +seinen Mittelpunkt gehabt haben; um so mehr als das Schmelzen der +Erze auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem +Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia +auf der Elba gegenueberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den +Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. Wenn die Fremden, +wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- und Landraub +obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit +sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven +fortzufuehren, so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das +Vergeltungsrecht aus; und dass die Latiner und Tyrrhener dies +mit groesserer Energie und besserem Glueck getan haben als ihre +sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, sondern vor +allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich der +Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte +und Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch +Herren ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die +sueditalischen Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker +Mittelitaliens, freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, zur +Seefahrt und zur Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der +Italiker das Floss und den Nachen mit der phoenikischen und griechischen +Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst begegnen grosse Kaufstaedte, +vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am Tiber, die, nach den +italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung vom Meere +zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte an der +Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum, sicher keine +griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den geschichtlichen +Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet gegen +fremden Eingriff darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande; +wohl aber laesst es noch sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung +Italiens von der groessten Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium +und im suedlichen Etrurien einen andern Gang genommen hat als in der +eigentlichen tuskischen und den sich daran anschliessenden Landschaften. +Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem "wilden Tyrrhener" den +Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche +Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint +sein, dass man die griechische Kolonisierung in einigen Landschaften +Mittelitaliens geduldet, in andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts +vom Vesuv hat ueberhaupt in geschichtlicher Zeit nirgends eine +unabhaengige griechische Gemeinde bestanden, und wenn Pyrgi dies einmal +gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn unserer Ueberlieferung +in die Haende der Italiker, das heisst der Caeriten zurueckgekehrt sein. +Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium und ebenso an der Ostkueste +der friedliche Verkehr mit den fremden Kaufleuten geschuetzt und +gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem merkwuerdig ist die +Stellung von Caere. "Die Caeriten", sagt Strabon, "galten viel bei den +Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit, und weil sie, so +maechtig sie waren, des Raubes sich enthielten." Nicht der Seeraub ist +gemeint, den der caeritische Kaufmann wie jeder andere sich gestattet +haben wird; sondern Caere war eine Art von Freihafen fuer die Phoeniker +wie fuer die Griechen. Wir haben der phoenikischen Station - spaeter +Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und Alsion bereits gedacht; +diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich enthielten, +und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte +Reede besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher +Bluete gelangt ist und fuer den aeltesten griechischen Handel noch +groessere Bedeutung gewonnen hat als die von der Natur zu Emporien +bestimmten Staedte der Italiker an den Muendungen des Tiber und des +Po. Die hier genannten Staedte sind es, welche in uraltem religioesen +Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste unter allen Barbaren, +der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische Koenig Arimnos, +vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem Tempel +des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem +Verkehr stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der +aeltesten caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische +Heiligtum sowohl wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, +wo die Italiker friedlich schalteten und mit dem fremden Kaufmann +freundlich verkehrten, wurden vor allen reich und maechtig und wie +fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime der hellenischen +Zivilisation die rechten Stapelplaetze. Anders gestalteten sich die +Verhaeltnisse bei den "wilden Tyrrhenern". Dieselben Ursachen, die in +der latinischen und in den vielleicht mehr unter etruskischer Suprematie +stehenden als eigentlich etruskischen Landschaften am rechten Tiberufer +und am unteren Po zur Emanzipierung der Eingeborenen von der fremden +Seegewalt gefuehrt hatten, entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, +sei es aus anderen Ursachen, sei es infolge des verschiedenartigen, zu +Gewalttat und Pluenderung hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub +und die eigene Seemacht. Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus +Aethalia und Populonia zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward, +wie es scheint, hier nicht geduldet, und bald durchstreiften sogar +etruskische Kaper weithin die See und machten den Namen der Tyrrhener +zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache galt diesen der +Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die Griechen das +italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem diese +wilden Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, +zeigt am deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und +kampanischen Kueste. Zwar behaupteten im eigentlichen Latium sich die +Latiner und am Vesuv sich die Griechen; aber zwischen und neben ihnen +geboten die Etrusker in Antium wie in Surrentum. Die Volsker traten in +die Klientel der Etrusker ein; aus ihren Waldungen bezogen diese +die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der Antiaten erst die +roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es wohl, +warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das +laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch +steileren, aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der +Buchten von Neapel und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende +Korsarenwarte, wurde frueh von den Etruskern in Besitz genommen. Sie +sollen sogar in Kampanien einen eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet +haben und etruskisch redende Gemeinden haben hier noch in vollkommen +historischer Zeit im Binnenlande bestanden; wahrscheinlich sind diese +Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft der Etrusker im +kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am Vesuv +hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf +Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen +Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens +vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders +Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss geschlagen +haben; dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern vielmehr +attischen, ja kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, ist +uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der +Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich +fuer den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit +vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend +geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen Freihafen, am +oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit, ferner ueber +die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen nach +Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die +reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten +italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische +und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der +Ostsee ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie, +gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel +emporkommen; und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der +etruskische und milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener +Verbindung von Kaperei und Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus +entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich selber verzehrt hat. +Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die +Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden, +so griff dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in +diejenige Rivalitaet ein, die damals Handel und Schiffahrt auf dem +Mittellaendischen Meere vor allem beherrschte: in die Rivalitaet der +Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht dieses Orts, im einzelnen +darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit diese beiden +grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in Griechenland +und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen, +spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft +rangen; unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht +gekaempft, aber die Folgen derselben doch auch in Italien tief und +nachhaltig empfunden. Die frische Energie und die universellere Begabung +des juengeren Nebenbuhlers war anfangs ueberall im Vorteil; die Hellenen +entledigten sich nicht bloss der phoenikischen Faktoreien in ihrer +europaeischen und asiatischen Heimat, sondern verdraengten die Phoeniker +auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten und Kyrene und +bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen Haelfte +der sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen +Handelsplaetze der energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward +auch im westlichen Sizilien Selinus (126 628) und Akragas (174 580) +gegruendet, schon von den kuehnen kleinasiatischen Phokaeern die +entferntere Westsee befahren, an dem keltischen Gestade Massalia erbaut +(um 150 600) und die spanische Kueste erkundet. Aber ploetzlich, um die +Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der hellenischen +Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses Stockens +der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den +Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die +maechtigste ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die +den Seeverkehr auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch +den juengeren Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft +ueber die Westsee, dem Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem +oestlichen und dem westlichen Becken des Mittelmeeres und dem Monopol +der Handelsvermittlung zwischen Orient und Okzident, so konnte doch +wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von Sardinien und Sizilien +noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren Behauptung setzte +Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche zaehe und +umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand +der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren +phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides +schildert, waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich +ausgedehnte Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen +Festungen. Hatten bisher die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt +den Griechen gegenuebergestanden, so zentralisierte jetzt die +maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze Wehrkraft ihrer +Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische Geschichte +nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das +wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge +Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu +erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier +und Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen +Ansiedlungen auf Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten, +wurden sie durch die Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker +wieder von dort vertrieben. Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia +(Aleria) auf Korsika Caere gegenueber niederliessen, erschien, um sie +von dort zu vertreiben, die vereinigte Flotte der Etrusker und +der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark; und obwohl in dieser +Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt - die +nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so +erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff +bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber +an der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich +nieder. Ein Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss +die Regeln ueber Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch +ein Waffenbuendnis (symmachia) ein, von dessen ernstlicher Bedeutung +eben jene Schlacht von Alalia zeugt. Charakteristisch ist es fuer die +Stellung der Caeriten, dass sie die phokaeischen Gefangenen auf dem +Markt von Caere steinigten und alsdann, um den Frevel zu suehnen, +den delphischen Apoll beschickten. Latium hat dieser Fehde gegen die +Hellenen sich nicht angeschlossen; vielmehr finden sich in sehr alter +Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu den Phokaeern in Hyele wie +in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar gemeinschaftlich mit +den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere Saguntum +gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf die +Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen +zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den +Latinern und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern +durch Vermittlung der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, +ihn stets mit dem griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder +den Namen der Stadt Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den +Griechen entlehnt haben, dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern +mit dem ebenfalls die griechische Vermittlung ausschliessenden Namen +der sarranischen bezeichnet werden ^7, beweist ebenso wie die spaeteren +Vertraege den alten und unmittelbaren Handelsverkehr zwischen Latium +und Karthago. ------------------------------------------------ ^5 +Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago. ^6 Der +Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio +Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich +stammverwandt mit dem der Hebraeer. ^7 Sarranisch heissen den Roemern +seit alter Zeit der tyrische Purpur und die tyrische Floete, und auch +als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem Hannibalischen Krieg in +Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende Stadtname Sarra ist +wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen Namen Sor +gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern +nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K. +Movers, Die Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174. +-------------------------------------------- Der vereinigten Macht der +Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die westliche Haelfte des +Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der nordwestliche Teil +von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos an +der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im +unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des +Kyros und Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu bestimmen +suchte, insgesamt aus Kleinasien auswandernd in Sardinien sich +niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der karthagische Feldherr +Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der wichtigen Insel mit +Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das ganze Gestade +Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen Gemeinde. Korsika +dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern zu und die +Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel, +dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in +den Gewaessern westlich von Sizilien und Sardinien herrschten die +verbuendeten Etrusker und Karthager. Zwar gaben die Griechen den Kampf +nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen Rhodier und Knidier setzten +auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich fest und gruendeten +hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh trotz seiner Isolierung +und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis nach den Pyrenaeen. An +den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt Rhoda (jetzt +Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich angesiedelt, +ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten +geherrscht haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer +die Hellenen vorbei; nach Akragas' Gruendung sind ihnen bedeutende +Gebietserweiterungen am Adriatischen wie am westlichen Meer nicht mehr +gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben +ihnen verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den +tuskischen "Seeraeubern", die Karthager mit den Massalioten, den +Kyrenaeern, vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner +Seite hin ward ein dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der +Jahrhunderte langen Kaempfe war im ganzen die Aufrechterhaltung des +Status quo. So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern +es zu danken, dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften +nicht kolonisiert wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine +nationale Seemacht ins Leben trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren, +dass die Phoeniker es schon der Muehe wert fanden, wenn nicht gegen +die latinischen, doch wenigstens gegen die seemaechtigeren etruskischen +Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, die aller +Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den +Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den +Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden +rivalisierenden Interessen. 11. Kapitel Recht und Gericht Das Volksleben +in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen, vermag +die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung +der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und +Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes +beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der +Versuch, diese Zustaende, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, +anzudeuten, eben fuer diese aelteste, geschichtlich so gut wie +verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser +Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker trennt, sich auf +diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen laesst. +Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten +Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen, +dass sie einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch +diese saeuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner +und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich +besser schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten +Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgepraegt, +wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern +kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser +Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der +Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und +lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch +eine Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, +um dies gleich hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich +zusammenfassen, dass bei den Italikern und insbesondere bei den Roemern +von den urzeitlichen Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt +worden ist als bei irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und +Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau, +primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende +Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - alle diese und +unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als Grundlage der +italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst +anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, +und nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr +einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte +bei einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die +griechische und deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen +Charakter. Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind +verschollen: nur von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen +Ueberlieferung einige Kunde auf uns gekommen. Alle Gerichtsbarkeit +ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem Koenig, welcher +Gericht oder "Gebot" (ius) haelt an den Spruchtagen (dies fasti) auf +der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem Wagenstuhl +(sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor ihm +der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber +die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste +maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst +nicht als Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne +und Enkel konkurrierte die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen +Gerichtsbarkeit; aber eine eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, +sondern lediglich ein Ausfluss des dem Vater an den Kindern zustehenden +Eigentumsrechts. Von einer eigenen Gerichtsbarkeit der Geschlechter +oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der koeniglichen abgeleiteten +Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur. Was die Selbsthilfe +und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich vielleicht noch ein +sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die Toetung +des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die +Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen +schon bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach +die Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der +Gemeindegewalt unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem +Einfluss, der den Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach +aeltestem deutschen Recht zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas +wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so haeufig ist, +dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in +der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig +behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess, +je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten +einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen +ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der +Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen +Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder +(parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder +Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte +durch boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der +Goetter und des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn +schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb +dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess eroeffnet und leitet +der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen +Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er den +Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung +an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen +werden; die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner +fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren +staendigen Stellvertreter, die "Mordspuerer" (quaestores parricidii), +denen zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine +gewisse polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht +an, moegen aber wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. +Untersuchungshaft ist Regel, doch kann auch der Angeklagte +gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung zur Erzwingung des +Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer ueberwiesen ist, den +gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem Leben; die +Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen +gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt. +Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig +aber kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) +gestatten oder verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine +Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem +Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an demselben Tag nicht +mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus betritt, muss der Bande +entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher geschenkt, welcher +auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der Vesta +zufaellig begegnet. ------------------------------------------ ^1 Dieser +"Wagenstuhl" - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht wohl moeglich +(vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in der Weise +erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt +war, woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche +Gelegenheiten blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein +erhoehtes Tribunal gab, auf dem Comitium oder wo er sonst wollte, +vom Wagenstuhl herab Recht sprach. ^2 Die Erzaehlung von dem Tode des +Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24) sie gibt: dass Verwandte +des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten; dass Tatius den +klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe; dass +dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder +des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass +aber infolge goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener +Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten Moerder in Rom und +in Laurentum nachtraeglich zur gerechten Strafe gezogen seien - diese +Erzaehlung sieht ganz aus wie eine Historisierung der Abschaffung +der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der Provokation dem +Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden Fassungen +dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber +auch verwirrt oder zurechtgemacht. +------------------------------------------------ Bussen an den Staat +wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der Koenig nach +Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa) +von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner +Hand. In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine +Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des +Verletzten, welcher den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter +Gewalt zwingt, sich mit ihm persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind +beide Parteien erschienen und hat der Klaeger die Forderung muendlich +vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in gleicher Weise verweigert, +so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen oder sie in seinem +Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmaessige +Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem +Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein, wenn +der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne +(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder +seine gerechte Forderung nicht erfuellt ward. Was in dieser Epoche der +Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und wann der Diebstahl +als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht bestimmen. +Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat ergriffenen +Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die Erbitterung, +welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen diesen. +Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht +imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter +gebilligte Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen +als eigener Mann zugesprochen. Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers +wie der Sachen musste in den leichteren Faellen der Verletzte wohl +unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, +so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn. Das +Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft +benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden +ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem +"Sklaven- und Viehstand" (familia pecuniaque) entwickelt. Als +Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern +man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem einzelnen Buerger von der +Gemeinde zu ausschliesslichem Haben und Nutzen zugeteilt, weshalb auch +nur der Buerger und wen die Gemeinde in dieser Beziehung dem Buerger +gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. Alles Eigentum geht +frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen wesentlichen +Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit ueberhaupt +der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und +kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten +auf das vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht +imstande, die Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er +weder die vaeterliche Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung +der ganzen Gemeinde, die auch versagt werden konnte und in solchem +Falle gewiss oft versagt ward, ein Testament errichten kann. Bei +seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den Kindern nachteilige +Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen Beschraenkungen des +Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem +erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die +Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und +seine Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen +unter Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit +zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das +Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen +erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden Gegensaetze, unbeschraenktes +Verfuegungsrecht des Eigentuemers und Zusammenhaltung des Familiengutes, +soweit moeglich, im roemischen Recht miteinander vereinigt. Dingliche +Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit Ausnahme der namentlich fuer +die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht +zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich unmoeglich; +anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient +die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den +Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein +Treuwort (fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht +zu veraeussern und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem +Schuldner zurueckzustellen. Vertraege, die der Staat mit einem Buerger +abschliesst, namentlich die Verpflichtung der fuer eine Leistung an +den Staat eintretenden Garanten (praevides, praedes), sind ohne weitere +Foermlichkeit gueltig. Dagegen die Vertraege der Privaten untereinander +geben in der Regel keinen Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des +Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach kaufmaennischer Art +hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig hinzutretenden Eide +die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. Rechtlich klagbar +sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die +versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, +ferner der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt +als rechtlich abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die +gekaufte Sache in die Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer +dem Verkaeufer den bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; +was, seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige +Wertmesser geworden war, geschah durch Zuwaegen der bedungenen +Quantitaet Kupfer auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen +Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer dafuer +einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der +Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls +buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet +haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug +um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein +Eigentum und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen +eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene +Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der +Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher +unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das Jahr zehn Prozent +betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die +Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat gegenueber +seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit +allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte +zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die +Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder +erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es +darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei +Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was +bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der +Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des +Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei +fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei +wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern, +bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann, +wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei +den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht +gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage +hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang +an feststand, also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern er nicht +Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren +"durch Handanlegung" (manus iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo +er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte, lediglich um die anerkannte +Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der Ergriffene sich selber +nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten und diese Gewalttat +als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren eingestellt +ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persoenlich +verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der +Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch +Vertretung ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so +zu, dass dieser ihn abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. +Waren alsdann sechzig Tage verstrichen, war waehrend derselben der +Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und dabei ausgerufen worden, +ob jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg geblieben, so +hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu toeten und sich in seine Leiche +zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner Habe als Sklaven +in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu +halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der roemischen +Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave werden. +So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den +Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den +zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt. +------------------------------------------------- ^3 Die Manzipation in +ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die Servianische +Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums gerichtete +Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die Tradition +angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht. +Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie +passt zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand +erworben werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche +angehoeren, wo das Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia +pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die +manzipiert werden mussten, wird demnach eine Servianische Neuerung sein; +die Manzipation selbst und also auch der Gebrauch der Waage und des +Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die Manzipation urspruenglich +allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen Reform bei allen +Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete die +Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, +dass nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten. ^4 +Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des +Kapitals (uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer +das zwoelfmonatliche zehn vom Hundert. +--------------------------------------------- Ebenso schirmte man das +Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung des eigenen +Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen +und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut +desselben berief. Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, +wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten +und die Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen +wird. Dispensieren von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die +Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem Erbgang haftenden +Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist; indes +scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig geworden zu sein, und +wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem +jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel +dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen +einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des +Verstorbenen gemaess verteilte. Die Freilassung war dem aeltesten +Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte freilich der Ausuebung seines +Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen dem Herrn und dem +Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger Verbindlichmachung wurde +hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren der Gemeinde +gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die Freilassung +kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem Herrn +nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder +nach Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den +Faellen, wo sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde +gegenueber anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit +zu lassen. Eine eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab +es jedoch nicht - der beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung +nicht gegeben haben kann -, sondern es wurden dafuer diejenigen Wege +benutzt, welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozess, die +Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens +in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er +dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die Freiheit +anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu +lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als +frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach +anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere +Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des +Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und +darum willkuerlich loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu +sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen, +erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser entlassen zu +werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine Emanzipation +ueberhaupt noch nicht gegeben haben. Nach diesem Rechte lebten in Rom +die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen denen, soweit wir sehen, +von Anfang an vollstaendige privatrechtliche Gleichheit bestand. Der +Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen Schutzherrn +ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie +seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht +erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, +das Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der +roemische Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als +dessen Eigentuemer gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, +ist der einzelne Buerger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was +der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie +unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier +haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder +zurueckzunehmen. Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen +durch besondere Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden +innerhalb der roemischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das +ewige Buendnis zwischen Rom und Latium alle Vertraege zwischen Roemern +und Latinern fuer rechtsgueltig und verordnete zugleich fuer diese +einen beschleunigten Zivilprozess vor geschworenen "Wiederschaffern" +(reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen roemischen Gebrauch +einem Einzelrichter die Entscheidung zu uebertragen, immer in der +Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern beider +Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und Messgericht +zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages +und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die +Formen, in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, +waren natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer +miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind +urspruenglich gar keine Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck +der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so weit man +lateinisch sprach. In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr +mit dem eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit +muessen mit den Caeriten und anderen befreundeten Voelkern Vertraege +ueber Verkehr und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des +internationalen Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in +Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser +Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der "Wandel" (von mutare; wie +dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf +einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des +Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer +Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden +entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es +ist darum charakteristisch, dass das Wort als moiton im sizilischen +Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen +des lateinischen carcer in dem sizilischen karkaron. Da es sprachlich +feststeht, dass beide Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr +Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den +haeufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie +veranlasste, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in +den aelteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, +sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen +Gefaengnisses, "Steinbrueche" oder latomiai, in alter Zeit auf das +erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen. Werfen +wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen, +die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes +Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten +Aufzeichnung des roemischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon +in der Koenigszeit sich wohl fuer einzelne Punkte, aber nicht im +ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin das Recht einer +weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- und +Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum +Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig +verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den +Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer +sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach +roemischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd +erscheinen musste, und vor allem die uralte latinische Formel der +Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den +Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das "reine Kraut" (herba pura, +fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der +angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen +Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen +Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch +das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das +roemische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und +fordert in allen Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und +reinen Ausdruck des Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung +zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien +die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert haben; es ist zwar +ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu geben, den zum +Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu verhuellen +und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzufuehren; +aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem roemischen +Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus der +Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward, +wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. +Ebenso ist hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die +germanischen Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch +ringt mit der Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen +Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es +gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergaenzung der +unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine +ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung des einzelnen +beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl einmal +bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen +des Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige +Totschlaeger den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben +verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon fuer die +aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken erfassen koennen, ist +dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar vernichtet ist das +Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; aber die +ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet +ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der +Staat dem Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund +ist ueberall der Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck +fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf +ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde +auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren +Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es +bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des oeffentlichen und +des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat, +welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer +Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder +den Gast, welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder +Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst +werden, sondern hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand +gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das +strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in Handelsstaaten +die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge Wechselprozess zusammen +auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr +vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende Rechtsgleichheit +auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den Maennern +voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt +sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste +Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen +kann, ist in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der +Staat. Hoechst charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit +existiert nicht, sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, +womit heutzutage das Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des +Eigentums vom Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche +Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten +Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, den +zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und +ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott +ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den +Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es +der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass +es zugleich unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und +kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle +Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige. +Nimmt man dazu das frueh anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher +Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene Gueltigkeit der +Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Hoechste +von seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des +einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm, +dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs +selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie +beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt +auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast +dem Buerger gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo +das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass +dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige +Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude +daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die aeussersten +Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam dem +bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, die gemuetliche +Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten, +sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein +Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles +Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der +Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts, +den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber +es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die +man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis, +denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die +Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den +Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die +Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein +Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze +der Freiheit und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge +unverfaelscht und ungemildert walteten und heute noch walten. 12. +Kapitel Religion Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher +angedeutet ward, hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen +Rom in einem hoeheren und idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit +peinlicher Genauigkeit das Kleine wie das Grosse wiederholte. Der Staat +und das Geschlecht, das einzelne Naturereignis wie die einzelne geistige +Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung +innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen +Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im +ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis. +Der Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert +nicht laenger als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen +Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt +auch diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche Handlungen und +gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer aufs +neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten +ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff +auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott +entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten +dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und wenn +aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden +auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich +zu bereiten. Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder +Beruehrung mit den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen +aus dem Verzeichnis der oeffentlichen und benannten Festtage (feriae +publicae) der roemischen Gemeinde, das in dem Kalender derselben +erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus dem roemischen Altertum +auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben nehmen die +Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem +Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig, +ausserdem die saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter +noch zu erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem "boesen Jovis" +(Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen +gehoert das Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest +in diesem, von dem Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch +das Pferderennen (equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den +Tagen des Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), +des Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der +Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie, wenn +ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste begann, so folgte +nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine Marsfeier, das +Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten Mars +endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den +uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezueglichen +die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle +spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse Reihe der Fruehlingsfeste +im April, wo am 15. der Tellus, das ist der naehrenden Erde (fordicidia, +Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der Ceres, das ist der Goettin +des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann am 21. der befruchtenden +Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter als dem Schuetzer +der Reben und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden Faesser von der +vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der Saaten, dem +Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird nach +vollendeter Arbeit und gluecklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und +der Goettin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und +der Ops ein Doppelfest gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem +Schnitt (21. August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im +Mittwinter, wo der Segen der Speicher vor allem offenbar wird (15. +Dezember, Consualia; 19. Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren +beiden Feiertagen die sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest +der Aussaat (Saturnalia von Saturnus oder Saturnus, 17. Dezember), +einschaltete. Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest +(meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most +heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter +Lese dargebracht, waehrend die urspruengliche Beziehung des dritten +Weinfestes (Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen +weiter am Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der +Hirten zu Ehren des guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest +(Terminalia, 23. Februar) der Ackerbauer, ferner das zweitaegige +sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21. Juli) das den Waldgoettern +(Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober) +und das Fest des kuerzesten Tages, der die neue Sonne herauffuehrt +(An-geronalia, Divalia, 21. Dezember). Von nicht geringer Bedeutung sind +ferner, wie das fuer die Hafenstadt Latiums sich nicht anders erwarten +laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der See (Neptunalia, 23. Juli), +des Hafens (Portunalia, 17. August) und des Tiberstromes (Volturnalia, +27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in diesem Goetterkreis nur +vertreten durch den Gott des Feuers und der Schmiedekunst, den Vulcanus, +welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag (Volcanalia, 23. +August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. +Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis +(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die +Goettin der Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als +Schuetzerin der Geburten verehrt ward. Dem haeuslichen und Familienleben +ueberhaupt galten das Fest der Goettin des Hauses und der Geister der +Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia, 9. Juni); das Fest +der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das Fest des Kindersegens, +dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), das Fest +der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige +Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die +buergerlichen Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht +klaren Festtage der Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der +Volksflucht (Poplifugia, 5. Juli), von denen wenigstens der letzte Tag +dem Jupiter zugeeignet war, und das Fest der sieben Berge (Agonia oder +Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem Gott des Anfangs, dem +Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) gewidmet. Einige andere +Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter und der Acca +Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest +(23. Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen. +----------------------------------------------- ^1 Das ist allem +Anschein nach das urspruengliche Wesen der "Morgenmutter" oder Mater +matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass, wie die +Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die Morgenstunde fuer die +Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin ist die +Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus +geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt +ward, spricht dagegen, sie urspruenglich als Hafengoettin zu fassen. +----------------------------------------------- Diese Tafel ist +vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; und wenn auch +neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit Wandel- und +Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, in +dem, was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in +eine sonst fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die +Vereinigung der altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits +erfolgt, als diese Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den +Quirinus finden; aber noch stand der kapitolinische Tempel nicht, als +sie aufgesetzt ward, denn es fehlen Juno und Minerva; noch war das +Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet; noch war den Griechen +kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss des roemischen, +sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen Epoche, +wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war +allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, +vorwiegend gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, +den Feind niederwerfende goettliche Vorfechter der Buergerschaft - +natuerlich in der Art, dass eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass +und ihn fuer den staerksten und heiligsten unter allen achtete, demnach +auch jeder zu neuer Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter +dem Schutz seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst +goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den +saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der erste Monat +geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls keiner +Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter +Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht +knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige +Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, +und was von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen +vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen +Doppelgaenger, den Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings +der Vater Diovis, eine reinere und mehr buergerliche als kriegerische +Widerspiegelung des Wesens der roemischen Gemeinde, einen groesseren +Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des Jupiter an Rang den +beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr hervorragende +Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar ganz +glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis +neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte +Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde +auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war, +wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte +"Sorgenbrecher", sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt des +herzerfreuenden Weines. ----------------------------------- ^2 Aus +Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich durch +verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in o +(aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in +der Doppelform Mar-Mor (vgl. Ma-murius) neben Mar-Mar und Ma-Mers. +----------------------------------- Es ist nicht die Aufgabe dieser +Darstellung, die roemischen Gottheiten im einzelnen zu betrachten; aber +wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren eigentuemlichen, +zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben. Abstraktion +und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der hellenischen +Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer Naturerscheinung +oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen jede +Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen +als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte +Gottheit: "bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib"; dafuer der +tiefhaftende Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der +Gemeinde unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn +erfahre und, den Gott bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen +hinueberlocke. Ein Ueberrest dieser maechtig sinnlichen Auffassung +haftet namentlich der aeltesten und nationalsten italischen +Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die Abstraktion, die jeder +Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer weiteren +Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen +der Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen +Glaubensbilder auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und +des Begreifens. Wenn dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch +zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis erweitert, so bleibt +dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen nackten Starrheit +stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher Verklaerung, dem +goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und geheimnisvollen +chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion nichts auch +nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich +waere. Sie weiss wohl auch von einem "schlimmen Gott" (Ve-diovis), von +Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten +der boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des +Diebstahls (laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das +Menschenherz doch auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht +sich zu durchdringen mit dem Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen +in der Natur und dem Menschen, welches der Religion nicht fehlen darf, +wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen soll. Es gab in der roemischen +Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen der Stadtgoetter, der +Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war jedem offenbar. Die +nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die +wichtigen Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie +terminologisch auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch +dem Privatrecht zu Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen +- zu klassifizieren, um darnach die Goetter und Goetterreihen selber +richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung der Menge zu weisen +(indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen von der +einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit +ging die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat +(saturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein +(terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen +Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen +Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich +italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und +doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische +Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns +zunaechst der "Geist der Eroeffnung" anzurufen sei, und vor allem das +tiefe Gefuehl davon, dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen +Goetterbegriffe in Reihen zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren +Goetter der Hellenen notwendig jeder fuer sich standen ^3. Vielleicht +der innigste unter allen roemischen ist der Kult der in und ueber +dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im oeffentlichen +Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der der +Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen +Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der +Familienmahlzeit ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu +verrichten noch zu des aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters +erstes Geschaeft war. Aber in der Rangordnung der Goetter nahmen diese +Haus- und Feldgeister eher den letzten als den ersten Platz ein; es war, +wie es bei einer auf Idealisierung verzichtenden Religion nicht anders +sein konnte, nicht die weiteste und allgemeinste, sondern die einfachste +und individuellste Abstraktion, in der das fromme Herz die meiste +Nahrung fand. ---------------------------------------- ^3 Dass Tor und +Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und er stets +vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch vor +dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn +unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der +nach zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten +hin sich oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf +man um so weniger aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat +urspruenglich der elfte, nicht der erste ist; vielmehr scheint dieser +Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser Zeit nach der Rast +des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von vorn beginnt. +Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der Spitze des +Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich des +Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst. +------------------------------------- Hand in Hand mit dieser +Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die praktische und +utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der oben +eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und +Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel +- das ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu +recht wohl, dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- +und Gluecksgoettin (fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle +aus dem taeglichen Verkehr hervorgegangen, zwar noch nicht in jener +uralten Festtafel, aber doch schon sehr frueh weit und breit von den +Roemern verehrt auftreten. Strenge Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische +Spekulation waren zu tief im roemischen Wesen begruendet, um nicht auch +dessen goettliches Abbild bis in den innersten Kern zu durchdringen. +Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der +sterblichen Menschen, die "Guten" (manes) lebten schattenhaft weiter, +gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von +den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen +der Tiefe und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den +auf der Erde waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der +griechische Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und +schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz +unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa, +der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in +Rom nie als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen. Die aeltesten +Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf +Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der "Zuender des Mars" +(flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt ward, +und die zwoelf "Springer" (salii), eine Schar junger Leute, die im Maerz +den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass die +Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung +des roemischen Mars und damit die Einfuehrung eines zweiten +Marspriesters - des flamen Quirinalis - und einer zweiten Taenzergilde +- der salii collini - herbeifuehrte, ist bereits frueher +auseinandergesetzt worden. Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil +wohl ihrem Ursprung nach weit ueber Roms Entstehung hinaufreichende +Verehrungen, fuer welche entweder Einzelpriester angestellt waren +-solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des Volcanus, des Hafen- und +des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen Genossenschaften oder +Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine derartige +Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf "Ackerbrueder" (fratres +arvales), welche die "schaffende Goettin" (dea dia) im Mai anriefen fuer +das Gedeihen der Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe +bereits in dieser Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches +wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische +Bruederschaft sich an, die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu +bewahren und zu besorgen hatte, sowie die fuer die Herde der dreissig +Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales). Das +schon erwaehnte "Wolfsfest" (lupercalia) wurde fuer die Beschirmung der +Herden dem "guenstigen Gotte" (faunus) von dem Quinctiergeschlecht und +den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen Fabiern im Monat +Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die "Woelfe" +(luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und wen sie +trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern gentilizischen +Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten. Zu diesem +aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich neue +Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf +die neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam +zum zweitenmal gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste +beste Jovis vom Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes, +an die Spitze der gesamten roemischen Goetterschaft, und sein +fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis, bildet mit den beiden +Marspriestern die heilige oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig +beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes - der Vesta - und der +dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche Jungfrauen versahen, +gleichsam als die Haustoechter des roemischen Volkes, jenen frommen +Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes den Buergern zum +Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es war dieser +haeuslich-oeffentliche Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie +er denn auch von allem Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen +Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen +als der Repraesentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben +darum eine besondere roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt; +und zahlreichen anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die +Gemeinde sich in bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder durch +besonders zu ihrem Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu +huldigen, wobei sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der +Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass +deren zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied +man unter ihnen jene drei "grossen Zuender" (flamines maiores), die bis +in die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern genommen werden +konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der palatinischen +und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen +Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden +Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften +oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur +Deckung der vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den +einzelnen Tempeln gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen. Dass +der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der +sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht +zu bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und +Vestalinnen nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische +Institutionen gewesen und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen +in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster +gebildet zu sein. Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis +des Staats, so auch der einzelne Buerger innerhalb seines individuellen +Kreises aehnliche Anordnungen treffen und seinen Goettern nicht bloss +Opfer darbringen, sondern auch Staetten und Diener ihnen weihen. Also +gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an +den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. +Jeder Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde +natuerlich durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio +und die Ritterschaft durch ihre Obristen; und keine priesterliche +Vermittlung durfte das urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken +oder verdunkeln. Allein es ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte +zu verkehren. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem +kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber recht versteht, der weiss +den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, sondern auch zu lenken, +sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. Darum ist es +natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige Leute +zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen +Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus +national-italische Institution, die auf die politische Entwicklung +weit bedeutender eingewirkt hat als die Einzelpriester und die +Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein +mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten +Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition +fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren +richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren +treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese +geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden +Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten +und Wissenschaften geworden. In der roemischen und ueberhaupt der +latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien urspruenglich +nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die sechs +"Voegelfuehrer" (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus +dem Flug der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich +betrieben und in ein gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward. +Die sechs "Brueckenbauer" (pontifices) fuehrten ihren Namen von dem +ebenso heiligen wie politisch wichtigen Geschaeft, den Bau und +das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es waren die roemischen +Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen verstanden; woher +ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu fuehren, dem +Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu sorgen, +dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage +vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den +ganzen Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe, +Testament und Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte +Geschaeft nicht gegen das goettliche Recht irgendwie verstosse, und +ging von ihnen die Feststellung und Bekanntmachung der allgemeinen +exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter dem Namen der +Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller +Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die +allgemeine Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was +damit zusammenhing - und was hing nicht damit zusammen? Sie selbst +bezeichneten als den Inbegriff ihres Wissens "die Kunde goettlicher und +menschlicher Dinge". In der Tat sind die Anfaenge der geistlichen und +weltlichen Rechtswissenschaft wie die der Geschichtsaufzeichnung aus +dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn wie alle +Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft, +musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der +Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung +nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell +werden, das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein +Gutachten zu geben allein kompetent war. +------------------------------------------------------- ^4 Am +deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen +Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen +(z. B. Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der +pater patratus der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen +Kollegien aber nicht. Jene also stehen auf einer Linie mit der +Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, Luperkern als aeltestes +latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris faciundis und die +anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die Servianischen Tribus +und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom beschraenkt +geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices, +ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische +Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen, +oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat, +pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer. +Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn +schwanken. Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt +Cicero (leg. agr. 2, 35, 96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht +dies, sondern nur, dass die Zahl der roemischen Augurn durch drei +teilbar sein und insofern auf eine ungerade Grundzahl zurueckgehen +muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum Ogulnischen Gesetz +sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), indem er +Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die +Zahl der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20. +------------------------------------------------------- Gewissermassen +laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten Genossenschaften +geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig Staatsboten +(fetiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als lebendiges +Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden +durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des +vertragenen Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den +Suehneversuch und die Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus +fuer das Voelkerrecht, was die Pontifices fuer das Goetterrecht, und +hatten daher auch wie diese die Befugnis, Recht zwar nicht zu +sprechen, aber doch zu weisen. Aber wie hochansehnlich immer diese +Genossenschaften waren und wie wichtige und umfassende Befugnisse +sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am wenigsten bei den +am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern +sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht +unmittelbar zu erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen +hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem +Koenig nach, sondern er darf ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem +Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und wann er die Voegel beobachten +will; der Vogelschauer steht nur dabei und verdolmetscht ihm, wenn es +noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann der Fetialis und +der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders eingreifen +als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit unerbittlicher +Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, +dass in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu +verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen +Buerger dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische +Gottesverehrung beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am +Irdischen und nur in untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden +Naturkraeften; sie bewegt sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der +Freude, in Liedern und Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem +aber in Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden, regelmaessig +von Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in Italien das +Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist den +Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche +Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit +des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit +gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten +latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie wird durch +die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit eiserner +Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von +solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben. +Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und +irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein +Verbrechen gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im +innersten Wesen auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum +Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes +Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes; +der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie der +boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten Geistern. +Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet +hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf einen +bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versoehnen, wer +sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich +schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein +braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde +stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der heilige Lenz, indem +den Goettern dargebracht wird, was der bestimmte Zeitraum an Vieh und +Menschen geboren werden laesst. Will man dies Menschenopfer nennen, so +gehoert solches freilich zum Kern des latinischen Glaubens; aber +man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in die Ferne irgend +zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich +beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht +ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt. +Menschenopfer anderer Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung +zuwider und beruhen wenigstens bei den indogermanischen Staemmen +ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer Ausartung und Verwilderung. +Bei den Roemern haben sie nie Eingang gefunden; kaum dass einmal +in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung +ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von +Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei +den Roemern verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und +Prophetentum hat in Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in +Griechenland und nie vermocht, das private und oeffentliche Leben +ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist dafuer auch die +latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und Trockenheit +verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen +Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor +allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer +Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine +Richtung auf das Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben +wird und nicht minder scharf noch in dem heutigen Heiligenkult +der Italiener hervortritt. Die Goetter stehen dem Menschen voellig +gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder von ihnen hat ein +wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und Leistungen, und da +die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente des irdischen +Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines jeden +Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine +muehsame und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen +auch nur sich bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen +Rechtes kundigen und dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu +ungemeinem Einfluss gelangen. Denn der rechtliche Mann erfuellt +die Vorschriften des heiligen Rituals mit derselben kaufmaennischen +Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen Verpflichtungen nachkommt und +tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es seinerseits getan hat. Auch +auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein: das Geluebde ist der +Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen dem Gotte +und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine +gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein +Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht +der letzte Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der +Menschen alle Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der +roemische Kaufmann, seiner konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, +den Vertrag bloss dem Buchstaben nach zu erfuellen befugt ist, so ward +auch, wie die roemischen Theologen lehren, im Verkehr mit den Goettern +das Abbild statt der Sache gegeben und genommen. Dem Herrn des +Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren +statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater +Tiberis wurden zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer +jaehrlich dreissig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen +geworfen ^5. Die Ideen goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind +hier ununterscheidbar gemischt mit der frommen Schlauigkeit, welche +es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte Befriedigung zu +beruecken und abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl von +gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes +Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das +den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde +liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von +demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten, +aber sehr genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist +einleuchtend, dass eine solche Religion die kuenstlerische und die +spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet +war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit menschlichem +Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss die +Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten +auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste +Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller +Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu +kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen +Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die +griechische Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen, +die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit +dem wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor +die Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt +hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der +Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler +noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die latinische +Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der +Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer +irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild +seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von +Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu +trueben und zu befangen. Darum war der urspruengliche roemische +Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und wenngleich auch in +Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in frueher Zeit der +Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut ward, +so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas +zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit +Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein +ihr eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete +ueber die nach Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller +zeugenden Kraft in der roemischen Religion ist gleichfalls die letzte +Ursache, warum die roemische Poesie und noch mehr die +roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und blieben. +----------------------------------------------- ^5 Hierin konnte +nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer finden. +----------------------------------------------- Aber auch auf dem +praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der praktische +Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs, +war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes, +formuliertes Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen +Bevormundung des Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die +Stelle der Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen +vor das Gericht der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte. +Zu den Bestimmungen der ersteren Art gehoerte ausser der religioesen +Einschaerfung der Heiligung des Feiertags und eines kunstmaessigen +Acker- und Rebenbaus, die wir unten kennenlernen werden, zum Beispiel +der auch mit gesundheitspolizeilichen Ruecksichten zusammenhaengende +Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den Roemern ungemein frueh, +weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte Leichenverbrennung, +welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens voraussetzt, +wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. Man wird +es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion +diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger +aber noch war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der +Vater den verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur +den Vater oder den Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen +den Gast oder den zugewandten Mann die Treupflicht verletzte; wenn der +ungerechte Nachbar den Grenzstein verrueckte oder der Dieb sich bei +naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden anvertrauten Halmfrucht +vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem Haupt des +Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei +gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht +ist nur ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in +Rom waehrend des staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen +Buerger oder gar dem voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung +solchen goettlichen Fluches zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem +goettlichen Strafgericht anheim gefallen, nicht der menschlichen +Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch +fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige Naturen Macht +gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht; vielmehr +ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und, +nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach +seiner gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den +Gebannten der verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten +(supplicium) und also die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu +reinigen. Ist das Vergehen geringerer Art, so tritt an die Stelle der +Toetung des Schuldigen die Loesung durch Darbringung eines Opfertiers +oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze Kriminalrecht in seinem letzten +Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung. Weitere Leistungen aber +als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung und Sittlichkeit hat +die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich viel hat hier +Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion nicht +bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale +Einigung, soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und +Goetterfeste, um Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die +Musen, bewegt sich alles, was im hellenischen Leben gross, und alles, +was darin nationales Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch +Latiums Vorzuege vor Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt +wie sie ist auf das Mass der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem +vollkommen verstaendlich und allen insgemein zugaenglich; und darum +bewahrte die roemische Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit, waehrend +Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des Denkens der Besten stand, von +fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie +gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere +urspruenglich hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur +der oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich +taeuscht, weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach +erscheinen. Dieser innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der +Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne +und auch die latinische Religion ist also spaeterhin verdorrt; aber +laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die naive Glaeubigkeit +sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie die Farben die +Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind Kunst und +Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer des +Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die +Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz +auch der naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter +vergeblich sich bemueht zu erringen. Eben die gewaltige geistige +Entwicklung der Hellenen, welche jene immer unvollkommene religioese und +literarische Einheit erschuf, machte es ihnen unmoeglich, zu der echten +politischen Einigung zu gelangen; sie buessten damit die Einfalt, +die Lenksamkeit, die Hingebung, die Verschmelzbarkeit ein, welche die +Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es waere darum wohl an der +Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung, +welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die Roemer nur auf +Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die +Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen +Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu +tadeln, sondern es zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch +ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der +Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium +nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt +hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich allein war gross genug, weder +das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen +Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, +wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich +eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein +humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der +nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren +und von beiden zu lernen. Also war und wirkte die roemische Religion in +ihrer reinen und ungehemmten durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es +tut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit aeltester Zeit +Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande heruebergenommen +wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts an einzelne Fremde +den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von alters her +mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich; +bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern +und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist +bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt +worden sind, ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere +Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die Minerva, die Goettin +des Gedaechtnisses (mens, menervare), welche man wohl als urspruenglich +etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach sprachlichen Gruenden +vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, und passt +auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr wissen, dass +frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der +griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass +gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter +beschraenkte sich im ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die +Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es scheint, urspruenglich +italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit sehr alter Zeit, +wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen +Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche +erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar +frueh bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin +Apollons, der kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der +griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des +Zauberbuches wurde in fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und +Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen +(duoviri sacris faciundis) bestellt, auch fuer dasselbe zwei der +griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft; +diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Faellen an, wenn es, um +ein drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte +und man doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. +Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten schon frueh sich +ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber diesen +Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen +Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte +italische Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon +Aperta, der Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen +Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische +Herakles ist frueh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien +einheimisch und dort in eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie +es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns und der +ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn +der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des +errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt +dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der +kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar +geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit +dem alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die +Verehrung des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; +er wurde, mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck +Italiens verehrt und in den Gassen der Staedte wie an den Landstrassen +standen ueberall seine Altaere. Die Schiffergoetter ferner, Kastor und +Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes, +der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius, +wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren oeffentliche +Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der "guten Goettin" +(bona dea) damium, entsprechend dem griechischen damion oder d/e/mion, +mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter +Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer +spaeter als "Vater Befreier" gefasst ward und mit dem Weingott der +Griechen, dem "Loeser" (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der roemische +Gott der Tiefe der "Reichtumspender" (Pluton - Dis pater) hiess, +dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch +Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst +Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die +aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen +Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war +das Schnitzbild in dem roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus +gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die frueh mit orientalischen +Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen, +herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramaeische +Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geuebt. +Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen Religion +vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst +Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht +haben. --------------------------------------- ^6 Sors, von serere, +reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte Holztaefelchen, +die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die Runen +erinnert. ---------------------------------------- Indessen sind die +einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer Bedeutung, +die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage von +den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im +grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung +des Volkes, bei dem wir sie finden. Die sabellische und umbrische +Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu schliessen, was wir davon +wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit +lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von +der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen +Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber +eben sie gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. +Die Vogelschau war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der +Goetterbefragung; aber die Titier schauten nach anderen Voegeln als die +ramnischen Augurn. Ueberall, wo wir vergleichen koennen, zeigen sich +aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der Goetter als Abstraktion des +Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden Staemmen gemein, +Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus diese +Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen +den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu +erfassen. Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf +uns gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine +duestere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei +und jene feierliche Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen +Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Kult +bei weitem nicht in solcher Vollstaendigkeit und Reinheit wie den +latinischen; aber mag die spaetere Gruebelei auch manches erst +hineingetragen haben, und moegen auch gerade die duesteren und +phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich entfernenden +Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat nicht +wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik +und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des +etruskischen Volkes begruendet. Ein innerlicher Gegensatz des sehr +ungenuegend bekannten etruskischen Gottheitsbegriffs zu dem italischen +laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt treten unter den etruskischen +Goettern die boesen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn +auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der Gefangenen +einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, in +Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der +Tiefe friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen "guten Geister", wie +die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die +die armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen +abgeholt werden von dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen +Greisengestalt mit Fluegeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt, +die man spaeter in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann +zu kostuemieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz +wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein +verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach gewissen +geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Goetter. +Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker +frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie +denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der +etruskischen Weisheit spielen. Aber vor allen Dingen beschaeftigt den +Etrusker die Deutung der Zeichen und Wunder. Die Roemer vernahmen +wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter; allein ihr Vogelschauer +verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im allgemeinen, ob +die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im Laufe der +Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie zum +Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und +man suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt +schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich +damit nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den +Eingeweiden der Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins +einzelne heraus, und je seltsamer die Goettersprache, je auffallender +das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkuende und +wie man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden die Blitzlehre, +die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen +Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die +Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, +der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, +Tages genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und +altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -, +also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich +gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze +zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels und an der +Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen dauernden +Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe +ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben lasse +bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte +oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame +Kuenste mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelueste anmerkt. +Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass, +selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht +ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch +die einheimischen und die griechischen Orakel. Hoeher als die roemische +Religion steht die etruskische insofern, als sie von dem, was den +Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten +Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt +mit ihren Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische +Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie +entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten +Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Ueber den geistigen +Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie einmal +gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch ihnen ein +geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen +gewesen zu sein. 13. Kapitel Ackerbau, Gewerbe und Verkehr Ackerbau und +Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der aeusseren +Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf +dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht +werden, anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, +namentlich die roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend +zu schildern. Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft +jenseits der Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward +schon bemerkt. Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen +Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen nicht minder als +der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien in +geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme +ueberall, je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem +Masse, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man +es empfand, dass jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die +schoene Sitte, die Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man +dort, wo der kuenftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine +Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische +Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit sprechen laesst, +nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der +Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit +der Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am +klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser +Teil des roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern +gelangt war und also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht +mehr auf der Ansaessigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung +dies Missverhaeltnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer +einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder +ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer allemal nach der +Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die +Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf +der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und +Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf +die Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so +hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu +vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz +in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem +Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder +fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich +eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische +Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die +Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also +im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze +gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der +Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also die +Eroberung, die der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten +verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen Boden abgetreten +haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern an ihrem +Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des Mannes +und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste +und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die +geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft. Dass in +aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den +einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag +unter die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt +ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und +Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhaengen und auch spaeterhin +in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr +haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische Rechtsueberlieferung weiss noch +zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in Vieh und Bodenbenutzung +bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu Sondereigentum +aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste +Bezeichnung des Vermoegens als "Viehstand" (pecunia) oder "Sklaven- und +Viehstand" (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder +und Sklaven als "Schaefchen" (peculium); ferner die aelteste Form +des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur fuer +bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass +des "Eigenlandes" (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder +preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann +^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, +laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel +fest, dass die aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern +als Surrogat dafuer die Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon +die Servianische den aufgeteilten Acker voraussetzt. Aus derselben +Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des Grundbesitzes aus +mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun und zu +leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des Pfluges +gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe +ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt +ward, schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden. +------------------------------------------------------------ ^1 Die +bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten +Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die +Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie +bei den Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes +in jedem wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet +worden, so wuerde doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von +zerstueckelten Hufen ausgehen. Allein es ist vielmehr das Gegenteil +der Fall; die Individualnamen der roemischen Hufen (fundus Cornelianus) +zeigen deutlich, dass der aelteste roemische Individualgrundbesitz +faktisch geschlossen war. ^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. +15) berichtet: Tunc (zur Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum +possessionibus, ex quo pecuniosi et locupletes vocabantur. - (Numa) +primum agros, quos bello Romulus ceperat, divisit viritim civibus. +Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig Kuriendistrikte +teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest +einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16). ^3 Da dieser Behauptung +fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die Zahlen reden. Die +roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der Kaiserzeit rechnen +durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf roemische Scheffel +Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines Heredium +ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es +lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht +nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den +erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer +das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine roemische Familie von +dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber +beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich darauf, dass der +Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie Bauer der +aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die +Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl +richtig, aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die +Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an +Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und intensive +Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit +in Anschlag zu bringen; aber die aeltere roemische Weidewirtschaft war, +wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und +die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner +wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen +Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben +die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen, +als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit +ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um +Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch +mit grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des +zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, +und sie genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme +Defizit, welches auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag +des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch blosse +Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst +dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle +landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer +ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag +eines Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die +Ernaehrung einer Familie ausreichend herausstellt. Man behauptet +nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen mit +Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der +Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen +Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente +zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail +zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden und unterliegt auch noch +anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, dass bei der +nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte Buergerschaft (adsignatio +viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B. +Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den Losen neue +Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den bestehenden +vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I, +p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine +Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums +ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem +weniger bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf +Grundstuecken von sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln +Ertrag nicht auskommen zu koennen. +---------------------------------------------- Die Landwirtschaft ging +wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn war der Spelt +(far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese fleissig +gezogen. --------------------------------------------- ^4 Vielleicht der +juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis zu fuehren, +dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben +koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust. +1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen +zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, +woraus denn gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, +doch einen betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. +Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene nominell hoehere +Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus dem Umstand, dass die Roemer +den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den Spelt aber in den +Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das Dreschen +nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch +heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert +nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen +aber geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. +Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer den +wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von - Scheffel) +drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825 Pfund), an +Spelt (bei einer Aussaat von -1 Scheffel) mindestens sieben Scheffel +zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die +Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der +Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei +gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht +nach aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung +(als Kern") weniger als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet +worden ist, sondern weil es zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser +Art von ueberlieferten und gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die +oben aufgestellte Berechnung auf Weizen gestellt worden; sie durfte +es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht wesentlich abweicht und der +Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist genuegsamer in bezug auf +Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der Weizen; aber +der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht +unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren +Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend +von Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden +3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in +Sueddeutschland, wo der Boden ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen +wird, und ueberhaupt bei vorschreitender Kultur dieser den Speltbau +zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige Uebergang der +italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar +ein Fortschritt gewesen. +-------------------------------------------------------- Dass die Pflege +des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach +Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende +Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt +und diese dem Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen +entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer +recht alten Sage der Koenig Mezentius von Caere von den Latinern oder +den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die Ursache, welche +die Kelten veranlasste, die Alpen zu ueberschreiten, in einer weit +verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen Erzaehlung +die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor allem mit +der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der +Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh +und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige +Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste +Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst +damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot eine tusculanische +Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der Priester das Fest +der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso gehoert hierher nicht bloss die +allgemeine Aufnahme der Weinspende in das Opferritual, sondern auch die +als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte Vorschrift der roemischen +Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein +zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das nuetzliche Doerren des +Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten Getreides untersagten. +Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach +Italien gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten +Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; +es stimmt dazu, dass der Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual +eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie wert +uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, beweisen der Rebstock +und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des Curtischen +Teiches gepflanzt wurden. --------------------------------------- ^5 +Oleum, oliva sind aus elaion, elaia, amurca (PHlhefe) aus amorg/e/ +entstanden. --------------------------------------- Von den +Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in Italien +einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren ebenfalls +mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die +roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen. +--------------------------------------- ^6 Aber dass der vor dem +Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen ward (Plin. nat. 15, +18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in allen guten +Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert. +----------------------------------------- Es waren der Bauer und +dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt die +landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen +Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit +verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, +auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. +Eine selbstaendige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der +Milch bestand wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land +nicht oder nur in sehr beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem +Kleinvieh, das man auf die gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof +Schweine und Gefluegel, besonders Gaense gehalten. Im allgemeinen ward +man nicht muede zu pfluegen und wieder zu pfluegen - der Acker galt als +mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so dicht gezogen waren, +dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war mehr +intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene +Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das +hartnaeckige Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu +wahrscheinlich die geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn +dem praktischen Italiener war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die +mit der ererbten Scholle ueberkommene Bestellungsweise fremd, und +einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der +Anbau von Futterkraeutern und das Berieselungssystem der Wiesen, moegen +schon frueh von den Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig +entwickelt worden sein; begann doch die roemische Literatur selbst +mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und +verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier +machte die Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch +dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und der freieren menschlichen +Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also durchschnittlich +viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und +zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu besorgen. Eigentliche +Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der +Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); waehrend +dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es +ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht +und der Stier. In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische +Bauernstelle in aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte +Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, +den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten Vermoegens gleichsam als +einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war +ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie +sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen Geschlechtsgenossen +zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der +Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils +dadurch, dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang +des Eigentums an der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den +Glaeubiger verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen +Konkurs fuehrende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch +erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr +unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich +unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die Miterben +im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das +aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu jeder +Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder friedlich +zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen Geiste des +roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch, +dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern +nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. +Die Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der +Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass +man sich hierin nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel +zusammengeblieben sind, beweist schon die allgemeine roemische Sitte, +sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde +griff nur indirekt hier ein durch die Ausfuehrung von Kolonien, welche +regelmaessig die Gruendung einer Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig +wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte, +die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem +schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu +erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, +ist nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu +bezweifeln und erklaert sich auch leicht teils aus der Aufteilung der +Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl der in +den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand +von groesseren Grundbesitzern ins Leben rufen musste, teils aus der +Menge der in Rom zusammenstroemenden kaufmaennischen Kapitalien. Aber +eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt auf einen ansehnlichen +Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann fuer diese Zeit +nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition, wonach die +Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an geringe +Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird +urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er +nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in +kleinen Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, +wie dies noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger +konnte Hauskind oder Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann +war, so war sein Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen +des "Bittbesitzes" (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt diesen, +solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel, +um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte +dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des +Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht +notwendig; ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der +Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo +dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von +ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen Endtermins, +teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und den +lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten +Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein +Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, +religioes geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch +nicht. Das durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte +ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. +Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung der +Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der einzelne, konnte +vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen Leuten +gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die +roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der +Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu +Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen +Gutswirtschaft erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern +in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche +Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd blieb, fand sich der +roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als +der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff selber +ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein guter +Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er +nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend +der heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde +durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der +Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit +wesentlich gemindert. Die freien Bittpaechter, hervorgegangen +aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten Leuten und +Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats aus und +waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der kleine +Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. Die +fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem +weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde +Nation nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, +scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden +gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere +Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir spaeter sie finden. +Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren Epoche die "Tageloehner" +(th/e/tes) vielfach an der Stelle der spaeteren Sklaven und hat in +einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die +historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war +doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische, sabinische, +etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders gegenueberstehen +als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er als +Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und +Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab, +lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit +dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er +keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe +vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis +ebenso vielen Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz +wie der mittlere und kleine; sondern es erwuchsen auch in den +verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren die +natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und +eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische +Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen +konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht +demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die +Pflugschar zu fuehren. Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht +betroffen. Es ist der Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der +als Eigentuemer der Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe +fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten +und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden +benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine +maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger +mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum +Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der +einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide +kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum +auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem +Insassen wohl nur ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. +In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft +ueberhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die +urspruengliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte +Land aber wohl groesstenteils sogleich unter die Geschlechter oder +spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt ward. Dass der +Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben +aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus +der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der +Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs +Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden +Einrichtungen, acht Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, +der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der +Faerber, der Toepfer, der Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo +man das Brotbacken und die gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte +und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern selber spannen, der +Kreis der auf Bestellung fuer fremde Rechnung arbeitenden Gewerke wohl +im wesentlichen erschoepft sein wird. Merkwuerdig ist es, dass keine +eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es bestaetigt dies aufs neue, +dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit der Bearbeitung des +Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel fuer den +heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die spaeteste +Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das +staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft +muessen diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser +Bedeutung gewesen sein, die nicht abgemessen werden darf nach den +spaeteren, durch die Masse der fuer den Herrn oder auf seine Rechnung +arbeitenden Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren +gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen Handwerks. Die aeltesten +Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen Streitgott Mamers, +sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem +goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern +gleiche Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers +und der Esse Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen +Festverzeichnis. Auch in dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die +Kunst, die Pflugschar und das Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, +Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von jener hoffaertigen +Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst begegnet. Seit indes die +Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich auf die Ansaessigen +legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl +infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom +Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den +Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch +organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies +wohl der Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und +politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte +hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen +gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich +zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass +unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist +wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von Monopoltendenzen +noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation - freilich sind auch +ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten so voellig +versiegt wie ueber die Gewerke. Dass der italische Handel sich in der +aeltesten Epoche auf den Verkehr der Italiker untereinander beschraenkt +hat, versteht sich von selbst. Die Messen (mercatus), die wohl zu +unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten (nundinae), sind +in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die internationalen +Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit der +Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden +haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, +mochten diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in +Rom zu erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und +vielleicht noch groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche +Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) +im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von +roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste +unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der +Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu +finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der +hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der +Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der +Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher +letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium +und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen +hier die roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten +manchen Hader mit den Sabinern herbei. Ohne Zweifel handelte und +tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste griechische oder +phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier halfen bei +vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus; +hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen +aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste +Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe +gingen; sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich +allgemein stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz +zwischen Gross- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden +besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, +sondern noch darueber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft +zurueck ^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die +Ackerbestellung und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher +Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle +erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf, +wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die "Kupferung" +(aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen, +auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter +noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung +und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten +sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen +Voelker vorliegen. ----------------------------------------------- ^7 +Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich +daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf +zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus +p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe +Bestimmung, wenn nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich +gelten; nur dass hier, wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren +dezimalen das Duodezimalsystem substituiert hat. Dass die Bezeichnung +des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen +(englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt. +----------------------------------------------- In welcher Art +der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen Italiker +einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz +unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen +geringen und unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von +den fremden Nationen zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch +tuskische oder latinische Vermittlung empfingen; woher denn auch der +Mangel staedtischer Entwicklung ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den +Apulern und Messapiern scheint in dieser Epoche noch gering gewesen zu +sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien Griechen und Italiker +friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch in Etrurien ein +ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die aeltesten +Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken schliessen, +die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus +Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt +sind, teils und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische +Gewerbe empfing; denn natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden +Manufakte, ehe man sie nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht +bestimmen, wie weit die Entwicklung der Handwerke vor der Scheidung der +Staemme und dann wieder in derjenigen Periode gediehen ist, wo Italien +sich selbst ueberlassen blieb; es mag dahingestellt werden, inwieweit +die italischen Walker, Faerber, Gerber und Toepfer von Griechenland +oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder selbstaendig sich +entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der Goldschmiede, das seit +unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen sein, nachdem +der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter den +Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn +auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und +Praeneste in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten +Loewen und aehnlichen Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das +einzelne Fundstueck gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt +oder einheimische Nachahmung ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel, +dass die ganze italische Westkueste in aeltester Zeit Metallwaren aus +dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo von der Kunstuebung die +Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur wie die Plastik +in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch griechischen +Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass die +aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen +sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck +noch mit eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem +Ton, nach Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu +schliessen, aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem +Alabaster, darunter mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten +oder eingeschnitzten Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. +Die letzten koennen aus dem Norden auf dem Landweg gekommen sein; +die uebrigen Gegenstaende aber beweisen die Einfuhr von Salben und +Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher kamen Linnen und +Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch der +linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen +Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten +Lehnnamen (linon linum; porph?ra purpura; sk/e/ptron skip/o/n scipio, +auch wohl elephas ebur; th?os thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung +einer Anzahl auf Ess- und Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich +die Benennung des Oels (vgl. 1, 200), der Kruege (amphore?s amp[h]ora +ampulla; krat/e/r cratera), des Schmausens (k/o/maz/o/ comissari), +des Leckergerichts (ops/o/nion opsonium), des Teiges (maza massa) und +verschiedener Kuchennamen (glyko?s lucuns; plako?s placenta; tyro?s +turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina +patan/e/) und des Specks (arvina arbin/e/) in das sizilische Griechisch +Eingang gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, +kerkyraeisches und kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, +beweist eben wie diese sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der +griechischen Toepferwaren nach Italien. Dass die griechische Lederarbeit +in Latium wenigstens bei der Armatur Eingang fand, zeigt die Verwendung +des griechischen Wortes fuer Leder (sk?tos) bei den Latinern fuer den +Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich gehoeren hierher die +zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten Schifferausdruecke, obwohl +die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt: Segel, Mast und Rahe +doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9; ferner die +griechische Benennung des Briefes (epistol/e/ epistula), der Marke +(tessera, von tessara ^10), der Waage (stat/e/r statera) und des +Aufgeldes (arrab/o/n arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die +Aufnahme italischer Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, +sowie der nachher zu erwaehnende Austausch der Muenz-, Mass- und +Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der barbarische Charakter, +den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor allem die +charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta += plako?nta; ampora = amphorea; statera = stat/e/ra), ist der klarste +Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes +(Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische Vorstellungen +bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des Mai gelegt +zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den Sohn der +schoenen Maia. ----------------------------------------------- ^8 Vor +kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen +und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf. +32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum +Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist. +^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies +nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch +antenna kann von ana (anhelare, antestari) und tendere = supertensa +herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern kybernan, ancora +Anker agkyra, prora Vorderteil pr/o/ra, aplustre Schiffshinterteil +aphlaston, anquina der die Rahen festhaltende Strick agkoina, nausea +Seekrankheit naysia. Die alten vier Hauptwinde - aquilo der Adlerwind, +die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, vielleicht +der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind, der +Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende +Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche +Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch +(wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus += ap/e/li/o/t/e/s, Africus = lips). ^10 Zunaechst sind die Marken im +Lagerdienst gemeint, die xyl/e/phia kata phylak/e/n brachea tele/o/s +echonta charakt/e/ra (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des +Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die +Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; +die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. +35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen +Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen Form +spricht fuer verhaeltnismaessig spaete Uebernahme des Wortes. +------------------------------------------ Sonach bezog das aelteste +Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine Luxuswaren aus dem Osten, +bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst zu fabrizieren +versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine +Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann +Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa +im Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide. Aus diesem Stande +des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente ist schon +frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium und +in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen +alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen +Passivhandel fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, +dessen sie notwendig bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder +Sklaven eintauschen, wie denn der uralte Vertrieb der letzteren auf +das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; dagegen musste die tuskische +Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua wie in Spina sich +notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte Wohlstand +dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium +vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies +in allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, +nur mit ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber +finden sich in Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine +Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem suedlichen +Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die +latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck auslaendischer Herkunft +und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer Zeit aufweist, +vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen +die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der +Zeit nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; +Latium hat in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich +beholfen und selbst die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn +nur aeusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von +Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik +wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur +dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten +Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben +Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; +aber in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit +zurueck hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, +dass die nach griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren +auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst +Absatz fanden, waehrend Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt +hat. Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der +Latiner und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den +aeltesten Handel der Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum +etwas aussprechen als die Vermutung, dass er von Spina und Hatria +vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Dass die westlichen Etrusker +sich dreist in die oestlichen Meere wagten und nicht bloss mit Sizilien, +sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten, ward schon +gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die attischen +Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so zahlreich +vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt, +wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt +die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein +gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die +Silberstuecke von Populonia sind nachgepraegt einem uralten, +einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloss mit einem +eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das sich in Athen und +an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden hat +und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss +geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung +der karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die +Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; +es ist beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser +einheimischem Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren +sich gefunden haben, welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten +herruehren koennen, wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen +Handelsmaennern eingefuehrt wurden. Indes darf diesem phoenikischen +Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich nicht +uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen Anregungen und +Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht von den +Phoenikern nach Etrurien gebracht sind. Nach einer anderen Richtung +weist der latinische Verkehr. So selten wir auch Gelegenheit haben, +Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme hellenischer +Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind, eine +vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. +Am deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den +chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern +zugebrachte griechische weicht nicht unwesentlich ab von dem den +Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide Voelker haben also hier +zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer Zeit und an einem +anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern wiederholt sich +dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische Pultuke sind +jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; der +tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische +Ulixes gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso +entspricht der tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, +der roemische Aiax einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische +Aperta oder Apello, der samnitische Appellun sind entstanden aus dem +dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache +und Schrift Latiums ausschliesslich auf den Zug des latinischen Handels +zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede andere Spur, +die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Muenze +von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern, +Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei +den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen +Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische +Bezeichnung der Silbermuenze nomos, das sizilische Mass /e/mina als +nummus und hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so +waren umgekehrt die italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, +quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte +an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den +korrupten und hybriden Formen litra, trias, tetras, ezas, oygkia +schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen +Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- +und Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen +Kupfersystem in ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss +dem Silber der zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell +und vielleicht gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene +Aequivalent eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen +Talents, 1/3 des roemischen Pfundes) als Silbermuenze (litra argyrioy, +das ist "Kupferpfund in Silber") schon in fruehester Zeit namentlich in +Syrakus geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass +die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen; +und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der Handel der +Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld +nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen +Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen +des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den +sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. +Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten +in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und +Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass +er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den Sikelioten, +beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach +Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an Aesculapius, +Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen zeigen. Wenn +der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie Kyme und die +phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur +gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben +erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst +der Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt +hat. Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der +Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den +sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich +ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den +afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke hinreichend belegen, +in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter +Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer beweisend, dass - von +einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten Verkehr der Latiner +mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis +gebricht ^11. ---------------------------------------------------------- +^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen +oertlichen Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar +aus dem Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in +demselben vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich +arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind +offenbar zunaechst Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen +orientalischen Lehnwoertern eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines +aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern aufzuweisen hat. Dass elephas und +ebur von dem gleichen phoenikischen Original mit oder ohne Hinzufuegung +des Artikels, also jedes selbstaendig gebildet seien, ist sprachlich +unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht +verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch +nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus; +mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem +Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, +wie schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden +Fall griechisches Lehnwort. +---------------------------------------------------------- Fragen wir +weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von italischen +Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so +hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle +Wahrscheinlichkeit fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen +Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen +Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten +eindringen koennen, dass sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und +Kupfer gegen Schmuck einhandelten. Was endlich die Personen und Staende +anlangt, durch die dieser Handel in Italien gefuehrt ward, so hat +sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand selbstaendig +gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser +auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang +an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine +Annahme, die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von +mehreren schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse +Grundbesitzer, der von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, +frueh zu dem Besitz von Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; +der ueberseeische Eigenhandel musste also um so mehr dem Gutsbesitzer +zufallen, als er allein die Schiffe und in den Fruechten die +Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz zwischen Land- +und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt; +die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die +Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese +Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige +Darstellung zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern +der Handel der latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein +im wesentlichen ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder +Tarent, sondern war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden +Gemeinde. 14. Kapitel Mass und Schrift Die Kunst des Messens unterwirft +dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hoert seine +Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst ist; sie beide +geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit. +Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen +Bahnen zu folgen. Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die +Begriffe der zeitlichen, raeumlichen und Gewichtseinheit und des +aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das +Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die Natur als naechste +Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder +Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der leichter +misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit +ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag +oder das "Gewicht" (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus +gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit +ihren fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht +das Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente +alles Zaehlens und Messens nicht bloss ueber die Trennung des +griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit +zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde +ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen +Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen +vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu +zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und +Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche +Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt +die bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den +Zahlwoertern bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind +hier alle aeltesten Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es +genuegt, an die so gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, +Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn +Schafen, an die Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt +die durchstehende Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und +Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem +Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses aeltesten +Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern. +Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen +und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei +aeltesten und unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei +Zeichen, I, V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten +Fingers, der offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch +den Phoenikern entlehnt, dagegen den Roemern, Sabellern und Etruskern +gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze zur Bildung einer national +italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des +aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen Verkehrs +der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen erfunden +und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen. +Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; +es gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 +Fuss ins Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im +allgemeinen in denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische +Festsetzungen anknuepfen und wahrscheinlich von den Italikern vor +Beruehrung mit den Griechen entwickelt worden sind, die Teilung des +"Ganzen" (as) in zwoelf "Einheiten" (unciae) vorherrschend. Nach der +Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen Priesterschaften, +die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die etruskischen +Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im roemischen +Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo der Fuss +(pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des +roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem +zusammengesetzte "Trieb" (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. +Im Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein. +------------------------------------------ ^1 Urspruenglich sind sowohl +"actus" Trieb, wie auch das noch haeufiger vorkommende Doppelte +davon, "iugerum", Joch, wie unser "Morgen" nicht Flaechen-, sondern +Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, +mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende +Mittagsruhe des Pfluegers. -------------------------------------------- +Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen +sein mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein +neben der Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung +wohl nur gefunden werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und +Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an +dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf Mondkreislaeufen zuerst dem +Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten +zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines +Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste +duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu +sein und vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen. Als +nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische +Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber +wohl das Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das +heisst diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich +ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste +roemische Fuss ist verschollen; der, den wir kennen und der in +fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus Griechenland +entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in +Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn +Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht +in ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz +Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis, +dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier +roemische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das +roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen +gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die +roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den griechischen +entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach medimnos congius +aus choe?s, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von +ox?baphon) entstanden sind, waehrend umgekehrt xest/e/s Korruption +von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die +gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius +oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer +trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen +Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem +griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : +1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen +Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes +sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben. Die griechischen Zahlzeichen +nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer das griechische +Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen der drei +Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer 100 +zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das +Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich +das Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das +roemische im wesentlichen in Etrurien angenommen ward. In gleicher Weise +ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische Kalender, +nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter unter +griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die +Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes +am unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht +nach zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung +bestimmt, lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und +-untergang wurden auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen +Ausrufer bis in spaete Zeit hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich +einstmals an jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum +naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch die Priester abgerufen. +Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei den +Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon +gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von +dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die +bei der mittleren Dauer von 7? Tagen zwischen sieben- und achttaegiger +Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der +mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 +Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse +Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die +groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann man Tag und +Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der Stundenteilung +sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der Bestimmung +des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme +auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller +und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens +als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht +kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der +Jahresteile bei den Griechen und den Italikern voellig selbstaendig +gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen +Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur +Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit fortgeschritten +zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der Rechnung nach +Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer +Frist von zehn Monaten als eines "Ringes" (annus) oder eines Jahrganzen +traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber auch +noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der +griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, +das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus +der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs +hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung +bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den +Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit +der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in +den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl +die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen +zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender +herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels +vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen +es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche, +wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt +haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen. +Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen +Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische Zeitmessung ist +ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf der aeltesten +griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des +Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme +eines Mondumlaufs von 29 Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12 +Mondmonaten oder 368_ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder +dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate +sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber +durch willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den +wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass +diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern +in Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die sich +geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis +und ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen +Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der +einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies roemische Jahr beginnt mit +Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der einzige, der von +einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius), die drei +folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen (iunius), +der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, sextilis, +september, october, november, december), der elfte vom Anfangen +(ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der +Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der +zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). +Zu dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im +Schaltjahr noch ein namenloser "Arbeitsmonat" (mercedonius) am +Jahresschluss, also hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den +wahrscheinlich aus dem altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate +ist der roemische Kalender in der Dauer derselben selbstaendig: fuer die +vier aus je sechs dreissig- und sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten +und einem jedes zweite Jahr eintretenden, abwechselnd dreissig- +und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des +griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm +gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften +und achten - einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen +Monaten, ferner einem in drei Jahren acht-, in dem vierten +neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes andere Jahr eingelegten +siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + 382 = 1475 +Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der urspruenglichen Einteilung +des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige Wochen; er liess +die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen +Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es +tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. +Er setzte daneben ein fuer allemal das erste Viertel in den +einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den +neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den +fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest +geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der +zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt +zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des +Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen +Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den +Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag +(nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht +Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde +liegende Motiv scheint hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende +Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen +an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen +Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in Unteritalien +uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren des +Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender, +so deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond- +wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit +dem Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein +griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste +griechische, nicht anders als mittels haeufiger willkuerlicher +Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender schwerlich +mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, hoechst +wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der +Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach +zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes +Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des +aeltesten roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird +dieser roemische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen +werden koennen. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und +der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den +Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl +vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsaechlich von +dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkuerlichen, +etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn +beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen +schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von +Unteritalien aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch +zu anderen italischen Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen +Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren. +---------------------------------------- ^2 Aus derselben Ursache sind +saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem Monat wiederkehrenden +(kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder 15.) als auch, +mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45 Jahresfeste. +Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die geraden +Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das +Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai +begangen wird. ----------------------------------------- Zur Messung +mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der Koenige +bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige +Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen +ist. Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit +verbundene Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen +Olympiadenzaehlung der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren +angeknuepft zu haben, die indes infolge der bald in der Abhaltung +der Schatzungen einreissenden Unregelmaessigkeit ihre chronologische +Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat. Juenger als die Messkunst ist +die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben sowenig wie die +Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den italischen +Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus +hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit +Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden +werden koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in +so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, +beweist am besten die Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, +indische, griechisch-roemische und heutige Zivilisation ein einziges, +von Volk zu Volk und von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanztes +Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; und auch dieses +bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame Schoepfung der +Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem +der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, +erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb +denn auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet +erfunden worden ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk +selbstaendig und in hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel +ihnen zugefuehrten aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige +Alphabet erschaffen durch Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte +durch die Verwendung von vier fuer die Griechen als Konsonantenzeichen +unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a e i o und durch +Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der Silbe in die +Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides +sagt: Heilmittel also ordnend der Vergessenheit Fuegt ich lautlos' +und lautende in Silben ein Und fand des Schreibens Wissenschaft den +Sterblichen. Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den +Italikern zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen, +nicht aber durch die Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch +die Kaufleute etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunaechst nach den +uralten Vermittlungsstaetten des internationalen Verkehrs in Latium und +Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die +Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste hellenische: es hatte +schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei +Buchstaben x ph ch und die Abaenderung der Zeichen fuer y g l ^3. Auch +das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische +Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus +dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach +Etrurien und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das +etruskische Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und +nur ein einfaches k ^4 und vom r nur die aeltere Form P; das latinische +kennt, soviel wir wissen, nur ein einziges s, dagegen ein doppeltes +k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die juengere Form R. Die +aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich +wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten +Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt, +soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in +gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach +rechts oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den +Roemern in jener, bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach +Etrurien gebrachte Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten +Charakters dennoch in eine sehr alte, wenn auch nicht positiv zu +bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da die beiden Sibilanten Sigma +und San von den Etruskern stets als verschiedene Laute nebeneinander +gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, das nach +Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige +Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern +der griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San +nebeneinander im Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, +wie wir es kennen, im ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es +nicht unwahrscheinlich, dass in Latium nicht, wie in Etrurien, bloss +eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, sondern die Latiner infolge +ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen Nachbarn laengere Zeit +sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht hielten und den +Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass die +Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die +juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was +sich nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre +griechischen Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich +des griechischen Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch +bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen +griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und dem aelteren des +nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien +frueher geschrieben worden ist als in Rom. +------------------------------------------- ^3 Die Geschichte des +Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, dass +gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem +vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, die +verschiedenartigsten Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung +desselben gemacht worden sind und dass jeder dieser Vorschlaege seine +eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschlaege, die +auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten vor. +Interesse ist, sind die folgenden. I. Einfuehrung eigener Zeichen +fuer die Laute x ph ch. Dieser Vorschlag ist so alt, dass mit einziger +Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta alle griechischen +und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten Alphabete +unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin, +die Zeichen CH xi, PH phi, PS chi dem Alphabet am Schluss anzufuegen, +und in dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme +von Athen und Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen +Griechen Annahme gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und +die der Inseln des Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther +scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i +bereits das fuenfzehnte Zeichen des phoenikischen Alphabets (Samech) X +im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei neuen +Zeichen zwar das PH auch fuer phi, aber das CH nicht fuer xi sondern +fuer chi. Das dritte, urspruenglich fuer chi erfundene Zeichen liess man +wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man +es fest, gab ihm aber den Wert psi. Der kleinasiatischen Schreibweise +folgte auch Athen, nur dass hier nicht bloss das psi, sondern auch das +xi nicht angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant +geschrieben ward. II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man +sich bemueht, die naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu +verhueten; denn saemtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen +die Spuren des Bestrebens, beide Zeichen anders und schaerfer +zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit muessen zwei +Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen +Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den +Sibilanten, wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das +vierzehnte (M) fuer sch und das achtzehnte (S) fuer s, darbot, statt des +letzteren, lautlich angemesseneren vielmehr jenes - und so schrieb man +in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln, in Korinth und Kerkyra und +bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das Zeichen des i durch +einfachen Strich ?, was bei weitem das Gewoehnlichere war und in +nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das +gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in +der Form M auch neben dem ? festhielten. III. Juenger ist die Ersetzung +des leicht mit G g zu verwechselnden l L durch V, der wir in Athen und +Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth abhaengigen +Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem g statt der +haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben. IV. Die ebenfalls der +Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer r R p p und r P wurden +unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere +Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen +Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen +sowohl in dem eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit +aeberwiegt. Doch ist die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so +voellig verschwunden wie die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt +daher ohne Zweifel spaeter. Die Differenzierung des langen und kurzen e +und des langen und kurzen o ist in aelterer Zeit beschraenkt geblieben +auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln des Aegaeischen Meeres. +Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und +geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer +bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann +ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung +gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur +Geschichte des griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die +bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht +geworfen und auch fuer die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und +Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse +Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat, +leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen +einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt. +Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man die +Alphabete nicht nach der Geltung des X als x oder als ch in zwei Klassen +teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26 +Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische, +aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das +gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es +haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den +verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch +verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben +insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als +sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen +Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen +Wechselverhaeltnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist +schon auf den merkwuerdigen Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu +den chalkidischen und dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam +gemacht worden; in jenen sind durchgaengig die primitiven Formen +festgehalten, in diesen die verbesserten Formen angenommen, selbst +solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich gewissermassen +widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete +stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der +italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass +aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, +sondern beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt +besonders die verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend +von den vier oben bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die +italischen Griechen ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien +beschraenkt), die drei ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor +dasselbe auf die Etrusker und Latiner ueberging, war die Differenzierung +von p und r noch nicht geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam, +dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es empfingen, weshalb fuer +r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern +und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefaesses +ausschliesslich die juengere Form begegnet. ^4 Dass das Koppa den +Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht zweifelhaft: denn nicht +bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur desselben, sondern +es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen Gefaesses. Der +Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf +jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein +gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann +zu diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am +Schluss stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen +Wert haben als den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte +ist und das in dem, die Abweichungen .des etruskischen Alphabets von +seinem Muster darlegenden Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend +bleibt es freilich, dass in dem nach Etrurien gelangten griechischen +Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem chalkidisch-dorischen +sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich eine lokale +Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet +zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig +werdendes Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen +Zeiten Willkuer und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet +das achtzehnte phoenikische Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der +Lautschrift verschwundenen im Alphabet festgehalten. ^5 Die vor kurzem +bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887), unter +den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer +Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das +raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel +in den AdI 52, 1880) die aeltere Form des r. +------------------------------------------- Welchen gewaltigen Eindruck +die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die Empfaenger machte und +wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht +ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor Erfindung +des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische +Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus +gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, +verzeichnet ist - offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der +Akklimatisierung der Buchstabenschrift in Etrurien. Nicht minder wichtig +als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte dessen weitere +Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn +hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, +der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit +den Fremden. In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in +der man sich im wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert +bediente, scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po +und in der heutigen Toskana beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist +alsdann, offenbar von Atria und Spina aus, suedlich an der Ostkueste +hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den Venetern und spaeter sogar +zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodass +die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. +Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich +hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter Zeilenschrift, +auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu +unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens f, +wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. +Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und +hat, waehrend sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen +bei saemtlichen sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich +eingebuergert; im weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem +einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und +Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz +oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und Konsonanten +entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber ist nicht +bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen Graeber, sondern +betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in einem +derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in +einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da +das reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ +jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene +Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte. Erscheinen sonach die +Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, Osten und Sueden +der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium +beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich +behauptet; nur fielen g k und z s allmaehlich lautlich zusammen, wovon +die Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (k z) aus der Schrift +verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des +vierten Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte +monumentale und literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme +^7 kennt sie nicht. Wer nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen +der Unterschied von g c und k k noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, +dass also der Zeitraum, wo die Laute in der Aussprache zusammenfielen, +und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem die Abkuerzungen sich +fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege liegt; dass +endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung eines +konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist +verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den +Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten +Eintritt der aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre +1321 vor Christi Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in +Griechenland die Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter +der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche +Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit ist hinreichend +beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein Koenig +Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, und +der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an +Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen +Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Buendnisses, das +Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch Dionysios auf +einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah - freilich +wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars +hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall +grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels +beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die +aelteste derartige roemische Urkunde und das gemeinschaftliche Muster +fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit +scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf Blaetter (folium), +Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), spaeter auch auf Leder +und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten +wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die aeltesten, +im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol +bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch +noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), +an die Anrede im Senat "Vaeter und Eingeschriebene" (patres conscripti), +an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des +albanischen und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon +in der fruehesten Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in +denen die Knaben und Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, +so kann das, aber muss nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde +der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns +die Kunde der aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die +Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung +berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre +Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und +Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu begehren +und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene +schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher +nicht verweigert haben wuerde. +------------------------------------------------------------- ^6 In +diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen +sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der +wir Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner +Entstehung niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber +ihren Text nicht auf das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine +nach dem gallischen Brande vorgenommene offizielle Niederschrift, +beweist die Erzaehlung von der damals erfolgten Wiederherstellung der +Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, dass ihr Text keineswegs +die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie aufwies, auch abgesehen +davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum Auswendiglernen +fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue +Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann. ^7 Dies ist die 1, 227 +angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen hat selbst schon +auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von k. ^8 So ist C +Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen gilt +dieses natuerlich nicht; hier wird g nicht durch c, sondern durch G (GAL +Galeria), k in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), +vor a durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn +eine Zeitlang hat man den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen +Konsonanten durch C ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch +das alte Zeichen des Koppa Q. ^9 Wenn dies richtig ist, so muss die +Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn auch natuerlich nicht gerade +die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in +welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die +Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der Beginn +des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen +Zeit an. ^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann +schreiben. --------------------------------------------- Die Geschichte +der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache und +mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im +Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den +Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich +daraus, dass sie das Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den +Ruecken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe +schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze +mitbrachten. Andererseits enthaelt diese Geschichte der Schrift +eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die spaetere, der +etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische Bildung +aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig +wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern +aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem +eine Spur sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der +latinischen Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass +sie nicht einmal das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich +angeeignet hat ^11. Ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, +sind es vielmehr die Etrusker, die von den Roemern wenigstens +das Zeichen fuer 50 uebernommen haben. +---------------------------------------------- ^11 Das Raetsel, wie die +Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v entsprechende Zeichen +fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat die Spange von +Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit zugleich die +Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen Kolonien +Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet angehoerigen +boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer, +Griechische Grammatik, 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und +ein aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich +naehern. --------------------------------------------- Endlich ist es +charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die Entwicklung des +griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben +besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten +untergegangen, waehrend die Umbrer g d, die Samniten d, die Roemer +g einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso +fielen den Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den +Lateinern finden sich Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte +zeigt sich bei den Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei +Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber +dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich der Samnite und +der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spaetere Roemer sogar +auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden von +den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen maechtigen +Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen Loesung der nationalen +Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmaehlich die +Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und +Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr +Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die +Zerstoerung der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser +Lautzerruettung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also +im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an +jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell +ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von dem, was sonst spurlos +voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese +Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste als irgendeinen +der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer +minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den +Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die +suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, +so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen +wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben. 15. Kapitel +Die Kunst Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang +die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu +den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die +italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, +die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu +vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem +scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die +Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio +finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten +neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere +Komoedie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit +die parodische Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der +Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern +keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen +haben sie es nicht leicht ueber Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer +Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch +die hoechsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, goettliche +Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie Sallustius und +Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen +als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter +wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent weit weniger +hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich +steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und +herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche +Gebiet, insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein +Aeusserliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene +Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf +ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor +die Augen gerueckt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und +bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten +Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der neuen der Meister +aller Nationen geworden. Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer +Ueberlieferung nicht moeglich, die Entwicklung der kuenstlerischen Ideen +bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich +laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur +von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere +ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen +Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit +sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten +Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit +entschiedener hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, +mit dem das roemische Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den +Goetterbildern und den Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und +die lustigen Taenzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der +Juenglinge und der Knaben, alle in roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, +mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Maenner ueberdies behelmt, +ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der +Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf +den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die +aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die "Springer" +und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem +oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, +weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe +ward. Wo aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute +oder, was in aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. +Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem +Begraebnis, und neben der uralten oeffentlichen Priesterschaft der +Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die +Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart +bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen roemischen Polizei +zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und suessen +Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als +ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige +Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide +bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und +gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder +dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen. Den Roemern galt als +das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen Waldeseinsamkeit die +Blaetter sich selber singen. Was der "guenstige Geist" (faunus, von +favere) im Haine fluestert und floetet, das verkuenden die, denen +es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch +gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen +weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und +Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die +Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die +boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft +oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass +in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln +erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die religioesen +Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen +und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein +wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der +Ackerbrueder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient: +------------------------------------------------- ^1 So gibt der aeltere +Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat +hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem +Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich +daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man +nuechtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend +und ausspuckend, die Worte spricht: "Ich denke dein, hilf meinen +Fuessen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil" +(terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27). +-------------------------------------------------------------------- +Enos, Lases, iuvate! Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores! +Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber! Semunis alternei +advocapit conctos! Enos, Marmar, invato! Triumpe! ^2 +-------------------------------------------------------------------- ^2 +Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, +sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! +verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! +Tripudia! Die ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf +fuenfmal wiederholt. Die Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders +der dritten Zeile. Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal +lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied +- asted noisi ope toitesiai pakariuois - duenos med feked (= onus me +fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo +statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter; bemerkenswert +vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische +kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von +et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten. +------------------------------------------------------------ + +an die Goetter Uns, Laren, helfet! Nicht Sterben und Verderben, Mars, +Mars, lass einstuermen auf mehrere. Satt sei, grauser Mars! + +an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie! Brueder + +an alle Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen + +an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf! + +an die einzelnen Springe! Brueder + +Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der +Baliarischen Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit +als die aeltesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu +dem Latein der Zwoelf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der +Sprache Luthers; und wohl duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach +diese ehrwuerdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen. Schon +einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass +es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, +wuerde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, +auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es +ausdruecklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein +Buerger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm +anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines +Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem +Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter auch +zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der +Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne +Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei +dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich +den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen +Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, dass sie schilderten und +erzaehlten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie +das epische entwickelten. Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem +uralten, ohne Zweifel ueber die Scheidung der Staemme zurueckreichenden +Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang +wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhaeltnissen, +dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten +aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht mehrere +Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und +der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich +ueberwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter +trug. So entstanden hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter +unter dem Namen der fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die +Elemente einer volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der +Italiener fuer das Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen +an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden +gepflanzt war. Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen +Epos und Drama. Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht +sich von selbst und wird zum Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie +regelmaessig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des aelteren +Cato Zeit waren dieselben vollstaendig verschollen. Die Komoedien aber, +wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch +lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser +Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Mass, +die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken. Ob +es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft; +die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich +fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte +Rezitation. Dagegen begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das +sogenannte saturnische ^3 oder faunische Mass, welches den Griechen +fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der aeltesten latinischen +Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit spaeteren +Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben. +------------------------------------------ ^3 Der Name bezeichnet wohl +nichts als das "Liedermass", insofern die satura urspruenglich das beim +Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Saeegott +Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Saturnus benannt; sein Fest, die +Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist moeglich, dass +die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden. +Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und +vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus saturnius +mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der +ersten Silbe erst der spaeteren Zeit an. +------------------------------------------ Quod re sua difeidens - +aspere afleicta Parens timens heic vovit - voto hoc souto Decuma facta +poloucta - leibereis lubentes Donu danunt - Hercolei - maxsume - mereto +Semol te orant se voti - crebro condemnes Was, Missgeschick befuerchtend +- schwer betroffnem Wohlstand, Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des +Geloebnis eintraf, Zu Weih' und Schmaus den Zehnten - bringen gern +die Kinder Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten; Sie flehn +zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest. In saturnischer Weise +scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig gesungen worden +zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass namentlich der +Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier +auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische +Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum +vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken +Versmassen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen +mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten +Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem +diese einander entgegengesetzten iambischen und trochaeischen Halbzeilen +wenig geeignet sind, einen fuer hoehere poetische Leistungen genuegenden +rhythmischen Bau zu entwickeln. Die Grundelemente der volkstuemlichen +Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich +festgestellt haben muessen, sind fuer uns verschollen; ausser dass uns +von der latinischen Floete berichtet wird als einem kurzen und duennen, +nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie der Name zeigt, +aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen +Instrument. Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der +latinischen Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der +Harlekin, Bucco der Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus +- Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem +Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomoedie verglichen +hat -, dass diese Masken bereits der aeltesten latinischen Volkskunst +angehoeren, laesst sich natuerlich nicht eigentlich beweisen; da aber +der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die Volksbuehne von +unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in Rom erst +ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da +jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da +endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele +ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal +zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken +an die Anfaenge des roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie +als diese Anfaenge selbst betrachten duerfen. Wenn unsere Kunde ueber +die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spaerlich +fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber +die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil +wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, +namentlich der griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche +letztere den Latinern natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies +schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber +doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und +dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen +zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung +der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf +elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen +wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie +bereits in fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich +die Hellenen und weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche +in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends +begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder +Caere zurueckwiese, und es darf wohl ueberhaupt die phoenikische wie die +etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der +Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische Befruchtung aber blieb +nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die "Saiten" (fides, von +sphid/e/ Darm; auch barbitus barbytos) ist nicht, wie die Floete, in +Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument +gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist +teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre +Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen +bereits in dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige +Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem +poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die +altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des +Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in +Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele +in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen +von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor +allem kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) +wo nicht seine Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl +anders als unter griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als +ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund eines von dem +Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum gewoehnlich bei +der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und +den mit ihm zusammen hausenden Goettern ausgerichtet. Im Festzuge begab +man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit +einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: voran die ganze +Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Buergerwehr zu +Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher beschriebenen +Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener +der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet; +endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst +war das Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf +zu Wagen, zu Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren +jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, +darauf die abgesprungenen Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder +nach roemischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien +(desultor); endlich massen die Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen +Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und +im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal und +zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte +der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die +gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu +legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen +die Wettkaempfe an diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen +Karneval, wobei denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre +Possen entfaltet haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum +Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die +im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine +Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der +erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel +den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte. +----------------------------------------------------------- ^4 +Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie +spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist +mit dem urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso +unvereinbar, wie es nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben +in Etrurien lernten. Dass das Studium der etruskischen Sprache damals +in Rom die Rolle gespielt habe wie etwa jetzt bei uns das +Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten heutigen Bekenner +des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen Haruspicin +etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten, +einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. +O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist +die Angabe von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der +Republik herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren +Annalen, welche zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung +mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5, +28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine +Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine gewisse Kenntnis der +Landessprache bei den vornehmen Roemern erforderte. ^5 Den Gebrauch der +Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4; +Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803. +Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter +nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger +unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der +Musik im Jahre 639 wurden nur der "latinische Floetenspieler samt dem +Saengern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem +Mahle sangen nur zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro +bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das +Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) +von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf Privatgastmaehler +uebertragen. ^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt +haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer +und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu +Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch +die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen sind. Dass in jeder +Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. +44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig Wagenpaare +nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung. +Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei +Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in +den roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es +sogenannte Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die +weisse und die rote. Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der +patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar +wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knuepfte es an den Aufzug +der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt. +---------------------------------------------------------- Solcher +Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen +oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch +in den Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen +Leichenfeier traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr +geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch +den oeffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begraebnis +eingeladen ward. Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng +verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich +zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer +religioesen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der +einzelnen Uebungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros' Zeugnis +von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und +Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in +Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und +dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes +zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten +und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese +Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter +Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen +Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht die ueberwiegende +Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist +keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu +den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie +die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss erfolgt ist (I, +109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere Belustigungsweise - +der "Sprung" (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei +dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Uebung gebliebene Schaukeln +- mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen +Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von dem +ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in +Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch +spadion) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit +in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt sogar ein +ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die Pferde- und +Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere +Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Roemer ausser +den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren +Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken. Es +waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus +denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch +diese selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die +Elemente der Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als +der roemische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren +und den Jagdspiess fuehren lernte und als in Rom jeder Gemeindebuerger +zugleich Soldat war; sondern es genoss die Tanzkunst von jeher +oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen Wettkaempfen +eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik +und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische +Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die +Maskenposse die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische +Einwirkung nicht. Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese +Samenkoerner nicht aufgingen oder verkuemmerten. Die koerperliche +Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tuechtig, aber fern +von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des Koerpers, wie die +hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen Wettkaempfe der +Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber +ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und +ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe +von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und +hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den +griechischen Festspielen war, so kamen die roemischen bald in die +Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten. +Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein +Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht +das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum +die Rede. Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die +Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden +Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen +Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung +kam es nicht. Die italischen Goetter sind Abstraktionen gewesen und +geblieben und haben nie zu rechter persoenlicher Gestaltung sich +gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen, +auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme +Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in +sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der +Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber +kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die +tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der +Poesie, dass sie die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und +aus den Staemmen ein Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie +heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze +der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische +Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum hellenischen +Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium +trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben, +aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch +denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die +Hesiodischen 'Werke und Tage'. Es konnte wohl das latinische Bundesfest +ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der +Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen, wie +er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle +Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder +hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien +blieb ohne nationale Poesie und Kunst. Was hieraus mit Notwendigkeit +folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste in Latium mehr ein +Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch fuer uns noch +unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen wohl +ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied +gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, +die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von +Hellas weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der +Dichter die Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen +trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die aeltere +lateinische Sprache keine Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die +Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und +rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat sich hier frueh +teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und unzuenftige +Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die +Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt +worden; auch die religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern +ausgefuehrt. Die Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die +Klagefrauen (praeficae) unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang +in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen +waren, ehrenvolle und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier +gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der +Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um +so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte und je +mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. +Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb +geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so +schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern +schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in Griechenland immer mehr +Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und +damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie +in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und indem sie +zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht +einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen +Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den +Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von +der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der +Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den +Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese +haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause +und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft +zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden +Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der +Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen Tradition, +die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst +(gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen +Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen +schlichter und ihrer selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach +sind wie tief; aber ueber der Bewunderung, die sie erweckt, darf es +nicht uebersehen werden, dass sie nur durchgefuehrt werden konnte +und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der eigentlichen +individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so +reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen. +----------------------------------------------- ^7 Vates ist wohl +zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der Salier zu fassen +sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem griechischen +proph/e/t/e/s: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort +und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den +Nebenbegriff des gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten. +---------------------------------------------- Ueber die Entwicklung der +musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern mangelt uns so gut wie +jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass auch in Etrurien +die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler (subulones) +frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein +Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom +um geringen Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten. +Bemerkenswerter ist es, dass an dem etruskischen Nationalfest, welches +die saemtlichen Zwoelfstaedte durch einen Bundespriester ausrichteten, +Spiele wie die des roemischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die +dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner +zu einer nationalen, ueber den einzelnen Gemeinden stehenden musischen +Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande. +Anderseits mag wohl in Etrurien schon in frueherer Zeit der Grund gelegt +sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen +und astrologischen Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem +allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden, +Chaldaeern und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell goettlicher +Weisheit angestaunt zu werden. Womoeglich noch weniger wissen wir von +sabellischer Kunst; woraus natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie +der der Nachbarstaemme nachgestanden hat. Vielmehr laesst sich nach +dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstaemme vermuten, dass an +kuenstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am naechsten, die +Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; und eine +gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die +bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie +Naevius, Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften +angehoeren, wogegen Etrurien in der roemischen Literatur fast keine +anderen Vertreter hat als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten +aller herzvertrockneten und worteverkraeuselnden Hofpoeten, und +den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffaertigen und +mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen. Die Elemente der Baukunst +sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes Gemeingut der Staemme. Den +Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist dasselbe bei Griechen +und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen Stroh- oder +Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher +durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung +(cavum aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser +"schwarzen Decke" (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt; +hier werden die Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre +aufgestellt; hier empfaengt der Mann die Gaeste und sitzt die Frau +spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern +man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustuer und der Strasse +dafuer nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der +Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause im Untergewand zu +gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine +Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den Wohnraum herum Schlaf- und +Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und +aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken. +------------------------------------------------ ^8 Dass die Atellanen +und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, sondern +der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt werden. +----------------------------------------------- Ob und wieweit aus +diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik hervorging, ist kaum +zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der fruehesten +Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen +volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste +italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger +unter dem Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen +Zeit. Die uralten Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch +das aelteste unter den kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind +ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae durch +uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende und mit einem grossen +Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In derselben Weise +ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von Tusculum +gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus (tullianum) +am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die +Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore +gleichen sich voellig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des +Albaner Sees hat die groesste Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die +sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in +Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina haeufig vor und gehoeren der +Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken Italiens, obwohl der +groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst viel spaeter, +einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt aufgefuehrt +worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus +grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen +kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus +vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber +die Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme entschied in der +Regel wohl das Material, wie denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur +aus Tuff baute, deswegen der Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie +der beiden ersten einfacheren Arten mag man auf die des Baustoffs und +des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann schwerlich fuer zufaellig +gehalten werden, dass auch der kuenstliche polygone Mauerbau und das +Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden und die unbeschildete +rechte Seite des Angreifers den Verteidigern blosslegenden Torweg den +italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen eignet. Bedeutsame +Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens, der von +den Hellenen zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem +Verkehr war, der eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er +in Etrurien nur in Pyrgi und in den nicht sehr weit davon entfernten +Staedten Cosa und Saturnia begegnet; da die Anlage der Mauer von Pyrgi, +zumal bei dem bedeutsamen Namen ("Tuerme"), wohl ebenso sicher den +Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth, so +steht hoechst wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor +Augen, an denen die Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel +endlich, der in der Kaiserzeit der tuscanische hiess und als eine +den verschiedenen griechischen Tempelbauten koordinierte Stilgattung +betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben wie der griechische ein +gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber welchem Waende +und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im +einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen +Detail, voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem +diesem wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische +Baukunst vor der Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten, +Verhacke und Erd- und Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die +Steinkonstruktion erst in Aufnahme kam durch das Beispiel und die +besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum zu bezweifeln ist es, dass die +Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens kennenlernten und von +ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von chalix), die Maschine +(machina m/e/chan/e/), das Richtmass (groma, verdorben aus gn/o/m/o/n +gn/o/ma) und den kuenstlichen Verschluss (clatri kl/e/thron) ueberkamen. +Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum +gesprochen werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses +neben den durch griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen +manches Eigentuemliche festgehalten oder auch erst entwickelt worden +sein und dies dann wieder auf den Bau der italischen Goetterhaeuser +zurueckgewirkt haben. Die architektonische Entwicklung des Hauses +aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner und selbst der +Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der guten +alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, +sondern nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon +begonnen hatte, das Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem +Muster des menschlichen Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und +dem Geist ein Grabgemach zu errichten. Dass man in Latium zu solchen +Luxusbauten erst unter etruskischem Einfluss vorschritt, beweist die +Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des aeltesten Hausbaustils als +tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser Uebertragung anlangt, so ahmt +der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen Umrisse des Zeltes oder +des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern gebaut und +mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten +Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der +Notwendigkeit und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb +der scharfe griechische Gegensatz zwischen der von Holz +hergerichteten Menschen- und der steinernen Goetterwohnung fremd; die +Eigentuemlichkeiten des tuscanischen Tempels: der mehr dem Quadrat +sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die groessere Weite +der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die gesteigerte +Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber die +tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des +Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues +hervor. --------------------------------------------------------- ^9 +Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils +aus einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier +Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am +Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore +die natuerliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach +aussen durch eine aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen +Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen +Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog sich vor dem +Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die +Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind +in neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen. +Die Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen, +durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, waehrend +die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und +ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den +Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet. +Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des +Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament +gewaltiger Tuffbloecke von drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf +welchem dann aus Bloecken von demselben Material und derselben Groesse, +wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Aussenmauer sich erhob. +Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der oberen Flaeche eine +Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem. Fuss, die +ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine Breite +bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke +aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, +sind erst bei spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen. Den +Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am +Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des +Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom +im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer +Ueberreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind. +^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum. +----------------------------------------------------- Die bildenden und +zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das Haus muss erst +gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu schmuecken. Es ist +nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon waehrend der +roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien, +wo Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird die +Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss +gefasst haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, +stand, wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe +und es moegen wohl die Etrusker in nicht viel spaeterer Zeit von den +Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige +war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von etruskischer +Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermuenzen von Populonia, +fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden +Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen von den +etruskischen Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch +stellten, die besten eben dieser Urzeit angehoert haben, und auch die +etruskischen Terrakotten koennen nicht ganz gering gewesen sein, da die +aeltesten in den roemischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter +Erde, die Bildsaeule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf +seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und die grossen derartigen +Aufsaetze auf den Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern +als "tuscanische Werke" gingen. Dagegen war bei den Italikern, nicht +bloss bei den sabellischen Staemmen, sondern selbst bei den Latinern, +das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen. +Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu +sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht; +dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene +Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in +Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das +Bild der Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, +welches als das aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem +massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea +oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter Zeit in Rom +vorhandenen Zuenfte der Toepfer, Kupfer- und Goldschmiede, welche das +Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst beweisen; von +ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich, eine konkrete +Vorstellung zu gewinnen. Versuchen wir aus den Archiven aeltester +Kunstueberlieferung und Kunstuebung geschichtliche Resultate zu +gewinnen, so ist zunaechst offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie +italisches Mass und italische Schrift nicht unter phoenikischem, sondern +ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich entwickelt hat. Es ist +nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in +der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und +insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten +Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt +auf die drei griechischen Kuenstler: den "Bildner", "Ordner" und +"Zeichner", Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als +zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und zunaechst +nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer +Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbstaendig +entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der +urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten, +so sind doch auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit +nachgeschnitten worden, wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter +griechischer Inschrift sich in Aegina gefunden hat, und koennen also +den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von +dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen. +-------------------------------------------------------- ^11 Wenn Varro +(bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die Roemer mehr als +170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er offenbar +an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen Chronologie +zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne Zweifel +das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro +vorliegenden Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230. +------------------------------------------------------ Auf die weitere +Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die Kunstmuster +zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort +nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der +etruskischen und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, +die in Etrurien wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in +sehr beschraenkter Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei, +die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf +griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet worden. +Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch dem +ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem um +die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines +besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische +Stil dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element +durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage +unter allen griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium +mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen +Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst +versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch fuer die +Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit angenommen +werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen wie im Alphabet +so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und +die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis +widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die +aeltere etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen +Staemmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische +Bau- und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der +westlicheren italischen Staemme nahegetreten. Wenn aber endlich ueber +die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen ein Urteil +gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in +den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher +hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind +und massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter +den latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit +nicht minder wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich +dies allerdings fuer jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso +zweckmaessige wie schoene polygone Mauerbau ist in Latium und dem +dahinterliegenden Binnenland haeufig, in Etrurien selten und nicht +einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken geschichtet. Selbst +in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen Hervorhebung +des Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge +der spaeteren roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen +zu erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau +wiederholt, aber auch verdorben, indem sie die fuer den Steinbau +festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf den Holzbau +uebertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten +Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu +reden, "ein breites, niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen" +gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen +Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial +gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich +angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht +ihre Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein +merkwuerdiges Zeugnis handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig +festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein +Zeugnis auch nur genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben +mag, so gut wie man laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus +der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschliessen +muessen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der +ersten in die letzte Stelle zu versetzen. + + + + +End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 by +Theodor Mommsen + + |
