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+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1, by Theodor Mommsen
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Römische Geschichte Book 1
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3060]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+
+
+
+Römische Geschichte
+
+Erstes Buch
+
+Bis zur Abschaffung des römischen Königtums
+
+von Theodor Mommsen
+
+
+The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Contents
+
+ Vorrede zu der zweiten Auflage
+ Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage
+
+ Erstes Buch—Bis zur Abschaffung des römischen Königtums
+ Kapitel I. Einleitung
+ Kapitel II. Die ältesten Einwanderungen in Italien
+ Kapitel III. Die Ansiedelungen der Latiner
+ Kapitel IV. Die Anfänge Roms
+ Kapitel V. Die ursprüngliche Verfassung Roms
+ Kapitel VI. Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung
+ Kapitel VII. Roms Hegemonie in Latium
+ Kapitel VIII. Die umbrisch-sabellischen Stämme.
+ Anfänge der Samniten
+ Kapitel IX. Die Etrusker
+ Kapitel X. Die Hellenen in Italien.
+ Seeherrschaft der Tusker und Karthager
+ Kapitel XI. Recht und Gericht
+ Kapitel XII. Religion
+ Kapitel XIII. Ackerbau, Gewerbe und Verkehr
+ Kapitel XIV. Mass und Schrift
+ Kapitel XV. Die Kunst
+
+
+
+
+Vorrede zu der zweiten Auflage
+
+
+Die neue Auflage der ‘Roemischen Geschichte’ weicht von der frueheren
+betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten Buechern,
+welche die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo
+die pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich
+selbst Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind
+die Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und
+die Zeit- und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker
+bereiten, von der Art, dass er schwerlich andern und gewiss sich selber
+nicht genuegt. Obwohl der Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen
+Schwierigkeiten der Forschung und der Darstellung ernstlich gerungen
+hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte, so blieb dennoch notwendig,
+hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese Auflage ist eine
+Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die
+staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung
+der dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach
+aufgenommen worden. Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken
+ausgefuellt, die Darstellung durchgaengig schaerfer und reichlicher
+gefasst, die ganze Anordnung klarer und uebersichtlicher gestellt. Es
+sind ferner im dritten Buche die inneren Verhaeltnisse der roemischen
+Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht, wie in der ersten
+Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit wie die
+Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt
+worden.
+
+Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche
+Aufgaben zu loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also
+zu entschuldigen wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf
+jeden Fall hat der Verfasser es dankbar anzuerkennen, dass das
+oeffentliche Urteil nicht jene leicht ersichtlichen Luecken und
+Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr wie den Beifall so
+auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es
+abgeschlossen und fertig war.
+
+Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer
+einzurichten sich bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der
+Stadt ist im Texte beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das
+entsprechende Jahr vor Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist
+durchgaengig das Jahr 1 der Stadt dem Jahre 753 vor Christi Geburt und
+dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt worden; obgleich, wenn die
+verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen Sonnenjahres mit dem 1.
+Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt werden, nach
+genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des
+Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier
+letzten Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4
+entsprechen wuerde. Das roemische und griechische Geld ist durchgaengig
+in der Art reduziert worden, dass Pfundas und Sesterz, Denar und
+attische Drachme als gleich genommen und fuer alle Summen ueber 100
+Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu 100 Denaren der
+heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde gelegt
+wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000
+Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304½
+Talern preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch
+angesetzt wird. Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird
+die militaerische Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als
+die Erzaehlung es vermag. Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser
+die Uebersicht erleichtern. Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird
+dem dritten Bande beigegeben werden **, da anderweitige Obliegenheiten
+es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so rasch, wie er es
+wuenschte, zu foerdern.
+
+——————-
+
+* Hier in Klammern im Text.
+
+** Karte und Register sind hier weggelassen.
+
+——————-
+
+Breslau, im November 1856
+
+Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande
+dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst
+gewesen ist, sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu
+aufgefundenen Fragmenten des Licinianus, welche er durch die
+zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, Herrn Karl Pertz, bereits
+vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat einsehen duerfen und die
+zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der Schlacht bei Pydna
+bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige Ergaenzung,
+freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben.
+
+Breslau, im Mai 1857
+
+
+
+
+Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage
+Einleitung
+
+
+Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte)
+Auflage wird man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich
+abweichend finden. Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den
+Verfasser eines Werkes, wie das vorliegende ist, verpflichtet erachten,
+fuer dessen neue Auflagen jede inzwischen erschienene
+Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu wiederholen. Was
+inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen der
+zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als
+versehen oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu
+einer Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung
+dargeboten. Eine Ausfuehrung ueber die Grundlagen der roemischen
+Chronologie im vierzehnten Kapitel des dritten Buches ist spaeterhin in
+umfassender und dem Stoffe angemessener Weise in einer besonderen
+Schrift (‘Die roemische Chronologie bis auf Caesar’. Zweite Auflage.
+Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung
+der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt
+worden. Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert.
+
+Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am
+4. August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober
+1902.
+
+Meinem Freunde
+Moritz Haupt
+In Berlin
+
+
+
+
+Erstes Buch
+Bis zur Abschaffung des römischen Königtums
+
+
+Τά παλαίστερα σαφώς μέν ευρείν διά χρόνου πλήθος αδύνατα ήν. Εκ δέ
+τεκμηρίων ων επί μακρότατον σκοπούντί μοι πιστεύσαι ξυμβαίνει ου μεγάλα
+νομίζω γενέσθαι, ούτε κατά τούς πολέμους οίτε ες τά άλλα.
+
+Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht
+genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im
+grossen Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht
+erheblich waren, weder in bezug auf die Kriege noch sonst.
+
+Thukydides
+
+
+
+
+KAPITEL I.
+Einleitung
+
+
+Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief
+einschneidend in die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet
+und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald
+wieder sich in betraechtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile der
+Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten
+Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich
+betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein Ganzes
+ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die
+Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der
+Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien
+an uns vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen
+Stammes an dem suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen
+Nation, die die Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein
+bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des
+Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europaeischen
+Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl
+knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an andere Gesichts-
+und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren eigenen
+abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten
+Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger
+Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen
+Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach
+sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder
+ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt
+Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit
+gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom
+bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf
+eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation
+gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle
+Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und
+entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue
+Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie
+die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer ergossen
+und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der
+noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer
+an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von der
+neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die neue
+Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen
+Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl
+anschliesst an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der
+Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, aber auch
+wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und
+Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen
+der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende Muehe
+des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss
+erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst
+das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des
+erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges
+sein; das grossartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und
+kann sie erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so
+wie es am Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde
+und in hoeherem Sinne neu gestellt wird.
+
+Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen
+weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren
+unter den drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in
+das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den
+westlichen Alpen aus nach Sueden sich verzweigenden Gebirge. Der
+Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher Richtung zwischen dem
+breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des Mittelmeers,
+an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu der
+Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen
+erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher
+Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach
+einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in
+einen flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug
+und schliesst dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln
+ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab
+sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete
+Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland,
+demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im
+siebenten Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia bis
+Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte
+Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin.
+Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit
+durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene
+Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen
+eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von
+dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor-
+und Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden
+von dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen
+Ruecken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in
+einfoermiger Flaeche mit schwach entwickelter Kuesten- und Strombildung
+aus. An der Suedkueste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen
+der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Huegelland eine
+ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich und
+fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden
+Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und
+den einst zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-,
+Hafen- und Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften
+Etrurien, Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis
+suedlich von Kampanien das Vorland allmaehlich verschwindet und die
+Gebirgskette fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespuelt
+wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der Peloponnes, so an
+Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und groesste des
+Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor
+allem im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten,
+grossenteils vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie
+geographisch die sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen “Riss”
+(Ρήγιον) der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so
+ist auch geschichtlich Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein
+Teil Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz
+derselben Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren
+Gesittung. Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die
+gemaessigte Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen
+Bergen und im ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der
+Kuestenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche
+Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist
+Italien dem Nachbarn ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die
+fruchtbaren und kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die
+Viehzucht ihrer bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das
+die Taetigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen
+Streben die Bahnen in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem
+Gewinn daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische
+Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische nach Westen.
+Wie das epirotische und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die
+apulischen und messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter
+Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die
+geschichtliche Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten
+schauen, so sehen Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen
+die beiden so eng benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln
+gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von
+Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und
+Hellenen sich doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt
+als auf der naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie
+so oft in den Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker
+vorgezeichnet: die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation
+der Alten Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine
+nach Osten, der andere nach Westen.
+
+Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht
+die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die
+Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien,
+dann ueber die Welt gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren
+geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, was man
+die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu nennen gewohnt ist,
+vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der
+Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein
+Zweig sind.
+
+Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die
+innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung
+des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen
+Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen
+Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefaehrdung seiner
+nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung
+durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch
+Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge
+und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden
+italischen Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie
+auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten
+Jahrhunderts vor Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es
+wird dies den Inhalt der beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten
+Abschnitt eroeffnen die Punischen Kriege; er umfasst die reissend
+schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an und ueber Italiens
+natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen Kaiserzeit
+und das Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten
+und den folgenden Buechern erzaehlt werden.
+
+
+
+
+KAPITEL II.
+Die ältesten Einwanderungen in Italien
+
+
+Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten
+Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im
+Altertum der Glaube allgemein, dass dort wie ueberall die erste
+Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung
+ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische
+Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem
+Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch
+wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines
+Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist.
+
+Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive
+Voelkerschichtung in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung
+von der unvollkommenen zu der vollkommneren Kultur und die
+Unterdrueckung der minder kulturfaehigen oder auch nur minder
+entwickelten Staemme durch hoeher stehende Nationen soweit moeglich
+rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend arm an
+Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in
+einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den
+Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England,
+Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische
+Staemme hier sich ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer
+Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von Jagd und Fischfang
+lebte, seine Geraete aus Stein, Ton oder Knochen verfertigte und mit
+Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des Ackerbaues aber und des
+Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise ging in Indien
+der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige
+Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer
+verdraengten Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und
+Lappen und die schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch
+ist daselbst bis jetzt die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes
+nachgewiesen worden, wie sie die eigentuemlich gearteten Gerippe, die
+Mahlzeit- und Grabstaetten der sogenannten Steinepoche des deutschen
+Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein
+gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in Italien die Existenz
+des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des Ackers und das
+Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens
+das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden
+hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon
+doch jede Spur schlechterdings ausgeloescht.
+
+Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die
+Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von
+einzelnen, wie von den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von
+den Brettiern und den Bewohnern der sabinischen Landschaft, die
+Denationalisierung geschichtlich bezeugt. Nach Ausscheidung beider
+Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, deren Wanderungen nicht
+mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens auf
+aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet
+nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her
+erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet die
+Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig
+angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten,
+angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen
+brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens
+geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer
+Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste
+man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst
+auch fuer uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur
+Bruchstuecke, aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die
+einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit
+ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war
+der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die nachfolgende
+Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen
+auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen
+hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die
+Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen
+den einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren.
+
+So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme
+unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen,
+wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige
+sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der
+Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehoeren.
+
+Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten
+Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel,
+sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in
+ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms
+der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von
+den latinischen und samnitischen Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige
+Angaben und zahlreiche Spuren fuehren dahin, dass die gleiche Sprache
+und der gleiche Stamm urspruenglich auch in Apulien heimisch war. Was
+wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um dasselbe von den
+uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um positiv
+den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der
+Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht
+entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen
+wird. Dass der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen
+die Genetivformen aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya,
+dem griechischen οιο anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der
+Gebrauch der aspirierten Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m
+und t im Auslaut, zeigen diesen iapygischen in wesentlicher
+Verschiedenheit von den italischen und in einer gewissen
+Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer
+vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den
+Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften
+mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in der
+auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen Nationen
+scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich
+hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos’ Zeit (400 Roms, [350])
+als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert
+der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von
+Griechenland aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische
+Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier
+zeigen sich vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei
+dieser allgemeinen Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den
+Hellenen, die aber doch keineswegs so weit reicht, dass man die
+Iapygersprache als einen rohen Dialekt des Hellenischen auffassen
+koennte, wird die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen bleiben
+muessen, bis ein schaerferes und besser gesichertes Ergebnis zu
+erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes nicht sehr empfindlich; denn
+nur weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn
+unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig
+widerstandsfaehige, leicht in andere Nationalitaeten sich aufloesende
+Charakter der iapygischen Nation passt wohl zu der Annahme, welche
+durch ihre geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, dass dies
+die aeltesten Einwanderer oder die historischen Autochthonen Italiens
+sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten Wanderungen der Voelker
+alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen
+Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und
+deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. Kamen
+aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog
+aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der
+Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die am weitesten nach
+Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner Italiens sein werden;
+und eben an dessen aeusserstem suedoestlichen Saume begegnen wir der
+iapygischen Nation.
+
+———————————————————————————-
+
+^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie
+θeotoras artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi.
+
+^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine
+Tatsache von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche
+Vergleichungspunkte hin, eine Verwandtschaft zwischen der iapygischen
+Sprache und der heutigen albanesischen angenommen. Sollte diese
+Stammverwandtschaft sich bestaetigen und sollten anderseits die
+Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen und
+italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener
+hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz
+Griechenland und namentlich in den noerdlichen Landschaften
+hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet damit als
+auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger in Italien
+ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst noch nicht
+folgen.
+
+————————————————————————————————-
+
+Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung
+zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen
+desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm
+sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der
+iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig das
+italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der
+Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner
+einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern, den
+Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den
+Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der
+diesen Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein
+Glied sind in der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche,
+in der sie eine Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist.
+Im Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin
+sie uebereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von
+allen hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit
+selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die
+haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den
+Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch
+eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch
+allein f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen
+soweit moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig
+beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das
+Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung
+der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen
+und mit den Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in
+geringerem als diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen
+im Umbrischen ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist
+begruendet, sondern spaetere Verderbnis, welche sich in derselben
+Richtung wenngleich schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze
+Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im Auslaut
+regelmaessig, lange haeufig ab; die schliessenden Konsonanten sind
+dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zaehigkeit
+festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch diese fallen laesst.
+Damit haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den italischen
+Sprachen nur geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein
+eigentuemliches, durch Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle
+tritt; ferner dass der groesste Teil der Tempora durch
+Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, waehrend den
+Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch der
+Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die italischen Sprachen
+wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, haben sie den
+Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, grossenteils auch
+den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint Anstoss
+daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit
+und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den Beugungen sich
+ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe festhielt.
+Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist die in den
+Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo durchgefuehrte
+Substantivierung der Zeitwoerter.
+
+Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten
+Beispiele genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes
+jedem anderen indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben
+zugleich sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der
+Griechen; der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der
+Deutsche und der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller
+italischen wie aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss
+frueh und klar den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein;
+denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes Wort
+raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen
+bezeichnet, und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Οπικός,
+die von allen, den Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und
+samnitischen Stmmen, nicht aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht
+wird.
+
+Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische
+wieder in einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen
+Dialekten. Allerdings sind von diesen nur zwei, der umbrische und der
+samnitische oder oskische Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in
+aeusserst lueckenhafter und schwankender Weise bekannt; von den
+uebrigen Dialekten sind die einen, wie der volskische und der
+marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie in ihrer
+Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit
+Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der
+sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im
+provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes
+laesst die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen
+daran keinen Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem
+umbrisch-samnitischen Zweig des grossen italischen Stammes angehoert
+haben, und dass dieser, obwohl dem lateinischen Stamm weit naeher als
+dem griechischen verwandt, doch auch wieder von ihm aufs bestimmteste
+sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig sagte der Samnite und
+der Umbrer p, wo der Roemer q sprach - so pis fuer quis; ganz wie sich
+auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem Keltischen
+in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen ist.
+In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt
+den noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen
+italischen Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass
+in der Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten
+Grundvokal abschwaecht, was nicht geschieht in der verwandten
+Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter auf a ist in dieser wie bei den
+Griechen as, bei den Roemern in der ausgebildeten Sprache ae; der der
+Woerter auf us im Samnitischen eis, im Umbrischen es, bei den Roemern
+ei; der Lokativ tritt bei diesen im Sprachbewusstsein mehr und mehr
+zurueck, waehrend er in den andern italischen Dialekten in vollem
+Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im Lateinischen
+vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den Roemern
+fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete
+Futur nach griechischer Art (her-est wie λέγ-σω) bei den Roemern fast,
+vielleicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des
+einfachen Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In
+vielen dieser Faelle, zum Beispiel in den Kasusformen, sind die
+Unterschiede indes nur vorhanden fuer die beiderseits ausgebildeten
+Sprachen, waehrend die Anfaenge zusammenfallen. Wenn also die italische
+Sprache neben der griechischen selbstaendig steht, so verhaelt sich
+innerhalb jener die lateinische Mundart zu der umbrisch-samnitischen
+etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich die
+Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten
+Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und
+in Sparta.
+
+Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines
+historischen Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener
+Sicherheit erschliessen, dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss
+der Voelker und der Sprachen ein Stamm ausschied, der die Ahnen der
+Griechen und der Italiker gemeinschaftlich in sich schloss; dass aus
+diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese wieder in den
+westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in Umbrer
+und Osker auseinander gingen.
+
+Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache
+nicht lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen
+Revolutionen ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft
+lange vor derjenigen Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter
+der Italiker ueber die Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung
+der Sprachen, richtig und vorsichtig behandelt, von demjenigen
+Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand, als jene Trennungen
+eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge der
+Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der
+Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache
+das treue Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen
+technischen und sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv
+aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer
+jene Zeiten zu schoepfen, aus welchen alle unmittelbare Ueberlieferung
+verstummt ist.
+
+Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen
+gleichsprachigen Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen
+Kulturgrad und einen diesem angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame
+Ausstattung in konventionell festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker
+uebernahmen, um auf der gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu
+bauen. Wir finden in diesem Wortschatz nicht bloss die einfachsten
+Bezeichnungen des Seins, der Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum,
+do, pater, das heisst den urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den
+die Aussenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch eine
+Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer
+gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut des
+indogermanischen Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch
+aus spaeterer Entlehnung erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse
+fuer die Entwicklung des Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den
+unabaenderlich fixierten Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gâus ist
+lateinisch bos, griechisch βούς; sanskritisch avis ist lateinisch ovis,
+griechisch όις; sanskritisch açvas, lateinisch equus, griechisch ίππος;
+sanskritisch hansas, lateinisch anser, griechisch χήν; sanskritisch
+âtis, griechisch νήσσα, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus,
+porcus, taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in dieser
+fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf
+unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den
+niedrigsten Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche,
+ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der
+Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen
+dafuer, dass schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache
+spricht eher dagegen als dafuer. Unter den lateinisch-griechischen
+Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von
+ζέα, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, uebrigens im
+Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muss nun
+freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen
+Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende
+Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche
+Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in
+primitiven Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung
+der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder,
+der Weizen- und Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und
+Haferbau der Germanen und Kelten koennten an sich wohl alle auf einen
+gemeinschaftlichen urspruenglichen Feldbau zurueckgehen. Aber auf der
+andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche
+Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, dass man
+vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden
+Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass
+man schon Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine
+Entscheidung ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung,
+dass eine Anzahl der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im
+Sanskrit zwar auch, aber durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung
+vorkommen: agras ist bei den Indern ueberhaupt Flur, kûrnu ist das
+Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmutige
+ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind
+uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das
+zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden
+furcht wie das Schiff die Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der
+Weintraube (vinum) war bei der aeltesten Teilung der Staemme noch nicht
+entwickelt; es kann daher auch nicht wundernehmen, wenn die Beziehungen
+zum Teil sehr verschieden ausfielen und zum Beispiel von dem
+sanskritischen kûrnu sowohl das zum Zerreiben bestimmte Korn als auch
+die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch girnôs ihre Namen
+empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen, dass das
+indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss,
+dass, wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine
+durchaus untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon
+gewesen, was er spaeter den Griechen und Roemern war, so haette er
+tiefer der Sprache sich eingepraegt, als es geschehen ist.
+
+Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen
+sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch δόμος; sanskritisch
+vêças, lateinisch vicus, griechisch οίκος; sanskritisch dvaras,
+lateinisch fores, griechisch θύρα; ferner fuer den Bau von Ruderbooten
+die Namen des Nachens - sanskritisch nâus, griechisch ναύς, lateinisch
+navis - und des Ruders - sanskritisch aritram, griechisch ερετμός,
+lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch der Wagen und die
+Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas (Achse
+und Karren), lateinisch axis, griechisch άξων, αμ-αξα; sanskritisch
+iugam, lateinisch iugum, griechisch ζυγόν. Auch die Benennungen des
+Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch εςθής -
+und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, lateinisch suo;
+sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch νήθω - sind in allen
+indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren Kunst des
+Webens laesst dies dagegen nicht in gleicher Weise sich sagen ^4.
+Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur
+Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes Erbgut
+der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der
+Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen
+verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum),
+vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese
+Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die
+Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis,
+lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet.
+
+———————————————————————-
+
+^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen
+Gerste, Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle,
+Géographie botanique raisonnée. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe,
+dass Gerste und Weizen in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der
+babylonische Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50
+Bonn.).
+
+^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie
+unser weben und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als
+Griechen und Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten
+gehabt haben, und kann diese erst spaeter, wahrscheinlich in
+verschiedenen Gebieten unabhaengig voneinander, in die des Webens
+uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis
+in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die Flachspflanze wohl,
+bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des Leinoels. Der
+Hanf ist den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der
+Flachs; wenigstens sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort.
+
+———————————————————————-
+
+Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck,
+auf denen die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten
+Ende beruht: die Stellung von Mann und Weib zueinander, die
+Geschlechtsordnung, das Priestertum des Hausvaters und die Abwesenheit
+eines eigenen Priesterstandes sowie ueberhaupt einer jeden
+Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche Institution, die
+Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die positive
+Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und
+Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und
+Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert
+ueberall einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft
+und der Religion zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft.
+
+Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch çatam, ékaçatam,
+lateinisch centum, griechisch ε-κατόν, gotisch hund); der Mond heisst
+in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie
+der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus,
+griechisch θεός) gehoeren zum gemeinen Gut der Voelker auch manche der
+aeltesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die Auffassung zum
+Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der Mutter der Wesen,
+die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen auf sorgsam gebahnten
+Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die schattenhafte Fortdauer
+der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen wie der
+griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter
+vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf
+die Namen ueberein - so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der
+Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djâus pitâ der Veden. Auf manche
+raetselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist durch die neuesten
+Forschungen ueber die aeltere indische Goetterlehre ein ungeahntes
+Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen
+sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon mit den aeltesten
+Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche Windspiel Saramâ,
+das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und
+Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden
+Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten
+treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn
+der Saramâ, dem Saramêyas oder Hermeias geworden, und die raetselhafte,
+ohne Zweifel auch mit der roemischen Cacussage zusammenhaengende
+hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint nun
+als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen
+Naturphantasie.
+
+Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor
+der Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte
+der alten Welt angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der
+italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es moeglich ist, auf
+welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand, als Hellenen und
+Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies keine ueberfluessige
+Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der italischen
+Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte.
+
+Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen
+wahrscheinlich ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde
+Halmfrucht kannten, die Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar
+schon ein weinbauendes Volk waren. Dafuer zeugt nicht gerade die
+Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen noch keineswegs einen
+Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein geschichtlicher
+Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der chinesischen,
+aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede
+gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen
+entweder stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden,
+wo es sicher noch keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher
+stehenden Staemme vor alters wie heutzutage die Kulturgeraete und
+Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn die Annalen von China den
+chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten Koenig in einem
+bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf Getreidearten
+zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen wenigstens
+die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig.
+Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der
+Streitwagen, des Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet
+weit oefter einen Schluss auf alten Voelkerverkehr als auf
+urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker
+anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten Beziehungen
+dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, wie
+Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei,
+als voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den
+engsten Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die
+Gemeinschaftlichkeit aller aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke:
+ager αγρός, aro aratrum αρόω άροτρον, ligo neben λαχαίνω, hortus
+χόρτος, hordeum κριθή, milium μελίνη, rapa ραφανίς, malva μαλάχη, vinum
+οίνος, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und italischen
+Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf altattischen und roemischen
+Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten
+Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der
+Sichel zu schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das
+Vieh austreten zu lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides:
+puls πόλτος, pinso πτίσσω, mola μύλη, denn das Backen ist juengeren
+Ursprungs, und wird auch deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes
+stets der Teig oder Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien
+ueber die aelteste griechische Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht
+die Benennung “Weinland” (Οινοτρία), die bis zu den aeltesten
+griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach muss der
+Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die
+Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden
+haben, nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen
+ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte
+Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens scheinen, als der Ackerbau aufkam,
+die Hellenen und Italiker nicht bloss unter sich, sondern auch noch mit
+anderen Gliedern der grossen Familie zu einem Volksganzen verbunden
+gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die wichtigsten jener
+Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der indogermanischen
+Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den keltischen
+sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen gemeinsam
+sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem wohlerworbenen
+Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange nicht
+vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und
+Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung der Sprachen in dieser
+Beziehung hat kaum begonnen, und auch die Geschichtschreibung entnimmt
+immer noch ihre Darstellung der Urzeit vorwiegend, statt dem reichen
+Schacht der Sprachen, vielmehr dem groesstenteils tauben Gestein der
+Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es darum hier genuegen, auf die
+Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur der indogermanischen
+Familie in ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der Kultur
+derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch ungetrennt
+zusammenlebten; die Unterscheidung der den asiatischen Gliedern dieser
+Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen Kulturresultate von
+denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser letzteren, wie die
+griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten,
+kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst nach weiter
+vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen Untersuchungen gemacht
+werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die graecoitalische, wie ja
+fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern des Volks- und
+Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben.
+Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet anstatt
+der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im
+geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta oder
+Εστία, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden
+Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen
+Stammsagen legt dem Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen
+haben muessen, Vitalus oder Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom
+Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft sinnig die urspruengliche
+italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es,
+wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den
+Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das
+Volk bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als
+Feldarbeiter (Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der
+sogenannten roemischen Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes
+Hirten- und Jaegervolk auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten
+knuepfen bei den Italikern wie bei den Hellenen durchgaengig an den
+Ackerbau an ^6.
+
+—————————————————————————————
+
+^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran
+(pfluegen, mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im
+litauischen arti, arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben
+ligo unser Rechen, neben hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle,
+slawisch mlyn, litauisch malunas, keltisch malirr.
+
+Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen,
+dass es eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen
+nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern
+Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles
+Privatvermoegens ist, so beruht dies nicht darauf, dass der Ackerbau
+erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich nach dem System der
+Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es sich von selbst,
+dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung der Staemme noch
+nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet mehr
+oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband,
+als dies spaeter der Fall war.
+
+^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche
+die aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der
+Stadtgruendung setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten
+Goetter in Italien die Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv.
+Aen. 4, 166; A. Rossbach, Untersuchungen ueber die roemische Ehe.
+Stuttgart 1853, S. 257, 301), in Griechenland die Demeter (Plut.
+coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten griechischen Formeln
+die Gewinnung von Kindern selber “Ernte” heisst (Anm. 8); ja die
+aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt ihren Namen und
+ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der
+Stadtgruendung ist bekannt.
+
+————————————————————————————-
+
+Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse
+und die Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher
+Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe
+Vermessung desselben nicht gedacht werden kann. Der oskische und
+umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte entspricht genau dem
+griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist dasselbe.
+Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und zieht
+also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach
+Westen, in deren Schneidepunkt (templum, τέμενος von τέμνω) er steht,
+alsdann in gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele
+Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren
+Ecken die Grenzpfaehle (termini, in sizilischen Inschriften τέρμονες,
+gewoehnlich όροι) bezeichnen. Diese Limitationsweise, die wohl auch
+etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ursprungs ist, finden wir bei
+den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr alten Urkunden der
+tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich ebensowenig von den
+Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern, sondern es
+ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist
+erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man
+selbst, wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht
+gelten liess, sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen
+verteilte Land abschloss.
+
+Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten
+der aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge
+Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische
+Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das
+in Italien bestaendig festgehalten ward; das wesentliche Stueck und
+urspruenglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das
+Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett,
+dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das
+homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster Decke.
+Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist
+altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber
+gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht
+allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und
+Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte
+italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern,
+deren Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft,
+von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin
+trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass
+sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der
+Bank liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzuenden
+durch Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern
+gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker
+zusammen in den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des “Reibers”
+(τρύπανον, terebra) und der “Unterlage” (στόρευς εσχάρα, tabula, wohl
+von tendere, τέταμαι). Ebenso ist die Kleidung beider Voelker
+wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht voellig dem Chiton,
+und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem
+so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern
+gemein, dass die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind,
+was roemischerseits in den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni -
+arquites) deutlich sich ausspricht ^7 und der aeltesten nicht
+eigentlich auf den Nahkampf berechneten Fechtweise angemessen ist. So
+geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte zurueck auf
+dieselben Elemente alles, was die materiellen Grundlagen der
+menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die Erde an
+den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch
+eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden.
+
+——————————————————-
+
+^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher
+verwandte aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit
+λόγχη zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von
+den Deutschen oder Spaniern entlehnt.
+
+——————————————————-
+
+Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen,
+mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster
+Harmonie zu leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt
+in unsers Vaters Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem
+materiellen, wo die Charaktere der Individuen und der Voelker sich
+scheiden. In der graecoitalischen Periode muessen die Anregungen noch
+gefehlt haben, welche diesen innerlichen Gegensatz hervortreten
+machten; erst zwischen den Hellenen und den Italikern hat jene tiefe
+geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf
+den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst
+sind in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so durchaus
+national entwickelt worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf
+der auch hier beide Voelker fussten, dort und hier ueberwuchert und
+unsern Augen fast ganz entzogen ist. Jenes hellenische Wesen, das dem
+Einzelnen das Ganze, der Gemeinde die Nation, dem Buerger die Gemeinde
+aufopferte, dessen Lebensideal das schoene und gute Sein und nur zu oft
+der suesse Muessiggang war, dessen politische Entwicklung in der
+Vertiefung des urspruenglichen Partikularismus der einzelnen Gaue und
+spaeter sogar in der innerlichen Aufloesung der Gemeindegewalt bestand,
+dessen religioese Anschauung erst die Goetter zu Menschen machte und
+dann die Goetter leugnete, das die Glieder entfesselte in dem Spiel der
+nackten Knaben und dem Gedanken in aller seiner Herrlichkeit und in
+aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn gab; und jenes roemische Wesen,
+das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Buerger in die Furcht des
+Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte, das nichts
+forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger
+zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit
+auszufuellen, das die keusche Verhuellung des Koerpers schon dem Buben
+zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als die Genossen,
+ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat alles war und die
+Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe Gedanke - wer
+vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren auf die
+urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide vorbereitete
+und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen Schleier lueften
+zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, die
+Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine
+aeltere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers
+nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen.
+
+Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht
+in Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen
+Dingen gehoert hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des
+gesellschaftlichen Lebens ^8, welche dem Manne die Monogamie gebietet
+und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen
+Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises die
+Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe
+anerkennt. Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit
+ruecksichtslose Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der
+vaeterlichen Gewalt den Griechen fremd und italisches Eigen; die
+sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien sich zur rechtlichen
+Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde die vollstaendige
+Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei lag, von den
+Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen ihren
+Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche
+und rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe
+als ein gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward.
+
+———————————————————————-
+
+^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der
+Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder
+abgeschlossenen” (γάμος επί παίδων γνησίων αρότω - matrimonium
+liberorum quaerendorum causa).
+
+———————————————————————-
+
+Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der
+Nachkommen desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den
+Griechen wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn
+in der schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der
+Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenueber sich noch
+weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint der
+italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenueber die
+Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die
+Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger
+darstellt. Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht
+gegenueber in Griechenland weit frueher und vollstaendiger zur
+innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in
+Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in der bei beiden Voelkern
+durchaus verschiedenartigen Entwicklung der urspruenglich doch
+gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt der
+Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu,
+waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre
+Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten.
+Aber waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh
+verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den
+Roemern, zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das
+Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und
+immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der
+italischen, besonders der roemischen Individualnamen, verglichen mit
+der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde
+zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung der
+Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag.
+
+Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es
+fuer die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren
+italischen wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber
+dennoch die Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits
+enthalten. Die “Gesetze des Koenigs Italus”, die noch in Aristoteles’
+Zeiten angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich
+gemeinsamen Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb
+der Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des
+Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen
+Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten gewesen
+sein. Gericht (crimen, κρίνειν), Busse (poena, ποινή), Wiedervergeltung
+(talio, ταλάω τλήναι) sind graecoitalische Begriffe. Das strenge
+Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die Rueckgabe des
+Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern und
+zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die
+Grundgedanken der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur
+zur Bestaetigung oder Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an
+sie gebrachten Antraege befugte Volksversammlung - sind kaum irgendwo
+so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles’ Bericht ueber die aeltere
+Verfassung von Kreta. Die Keime zu groesseren Staatenbuenden in der
+staatlichen Verbruederung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher
+selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls beiden
+Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen
+hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als
+dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit
+erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung
+keineswegs wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum
+ausgeht. Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien
+und in Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollstaendig der
+ganze Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als
+Sondergut angehoert ^9, wird die weitere Erzaehlung darzulegen haben.
+
+——————————————————————-
+
+^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche
+Voraussetzungen ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist
+nichts so sicher, als dass die roemischen Plebejer erst innerhalb des
+roemischen Gemeinwesens erwuchsen, und doch finden sie ueberall ihr
+Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine Insassenschaft sich entwickelt
+hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes Spiel treibt, versteht
+sich von selbst.
+
+——————————————————————-
+
+Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in
+Hellas dem Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und
+allegorisierter Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die
+allgemeine Analogie zwischen der roemischen und der griechischen
+Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren Entwicklungsstadien so
+wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen Einzelvorstellungen, in der
+schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem
+Begriff des heiligen Raumes (τέμενος, templum), in manchen Opfern und
+Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig
+ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so
+vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten
+Erbgut nur weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils
+unverstanden oder missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders
+sein; denn wie in den Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich
+schieden, welche die graecoitalische Periode noch in ihrer
+Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte, so schied sich auch in ihrer
+Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein Ganzes in der Seele
+gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken am Himmel hin
+gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der Goetter
+die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass
+es, dass die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem
+bloss fuer einzelne Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu
+allen Diensten bereiten und geschickten Goetterboten. Wenn der Donner
+in den Bergen rollte, sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile
+schwingen; wenn der blaue Himmel wieder auflaechelte, blickte er in das
+glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia; und so maechtig lebten
+ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald in ihnen nichts
+sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene Menschen und
+sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl
+anders, aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet
+des italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt,
+dass die Form ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die
+Augen zum Himmel aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn
+jenes Gebet ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur
+verehrt er das Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie
+dem Baum, dem Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene
+und mit ihm vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im
+geistigen Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die
+weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem
+kreisenden Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art.
+Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit
+vergeistigt; so wird beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann
+angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens,
+Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns
+und des Oeffnens der Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt
+und jedes andere physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je
+groessere Kreise indes die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt
+der Gott und die Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die
+Abstraktionen der Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder
+Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei
+den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles
+konkret und koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte,
+vollkommen durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den
+alten Sagenschatz der Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in
+deren Gestalten der Begriff noch zu durchsichtig war, so konnte der
+Roemer ihn noch weniger festhalten, weil ihm die heiligen Gedanken auch
+durch den leichtesten Schleier der Allegorie sich zu trueben schienen.
+Nicht einmal von den aeltesten und allgemeinsten Mythen, zum Beispiel
+der den Indern, Griechen und selbst den Semiten gelaeufigen Erzaehlung
+von dem nach einer grossen Flut uebriggebliebenen gemeinsamen
+Stammvater des gegenwaertigen Menschengeschlechts, ist bei den Roemern
+eine Spur bewahrt worden. Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen
+und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen
+unter den Sterblichen und bedurften nicht des Nektars. Aber dass sie
+dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der platten Auffassung platt
+erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht maechtiger fassten als
+die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von Hellas, davon
+wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische, dem
+Worte wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die
+“Religio”, das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus
+einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen
+Epen, dieses die Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht
+auch in der griechischen Mythologie die Person, in der roemischen der
+Begriff, dort die Freiheit, hier die Notwendigkeit.
+
+Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in
+Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten
+Zeit des vollen und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen,
+sondern einhuellen. Die einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium
+und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare Waffentanz, der “Sprung”
+(triumpus, θρίαμβος, δι-θύραμβος); der Mummenschanz der “vollen Leute”
+(σάτυροι, satura), die, in Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren
+Spaessen das Fest beschliessen; endlich das Instrument der Floete, das
+den feierlichen wie den lustigen Tanz mit angemessenen Weisen
+beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt so deutlich wie
+hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen und der Italiker
+zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden Nationen in keiner
+anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die Jugendbildung blieb
+in Latium gebannt in die engen Schranken der haeuslichen Erziehung; in
+Griechenland schuf der Drang nach mannigfaltiger und doch harmonischer
+Bildung des menschlichen Geistes und Koerpers die von der Nation und
+von den Einzelnen als ihr bestes Gut gepflegten Wissenschaften der
+Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der Duerftigkeit seiner
+kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der kulturlosen Voelker;
+in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den religioesen
+Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene
+Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, derengleichen die
+Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium gibt es im
+oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als Klugheit,
+Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die beseligende
+Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer
+Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen
+Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden.
+
+So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes
+erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die
+Vorzuege der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer
+Fasslichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des
+Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfaehigkeit des
+Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Goetter ist der reiche
+Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich einseitig
+entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit wird
+den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten
+verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht
+bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben
+das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich
+machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten,
+ohne doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die
+ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen
+selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen abging;
+wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt,
+beruht dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern
+auf Spiel und Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die
+Homerischen Gesaenge, nur die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in
+sich zusammen. Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkuer hin
+um der Freiheit willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem
+Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der Einzelne bei dieser
+Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche Keim darueber
+verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl,
+wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter allen
+Kulturvoelkern des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden
+Verfassung die nationale Einheit, die ihm endlich ueber den
+zersplitterten hellenischen Stamm und ueber den ganzen Erdkreis die
+Botmaessigkeit in die Hand legte.
+
+
+
+
+KAPITEL III.
+Die Ansiedelungen der Latiner
+
+
+Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil
+Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung
+ueber Indien, teils in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet.
+Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig;
+jedenfalls muss er im Binnenlande und von der See entfernt gewesen
+sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und dem
+europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen naeher in die
+Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der beiden
+wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen,
+raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer die Annahme
+einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und
+Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine
+engere Lokalisierung ist ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die
+einzelnen Staemme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der
+europaeische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder laengere Zeit in
+Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier
+die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in
+Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom Kaspischen
+Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und andere
+der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist
+es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern,
+Kelten, Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie
+muessen also wohl vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder
+auch des Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort
+die Italiker an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie,
+allein noch mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben moegen, laesst
+sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von
+Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland
+gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in
+ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht
+gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren
+Bergruecken Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich
+noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der
+vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die
+latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in aehnlicher
+Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die ersten
+sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen erst,
+wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die
+latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es
+sich, dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und
+erst von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen
+Voelker draengten.
+
+Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein
+latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber,
+welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und
+Kampanien offenstanden, verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie
+die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern naeher als
+den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor
+der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner;
+denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua,
+Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind
+nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als
+Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und
+wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausōner, Kampanien innehatten.
+Auch die Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern
+bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des
+Rinderlandes), werden von den besten Beobachtern nicht zu dem
+iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt; es ist nichts im
+Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch vor dem
+Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung
+dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische
+Schwaerme die Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich
+verwischt hat. Auch den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer
+setzten sehr alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste
+italische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig
+Morges von Italia (d. h. der Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens
+Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei; und es scheinen
+diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern
+wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu
+Thukydides’ Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende
+Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen Griechisch mit
+dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der alten
+Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den alten
+Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; nach
+allen Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern
+wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das
+eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die
+oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen
+Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen.
+
+Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien,
+Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in
+Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu
+leisten nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie
+namentlich in Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen
+Kraft der sabinischen Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So
+sind die Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausōner nicht dazu
+gekommen, eine taetige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu
+spielen.
+
+Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet
+worden sind und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich
+gegen die Sabiner wie gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten.
+Werfen wir einen Blick auf die Landschaft, die wie keine andere in die
+Geschicke der alten Welt einzugreifen bestimmt war.
+
+Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der
+grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende
+Kraft des Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber
+Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte,
+welchem Volk die Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten
+von den Bergen der Sabiner und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im
+Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe ansteigenden volskischen Gebirg,
+welches von dem Hauptstock des Apennin durch das alte Gebiet der
+Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss des Liris),
+getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem Vorgebirg
+von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem
+Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite
+etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene
+sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem “Bergstrom”, der aus den
+umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt.
+Inselartig steigen in der Flaeche auf teils die steilen Kalkfelsen des
+Soracte im Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Suedwesten, sowie
+die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom; teils
+vulkanische Erhebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und
+zum Teil es noch sind: die bedeutendste unter diesen ist das Albaner
+Gebirge, das nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und
+dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt.
+
+Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem
+Namen der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den
+ausserhalb dieses Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt
+werden, der “alten Latiner” (prisci Latini). Allein das von ihnen
+besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener
+mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des Tiber ist den Latinern
+ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein
+ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die Waffenruhe
+stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die
+Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die
+bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese
+folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und
+sumpfigen Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere
+Geschichte beginnt, in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der
+Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr
+urspruenglich latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes
+zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und
+dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig
+groesser als der jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium,
+die “Ebene” ^1, wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich
+darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des
+sandigen und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird
+ueberall die Flaeche unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich
+steile Tuffhuegel und tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden
+Steigungen und Senkungen des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene
+Lachen, deren Verdunsten in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin
+faulenden organischen Substanzen, die boese fieberschwangere Luft
+entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft
+verpestet. Es ist ein Irrtum, dass diese Miasmen erst durch den Verfall
+des Ackerbaues entstanden seien, wie ihn das Missregiment des letzten
+Jahrhunderts der Republik und das der Paepste herbeigefuehrt haben;
+ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des Wassers und
+wirkt noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf
+einen gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die
+Intensitaet der Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig
+ermittelt ist, zum Teil aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung
+der Oberflaeche das Austrocknen der stehenden Waesser beschleunigt.
+Immer bleibt die Entstehung einer dichten ackerbauenden Bevoelkerung in
+Gegenden, die jetzt keine gesunden Bewohner gedeihen lassen und in
+denen der Reisende nicht gern die Nacht verweilt, wie die latinische
+Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine fuer uns
+befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf einer niedrigen
+Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer das,
+was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre
+Gebote, vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden
+sich inniger anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen
+natuerlichen Verhaeltnissen der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die
+boese Luft ist wohl vorhanden, allein der Bauer entzieht sich ihren
+Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung, Nahrung und Wahl der
+Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva nichts so sicher
+als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus sich
+erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere
+Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht
+erloeschen liess. Im uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden
+ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit
+Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Duengung ertragsfaehig,
+ohne nach italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der
+Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser
+ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung
+jede frische Quelle.
+
+—————————————————————————————
+
+^1 Wie latus (Seite) und πλατύς (platt); es ist also das Plattland im
+Gegensatz zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die “Ebene”
+den Gegensatz bildet zu Samnium. Lātus, ehemals stlātus gehoert nicht
+hierher.
+
+^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie
+politique des Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen
+Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr
+durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberflaeche aus
+dekomponierter Lava und Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die
+Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine
+der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das
+Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von
+Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise
+tritt dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und
+nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des
+Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das
+Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache
+kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer einen Arpent Ackerland ist
+100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt dessen unter sechs
+oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden Verwalter- und
+Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens durch kleine
+Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne Zweifel die
+Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di
+Roma.
+
+———————————————————————————
+
+Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner
+in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und
+wir sind darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges
+indes laesst sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit
+vermuten.
+
+Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl
+Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die
+aeltesten “Landquartiere” (tribus rusticae) zu bilden. Von dem
+Claudischen Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung
+der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht
+ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung
+hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der spaeter
+hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne
+Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter,
+die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben,
+soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii,
+Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen
+Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii,
+Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter all
+diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst
+spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird
+jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus
+aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter
+Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das
+“Haus” (οικία) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch dort
+sehr haeufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die
+entsprechenden italischen Benennungen “Haus” (vicus) oder “Bezirk”
+(pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der
+Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise
+ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so
+gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die
+aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete
+Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der
+Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium
+selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner
+schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist
+eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu
+bestimmen vermoegen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche
+durch eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet
+hat ^3, in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf
+aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen
+mit beruhen mag.
+
+———————————————————————-
+
+^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den
+heutigen Tag festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu
+fuenfzig, ja hundert Koepfen stark, unter den Befehlen des von der
+ganzen Familie auf Lebenszeit gewaehlten Hausvaters (Goszpodár) in
+demselben Hause beisammen. Das Vermoegen des Hauses, das hauptsaechlich
+in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der Ueberschuss wird nach
+Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie und Handel
+bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z. B.
+durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics,
+Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen
+Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit
+entfernen moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde.
+
+————————————————————————-
+
+Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als
+selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer
+politischen Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als
+ein zu gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu
+Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff
+einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher Geschlechtsdoerfer. An
+einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig
+fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-,
+das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der
+Mittelpunkt des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine
+Stadt, sondern nur eine gemeine Versammlungsstaette sein, welche die
+Dingstaette und die gemeinen Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo
+die Gaugenossen an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnuegens
+wegen sich zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh
+vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber
+uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz aehnliche
+alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande der
+Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz
+heisst in Italien “Hoehe” (capitolium, wie άκρα, das Berghaupt) oder
+“Wehr” (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage
+einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen und
+spaeterhin sich umgeben mit dem “Ringe” (urbs mit urvus, curvus,
+vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied
+zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg
+moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur
+ein einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht
+die vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen
+italischen Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst
+spaet und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig
+gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen,
+noch einigermassen sich erkennen laesst. Die Landschaft der Aequiculer,
+die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in unzaehligen
+offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher Mauerringe,
+die als “veroedete Staedte” mit einzelnen Tempeln das Staunen der
+roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre
+“Urbewohner” (aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu
+koennen meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht
+ummauerte Staedte erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen,
+wie sie in aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in
+weniger kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben
+Epoche, wo die zu staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme
+ihren Staedten steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen
+Landschaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die
+Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten,
+ist natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten Landfriedens man
+solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten
+verlassen und bald den spaeteren Generationen ein Raetsel.
+
+Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine
+gewisse Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als
+die urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der
+italischen Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums
+dergleichen Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen
+noch von besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner
+Gebirge, das den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten
+Quellen und die am meisten gesicherte Lage darbot, diese natuerliche
+Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen zuerst besetzt
+worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb
+Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem
+Albanischen Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als
+Ursitz des latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen
+altlatinischen Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten
+latinischen Ortschaften Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich
+auch von jenen uralten Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation
+zu bezeichnen pflegen und gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen
+davon, dass Pallas Athene in der Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in
+die Welt tritt: so die Abschroffung der Felswand unterhalb Alba nach
+Palazzuola zu, welche den durch die steilen Abhaenge des Monte Cavo
+nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden her ebenso
+unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden
+Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor
+allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand
+mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des
+Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen
+und fuer den Ackerbau auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum
+gewonnen worden ist.
+
+Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der
+letzten Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter
+die ansehnlichen Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici,
+Gabii und Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge
+und dem Tiber; Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Kueste sind
+mehr oder minder alte Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von
+zahlreichen andern, minder namhaften und zum Teil fast verschollenen zu
+schweigen. Alle diese Gaue waren in aeltester Zeit politisch souveraen
+und wurden ein jeder von seinem Fuersten unter Mitwirkung des Rates der
+Alten und der Versammlung der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch ging
+nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und Stammgenossenschaft durch
+diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich dasselbe auch in einer
+wichtigen religioesen und staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde
+der saemtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand
+urspruenglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch
+demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstaetten lagen; es war
+dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie gesagt; als der aelteste und
+vornehmste der latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden
+waren anfaenglich dreissig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile
+eines Gemeinwesens in Griechenland wie in Italien ungemein haeufig
+begegnet. Welche Ortschaften zu den dreissig altlatinischen Gemeinden
+oder, wie sie in Beziehung auf die Metropolrechte Albas auch wohl
+genannt werden, zu den dreissig albanischen Kolonien urspruenglich
+gezaehlt worden sind, ist nicht ueberliefert und nicht mehr
+auszumachen. Wie bei den aehnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel
+der Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und Panionien, war der
+Mittelpunkt dieser Vereinigung das “latinische Fest” (feriae Latinae),
+an welchem auf dem “Berg von Alba” (mons Albanus, Monte Cavo) an einem
+alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem
+“latinischen Gott” (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein
+Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede
+teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und
+Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck zu
+empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und
+sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser
+Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen.
+Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg
+von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf
+der benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei
+Marino); und ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht
+gedacht werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine
+fuer die ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen
+Verletzung des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem
+Fall selbst auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und
+glaublich. Auch die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft
+der latinischen Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des
+aeltesten Bundesrechts gedacht werden, so dass also der Latiner mit der
+Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz
+erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer
+die Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und
+Bundesgericht angeordnet haben; dagegen laesst sich eine eigentliche
+Beschraenkung des souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und
+Frieden durch den Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen
+Zweifel, dass mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war,
+einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei
+denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte.
+Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede
+Gemeinde rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es
+ihr umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen
+ein Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass
+waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen
+Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich
+in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit
+zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des
+fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine
+Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre
+politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja
+wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte
+als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war
+der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich
+lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges
+Aggregat verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden,
+sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes.
+Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische
+Gemeinden umfasst haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht
+latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in
+Griechenland ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die
+boeotische oder aetolische Eidgenossenschaft.
+
+———————————————————————-
+
+^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand” (indutiae Macr.
+Sat. 1, 16; εκεχερίαι Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht
+erlaubt, waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.).
+
+^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba
+einstmals in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe,
+findet bei genauerer Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung.
+Alle Geschichte geht nicht von der Einigung, sondern von der
+Zersplitterung der Nation aus, und es ist sehr wenig wahrscheinlich,
+dass das Problem, das Rom nach manchem durchkaempften Jahrhundert
+endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher einmal durch Alba
+geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom niemals als
+Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen
+Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich
+begnuegt hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich
+vereinigte, fuer die hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe
+gewaehrte. Von eigentlichen Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese
+ist, ueberall kaum die Rede sein; und am wenigsten reichen Stellen wie
+Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum
+latinischen Athen zu stempeln.
+
+———————————————————————-
+
+Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die
+Linien schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das
+mannigfache Spiel, wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich
+in Latium gesucht und geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige
+Zeugen voruebergegangen, und es muss genuegen, das Eine und Bleibende
+darin festzuhalten, dass sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt
+zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefuehl der
+nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und damit den
+Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem
+jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen
+Einigung, mit der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte.
+
+
+
+
+KAPITEL IV.
+Die Anfänge Roms
+
+
+Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses
+stromaufwaerts erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel,
+hoehere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an den letzteren
+haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es
+laesst sich natuerlich nicht angeben, wie und wann er aufgekommen ist;
+sicher ist nur, dass in der aeltesten uns bekannten Namensform die
+Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; und diese der
+aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in frueher
+Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis
+fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst
+sich nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind.
+
+———————————————————————-
+
+^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen
+saemtlich aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt
+horreum, Fabii Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus.
+
+———————————————————————-
+
+Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der
+Gliederung der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur
+erhalten, dass dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier
+wahrscheinlich ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und
+Lucerer, zu einem einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus
+wie derjenige war, woraus in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt
+diese Drittelung der Gemeinde ist ^3, zeigt wohl am deutlichsten, dass
+die Roemer namentlich in staatsrechtlicher Beziehung fuer “teilen” und
+“Teil” regelmaessig sagen “dritteln” (tribuere) und “Drittel” (tribus)
+und dieser Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche
+Zahlbedeutung einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser
+drei ehemaligen Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der
+gemeinschaftlichen Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der
+Alten gleichmaessig vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch
+drei teilbare Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der
+heiligen Jungfrauen, der Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der
+Vogelschauer, wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat
+mit diesen drei Elementen, in die die aelteste roemische Buergerschaft
+zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige Meinung,
+dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und
+bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen
+Rassen als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und
+das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine
+Religion rein und volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle
+etruskischer und sabinischer, hellenischer und leider sogar
+pelasgischer Truemmer zu verwandeln. Nach Beseitigung der teils
+widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst sich in wenige Worte
+zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der komponierenden Elemente
+des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden kann. Dass die
+Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da
+sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die
+Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben
+werden. Ueber die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als
+dass nichts im Wege steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm
+zuzuweisen. Dagegen die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der
+Sabina abgeleitet, und dies kann wenigstens zurueckgehen auf eine in
+der titischen Bruederschaft bewahrte Ueberlieferung, wonach dieses
+Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur
+Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden waere. Es mag
+also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der sabellische
+Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf
+gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine
+sabellische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein -
+wahrscheinlich, da die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen
+Ueberlieferung ohne Ausnahme den Platz vor den Ramnern behaupten, in
+der Art, dass die eindringenden Titier den aelteren Ramnern den
+Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener Nationalitaeten
+hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie viel
+tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter
+erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius
+Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese
+Aufnahme der Claudier unter die Roemer berechtigt die aeltere der
+Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den Mischvoelkern
+beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner, im Ritual
+fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische
+Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die
+latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen
+Anhalt ^4. Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung
+einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten
+Stamm die latinische Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise
+getruebt haette; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, dass in
+der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern sich ansaessig machten, die
+latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue
+dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger urspruenglich
+sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner
+gewesen war, ein Teil der latinischen Nation.
+
+———————————————————————————————————
+
+^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht
+notwendig verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem
+Seinigen, aber fuer alle gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk.
+2, 15; Hdt. 1, 170).
+
+^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische τριττύς, die
+umbrische trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der
+Gemeinde eine graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die
+Dreiteilung der roemischen Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung
+mehrerer einstmals selbstaendigen Staemme zurueckgefuehrt werden
+duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung sich also auflehnende
+Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im graecoitalischen
+Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein scheint, und
+ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer koennen
+das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen
+Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit
+Sicherheit nachzuweisen.
+
+^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine
+Mischsprache aus griechischen und nicht-griechischen Elementen zu
+betrachten sei, jetzt von allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst
+besonnene Forscher (z. B. A. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1,
+Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch in dem Lateinischen eine
+Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte finden. Aber
+vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen
+Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied
+zwischen zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass
+dies ebenso wohl und haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als
+auf aeusserlicher Mischung.
+
+—————————————————————————-
+
+Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene
+Ramner, Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den
+roemischen Huegeln ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern
+aus ihre Aecker bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen
+uraeltesten Zeiten mag das “Wolfsfest” sein, das das Geschlecht der
+Quinctier am palatinischen Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest,
+das wie kein anderes die schlichten Spaesse patriarchalischer Einfalt
+bewahrt und merkwuerdig genug noch im christlichen Rom sich unter allen
+heidnischen Festen am laengsten behauptet hat.
+
+Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer
+eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich
+in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut
+worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem
+Wege Rom so frueh zu einer hervorragenden politischen Stellung
+innerhalb Latiums gelangt sein kann, waehrend man nach den
+Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die Staette,
+auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die der
+meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen
+in Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen
+Quellen- denn weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem
+Capenischen Tor noch der spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische
+Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das haeufige Austreten des
+Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in der Regenzeit reichlich
+zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere zuzufuehren
+vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler und
+Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die
+Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es
+ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren
+Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht die erste
+naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt haben koenne,
+sondern dass die Not oder vielmehr irgendein besonderer Grund die
+Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die Legende hat
+diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage Roms
+durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen
+Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch der
+aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so
+unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die
+allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die
+Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche
+Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu
+machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch einen
+Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen
+Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber ueber die
+Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und seiner
+Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen.
+
+Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes.
+Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in
+naechster Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen
+Mauerring entfernt, und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren
+gewesen sein. Gegen Sueden trifft man in einem Abstand von drei
+deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es
+scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben
+als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war
+in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits
+am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau
+ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist,
+erstreckt er sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden
+Ufern des Tiber gegen das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der
+Kueste irgendeine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft,
+irgendeine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die fuer alles
+einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu berichten, dass die
+roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die “sieben Weiler”
+(septem pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig
+Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am
+rechten Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum)
+befestigt, am linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der
+“Muendung” (Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen am
+etruskischen Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark
+gehoert haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am
+vierten Milienstein der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der
+schaffenden Goettin (dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen
+Ackerbaufestes und der Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit
+unvordenklicher Zeit das Geschlecht der Romilier, wohl einst das
+vornehmste unter allen roemischen, eben hier angesessen, das Ianiculum
+ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt
+gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums
+natuerliche Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande
+der notwendige Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit
+uralter Zeit die Grenzwehr des latinischen Stammes gegen die
+noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepôt fuer den latinischen Fluss- und
+Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums eignete kein Platz
+sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und der
+unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide
+Ufer des Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den
+Anio herabkommenden Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der
+damaligen maessigen Groesse der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen
+Seeraeuber groesseren Schutz gewaehrte als die unmittelbar an der
+Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht seine Entstehung, doch seine
+Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhaeltnissen
+verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von
+ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten.
+Daher ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war,
+was fuer Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und
+Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und
+des Brueckenbaues ueberhaupt in dem roemischen Gemeinwesen; daher die
+Galeere als staedtisches Wappen. Daher der uralte roemische Hafenzoll,
+dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht
+was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia
+einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war.
+Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des
+gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in
+Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt,
+mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den
+latinischen eher die juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war
+die Landschaft schon einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge
+sowie manche andere Hoehe der Campagna mit Burgen besetzt, als das
+latinische Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein Beschluss der
+latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen
+Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der
+Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist
+uns nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an
+diese Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere
+Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom
+dem latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt
+gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die
+gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall
+zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher
+beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der
+Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes
+Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der
+Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den
+luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben
+dem Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von
+Fremden und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen
+sein. Die dichte Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das
+hoechstens zu 5½ Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens
+angeschlagen werden kann und schon nach der aeltesten Stadtverfassung
+eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte, also mindestens
+10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art
+einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte
+kennt, der weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und
+Privattaetigkeit auf ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht,
+und dass ihr Gegensatz gegen die uebrigen Latiner und ueberhaupt die
+Italiker vor allem der Gegensatz ist des Buergers gegen den Bauer. Zwar
+ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine
+wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom zunaechst und vor allem eine
+latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor
+der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings
+zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch
+bedingten Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der
+latinischen Landschaften war, so ist es begreiflich, dass hier neben
+und ueber der latinischen Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben
+kraeftig und rasch entwickelte und damit der Grund zu seiner
+Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser merkantilen und
+strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und
+ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig
+verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene
+staedtische Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den
+Ueberlieferungen ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und
+Verschanzungen Roms, deren Anlage mit der Entwicklung des roemischen
+Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen
+sein muss.
+
+Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der
+Jahrhunderte Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen
+nur den Palatin, in spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma
+quadrata) genannt von der regelmaessig viereckigen Form des
+palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern dieses urspruenglichen
+Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei von jenen, die
+Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am
+Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den
+palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung
+wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten.
+Vielfache Spuren deuten darauf hin, dass hier der Mittelpunkt und der
+Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf dem Palatin befand sich das
+heilige Symbol derselben, die sogenannte “Einrichtung” (mundus), darein
+die ersten Ansiedler von allem, dessen das Haus bedarf, zur Genuege und
+dazu von der lieben heimischen Erde eine Scholle getan hatten. Hier lag
+ferner das Gebaeude, in welchem die saemtlichen Kurien jede an ihrem
+eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen Zwecken sich
+versammelten (curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der
+“Springer” (curia saliorum), zugleich der Aufbewahrungsort der heiligen
+Schilde des Mars, das Heiligtum der “Woelfe” (lupercal) und die Wohnung
+des Jupiterpriesters. Auf und an diesem Huegel ward die Gruendungssage
+der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus
+des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige
+Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der
+aus dem Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her
+ueber das Tal des Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte,
+aufgeschossene Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer
+mehr den Glaeubigen gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch
+nicht, und daher hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit
+aufzuweisen. Die Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt
+und deshalb verschollen; nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz
+um den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, die aelteste
+Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber dem
+Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen
+Gemeinde gewesen sein moegen.
+
+Dagegen hat sich in dem “Fest der sieben Berge” (septimontium) das
+Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um
+den Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern
+erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen
+geschuetzt und an den urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den
+Marschen an den Hauptdeich die Aussendeiche, angelehnt. Die “sieben
+Ringe” sind der Palatin selbst; der Cermalus, der Abhang des Palatins
+gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem Fluss zu sich
+ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den Palatin mit dem
+Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen Bauten fast ganz
+verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der Cispius,
+die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucūsa oder Subūra, eine
+ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte,
+unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin
+und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar allmaehlich
+erfolgten Anbauten liegt die aelteste Geschichte des palatinischen Rom
+bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn man die spaeterhin
+auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete Servianische
+Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt.
+
+Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und
+urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in
+Rom wie ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen
+und die aeltesten Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche
+spaeterhin in der Servianischen Stadteinteilung das erste und zweite
+Quartier bilden, liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige
+auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine
+Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der palatinischen
+Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und die
+Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen
+Stadt mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die
+Bestandteile des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem
+Caelius, welche vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem
+Colosseum umfasst hat; die auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche
+der Esquilin gegen den Palatin aus laeuft, endlich das Tal und das
+Vorwerk der Subura, von welcher das ganze Quartier den Namen empfing.
+Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche Stadt, und der
+suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom Bogen
+des Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter
+liegende Tal hin sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch
+aelter gewesen zu sein als die in der Servianischen Ordnung dem
+palatinischen Bezirk einverleibten Siedlungen, da jener diesem in der
+Rangfolge der Quartiere vorangeht. Eine merkwuerdige Erinnerung an den
+Gegensatz dieser beiden Stadtteile hat einer der aeltesten heiligen
+Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt, das auf dem Anger des Mars
+jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde
+bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten zwischen den Maennern
+der Subura und denen von der Heiligen Strasse und je nachdem jene oder
+diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen Turm (unbekannter
+Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem Palatin
+angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier in
+gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren also die
+Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschliesst
+- in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie
+inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der spaeteren
+Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets neben dem
+suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich gegolten.
+Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und Aventin, moegen
+von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor allem die
+“Pfahlbruecke” (pons sublicius) ueber den natuerlichen Brueckenpfeiler
+der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein buergt dafuer
+hinreichend - schon damals bestanden und man auch den Brueckenkopf am
+etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser acht gelassen
+haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in ihren
+Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die
+spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen
+lediglich aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen
+praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende
+sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen oder abgebrannt
+werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die
+roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen
+beherrscht hat.
+
+Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen
+Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die roemische
+staatsrechtlich seit unvordenklich frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu
+ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer urspruenglich selbstaendige
+Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie freilich auch
+urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben
+Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen
+gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist,
+wird der verstaendige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen
+von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden.
+Vielmehr werden schon die beiden Quartiere der aeltesten Stadt, Subura
+und Palatin und ebenso das vorstaedtische jedes in die drei Teile der
+Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhaengen
+kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen wie
+in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare
+Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische
+Siebenhuegelstadt vielleicht gehabt; uns ist keine andere
+Ueberlieferung von derselben geblieben als die des blossen
+Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den neuen Lenz
+zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen,
+also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen
+Rom die Staette bereitet.
+
+Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem
+spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor
+alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft
+gegenueber eine zweite auf dem Quirinal. Die “alte Burg” (Capitolium
+vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und
+einem Tempel der Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege
+oeffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des
+spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und Minervatempel und mit
+dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel
+der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass auch der
+Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens
+gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem
+Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und
+der aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt
+weiter zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten
+Genossenschaften der Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in dem
+spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der
+palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat,
+neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde,
+die ihr Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat
+^5. Alle diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen
+um so hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau
+bekannte Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal
+ausschloss und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die
+drei ersten Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus
+dem Quirinal nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier
+gebildet wurde. So erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der
+Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen
+Esquilin und Quirinal angelegt ward - hier beruehrten sich ja die
+beiderseitigen Marken und musste von den Palatinern, nachdem sie die
+Niederung in Besitz genommen hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal
+eine Burg aufgefuehrt werden.
+
+————————————————————————
+
+^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht
+daraus hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus
+die Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass
+die Fabier zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer
+auf dem Quirinal (Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien
+zusammenhaengen oder nicht.
+
+———————————————————————-
+
+Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli
+2253) Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit
+dem Luperkalkult zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische
+Forschungen, Bd. 1, S. 17) findet sich ausschliesslich bei den
+Quinctiern und den Fabiern; die bei den Schriftstellern gangbare Form
+Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist also entstellt und das
+Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, sondern den
+weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, 30)
+oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern
+genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das
+Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein.
+
+Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner
+vom Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die
+palatinische Stadt sich die “der sieben Berge”, ihre Buerger “die von
+den Bergen” montani) sich nennen, die Bezeichnung “Berg” wie an den
+uebrigen ihr angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet,
+so heisst die quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im
+Gegenteil etwas hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige
+viminalische im genauen Sprachgebrauch nie anders als “Huegel”
+(collis); ja in den sakralen Urkunden wird nicht selten der Quirinal
+als der “Huegel” ohne weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das
+von dieser Hoehe ausfuehrende Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta
+collina), die daselbst ansaessige Marspriesterschaft die vom Huegel
+(salii collini) im Gegensatz zu der vom Palatium (salii Palatini), das
+aus diesem Bezirk gebildete vierte Servianische das Huegelquartier
+(tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der Gegend haftenden Namen
+der “Roemer” moegen dabei die Huegelmaenner ebenso wie die von den
+Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini) sich
+genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich
+eine Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an
+Beweisen, welche ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete
+Gemeinde fuer stammfremd zu erklaeren, fehlt es auch fuer die
+quirinalische Gemeinde durchaus ^7.
+
+—————————————————————
+
+^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz
+hatten, der Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf
+darum doch keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der
+Buergerschaft auf dem Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn
+einerseits fuehren, wie gezeigt ist, alle aeltesten Spuren fuer diese
+auf den Namen Collini; andrerseits ist es unbestreitbar gewiss, dass
+der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher lediglich den
+Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und collini
+durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung
+des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars
+quirinus, der speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf
+dem Quirinal verehrt wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem
+nachher so genannten Quirinustempel gefundenen Inschriften diese
+Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der Unterscheidung
+wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der Huegelroemer
+vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl collis
+agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet
+als der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer.
+
+^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte.
+Bd. 1, S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte
+und von den Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene
+etymologisch-historische Hypothese, dass das lateinische quiris
+quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen Cures verwandt und demnach des
+Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden sei. Auch wenn die
+sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, duerfte daraus
+der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die alten
+Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen
+“latiarischen Huegel” gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet,
+aber nicht erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder
+Deus fidius sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten,
+gebildet offenbar in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch
+ungeschieden beisammen waren. Wenn an den heiligen Staetten des
+spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie der des Semo Sancus
+vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta sanqualis), der
+uebrigens auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder unbefangene
+Forscher darin nur einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht
+fuer ihre Entlehnung aus dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit,
+dass alte Stammgegensaetze dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht
+geleugnet werden; aber wenn dies der Fall war, so sind sie fuer uns
+verschollen und die unseren Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen
+ueber das sabinische Element im Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen
+aus dem Leeren in das Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen.
+
+————————————————————————————
+
+So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit
+noch die Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als
+zwei gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen
+einander gegenueber, einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani
+und die Trasteverini. Dass die Gemeinde der sieben Berge schon frueh
+die quirinalische bei weitem ueberwog, ist mit Sicherheit zu schliessen
+sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstaedte als auch
+aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in der
+spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen
+lassen. Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich
+zu einer rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen
+Bestandteile der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin
+miteinander jaehrlich um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt
+worden; aber auch die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab
+noch keinen gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen
+Kurienherde standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch
+nebeneinander - moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben
+und das ganze Rom eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine
+einheitliche Stadt gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die
+Haeuser der alten und maechtigen Familien gleichsam festungsartig
+angelegt und der Verteidigung faehig, also auch wohl beduerftig. Erst
+der grossartige Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius zugeschrieben
+wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom Palatin und Quirinal,
+sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen des
+Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen
+und somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber
+ehe dieses gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der
+umliegenden Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die
+Periode, in der der Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht
+anders als auf den andern latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in
+gewoehnlichen Zeiten leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen
+Spitzen einen Anfang festerer Ansiedlung darboten, der aeltesten
+handel- und tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht, wie
+dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in den
+“sieben Ringen” zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen
+durch die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der
+Latiner zu regerem und freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor
+allem in Rom und wohl auch zu festerer politischer Einigung in den
+Einzelstaaten wie in der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung
+einer einheitlichen Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit
+jener Epoche, in der die Stadt Rom um die Herrschaft ueber die
+latinische Eidgenossenschaft zu ringen und endlich sie zu erringen
+vermochte.
+
+
+
+
+KAPITEL V.
+Die ursprüngliche Verfassung Roms
+
+
+Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und
+Geraet - das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo
+nicht durch die Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das
+Hauswesen besteht. Darin aber gehen die Voelker hoeherer
+Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen Gegensaetze
+flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefasst und
+durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an
+schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst
+vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse.
+
+Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene
+Gewalt gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu
+Gemeinschaft des Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl
+(durch Confarreatio) angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und
+Sohnessoehnen und deren rechten Frauen und ihren unverheirateten
+Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem, einem von diesen zukommenden
+Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die Kinder der Toechter
+ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich sind, der
+Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in
+gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem
+roemischen Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist
+kein Uebel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder
+gar des Geschlechts ist ein Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche
+darum in fruehester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete,
+durch Annahme fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhaengnis
+auszuweichen. Von vornherein trug die roemische Familie die Bedingungen
+hoeherer Kultur in sich in der sittlich geordneten Stellung der
+Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann nur der Mann sein; die
+Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter dem Manne
+zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem
+Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und
+notwendig gehoert die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist
+auch im Hause notwendig hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das
+Weib dem Manne ^1, die vaterlose unverheiratete Frau ihren naechsten
+maennlichen Verwandten; diese sind es und nicht der Koenig, von denen
+erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird. Aber innerhalb des
+Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin. Befreit von den
+nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden Arbeiten des
+Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische Hausmutter sich
+wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der Spindel,
+die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde die
+sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder von der roemischen
+Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger Frevel, wenn der
+Vater das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch nur zum Nachteil
+desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich wird die Familie
+unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen allmaechtigen Willen des
+Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber ist alles rechtlos, was
+innerhalb des Hauses steht, der Stier und der Sklave, aber nicht minder
+Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die freie Wahl des Mannes zu
+seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind, das sie ihm geboren,
+aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. Es ist nicht
+Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung eingegeben
+hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung und
+Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief und
+ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige
+Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist
+die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren werden, eine
+Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung dachte,
+zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit
+Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie
+gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung
+derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in
+religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem
+Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen
+nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und die
+Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und sie nach
+Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen
+gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken,
+sein “eigenes Vieh” (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber
+rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit
+oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen Haushalte
+gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater
+lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher
+auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie
+vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher
+Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch
+nicht selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls
+befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch
+den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein
+Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, so wird der
+Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, seinem
+Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche
+Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon
+erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche
+mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt
+wurden; so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten
+Sohn verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass
+bei der Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr
+noch der Ehemann den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne
+vorher die naechsten Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der
+Frau, zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung der Gewalt lag
+in der letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht
+zugezogenen Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den
+richtenden Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber
+nicht bloss wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde
+verantwortlich, sondern auch, so lange der Hausherr lebt,
+unabaenderlich und unzerstoerlich. Nach den griechischen wie nach den
+deutschen Rechten ist der erwachsene, tatsaechlich selbstaendige Sohn
+auch rechtlich von dem Vater frei; die Macht des roemischen Hausvaters
+vermag bei dessen Lebzeiten nicht das Alter, nicht der Wahnsinn
+desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille aufzuheben, nur
+dass die Person des Gewalthabers wechseln kann: denn allerdings kann
+das Kind im Wege der Adoption in eines andern Vaters Gewalt kommen, die
+Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des Vaters uebergehen in die
+Hand des Mannes und, aus ihrem Geschlecht und Gottesschutz in das
+Geschlecht und den Gottesschutz des Mannes eintretend, ihm nun untertan
+werden, wie sie bisher es ihrem Vater war. Nach roemischem Recht ist es
+dem Knechte leichter gemacht, sich von dem Herrn, als dem Sohne, sich
+von dem Vater zu loesen; die Freilassung des ersteren ward frueh und in
+einfachen Formen gestattet, die Freigebung des letzteren wurde erst
+viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich gemacht. Ja, wenn der Herr
+den Knecht und der Vater den Sohn verkauft und der Kaeufer beide
+freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der Sohn aber faellt
+durch die Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere vaeterliche
+Gewalt. So ward durch die unerbittliche Konsequenz, mit der die
+vaeterliche und eheherrliche Gewalt von den Roemern aufgefasst wurde,
+dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. Indes, bei aller
+Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an die
+Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der
+Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch
+rechtlich aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch
+abgesehen davon, dass sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam
+erzeigt, ist voruebergehender und gewissermassen stellvertretender Art.
+Weib und Kind sind nicht bloss um des Hausvaters willen da, wie das
+Eigentum nur fuer den Eigentuemer, wie in dem absoluten Staat die
+Untertanen nur fuer den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl auch
+Gegenstand des Rechts, aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht
+Sachen, sondern Personen. Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach,
+weil die Einheit des Hauses im Regiment einen einheitlichen
+Repraesentanten erfordert; wenn aber der Hausherr stirbt, so treten die
+Soehne von selbst als Hausherren ein und erlangen nun ihrerseits ueber
+die Frauen und Kinder und das Vermoegen die bisher vom Vater ueber sie
+geuebten Rechte, wogegen durch den Tod des Herrn die rechtliche
+Stellung des Knechtes in nichts sich aendert.
+
+—————————————————————————-
+
+^1 Es gilt dies nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium
+confarreatione), sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab
+zwar nicht an sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es
+wurden doch die Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und
+der Verjaehrung (usus) ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch
+dem Ehemann der Weg geoeffnet, Eigentumsgewalt ueber die Frau zu
+gewinnen. Bis er sie gewann, also namentlich in der bis zur Vollendung
+der Verjaehrung verfliessenden Zeit, war das Weib, ganz wie bei der
+spaeteren Ehe mit causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, sondern
+pro uxore; bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt
+sich dieser Satz, dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau
+nicht Ehefrau sei, sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur.
+Cic. top. 3, 14).
+
+^2 Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit
+angehoerig, ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der
+spricht.
+
+Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt’ an und lies ihn durch.
+
+Es deckt der schlechte Grabstein eine schoene Frau.
+
+Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie;
+
+Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann;
+
+Zwei Soehne gebar sie; einen liess auf Erden sie
+
+Zurueck, den andern barg sie in der Erde Schoss.
+
+Sie war von artiger Rede und von edlem Gang,
+
+Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh.
+
+Vielleicht noch bezeichnender ist die Auffuehrung des Wollspinnens
+unter lauter sittlichen Eigenschaften, die in roemischen Grabschriften
+nicht ganz selten ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia
+pudica frugi casta domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia
+obsequio lanificzo diligentia fide par similisque cetereis probeis
+feminis fuit. Grabschrift der Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae,
+obsequi, comitatis, facilitatis, lanificiis [tuis adsiduitatis,
+religionis] sine superstitione, ornatus non conspiciendi, cultus
+modici.
+
+——————————————————
+
+Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod des
+Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben
+selbstaendig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher
+Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in
+vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen
+aber, um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Toechter zu
+ordnen. Da nach aelterer roemischer Ansicht das Weib nicht faehig ist,
+weder ueber andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so bleibt die
+Gewalt ueber sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut
+(tutela), bei dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des
+verstorbenen Hausherrn jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der
+naechsten maennlichen Familienglieder, regelmaessig also ueber die
+Muetter durch die Soehne, ueber die Schwestern durch die Brueder. In
+diesem Sinne dauerte die einmal gegruendete Familie unveraendert fort,
+bis der Mannesstamm ihres Urhebers ausstarb; nur musste freilich von
+Generation zu Generation faktisch das Band sich lockern und zuletzt
+selbst die Moeglichkeit des Nachweises der urspruenglichen Einheit
+verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der Unterschied der
+Familie und des Geschlechts, oder, nach roemischem Ausdruck, der
+Agnaten und der Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie
+aber umfasst nur diejenigen Individuen, welche von Generation zu
+Generation aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem
+gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen, das Geschlecht dagegen
+auch diejenigen, welche bloss die Abstammung selbst von einem
+gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr vollstaendig die
+Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen vermoegen. Sehr klar
+spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn es heisst: “Quintus,
+Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, der Quintier”, so
+reicht die Familie so weit, als die Aszendenten individuell bezeichnet
+werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt ergaenzend ein das
+Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf
+alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat.
+
+Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn
+vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen
+Familien- und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar
+nicht die Gaeste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise,
+welche voruebergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig
+die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des
+Hauses angesehen werden, aber wohl die Hoerigen (clientes, von cluere),
+das heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie Buerger irgendeines
+Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschuetzter
+Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen
+Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten,
+teils diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch
+seiner Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche
+Freiheit geschenkt hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner
+Eigentuemlichkeit nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der
+Hoerige blieb ein unfreier Mann, fuer den Treuwort und Herkommen die
+Unfreiheit milderte. Darum bilden die “Hoerigen” (clientes) des Hauses
+in Verbindung mit den eigentlichen Knechten die von dem Willen des
+“Buergers” (patronus, wie patricius) abhaengige “Knechtschaft”
+(familia); darum ist nach urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das
+Vermoegen des Klienten teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen,
+ihn vorkommenden Falls in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am
+Leben zu strafen; und es sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn
+gegen den Klienten nicht so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die
+volle Schaerfe dieses hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und
+wenn auf der andern Seite die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer
+seine eigenen Leute zu sorgen und sie zu vertreten, bei dem
+tatsaechlich freier gestellten Klienten groessere Bedeutung gewinnt als
+bei dem Sklaven. Ganz besonders musste die faktische Freiheit des
+Klienten der rechtlichen da sich naehern, wo das Verhaeltnis durch
+mehrere Generationen hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der
+Freigelassene selber gestorben waren, konnte das Herrenrecht ueber die
+Nachkommen des Freigelassenen von den Rechtsnachfolgern des Freilassers
+nicht ohne schreiende Impietaet in Anspruch genommen werden. Also
+bildete schon in dem Hause selbst sich ein Kreis abhaengig freier
+Leute, die von den Knechten sich ebenso unterschieden wie von den
+gleichberechtigten Geschlechtsgenossen.
+
+Auf diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den
+Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie
+immer erfolgten Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften
+der Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus
+den vereinigten Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer
+einem jener Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in den
+ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und
+begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in unrechter oder
+ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen.
+Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die “Vaterkinder”
+(patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die
+Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien dem
+Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und
+Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem
+Staate gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der
+Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten
+neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich
+natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines jeden
+Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden;
+zwar blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen
+Familie, der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass
+von dem Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die
+Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen
+werden konnten, wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die
+eigentlichen buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht
+trafen. Um so mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft.
+So bestand der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten
+Leuten, den Buergern und den Insassen.
+
+Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter
+sind, so ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im
+ganzen der Familie nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den
+Vater, mit dem dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde
+aber, die unvergaenglich bestehen soll, findet sich kein natuerlicher
+Herr, wenigstens in der roemischen nicht, die aus freien und gleichen
+Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden sich zu ruehmen
+vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter (rex) und Herr
+im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in spaeterer Zeit in
+oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die
+wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und die
+roemischen Penaten zu finden sind - sie alle die sichtbare Einheit des
+obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt
+beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist,
+sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem
+Koenig erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfaehigen Freien
+zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat
+er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt,
+und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern
+der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und
+ernennt alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er
+abschliesst im Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer
+das ganze Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit
+dem Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium)
+ist allmaechtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores,
+von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall voranschreiten, wo
+er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, oeffentlich
+zu den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem
+Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht
+und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich
+Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in
+allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt
+ueber Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den
+Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben
+in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der
+Berufung an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil
+stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet
+das Volk zum Kriege auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber
+muss er bei Feuerlaerm persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie
+der Hausherr im Hause nicht der Maechtigste ist, sondern der allein
+Maechtige, so ist auch der Koenig nicht der erste, sondern der einzige
+Machthaber im Staate; er mag aus den der heiligen oder der
+Gemeindesatzungen besonders kundigen Maennern Sachverstaendigenvereine
+bilden und deren Rat einfordern; er mag, um sich die Uebung der Gewalt
+zu erleichtern, einzelne Befugnisse andern uebertragen, die
+Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im Kriege, die
+Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung der
+Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen
+genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt
+eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt
+neben der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur
+durch den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der
+aeltesten Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die
+Abteilungsfuehrer (tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites)
+und der Reiterei (celeres), sind nichts als Beauftragte des Koenigs und
+keineswegs Magistrate im spaeteren Sinn. Eine aeussere rechtliche
+Schranke hat die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht haben; fuer den
+Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der
+Gemeinde wie fuer den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod
+beendigt seine Macht. Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der
+Alten, auf den im Fall der Vakanz das “Zwischenkoenigtum” (interregnum)
+uebergeht. Eine formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der
+Buergerschaft erst nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum
+auf dem dauernden Kollegium der Vaeter (patres), das durch den
+interimistischen Traeger der Gewalt den neuen Koenig auf Lebenszeit
+einsetzt. Also wird “der hohe Goettersegen, unter dem die beruehmte
+Roma gegruendet ist”, von dem ersten koeniglichen Empfaenger in
+stetiger Folge auf die Nachfolger uebertragen und die Einheit des
+Staats trotz des Personenwechsels der Machthaber unveraenderlich
+bewahrt. Diese Einheit des roemischen Volkes, die im religioesen Gebiet
+der roemische Diovis darstellt, repraesentiert rechtlich der Fuerst,
+und darum ist auch seine Tracht die des hoechsten Gottes; der Wagen
+selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss geht, der Elfenbeinstab
+mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene Eichenkranz
+kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in gleicher Weise
+zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen Verfassung
+eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott
+und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise ineinander
+verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig, sondern viel
+eher der Eigentuemer des Staats. Darum weiss man auch nichts von
+besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von
+irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff
+waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit
+frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr
+kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib
+gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also
+eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor
+allem aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem
+Hause, zum Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber
+Bauern, den Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt
+gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so
+unterwirft sich der Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen
+Besseren zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung
+der Koenigsgewalt. Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das
+Landrecht zu brechen, viel Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern
+ihren Anteil an der Beute schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden
+auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum
+des Buergers; aber wenn er es tat, so vergass er, dass seine
+Machtfuelle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von dem
+Volke, das er vertrat, und wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des
+Eides vergass, den es ihm geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber
+der Koenigsgewalt lag darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu
+aendern befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von
+der Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein
+musste oder ein nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche
+Folgen nicht entsprangen. So ist sittlich und rechtlich die roemische
+Koenigsgewalt im tiefsten Grunde verschieden von der heutigen
+Souveraenitaet und ueberhaupt im modernen Leben so wenig vom roemischen
+Hause wie vom roemischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.
+
+———————————————————————-
+
+^3 Dass Lahmheit vom hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das
+roemische Buergertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums
+war, versteht sich so sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist,
+die Fabeleien ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich
+abzuweisen.
+
+———————————————————————-
+
+Die Einteilung der Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia
+(wohl mit curare = coerare, κοίρανος verwandt); zehn Pflegschaften
+bilden die Gemeinde; jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer
+(daher mil-es, wie equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn
+Ratmaenner. Bei kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben
+natuerlich als Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und
+oskisch) und vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile.
+Diese Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den Personalbestand der
+Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit
+diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, sondern
+auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter
+den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend
+gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum
+Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser
+aeltesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken,
+von denen schon die Rede war.
+
+In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet diese Verfassung in dem Schema
+der spaeterhin unter roemischem Einfluss entstandenen latinischen oder
+Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten dieselben hundert Ratmaenner
+(centumviri). Aber auch in der aeltesten Tradition ueber das
+dreiteilige Rom, welche demselben dreissig Kurien, dreihundert Reiter,
+dreihundert Senatoren; dreitausend Fusssoldaten beilegt, treten
+durchgaengig dieselben Normalzahlen hervor.
+
+—————————————————————
+
+^4 Selbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh
+verschwunden ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben,
+und merkwuerdig genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst
+Grund haben, unter allen deren unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer
+den aeltesten zuhalten, bei der Confarreatio. Es scheint kaum
+zweifelhaft, dass deren zehn Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was
+die dreissig Liktoren in der Dreissigkurienverfassung sind.
+
+—————————————————————-
+
+Nichts ist gewisser, als dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht
+in Rom entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht
+ist, vielleicht sogar ueber die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die
+in solchen Dingen sehr glaubwuerdige roemische Verfassungstradition,
+die fuer alle uebrigen Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte
+hat, laesst einzig die Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung
+der Stadt; und damit im vollsten Einklang erscheint die
+Kurienverfassung nicht bloss in Rom, sondern tritt in dem neuerlich
+aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als
+wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts ueberhaupt.
+
+Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die
+“Teile” koennen schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen sein,
+weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufaellig ist;
+wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung zu, als dass
+das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze gewesen waren,
+sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert, dass der
+einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte gehabt
+habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass im
+Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es
+zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden
+sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare,
+als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser
+Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder
+einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte
+Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt,
+die Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben.
+Darauf, dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise
+eingegriffen hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als
+doppeltes gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in
+der roemischen Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden
+Fall ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen, dass der
+verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht
+veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter,
+noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich
+fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen
+hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem
+Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger genommen
+hat. Das einzig funktionierende Glied in dem aeltesten
+Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere
+Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war
+eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens zu
+gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem
+besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen
+curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und
+geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und
+stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der
+Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die Zahl der
+Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde.
+
+———————————————————————————-
+
+^5 Es liegt dies schon im Namen. Der “Teil” ist, wie der Jurist weiss,
+nichts als ein ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der
+Gegenwart ohne alle Realitaet.
+
+———————————————————————————-
+
+So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen
+war innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt
+es kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie
+des andern Satzes es den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe
+des Gegensatzes zwischen Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern
+tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der
+Behandlung der uralten Institution des Ehrenbuergerrechts, welches
+urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein
+Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger hineingenommen
+ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo er
+dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit
+dem ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist
+es in Hellas immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe
+Mann in mehreren Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das
+lebendiger entwickelte Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass
+man zweien Gemeinden zugleich als Buerger angehoeren koenne, und liess
+fuer den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht die Absicht hatte,
+sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen
+Ehrenbuergerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft
+und Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher
+vorgekommen war.
+
+Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen aussen ging
+Hand in Hand, dass aus dem Kreise der roemischen Buergergemeinde jede
+Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Dass
+die innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich
+nicht beseitigt werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens
+ignoriert wurden, wurde bereits erwaehnt; derselbe, der als Sohn dem
+Vater zu eigen untergeben war, konnte also als Buerger in den Fall
+kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzuege aber gab es nicht;
+dass die Titier den Ramnern, beide den Lucerern in der Reihe
+vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen Eintrag. Die
+Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der Linie
+zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine Eliten- oder
+Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die
+wohlhabendste, bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich
+schloss, war natuerlich angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch
+dieser Gegensatz war rein tatsaechlicher Art und der Eintritt in die
+Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und
+allein die verfassungsmaessige Gliederung der Buergerschaft, welche
+rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die rechtliche
+Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen
+Erscheinung durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der
+Gemeinde vor den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen
+Mann vor dem noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber
+durfte der Reiche und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene
+oeffentlich nur erscheinen in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von
+weissem Wollenstoff. Diese vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist
+ohne Zweifel urspruenglich begruendet in der indogermanischen
+Gemeindeverfassung, aber in dieser Schaerfe der Auffassung und
+Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten und der folgenreichsten
+Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und wohl mag man dabei sich
+erinnern, dass in Italien keine den latinischen Einwanderern botmaessig
+gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und geringerer Kulturfaehigkeit
+begegnet und damit die hauptsaechliche Gelegenheit mangelte, woran das
+indische Kastenwesen, der spartanische und thessalische und wohl
+ueberhaupt der hellenische Adel und vermutlich auch die deutsche
+Staendescheidung angeknuepft hat.
+
+Dass der Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von
+selbst. Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die
+Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die
+Buerger sind zugleich die “Kriegerschaft” (populus, verwandt mit
+populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die “speerbewehrte
+Kriegsmannschaft” (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars
+herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der Koenig sie
+anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des Wehrmanns gefasst.
+In welcher Art das Angriffsheer, die “Lese” (legio) gebildet ward, ist
+schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand
+sie aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die
+Schnellen oder flexuntes, die Schwenker) unter den drei
+Abteilungsfuehrern der Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei
+Tausendschaften der Fussgaenger (milites) unter den drei
+Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni militum); letzteres war
+vermutlich von Haus aus der Kern des Gemeindeaufgebots. Dazu moegen
+etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und Glied fechtende
+Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen sein ^8. Der
+Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser dem Kriegsdienst
+konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger treffen, wie die
+Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im Kriege wie im
+Frieden (I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker oder zur
+Anlage oeffentlicher Bauten; wie schwer namentlich der Bau der
+Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass der Name der “Fronden”
+(moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine regelmaessige direkte
+Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte regelmaessige
+Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es
+derselben nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt
+oeffentliche Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit
+eine solche ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem
+Bezirk geleistet ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von
+dem, der selber nicht dienen konnte oder wollte. Die fuer den
+oeffentlichen Gottesdienst noetigen Opfertiere wurden durch eine
+Prozesssteuer beschafft, indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag,
+eine nach dem Werte des Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse
+(sacramentum) an den Staat erlegte. Von stehenden Geschenken der
+Gemeindebuerger an den Koenig wird nichts berichtet. Dagegen flossen
+dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, 62), sowie die Einnahme von den
+Domaenen, namentlich der Weidezins (scriptura) von dem auf die
+Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die
+die Nutzniesser der Staatsaecker an Zinses Statt abzugeben hatten.
+Hierzu kam der Ertrag der Viehbussen und Konfiskationen und der
+Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde eine Umlage (tributum)
+ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe betrachtet und in
+besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe die Buerger
+ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht
+entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig
+leitete die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, das,
+nach den Angaben ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten
+roemischen Koenigsgeschlechts der Tarquinier zu schliessen,
+regelmaessig bedeutend gewesen sein muss, fiel das Staatsvermoegen
+nicht zusammen und namentlich der durch die Waffen gewonnene Acker
+scheint stets als Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der
+Koenig in der Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen
+beschraenkt war, ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere
+Entwicklung, dass die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein
+kann, wogegen es Sitte sein mochte, die Auflage des Tributum und die
+Verteilung des im Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu
+beraten.
+
+————————————————————
+
+^6 Quĭris quirītis oder quirinus wird von den Alten gedeutet als der
+Lanzentraeger, von quĭris oder cŭris = Lanze und ire, und faellt ihnen
+insofern zusammen mit samnis, samnitis und săbinus, das auch bei den
+Alten von σαύνιον, Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die
+sich anschliesst an arquites, milites, pedites, equites, velites, die
+mit dem Bogen, die im Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne
+Ruestung im blossen Oberwurf gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit
+der roemischen Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden
+die Juno quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als
+speerschwingende Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist
+quiris der Wehrmann, das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der
+Sprachgebrauch ueberein. Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll,
+wird nie von Quiriten gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern
+(urbs Roma, populus, civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so
+wenig eine lokale Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum
+koennen auch diese Bezeichnungen nicht miteinander verbunden werden:
+man sagt nicht civis quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen
+Standpunkten aus, denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet
+die feierliche Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass “dieser
+Wehrmann mit Tode abgegangen” (ollus quiris leto datus), und ebenso
+redet der Koenig die versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und
+spricht, wenn er zu Gericht sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften
+Freien (ex iure quiritium, ganz gleich dem juengeren ex iure civili).
+Populus Romanus, quirites ( populus Romanus quiritium ist nicht
+genuegend beglaubigt) heisst also “die Gemeinde und die einzelnen
+Buerger” und werden darum in einer alten Formel (Liv. 1, 31) dem
+populus Romanus die prisci Latini, den quirites die homines prisci
+Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd. 2, S. 20f.). Diesen
+Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche Unkende noch
+festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen Gemeinde einst
+eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und nach deren
+Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den der
+aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt.
+Vgl. 1, 68 A.
+
+^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt Dionysios (2,
+64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Fuehrer der
+Reiter (οι ηγεμόνες τών Κελερίων). Nach dem praenestinischen Kalender
+wird am 19. Maerz ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus
+pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal.
+1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten roemischen Reiterei einen Fuehrer
+Celer und drei Centurionen, wogegen in der Schrift ‘De viris
+illustribus’ 1 Celer selbst centurio genannt wird. Ferner soll Brutus
+bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen sein (Liv. 1, 59),
+nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die Verbannung der
+Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius (dig. 1,
+2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm schoepfend, Lydus
+(mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem
+magister equitum des republikanischen Diktators, dem Praefectus
+Praetorio der Kaiserzeit.
+
+Von diesen Angaben, den einzigen, die ueber die tribuni celerum
+vorhanden sind, ruehrt die letzte nicht bloss von spaeten und gaenzlich
+unzuverlaessigen Gewaehrsmaennern her, sondern widerspricht auch der
+Bedeutung des Namens, welcher nur “Teilfuehrer der Reiter” heissen
+kann; vor allen Dingen aber kann der immer nur ausserordentlich und
+spaeterhin gar nicht mehr ernannte Reiterfuehrer der republikanischen
+Zeit unmoeglich identisch gewesen sein mit der fuer das Jahrfest des
+19. Maerz erforderlichen, also stehenden Magistratur. Sieht man, wie
+man notwendig muss, ab von der Nachricht des Pomponius, die offenbar
+lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit
+historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, dass die tribuni
+celerum den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und
+die Abteilungsfuehrer der Reiter gewesen sind, also voellig verschieden
+von dem Reiterfeldherrn.
+
+^8 Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und
+arquites und die spaetere Organisation der Legion.
+
+—————————————————————
+
+Indes nicht bloss leistend und dienend erscheint die roemische
+Buergerschaft, sondern auch beteiligt an dem oeffentlichen Regimente.
+Es traten hierzu die Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und
+der noch nicht waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die
+“Lanzenmaenner” (quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der
+Koenig sie berief, um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio,
+contio) oder auch sie foermlich auf die dritte Woche (in trinum
+noundinum) zusammentreten hiess (comitia), um sie nach Kurien zu
+befragen. Ordnungsmaessig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24.
+Maerz und zum 24. Mai, dergleichen foermliche Gemeindeversammlungen an
+und ausserdem, so oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die
+Buerger nicht zum Reden, sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern
+zum Antworten. Niemand spricht in der Versammlung als der Koenig oder
+wem er das Wort zu gestatten fuer gut findet; die Rede der
+Buergerschaft ist einfache Antwort auf die Frage des Koenigs, ohne
+Eroerterung, ohne Begruendung, ohne Bedingung, ohne Fragteilung.
+Nichtsdestoweniger ist die roemische Buergergemeinde eben wie die
+deutsche und vermutlich die aelteste indogermanische ueberhaupt die
+eigentliche und letzte Traegerin der Idee des souveraenen Staats;
+allein diese Souveraenitaet ruht im ordentlichen Lauf der Dinge oder
+aeussert sich doch hier nur darin, dass die Buergerschaft sich zum
+Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig verpflichtet. Zu diesem Ende
+richtet der Koenig, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die
+versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und botmaessig sein und
+ihn selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise anerkennen
+wollen; eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden
+durfte, als die ihr ganz aehnliche Huldigung in der Erbmonarchie
+verweigert werden darf. Es war durchaus folgerichtig, dass die
+Buergerschaft, eben als der Souveraen, ordentlicher Weise an dem Gang
+der oeffentlichen Geschaefte sich nicht beteiligte. Solange die
+oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die Ausuebung der
+bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich souveraene
+Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der
+Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden
+Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem
+einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der
+roemischen Verfassung ohne Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so
+dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird durch
+das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder
+Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und
+Regierten selbst durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig
+sanktioniert wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde
+zustande gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an
+die Buerger gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt
+hat; in welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden
+durfte. Darum ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es
+fassen, der von dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder
+gerichtete Befehl, sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven
+Gewalten des Staates durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag
+^9. Einer solchen Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen
+Faellen, die der ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im
+gewoehnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschraenkt sein Eigentum
+weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass er dasselbe sofort
+aufgibt; dass das Eigentum vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei
+seinem Tode auf einen andern uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es
+sei denn, dass ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloss
+die auf dem Markt versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende
+Buergerschaft bewilligen konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente.
+Im gewoehnlichen Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche
+Gut der Freiheit nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem
+Hausherrn untertan ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt
+unterwerfen - es sei denn, dass ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies
+ist die Adrogation. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann das Buergerrecht
+nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden - es sei
+denn, dass die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben
+gestatte, was beides unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss
+nicht in gueltiger Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf
+trifft den todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein
+Stellvertreter nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die
+Todesstrafe, da der Koenig nur richten, nicht begnadigen kann - es sei
+denn, dass der zum Tode verurteilte Buerger die Gnade der Gemeinde
+anrufe und der Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies
+ist der Anfang der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem
+leugnenden Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen ist, sondern dem
+gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im gewoehnlichen
+Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag
+nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill die
+Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie
+notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird,
+nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag
+bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene
+Frage, wie es scheint, nicht an die gewoehnliche Versammlung der
+Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich ueberhaupt, wenn der
+Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden
+gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und insofern
+ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des
+Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen und
+in allen aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der
+Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein
+zum Patrizier erklaerte Mann blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es
+konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern
+war also die Gemeindeversammlung, wie beschraenkt und gebunden sie auch
+auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des roemischen
+Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als neben dem Koenig.
+
+————————————————————————————
+
+^9 Lēx, die Bindung (verwandt mit lēgare, zu etwas verbinden)
+bezeichnet bekanntlich ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der
+Nebenbedeutung eines Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent
+diktiert und der andere Teil einfach annimmt oder ablehnt; wie dies z.
+B. bei oeffentlichen Lizitationen der Fall zu sein pflegt. Bei der lex
+publica populi Romani ist der Proponent der Koenig, der Akzeptant das
+Volk; die beschraenkte Mitwirkung des letzteren ist also auch
+sprachlich praegnant bezeichnet.
+
+————————————————————————————
+
+Aber neben dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der
+aeltesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum
+Handeln bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch
+neben beide und innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies
+ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe
+hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung,
+dass in dem urspruenglichen Rom die saemtlichen Hausvaeter den Senat
+gebildet haetten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der
+nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des spaeteren Rom seinen
+Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der aeltesten Stadt
+als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies
+wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit
+gegeben hat, wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten
+Bestandteile, das heisst jedes Geschlecht gleichsam monarchisch
+organisiert war und unter einem, sei es durch Wahl der
+Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es durch Erbfolge
+bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat
+nichts gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsaeltesten und
+demnach eine vom Koenig wie von der Buergerversammlung unabhaengige
+Institution, gegenueber der letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit
+der Buerger gebildeten gewissermassen eine repraesentative Versammlung
+von Volksvertretern. Allerdings ist jene gleichsam staatliche
+Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem latinischen Stamm in
+unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der erste und vielleicht
+schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu
+entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, moeglicherweise
+in Latium lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie wir das
+roemische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt
+und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle
+Geschlechtsmaenner abstammen oder abzustammen behaupten, von den
+lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen, so
+dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht
+ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht
+werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des
+Rates der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und
+wichtige Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen,
+die Stellung des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein
+blosser Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner,
+deren Ratschlaege der Koenig einzuholen zweckmaessig findet, beruht
+lediglich darauf, dass er einst eine Versammlung gewesen war gleich
+jener, die Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum zu Rate
+sitzenden Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die
+Gesamtheit der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der
+Mitglieder eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es
+auch nicht war; aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer
+Zeit ist die Zahl der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die
+Gemeinde ohne Ruecksicht auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen
+Geschlechter auf hundert festgestellt worden, sodass von der
+Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der Senatssitze auf
+die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die staatsrechtlich
+notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren zu
+allen Zeiten berufen worden; und wenn in spaeterer Zeit dies
+lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich als von Rechts wegen
+eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden Revisionen der
+Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwuerdigen oder auch nur
+missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese Einrichtung sich
+nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die Wahl der Senatoren
+hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht mehr gab, bei dem
+Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in aelterer Zeit,
+solange noch die Individualitaet der Geschlechter im Volke lebendig
+war, als Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig einen anderen
+erfahrenen und bejahrten Mann derselben Geschlechtsgenossenschaft an
+seine Stelle berufen haben. Vermutlich ist erst mit der steigenden
+Verschmelzung und inneren Einigung der Volksgemeinde hiervon abgegangen
+worden und die Auswahl der Ratsherren ganz in das freie Ermessen des
+Koenigs uebergegangen, so dass nur das noch als Missbrauch erschien,
+wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess.
+
+Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass
+die Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von
+Rechts wegen den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn sie
+auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich auspraegenden
+monarchischen Grundanschauung der Roemer, zur Zeit immer nur von einem
+dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt werden kann. Ein
+jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausuebung,
+aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch
+seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben
+gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur dass
+der des Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators.
+Hierauf beruht es ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die
+koenigliche Gewalt in der roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt
+werden kann. Stirbt der Koenig, so treten ohne weiteres die Aeltesten
+an seine Stelle und ueben die Befugnisse der koeniglichen Gewalt.
+Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur Zeit Herr
+sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es
+unterscheidet sich ein solcher “Zwischenkoenig” (interrex) von dem auf
+Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der
+Gewalt. Die Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber
+festgesetzt auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter
+den Senatoren in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer
+wieder besetzt ist, der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess
+der durch das Los festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls
+auf fuenf Tage uebergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig
+begreiflicherweise von der Gemeinde nicht geleistet. Im uebrigen aber
+ist der Zwischenkoenig berechtigt und verpflichtet, nicht bloss alle
+dem Koenig sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst
+einen Koenig auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von
+ihnen fehlt ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser
+angesehen wird als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem
+Vorgaenger ernannt ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten
+Ende die Traegerin der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes
+(auspicia) des roemischen Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft
+gegeben fuer die ununterbrochene Dauer desselben und seiner
+monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung. Wenn also
+dieser Senat spaeter den Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein
+duenkte, so ist das nur in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat
+eine solche gewesen.
+
+Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser
+Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches
+Glied der roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten
+sich nicht in die Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine
+Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst
+das Heer zu fuehren oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von
+jeher aus dem Senat genommen - weshalb auch spaeter noch die hoechsten
+Befehlshaberstellen regelmaessig nur an Senatoren vergeben und ebenso
+als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder bei
+der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner
+Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom
+nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des
+Senats gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene
+Wahrer der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der
+Buergerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von
+dieser gefassten Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die
+bestehenden Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestaetigung zu
+versagen; oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo
+verfassungsmaessig ein Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei
+jeder Verfassungsaenderung, bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der
+Erklaerung eines Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu.
+Allerdings darf man dies wohl nicht so auffassen, als habe die
+Gesetzgebung der Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich
+zugestanden, etwa wie den beiden Haeusern in dem heutigen
+konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl Gesetzgeber als
+Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur dann kassieren, wenn die
+Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also bestehende
+Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige Staaten oder
+auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren Beschluss
+verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom groessten Gewichte,
+dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die Kriegserklaerung
+beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss erhoben hatte,
+auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu erlegen
+verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war, der
+roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit den
+Worten schloss: “darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim, wie
+wir zu unsrem Rechte kommen”; erst wenn der Rat der Alten sich
+einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft
+beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss war
+es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges
+Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft
+hervorzurufen und durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer
+souveraenen Gewalt zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des
+hoechsten Amtes der Senat die Dauer der Gemeindeverfassung verbuergte,
+finden wir auch hier ihn als den Hort der gesetzlichen Ordnung
+gegenueber selbst der hoechsten Gewalt, der Gemeinde.
+
+Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch die allem Anschein nach
+uralte Uebung an, dass der Koenig die an die Volksgemeinde zu
+bringenden Antraege vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen
+saemtliche Mitglieder eines nach dem anderen darueber ihr Gutachten
+abgeben liess. Da dem Senat das Recht zustand, den gefassten Beschluss
+zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich vorher die Ueberzeugung
+zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu befuerchten sei; wie
+denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich brachte, in
+wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Maenner Rat
+vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung
+nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur
+Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der
+bisher bezeichneten Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des Senats
+hervorgegangen; die Anfaenge indes sind unscheinbar und gehen
+eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn
+sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei Angelegenheiten
+von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also
+zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender
+Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der
+Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das
+eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich,
+rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der
+Koenig beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor;
+ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat
+sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in der
+Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkoenige
+festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den Senatoren
+und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens zu
+berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der
+Ratschlag sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm
+zu folgen, ohne dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner
+Ansicht praktische Geltung zu schaffen als jenes frueher erwaehnte
+keineswegs allgemein anwendbare Kassationsrecht. “Ich habe euch
+gewaehlt, nicht dass ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten”:
+diese Worte, die ein spaeterer Schriftsteller dem Koenig Romulus in den
+Mund legt, bezeichnen nach dieser Seite hin die Stellung des Senats
+gewiss im wesentlichen richtig.
+
+Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische
+Buergergemeinde, an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete;
+aber allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn
+von der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand
+die Versammlung der lebenslaenglich bestellten Gemeindeaeltesten,
+gleichsam ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt, berufen im Fall
+der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven
+Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den
+rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche
+Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch
+die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des
+Koenigs Gebot, gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden
+musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht
+von dem wahren Souveraen, dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer
+keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die aelteste roemische
+Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie.
+Wie in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des
+Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm
+ausgehen, den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen
+Beamten die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische
+Volksgemeinde ungefaehr, was in England der Koenig ist und das
+Begnadigungsrecht, wie in England ein Reservatrecht der Krone, so in
+Rom ein Reservatrecht der Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei
+dem Vorsteher der Gemeinde stand.
+
+Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu dessen
+einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich weit
+entfernt von der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der
+modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte
+wohl ueber die Person des Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten
+und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das
+einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpoenter Handlungen mit
+Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht
+gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und Unrecht
+erschienen. Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich
+der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der
+Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen
+Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen
+Kosten gross gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der
+merkwuerdigsten Saetze der aeltesten roemischen Verfassung, dass der
+Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen
+Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender
+Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst
+die Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese
+Rechtsschranke bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren
+Ausdruck und ihre praktische Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto
+des Senats, der gewiss befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen
+Grundrecht zuwiderlaufenden Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine
+Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so wie die roemische allmaechtig;
+aber in keiner Gemeinde auch lebte der unstraeflich sich fuehrende
+Buerger in gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenueber seinen
+Mitbuergern wie gegenueber dem Staat selbst.
+
+So regierte sich die roemische Gemeinde, ein freies Volk, das zu
+gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem mystischen
+Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter
+sich, in scharfer Auspraegung der eigenen Nationalitaet, waehrend
+zugleich - es wird dies nachher dargestellt werden - dem Verkehr mit
+dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore weit aufgetan
+wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern
+erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht sich, dass sie
+auf der aelteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen
+Verfassung beruht; aber es liegt doch eine unuebersehbar lange Kette
+staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den Verfassungen, wie die
+Homerischen Gedichte oder Tacitus’ Bericht ueber Deutschland sie
+schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen Gemeinde. In dem
+Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des deutschen Umstandes
+lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt der Gemeinde; aber
+es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz und der geregelten
+Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag ferner sein, dass,
+wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den Elfenbeinstab
+sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt hat, so auch die
+zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr vom Ausland
+heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die Entwicklung des
+roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium gehoert, und wie
+wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, beweist die
+durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern
+latinischer Praegung.
+
+Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des roemischen Staats
+fuer alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn trotz der
+wandelnden Formen steht es fest, solange es eine roemische Gemeinde
+gibt, dass der Beamte unbedingt befiehlt, dass der Rat der Alten die
+hoechste Autoritaet im Staate ist und dass jede Ausnahmebestimmung der
+Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst der Volksgemeinde.
+
+
+
+
+KAPITEL VI.
+Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung
+
+
+Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist
+ein grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir Kunde
+haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung des
+Roemerrums endigen die aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem
+aeltesten Verschmelzungsprozess der Ramner, Titier und Lucerer, von dem
+fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der frueheste derartige
+Inkorporationsakt derjenige, durch den die Huegelbuergerschaft aufging
+in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird, als
+sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und die
+durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht werden
+duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der
+Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der
+uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der
+Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg
+ein. Die roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei
+Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen
+Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester
+des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es ist
+glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten
+altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen,
+Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien
+der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind.
+Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den drei Quartieren der
+palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Huegelstadt auf
+dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem urspruenglichen
+Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung
+wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit
+gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in
+Beziehung auf die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren
+Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel
+die roemische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je zehn
+Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen sie nun ihrerseits
+mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die bestehenden Teile
+und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in
+der Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der
+Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit
+den Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan
+jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die
+Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores,
+posteriores). Eben damit haengt wahrscheinlich die in den organischen
+Institutionen der Gemeinde ueberall hervortretende paarweise Anordnung
+zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen
+ausdruecklich als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter
+Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist
+vermutlich aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im
+Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen
+Gemeinde hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische
+Buergerreiterei auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer
+wahrscheinlich auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden
+Vermehrung des Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man
+den nachherigen Gebrauch, dass die Legionen regelmaessig je zwei und
+zwei einberufen wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen, und
+wahrscheinlich ruehrt von dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls
+her, dass nicht, wie wohl urspruenglich, drei, sondern sechs
+Abteilungsfuehrer die Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung
+der Senatsstellen hat entschieden nicht stattgefunden, sondern die
+uralte Zahl von dreihundert Ratsherren ist bis in das siebente
+Jahrhundert hinein die normale geblieben; womit sich sehr wohl
+vertraegt, dass eine Anzahl der angesehensten Maenner der neu
+hinzutretenden Gemeinde in den Senat der palatinischen Stadt
+aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den Magistraturen: auch
+der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig vor, und von seinen
+hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt
+dasselbe. Man sieht, dass die sakralen Institutionen der Huegelstadt
+fortbestanden und in militaerischer Hinsicht man nicht unterliess, der
+verdoppelten Buergerschaft die doppelte Mannszahl abzufordern, im
+uebrigen aber die Einordnung der quirinalischen Stadt in die
+palatinische eine wahre Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir
+mit Recht angenommen haben, dass der Gegensatz zwischen den
+palatinischen Alt- und den quirinalischen Neubuergern zusammenfiel mit
+dem zwischen den ersten und zweiten Titiern, Ramnern und Lucerern, so
+sind die Geschlechter der Quirinalstadt die “zweiten” oder die
+“minderen” gewesen. Indes war der Unterschied sicherlich mehr ein
+Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den Abstimmungen im Rat wurden die aus
+den alten Geschlechtern genommenen Ratsherren vor denen der “minderen”
+gefragt. In gleicher Weise steht das collinische Quartier im Range
+zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen der palatinischen Stadt, der
+Priester des quirinalischen Mars hinter dem des palatinischen, die
+quirinalischen Springer und Woelfe hinter denen vom Palatin. Sonach
+bezeichnet der Synoekismus, durch den die palatinische Gemeinde die
+quirinalische in sich aufnahm, eine Mittelstufe zwischen dem aeltesten,
+durch den die Titier, Ramner und Lucerer miteinander verwuchsen, und
+allen spaeteren: einen eigenen Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde
+in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber noch wenigstens einen
+Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen liess man nicht
+bloss bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme
+von Alba, geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten
+Gemeinde, was spaeterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam.
+
+Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen
+war mehr eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung
+der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozess, der
+weit allmaehlicher durchgefuehrt ward und weit tiefere Folgen gehabt
+hat, reichen die ersten Anfaenge gleichfalls bis in diese Epoche
+zurueck: es ist dies die Verschmelzung der Buergerschaft und der
+Insassen. Von jeher standen in der roemischen Gemeinde neben der
+Buergerschaft die Schutzleute, die “Hoerigen” (clientes), wie man sie
+nannte, als die Zugewandten der einzelnen Buergerhaeuser, oder die
+“Menge” (plebes, von pleo, plenus), wie sie negativ hiessen mit
+Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. Die Elemente zu
+dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt
+ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde
+musste diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich und
+rechtlich zu groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde
+selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hoerige besitzen; besonders
+mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung ihres Gemeinwesens
+es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen, die Masse der
+Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen
+den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, so dass sie
+gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den Geschlechtern,
+sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten. Zweitens aber war
+durch die Gemeinde und deren Macht ueber die einzelnen Buerger die
+Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen missbraeuchliche
+Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu schuetzen.
+Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische Landrecht
+der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte Rechtsstellung
+der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn der Herr bei
+Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament, Prozess,
+Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend
+aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen
+Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner
+Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen
+koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder
+Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher
+Erteilung von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht
+des Gastes in einer mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde
+voraus. Was ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschuetzter
+Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum
+scheinen laengere Zeit hindurch ihre vermoegensrechtlichen Beziehungen
+gleich denen der Sklaven als Rechtsverhaeltnisse des Patrons gegolten
+und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn
+auch zusammenhaengen wird, dass der Patron im Notfall Beisteuern von
+ihnen einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen
+konnte. Aber allmaehlich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln;
+sie fingen an, in eigenem Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne
+die formelle Vermittlung ihres Patrons von den roemischen
+Buergergerichten Recht anzusprechen und zu erhalten. In Ehe und
+Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Buergern zwar weit eher den
+Auslaendern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehoerigen,
+eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl
+gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran
+sich knuepfenden Rechtsverhaeltnisse der eheherrlichen und vaeterlichen
+Gewalt, der Agnation und des Geschlechts, der Erbschaft und der
+Vormundschaft, nach Art der buergerrechtlichen zu gestalten.
+
+——————————————————————————
+
+^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2).
+
+——————————————————————————
+
+Teilweise zu aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts,
+insofern auf Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom
+niederliessen und dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser
+Hinsicht muessen seit uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom
+bestanden haben. Das roemische Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet
+noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils
+jedem dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen
+unbeschraenkte Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel wir
+wissen, jedem, der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern
+befugt war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte
+Recht bewegliches und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum
+stehen konnten, in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu
+erwerben. Es ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den
+Anfang ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch
+das Niederlassungsrecht mit grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde
+ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter
+Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden Fremden gewaehrt hat.
+
+Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die
+Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die
+Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in
+Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis
+mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen des
+Verkehrs, die durch das latinische Buendnis allen Latinern
+gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss
+selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende
+Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der
+Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil
+der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten
+Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in
+seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel
+wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht
+vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern
+und lichtete bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft,
+waehrend die Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit
+ihrem Blute dafuer zu bezahlen.
+
+Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, dass das roemische
+Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat
+der Fall war. Dass er noch laengere Zeit eine zahlreiche Gemeinde
+blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des
+roemischen Buergerrechts an einzelne ansehnliche auswaertige
+Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder nach der
+Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht empfingen - denn
+diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer
+seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise
+stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der
+Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne
+Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht
+erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist
+wenigstens wahrscheinlich, dass die schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom
+bestehende, aber doch gewiss nicht urspruengliche Zivilehe eben
+eingefuehrt ward, um das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmen ^2.
+Auch die Massregeln, durch welche bereits in aeltester Zeit auf die
+Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern
+hingewirkt ward, gehoeren in diesen Zusammenhang.
+
+———————————————————————————-
+
+^2 Die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich,
+dass dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das
+hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die
+religioese Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und
+von der religioesen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin
+abwich, dass die religioese Ehe selbst als eigentuemliche und rechtlich
+notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der
+anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Uebergabe von
+seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, hinzutreten musste, um
+eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden.
+
+———————————————————————————
+
+Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in
+bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen,
+waehrend die der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte;
+und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und
+freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene
+Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen
+Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und vor
+allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des
+Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom
+lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in
+der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder
+und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen
+Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht,
+der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies
+schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und
+die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr
+zurueck. War in aelterer Zeit der Klient ausschliesslich fuer den
+Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so musste, je
+mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der
+Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne
+Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge
+und Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der
+Nichtbuerger, namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen
+Gemeinden, standen ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich
+von Haus aus nicht in der Klientel der koeniglichen und der sonstigen
+grossen Geschlechter und gehorchten dem Koenig ungefaehr in gleicher
+Art wie die Buerger. Dem Koenig, dessen Herrschaft ueber die Buerger
+denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, musste
+es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhaengigen
+Schutzleuten sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu
+bilden.
+
+So erwuchs neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus
+den Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist
+charakteristisch; rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten
+und dem Plebejer, dem Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch
+aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis
+zu einem der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloss den
+Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefuehl der
+besonderen Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der politischen
+Zuruecksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen
+gleichmaessig waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das
+Ausbrechen des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der
+rechtlosen Gemeinde.
+
+Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes
+schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz
+vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen traegt vom
+Koenig Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach
+in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was
+wir wissen, nicht durch historische Ueberlieferung, sondern nur durch
+Rueckschluesse aus den spaeteren Institutionen wissen; aber ihr Wesen
+zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben koennen,
+denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie muss
+vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige ihren
+Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf
+Befreiung von der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der
+Nichtbuerger teils zu der Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung,
+dem Staat im Notfall vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden,
+teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung
+zusammengefasst, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen
+ist die Heranziehung der Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen
+Lasten: es wurden diese frueh auch auf die “Begueterten” (locupletes)
+oder die “stetigen Leute” (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich
+Vermoegenslosen, die “Kinderzeuger” (proletarii, capite censi) blieben
+davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der
+Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die
+Buergerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules,
+mochten sie Buerger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus
+einer persoenlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung
+folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige Mann vom
+achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der
+Hauskinder ansaessiger Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass
+selbst der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu
+Grundbesitz gelangt war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen
+Auslaendern war der Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden
+zum Dienst herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten
+derselben der Fall war, auf roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen
+hatten. Nach der Groesse der Grundstuecke wurde die kriegstuechtige
+Mannschaft eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die
+Vollhufener, welche in vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und
+insofern vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von
+den vier folgenden Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern
+von Dreivierteln, Haelften, Vierteln und Achteln einer ganzen
+Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung der Dienstpflicht, nicht aber
+die volle Armierung verlangt ward, und sie also unterhalb des
+Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der damaligen Verteilung des
+Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen Vollhufen, waehrend die
+Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufener
+reichlich ein Achtel der Ansaessigen ausmachten; weshalb festgesetzt
+ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig Vollhufener je zwanzig der
+drei folgenden und achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden
+sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei: die Zahl der
+Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin wich man hier
+ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den alten Namen
+(Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern blieben,
+waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern gebildet
+wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, dass man
+damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und nach der
+Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus
+militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und
+regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen
+Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man
+denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre
+hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu
+machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen,
+soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes
+einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei - zu
+stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein
+Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont.
+
+——————————————————————————
+
+^3 Aus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem
+Eintritt der Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der
+Fussmannschaft aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion
+einberufen.
+
+——————————————————————————-
+
+Die nicht ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der
+Wehrpflichtigen stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und
+Spielleute zu stellen sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet
+(velati) mit dem Heer zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit
+den Waffen der Kranken und Gefallenen ausgeruestet in die Reihe
+eingestellt wurden.
+
+Zum Behuf der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in
+vier “Teile” (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer
+lokalen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe
+gleiches Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem
+die Strasse dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den
+esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die
+“Huegel” im Gegensatz der “Berge” des Kapitol und Palatin, bildeten.
+Von der Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen
+und gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und
+quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es
+herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem dieser
+Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der
+Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten,
+ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung.
+Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und
+nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen
+Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung
+zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der
+raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig
+zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder
+ein Larenaltar errichtet ward.
+
+Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annaehernd den vierten Teil
+wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militaerischen Abteilung
+zu stellen, sodass jede Legion und jede Zenturie gleich viel
+Konskribierte aus jedem Bezirk zaehlte, um alle Gegensaetze
+gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und gemeinsamen
+Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den maechtigen Hebel
+des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger zu einem Volke
+zu verschmelzen.
+
+Militaerisch wurde die waffenfaehige Mannschaft geschieden in ein
+erstes und zweites Aufgebot, von denen jene, die “Juengeren”, vom
+laufenden achtzehnten bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre,
+vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden, waehrend die “Aelteren” die
+Mauern daheim schirmten. Die militaerische Einheit ward in der
+Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine vollstaendig nach alter
+dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx von sechstausend Mann,
+die sechs Glieder hoch eine Front von tausend Schwergeruesteten
+bildete; wozu dann noch 2400 “Ungeruestete” (velites, s. 1, 84, A.)
+kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die
+vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und sechsten
+standen die minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten
+Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx
+hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte
+Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind,
+war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann,
+davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden
+Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der
+fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der
+Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum
+Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die
+fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde;
+wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann kam, 80
+Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten
+Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die
+der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei,
+welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft
+nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des
+roemischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an
+20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der roemischen
+Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der Einfuehrung dieser neuen
+Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei
+steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt,
+sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen
+Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn
+die roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt
+haeufig durch Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte
+Schranke umgingen.
+
+Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfaeltigere
+Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde
+entweder jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, dass ein
+Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre
+Aecker mit dem Zubehoer, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug-
+und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veraeusserung, die
+nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde fuer nichtig erklaert
+und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich
+Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus
+der servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus
+hervorgegangen.
+
+Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militaerischer
+Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch nicht ein
+einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung
+der Zenturien hinwiese; und dies allein muss fuer jeden, der in solchen
+Dingen zu denken gewohnt ist, genuegen, um ihre Verwendung zu
+politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu erklaeren. Wenn, wie
+wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr
+ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies
+keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und
+neben den Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn
+auch die Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die
+Schlagfertigkeit der Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu
+steigern, und insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische
+Ordnung fuer die Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so
+wirkte doch folgeweise die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft
+auch auf ihre politische Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden
+muss, muss auch Offizier werden koennen, solange der Staat nicht faul
+ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und
+Kriegstribunen ernannt werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den
+Kurien vertretenen Buergerschaft durch die Zenturieninstitution der
+Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmaelert werden sollte,
+so mussten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige
+Buergerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot
+geuebt hatte, uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien.
+Die Zenturien also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines
+Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig
+der spaeteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer
+Beteiligung der Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu
+bezeichnen; allein zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die
+Zenturien mehr folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden
+waere, und nach wie vor der Servianischen Reform galt die
+Kurienversammlung als die eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung
+das ganze Volk dem Koenig verpflichtete. Neben diesen neuen
+grundsaessigen Vollbuergern standen die angesessenen Auslaender aus dem
+verbuendeten Latium als teilnehmend an den oeffentlichen Lasten, der
+Steuer und den Fronden (daher municipes); waehrend die ausser den
+Tribus stehenden, nicht ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts
+entbehrenden Buerger nur als steuerpflichtig (aerarii) in Betracht
+kommen.
+
+Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger
+und Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei
+politischen Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische
+Staatsrecht beherrscht haben.
+
+Wann und wie diese neue militaerische Organisation der roemischen
+Gemeinde ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen moeglich. Sie
+setzt die vier Quartiere voraus, das heisst, die Servianische Mauer
+musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand. Aber auch das
+Stadtgebiet musste schon seine urspruengliche Grenze betraechtlich
+ueberschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel Teilhufener oder
+Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den Flaechenraum der
+vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht moeglich
+sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir als Minimum 10000
+Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 deutschen
+Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide,
+Haeuserraum und nicht kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz
+bringt, das Gebiet zu der Zeit, wo diese Reform durchgefuehrt ward,
+mindestens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich aber
+eine noch betraechtlichere, gehabt haben muss. Folgt man der
+Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 ansaessigen und
+waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem
+ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist,
+zeigt ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft
+ueberliefert, sondern vermutungsweise berechnet, indem die 16800
+Waffenfaehigen des Normalstandes der Infanterie nach einem
+durchschnittlichen die Familie zu fuenf Koepfen ansetzenden Ueberschlag
+eine Zahl von 84000 Buergern zu ergeben schienen und diese Zahl mit der
+der Waffenfaehigen verwechselt ward. Aber auch nach jenen maessigeren
+Saetzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer
+Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen und mindestens der
+dreifachen Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grundsaessigen
+Leuten und Knechten notwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend
+zwischen Tiber und Anio gewonnen, sondern auch die albanische Mark
+erobert war, bevor die Servianische Verfassung festgestellt wurde;
+womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das Verhaeltnis der
+Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl nach urspruenglich
+gestellt hat, ist nicht zu ermitteln.
+
+—————————————————————————————
+
+^4 Schon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3,
+5; Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen:
+Ps. Aur. Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach
+Plut. Crass. 2 zu berichtigen ist) den Empfaengern klein.
+
+Die Vergleichung der deutschen Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum
+und Morgen, beide urspruenglich mehr Arbeits- als Flaechenmasse,
+koennen angesehen werden als urspruenglich identisch. Wenn die deutsche
+Hufe regelmaessig aus 30, nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen
+bestand, und die Hofstaette haeufig, wenigstens bei den Angelsachsen,
+ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei Beruecksichtigung der
+klimatischen Verschiedenheit und des roemischen Heredium von zwei
+Morgen die Annahme einer roemischen Hufe von 20 Morgen den
+Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern,
+dass die Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst.
+
+———————————————————————————-
+
+Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese
+Servianische Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf,
+sondern dass sie den Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich
+traegt gleich der Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos,
+anderseits, dass sie entstanden ist unter griechischem Einfluss.
+Einzelne Analogien koennen truegen, wie zum Beispiel die schon von den
+Alten hervorgehobene, dass auch in Korinth die Ritterpferde auf die
+Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung der Ruestung
+wie der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist sicher
+kein zufaelliges Zusammentreffen. Erwaegen wir nun, dass eben im
+zweiten Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien
+von der reinen Geschlechterverfassung fortschritten zu einer
+modifizierten, die das Schwergewicht in die Haende der Besitzenden
+legte ^5, so werden wir hierin den Anstoss erkennen, der in Rom die
+Servianische Reform hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben
+Grundgedanken beruhende und nur durch die streng monarchische Form des
+roemischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte
+Verfassungsaenderung.
+
+——————————————————————-
+
+^5 Auch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung
+und der Behandlung der attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu
+werden. Athen hat eben wie Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen
+die Tore geoeffnet und dann auch dieselben zu den Lasten des Staates
+mit herangezogen. Je weniger hier ein unmittelbarer Zusammenhang
+angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es sich, wie dieselben
+Ursachen - staedtische Zentralisierung und staedtische Entwicklung -
+ueberall und notwendig die gleichen Folgen herbeifuehren.
+
+
+
+
+KAPITEL VII.
+Roms Hegemonie in Latium
+
+
+An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und
+leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit
+dem Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde
+allmaehlich in den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein
+und politische Maechte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von
+jenen fruehesten Raufhaendeln und Beutezuegen, in denen der Charakter
+der Voelker sich bildet und sich aeusserst wie in den Spielen und
+Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns
+ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche
+Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse der
+einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu
+erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und
+seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich
+aeltesten Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits
+angegeben worden; sie waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa
+eine deutsche Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten
+sich einzig gegen die Kueste zu bis an die etwas ueber drei deutsche
+Meilen von Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). “Groessere und kleinere
+Voelkerschaften”, sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten Rom,
+“umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen
+Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren”. Auf
+Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten
+Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein.
+
+Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen
+Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina,
+Corniculum, Cameria, Collatia drueckten am naechsten und
+empfindlichsten auf Rom und scheinen schon in fruehester Zeit durch die
+Waffen der Roemer ihre Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als
+selbstaendige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk spaeter nur Nomentum,
+das vielleicht durch Buendnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den
+Besitz von Fidenae, dem Brueckenkopf der Etrusker am linken Ufer des
+Tiber, kaempften Latiner und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter
+mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio
+und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im
+Gleichgewicht; bis in die spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand
+als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabinische Boden als
+Prototyp des feindlichen Landes ^1. Durch diese Eroberungen mochte das
+roemische Gebiet sich auf etwa 9 Quadratmeilen erweitert haben. Aber
+lebendiger als diese verschollenen Kaempfe ist, wenn auch in
+sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte Waffentat der
+Roemer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole Latiums,
+ward von roemischen Scharen erobert und zerstoert. Wie der
+Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht
+ueberliefert; der Kampf der drei roemischen gegen die drei albanischen
+Drillingsbrueder ist nichts als eine personifizierte Bezeichnung des
+Kampfes zweier maechtiger und eng verwandter Gaue, von denen wenigstens
+der roemische ein dreieiniger war. Wir wissen eben nichts weiter als
+die nackte Tatsache der Unterwerfung und Zerstoerung Albas durch Rom
+^2.
+
+——————————————————————————
+
+^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii
+und Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche
+geschichtliche Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago,
+Fregellae in der Tat stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends
+nachweisbar und hoechst unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte
+Bannfluchformulare auf diese beiden verhassten Staedte gestellt und
+wurden von spaeteren Antiquaren fuer geschichtliche Urkunden gehalten.
+
+^2 Aber zu bezweifeln, dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom
+ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist,
+scheint kein Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, dass der Bericht
+ueber Albas Zerstoerung in seinen Einzelheiten eine Kette von
+Unwahrscheinlichkeiten und Unmoeglichkeiten ist; aber das gilt eben von
+jeder in Sagen eingesponnenen historischen Tatsache. Auf die Frage, wie
+sich das uebrige Latium zu dem Kampfe zwischen Alba und Rom verhielt,
+haben wir freilich keine Antwort; aber die Frage selbst ist falsch
+gestellt, denn es ist unerwiesen, dass die latinische Bundesverfassung
+einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings
+untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl
+albischer Familien in den roemischen Buergerverband der Zerstoerung
+Albas durch die Roemer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua
+eine roemische Partei gegeben haben? Entscheidend duerfte aber der
+Umstand sein, dass Rom in religioeser wie in politischer Hinsicht als
+Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt; welcher Anspruch nicht auf die
+Uebersiedelung einzelner Geschlechter, sondern nur auf die Eroberung
+der Stadt sich gruenden konnte und gegruendet ward.
+
+————————————————————
+
+Dass in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner
+Gebirge festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von
+acht benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere
+latinische Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre
+spaetere verhaeltnismaessig ansehnliche Macht begruendet haben moegen,
+laesst sich vollends nur vermuten.
+
+Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte ueber den
+rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser aeltesten
+latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, dass sie
+nach demselben Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die
+dreiteilige roemische Gemeinde hervorgegangen war; nur dass die durch
+die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene
+aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten Gemeinde eine
+gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern voellig und
+spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des
+latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen
+politischen Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger
+legte er selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die
+Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und
+kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in
+dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die
+faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte man
+nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische
+Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein
+Ortsbuerger-, sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen,
+das allgemeine roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz
+bestimmte sich auch das Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch
+Waffengewalt oder auch durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren
+untertaenig wurden. Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark
+zu der Mark der Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie
+ihren Goettern in dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat
+gegruendet. Eine foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die neue
+Hauptstadt, wie sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist,
+wird man hierunter freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die
+Staedte Latiums konnten in dieser Zeit wenig mehr sein als die
+Festungen und Wochenmaerkte der Bauern; im ganzen genuegte die
+Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den neuen Hauptort. Dass
+selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, laesst sich an dem
+Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen Staedten noch nach der
+Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz geblieben sein muss.
+Selbst wo die Festigkeit des geschleiften Ortes eine wirkliche
+Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man mit Ruecksicht
+auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen Weilern ihrer
+alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch die
+ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem neuen
+Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen Erzaehlungen
+aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen Staatsrechts, dass
+nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das
+Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde den ueberwundenen,
+uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das Schutzverwandtenrecht
+aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem
+Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt. Noch in der
+Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die roemische
+Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier,
+Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das
+Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtuemer,
+unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in
+der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob.
+
+————————————————————————
+
+^3 Hieraus entwickelte sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder
+Buergerkolonie (colonia civium Romanorum), das heisst einer faktisch
+gesonderten, aber rechtlich unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde,
+die in der Hauptstadt aufgeht wie im Vermoegen des Vaters das Peculium
+des Sohnes und als stehende Besatzung vom Dienst in der Legion befreit
+ist.
+
+^4 Darauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i
+mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im
+privatrechtlichen Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht
+zustehen. An die latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht
+sein, da deren rechtliche Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt
+wird und das Zwoelftafelgesetz ueberhaupt nur vom Landrecht handelt;
+sondern die sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heisst die
+von den Roemern in das Plebejat genoetigten Gemeinden Latiums.
+
+—————————————————————
+
+Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren
+war natuerlich nichts weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht
+bloss die Entwicklung Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich
+um die Gegensaetze der nationalen Zentralisation und der kantonalen
+Selbstaendigkeit, sondern es gilt das gleiche auch von der Entwicklung
+der Hellenen. Es war dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat,
+aus der in Latium Rom und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe
+Fusion war es, welche der weise Thales dem bedraengten Bunde der
+ionischen Staedte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalitaet
+bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken
+folgerichtiger, ernstlicher und gluecklicher festhielt als irgendein
+anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in
+Hellas die Folge seiner fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom
+seine Groesse lediglich demselben hier noch weit energischer
+durchgefuehrten System zu danken.
+
+Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als
+gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen
+betrachtet werden duerfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine
+besondere Bedeutung zu. Es sind nicht bloss die problematische Groesse
+und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die
+Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die
+Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die
+Vorstandschaft unter den dreissig berechtigten Gemeinden. Die
+Zerstoerung Albas hob natuerlich den Bund selbst so wenig auf wie die
+Zerstoerung Thebens die boeotische Genossenschaft ^5; vielmehr nahm,
+dem streng privatrechtlichen Charakter des latinischen Kriegsrechts
+vollkommen entsprechend, Rom jetzt als Rechtsnachfolgerin von Alba
+dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und welche Krisen der
+Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, vermoegen
+wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die roemische Hegemonie
+ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu haben, wenn auch
+einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii,
+zeitweilig sich ihr entzogen haben moegen. Schon damals mochte Rom als
+seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, als
+Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenueberstehen, schon damals nur
+mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten gegen Karthager, Hellenen
+und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn
+sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der materielle
+Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser
+war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte
+Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich,
+dass Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste
+latinische Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was
+dadurch gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste
+und damit die Grundlage der kuenftigen Hegemonie der roemischen
+Gemeinde ueber die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist
+wichtig, diese entscheidenden Verhaeltnisse so bestimmt wie moeglich zu
+bezeichnen.
+
+——————————————————————————
+
+^5 Es scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde
+Bovillae gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen
+latinischen Staedte eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung
+bezeugt der Iulierkult und der Name Albani Longani Bovillenses
+(Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und
+Cicero (Planc. 9, 23).
+
+———————————————————————————————-
+
+Die Form der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines
+gleichen Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der
+latinischen Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede
+in der ganzen Mark und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer
+die Verteidigung festgestellt ward. “Friede soll sein zwischen den
+Roemern und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde
+bestehen; sie sollen nicht Krieg fuehren untereinander noch Feinde ins
+Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll
+Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und gleichmaessig verteilt
+werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg.” Die verbriefte
+Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im
+Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache
+und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen
+Beziehungen des Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches
+erreicht wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken.
+Allerdings blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den
+Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem roemischen nicht
+notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit
+der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den latinischen
+Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstuemliche
+Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die
+Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin,
+dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz
+Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den
+Bestimmungen ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des
+einzelnen Buergers. Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des
+latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem Staat, wo er frei
+gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Buergerrecht
+einbuessen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war,
+das Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem
+Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz
+erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der
+Bundesstaaten sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten
+Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln
+aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn der
+Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden muesse jenseits der
+Tibergrenze, das heisst ausserhalb des Bundesgebietes, und die Klausel
+des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, dass der von den
+Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er
+einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft
+innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch
+Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon
+frueher bemerkt worden ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte
+konnte zunaechst jeder Latiner nur da ausueben, wo er eingebuergert
+war; dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, dass
+jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder,
+nach heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen
+Buergerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenoessisches
+Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Buerger
+anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle
+Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt
+ausschlug, die allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen
+Erwerb, staedtische Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der
+Insassen in Rom sich reissend schnell vermehrte, seit die latinische
+Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich.
+
+In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde
+selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten
+eingriffen, sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig
+Gemeinden als solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert
+wird, dass Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere
+gewesen sei als die Roms, und dass die letzteren durch Albas Sturz die
+Autonomie erlangt haetten, so ist dies insofern wohl moeglich, als Alba
+wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem
+Bunde gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie
+die Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen
+Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas
+Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms
+Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit
+gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt
+zu haben, waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter
+Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten Vorsitzenden,
+ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit der
+Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit
+der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels
+auf dem Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom
+und Latium, teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward.
+Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem
+Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde
+ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der die ohne
+Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der
+maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten
+zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in
+dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise des
+Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken
+Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand
+ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte
+der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste
+hier den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn,
+nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus
+der Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der
+getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut
+gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die
+Bundesglieder verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die
+roemisch-latinische Foederation nur durch Rom vertreten worden ist,
+laesst sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag
+untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg
+zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluss, sei es infolge eines
+feindlichen Ueberfalls, ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der
+Fuehrung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat
+rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals
+schon die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein
+einheitlicher Staat und ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung
+zueinander treten, das Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen
+pflegt.
+
+Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines
+verhaeltnismaessig bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die
+fuehrende Macht innerhalb der latinischen Eidgenossenschaft, sein
+unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter ausgedehnt hat, koennen wir
+nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunaechst den Veientern,
+hoerten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht auf; es
+scheint aber nicht, dass es den Roemern gelang, diesen auf dem
+latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen
+etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die
+Veienter aus dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu verdraengen. Dagegen
+behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten im Besitz des
+Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung. Den Sabinern und
+Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr ueberlegenen Stellung;
+von der spaeterhin so engen Verbindung mit den entfernteren Hernikern
+werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit bestanden und
+die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen Nachbarn von zwei
+Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der bestaendige
+Kriegsschauplatz aber war die Suedgrenze, das Gebiet der Rutuler und
+mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die latinische
+Landschaft sich am fruehesten erweitert, und hier begegnen wir zuerst
+den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande begruendeten und als
+autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft konstituierten
+Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von denen die
+aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen. Wie weit
+indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit sich
+erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den
+benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den
+roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede;
+aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme
+von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern
+enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen
+Roms gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat,
+laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr
+gegenueber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der
+Republik entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon in
+der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin
+stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge
+hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit
+Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein
+fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen.
+
+So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu
+einigen und zugleich sein Gebiet nach Osten und Sueden hin zu
+erweitern; Rom selbst aber war durch die Gunst der Geschicke und die
+Kraft der Buerger aus einer regsamen Handels- und Landstadt der
+maechtige Mittelpunkt einer bluehenden Landschaft geworden. Die
+Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung und die darin im Keim
+enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der
+Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit
+dieser innerlichen Umwandlung des roemischen Gemeindewesens. Aber auch
+aeusserlich musste mit den reicher stroemenden Mitteln, mit den
+steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont der
+Charakter der Stadt sich aendern. Die Verschmelzung der quirinalischen
+Nebengemeinde mit der palatinischen muss bereits vollzogen gewesen
+sein, als die sogenannte Servianische Reform stattfand; seit in dieser
+die Buergerwehr sich in festen und einheitlichen Formen
+zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft nicht dabei beharren,
+die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander mit Gebaeuden sich gefuellt
+hatten, zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes
+die Flussinsel und die Hoehe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu
+halten. Die Hauptstadt von Latium verlangte ein anderes und
+abgeschlossenes Verteidigungssystem: man schritt zu dem Bau der
+Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende Stadtwall begann am
+Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen Huegel, an dem
+neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den
+Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen, die kolossalen
+Ueberreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind,
+Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus
+maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken unregelmaessig
+geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer gewaltigen Epoche,
+deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich dastehen und deren
+geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit fortwirken
+werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum
+des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem
+(1862) wieder in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau, nach aussen
+von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben
+geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt zu
+abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den
+Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum
+Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des
+Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal
+an den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum
+gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere
+Hoehe ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg
+gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau
+ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und
+bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Huegel
+die neue “Burg” (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem Burgbrunnen, dem
+sorgfaeltig gefassten “Quellhaus” (tullianum), der Schatzkammer
+(aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der
+Buergerschaft (area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die
+regelmaessigen Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben.
+Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf
+dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum zwischen den beiden
+Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder,
+wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit
+Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden
+aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene
+vertrieb. Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole
+Roms, ein selbstaendiges, auch noch nach dem Fall der Stadt
+verteidigungsfaehiges Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem
+spaeteren Markt zu gelegen hat ^8. In aehnlicher Weise, wenn auch
+schwaecher, scheint der Aventin befestigt und der festen Ansiedelung
+entzogen worden zu sein. Es haengt damit zusammen, dass fuer eigentlich
+staedtische Zwecke, zum Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten
+Wassers, die roemische Stadtbewohnerschaft sich teilte in die
+eigentlichen Stadtbewohner (montani) und in die innerhalb der
+allgemeinen Ringmauer gelegenen, aber doch nicht zu der eigentlichen
+Stadt gerechneten Bezirke (pagani Aventinenses, Ianiculenses, collegia
+Capitolinorum et Mercurialium) ^9. Der von der neuen Stadtmauer
+umschlossene Raum umfasste also ausser der bisherigen palatinischen und
+quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und
+des Aventin, ferner das Ianiculum ^10; der Palatin als die eigentliche
+und aelteste Stadt ward von den uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer
+entlang gefuehrt war, wie im Kranz umschlossen und von den beiden
+Kastellen in die Mitte genommen. Aber das Werk war nicht vollstaendig,
+solange der mit schwerer Muehe vor dem auswaertigen Feinde geschirmte
+Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen war, welches das Tal zwischen
+dem Palatin und dem Kapitol dauernd fuellte, sodass hier vielleicht
+sogar eine Faehre bestand, und das Tal zwischen dem Kapitol und der
+Velia sowie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die heute noch
+stehenden, aus prachtvollen Quadern zusammengefuegten unterirdischen
+Abzugsgraeben, welche die Spaeteren als ein Wunderwerk des koeniglichen
+Rom anstaunten, duerften eher der folgenden Epoche angehoeren, da
+Travertin dabei verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der
+republikanischen Zeit erzaehlt wird; allein die Anlage selbst gehoert
+ohne Zweifel in die Koenigszeit, wenngleich vermutlich in eine spaetere
+Epoche als die Anlage des Mauerrings und der kapitolinischen Burg.
+Durch sie wurden an den entsumpften oder trockengelegten Stellen
+oeffentliche Plaetze gewonnen, wie die neue Grossstadt sie bedurfte.
+Der Versammlungsplatz der Gemeinde, bis dahin der kapitolinische Platz
+auf der Burg selbst, ward verlegt auf die Flaeche, die von der Burg
+gegen die Stadt sich senkte (comitium), und dehnte von dort zwischen
+dem Palatin und den Carinen in der Richtung nach der Velia hin sich
+aus. An der der Burg zugekehrten Seite der Dingstaette erhielten auf
+der nach Art eines Altanes ueber die Dingstaette sich erhebenden
+Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste der Stadt bei
+Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz; und auf dem
+Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das spaeter den
+Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den Richterstuhl
+(tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft gesprochen ward
+(die spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der Dingstaette selbst
+errichtet. Ihre Verlaengerung gegen die Velia ward der neue Markt
+(forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem Palatin, erhob sich das
+Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia) und den
+gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels, einschloss;
+nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein dazu
+gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde oder
+der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der Kirche
+Santi Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in ganz
+anderer Art, als die Ansiedelung der “sieben Berge” es gewesen war,
+geeinigte Stadt, dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit
+deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt
+hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche
+Stadtherd trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten
+sich die Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen
+Aventin und Palatin ward fuer die Rennspiele der “Ring” abgesteckt; das
+ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt
+und bald entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere.
+Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf
+dem Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg
+der weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all
+diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die
+umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der
+Besiegten triumphierte.
+
+————————————————————
+
+^6 Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium
+von der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden
+Spitze des Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den
+griechischen άκρα und κορυφή entsprechend, appellativ, wie denn jede
+latinische Stadt ihr capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des
+roemischen Burghuegels ist mons Tarpeius.
+
+^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret,
+untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht
+die Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt
+Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386.
+
+^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die “Heilige Strasse”, auf die
+Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach
+links macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen.
+Dieses selbst wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus
+stattfanden, untergegangen sein. Das sogenannte Tor an der steilsten
+Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem Namen des janualischen
+oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in Kriegszeiten
+stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese
+Bedeutung und ist nie ein wirkliches Tor gewesen.
+
+^9 Es kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr.
+2, 5, 2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen
+Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2,
+27; Cic. a.a.O.; Preller, Roemische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S.
+597) ebenfalls mit magistri (Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal,
+wo der Mercurtempel sich befand; 3. die pagani Aventinenses ebenfalls
+mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani pagi Ianiculensis ebenfalls
+mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiss nicht zufaellig, dass
+diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom vorkommen, eben
+den von den vier oertlichen Tribus aus-, aber von der Servianischen
+Mauer eingeschlossenen beiden Huegeln, dem Kapitol und dem Aventin, und
+dem zu derselben Befestigung gehoerigen Ianiculum angehoeren; und damit
+steht weiter im Zusammenhang, dass als Bezeichnung der gesamten
+staedtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird - vgl.
+ausser der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber
+die staedtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340:
+[mon]tani paganive si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die
+Bewohner der palatinischen drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer
+die ganze eigentliche Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu
+sein; die pagani sind sicher die ausserhalb der Tribus stehenden
+Genossenschaften von Aventin und Ianiculum und die analogen Kollegien
+vom Kapitol und dem Circustal.
+
+^10 Die “Siebenhuegelstadt” im eigentlichen und religioesen Sinn ist
+und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das
+Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit (vgl.
+z. B. Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt
+betrachtet, wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig
+gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu
+gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung gelangt,
+welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen zu
+den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus,
+Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus
+zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der
+traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen Entstehung der Stadt
+(Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S.
+206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil sonst acht
+herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge
+(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins
+des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin,
+Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal,
+offenbar als colles, fehlen und dafuer zwei “montes” vom rechten
+Tiberufer, darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer
+liegende Vaticanus mit hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen
+geben Servius (Aen. 6, 783), die Berner Scholien zu Vergils Georgiken
+(2, 535) und Lydus (mens. p. 118 Bekker).
+
+^11 Sowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis
+des Dionysios (2, 25), dass der Vestatempel ausserhalb der Roma
+quadrata lag, bezeugen es, dass diese Anlagen nicht mit der
+palatinischen, sondern mit der zweiten (Servianischen) Stadtgruendung
+im Zusammenhang stehen; und wenn den Spaeteren dieses Koenigshaus mit
+dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist die Ursache dieser
+Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen.
+
+—————————————————————
+
+Die Namen der Maenner, auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten
+sich erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer
+in den aeltesten roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich
+knuepft die verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus
+an Tullus Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus
+Marcius, die grosse Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an
+Tarquinius den Aelteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius
+Tullius. Manche dieser Angaben moegen richtig sein, und es scheint
+nicht zufaellig, dass der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen
+Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der Stadtwaelle
+wesentliche Ruecksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach
+zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnuegen muessen,
+aus dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet,
+dass diese zweite Schoepfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie ueber
+Latium und mit der Umschaffung des Buergerheeres im engsten
+Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus einem und demselben grossen
+Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber weder eines Mannes noch eines
+Menschenalters Werk ist. Dass auch in diese Umgestaltung des roemischen
+Gemeindewesens die hellenische Anregung maechtig eingegriffen hat, ist
+ebenso unzweifelhaft, als es unmoeglich ist, die Art und den Grad
+dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, dass die
+Servianische Militaerverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und
+dass die Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird
+spaeter gezeigt werden. Auch das neue Koenigshaus mit dem Stadtherd ist
+vollstaendig ein griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten
+schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte Vestatempel in
+keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach hellenischem Ritus
+erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, was die
+Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft
+die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster diente und darum
+auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen
+Artemision nachgebildet ward.
+
+
+
+
+KAPITEL VIII.
+Die umbrisch-sabellischen Stämme.
+Anfänge der Samniten
+
+
+Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen
+Staemme begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts
+bewegte, jedoch mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche
+Kueste zu sich hielt. Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde
+davon kommt zu uns wie der Klang der Glocken aus der im Meer
+versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die
+Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie in aeltester
+Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die illyrischen
+Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den
+Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen
+Sueden zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba),
+verglichen mit den ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluss
+gestatten. Dieser Epoche der umbrischen Groesse moegen die offenbar
+italischen Namen der aeltesten Ansiedlungen im Potal, Atria
+(Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die zahlreichen umbrischen
+Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name von Clusium,
+Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders begegnen
+dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen
+italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich Etruriens zwischen dem
+Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der
+Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach
+Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als die etruskische, und
+neuerdings sind daselbst derartige Inschriften zum Vorschein gekommen,
+deren Alphabet und Sprache zwar auch mit dem Etruskischen
+Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem Latinischen analog
+ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis
+gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere und Rom.
+Wahrscheinlich haben die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend
+spaeter als die Landschaft nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern
+entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische
+Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter nach der roemischen
+Eroberung im Vergleich mit dem zaehen Festhalten etruskischer Sprache
+und Sitte im noerdlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende
+Latinisierung der suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin
+ihren letzten Grund. Dass von Norden und Westen her die Umbrer nach
+harten Kaempfen zurueckgedraengt wurden in das enge Bergland zwischen
+den beiden Armen des Apennin, das sie spaeter innehaben, bezeichnet
+schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, wie heutzutage die der
+Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre aehnlichen Schicksale
+andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die Tusker den Umbrern
+dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in den
+Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden
+nebst anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde
+verwuenscht.
+
+————————————————————
+
+^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der
+lateinischen (R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es
+kann nur aus dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies
+sehr getreu darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten
+Latein nah; Marci Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic
+cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo sentem …. dedet cuando …
+cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de
+senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit
+diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften gefunden von
+abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.
+
+———————————————————-
+
+Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes
+dringen die Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf
+dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon von den latinischen Staemmen
+besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten
+oft betretend und beschraenkend und mit ihnen sich um so leichter
+vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise damals noch bei
+weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir spaeter ihn
+finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss von
+dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen
+mit den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen
+Westkueste wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in
+den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten Landschaft neben
+Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil die latinische
+Bevoelkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; waehrend
+anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser Widerstand zu leisten
+vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner Genossenschaften, wie
+der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren zu koennen
+oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und drueben,
+woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in
+zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die
+Sabina so frueh und so schnell sich latinisieren konnten.
+
+Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina
+oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich
+anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der
+Westkueste die bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den
+Einwanderern wich oder sich unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen
+apulischen Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung der Iapyger,
+zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und
+Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen
+stattfanden, laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber
+doch um die Zeit, wo in Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt,
+dass die Sabiner, gedraengt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das
+heisst schwuren, die in dem Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter,
+nachdem sie erwachsen waeren, preiszugeben und ueber die Landesgrenze
+zu schaffen, damit die Goetter sie nach ihrem Gefallen verderben oder
+auswaerts ihnen neue Sitze bescheren moechten. Den einen Schwarm
+fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die
+zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer
+Zeit von da aus die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den
+Quellen des Tifernus besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre
+Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei Bojano gelegen, von dem Stier,
+der sie leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen fuehrte der
+Specht des Mars: das wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die
+heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf (hirpus) in
+die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In aehnlicher Weise
+zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die uebrigen kleinen
+Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran
+Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen
+Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner
+See, diese mit den Volskern und den Latinern sich beruehrend. In ihnen
+allen blieb das Gefuehl der Verwandtschaft und der Herkunft aus dem
+Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich
+ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die
+westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder
+hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen
+Staemme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich
+entrueckt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen.
+Staedtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in
+geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre geographische Lage sie
+beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung genuegten die
+Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen blieben in
+den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden
+gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie
+bei den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur
+Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder
+minder lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen
+scheint die scharfe Sonderung der Bergtaeler eine strenge
+Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl
+unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese
+Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in voelliger
+Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit
+ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen Nation
+in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben.
+Dagegen ist das Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker
+ebenso entschieden der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in
+dem westlichen das latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der
+ersten Einwanderung an, umschloss ein vergleichungsweise festes
+politisches Band die samnitische Nation und gab ihr die Kraft, spaeter
+mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf zu
+ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig
+als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in Samnium
+keine einzelne Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer
+Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den
+latinischen, sondern dass die Kraft des Landes in den einzelnen
+Bauernschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertretern gebildeten
+Versammlung lag; sie war es, die erforderlichenfalls den
+Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen, dass die Politik
+dieser Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv ist, sondern
+sich beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat
+ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass die
+Erweiterung des Gebiets planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch
+die ganze Geschichte der beiden Voelker vorgezeichnet in ihrem
+diametral auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Roemer
+gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten
+freiwillige Scharen, die auf Landraub ausgingen und von der Heimat im
+Glueck wie im Unglueck preisgegeben waren. Doch gehoeren die
+Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des Tyrrhenischen und
+des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode an; waehrend
+die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze sich
+gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes
+Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung
+veranlassten Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch
+Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230
+(524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr
+romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei
+solchen Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten
+zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen
+Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts
+gedraengten Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal
+gelang es noch der ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der
+Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der
+schoenen Seestadt abzuschlagen.
+
+
+
+
+KAPITEL IX.
+Die Etrusker
+
+
+Im schaerfsten Gegensatz zu den latinischen und den sabellischen
+Italikern wie zu den Griechen steht das Volk der Etrusker oder, wie sie
+sich selber nannten, der Rasen ^1. Schon der Koerperbau unterschied die
+beiden Nationen; statt des schlanken Ebenmasses der Griechen und
+Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker nur kurze staemmige Figuren
+mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir wissen von den Sitten und
+Gebraeuchen dieser Nation, laesst gleichfalls auf eine tiefe und
+urspruengliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen Staemmen
+schliessen, so namentlich die Religion, die bei den Tuskern einen
+trueben phantastischen Charakter traegt und im geheimnisvollen
+Zahlenspiel und wuesten und grausamen Anschauungen und Gebraeuchen sich
+gefaellt, gleich weit entfernt von dem klaren Rationalismus der Roemer
+und dem menschlich heiteren hellenischen Bilderdienst. Was hierdurch
+angedeutet wird, das bestaetigt das wichtigste Dokument der
+Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns gekommene Reste, so zahlreich
+sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer die Entzifferung darbieten,
+dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass es bis jetzt nicht einmal
+gelungen ist, den Platz des Etruskischen in der Klassifizierung der
+Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu
+deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der aelteren
+ist die Vokalisierung vollstaendig durchgefuehrt und das
+Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne Ausnahme vermieden ^2.
+Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen Endungen und durch
+Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies weiche und klangvolle
+Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte und rauhe Sprache
+verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramθa aus ramuθaf, Tarchnaf
+aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchsentre aus
+Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache
+war, zeigt am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den
+Etruskern schon in sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich wurde wie
+im Lateinischen und in den rauheren griechischen Dialekten der Akzent
+durchaus auf die Anfangssilbe zurueckgezogen. Aehnlich wurden die
+aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend die Italiker sie wegwarfen
+mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die Griechen umgekehrt
+mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen θ φ χ beibehielten, liessen die
+Etrusker den weichsten und lieblichsten, das φ gaenzlich, ausser in
+Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei in
+ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum
+Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder
+Uthuze heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren Bedeutung
+ermittelt ist, entfernen die meisten sich weit von allen
+griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle; so die Endung
+al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie zum
+Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi
+uebersetzt wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur
+Bezeichnung des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass
+zum Beispiel die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder
+clan mit dem Kasus clensi Sohn; seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes
+wird Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns.
+Neben diesen fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings
+einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen und den italischen
+Sprachen. Die Eigennamen sind im wesentlichen nach dem allgemeinen
+italischen Schema gebildet: die haeufige gentilizische Endung enas oder
+ena ^4 kehrt wieder in der auch in italischen, besonders sabellischen
+Geschlechtsnamen haeufigen Endung enus, wie denn die etruskischen Namen
+Maecenas und Spurinna den roemischen Maecius und Spurius genau
+entsprechen. Eine Reihe von Goetternamen, die auf etruskischen
+Denkmaelern oder bei Schriftstellern als etruskische vorkommen, sind
+dem Stamme und zum Teil auch der Endung nach so durchaus lateinisch
+gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich von Haus aus etruskisch sind,
+die beiden Sprachen eng verwandt gewesen sein muessen: so Usil (Sonne
+und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, aurora, sol), Minerva
+(menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. Indes da diese
+Analogien erst aus den spaeteren politischen und religioesen
+Beziehungen zwischen Etruskern und Latinern und den dadurch
+veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren koennen, so
+stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen
+Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den
+saemtlichen griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand
+wie die Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den
+Roemern; “tuskisch und gallisch” sind Barbarensprachen, “oskisch und
+volskisch” Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem
+griechisch-italischen Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt
+ebensowenig gelungen, sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen.
+Auf die Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die
+verschiedenartigsten Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der
+peinlichen Frage, aber alle ohne Ausnahme vergeblich befragt worden;
+selbst mit dem baskischen, an das den geographischen Verhaeltnissen
+nach noch am ersten gedacht werden koennte, haben entscheidende
+Analogien sich nicht herausgestellt. Ebensowenig deuten die geringen
+Reste, die von der liturgischen Sprache in Orts- und Personennamen auf
+uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit den Tuskern. Nicht einmal die
+verschollene Nation, die auf den Inseln des tuskischen Meeres,
+namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften Grabtuerme, Nurhagen
+genannt, zu Tausenden aufgefuehrt hat, kann fueglich mit der
+etruskischen in Verbindung gebracht werden, da im etruskischen Gebiet
+kein einziges gleichartiges Gebaeude vorkommt. Hoechstens deuten
+einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige Spuren darauf hin,
+dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen beizuzaehlen sind. So
+ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer Inschriften sicher εμί,
+ειμί und findet die Genetivform konsonantischer Staemme veneruf,
+rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, entsprechend der alten
+sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name des etruskischen Zeus
+Tina oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen wie Ζάν
+mit dem gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies zugegeben erscheint
+das etruskische Volk darum kaum weniger isoliert. “Die Etrusker”, sagt
+schon Dionysios, “stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte”; und
+weiter haben auch wir nichts zu sagen.
+
+———————————————————-
+
+^1 Ras-ennae mit der 1, 131 erwaehnten gentilizischen Endung.
+
+^2 Dahin gehoeren z. B. Inschriften caeritischer Tongefaesse wie:
+minice θumamimaθumaramlisiaeipurenaieθeeraisieepanamineθunastavhelefu
+oder: mi ramuθas kaiufinaia.
+
+^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff geben
+zum Beispiel der Anfang der grossen Perusiner Inschrift: eulat tanna
+larezu amevaχr lautn velθinase stlaafunas sleleθcaru.
+
+^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der Vokal in der
+vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge der
+Zurueckziehung des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt und
+sogar ausgestossen. So finden wir neben Porsēna, auch Porsĕna, neben
+Caecina Ceicne.
+
+————————————————————
+
+Ebensowenig laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien
+eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese
+Wanderung auf jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen
+geschichtliche Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum
+eine Frage eifriger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz
+der Archaeologen, vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar
+noch wissenswert ist, “nach der Mutter der Hekabe”, wie Kaiser Tiberius
+meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief im
+Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine einzige namhafte
+etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber eben
+sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat;
+da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden
+sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel
+gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst
+finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen
+wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die
+Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen
+Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die
+aeltere Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht
+werden. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die
+raetischen Alpen nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in
+Graubuenden und Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die
+historische Zeit etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen
+anklingt; sie koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen
+am Po, aber wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen
+zurueckgebliebener Teil des Volks sein.
+
+Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung aber tritt in
+grellen Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus Asien
+ausgewanderte Lyder seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot findet
+sie sich und kehrt dann in zahllosen Wandlungen und Steigerungen bei
+den Spaeteren wieder, wenngleich einzelne verstaendige Forscher, wie
+zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich dagegen erklaerten und
+darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und Sprache zwischen
+Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich zeige.
+Es ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm
+nach Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen
+anknuepfen; wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem
+blossen Quiproquo. Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn
+diese Form scheint die urspruengliche und der griechischen Τυρ-σηνοί,
+Τυρρηνοί, der umbrischen Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci
+zu Grunde zu liegen - begegneten sich in dem Namen ungefaehr mit dem
+lydischen Volke der Τορρηβοί oder auch wohl Τυρρ-ηνοί, so genannt von
+der Stadt Τύρρα; und diese offenbar zufaellige Namensvetterschaft
+scheint in der Tat die einzige Grundlage jener durch ihr hohes Alter
+reicht besser gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen Turmes
+darauf aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem
+lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte
+und endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die
+torrhebischen Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem
+auf allen Meeren pluendernden und hausenden Flibustiervolk der
+Pelasger, entstand eine der heillosesten Verwirrungen geschichtlicher
+Ueberlieferung. Die Tyrrhener bezeichnen bald die lydischen Torrheber -
+so in den aeltesten Quellen, wie in den Homerischen Hymnen; bald als
+Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener die pelasgische Nation;
+bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die letzteren mit den
+Pelasgern oder den Torrhebern je sich nachhaltig beruehrt oder gar die
+Abstammung mit ihnen gemein haetten.
+
+Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was die
+nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort
+aus sich weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion
+in der Landschaft noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch
+grenzend mit den Venetern illyrischen (albanesischen?) Stammes,
+westlich mit den Ligurern, ist vielfach beglaubigt; vornehmlich zeugt
+dafuer der schon erwaehnte rauhe etruskische Dialekt, den noch in
+Livius’ Zeit die Bewohner der raetischen Alpen redeten, sowie das bis
+in spaete Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und an
+den Muendungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener
+als der herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten
+Kaufstaedte Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina
+(Bologna) und Ravenna tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange
+gewaehrt, ehe die Kelten den Padus ueberschritten; womit es
+zusammenhaengt, dass auf dem rechten Ufer desselben das etruskische und
+umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen hat als auf dem frueh
+aufgegebenen linken. Doch sind ueberhaupt die Landschaften noerdlich
+vom Apennin zu rasch von einer Nation an die andere gelangt, als dass
+eine dauerhafte Volksentwicklung sich hier haette gestalten koennen.
+
+Weit wichtiger fuer die Geschichte wurde die grosse Ansiedelung der
+Tusker in dem Lande, das heute noch ihren Namen traegt. Moegen auch
+Ligurer oder Umbrer hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre
+Spuren durch die etruskische Okkupation und Zivilisation so gut wie
+vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem Gebiet, das am Meer von Pisae
+bis Tarquinii reicht und oestlich vom Apennin abgeschlossen wird, hat
+die etruskische Nationalitaet ihre bleibende Staette gefunden und mit
+grosser Zaehigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich behauptet. Die
+Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus; das
+Gebiet von da nordwaerts bis zur Muendung der Macra und dem Apennin war
+streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etruskisch, und groessere
+Ansiedlungen gediehen deshalb daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete
+anfangs wahrscheinlich der Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich
+von Viterbo, spaeterhin der Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet,
+dass das Gebiet zwischen dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den
+Staedten Sutrium, Nepete, Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit
+spaeter als die noerdlicheren Distrikte, moeglicherweise erst im
+zweiten Jahrhundert Roms, von den Etruskern eingenommen zu sein scheint
+und dass die urspruengliche italische Bevoelkerung sich hier,
+namentlich in Falerii, wenn auch in abhaengigem Verhaeltnis behauptet
+haben muss.
+
+Seitdem der Tiberstrom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und
+Latium bildete, mag hier im ganzen ein friedliches Verhaeltnis
+eingetreten sein und eine wesentliche Grenzverschiebung nicht
+stattgefunden haben, am wenigsten gegen die Latiner. So lebendig in den
+Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker ihnen fremd, der Latiner
+ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom rechten Ufer her weit
+weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu haben als zum Beispiel von
+den Stammesverwandten in Gabii und Alba; natuerlich, denn dort
+schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des breiten Stromes, sondern auch
+der fuer Roms merkantile und politische Entwicklung folgenreiche
+Umstand, dass keine der maechtigeren etruskischen Staedte unmittelbar
+am Fluss lag wie am latinischen Ufer Rom. Dem Tiber am naechsten waren
+die Veienter, und sie waren es auch, mit denen Rom und Latium am
+haeufigsten in ernste Konflikte gerieten, namentlich um den Besitz von
+Fidenae, welches den Veientern auf dem linken Tiberufer, aehnlich wie
+auf dem rechten den Roemern das Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf
+diente und bald in den Haenden der Latiner, bald in denen der Etrusker
+sich befand. Dagegen mit dem etwas entfernteren Caere war das
+Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und freundlicher, als es sonst
+unter Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen pflegt. Es gibt wohl
+schwankende und in die graueste Fernzeit gerueckte Sagen von Kaempfen
+zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische Koenig Mezentius
+ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben einen Weinzins
+auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der einstmalige
+Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges Verhaeltnis
+zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des Handels- und Seeverkehrs
+in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem Vordringen der
+Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln ueberhaupt.
+Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos im Jahre 230
+(524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die Etrusker in
+erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht als bis ins
+einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die Etrusker
+an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger ist es, dass
+suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete etruskische
+Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer ernstlichen
+Bedraengung der latinischen Nation durch die Etrusker gar nichts
+wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der
+Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen, unangefochten. Was
+die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom anlangt, so
+findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener Bericht,
+dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach
+dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt
+habe, von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies
+zuverlaessig sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen
+Berges von diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun
+gar der Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter
+dem Namen Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche
+Vermutung solcher Archaeologen, die mit dem Sagenparallelismus sich
+abgaben. Auf etruskische Ansiedlungen in Rom deutet weiter das
+“Tuskerquartier” unter dem Palatin.
+
+Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das letzte
+Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der
+Tarquinier, aus Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie
+die Sage will, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas vor
+kurzem aufgefunden worden ist; auch der in die Sage verflochtene
+Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch, dagegen in Etrurien
+gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach Tarquinius der Sohn
+eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen war und in
+Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die
+geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt,
+sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt
+etwas mehr entnommen werden kann als die nackte und im Grunde
+gleichgueltige Tatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft
+das koenigliche Szepter in Rom gefuehrt hat, so kann darin nur liegen,
+dass diese Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft ueber Rom weder
+als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde ueber
+Rom, noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber Suedetrurien gefasst
+werden darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer die andere
+Annahme irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der
+Tarquinier spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen,
+hat waehrend der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der
+Sprache noch in Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar
+die ebenmaessige Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen
+Bundes unterbrochen.
+
+Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen das latinische
+Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den Kaempfen der
+Etrusker mit den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst nach der
+Vertreibung der Koenige in Rom ueberschritten, teils in der Richtung
+der etruskischen Nation auf Seefahrt und Meer- und Kuestenherrschaft,
+womit zum Beispiel die kampanischen Ansiedelungen entschieden
+zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter die Rede sein
+wird.
+
+Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen und latinischen
+auf der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die fruehe Richtung der
+Nation aber auf Schiffahrt, Handel und Industrie scheint rascher, als
+es sonst in Italien der Fall gewesen ist, hier eigentlich staedtische
+Gemeinwesen ins Leben gerufen zu haben; zuerst von allen italischen
+Staedten wird in den griechischen Berichten Caere genannt. Dagegen
+finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig und
+kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit
+Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung
+der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit der
+roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die
+aehnliche Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie
+die roemischen; Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber;
+fuer die Aehnlichkeit der Geschlechterordnung buergt die Analogie des
+Namensystems, nur dass bei den Etruskern die Abstammung von
+muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als im roemischen Recht.
+Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie umschloss
+nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die
+kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso
+wie die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende
+bestand aus zwoelf Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer
+den Goetterdienst, und ein Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester
+anerkannten, aber doch im wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein
+scheinen und zum Teil wenigstens so maechtig, dass weder eine Hegemonie
+sich bilden noch die Zentralgewalt zur Konsolidierung gelangen konnte.
+Im eigentlichen Etrurien war die Metropole Volsinii; von den uebrigen
+Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere Ueberlieferung nur
+Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso selten,
+dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte
+selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt
+regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie
+kann ins Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg
+beschlossen wird, so schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne
+Staedte aus - es scheint den etruskischen Konfoederationen mehr noch
+als den aehnlichen italischen Stammbuenden von Haus aus an einer festen
+und gebietenden Oberleitung gefehlt zu haben.
+
+
+
+
+KAPITEL X.
+Die Hellenen in Italien.
+Seeherrschaft der Tusker und Karthager
+
+
+Nicht auf einmal wird es hell in der Voelkergeschichte des Altertums;
+und auch hier beginnt der Tag im Osten. Waehrend die italische
+Halbinsel noch in tiefes Werdegrauen eingehuellt liegt, ist in den
+Landschaften am oestlichen Becken des Mittelmeers bereits eine nach
+allen Seiten hin reich entwickelte Kultur ans Licht getreten; und das
+Geschick der meisten Voelker, in den ersten Stadien der Entwicklung an
+einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den Meister und Herrn zu finden,
+ist in hervorragendem Masse auch den Voelkern Italiens zuteil geworden.
+Indes lag es in den geographischen Verhaeltnissen der Halbinsel, dass
+eine solche Einwirkung nicht zu Lande stattfinden konnte. Von der
+Benutzung des schwierigen Landwegs zwischen Italien und Griechenland in
+aeltester Zeit findet sich nirgends eine Spur. In das transalpinische
+Land freilich mochten von Italien aus schon in unvordenklich ferner
+Zeit Handelsstrassen fuehren: die aelteste Bernsteinstrasse erreichte
+von der Ostsee aus das Mittelmeer an der Pomuendung - weshalb in der
+griechischen Sage das Delta des Po als Heimat des Bernsteins erscheint
+-, und an diese Strasse schloss sich eine andere quer durch die
+Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa fuehrende an; aber Elemente der
+Zivilisation konnten von dort her den Italikern nicht zukommen. Es sind
+die seefahrenden Nationen des Ostens, die nach Italien gebracht haben,
+was ueberhaupt in frueher Zeit von auslaendischer Kultur dorthin
+gelangt ist.
+
+Das aelteste Kulturvolk am Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch
+nicht ueber Meer und haben daher auch auf Italien nicht eingewirkt.
+Ebensowenig aber kann dies von den Phoenikern behauptet werden.
+Allerdings waren sie es, die von ihrer engen Heimat am aeusseren
+Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen bekannten Staemmen auf
+schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des Fisch- und Muschelfangs,
+bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, die zuerst den
+Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit das Mittelmeer
+bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast an allen
+Gestaden desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische
+Seestationen: wie in Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten,
+Libyen und Spanien, so auch im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien
+herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe die Griechen dorthin kamen,
+oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl sich festsetzten,
+die Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre Faktoreien
+gegruendet, des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu
+gewinnen. Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland.
+Von phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine
+einzige mit einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische
+Faktorei bei Caere, deren Andenken sich bewahrt hat teils in der
+Benennung der kleinen Ortschaft an der caeritischen Kueste Punicum,
+teils in dem zweiten Namen der Stadt Caere selbst, Agylla, welcher
+nicht, wie man fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern phoenikisch
+ist und die “Rundstadt” bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen Caere
+sich darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen
+es an den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall
+weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast
+spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund
+vor, sie fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen
+Ansiedlungen an denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen
+davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen Maenner erst durch
+Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre latinische, der
+griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren alle
+aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens
+entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der
+phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode
+zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen
+des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat lag,
+wenn man sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich
+Kuestenfahrt war und blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am
+Mittelmeer so fern wie der italische Kontinent. Sie konnten ihn nur
+entweder von der griechischen Westkueste oder von Sizilien aus
+erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt
+frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der
+Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen
+unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, ist
+deshalb kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der
+phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen
+Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen.
+
+Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die
+zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die
+italischen Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus
+welcher Gegend und zu welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin
+gelangt sind, laesst nur die erstere sich mit einiger Sicherheit und
+Vollstaendigkeit beantworten. Es war das aeolische und ionische Gestade
+Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr sich grossartig
+entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des Schwarzen
+Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des
+Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien
+geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die
+Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken
+an die einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch
+ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in
+Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der
+gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger
+hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen Phokaeer, die
+zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald folgten
+auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach:
+Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier,
+Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung
+Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin zu
+fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der
+europaeischen Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren
+deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch
+die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im Westland kein
+Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes der
+Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu
+Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und
+deutsche Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch das
+griechische Sizilien und “Grossgriechenland” aus den
+verschiedenartigsten hellenischen Stammschaften oft ununterscheidbar
+zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser einigen mehr vereinzelt
+stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren Pflanzstaedten
+Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode gegruendete
+Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei
+Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen
+Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme
+mit den uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, in
+Sizilien Zankle (spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini, Himera
+zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris und die Mehrzahl der
+grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische, welcher
+Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen
+Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen
+Pflanzstadt Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der
+Einwanderung die aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der
+dorischen Einwanderung im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den
+Dorern haben sich vorzugsweise nur die Gemeinden gemischter
+Bevoelkerung, wie Korinth und Megara, die rein dorischen Landschaften
+dagegen nur in untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn die
+Ionier waren ein altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme
+aber sind erst verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen
+Bergen in die Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten
+dem Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen
+Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. Die
+phokaeischen Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden
+babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit
+dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im ganzen europaeischen
+Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen Modifikation
+desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen
+Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige
+Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt
+hatte, nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken
+vielmehr nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach
+der der sizilischen Dorer.
+
+Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und Ansiedlungen wird wohl
+fuer immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. Zwar eine gewisse
+Folge darin tritt auch fuer uns noch unverkennbar hervor. In der
+aeltesten Urkunde der Griechen, welche, wie der aelteste Verkehr mit
+dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern eignet, in den Homerischen
+Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das oestliche Becken des
+Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See verschlagene
+Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa noch von
+dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde nach
+Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen
+Dichtung mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche
+am fruehesten mit dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige
+Kunde von Sizilien und Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter
+des Ostens konnten, wie seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften
+Orient, ungestoert die leeren Raeume des Westens mit ihren luftigen
+Gestalten erfuellen. Bestimmter treten schon in den Hesiodischen
+Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; sie kennen aus
+beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und Staedten;
+doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten
+nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte
+Gestade Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt.
+Ebenso laesst die Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger
+Sicherheit sich bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im
+Westland galt offenbar schon dem Thukydides Kyme; und gewiss hat er
+nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen Schiffer mancher
+Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den Barbaren war
+keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt
+urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser
+Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf
+dem Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe,
+die noch heute den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt
+traegt. Nirgends in Italien sind denn auch die Oertlichkeiten der
+kleinasiatischen Maerchen mit solcher Festigkeit und Lebendigkeit
+lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo die fruehesten
+Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst das
+Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu
+wandeln meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden
+Aornossee zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen
+Nachbarn der Italiker wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb
+der Name desjenigen italischen Stammes, der zunaechst um Kyme
+angesessen war, der Name der Opiker, von ihnen noch lange Jahrhunderte
+nachher fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist ferner
+glaublich ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung
+in Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch einen
+betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener
+Einwanderung wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen
+und Naxos auf Sizilien die aelteste aller durch eigentliche
+Kolonisierung in Italien und Sizilien gegruendeten Griechenstaedte ist,
+worauf dann die achaeischen und dorischen Kolonisationen erst spaeter
+erfolgt sind.
+
+Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen
+auch nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung
+der achaeischen Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen
+Stadt Taras im Jahre 46 Roms (708) moegen die aeltesten Daten der
+italischen Geschichte sein, deren wenigstens ungefaehre Richtigkeit als
+ausgemacht angesehen werden kann. Um wieviel aber die Ausfuehrung der
+aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser Epoche zurueckliege, ist
+ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der Hesiodischen und
+gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers richtig
+bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der
+Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle
+anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und
+wer die Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige
+Tatsache erwaegt, dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward,
+bevor der hellenische Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre
+Bezeichnung der Hellenen von dem in Hellas frueh verschollenen Stamm
+der Grai oder Graeci entlehnten ^1, wird geneigt sein, den fruehesten
+Verkehr der Italiker mit den Griechen um ein bedeutendes hoeher
+hinaufzuruecken.
+
+—————————————————————-
+
+^1 Ob der Name der Graeker urspruenglich aus dem epirotischen
+Binnenland und der Gegend von Dodone haftet oder vielmehr den frueher
+vielleicht bis an das Westmeer reichenden Aetolern eigen war, mag
+dahingestellt bleiben; er muss in ferner Zeit einem hervorragenden
+Stamm oder Komplex von Staemmen des eigentlichen Griechenlands eigen
+gewesen und von diesen auf die gesamte Nation uebergegangen sein. In
+den Hesiodischen Eoeen erscheint er als aelterer Gesamtname der Nation,
+jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit beiseite geschoben und dem
+hellenischen untergeordnet, welcher letztere bei Homer noch nicht, wohl
+aber, ausser bei Hesiod, schon bei Archilochos um das Jahr 50 Roms
+(704) auftritt und recht wohl noch bedeutend frueher aufgekommen sein
+kann (M. L. Duncker, Geschichte des Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3,
+S. 18, 556). Also bereits vor dieser Zeit waren die Italiker mit den
+Griechen soweit bekannt, dass jener in Hellas frueh verschollene Name
+bei ihnen als Gesamtname der griechischen Nation blieb, auch als diese
+selbst andere Wege ging. Es ist dabei nur in der Ordnung, dass den
+Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der hellenischen Staemme frueher
+und deutlicher zum Bewusstsein gekommen ist als diesen selbst, und
+daher die Gesamtbenennung hier schaerfer sich fixierte als dort, nicht
+minder, dass dieselbe nicht gerade den wohlbekannten naechstwohnenden
+Hellenen entnommen ward. Wie man es damit vereinigen will, dass noch
+ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms Italien den kleinasiatischen
+Griechen voellig unbekannt war, ist schwer abzusehen. Von dem Alphabet
+wird unten die Rede sein; es ergibt dessen Geschichte vollkommen die
+gleichen Resultate. Man wird es vielleicht verwegen nennen, auf solche
+Beobachtungen hin die Herodotische Angabe ueber das Zeitalter Homers zu
+verwerfen; aber ist es etwa keine Kuehnheit, in Fragen dieser Art der
+Ueberlieferung zu folgen?
+
+————————————————————
+
+Die Geschichte der italischen und sizilischen Griechen ist zwar kein
+Teil der italischen; die hellenischen Kolonisten des Westens blieben
+stets im engsten Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den
+Nationalfesten und Rechten der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien
+wichtig, den verschiedenen Charakter der griechischen Ansiedlungen
+daselbst zu bezeichnen und wenigstens gewisse Grundzuege hervorzuheben,
+durch die der verschiedenartige Einfluss der griechischen Kolonisierung
+auf Italien wesentlich bedingt worden ist.
+
+Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am
+meisten geschlossene war diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund
+hervorging, welchen die Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder
+Metapontion, Sybaris mit seinen Pflanzstaedten Poseidonia und Laos,
+Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten
+gehoerten, im grossen und ganzen genommen, einem griechischen Stamm an,
+der an seinem eigentuemlichen, dem dorischen naechst verwandten Dialekt
+sowie nicht minder, anstatt des sonst allgemein in Gebrauch gekommenen
+juengeren Alphabets, lange Zeit an der altnationalen hellenischen
+Schreibweise festhielt, und der seine besondere Nationalitaet den
+Barbaren wie den andern Griechen gegenueber in einer festen buendischen
+Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer laesst sich
+anwenden, was Polybios von der achaeischen Symmachie im Peloponnes
+sagt: “nicht allein in eidgenoessischer und freundschaftlicher
+Gemeinschaft leben sie, sondern sie bedienen sich auch gleicher
+Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und Muenzen sowie derselben
+Vorsteher, Ratmaenner und Richter”.
+
+Dieser Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die
+Staedte waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und
+ohne Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den
+Bruecken seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm
+Milesier und Etrusker. Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss
+die Kuestensaeume, sondern herrschten von Meer zu Meer in dem “Wein-”
+und “Rinderland” (Οινοτρία, Ιταλία) oder der “grossen Hellas”; die
+eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel oder gar in
+Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit
+die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme und
+fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und
+Poseidonia gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des
+Krathis und Bradanos warfen den Sybariten und Metapontinern
+ueberreichen Ertrag ab - vielleicht ist hier zuerst Getreide zur
+Ausfuhr gebaut worden. Von der hohen Bluete, zu welcher diese Staaten
+in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die
+einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre
+Muenzen von strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die
+fruehesten Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung
+erweislich im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese
+Muenzen zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an
+der eben um diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden
+Bildnerkunst, sondern in der Technik demselben wohl gar ueberlegen
+waren; denn statt der dicken, oft nur einseitig gepraegten und
+regelmaessig schriftlosen Silberstuecke, welche um diese Zeit in dem
+eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern ueblich waren,
+schlugen die italischen Achaeer mit grosser und selbstaendiger
+Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen, teils erhaben teils vertieft
+geschnittenen Stempeln grosse duenne, stets mit Aufschrift versehene
+Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der Falschmuenzerei jener Zeit -
+Plattierung geringen Metalls mit duennen Silberblaettern - sich
+schuetzende Praegweise den wohlgeordneten Kulturstaat verraet.
+
+Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. In der muehelosen,
+weder durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch durch eigene
+schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte sogar den
+Griechen frueh die Spannkraft des Koerpers und des Geistes. Keiner der
+glaenzenden Namen der griechischen Kunst und Literatur verherrlicht die
+italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren unzaehlige, auch in Italien
+das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent den Archytas
+nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der Spiess drehte,
+gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess die
+strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden
+frueh ans Ruder gekommen war und im Notfall an der Bundesgewalt einen
+sicheren Rueckhalt fand: wohl aber drohte die Verwandlung der
+Herrschaft der Besten in eine Herrschaft der Wenigen, vor allem, wenn
+die bevorrechteten Geschlechter in den verschiedenen Gemeinden sich
+untereinander verbuendeten und gegenseitig sich aushalfen. Solche
+Tendenzen beherrschten die durch den Namen des Pythagoras bezeichnete
+solidarische Verbindung der “Freunde”, sie gebot, die herrschende
+Klasse “gleich den Goettern zu verehren”, die dienende “gleich den
+Tieren zu unterwerfen”, und rief durch solche Theorie und Praxis eine
+furchtbare Reaktion hervor, welche mit der Vernichtung der
+pythagoreischen “Freunde” und mit der Erneuerung der alten
+Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, Massenerhebungen
+der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische Anwendung
+unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten
+Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten,
+bis ihre politische Macht darueber zusammenbrach.
+
+Es ist danach nicht zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens
+die daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind
+als die uebrigen griechischen Niederlassungen. ueber die politischen
+Grenzen hinaus ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern
+ferner als den Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten
+sie die Eingeborenen und zertraten die Keime einer nationalen
+Entwicklung, ohne doch den Italikern durch vollstaendige Hellenisierung
+eine neue Bahn zu eroeffnen. So ist in Sybaris und Metapont, in Kroton
+und Poseidonia das griechische Wesen, das sonst allen politischen
+Missgeschicken zum Trotz sich lebenskraeftig zu behaupten wusste,
+schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgendeinem anderen
+Gebiet, und die zwiesprachigen Mischvoelker, die spaeterhin aus den
+Truemmern der eingeborenen Italiker und der Achaeer und den juengeren
+Einwanderern sabellischer Herkunft hervorgingen, sind zu rechtem
+Gedeihen ebensowenig gelangt. Indes, diese Katastrophe gehoert der Zeit
+nach in die folgende Periode.
+
+Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die
+Niederlassungen der uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den
+Ackerbau und Landgewinn keineswegs; es war nicht die Weise der
+Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer Kraft gekommen waren, sich im
+Barbarenland nach phoenikischer Art an einer befestigten Faktorei
+genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle diese Staedte zunaechst und
+vor allem des Handels wegen begruendet und darum denn auch, ganz
+abweichend von den achaeischen, durchgaengig an den besten Haefen und
+Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, die Veranlassung und die
+Epoche dieser Gruendungen waren mannigfach verschieden; dennoch bestand
+zwischen ihnen eine gewisse Gemeinschaft - so in dem allen jenen
+Staedten gemeinsamen Gebrauch gewisser moderner Formen des Alphabets ^2
+und selbst in dem Dorismus der Sprache, der auch in diejenigen Staedte
+frueh eindrang, die, wie zum Beispiel Kyme ^3, von Haus aus den weichen
+ionischen Dialekt sprachen. Fuer die Entwicklung Italiens sind diese
+Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade wichtig geworden; es
+genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend in die
+Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des dorischen
+Tarent und des ionischen Kyme.
+
+————————————————————————-
+
+^2 So sind die drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die
+als leicht zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die
+Zeichen vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder
+ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben,
+waehrend die uebrigen Griechen Italiens und Siziliens ohne Unterschied
+des Stammes sich ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend der
+juengeren Formen bedient haben.
+
+^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Tongefaess Ταταίες
+εμί λέυqθος. Fόσ δ'άν με κλέφσει θύφλος έσται.
+
+————————————————-
+
+Den Tarentinern ist unter allen hellenischen Ansiedlungen in Italien
+die glaenzendste Rolle zugefallen. Der vortreffliche Hafen, der einzige
+gute an der ganzen Suedkueste, machte ihre Stadt zum natuerlichen
+Entrepôt fuer den sueditalienischen Handel, ja sogar fuer einen Teil
+des Verkehrs auf dem Adriatischen Meer. Der reiche Fischfang in dem
+Meerbusen, die Erzeugung und Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle
+sowie deren Faerbung mit dem Saft der tarentinischen Purpurschnecke,
+die mit der tyrischen wetteifern konnte - beide Industrien hierher
+eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos -, beschaeftigten
+Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch den
+Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im
+griechischen Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen
+Muenzen sind noch heute redende Beweise des ausgebreiteten und
+lebhaften tarentinischen Verkehrs. Schon in dieser Epoche, wo Tarent
+noch mit Sybaris um den ersten Rang unter den unteritalischen
+Griechenstaedten rang, muessen seine ausgedehnten Handelsverbindungen
+sich angeknuepft haben; indes auf eine wesentliche Erweiterung ihres
+Gebietes nach Art der achaeischen Staedte scheinen die Tarentiner nie
+mit dauerndem Erfolg ausgegangen zu sein.
+
+Wenn also die oestlichste der griechischen Ansiedlungen in Italien
+rasch und glaenzend sich emporhob, so gediehen die noerdlichsten
+derselben am Vesuv zu bescheidnerer Bluete. Hier waren von der
+fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus die Kymaeer auf das Festland
+hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart am Meere eine zweite
+Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia (spaeter Puteoli),
+und weiter die “Neustadt” Neapolis gegruendet wurden. Sie lebten, wie
+ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und Sizilien, nach den
+Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650) festgestellt hatte,
+in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus gemaessigten
+Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den Reichsten
+erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung, die sich
+bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren wie
+Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren
+Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus
+Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt
+auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und
+unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich mit
+ihnen handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine
+gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den ersten Platz unter den
+Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein.
+
+Wenn zu beiden Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande
+die ganze suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die
+groessere oestliche Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land
+war, so gestalteten dagegen auf der italischen Westkueste nordwaerts
+vom Vesuv und auf der ganzen Ostkueste die Verhaeltnisse sich
+wesentlich anders. An dem dem Adriatischen Meer zugewandten italischen
+Gestade entstanden griechische Ansiedlungen nirgends; womit die
+verhaeltnismaessig geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der
+griechischen Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer
+und den zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich
+zusammenhaengt. Zwar wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser
+Kueste zwei ansehnliche Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt
+Durazzo; 127 587) und Apollonia (bei Avlona; um 167 627) noch waehrend
+der roemischen Koenigsherrschaft gegruendet; aber weiter noerdlich ist,
+mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden Niederlassung auf
+Schwarzkerkyra (Curzola; um 174? 580) keine alte griechische Ansiedlung
+nachzuweisen. Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die
+griechische Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin
+auftrat, wohin doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und
+wohin in der Tat seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der
+nicht lange nach Rom (um 44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra
+(Korfu) aus ein Handelszug bestand, dessen Entrepôts auf der italischen
+Kueste die Staedte an der Pomuendung, Spina und Atria, waren. Die
+Stuerme der Adriatischen See, die Unwirtlichkeit wenigstens der
+illyrischen Kuesten, die Wildheit der Eingeborenen reichen offenbar
+allein nicht aus, um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist
+es von den wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden
+Elemente der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen
+Landschaften einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese
+gelangten. Selbst in den Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und
+Kerkyra die oestlichste Kaufstadt Grossgriechenlands, das dorische
+Tarent, das durch den Besitz von Hydrus (Otranto) den Eingang in das
+Adriatische Meer auf der italischen Seite beherrschte. Da ausser den
+Haefen an der Pomuendung an der ganzen Ostkueste nennenswerte Emporien
+in jener Zeit nicht bestanden - Ankons Aufbluehen faellt in weit
+spaetere Zeit und noch spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es
+wohl begreiflich, dass die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig
+in Tarent loeschten. Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner
+vielfach mit Apulien; auf sie geht zurueck, was sich von griechischer
+Zivilisation im Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese
+Zeit davon nur die ersten Anfaenge; der Hellenismus Apuliens
+entwickelte sich erst in einer spaeteren Epoche.
+
+Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich vom Vesuv in
+aeltester Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf den Inseln
+und Landspitzen hellenische Faktoreien bestanden, laesst sich nicht
+bezweifeln. Wohl das aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die
+Lokalisierung der Odysseussage an den Kuesten des Tyrrhenischen Meeres
+^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des Aeolos wiederfand, wenn
+man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am Misenischen die
+der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das ragende
+Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn
+bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne
+des Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos,
+im “innersten Winkel der heiligen Inseln” die Tyrrhener beherrschen
+oder in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der
+Kirke, Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das
+alte Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat
+auf der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche
+Lebendigkeit der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den
+Fahrten des Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen
+Lokalisierung derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen
+Fahrbezirk der kymaeischen Schiffer.
+
+—————————————————————-
+
+^4 Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese
+tyrrhenische Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische ‘Theogonie’
+in einem ihrer juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus
+der Zeit kurz vor Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos
+geflossen ist, und der sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen
+gehoert einer Zeit an, wo Italien den Griechen noch als Inselgruppe
+galt, und ist also sicher sehr alt; und es kann danach die Entstehung
+dieser Sagen im ganzen mit Sicherheit in die roemische Koenigszeit
+gesetzt werden.
+
+—————————————————————-
+
+Andere Spuren dieser aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der
+Insel Aethalia (Ilva, Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten
+von Griechen besetzten Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht
+auch des Hafenplatzes Telamon in Etrurien; ferner die beiden
+Ortschaften an der caeritischen Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion
+(bei Palo), wo nicht bloss die Namen unverkennbar auf griechischen
+Ursprung deuten, sondern auch die eigentuemliche, von den caeritischen
+und ueberhaupt den etruskischen Stadtmauern sich wesentlich
+unterscheidende Architektur der Mauern von Pyrgi. Aethalia, “die
+Feuerinsel”, mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben mag in
+diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und hier die Altsiedlung der
+Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen seinen Mittelpunkt gehabt
+haben; um so mehr als das Schmelzen der Erze auf der kleinen und nicht
+waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte.
+Auch die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenueberliegenden
+Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in
+Betrieb genommen.
+
+Wenn die Fremden, wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem
+See- und Landraub obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die
+Gelegenheit sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als
+Sklaven fortzufuehren, so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das
+Vergeltungsrecht aus; und dass die Latiner und Tyrrhener dies mit
+groesserer Energie und besserem Glueck getan haben als ihre
+sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, sondern vor
+allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich der
+Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte
+und Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch
+Herren ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die
+sueditalischen Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die
+Voelker Mittelitaliens, freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister,
+zur Seefahrt und zur Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der
+Italiker das Floss und den Nachen mit der phoenikischen und
+griechischen Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst begegnen grosse
+Kaufstaedte, vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am Tiber,
+die, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung
+vom Meere zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte
+an der Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum,
+sicher keine griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den
+geschichtlichen Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen
+Nationalitaet gegen fremden Eingriff darzulegen sind wir
+begreiflicherweise nicht imstande; wohl aber laesst es noch sich
+erkennen, was fuer die weitere Entwicklung Italiens von der groessten
+Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium und im suedlichen Etrurien
+einen andern Gang genommen hat als in der eigentlichen tuskischen und
+den sich daran anschliessenden Landschaften.
+
+Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem “wilden Tyrrhener” den
+Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das
+friedliche Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit
+gemeint sein, dass man die griechische Kolonisierung in einigen
+Landschaften Mittelitaliens geduldet, in andern nicht zugelassen
+haette. Nordwaerts vom Vesuv hat ueberhaupt in geschichtlicher Zeit
+nirgends eine unabhaengige griechische Gemeinde bestanden, und wenn
+Pyrgi dies einmal gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn
+unserer Ueberlieferung in die Haende der Italiker, das heisst der
+Caeriten zurueckgekehrt sein. Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium
+und ebenso an der Ostkueste der friedliche Verkehr mit den fremden
+Kaufleuten geschuetzt und gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor
+allem merkwuerdig ist die Stellung von Caere. “Die Caeriten”, sagt
+Strabon, “galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und
+Gerechtigkeit, und weil sie, so maechtig sie waren, des Raubes sich
+enthielten.” Nicht der Seeraub ist gemeint, den der caeritische
+Kaufmann wie jeder andere sich gestattet haben wird; sondern Caere war
+eine Art von Freihafen fuer die Phoeniker wie fuer die Griechen. Wir
+haben der phoenikischen Station - spaeter Punicum genannt - und der
+beiden von Pyrgi und Alsion bereits gedacht; diese Haefen waren es, die
+zu berauben die Caeriten sich enthielten, und ohne Zweifel war es eben
+dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte Reede besitzt und keine
+Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher Bluete gelangt ist und fuer
+den aeltesten griechischen Handel noch groessere Bedeutung gewonnen hat
+als die von der Natur zu Emporien bestimmten Staedte der Italiker an
+den Muendungen des Tiber und des Po. Die hier genannten Staedte sind
+es, welche in uraltem religioesen Verkehr mit Griechenland erscheinen.
+Der erste unter allen Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte,
+war der tuskische Koenig Arimnos, vielleicht ein Herr von Ariminum.
+Spina und Caere hatten in dem Tempel des delphischen Apollon wie andere
+mit dem Heiligtum in regelmaessigem Verkehr stehende Gemeinden ihre
+eigenen Schatzhaeuser; und mit der aeltesten caeritischen und
+roemischen Ueberlieferung ist das delphische Heiligtum sowohl wie das
+kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, wo die Italiker friedlich
+schalteten und mit dem fremden Kaufmann freundlich verkehrten, wurden
+vor allen reich und maechtig und wie fuer die hellenischen Waren so
+auch fuer die Keime der hellenischen Zivilisation die rechten
+Stapelplaetze.
+
+Anders gestalteten sich die Verhaeltnisse bei den “wilden Tyrrhenern”.
+Dieselben Ursachen, die in der latinischen und in den vielleicht mehr
+unter etruskischer Suprematie stehenden als eigentlich etruskischen
+Landschaften am rechten Tiberufer und am unteren Po zur Emanzipierung
+der Eingeborenen von der fremden Seegewalt gefuehrt hatten,
+entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, sei es aus anderen Ursachen,
+sei es infolge des verschiedenartigen, zu Gewalttat und Pluenderung
+hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub und die eigene Seemacht.
+Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus Aethalia und Populonia
+zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward, wie es scheint, hier
+nicht geduldet, und bald durchstreiften sogar etruskische Kaper weithin
+die See und machten den Namen der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen
+- nicht ohne Ursache galt diesen der Enterhaken als eine etruskische
+Erfindung und nannten die Griechen das italische Westmeer das Meer der
+Tusker. Wie rasch und ungestuem diese wilden Korsaren, namentlich im
+Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, zeigt am deutlichsten ihre
+Festsetzung an der latinischen und kampanischen Kueste. Zwar
+behaupteten im eigentlichen Latium sich die Latiner und am Vesuv sich
+die Griechen; aber zwischen und neben ihnen geboten die Etrusker in
+Antium wie in Surrentum. Die Volsker traten in die Klientel der
+Etrusker ein; aus ihren Waldungen bezogen diese die Kiele ihrer
+Galeeren, und wenn dem Seeraub der Antiaten erst die roemische
+Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es wohl, warum den
+griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das
+laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch
+steileren, aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der
+Buchten von Neapel und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende
+Korsarenwarte, wurde frueh von den Etruskern in Besitz genommen. Sie
+sollen sogar in Kampanien einen eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet
+haben und etruskisch redende Gemeinden haben hier noch in vollkommen
+historischer Zeit im Binnenlande bestanden; wahrscheinlich sind diese
+Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft der Etrusker im
+kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am Vesuv
+hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf
+Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen
+Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens
+vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders
+Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss
+geschlagen haben; dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern
+vielmehr attischen, ja kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden,
+ist uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der
+Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich fuer
+den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit
+vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend
+geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen Freihafen, am
+oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit, ferner
+ueber die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen
+nach Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die
+reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten
+italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische
+und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der Ostsee
+ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie,
+gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel
+emporkommen; und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der
+etruskische und milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener
+Verbindung von Kaperei und Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus
+entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich selber verzehrt hat.
+
+Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die
+Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich
+gegenueberstanden, so griff dieser Gegensatz gewissermassen mit
+Notwendigkeit in diejenige Rivalitaet ein, die damals Handel und
+Schiffahrt auf dem Mittellaendischen Meere vor allem beherrschte: in
+die Rivalitaet der Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht dieses
+Orts, im einzelnen darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit
+diese beiden grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in
+Griechenland und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der
+afrikanischen, spanischen und keltischen Kueste miteinander um die
+Oberherrschaft rangen; unmittelbar auf italischem Boden wurden diese
+Kaempfe nicht gekaempft, aber die Folgen derselben doch auch in Italien
+tief und nachhaltig empfunden. Die frische Energie und die
+universellere Begabung des juengeren Nebenbuhlers war anfangs ueberall
+im Vorteil; die Hellenen entledigten sich nicht bloss der phoenikischen
+Faktoreien in ihrer europaeischen und asiatischen Heimat, sondern
+verdraengten die Phoeniker auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in
+Aegypten und Kyrene und bemaechtigten sich Unteritaliens und der
+groesseren oestlichen Haelfte der sizilischen Insel. Ueberall erlagen
+die kleinen phoenikischen Handelsplaetze der energischeren griechischen
+Kolonisation. Schon ward auch im westlichen Sizilien Selinus (126 628)
+und Akragas (174 580) gegruendet, schon von den kuehnen
+kleinasiatischen Phokaeern die entferntere Westsee befahren, an dem
+keltischen Gestade Massalia erbaut (um 150 600) und die spanische
+Kueste erkundet. Aber ploetzlich, um die Mitte des zweiten
+Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der hellenischen Kolonisation: und
+es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses Stockens der Aufschwung
+war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den Hellenen dem
+gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die maechtigste ihrer
+Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die den Seeverkehr
+auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch den juengeren
+Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft ueber die
+Westsee, dem Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem oestlichen
+und dem westlichen Becken des Mittelmeeres und dem Monopol der
+Handelsvermittlung zwischen Orient und Okzident, so konnte doch
+wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von Sardinien und Sizilien
+noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren Behauptung
+setzte Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche zaehe
+und umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der
+Widerstand der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die
+aelteren phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche
+Thukydides schildert, waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago
+unterwarf sich ausgedehnte Landschaften mit zahlreichen Untertanen und
+maechtigen Festungen. Hatten bisher die phoenikischen Niederlassungen
+vereinzelt den Griechen gegenuebergestanden, so zentralisierte jetzt
+die maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze Wehrkraft
+ihrer Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische
+Geschichte nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht
+das wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die
+enge Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen
+sich zu erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten.
+Als Knidier und Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der
+phoenikischen Ansiedlungen auf Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen
+versuchten, wurden sie durch die Eingeborenen - Elymer von Segeste -
+und Phoeniker wieder von dort vertrieben. Als die Phokaeer um 217 (537)
+sich in Alalia (Aleria) auf Korsika Caere gegenueber niederliessen,
+erschien, um sie von dort zu vertreiben, die vereinigte Flotte der
+Etrusker und der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark; und obwohl
+in dieser Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt -
+die nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so
+erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff
+bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber an
+der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich
+nieder. Ein Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss
+die Regeln ueber Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss
+auch ein Waffenbuendnis (συμμαχία) ein, von dessen ernstlicher
+Bedeutung eben jene Schlacht von Alalia zeugt. Charakteristisch ist es
+fuer die Stellung der Caeriten, dass sie die phokaeischen Gefangenen
+auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den Frevel zu
+suehnen, den delphischen Apoll beschickten.
+
+Latium hat dieser Fehde gegen die Hellenen sich nicht angeschlossen;
+vielmehr finden sich in sehr alter Zeit freundliche Beziehungen der
+Roemer zu den Phokaeern in Hyele wie in Massalia, und die Ardeaten
+sollen sogar gemeinschaftlich mit den Zakynthiern eine Pflanzstadt in
+Spanien, das spaetere Saguntum gegruendet haben. Doch haben die Latiner
+noch viel weniger sich auf die Seite der Hellenen gestellt; dafuer
+buergen sowohl die engen Beziehungen zwischen Rom und Caere als auch
+die Spuren alten Verkehrs zwischen den Latinern und den Karthagern. Der
+Stamm der Kanaaniten ist den Roemern durch Vermittlung der Hellenen
+bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, ihn stets mit dem griechischen
+Namen genannt haben; aber dass sie weder den Namen der Stadt Karthago
+^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den Griechen entlehnt haben,
+dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern mit dem ebenfalls die
+griechische Vermittlung ausschliessenden Namen der sarranischen
+bezeichnet werden ^7, beweist ebenso wie die spaeteren Vertraege den
+alten und unmittelbaren Handelsverkehr zwischen Latium und Karthago.
+
+————————————————————————
+
+^5 Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago.
+
+^6 Der Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche
+Scipio Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich
+stammverwandt mit dem der Hebraeer.
+
+^7 Sarranisch heissen den Roemern seit alter Zeit der tyrische Purpur
+und die tyrische Floete, und auch als Beiname ist Sarranus wenigstens
+seit dem Hannibalischen Krieg in Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus
+vorkommende Stadtname Sarra ist wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar
+aus dem einheimischen Namen Sor gebildet. Die griechische Form Tyrus,
+Tyrius moechte bei den Roemern nicht vor Afranius (bei Festus p. 355
+M.) vorkommen. Vgl. F. K. Movers, Die Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56.
+Bd. 2, 1, S. 174.
+
+——————————————————————
+
+Der vereinigten Macht der Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat,
+die westliche Haelfte des Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten.
+Der nordwestliche Teil von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis
+und Panormos an der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze
+blieb im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die
+Zeit des Kyros und Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu
+bestimmen suchte, insgesamt aus Kleinasien auswandernd in Sardinien
+sich niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der karthagische
+Feldherr Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der wichtigen
+Insel mit Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das
+ganze Gestade Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen
+Gemeinde. Korsika dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den
+Etruskern zu und die Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten
+ihrer armen Insel, dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer
+ferner sowie in den Gewaessern westlich von Sizilien und Sardinien
+herrschten die verbuendeten Etrusker und Karthager. Zwar gaben die
+Griechen den Kampf nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen Rhodier
+und Knidier setzten auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich
+fest und gruendeten hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh
+trotz seiner Isolierung und monopolisierte bald den Handel von Nizza
+bis nach den Pyrenaeen. An den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die
+Pflanzstadt Rhoda (jetzt Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen
+Zakynthier sich angesiedelt, ja selbst in Tingis (Tanger) in
+Mauretanien griechische Dynasten geherrscht haben. Aber mit dem
+Vorruecken war es denn doch fuer die Hellenen vorbei; nach Akragas’
+Gruendung sind ihnen bedeutende Gebietserweiterungen am Adriatischen
+wie am westlichen Meer nicht mehr gelungen, und die spanischen
+Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben ihnen verschlossen. Jahr
+aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den tuskischen “Seeraeubern”,
+die Karthager mit den Massalioten, den Kyrenaeern, vor allem den
+griechischen Sikelioten; aber nach keiner Seite hin ward ein dauerndes
+Resultat erreicht und das Ergebnis der Jahrhunderte langen Kaempfe war
+im ganzen die Aufrechterhaltung des Status quo.
+
+So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern es zu danken,
+dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften nicht
+kolonisiert wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine
+nationale Seemacht ins Leben trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren,
+dass die Phoeniker es schon der Muehe wert fanden, wenn nicht gegen die
+latinischen, doch wenigstens gegen die seemaechtigeren etruskischen
+Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, die aller
+Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den
+Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den
+Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden
+rivalisierenden Interessen.
+
+
+
+
+KAPITEL XI.
+Recht und Gericht
+
+
+Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu
+machen, vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die
+Entwicklung der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das
+Denken und Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des
+Volksgeistes beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch
+scheint der Versuch, diese Zustaende, wenn auch nur in den
+allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben fuer diese aelteste,
+geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die
+tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten
+Kulturvoelker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum
+Bewusstsein bringen laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten
+Voelkernamen und getruebten Sagen ist wie die duerren Blaetter, von
+denen wir muehsam begreifen, dass sie einst gruen gewesen sind; statt
+die unerquickliche Rede durch diese saeuseln zu lassen und die
+Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und
+Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser schicken zu fragen, wie
+denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechtsverkehr, das
+ideale in der Religion sich ausgepraegt, wie man gewirtschaftet und
+gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern kam und die weiteren
+Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser Wissen ist, schon
+fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der Sabeller und das
+etruskische, so wird doch selbst die geringe und lueckenvolle Kunde dem
+Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch eine Ahnung gewaehren.
+Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, um dies gleich hier
+vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich zusammenfassen, dass bei den
+Italikern und insbesondere bei den Roemern von den urzeitlichen
+Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei
+irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen,
+Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau,
+primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende
+Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - alle diese und
+unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als Grundlage der
+italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst
+anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, und
+nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr
+einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte
+bei einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die
+griechische und deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen
+Charakter.
+
+Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen:
+nur von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung
+einige Kunde auf uns gekommen.
+
+Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in
+dem Koenig, welcher Gericht oder “Gebot” (ius) haelt an den Spruchtagen
+(dies fasti) auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend
+auf dem Wagenstuhl (sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten
+(lictores), vor ihm der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar
+entscheidet zunaechst ueber die Knechte der Herr, ueber die Frauen der
+Vater, Ehemann oder naechste maennliche Verwandte; aber Knechte und
+Frauen galten auch zunaechst nicht als Glieder der Gemeinde. Auch ueber
+hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte die hausvaeterliche
+Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine eigentliche
+Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des dem
+Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen
+Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht
+aus der koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir
+nirgends eine Spur. Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache
+anlangt, so findet sich vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der
+urspruenglichen Satzung, dass die Toetung des Moerders oder dessen, der
+ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die Naechsten des Ermordeten
+gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon bezeichnen diese
+Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die Blutrache in Rom
+sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt
+unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den
+Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem
+deutschen Recht zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas
+wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so haeufig ist,
+dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in
+der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig
+behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess,
+je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten
+einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen
+ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der
+Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen
+Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder
+(parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen
+oder Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die
+Ernte durch boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der
+Hut der Goetter und des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn
+schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb dem
+Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess eroeffnet und leitet der
+Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen
+Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er
+den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die
+Urteilsfaellung an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus
+dem Rat genommen werden; die spaeteren ausserordentlichen
+Stellvertreter, die Zweimaenner fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri
+perduellionis) und die spaeteren staendigen Stellvertreter, die
+“Mordspuerer” (quaestores parricidii), denen zunaechst die Aufspuerung
+und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse polizeiliche Taetigkeit
+oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber wohl an gewisse
+Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist Regel, doch
+kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung
+zur Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer
+ueberwiesen ist, den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer
+mit dem Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche
+Zeuge vom Burgfelsen gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der
+Brandstifter verbrannt. Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur
+die Gemeinde; der Koenig aber kann dem Verurteilten die Betretung des
+Gnadenweges (provocatio) gestatten oder verweigern. Ausserdem kennt das
+Recht auch eine Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die
+Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an
+demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus
+betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem
+Verbrecher geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der
+heiligen Jungfrauen der Vesta zufaellig begegnet.
+
+—————————————————————
+
+^1 Dieser “Wagenstuhl” - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht
+wohl moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten
+in der Weise erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren
+befugt war, woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer
+feierliche Gelegenheiten blieb, und dass er urspruenglich, solange es
+noch kein erhoehtes Tribunal gab, auf dem Comitium oder wo er sonst
+wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach.
+
+^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom.
+23, 24) sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte
+ermordet haetten; dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen
+das Recht geweigert habe; dass dann Tatius von diesen erschlagen worden
+sei; dass Romulus die Moerder des Tatius freigesprochen, weil Mord mit
+Mord gesuehnt sei; dass aber infolge goettlicher ueber beide Staedte
+zugleich ergangener Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten
+Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich zur gerechten Strafe
+gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine Historisierung
+der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der
+Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo
+vorkommenden Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab,
+scheinen aber auch verwirrt oder zurechtgemacht.
+
+————————————————————————
+
+Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen
+verhaengt der Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten
+Zahl (daher der Name multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe
+zu erkennen steht in seiner Hand.
+
+In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine
+Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des
+Verletzten, welcher den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter
+Gewalt zwingt, sich mit ihm persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind
+beide Parteien erschienen und hat der Klaeger die Forderung muendlich
+vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in gleicher Weise
+verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen oder sie
+in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die
+regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der
+Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur
+ergaenzend ein, wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine
+ausreichende Suehne (poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum
+vorenthalten oder seine gerechte Forderung nicht erfuellt ward.
+
+Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt
+war und wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt,
+laesst sich nicht bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem
+auf frischer Tat ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter
+entdeckten, da die Erbitterung, welche eben zu suehnen ist, gegen jenen
+staerker ist als gegen diesen. Erschien der Diebstahl der Suehne
+unfaehig oder war der Dieb nicht imstande, die von dem Beschaedigten
+geforderte und von dem Richter gebilligte Schaetzung zu erlegen, so
+ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zugesprochen.
+
+Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den
+leichteren Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging
+dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte
+Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn.
+
+Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in
+Feldgemeinschaft benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit
+aufgeteilt worden ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern
+zunaechst an dem “Sklaven- und Viehstand” (familia pecuniaque)
+entwickelt. Als Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des
+Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem
+einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben und
+Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in
+dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu
+haben. Alles Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht
+macht keinen wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und
+unbeweglichem Gut, seit ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf
+das letztere erstreckt war, und kennt kein unbedingtes Anrecht der
+Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das vaeterliche oder
+Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die Kinder ihres
+Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche Gewalt
+aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch
+versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein
+Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater
+auch den Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit
+persoenlichen Beschraenkungen des Eigentuemers war das Recht sparsam
+und gestattete im ganzen jedem erwachsenen Mann die freie Verfuegung
+ueber sein Gut. Doch mag die Einrichtung, wonach derjenige, welcher
+sein Erbgut veraeusserte und seine Kinder desselben beraubte,
+obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter Vormundschaft gesetzt ward,
+wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst
+aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere
+Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die
+beiden Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers
+und Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen
+Recht miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums
+wurden, mit Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft
+unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht zugelassen. Erbpacht
+und dingliche Grundrente sind rechtlich unmoeglich; anstatt der
+Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient die sofortige
+Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den Glaeubiger
+gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort
+(fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu
+veraeussern und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem
+Schuldner zurueckzustellen.
+
+Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die
+Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten
+(praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen
+die Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen
+Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt
+nur das nach kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch
+bei dem haeufig hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid
+raechenden Goettern. Rechtlich klagbar sind nur das Verloebnis,
+infolgedessen der Vater, wenn er die versprochene Braut nicht gibt,
+dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner der Kauf (mancipatio)
+und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich abgeschlossen
+dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die Hand
+gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den
+bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das
+Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser
+geworden war, geschah durch Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer
+auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen Waage ^3. Unter
+diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer dafuer einstehen, dass er
+Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der Kaeufer jede
+besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls buesst er dem
+andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet haette. Immer
+aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug um Zug
+beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum
+und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen
+eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die
+bedungene Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe
+zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu
+entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das
+Jahr zehn Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit
+auch die Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat
+gegenueber seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres
+mit allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte
+zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die
+Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder
+erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es
+darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei
+Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was
+bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen
+leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des
+Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei fuer
+den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei
+wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf
+Rindern, bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied
+sodann, wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden
+Partei den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also
+unrecht gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig
+Tage hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von
+Anfang an feststand, also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern
+er nicht Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, unterlag dem
+Exekutionsverfahren “durch Handanlegung” (manus iniectio), indem ihn
+der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte,
+lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der
+Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn
+auftreten und diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf
+dann das Verfahren eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den
+Vertreter persoenlich verantwortlich, weshalb auch fuer den
+steuerzahlenden Buerger der Proletarier nicht Vertreter sein konnte.
+Trat weder Erfuellung noch Vertretung ein, so sprach der Koenig den
+Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn abfuehren und halten
+konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage verstrichen,
+war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt
+und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und dies
+alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu
+toeten und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen
+Kindern und seiner Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder
+auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu halten; denn freilich konnte er,
+so lange er im Kreis der roemischen Gemeinde blieb, nach roemischem
+Recht nicht vollstaendig Sklave werden. So ward Habe und Gut eines
+jeden von der roemischen Gemeinde gegen den Dieb und Schaediger sowohl
+wie gegen den unbefugten Besitzer und den zahlungsunfaehigen Schuldner
+mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.
+
+————————————————————————-
+
+^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger
+als die Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des
+Bauerneigentums gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und
+wie selbst die Tradition angenommen haben muss, da sie Servius zum
+Erfinder der Waage macht. Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation
+weit aelter sein, denn sie passt zunaechst nur auf Gegenstaende, die
+durch Ergreifen mit der Hand erworben werden und muss also in ihrer
+aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das Vermoegen wesentlich in
+Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung
+derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird demnach
+eine Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch
+der Gebrauch der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist
+die Manzipation urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der
+Servianischen Reform bei allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres
+Missverstaendnis deutete die Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert
+werden muessten, dahin um, dass nur diese Sachen und keine anderen
+manzipiert werden koennten.
+
+^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des
+Kapitals (uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das
+zwoelfmonatliche zehn vom Hundert.
+
+——————————————————————-
+
+Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur
+Schirmung des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und
+der Wahnsinnigen und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten
+Erben zu der Hut desselben berief.
+
+Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle
+Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die
+Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren
+von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch
+vorher wegen der an dem Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten
+der Priester einzuholen ist; indes scheinen solche Dispensationen frueh
+sehr haeufig geworden zu sein, und wo sie fehlte, konnte bei der
+vollkommen freien Disposition, die einem jeden ueber sein Vermoegen bei
+seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermassen
+abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen einem Freund
+uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen
+gemaess verteilte.
+
+Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer
+konnte freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten;
+aber die zwischen dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit
+gegenseitiger Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch
+weniger dem letzteren der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das
+Buergerrecht erworben. Die Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache,
+nicht Recht gewesen sein und dem Herrn nie die Moeglichkeit
+abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach Gefallen als
+Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo sich
+der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber
+anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen.
+Eine eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch
+nicht - der beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht
+gegeben haben kann -, sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt,
+welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozess, die
+Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens
+in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er
+dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die Freiheit
+anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu
+lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als
+frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach
+anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere
+Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des
+Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und
+darum willkuerlich loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater
+zu sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu
+loesen, erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser
+entlassen zu werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine
+Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben.
+
+Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten,
+zwischen denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige
+privatrechtliche Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich
+nicht einem roemischen Schutzherrn ergeben hat und also als
+Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie seine Habe. Was der
+roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht erworben wie die am
+Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das Grundstueck, das
+ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische Buerger wohl
+faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer
+gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne
+Buerger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt,
+der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt
+nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier haengt es denn auch von
+diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder zurueckzunehmen.
+
+Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere
+Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der
+roemischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige
+Buendnis zwischen Rom und Latium alle Vertraege zwischen Roemern und
+Latinern fuer rechtsgueltig und verordnete zugleich fuer diese einen
+beschleunigten Zivilprozess vor geschworenen “Wiederschaffern”
+(reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen roemischen
+Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu uebertragen, immer in
+der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern
+beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und
+Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen
+Vertrages und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt
+haben. Die Formen, in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern
+sich bewegte, waren natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier
+und Plebejer miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum
+sind urspruenglich gar keine Formalakte, sondern der praegnante
+Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so
+weit man lateinisch sprach.
+
+In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem
+eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit
+den Caeriten und anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr
+und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des internationalen
+Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in Rom allmaehlich
+neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser Rechtsbildung ist
+das merkwuerdige mutuum, der “Wandel” (von mutare; wie dividuus); eine
+Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf einer ausdruecklich vor
+Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des Schuldners, sondern auf dem
+blossen Uebergang des Geldes aus einer Hand in die andere beruht und
+die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum
+dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum charakteristisch,
+dass das Wort als μοίτον im sizilischen Griechisch wiederkehrt; womit
+zu verbinden ist das Wiedererscheinen des lateinischen carcer in dem
+sizilischen κάρκαρον. Da es sprachlich feststeht, dass beide Woerter
+urspruenglich latinisch sind, so wird ihr Vorkommen in dem sizilischen
+Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den haeufigen Verkehr der
+latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie veranlasste, dort Geld
+zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in den aelteren Rechten
+die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, sich zu unterwerfen.
+Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen Gefaengnisses,
+“Steinbrueche” oder λατομίαι, in alter Zeit auf das erweiterte
+roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen.
+
+Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser
+Institutionen, die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa
+ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums
+veranstalteten Aufzeichnung des roemischen Gewohnheitsrechts und deren
+Bestehen schon in der Koenigszeit sich wohl fuer einzelne Punkte, aber
+nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin das Recht
+einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker-
+und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum
+Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig
+verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei
+den Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer
+sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach
+roemischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd
+erscheinen musste, und vor allem die uralte latinische Formel der
+Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den
+Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das “reine Kraut” (herba pura,
+fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der
+angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen
+Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen
+Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch
+das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das
+roemische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol
+und fordert in allen Faellen nicht mehr und nicht weniger als den
+vollen und reinen Ausdruck des Willens. Die Uebergabe der Sache, die
+Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie
+die Parteien die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert haben; es
+ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu geben,
+den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu
+verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes
+einzufuehren; aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach
+aeltestem roemischen Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche.
+Vollkommen analog wie aus der Religion alle Allegorie und damit alle
+Personifikation beseitigt ward, wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik
+grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist hier jener aelteste Zustand,
+den die hellenischen wie die germanischen Institutionen uns darstellen,
+wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der Autoritaet der kleineren, in
+die Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften,
+gaenzlich beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates
+zur Ergaenzung der unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen
+Schutz und Trutz, keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die
+Verfuegung des einzelnen beschraenkenden Familieneigentums. Auch
+dergleichen muss wohl einmal bei den Italikern bestanden haben; es mag
+in einzelnen Institutionen des Sakralrechts, zum Beispiel in dem
+Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger den naechsten Verwandten
+des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich finden;
+allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken
+erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar
+vernichtet ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde
+nicht; aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem
+staatlichen Gebiet ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die
+Freiheit, die der Staat dem Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der
+letzte Rechtsgrund ist ueberall der Staat: die Freiheit ist nur ein
+anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; alles
+Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung
+von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die
+Gemeinde in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern
+die Gemeinde es bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des
+oeffentlichen und des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen
+gegen den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen
+und immer Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den
+Mitbuerger oder den Gast, welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs
+durch Suehne oder Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit
+dem Leben gebuesst werden, sondern hoechstens mit dem Verlust der
+Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung
+des Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage
+in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge
+Wechselprozess zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse
+stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten
+umfassende Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind in der
+Rechtsfaehigkeit mit den Maennern voellig auf eine Linie gestellt,
+obwohl sie im Handeln beschraenkt sind; ja der kaum erwachsene Knabe
+bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht ueber sein
+Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist in seinem Kreise so
+souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst
+charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht,
+sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage
+das Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des Eigentums vom
+Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche Kredit in
+der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten Weise
+garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, den
+zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und ihm
+dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott
+ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja
+den Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert,
+als es der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen,
+dass es zugleich unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und
+kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle
+Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige.
+Nimmt man dazu das frueh anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher
+Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene Gueltigkeit der
+Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Hoechste von
+seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des
+einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm,
+dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs
+selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie
+beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt
+auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast
+dem Buerger gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo
+das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig,
+dass dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und
+billige Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das Recht eine
+Freude daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die
+aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs
+gewaltsam dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form,
+die gemuetliche Anschaulichkeit, die in den germanischen
+Rechtsordnungen anmutig walten, sind dem Roemer fremd, in seinem Recht
+ist alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution
+zuviel. Es ist nicht grausam; alles Noetige wird vollzogen ohne
+Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert werden
+kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts, den zu gewinnen andere
+Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber es ist schrecklich,
+dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die man sich nicht
+allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis, denn es ist
+ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die
+Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den
+Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die
+Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein
+Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze
+der Freiheit und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge
+unverfaelscht und ungemildert walteten und heute noch walten.
+
+
+
+
+KAPITEL XII.
+Religion
+
+
+Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher angedeutet ward,
+hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem
+hoeheren und idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher
+Genauigkeit das Kleine wie das Grosse wiederholte. Der Staat und das
+Geschlecht, das einzelne Naturereignis wie die einzelne geistige
+Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung
+innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen
+Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im
+ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis. Der
+Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht
+laenger als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen
+Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt auch
+diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche Handlungen und
+gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer aufs
+neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten
+ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff
+auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott
+entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten
+dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und wenn
+aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden
+auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich zu
+bereiten.
+
+Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder Beruehrung
+mit den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem
+Verzeichnis der oeffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae)
+der roemischen Gemeinde, das in dem Kalender derselben erhalten und
+ohne Frage die aelteste aller aus dem roemischen Altertum auf uns
+gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben nehmen die Goetter
+Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem Quirinus,
+ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig, ausserdem die
+saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter noch zu
+erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem “boesen Jovis” (Vediovis), ist
+der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen gehoert das Neujahr
+des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest in diesem, von dem
+Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch das Pferderennen
+(equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den Tagen des
+Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), des
+Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der
+Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie,
+wenn ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste begann, so
+folgte nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine Marsfeier,
+das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten Mars
+endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter
+den uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau
+bezueglichen die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine
+untergeordnete Rolle spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse
+Reihe der Fruehlingsfeste im April, wo am 15. der Tellus, das ist der
+naehrenden Erde (fordicidia, Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der
+Ceres, das ist der Goettin des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann
+am 21. der befruchtenden Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem
+Jupiter als dem Schuetzer der Reben und der an diesem Tage zuerst sich
+oeffnenden Faesser von der vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem
+boesen Feinde der Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia) Opfer
+dargebracht werden. Ebenso wird nach vollendeter Arbeit und gluecklich
+eingebrachtem Feldersegen dem Gott und der Goettin des Einbringens und
+der Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops ein Doppelfest
+gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21. August,
+Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen
+der Speicher vor allem offenbar wird (15. Dezember, Consualia; 19.
+Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren beiden Feiertagen die
+sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest der Aussaat
+(Saturnalia von Saëturnus oder Saturnus, 17. Dezember), einschaltete.
+Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest (meditrinalia, 11.
+Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most heilende Kraft beilegte,
+dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter Lese dargebracht, waehrend
+die urspruengliche Beziehung des dritten Weinfestes (Vinalia, 19.
+August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen weiter am Jahresschluss
+das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der Hirten zu Ehren des guten
+Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest (Terminalia, 23. Februar)
+der Ackerbauer, ferner das zweitaegige sommerliche Hainfest (Lucaria,
+19., 21. Juli) das den Waldgoettern (Silvani) gegolten haben mag, die
+Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kuerzesten Tages,
+der die neue Sonne herauffuehrt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember).
+
+Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das fuer die Hafenstadt
+Latiums sich nicht anders erwarten laesst, die Schifferfeste der
+Gottheiten der See (Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17.
+August) und des Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und
+Kunst dagegen sind in diesem Goetterkreis nur vertreten durch den Gott
+des Feuers und der Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem ausser dem nach
+seinem Namen benannten Tag (Volcanalia, 23. August) auch das zweite
+Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Mai) gewidmet ist, und
+allenfalls noch durch das Fest der Carmentis (Carmentalia, 11., 15.
+Januar), welche wohl urspruenglich als die Goettin der Zauberformel und
+des Liedes und nur folgeweise als Schuetzerin der Geburten verehrt
+ward.
+
+Dem haeuslichen und Familienleben ueberhaupt galten das Fest der
+Goettin des Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der
+Penaten (Vestalia, 9. Juni); das Fest der Geburtsgoettin ^1 (Matralia,
+11. Juni), das Fest des Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet
+(Liberalia, 17. Maerz), das Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia,
+21. Februar) und die dreitaegige Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13.
+Mai), waehrend auf die buergerlichen Verhaeltnisse sich die beiden
+uebrigens fuer uns nicht klaren Festtage der Koenigsflucht (Regifugium,
+24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5. Juli), von denen
+wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das Fest der
+sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem
+Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar)
+gewidmet. Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem
+Jupiter und der Acca Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein
+Larenfest (23. Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen.
+
+———————————————————————-
+
+^1 Das ist allem Anschein nach das urspruengliche Wesen der
+“Morgenmutter” oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern
+hat, dass, wie die Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die
+Morgenstunde fuer die Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und
+Hafengoettin ist die Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss
+des Leukotheamythus geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von
+den Frauen verehrt ward, spricht dagegen, sie urspruenglich als
+Hafengoettin zu fassen.
+
+———————————————————————-
+
+Diese Tafel ist vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen
+Feste; und wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit
+aeltester Zeit Wandel- und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so
+oeffnet doch diese Urkunde, in dem, was sie sagt, wie in dem, was sie
+auslaesst, uns den Einblick in eine sonst fuer uns beinahe gaenzlich
+verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der altroemischen Gemeinde
+und der Huegelroemer war bereits erfolgt, als diese Festtafel entstand,
+da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch stand der
+kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen
+Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht
+errichtet; noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der
+Mittelpunkt nicht bloss des roemischen, sondern ueberhaupt des
+italischen Gottesdienstes in derjenigen Epoche, wo der Stamm noch sich
+selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war allen Spuren zufolge
+der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, vorwiegend gedacht als
+der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind niederwerfende
+goettliche Vorfechter der Buergerschaft - natuerlich in der Art, dass
+eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass und ihn fuer den
+staerksten und heiligsten unter allen achtete, demnach auch jeder zu
+neuer Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz
+seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst
+goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den
+saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der erste Monat
+geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls keiner
+Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter
+Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht
+knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige
+Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft,
+und was von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen
+vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen
+Doppelgaenger, den Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings
+der Vater Diovis, eine reinere und mehr buergerliche als kriegerische
+Widerspiegelung des Wesens der roemischen Gemeinde, einen groesseren
+Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des Jupiter an Rang den
+beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr hervorragende
+Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar ganz
+glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis neben
+Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte
+Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde
+auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war,
+wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte
+“Sorgenbrecher”, sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt des
+herzerfreuenden Weines.
+
+—————————————————-
+
+^2 Aus Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich
+durch verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang
+in ŏ (aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in
+der Doppelform Mar-Mor (vgl. Ma-mŭrius) neben Mar-Mar und Ma-Mers.
+
+—————————————————-
+
+Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die roemischen Gottheiten
+im einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich
+wichtig, ihren eigentuemlichen, zugleich niedrigen und innigen
+Charakter hervorzuheben. Abstraktion und Personifikation sind das Wesen
+der roemischen wie der hellenischen Goetterlehre; auch der hellenische
+Gott ruht auf einer Naturerscheinung oder einem Begriff, und dass dem
+Roemer eben wie dem Griechen jede Gottheit als Person erscheint, dafuer
+zeugt die Auffassung der einzelnen als maennlicher oder weiblicher und
+die Anrufung an die unbekannte Gottheit: “bist du Gott oder Goettin,
+Mann oder auch Weib”; dafuer der tiefhaftende Glaube, dass der Name des
+eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde unausgesprochen bleiben muesse,
+damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott bei seinem Namen
+rufend, ihn ueber die Grenzen hinueberlocke. Ein Ueberrest dieser
+maechtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der aeltesten und
+nationalsten italischen Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die
+Abstraktion, die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und
+immer weiteren Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in
+das Wesen der Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die
+roemischen Glaubensbilder auf einer unglaublich niedrigen Stufe des
+Anschauens und des Begreifens. Wenn dem Griechen jedes bedeutsame Motiv
+sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis erweitert, so
+bleibt dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen nackten
+Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher
+Verklaerung, dem goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und
+geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische
+Religion nichts auch nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr
+eigentuemlich waere. Sie weiss wohl auch von einem “schlimmen Gott”
+(Ve-diovis), von Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin
+auch von Gottheiten der boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten,
+vielleicht sogar des Diebstahls (laverna); aber den geheimnisvollen
+Schauer, nach dem das Menschenherz doch auch sich sehnt, vermag sie
+nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit dem Unbegreiflichen
+und selbst dem Boesartigen in der Natur und dem Menschen, welches der
+Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen soll.
+Es gab in der roemischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die
+Namen der Stadtgoetter, der Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser
+Goetter war jedem offenbar.
+
+Die nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die
+wichtigen Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie
+terminologisch auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch
+dem Privatrecht zu Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen
+- zu klassifizieren, um darnach die Goetter und Goetterreihen selber
+richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung der Menge zu weisen
+(indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen von der
+einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit ging
+die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat
+(saëturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein
+(terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen
+Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen
+Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich
+italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und
+doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische
+Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns
+zunaechst der “Geist der Eroeffnung” anzurufen sei, und vor allem das
+tiefe Gefuehl davon, dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen
+Goetterbegriffe in Reihen zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren
+Goetter der Hellenen notwendig jeder fuer sich standen ^3. Vielleicht
+der innigste unter allen roemischen ist der Kult der in und ueber dem
+Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im oeffentlichen
+Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der der
+Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen
+Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der
+Familienmahlzeit ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu
+verrichten noch zu des aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters
+erstes Geschaeft war. Aber in der Rangordnung der Goetter nahmen diese
+Haus- und Feldgeister eher den letzten als den ersten Platz ein; es
+war, wie es bei einer auf Idealisierung verzichtenden Religion nicht
+anders sein konnte, nicht die weiteste und allgemeinste, sondern die
+einfachste und individuellste Abstraktion, in der das fromme Herz die
+meiste Nahrung fand.
+
+————————————————————
+
+^3 Dass Tor und Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig
+ist und er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der
+Muenzreihe noch vor dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt
+wird, bezeichnet ihn unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und
+Eroeffnung. Auch der nach zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit
+dem nach zwei Seiten hin sich oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen-
+und Jahresgott darf man um so weniger aus ihm machen, als der von ihm
+benannte Monat urspruenglich der elfte, nicht der erste ist; vielmehr
+scheint dieser Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser Zeit
+nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von
+vorn beginnt. Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der
+Spitze des Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich
+des Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst.
+
+——————————————————-
+
+Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die
+praktische und utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie
+in der oben eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt.
+Vermoegensmehrung und Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch
+Schiffahrt und Handel - das ist es, was der Roemer von seinen Goettern
+begehrt; es stimmt dazu recht wohl, dass der Gott des Worthaltens (deus
+fidius), die Zufalls- und Gluecksgoettin (fors fortuna) und der
+Handelsgott (mercurius), alle aus dem taeglichen Verkehr
+hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch
+schon sehr frueh weit und breit von den Roemern verehrt auftreten.
+Strenge Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische Spekulation waren zu tief
+im roemischen Wesen begruendet, um nicht auch dessen goettliches Abbild
+bis in den innersten Kern zu durchdringen.
+
+Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der
+sterblichen Menschen, die “Guten” (manes) lebten schattenhaft weiter,
+gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von
+den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen
+der Tiefe und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den
+auf der Erde waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der
+griechische Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und
+schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz
+unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa,
+der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in Rom
+nie als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen.
+
+Die aeltesten Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor
+allem auf Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der “Zuender
+des Mars” (flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer
+benannt ward, und die zwoelf “Springer” (salii), eine Schar junger
+Leute, die im Maerz den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und
+dazu sangen. Dass die Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der
+palatinischen die Verdoppelung des roemischen Mars und damit die
+Einfuehrung eines zweiten Marspriesters - des flamen Quirinalis - und
+einer zweiten Taenzergilde - der salii collini - herbeifuehrte, ist
+bereits frueher auseinandergesetzt worden.
+
+Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach
+weit ueber Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, fuer welche
+entweder Einzelpriester angestellt waren -solche gab es zum Beispiel
+der Carmentis, des Volcanus, des Hafen- und des Flussgottes - oder
+deren Begehung einzelnen Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen
+des Volkes uebertragen war. Eine derartige Genossenschaft war
+vermutlich die der zwoelf “Ackerbrueder” (fratres arvales), welche die
+“schaffende Goettin” (dea dia) im Mai anriefen fuer das Gedeihen der
+Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in dieser
+Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches wir ihr in der
+Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische Bruederschaft
+sich an, die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu bewahren und zu
+besorgen hatte, sowie die fuer die Herde der dreissig Kurien
+eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales). Das schon
+erwaehnte “Wolfsfest” (lupercalia) wurde fuer die Beschirmung der
+Herden dem “guenstigen Gotte” (faunus) von dem Quinctiergeschlecht und
+den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen Fabiern im
+Monat Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die
+“Woelfe” (luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und
+wen sie trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern
+gentilizischen Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als
+mitvertreten.
+
+Zu diesem aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten
+allmaehlich neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist
+diejenige, welche auf die neu geeinigte und durch den grossen Mauer-
+und Burgbau gleichsam zum zweitenmal gegruendete Stadt sich bezieht: in
+ihr tritt der hoechste beste Jovis vom Burghuegel, das ist der Genius
+des roemischen Volkes, an die Spitze der gesamten roemischen
+Goetterschaft, und sein fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis,
+bildet mit den beiden Marspriestern die heilige oberpriesterliche
+Dreiheit. Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes
+- der Vesta - und der dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche
+Jungfrauen versahen, gleichsam als die Haustoechter des roemischen
+Volkes, jenen frommen Dienst und hatten das heilsame Feuer des
+Gemeindeherdes den Buergern zum Beispiel und zum Wahrzeichen stets
+lodernd zu unterhalten. Es war dieser haeuslich-oeffentliche
+Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie er denn auch von allem
+Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen Verfemung gewichen ist.
+Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen als der Repraesentantin
+der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben darum eine besondere
+roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt; und zahlreichen
+anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die Gemeinde sich in
+bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder durch besonders zu ihrem
+Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu huldigen, wobei
+sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der Obstgoettin
+(Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass deren
+zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied man
+unter ihnen jene drei “grossen Zuender” (flamines maiores), die bis in
+die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern genommen werden konnten,
+ebenso wie die alten Genossenschaften der palatinischen und
+quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen
+Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und
+stehenden Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten
+Genossenschaften oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal
+uebertragen und zur Deckung der vermutlich nicht unbetraechtlichen
+Opferkosten teils den einzelnen Tempeln gewisse Laendereien, teils die
+Bussen angewiesen.
+
+Dass der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch
+der sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht
+zu bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und
+Vestalinnen nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische
+Institutionen gewesen und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen
+in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster
+gebildet zu sein.
+
+Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis des Staats, so auch
+der einzelne Buerger innerhalb seines individuellen Kreises aehnliche
+Anordnungen treffen und seinen Goettern nicht bloss Opfer darbringen,
+sondern auch Staetten und Diener ihnen weihen.
+
+Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein
+Anliegen an den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an
+den Gott. Jeder Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die
+Gemeinde natuerlich durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den
+Curio und die Ritterschaft durch ihre Obristen; und keine priesterliche
+Vermittlung durfte das urspruengliche und einfache Verhaeltnis
+verdecken oder verdunkeln. Allein es ist freilich nicht leicht, mit dem
+Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die
+nur dem kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber recht versteht,
+der weiss den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, sondern auch
+zu lenken, sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. Darum
+ist es natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige
+Leute zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen
+Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus
+national-italische Institution, die auf die politische Entwicklung weit
+bedeutender eingewirkt hat als die Einzelpriester und die
+Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein
+mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten
+Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition
+fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren
+richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren
+treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese
+geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern,
+ergaenzenden Genossenschaften sind dadurch die Depositare der
+Kunstfertigkeiten und Wissenschaften geworden. In der roemischen und
+ueberhaupt der latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien
+urspruenglich nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die
+sechs “Voegelfuehrer” (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus
+dem Flug der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich
+betrieben und in ein gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward.
+Die sechs “Brueckenbauer” (pontifices) fuehrten ihren Namen von dem
+ebenso heiligen wie politisch wichtigen Geschaeft, den Bau und das
+Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es waren die roemischen
+Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen verstanden; woher
+ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu fuehren, dem
+Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu
+sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am
+rechten Tage vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick
+ueber den ganzen Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei
+Ehe, Testament und Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte
+Geschaeft nicht gegen das goettliche Recht irgendwie verstosse, und
+ging von ihnen die Feststellung und Bekanntmachung der allgemeinen
+exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter dem Namen der
+Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller
+Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die
+allgemeine Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was damit
+zusammenhing - und was hing nicht damit zusammen? Sie selbst
+bezeichneten als den Inbegriff ihres Wissens “die Kunde goettlicher und
+menschlicher Dinge”. In der Tat sind die Anfaenge der geistlichen und
+weltlichen Rechtswissenschaft wie die der Geschichtsaufzeichnung aus
+dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn wie alle
+Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft,
+musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der
+Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung
+nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell
+werden, das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein
+Gutachten zu geben allein kompetent war.
+
+———————————————————————————-
+
+^4 Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem
+latinischen Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall
+vorkommen (z. B. Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften),
+ebenso der pater patratus der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die
+uebrigen Kollegien aber nicht. Jene also stehen auf einer Linie mit der
+Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, Luperkern als aeltestes
+latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris faciundis und die
+anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die Servianischen Tribus
+und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom beschraenkt
+geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices,
+ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische
+Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen,
+oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat,
+pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den
+Wegebauer.
+
+Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn
+schwanken. Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt
+Cicero (leg. agr. 2, 35, 96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht
+dies, sondern nur, dass die Zahl der roemischen Augurn durch drei
+teilbar sein und insofern auf eine ungerade Grundzahl zurueckgehen
+muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum Ogulnischen Gesetz
+sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), indem er
+Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die Zahl
+der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20.
+
+———————————————————————————-
+
+Gewissermassen laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten
+Genossenschaften geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der
+zwanzig Staatsboten (fētiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen,
+bestimmt als lebendiges Archiv das Andenken an die Vertraege mit den
+benachbarten Gemeinden durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber
+angebliche Verletzungen des vertragenen Rechts gutachtlich zu
+entscheiden und noetigenfalls den Suehneversuch und die
+Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus fuer das Voelkerrecht,
+was die Pontifices fuer das Goetterrecht, und hatten daher auch wie
+diese die Befugnis, Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen.
+
+Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie
+wichtige und umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergass
+man, und am wenigsten bei den am hoechsten gestellten, dass sie nicht
+zu befehlen, sondern sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der
+Goetter nicht unmittelbar zu erbitten, sondern die erteilte dem Frager
+auszulegen hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloss im
+Rang dem Koenig nach, sondern er darf ungefragt nicht einmal ihn
+beraten. Dem Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und wann er die
+Voegel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und
+verdolmetscht ihm, wenn es noetig ist, die Sprache der Himmelsboten.
+Ebenso kann der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das
+Landrecht nicht anders eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm
+begehren, und mit unerbittlicher Strenge hat man trotz aller
+Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, dass in dem Staat der
+Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu verbleiben und, von allen
+Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Buerger dem geringsten
+Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung beruht
+wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in
+untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkraeften; sie
+bewegt sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der Freude, in
+Liedern und Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem aber in
+Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden, regelmaessig von
+Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in Italien das
+Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist den
+Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche
+Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit
+des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit
+gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten
+latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie wird durch
+die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit eiserner
+Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von
+solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben.
+Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und
+irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein
+Verbrechen gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im
+innersten Wesen auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum
+Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes
+Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes;
+der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie
+der boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten
+Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung
+begegnet hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf
+einen bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie
+versoehnen, wer sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige
+Erdspalten sich schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege
+wandeln, wenn ein braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund
+oder in die Feinde stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der
+heilige Lenz, indem den Goettern dargebracht wird, was der bestimmte
+Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden laesst. Will man dies
+Menschenopfer nennen, so gehoert solches freilich zum Kern des
+latinischen Glaubens; aber man muss hinzufuegen, dass, soweit unser
+Blick in die Ferne irgend zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie
+das Leben fordert, sich beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem
+buergerlichen Gericht ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der
+freiwillig den Tod waehlt. Menschenopfer anderer Art laufen dem
+Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und beruhen wenigstens bei den
+indogermanischen Staemmen ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer
+Ausartung und Verwilderung. Bei den Roemern haben sie nie Eingang
+gefunden; kaum dass einmal in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube
+und Verzweiflung ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von
+Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den
+Roemern verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und
+Prophetentum hat in Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in
+Griechenland und nie vermocht, das private und oeffentliche Leben
+ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist dafuer auch die
+latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und Trockenheit
+verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen
+Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward,
+vor allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter
+irdischer Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers
+durch seine Richtung auf das Fassliche und Reelle diese Wendung
+ueberhaupt gegeben wird und nicht minder scharf noch in dem heutigen
+Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die Goetter stehen dem Menschen
+voellig gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder von ihnen
+hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und Leistungen,
+und da die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente des
+irdischen Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung
+eines jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es
+eine muehsame und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen
+Verpflichtungen auch nur sich bewusst zu werden, und so mussten wohl
+die des goettlichen Rechtes kundigen und dasselbe weisenden Priester,
+die Pontifices, zu ungemeinem Einfluss gelangen. Denn der rechtliche
+Mann erfuellt die Vorschriften des heiligen Rituals mit derselben
+kaufmaennischen Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen
+Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott
+es seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation laesst man mit dem Gotte
+sich ein: das Geluebde ist der Sache wie dem Namen nach ein foermlicher
+Kontrakt zwischen dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer
+eine gewisse Leitung eine gewisse Gegenleistung zusichert, und der
+roemische Rechtssatz, dass kein Kontrakt durch Stellvertretung
+abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte Grund, weshalb in
+Latium bei den religioesen Anliegen der Menschen alle
+Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der roemische
+Kaufmann, seiner konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag
+bloss dem Buchstaben nach zu erfuellen befugt ist, so ward auch, wie
+die roemischen Theologen lehren, im Verkehr mit den Goettern das Abbild
+statt der Sache gegeben und genommen. Dem Herrn des Himmelsgewoelbes
+brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren statt auf der
+Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater Tiberis wurden zur
+Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer jaehrlich dreissig von
+Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfen ^5. Die Ideen
+goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind hier ununterscheidbar
+gemischt mit der frommen Schlauigkeit, welche es versucht, den
+gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte Befriedigung zu beruecken und
+abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl von gewaltiger Macht
+ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes Bangen vor der
+allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das den
+pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde liegt,
+sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von
+demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten,
+aber sehr genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist
+einleuchtend, dass eine solche Religion die kuenstlerische und die
+spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet
+war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit menschlichem
+Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss die
+Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten
+auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste
+Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller
+Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu
+kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen
+Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die
+griechische Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen,
+die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit dem
+wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor die
+Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt hatte,
+zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der
+Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler
+noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die latinische
+Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der
+Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer
+irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild
+seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von
+Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu
+trueben und zu befangen. Darum war der urspruengliche roemische
+Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und wenngleich auch
+in Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in frueher Zeit
+der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut ward,
+so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas
+zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit
+Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein
+ihr eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete
+ueber die nach Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel
+aller zeugenden Kraft in der roemischen Religion ist gleichfalls die
+letzte Ursache, warum die roemische Poesie und noch mehr die roemische
+Spekulation so vollstaendig nicht waren und blieben.
+
+———————————————————————-
+
+^5 Hierin konnte nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter
+Menschenopfer finden.
+
+———————————————————————-
+
+Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe
+Unterschied. Der praktische Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus
+ihrer Religion erwuchs, war ein von den Priestern, namentlich den
+Pontifices entwickeltes, formuliertes Moralgesetz, welches teils in
+dieser - der polizeilichen Bevormundung des Buergers durch den Staat
+noch fernstehenden - Zeit die Stelle der Polizeiordnung vertrat, teils
+die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht der Goetter zog und sie
+mit goettlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der ersteren Art
+gehoerte ausser der religioesen Einschaerfung der Heiligung des
+Feiertags und eines kunstmaessigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten
+kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen
+Ruecksichten zusammenhaengende Herd- oder Larenkult und vor allem die
+bei den Roemern ungemein frueh, weit frueher als bei den Griechen,
+durchgefuehrte Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung
+des Lebens und Sterbens voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst
+unserer Gegenwart noch fremd ist. Man wird es nicht gering anschlagen
+duerfen, dass die latinische Landesreligion diese und aehnliche
+Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch war ihre
+sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den
+verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater
+oder den Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast
+oder den zugewandten Mann die Treupflicht verletzte; wenn der
+ungerechte Nachbar den Grenzstein verrueckte oder der Dieb sich bei
+naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden anvertrauten Halmfrucht
+vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem Haupt des
+Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei
+gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht
+ist nur ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in Rom
+waehrend des staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen
+Buerger oder gar dem voellig machtlosen Priester kommt die
+Vollstreckung solchen goettlichen Fluches zu. Zunaechst ist der also
+Gebannte dem goettlichen Strafgericht anheim gefallen, nicht der
+menschlichen Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf dem dieser
+Bannfluch fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige Naturen
+Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht;
+vielmehr ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu
+vollstrecken und, nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die
+Bannung setzt, nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt
+worden ist, den Gebannten der verletzten Gottheit gleichwie ein
+Opfertier zu schlachten (supplicium) und also die Gemeinde von dem
+Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen geringerer Art,
+so tritt an die Stelle der Toetung des Schuldigen die Loesung durch
+Darbringung eines Opfertiers oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze
+Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religioesen Idee der
+Suehnung.
+
+Weitere Leistungen aber als dergleichen Foerderungen buergerlicher
+Ordnung und Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht
+verrichtet. Unsaeglich viel hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt -
+dankt es doch seiner Religion nicht bloss seine ganze geistige
+Entwicklung, sondern auch seine nationale Einigung, soweit sie
+ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und Goetterfeste, um Delphi
+und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die Musen, bewegt sich
+alles, was im hellenischen Leben gross, und alles, was darin nationales
+Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch Latiums Vorzuege vor
+Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt wie sie ist auf das
+Mass der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem vollkommen verstaendlich
+und allen insgemein zugaenglich; und darum bewahrte die roemische
+Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit, waehrend Hellas, wo die Religion
+auf der Hoehe des Denkens der Besten stand, von fruehester Zeit an
+unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie gestanden hat.
+Auch die latinische Religion ist wie jede andere urspruenglich
+hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur der
+oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich
+taeuscht, weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach
+erscheinen. Dieser innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der
+Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne
+und auch die latinische Religion ist also spaeterhin verdorrt; aber
+laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die naive
+Glaeubigkeit sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie
+die Farben die Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so
+sind Kunst und Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch
+die Zerstoerer des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung
+und Vernichtung die Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das
+gleiche Naturgesetz auch der naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten,
+die man spaeter vergeblich sich bemueht zu erringen. Eben die gewaltige
+geistige Entwicklung der Hellenen, welche jene immer unvollkommene
+religioese und literarische Einheit erschuf, machte es ihnen
+unmoeglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie
+buessten damit die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die
+Verschmelzbarkeit ein, welche die Bedingung aller staatlichen Einigung
+ist. Es waere darum wohl an der Zeit, einmal abzulassen von jener
+kinderhaften Geschichtsbetrachtung, welche die Griechen nur auf Kosten
+der Roemer oder die Roemer nur auf Kosten der Griechen preisen zu
+koennen meint und, wie man die Eiche neben der Rose gelten laesst, so
+auch die beiden grossartigen Organismen, die das Altertum
+hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es zu
+begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit
+bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der Verschiedenheit beider
+Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium nicht, wohl aber Hellas
+in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat. Kein Volksstamm
+der Erde fuer sich allein war gross genug, weder das Wunder der
+hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen Kultur zu
+erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, wo
+aramaeische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich
+eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein
+humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der
+nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren und
+von beiden zu lernen.
+
+Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und
+ungehemmten durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem
+nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und
+Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande heruebergenommen wurden; so
+wenig als die Schenkung des Buergerrechts an einzelne Fremde den
+roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von alters her mit den
+Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich;
+bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten
+Goettern und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der
+Titier ist bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien
+Goetterbegriffe entlehnt worden sind, ist zweifelhafter; denn die
+Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die
+Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare), welche man
+wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach
+sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf
+jeden Fall, und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen
+Verkehr wissen, dass frueher und ausgedehnter als irgendein anderer
+auslaendischer der griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den
+aeltesten Anlass gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der
+roemischen Goetter beschraenkte sich im ganzen auf Ja und Nein und
+hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es
+scheint, urspruenglich italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit
+sehr alter Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten
+empfangenen Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche
+Wahrsprueche erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die
+Roemer gar frueh bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden
+Priesterin Apollons, der kymaeischen Sibylle, deshalb eine
+hochgehaltene Gabe der griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur
+Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in fruehester Zeit ein
+eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range nachstehendes Kollegium
+von zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis) bestellt, auch
+fuer dasselbe zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von
+Gemeinde wegen angeschafft; diese Orakelbewahrer ging man in
+zweifelhaften Faellen an, wenn es, um ein drohendes Unheil abzuwenden,
+eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man doch nicht wusste,
+welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den delphischen
+Apollon selbst wandten schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser den
+schon erwaehnten Sagen ueber diesen Verkehr zeugt davon noch teils die
+Aufnahme des mit dem delphischen Orakel eng zusammenhaengenden Wortes
+thesaurus in alle uns bekannte italische Sprachen, teils die aelteste
+roemische Form des Namens Apollon Aperta, der Eroeffner, eine
+etymologisierende Entstellung des dorischen Apellon, deren Alter eben
+ihre Barbarei verraet. Auch der griechische Herakles ist frueh als
+Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und dort in
+eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als
+Gott des gewagten Gewinns und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung;
+weshalb sowohl von dem Feldherrn der Zehnte der gemachten Beute wie
+auch von dem Kaufmann der Zehnte des errungenen Guts ihm an dem
+Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt dargebracht zu werden
+pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der kaufmaennischen
+Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar geschlossen und
+mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem alten
+latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung
+des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde,
+mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens
+verehrt und in den Gassen der Staedte wie an den Landstrassen standen
+ueberall seine Altaere. Die Schiffergoetter ferner, Kastor und
+Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes,
+der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius,
+wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren oeffentliche
+Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der “guten Goettin”
+(bona dea) damium, entsprechend dem griechischen δάμιον oder δήμιον,
+mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter
+Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer
+spaeter als “Vater Befreier” gefasst ward und mit dem Weingott der
+Griechen, dem “Loeser” (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der roemische
+Gott der Tiefe der “Reichtumspender” (Pluton - Dis pater) hiess, dessen
+Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch
+Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass
+heisst Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes,
+die aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen
+Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war
+das Schnitzbild in dem roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus
+gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die frueh mit orientalischen
+Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen,
+herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramaeische
+Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geuebt.
+Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen
+Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie
+zunaechst Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien
+gebracht haben.
+
+———————————————————-
+
+^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur
+gereihte Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren
+bildeten; was an die Runen erinnert.
+
+————————————————————
+
+Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von
+sekundaerer Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit
+aber, wie etwa die Sage von den Rindern des Cacus eines sein mag, so
+gut wie ganz verschollen; im grossen und ganzen ist die roemische
+Religion eine organische Schoepfung des Volkes, bei dem wir sie finden.
+
+Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen
+zu schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen
+Grundanschauungen wie die latinische mit lokal verschiedener Faerbung
+und Gestaltung. Dass sie abwich von der latinischen, zeigt am
+bestimmtesten die Gruendung einer eigenen Genossenschaft in Rom zur
+Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie gibt ein
+belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war
+beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die
+Titier schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn.
+Ueberall, wo wir vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche
+Verhaeltnisse; die Fassung der Goetter als Abstraktion des Irdischen
+und ihre unpersoenliche Natur sind beiden Staemmen gemein, Ausdruck und
+Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus diese Abweichungen
+gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den
+charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu
+erfassen.
+
+Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns
+gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine
+duestere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und
+Zeichendeuterei und jene feierliche Inthronisierung des reinen
+Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar
+den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher Vollstaendigkeit und
+Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere Gruebelei auch
+manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die duesteren
+und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich
+entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in
+der Tat nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug
+uebrig, um die Mystik und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im
+innersten Wesen des etruskischen Volkes begruendet.
+
+Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen
+Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber
+bestimmt treten unter den etruskischen Goettern die boesen und
+schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist
+und namentlich das Opfern der Gefangenen einschliesst - so schlachtete
+man in Caere die gefangenen Phokaeer, in Tarquinii die gefangenen
+Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe friedlich
+schaltenden Welt der abgeschiedenen “guten Geister”, wie die Latiner
+sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die armen
+Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von
+dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit
+Fluegeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in
+Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann zu kostuemieren, der
+die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist
+mit diesem Zustand der Schatten die Pein verbunden, dass es sogar eine
+Erloesung daraus gibt, die nach gewissen geheimnisvollen Opfern die
+arme Seele versetzt unter die oberen Goetter. Es ist merkwuerdig, dass,
+um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker frueh von den Griechen
+deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie denn die acherontische
+Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der etruskischen Weisheit
+spielen.
+
+Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen
+und Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der
+Goetter; allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und
+erkannte nur im allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck
+bringen werde. Stoerungen im Laufe der Natur galten ihm als
+unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie zum Beispiel bei Blitz
+und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man suchte auch
+wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt schleunigst
+getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit nicht.
+Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden
+der Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne
+heraus, und je seltsamer die Goettersprache, je auffallender das
+Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkuende und wie
+man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden die Blitzlehre, die
+Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen
+Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die
+Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, der
+von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, Tages
+genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und
+altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -,
+also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann
+sogleich gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, welche
+Goetter Blitze zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels
+und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz
+einen dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn
+dieses, ob dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst
+sich verschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den
+eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge,
+und dergleichen wundersame Kuenste mehr, denen man gelegentlich die
+Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies Gaukelspiel dem
+roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter in Rom
+es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in
+dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch die einheimischen und die
+griechischen Orakel.
+
+Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als
+sie von dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese
+Formen gehuellten Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat.
+Ueber der Welt mit ihren Goettern walten die verhuellten Goetter, die
+der etruskische Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und
+wird, wie sie entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines
+bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Ueber den
+geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie
+einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch
+ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus
+aus eigen gewesen zu sein.
+
+
+
+
+KAPITEL XIII.
+Ackerbau, Gewerbe und Verkehr
+
+
+Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und
+der aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung
+vielfach auf dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es
+versucht werden, anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die
+italische, namentlich die roemische Oekonomie zusammenfassend und
+ergaenzend zu schildern.
+
+Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der
+Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt.
+Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der
+sabellischen und der etruskischen nicht minder als der latinischen;
+eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien in geschichtlicher Zeit
+nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme ueberall, je nach der Art
+der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem Masse, neben dem
+Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es empfand, dass
+jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene Sitte, die
+Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der kuenftige
+Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete.
+Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich
+allein mit einiger Bestimmtheit sprechen laesst, nicht bloss der
+Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der Bauernschaft lag, sondern
+auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit der Ansaessigen immer
+festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die
+Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil des
+roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war
+und also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der
+Ansaessigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung dies
+Missverhaeltnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer
+einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder ohne
+Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer allemal nach der
+Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die
+Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf der
+Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und
+Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf
+die Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so
+hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu
+vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz in
+der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem
+Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder
+fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich
+eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische
+Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die
+Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden
+also im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die
+Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was
+der Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also
+die Eroberung, die der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten
+verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen Boden abgetreten
+haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern an ihrem
+Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des
+Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die
+ausgedehnteste und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den
+Boden und auf die geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten
+Bauernschaft.
+
+Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich
+nach den einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der
+Ertrag unter die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser
+verteilt ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft
+und Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhaengen und auch spaeterhin
+in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr
+haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische Rechtsueberlieferung weiss noch
+zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in Vieh und Bodenbenutzung
+bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu Sondereigentum
+aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste
+Bezeichnung des Vermoegens als “Viehstand” (pecunia) oder “Sklaven- und
+Viehstand” (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder und
+Sklaven als “Schaefchen” (peculium); ferner die aelteste Form des
+Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur fuer
+bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass des
+“Eigenlandes” (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder
+preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann
+^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat,
+laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest,
+dass die aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als
+Surrogat dafuer die Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die
+Servianische den aufgeteilten Acker voraussetzt. Aus derselben
+Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des Grundbesitzes aus
+mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun und zu
+leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des
+Pfluges gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen
+Vollhufe ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon
+gesagt ward, schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden.
+
+——————————————————————————————
+
+^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung
+geteilten Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung
+durch die Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere
+hier, wie bei den Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines
+Einzelfleckes in jedem wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark
+betrachtet worden, so wuerde doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft
+von zerstueckelten Hufen ausgehen. Allein es ist vielmehr das Gegenteil
+der Fall; die Individualnamen der roemischen Hufen (fundus Cornelianus)
+zeigen deutlich, dass der aelteste roemische Individualgrundbesitz
+faktisch geschlossen war.
+
+^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur
+Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo
+pecuniosi et locupletes vocabantur. - (Numa) primum agros, quos bello
+Romulus ceperat, divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den
+Romulus das Land in dreissig Kuriendistrikte teilen, den Numa die
+Grenzsteine setzen und das Terminalienfest einfuehren (1, 7; 2, 74;
+daraus Plut. Num. 16).
+
+^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen
+die Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und
+der Kaiserzeit rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat
+fuenf roemische Scheffel Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der
+Ertrag eines Heredium ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und
+Hofraum absehend, es lediglich als Ackerland betrachtet und auf
+Brachjahre keine Ruecksicht nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40
+Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato
+(agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine
+roemische Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach
+sich jeder selber beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich
+darauf, dass der Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der
+freie Bauer der aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die
+aeltere Zeit die Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist;
+beides ist wohl richtig, aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne
+Zweifel sind die Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die
+Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die
+alte und intensive Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders
+fuer die aeltere Zeit in Anschlag zu bringen; aber die aeltere
+roemische Weidewirtschaft war, wenn auch nicht unbedeutend, so doch von
+untergeordneter Bedeutung und die Hauptnahrung des Volkes immer
+notorisch das Getreide. Man mag ferner wegen der Intensitaet der
+aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen Steigerung besonders des
+Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben die Bauern dieser Zeit
+ihren Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen, als die
+Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit ihn
+erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um
+Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch mit
+grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des
+zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und
+sie genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme
+Defizit, welches auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag des
+Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch blosse
+Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst dann
+als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle
+landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer
+ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag
+eines Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die
+Ernaehrung einer Familie ausreichend herausstellt.
+
+Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit
+Koloniegruendungen mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das
+einzige Beispiel der Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336,
+wird von denjenigen Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe
+sich verlohnt, Argumente zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im
+geschichtlichen Detail zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden
+und unterliegt auch noch anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings
+ist richtig, dass bei der nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte
+Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben
+worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch
+keineswegs in den Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr
+in der Regel zu den bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen
+hinzugefuegt werden (vgl. CIL I, p. 88). Auf alle Faelle wird jede
+andere Annahme besser sein als eine Hypothese, welche mit den fuenf
+Broten und zwei Fischen des Evangeliums ziemlich auf einer Linie steht.
+Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger bescheiden als ihre
+Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von sieben Morgen
+oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen.
+
+———————————————————————
+
+Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das
+gewoehnliche Korn war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch
+Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese fleissig gezogen.
+
+——————————————————————-
+
+^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den
+Nachweis zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen
+Landes hat leben koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden,
+dass Varro (tust. 1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel
+Weizen, dagegen zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den
+Ertrag ansetzt, woraus denn gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht
+den doppelten, doch einen betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der
+Weizenbau. Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene
+nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus dem
+Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten,
+den Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier
+durch das Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde
+wird der Spelt auch heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der
+Weizen und liefert nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach
+Abzug der Huelsen aber geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die
+mir G. Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer
+den wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von ¼-½
+Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825
+Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von ½-1½ Scheffel) mindestens
+sieben Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund),
+welche durch die Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also
+liefert der Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als
+doppelte, bei gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem
+spezifischen Gewicht nach aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber,
+nach der Enthuelsung (als Kern”) weniger als die Haelfte. Nicht aus
+Versehen, wie behauptet worden ist, sondern weil es zweckmaessig ist,
+bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und gleichartigen
+Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf Weizen
+gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht
+wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt
+ist genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren
+ausgesetzt als der Weizen; aber der letztere liefert im ganzen,
+namentlich wenn man die nicht unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in
+Anschlag bringt, einen hoeheren Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem
+Durchschnitt stellt in der Gegend von Frankenthal in Rheinbayern sich
+der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4
+Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden ihn
+zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei
+vorschreitender Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so
+ist auch der gleichartige Uebergang der italischen Landwirtschaft vom
+Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein Fortschritt gewesen.
+
+————————————————————————————
+
+Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen
+Ansiedler nach Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit
+hinaufreichende Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei
+Weinfeste kennt und diese dem Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst
+von den Griechen entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern
+heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig Mezentius von Caere
+von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die
+Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu ueberschreiten, in
+einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen
+Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor
+allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der
+Stolz der Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete
+Rebe. Frueh und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine
+sorgfaeltige Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn
+der hoechste Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie
+gestattet und selbst damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot
+eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der
+Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso gehoert
+hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das
+Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt
+gemachte Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von
+unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben
+wie sie, um das nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die
+Opferung ungedoerrten Getreides untersagten.
+
+Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien
+gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten
+Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein;
+es stimmt dazu, dass der Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual
+eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie
+wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, beweisen der
+Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des
+Curtischen Teiches gepflanzt wurden.
+
+———————————————————-
+
+^5 Oleum, oliva sind aus έλαιον, έλαια, amurca (Φlhefe) aus αμόργη
+entstanden.
+
+———————————————————-
+
+Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich
+in Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume,
+deren ebenfalls mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6,
+hat die roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen.
+
+———————————————————-
+
+^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494)
+umgehauen ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die
+Ziffer CCLX fehlt in allen guten Handschriften und ist, wohl mit
+Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert.
+
+————————————————————-
+
+Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und
+ueberhaupt die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den
+gewoehnlichen Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner
+regelmaessig mit verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den
+Pflug zog der Stier, auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten
+Pferde, Esel und Maultiere. Eine selbstaendige Viehwirtschaft zur
+Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand wenigstens auf dem in
+Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr beschraenktem
+Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die gemeine
+Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders
+Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und
+wieder zu pfluegen - der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem
+die Furchen nicht so dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt
+werden konnte; aber der Betrieb war mehr intensiv als intelligent, und
+der mangelhafte Pflug, das unvollkommene Ernte- und Dreschverfahren,
+blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige Festhalten der Bauern
+an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die geringe
+Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener
+war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle
+ueberkommene Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen
+der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und
+das Berieselungssystem der Wiesen, moegen schon frueh von den
+Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig entwickelt worden sein;
+begann doch die roemische Literatur selbst mit der theoretischen
+Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und verstaendigen Arbeit
+folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die Religion ihr
+Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch Pausen
+der Erholung und der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden
+achten Tag (nonae), also durchschnittlich viermal im Monat, geht der
+Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und zu kaufen und seine uebrigen
+Geschaefte zu besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe bringen aber nur die
+einzelnen Festtage und vor allem der Feiermonat nach vollbrachter
+Wintersaat (feriae sementivae); waehrend dieser Fristen rastete nach
+dem Gebote der Goetter der Pflug und es ruhten in Feiertagsmusse nicht
+bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der Stier.
+
+In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in
+aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer
+die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen
+Verschleuderer ererbten Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen
+unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war ueberdies das
+eigene Verfuegungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie sich
+verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen Geschlechtsgenossen zum
+Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der Ueberschuldung
+des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch, dass es
+bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an
+der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger
+verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs
+fuehrende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte,
+wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr
+unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich
+unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die Miterben
+im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das
+aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu
+jeder Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder
+friedlich zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen
+Geiste des roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt
+denn auch, dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und
+Gartenbesitzern nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges
+der Karst trat. Die Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des
+Bodens blieb der Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung
+ueberlassen; und dass man sich hierin nicht getaeuscht hat und die
+Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind, beweist schon die
+allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden Individualnamen zu
+bezeichnen. Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch die
+Ausfuehrung von Kolonien, welche regelmaessig die Gruendung einer
+Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig wohl auch, indem man kleine
+Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung einer Anzahl
+Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem schwieriger ist es, die
+Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu erkennen. Dass es einen
+solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist nach der fruehen
+Entwicklung der Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert sich auch
+leicht teils aus der Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der
+notwendig ungleichen Kopfzahl der in den einzelnen Geschlechtern daran
+Teilnehmenden von selbst einen Stand von groesseren Grundbesitzern ins
+Leben rufen musste, teils aus der Menge der in Rom zusammenstroemenden
+kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche Grosswirtschaft,
+gestuetzt auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie spaeter in
+Rom finden, kann fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr ist
+die alte Definition, wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind
+von den Aeckern, die sie an geringe Leute austeilen wie der Vater an
+die Kinder, hierher zu ziehen und wird urspruenglich der Gutsbesitzer
+den Teil seines Grundstueckes, den er nicht selber zu bewirtschaften
+vermochte, oder auch das ganze Gut in kleinen Parzellen unter
+abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies noch jetzt in
+Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder Sklave
+des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein
+Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des
+“Bittbesitzes” (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt diesen,
+solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel,
+um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte dieser
+ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des
+Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht
+notwendig; ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der
+Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo
+dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von
+ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen
+Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und
+den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten
+Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein
+Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen,
+religioes geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte
+auch nicht. Das durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel
+ruhte ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der
+Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung
+der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der einzelne,
+konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen
+Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die
+roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der
+Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu
+Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen
+Gutswirtschaft erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern
+in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche
+Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd blieb, fand sich der
+roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als
+der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff selber
+ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein
+guter Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt
+hatte er nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und
+etwa waehrend der heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor
+allem aber wurde durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer
+das Verhaeltnis der Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch
+dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert. Die freien Bittpaechter,
+hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten
+Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats
+aus und waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der
+kleine Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich
+ist. Die fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel
+bei weitem weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die
+einwandernde Nation nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse
+geknechtet hat, scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr beschraenktem
+Umfang vorhanden gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter
+eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir
+spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren
+Epoche die “Tageloehner” (θήτες) vielfach an der Stelle der spaeteren
+Sklaven und hat in einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern,
+es bis in die historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der
+Knecht aber war doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische,
+sabinische, etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders
+gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu
+hatte er als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch
+tatsaechlich Land und Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es
+eine Freilassung gab, lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm
+nicht fern. Wenn es mit dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich
+also verhielt, so war er keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens,
+sondern fuer dasselbe vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss
+verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen Familien eine wenn auch
+im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und kleine; sondern es
+erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten
+Grundherren die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den
+ackerbauenden und eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material
+fuer die roemische Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches
+nimmermehr gelingen konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen
+Land, aber nicht demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die
+Kraft geben, um die Pflugschar zu fuehren.
+
+Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der
+Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der
+Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen,
+fuer die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten und durch die
+Viehbussen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden benutzt,
+teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine maessige
+Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger mag
+urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum
+Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der
+einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide
+kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum
+auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber
+dem Insassen wohl nur ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt
+ward. In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der
+Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu
+haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt
+war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich unter die
+Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt
+ward.
+
+Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war,
+daneben aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt
+schon aus der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem
+Emporium der Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des
+Koenigs Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom
+bestehenden Einrichtungen, acht Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der
+Floetenblaeser, der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute,
+der Walker, der Faerber, der Toepfer, der Schuster - womit fuer die
+aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die gewerbmaessige Arzneikunst
+noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern
+selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde Rechnung
+arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird.
+Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter
+erscheint. Es bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst
+verhaeltnismaessig spaet mit der Bearbeitung des Eisens begonnen hat;
+weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel fuer den heiligen Pflug und
+das priesterliche Schermesser bis in die spaeteste Zeit durchgaengig
+nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das staedtische Leben Roms und
+seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen diese
+Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen
+sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die
+Masse der fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden
+Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten
+Verhaeltnissen des roemischen Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms
+feierten nicht bloss den gewaltigen Streitgott Mamers, sondern auch den
+kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem goettlichen vom Himmel
+gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche Schilde zu schmieden
+verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse Volcanus erscheint
+bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in dem
+aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und
+das Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und
+fand sich nichts von jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die
+spaeter daselbst begegnet. Seit indes die Servianische Ordnung den
+Heerdienst ausschliesslich auf die Ansaessigen legte, waren die
+Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl infolge ihrer
+durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom Waffenrecht
+ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den
+Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch
+organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies
+wohl der Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und
+politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte
+hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen
+gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich
+zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass
+unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist
+wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von
+Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation -
+freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die
+Nachrichten so voellig versiegt wie ueber die Gewerke.
+
+Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr
+der Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst.
+Die Messen (mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den
+gewoehnlichen Wochenmaerkten (nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie
+moegen sich zunaechst an die internationalen Zusammenkuenfte und Feste
+angereiht, vielleicht also in Rom mit der Festfeier in dem Bundestempel
+auf dem Aventin in Verbindung gestanden haben; die Latiner, die hierzu
+jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten diese Gelegenheit
+zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu erledigen und
+ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch
+groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche
+Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone)
+im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von
+roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste
+unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der
+Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu
+finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der
+hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der
+Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der
+Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher
+letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium
+und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen
+hier die roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten
+manchen Hader mit den Sabinern herbei.
+
+Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor
+das erste griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee
+eingefahren war. Hier halfen bei vorkommenden Missernten die
+Landschaften einander mit Getreide aus; hier tauschte man ferner Vieh,
+Sklaven, Metalle und was sonst in jenen aeltesten Zeiten notwendig oder
+wuenschenswert erschien. Das aelteste Tauschmittel waren Rinder und
+Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen; sowohl die
+Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein
+stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen
+Gross- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden besonders
+bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, sondern
+noch darueber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft zurueck
+^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die Ackerbestellung
+und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher Menge bedurfte,
+nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle erzeugten,
+sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf, wie denn den
+kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die “Kupferung” (aestimatio)
+hiess. In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen, auf der
+ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter noch
+genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung und
+in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten
+sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen
+Voelker vorliegen.
+
+———————————————————————-
+
+^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht
+bekanntlich daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen
+umsetzte, das Schaf zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde
+(Fest. v. peculatus p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ.
+11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn nach islaendischem Recht der Kuh
+zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier, wie auch sonst, das
+deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem substituiert
+hat.
+
+Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den
+Deutschen (englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt.
+
+———————————————————————-
+
+In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig
+gebliebenen Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher
+bezeichnet. Fast ganz unberuehrt von ihm blieben die sabellischen
+Staemme, die nur einen geringen und unwirtlichen Kuestensaum
+innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen zukam, wie zum
+Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische Vermittlung
+empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung ruehrt.
+Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser
+Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in
+Kampanien Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in
+Latium und mehr noch in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger
+Warentausch stattfand. Was die aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst
+sich teils aus den Fundstuecken schliessen, die uralte, namentlich
+caeritische Graeber ergeben haben, teils aus Spuren, die in der Sprache
+und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils und vorzugsweise
+aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn natuerlich
+kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie nachzuahmen
+begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung der
+Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen
+Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag
+dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber
+und Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss
+empfangen oder selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das
+Gewerk der Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand,
+erst aufgekommen sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in
+einiger Ausdehnung unter den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck
+vertrieben hatte. So finden wir denn auch in den aeltesten Grabkammern
+von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste in Latium Goldplatten mit
+eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen Ornamenten
+babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck gestritten
+werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung ist;
+im ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste
+in aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich
+spaeter, wo von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen,
+dass die Architektur wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr
+frueher Zeit durch griechischen Einfluss eine maechtige Anregung
+empfangen haben, das heisst, dass die aeltesten Werkzeuge und die
+aeltesten Muster aus Griechenland gekommen sind. In die eben erwaehnten
+Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit eingelegt Gefaesse
+von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach Material und
+Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen,
+aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster,
+darunter mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder
+eingeschnitzten Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die
+letzten koennen aus dem Norden auf dem Landweg gekommen sein; die
+uebrigen Gegenstaende aber beweisen die Einfuhr von Salben und
+Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher kamen Linnen und
+Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch der
+linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen
+Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten
+Lehnnamen (λίνον līnum; πορφύρα purpura; σκήπτρον σκίπων scipio, auch
+wohl ελέφας ebur; θύος thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer
+Anzahl auf Ess- und Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die
+Benennung des Oels (vgl. 1, 200), der Kruege (αμφορεύς amp[h]ora
+ampulla; κρατήρ cratera), des Schmausens (κωμάζω comissari), des
+Leckergerichts (οψώνιον opsonium), des Teiges (μάζα massa) und
+verschiedener Kuchennamen (γλυκούς lucuns; πλακούς placenta; τυρούς
+turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel
+(patina πατάνη) und des Specks (arvina αρβίνη) in das sizilische
+Griechisch Eingang gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten
+attisches, kerkyraeisches und kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu
+stellen, beweist eben wie diese sprachlichen Zeugnisse den fruehen
+Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach Italien. Dass die
+griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur Eingang
+fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (σκύτος)
+bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum).
+Endlich gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen
+entlehnten Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die
+Segelschiffahrt: Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein
+lateinisch gebildet sind ^9; ferner die griechische Benennung des
+Briefes (επιστολή epistula), der Marke (tessera, von τέσσαρα ^10), der
+Waage (στατήρ statera) und des Aufgeldes (αρραβών arrabo, arra) im
+Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer Rechtsausdruecke in
+das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende Austausch
+der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der
+barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne
+tragen, vor allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem
+Akkusativ (placenta = πλακούντα; ampora = αμφορέα; statera = στατήρα),
+ist der klarste Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des
+Handelsgottes (Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische
+Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des
+Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den
+Sohn der schoenen Maia.
+
+———————————————————————-
+
+^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer
+phoenikischen und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon.
+Inst. X., Taf. 32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches
+in Italien zum Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin
+gelangt ist.
+
+^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies
+nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch
+antenna kann von ανά (anhelare, antestari) und tendere = supertensa
+herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern κυβερνάν, ancora
+Anker άγκυρα, prora Vorderteil πρώρα, aplustre Schiffshinterteil
+άφλαστον, anquina der die Rahen festhaltende Strick άγκοινα, nausea
+Seekrankheit ναυσία. Die alten vier Hauptwinde - aquilo der Adlerwind,
+die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung,
+vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende
+Suedwestwind, der Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen
+Meer herwehende Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt
+bezuegliche Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind
+griechisch (wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B.
+solanus = απηλιώτης, Africus = λίψ).
+
+^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die ξυλήφια κατά
+φυλακήν βραχέα τελέως έχοντα χαρακτήρα (Polyb. 6, 35, 7); die vier
+vigiliae des Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen
+gegeben. Die Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch
+wie roemisch; die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch
+Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im
+roemischen Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen
+Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete Uebernahme des Wortes.
+
+—————————————————————
+
+Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine
+Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen
+Mustern selbst zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es
+nichts zu bieten als seine Rohprodukte, also vor allen Dingen sein
+Kupfer, Silber und Eisen, dann Sklaven und Schiffsbauholz, den
+Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im Ausland Missernte
+eingetreten war, sein Getreide.
+
+Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden
+Aequivalente ist schon frueher erklaert worden, warum sich der
+italische Handel in Latium und in Etrurien so verschiedenartig
+gestaltete. Die Latiner, denen alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel
+mangelten, konnten nur einen Passivhandel fuehren und mussten schon in
+aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig bedurften, von den
+Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der uralte
+Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward;
+dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia,
+in Capua wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der
+schnell entwickelte Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige
+Handelsstellung, waehrend Latium vorwiegend eine ackerbauende
+Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in allen einzelnen
+Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit
+ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden
+sich in Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine
+Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem suedlichen
+Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die
+latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck auslaendischer Herkunft
+und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer Zeit aufweist,
+vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen
+die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der
+Zeit nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia
+an; Latium hat in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht
+sich beholfen und selbst die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn
+nur aeusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von
+Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik
+wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur dort
+kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten
+Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben
+Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und
+fabrizierte; aber in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche
+Landschaft weit zurueck hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit
+haengt es zusammen, dass die nach griechischem Muster in Etrurien
+angefertigten Luxuswaren auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in
+Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend Latium schwerlich jemals
+dergleichen ausgefuehrt hat.
+
+Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner
+und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten
+Handel der Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas
+aussprechen als die Vermutung, dass er von Spina und Hatria
+vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Dass die westlichen Etrusker
+sich dreist in die oestlichen Meere wagten und nicht bloss mit
+Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten,
+ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die
+attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so
+zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie
+bemerkt, wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend
+umgekehrt die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika
+ein gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die
+Silberstuecke von Populonia sind nachgepraegt einem uralten, einerseits
+mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloss mit einem
+eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das sich in Athen und
+an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden hat und
+das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss
+geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der
+karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die
+Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon
+erwaehnt; es ist beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von
+Caere ausser einheimischem Bronze- und Silbergeraet vorwiegend
+orientalische Waren sich gefunden haben, welche allerdings auch von
+griechischen Kaufleuten herruehren koennen, wahrscheinlicher aber doch
+von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt wurden. Indes darf diesem
+phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich
+nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen
+Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen,
+nicht von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind.
+
+Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir
+auch Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der
+etruskischen Aufnahme hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie
+doch, wo sie moeglich sind, eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider
+Voelkerschaften voneinander. Am deutlichsten tritt dies hervor im
+Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder
+Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische weicht nicht
+unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide
+Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu
+anderer Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen
+Woertern wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux,
+der tuskische Pultuke sind jedes eine selbstaendige Korruption des
+griechischen Polydeukes; der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus
+Odysseus gebildet, der roemische Ulixes gibt genau die in Sizilien
+uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der tuskische Aivas der
+altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax einer wohl auch
+sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der
+samnitische Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der
+tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums
+ausschliesslich auf den Zug des latinischen Handels zu den Kymaeern und
+Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede andere Spur, die aus so ferner
+Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Muenze von Poseidonia;
+der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern, Kymaeern und
+Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei den Etruskern;
+vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen Geldwesens zu dem
+sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische Bezeichnung der
+Silbermuenze νόμος, das sizilische Mass ημίνα als nummus und hemina in
+gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die
+italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans,
+uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte an Geldes Statt
+dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den korrupten und
+hybriden Formen λίτρα, τριάς, τετράς, εζάς, ουγκία schon im dritten
+Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen Sprachgebrauch
+eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und Geldsystem
+allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in ein
+festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der
+zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht
+gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent
+eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des
+roemischen Pfundes) als Silbermuenze (λίτρα αργυρίου, das ist
+“Kupferpfund in Silber”) schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus
+geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass die
+italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen; und
+es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der Handel der
+Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld
+nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen
+Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen
+Benennungen des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in
+den sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt
+worden. Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen
+Staedten in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in
+Elea und Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren.
+Dass er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den
+Sikelioten, beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer
+Zeit nach Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an
+Aesculapius, Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen
+zeigen. Wenn der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie
+Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen
+Dorern auch nur gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen
+wenigstens daneben erscheinen; obwohl allerdings auch in diese
+ionischen Kolonien selbst der Dorismus frueh eingedrungen ist und der
+Dialekt hier sehr geschwankt hat. Waehrend also alles sich vereinigt,
+um den regen Handel der Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt
+und vor allem mit den sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen
+Phoenikern schwerlich ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann
+der Verkehr mit den afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke
+hinreichend belegen, in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums
+doch nur in zweiter Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer
+beweisend, dass - von einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten
+Verkehr der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem
+sprachlichen Zeugnis gebricht ^11.
+
+—————————————————————————————
+
+^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen
+oertlichen Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit
+unmittelbar aus dem Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr
+wenigen in demselben vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter,
+wie namentlich arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und
+dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst Lehnwoerter aus dem
+Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern eine ziemliche
+Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern
+aufzuweisen hat. Dass ελέφας und ebur von dem gleichen phoenikischen
+Original mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes
+selbstaendig gebildet seien, ist sprachlich unmoeglich, da der
+phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht verwendet wird;
+ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch nicht gefunden.
+Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus; mag dasselbe nun
+urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem Phoenikischen
+oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie schon die
+Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches
+Lehnwort.
+
+—————————————————————————————
+
+Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von
+italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in
+Italien, so hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme
+alle Wahrscheinlichkeit fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene
+latinischen Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in
+den gemeinen Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch
+haetten eindringen koennen, dass sizilische Kaufleute nach Ostia gingen
+und Kupfer gegen Schmuck einhandelten.
+
+Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel
+in Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem
+Gutsbesitzerstand selbstaendig gegenueberstehender hoeherer
+Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser auffallenden Erscheinung
+ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang an sich in den Haenden
+der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine Annahme, die nicht so
+seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren schiffbaren
+Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der von
+seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von
+Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische
+Eigenhandel musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er
+allein die Schiffe und in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In
+der Tat ist der Gegensatz zwischen Land- und Geldaristokratie den
+Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt; die grossen Grundbesitzer sind
+immer zugleich die Spekulanten und die Kapitalisten. Bei einem sehr
+intensiven Handel waere allerdings diese Vereinigung nicht
+durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung zeigt,
+fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der
+latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen
+ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern
+war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde.
+
+
+
+
+KAPITEL XIV.
+Mass und Schrift
+
+
+Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst
+des Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie
+er selbst ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm
+versagte, Allmacht und Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und
+Pflicht, den Voelkern auch auf diesen Bahnen zu folgen.
+
+Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der
+zeitlichen, raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen
+bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt
+werden. Dazu bietet die Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit
+die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder Tag und Monat, fuer den
+Raum die Laenge des Mannesfusses, der leichter misst als der Arm, fuer
+die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit ausgestrecktem Arm
+schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder das “Gewicht”
+(libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus gleichen Teilen
+bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fuenf
+oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das
+Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles
+Zaehlens und Messens nicht bloss ueber die Trennung des griechischen
+und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit
+zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde
+ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen
+Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen
+vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu
+zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und
+Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die
+urspruengliche Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den
+Indogermanen gewaehrt die bekannte Uebereinstimmung aller
+indogermanischen Sprachen in den Zahlwoertern bis hundert
+einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind hier alle aeltesten
+Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genuegt, an die so
+gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, Magistrate, an
+die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die
+Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende
+Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das
+Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und
+Schrift angehoerige Anwendungen dieses aeltesten Dezimalsystems sind
+zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern. Konventionelle
+Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und Italiker
+offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei aeltesten und
+unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I, V
+oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der
+offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den
+Phoenikern entlehnt, dagegen den Roemern, Sabellern und Etruskern
+gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze zur Bildung einer national
+italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des
+aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen Verkehrs
+der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen
+erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht
+auszumachen. Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem
+Gebiet sparsam; es gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der
+Sabeller von 100 Fuss ins Gevierte und das roemische zehnmonatliche
+Jahr. Sonst ist im allgemeinen in denjenigen italischen Massen, die
+nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen und wahrscheinlich von
+den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt worden sind,
+die Teilung des “Ganzen” (as) in zwoelf “Einheiten” (unciae)
+vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen
+Priesterschaften, die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die
+etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im
+roemischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo
+der Fuss (pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit
+des roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und
+Duodezimalsystem zusammengesetzte “Trieb” (actus) von 120 Fuss ins
+Gevierte ^1. Im Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen
+sein.
+
+—————————————————————
+
+^1 Urspruenglich sind sowohl “actus” Trieb, wie auch das noch haeufiger
+vorkommende Doppelte davon, “iugerum”, Joch, wie unser “Morgen” nicht
+Flaechen-, sondern Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener
+das halbe Tagewerk, mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf
+einschneidende Mittagsruhe des Pfluegers.
+
+——————————————————————
+
+Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen
+sein mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein
+neben der Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung
+wohl nur gefunden werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und
+Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem
+Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf Mondkreislaeufen zuerst dem
+Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten
+zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines
+Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste
+duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu
+sein und vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen.
+
+Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische
+Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber
+wohl das Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das
+heisst diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel
+unmoeglich ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der
+aelteste roemische Fuss ist verschollen; der, den wir kennen und der in
+fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus Griechenland
+entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in
+Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und
+sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische
+Gewicht in ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in
+ganz Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer
+Beweis, dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich
+zog; vier roemische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder
+vielmehr das roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder
+Halbminen gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten
+die roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den
+griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach μέδιμνος
+congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum
+von οξύβαφον) entstanden sind, waehrend umgekehrt ξέστης Korruption von
+sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die
+gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius
+oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer
+trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht dem
+attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen
+Verhaeltnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem
+griechischen Medimnos von 2 : 1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen
+versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und
+Bedeutung jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben.
+
+Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der
+Roemer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm
+unnuetzen Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000,
+vielleicht auch die Ziffer 100 zu gestalten. In Etrurien scheint man
+auf aehnlichem Wege wenigstens das Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben.
+Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das Ziffersystem der beiden
+benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische im wesentlichen
+in Etrurien angenommen ward.
+
+In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der
+italische Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen
+hatte, spaeter unter griechischen Einfluss gekommen. In der
+Zeiteinteilung draengt sich die Wiederkehr des Sonnenauf- und
+-unterganges und des Neu- und Vollmondes am unmittelbarsten dem
+Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach zyklischer
+Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, lange
+Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang
+wurden auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis
+in spaete Zeit hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an
+jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum naechstfolgenden
+verfliessende Tagzahl durch die Priester abgerufen. Man rechnete also
+in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei den Sabellern,
+sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon gesagt,
+nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von dem
+naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die bei
+der mittleren Dauer von 7⅜ Tagen zwischen sieben- und achttaegiger
+Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der
+mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44
+Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse
+Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die
+groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann man Tag und
+Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der
+Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in
+der Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten
+Staemme auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die
+Sabeller und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist,
+wenigstens als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht
+kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der
+Jahresteile bei den Griechen und den Italikern voellig selbstaendig
+gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen
+Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur
+Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit
+fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der
+Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die
+Bezeichnung einer Frist von zehn Monaten als eines “Ringes” (annus)
+oder eines Jahrganzen traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an
+sich. Spaeter, aber auch noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft
+ebenfalls jenseits der griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie
+schon gesagt wurde, das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da
+es eben aus der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des
+Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf die
+Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den
+Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit
+der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in
+den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl
+die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen
+zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender
+herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels
+vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen
+es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der
+Epoche, wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter
+beschaeftigt haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind
+verschollen. Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern
+latinischen Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische
+Zeitmessung ist ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf
+der aeltesten griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich
+den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war
+auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29½ Tagen, eines Sonnenumlaufs
+von 12½ Mondmonaten oder 368¾ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen
+oder dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate
+sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch
+willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den
+wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass
+diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern
+in Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die
+sich geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen
+Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der
+dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in
+der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies roemische
+Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der
+einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars
+(Martius), die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius)
+und Gedeihen (iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen
+(quinctilis, sextilis, september, october, november, december), der
+elfte vom Anfangen (ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach
+dem Mittwinter und der Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der
+Ackerbestellung gedacht ist, der zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der
+letzte vom Reinigen (februarius). Zu dieser im stetigen Kreislauf
+wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein namenloser
+“Arbeitsmonat” (mercedonius) am Jahresschluss, also hinter dem Februar
+hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem altnationalen
+heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in der
+Dauer derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und
+sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr
+eintretenden, abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen
+Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384
++ 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm gesetzt worden vier Jahre von je
+vier - dem ersten, dritten, fuenften und achten - einunddreissig- und
+je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner einem in drei Jahren
+acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes
+andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383
++ 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der
+urspruenglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald
+achttaegige Wochen; er liess die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf
+die sonstigen Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere
+Sonntage es tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den
+Wochenmarkt. Er setzte daneben ein fuer allemal das erste Viertel in
+den einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den
+neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den
+fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest
+geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der
+zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt
+zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages
+(kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen
+Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den
+Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag
+(nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht
+Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde
+liegende Motiv scheint hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende
+Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen
+an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen
+Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in
+Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich
+bewegenden Lehren des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass
+dieser roemische Kalender, so deutlich er auch die Spur an sich traegt,
+sowohl mit dem Mond- wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch
+in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens
+im ganzen sein griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben
+wie der aelteste griechische, nicht anders als mittels haeufiger
+willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender
+schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat,
+hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der
+Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach
+zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes
+Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des
+aeltesten roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird
+dieser roemische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen
+werden koennen. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und
+der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den
+Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl
+vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsaechlich
+von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkuerlichen,
+etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn
+beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen
+schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von
+Unteritalien aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu
+anderen italischen Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen
+Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren.
+
+————————————————————
+
+^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die
+in jedem Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7.,
+idus am 13. oder 15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der
+oben erwaehnten 45 Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei
+mehrtaegigen Festen dazwischen die geraden Tage ausfallen, also z. B.
+das der Carmentis am 11., 15. Januar, das Hainfest am 19., 21. Juli,
+die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen wird.
+
+————————————————————-
+
+Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der
+Regierungsjahre der Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese
+dem Orient gelaeufige Datierung in Griechenland und Italien in
+aeltester Zeit vorgekommen ist. Dagegen scheint an die vierjaehrige
+Schaltperiode und die damit verbundene Schatzung und Suehnung der
+Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung der Anlage nach
+gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes infolge
+der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreissenden
+Unregelmaessigkeit ihre chronologische Bedeutung frueh wieder
+eingebuesst hat.
+
+Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker
+haben sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt,
+obwohl in den italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen
+und nicht aus hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des
+Losziehens mit Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen
+Entwicklung gefunden werden koennen. Wie schwierig die erste
+Individualisierung der in so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden
+Laute gewesen sein muss, beweist am besten die Tatsache, dass fuer die
+gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und heutige
+Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu
+Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch
+ausreicht; und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist
+gemeinsame Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische
+Sprachstamm, in dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein
+Wort beginnen kann, erleichtert eben deshalb die Individualisierung des
+Konsonanten; weshalb denn auch hier das erste, der Vokale aber noch
+entbehrende Alphabet erfunden worden ist. Erst die Inder und die
+Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in hoechst abweichender
+Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten aramaeischen
+Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch
+Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier
+fuer die Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer
+die vier Vokale a e i o und durch Neubildung des Zeichens fuer u, also
+durch Einfuehrung der Silbe in die Schrift statt des blossen
+Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides sagt:
+
+Heilmittel also ordnend der Vergessenheit
+
+Fuegt ich lautlos’ und lautende in Silben ein
+
+Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen.
+
+Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern
+zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber
+durch die Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute
+etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten
+Vermittlungsstaetten des internationalen Verkehrs in Latium und
+Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die
+Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste hellenische: es hatte
+schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei
+Buchstaben ξ φ χ und die Abaenderung der Zeichen fuer υ γ λ ^3. Auch
+das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische
+Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus dem
+griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach
+Etrurien und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das
+etruskische Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und
+nur ein einfaches k ^4 und vom r nur die aeltere Form P; das latinische
+kennt, soviel wir wissen, nur ein einziges s, dagegen ein doppeltes k
+(Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die juengere Form R. Die
+aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich
+wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten
+Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt,
+soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in
+gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links
+nach rechts oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei
+den Roemern in jener, bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das
+nach Etrurien gebrachte Musteralphabet muss trotz seines relativ
+geneuerten Charakters dennoch in eine sehr alte, wenn auch nicht
+positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da die beiden
+Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene Laute
+nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet,
+das nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als
+lebendige Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten
+Denkmaelern der griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma
+und San nebeneinander im Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt
+allerdings, wie wir es kennen, im ganzen einen juengeren Charakter;
+doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in Latium nicht, wie in
+Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, sondern die
+Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen Nachbarn
+laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht
+hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum
+Beispiel, dass die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt
+waren, aber die juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch
+ersetzten; was sich nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere
+Zeit fuer ihre griechischen Aufzeichnungen wie fuer die in der
+Muttersprache sich des griechischen Alphabets als solchen bedienten.
+Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren
+Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und
+dem aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass
+in Etrurien frueher geschrieben worden ist als in Rom.
+
+—————————————————————-
+
+^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im
+wesentlichen darin, dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben,
+das heisst dem vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen,
+die verschiedenartigsten Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung
+desselben gemacht worden sind und dass jeder dieser Vorschlaege seine
+eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschlaege, die
+auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten
+vor. Interesse ist, sind die folgenden.
+
+I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute ξ φ χ. Dieser Vorschlag
+ist so alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera,
+Melos und Kreta alle griechischen und schlechterdings alle aus dem
+griechischen abgeleiteten Alphabete unter dem Einfluss desselben
+stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin, die Zeichen Χ ξι, Φ φι, Ψ χι
+dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in dieser Gestalt hat er auf
+dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und Korinth und ebenso
+bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme gefunden. Die
+kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des Archipels,
+ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag zu
+ihnen gelangte, fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des
+phoenikischen Alphabets (Samech) Ξ im Gebrauch gehabt zu haben; sie
+verwendeten deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das Φ auch fuer φι,
+aber das Χ nicht fuer ξι sondern fuer χι. Das dritte, urspruenglich
+fuer χι erfundene Zeichen liess man wohl meistenteils fallen; nur im
+kleinasiatischen Festland hielt man es fest, gab ihm aber den Wert ψι.
+Der kleinasiatischen Schreibweise folgte auch Athen, nur dass hier
+nicht bloss das ψι, sondern auch das ξι nicht angenommen, sondern
+dafuer wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward.
+
+II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die
+naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn
+saemtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des
+Bestrebens, beide Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber
+schon in aeltester Zeit muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht
+sein, deren jeder seinen eigenen Verbreitungskreis gefunden hat:
+entweder man verwendete fuer den Sibilanten, wofuer das phoenikische
+Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und das achtzehnte
+(Σ) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren
+vielmehr jenes - und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen
+Inseln, in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern - oder
+man ersetzte das Zeichen des i durch einfachen Strich І, was bei weitem
+das Gewoehnlichere war und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens
+insofern allgemein ward, als das gebrochene i ueberall verschwand,
+wenngleich einzelne Gemeinden das s in der Form M auch neben dem І
+festhielten.
+
+III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit Γ γ zu verwechselnden λ Λ
+durch V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und
+die von Korinth abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch
+erreichten, dass sie dem γ statt der haken- die halbkreisfoermige
+Gestalt C gaben.
+
+IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer ρ Ρ p
+p und r P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R;
+welche juengere Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern,
+den italischen Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd
+geblieben ist, dagegen sowohl in dem eigentlichen wie in
+Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist die aeltere
+Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie die
+aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter.
+
+Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o
+ist in aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens
+und der Inseln des Aegaeischen Meeres.
+
+Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und
+geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer
+bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann
+ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung
+gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur
+Geschichte des griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die
+bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht
+geworfen und auch fuer die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und
+Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse
+Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat,
+leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen
+einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht
+legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man
+die Alphabete nicht nach der Geltung des X als ξ oder als χ in zwei
+Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25
+oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das
+kleinasiatisch-ionische, aus dem das spaetere Gemeinalphabet
+hervorgegangen ist, und das gemeingriechische der aelteren Zeit zu
+unterscheiden haben. Es haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen
+Landschaften sich den verschiedenen Modifikationsvorschlaegen
+gegenueber wesentlich eklektisch verhalten und ist der eine hier, der
+andere dort rezipiert worden. Eben insofern ist die Geschichte des
+griechischen Alphabets so lehrreich, als sie zeigt, wie in Handwerk und
+Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften die Neuerungen
+austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhaeltnis standen. Was
+insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwuerdigen
+Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den chalkidischen und
+dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in
+jenen sind durchgaengig die primitiven Formen festgehalten, in diesen
+die verbesserten Formen angenommen, selbst solche, die von
+verschiedenen Seiten kommend sich gewissermassen widersprechen, wie das
+C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete stammen, wie Kirchhoff
+gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der italischen Griechen und zwar
+von dem chalkidisch-dorischen her; dass aber die Etrusker und die
+Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide unmittelbar von
+den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die verschiedene
+Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben bezeichneten
+Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen ueberhaupt
+angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei ersten
+bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und
+Latiner ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht
+geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen,
+als die Latiner es empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R
+gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern und den Latinern mit der
+einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefaesses ausschliesslich die
+juengere Form begegnet.
+
+^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht
+zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur
+desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen
+Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen,
+ist auf jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin
+gemein gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und
+nehmen kann zu diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies
+kann das am Schluss stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl
+einen anderen Wert haben als den des f, das im etruskischen Alphabet
+eben das letzte ist und das in dem, die Abweichungen .des etruskischen
+Alphabets von seinem Muster darlegenden Syllabarium nicht fehlen
+durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem nach Etrurien
+gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem
+chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies
+fueglich eine lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein,
+deren Alphabet zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als
+ueberfluessig werdendes Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder
+ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer und Zufall gewaltet; so hat das
+attische Alphabet das achtzehnte phoenikische Zeichen eingebuesst, die
+uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im Alphabet festgehalten.
+
+^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2,
+1887), unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und
+lateinischer Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m,
+das raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel
+in den AdI 52, 1880) die aeltere Form des r.
+
+—————————————————————-
+
+Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf
+die Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren
+Zeichen schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess
+aus einer vor Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere,
+worauf das altgriechische Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und
+daneben ein daraus gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des
+Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist - offenbar eine heilige
+Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der Buchstabenschrift
+in Etrurien.
+
+Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die
+Geschichte dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja
+vielleicht noch wichtiger; denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf
+den italienischen Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt
+als der Verkehr an den Kuesten mit den Fremden. In der aeltesten Epoche
+der etruskischen Schrift, in der man sich im wesentlichen des
+eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente, scheint der Gebrauch
+desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana
+beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria
+und Spina aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen,
+noerdlich zu den Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den
+Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer
+desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. Die juengere Epoche
+geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich hauptsaechlich
+erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter Zeilenschrift, auf die
+Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu
+unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens
+f, wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen
+mangelte. Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern
+entstanden und hat, waehrend sie jenseits des Apennin keinen Eingang
+fand, dagegen bei saemtlichen sabellischen Staemmen, zunaechst bei den
+Umbrern sich eingebuergert; im weiteren Verlaufe sodann hat das
+Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua,
+den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, haeufig
+die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und
+Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber
+ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen
+Graeber, sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich
+in einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet
+bereits in einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt
+gibt; und da das reformierte selbst wieder, gegen das primitive
+gehalten, relativ jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem
+Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte.
+
+Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im
+Norden, Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das
+latinische Alphabet auf Latium beschraenkt und hier im ganzen mit
+geringen Veraenderungen sich behauptet; nur fielen γ κ und ζ ς
+allmaehlich lautlich zusammen, wovon die Folge war, dass je eins der
+homophonen Zeichen (κ ζ) aus der Schrift verschwand. In Rom waren diese
+nachweislich schon vor dem Ende des vierten Jahrhunderts der Stadt
+beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und literarische
+Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer nun
+erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von γ c und
+κ k noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo
+die Laute in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der
+Zeitraum, in dem die Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des
+Beginns der Samnitenkriege liegt; dass endlich zwischen der Einfuehrung
+der Schrift und der Feststellung eines konventionellen
+Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist verstrichen sein
+muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der
+Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der
+aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor
+Christi Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland
+die Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der
+Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche
+Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit ist hinreichend
+beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein
+Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss,
+und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem
+an Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande
+entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des
+Buendnisses, das Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das
+noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin
+sah - freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen
+Exemplars hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon
+in Metall grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses
+Tempels beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf
+die aelteste derartige roemische Urkunde und das gemeinschaftliche
+Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere
+verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf
+Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni),
+spaeter auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die
+heiligen Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft
+geschrieben, ebenso die aeltesten, im Tempel der Goettin der Erinnerung
+(Iuno moneta) auf dem Kapitol bewahrten Verzeichnisse der roemischen
+Magistrate. Es wird kaum noch noetig sein, zu erinnern an das uralte
+Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat “Vaeter und
+Eingeschriebene” (patres conscripti), an das hohe Alter der
+Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen und des
+roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten
+Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und
+Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber
+muss nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift,
+vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der
+aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die Unfaehigkeit der
+Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung berufen war,
+die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit,
+fuer die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und Charakteren,
+Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu begehren und ueber
+deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene schriftliche
+Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verweigert
+haben wuerde.
+
+——————————————————————————————-
+
+^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu
+setzen sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von
+der wir Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei
+seiner Entstehung niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten
+selber ihren Text nicht auf das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf
+eine nach dem gallischen Brande vorgenommene offizielle Niederschrift,
+beweist die Erzaehlung von der damals erfolgten Wiederherstellung der
+Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, dass ihr Text keineswegs
+die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie aufwies, auch
+abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum
+Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch
+genaue Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann.
+
+^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste.
+Dagegen hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren
+Wert von κ.
+
+^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren
+Abkuerzungen gilt dieses natuerlich nicht; hier wird γ nicht durch c,
+sondern durch G (GAL Galeria), κ in der Regel durch C (C centum, Cos
+consul, COL Collina), vor a durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus)
+bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man den Laut K vor den Vokalen e i o
+und vor allen Konsonanten durch C ausgedrueckt, dagegen vor a durch K,
+vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q.
+
+^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen
+Gedichte, wenn auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden
+Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des
+Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die Einfuehrung des hellenischen
+Alphabets in Italien gehoert wie der Beginn des Verkehrs zwischen
+Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen Zeit an.
+
+^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben.
+
+——————————————————————-
+
+Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die
+schwache und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die
+Sabeller im Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das
+Alphabet von den Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert
+sich wahrscheinlich daraus, dass sie das Alphabet schon besassen, als
+sie den Zug auf den Ruecken des Apennin antraten, die Sabiner wie die
+Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande
+in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthaelt diese Geschichte
+der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die
+spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene
+roemische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste
+Forschung geduldig wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren
+Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so
+muesste hier vor allem eine Spur sich davon zeigen; aber gerade
+umgekehrt ist der Keim der latinischen Schreibkunst griechisch, ihre
+Entwicklung so national, dass sie nicht einmal das so wuenschenswerte
+etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja wo Entlehnung
+sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von
+den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben.
+
+———————————————————————
+
+^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische
+dem v entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu
+verwenden, hat die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked
+fuer fecit und damit zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets
+von den chalkidischen Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer,
+demselben Alphabet angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in
+dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer, Griechische Grammatik, § 244 a. E.)
+dieselbe Lautverbindung, und ein aspiriertes v mochte allerdings dem
+lateinischen f lautlich sich naehern.
+
+——————————————————————-
+
+Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die
+Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung
+desselben besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen
+Dialekten untergegangen, waehrend die Umbrer γ d, die Samniten d, die
+Roemer γ einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte.
+Ebenso fielen den Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei
+den Lateinern finden sich Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das
+Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn waehrend der Etrusker
+die drei Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das letzte
+wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich
+der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der
+spaetere Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren
+Lautverschiedenheiten wurden von den Einfuehrern des Alphabets,
+gebildeten und zweier Sprachen maechtigen Leuten, wohl empfunden; aber
+nach der voelligen Loesung der nationalen Schrift von dem hellenischen
+Mutteralphabet fielen allmaehlich die Mediae und ihre Tenues zusammen
+und wurden die Sibilanten und Vokale zerruettet, von welchen
+Lautverschiebungen oder vielmehr Lautzerstoerungen namentlich die erste
+ganz ungriechisch ist. Die Zerstoerung der Flexions- und
+Derivationsformen geht mit dieser Lautzerruettung Hand in Hand. Die
+Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere als
+die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwaehrend zehrt,
+wo ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird;
+nur dass von dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in der
+Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese Barbarisierung die
+Etrusker in staerkerem Masse erfasste als irgendeinen der italischen
+Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer minderen
+Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den Italikern am
+staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die suedlichen
+Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird
+der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen
+wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben.
+
+
+
+
+KAPITEL XV.
+Die Kunst
+
+
+Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise;
+insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch
+vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische
+nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die
+Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu
+vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem
+scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die
+Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio
+finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die
+guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere
+Komoedie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die
+parodische Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der
+Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern
+keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen
+haben sie es nicht leicht ueber Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer
+Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch
+die hoechsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen,
+goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie
+Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer
+mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik
+ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent
+weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur
+Virtuositaet sich steigert und an der Stelle der echten und innigen
+Kunst ein hohles und herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist
+nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der Kunst ueberhaupt ein
+Innerliches und ein Aeusserliches unterschieden werden kann, das dem
+Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der
+Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine
+Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist er
+denn auch in den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu
+Hause und darin in der alten Kulturepoche der beste Schueler des
+Hellenen, in der neuen der Meister aller Nationen geworden.
+
+Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich,
+die Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen
+Voelkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht
+mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur von der Poesie
+Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere ausgegangen von
+der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen Festjubel, in welchem
+Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich durchdringen. Es
+ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten Religionsgebraeuchen der
+Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener hervortreten als das
+Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische Siegesfest
+eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den Kaempfern
+die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene
+geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben,
+alle in roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen
+Lanzen, die Maenner ueberdies behelmt, ueberhaupt in vollem
+Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen
+mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf den Schurz mit einem
+Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die aelteste und
+heiligste von allen Priesterschaften die “Springer” und durften die
+Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem oeffentlichen Aufzug
+und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz
+schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe ward. Wo aber die Taenzer
+erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in aeltester Zeit
+dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. Auch sie fehlen bei keinem
+Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begraebnis, und neben der
+uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt,
+obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium
+tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das
+alte und selbst der strengen roemischen Polizei zum Trotz behauptete
+Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und suessen Weines voll auf den
+Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle
+Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige Taetigkeit
+auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide bestellt
+sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und
+gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder
+dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen.
+
+Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen
+Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der “guenstige
+Geist” (faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das
+verkuenden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen
+wieder in rhythmisch gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von
+canere). Diesen weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner
+und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die
+Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die
+boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft
+oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass in
+diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln
+erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die
+religioesen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie
+sangen und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein
+wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrueder
+zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient:
+
+————————————————————————-
+
+^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen
+den Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der
+vermutlich seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist.
+Natuerlich finden sich daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es
+gegen Gicht, wenn man nuechtern eines andern gedenkt und dreimal
+neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend, die Worte spricht: “Ich
+denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde empfange das Unheil,
+Gesundheit sei mein Teil” (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro
+rust. 1, 2, 27).
+
+——————————————————————————————————
+
+Enos, Lases, iuvate!
+
+Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
+
+Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber!
+
+Semunis alternei advocapit conctos!
+
+Enos, Marmar, invato!
+
+Triumpe! ^2
+
+——————————————————————————————————
+
+^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam),
+Mamers, sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen
+insili! sta! verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos,
+Mamers, iuvato! Tripudia! Die ersten fuenf Zeilen werden je dreimal,
+der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die Uebersetzung ist vielfach
+unsicher, besonders der dritten Zeile.
+
+Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat
+deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied - asted noisi ope
+toitesiai pakariuois - duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom
+dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher
+verstaendlich sind nur einzelne Woerter; bemerkenswert vor allem, dass
+Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische kannten, wie das
+Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et, hier
+wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.
+
+——————————————————————————————
+
+an die Goetter Uns, Laren, helfet!
+
+ Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars,
+
+ lass einstuermen auf mehrere.
+
+ Satt sei, grauser Mars!
+
+an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie!
+
+Brueder
+
+an alle
+
+Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu,
+allen
+
+an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf!
+
+an die einzelnen Springe!
+
+Brueder
+
+Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der
+Baliarischen Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen
+Zeit als die aeltesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt
+sich zu dem Latein der Zwoelf Tafeln etwa wie die Sprache der
+Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl duerfen wir der Sprache wie
+dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den indischen Veden
+vergleichen.
+
+Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an.
+Dass es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss
+gab, wuerde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen,
+auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es
+ausdruecklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn
+ein Buerger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine
+ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung
+eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei
+dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter
+auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe
+der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch
+ohne Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner
+bei dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere
+vermutlich den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von
+diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, dass sie schilderten
+und erzaehlten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der
+Poesie das epische entwickelten.
+
+Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel
+ueber die Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem
+lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie
+gefehlt haben; es lag aber in den Verhaeltnissen, dass bei diesen
+vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten aufgefuehrten und
+gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht mehrere Taenzer oder auch
+mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der Gesang eine gewisse
+Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend einen
+scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden
+hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der
+fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer
+volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer
+das Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel
+und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war.
+
+Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und
+Drama. Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von
+selbst und wird zum Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig
+von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit
+waren dieselben vollstaendig verschollen. Die Komoedien aber, wenn man
+den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch lange nachher
+durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser Volkspoesie und
+Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Mass, die musikalische
+und chorische Begleitung und vielleicht die Masken.
+
+Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist
+zweifelhaft; die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem
+aeusserlich fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine
+bewegte Rezitation. Dagegen begegnet in spaeterer Zeit eine uralte
+Weise, das sogenannte saturnische ^3 oder faunische Mass, welches den
+Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der aeltesten
+latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit
+spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung
+geben.
+
+—————————————————————
+
+^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das “Liedermass”, insofern die
+sătura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von
+demselben Stamm ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter
+Sāturnus benannt; sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art
+Karneval, und es ist moeglich, dass die Possen urspruenglich
+vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden. Aber Beweise einer Beziehung
+der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich gehoert die
+unmittelbare Verknuepfung des versus sāturnius mit dem Gott Saturnus
+und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der
+spaeteren Zeit an.
+
+—————————————————————
+
+Quod ré suá difeídens - ásperé afleícta
+
+Paréns timéns heíc vóvit - vóto hóc soúto
+
+Decumá factá poloúcta - leíbereís lubéntes
+
+Donú danúnt - Hércolei - máxsumé - méreto
+
+Semól te oránt se vóti - crébro cóndémnes
+
+Was, Missgeschick befuerchtend - schwer betroffnem Wohlstand,
+
+Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des Geloebnis eintraf,
+
+Zu Weih’ und Schmaus den Zehnten - bringen gern die Kinder
+
+Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten;
+
+Sie flehn zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest.
+
+In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder
+gleichmaessig gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und
+vermutlich so, dass namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf
+angegeben ward, bei Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger
+den Vers aufnahm. Es ist die saturnische Messung, wie jede andere im
+roemischen und griechischen Altertum vorkommende, quantitativer Art,
+aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl das am mindesten
+durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen sich die
+Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das
+der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten
+iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer
+hoehere poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu
+entwickeln.
+
+Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die
+ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns
+verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird
+als einem kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen,
+urspruenglich, wie der Name zeigt, aus einem leichten
+Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen Instrument.
+
+Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen
+Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco
+der Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus - Masken, die
+man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und
+dem Dottore der italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass
+diese Masken bereits der aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren,
+laesst sich natuerlich nicht eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch
+der Gesichtsmasken in Latium fuer die Volksbuehne von unvordenklichem
+Alter ist, waehrend die griechische Buehne in Rom erst ein Jahrhundert
+nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da jene
+Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da
+endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele
+ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal
+zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken
+an die Anfaenge des roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie
+als diese Anfaenge selbst betrachten duerfen.
+
+Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von
+Latium spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger
+wissen ueber die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen
+her zuteil wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der
+auslaendischen, namentlich der griechischen Sprache hierher gezaehlt
+werden, welche letztere den Latinern natuerlich im allgemeinen fremd
+war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen
+Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten
+gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der
+Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und
+Schreibens. Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der
+Kunde fremder Sprachen noch auf elementaren technischen Fertigkeiten;
+wichtiger als jene Mitteilungen wurden fuer die Entwicklung Latiums die
+musischen Elemente, die sie bereits in fruehester Zeit von den Hellenen
+empfingen. Denn lediglich die Hellenen und weder Phoeniker noch
+Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine Einwirkung
+auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine
+musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es
+darf wohl ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard-
+und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt
+werden ^4. Griechische Befruchtung aber blieb nicht aus. Die
+griechische siebensaitige Lyra, die “Saiten” (fides, von σφίδη Darm;
+auch barbitus βάρβυτος) ist nicht, wie die Floete, in Latium
+einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument
+gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist
+teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils
+ihre Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der
+Griechen bereits in dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die
+bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus
+auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch
+die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des
+Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in
+Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele
+in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche
+Erzaehlungen von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich
+aber und vor allem kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi
+maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine spaetere
+Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluss erhalten
+haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund
+eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum
+gewoehnlich bei der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem
+kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Goettern
+ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und
+Aventin abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplaetzen
+versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach
+den Abteilungen der Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die
+Kaempfer und die frueher beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr
+eigenen Musik; hierauf die Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern
+und dem anderen heiligen Geraet; endlich die Bahren mit den
+Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das Abbild des Krieges,
+wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu Ross und zu
+Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer Art
+einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die abgesprungenen
+Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer Fechtart mit
+einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen die
+Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich
+miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung
+der Wettkaempfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei
+Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den
+schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung,
+ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte
+also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen die Wettkaempfe an
+diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen Karneval, wobei
+denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet
+haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel
+Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die im
+ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle;
+der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der
+erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den
+Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte.
+
+—————————————————————————————-
+
+^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie
+spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit
+dem urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso
+unvereinbar, wie es nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben
+in Etrurien lernten. Dass das Studium der etruskischen Sprache damals
+in Rom die Rolle gespielt habe wie etwa jetzt bei uns das
+Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten heutigen Bekenner
+des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen Haruspicin
+etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten,
+einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K.
+O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist
+die Angabe von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der
+Republik herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der
+aelteren Annalen, welche zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner
+Unterhaltung mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch lernen lassen
+(Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es gab
+allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine
+gewisse Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern
+erforderte.
+
+^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197;
+Cic. Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift
+Orelli 2448, vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro
+bei Nonius unter nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum
+nicht weniger unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von
+dem Verbot der Musik im Jahre 639 wurden nur der “latinische
+Floetenspieler samt dem Saengern, nicht der Saitenspieler ausgenommen,
+und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur zur Floete (Cato bei Cic. Tusc.
+1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15,
+30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was
+Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf
+Privatgastmaehler uebertragen.
+
+^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es
+noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag
+circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und
+Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen
+Spiele erst spaeter hinzugekommen sind. Dass in jeder Kampfgattung
+urspruenglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn
+spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig Wagenpaare
+nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das
+Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter
+und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen
+Zeiten in den roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen,
+als es sogenannte Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei
+waren, die weisse und die rote. Das zu den circensischen gehoerende
+Reiterspiel der patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward
+bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knuepfte
+es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72)
+gedenkt.
+
+—————————————————————————————
+
+Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die
+uebrigen oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich,
+wenn auch in den Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der
+oeffentlichen Leichenfeier traten regelmaessig Taenzer und daneben,
+wenn mehr geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die
+Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem
+Begraebnis eingeladen ward.
+
+Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene
+Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen:
+so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen
+Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen
+Uebungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros’ Zeugnis von Haus
+aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen
+bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut
+wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier
+nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes zuteil wird;
+endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und
+Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese
+Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter
+Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen
+Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht die ueberwiegende
+Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen,
+ist keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst
+erst zu den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so
+gut wie die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss
+erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere
+Belustigungsweise - der “Sprung” (triumpus, 1, 44) und etwa das in
+Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in
+Uebung gebliebene Schaukeln - mit den griechischen Rennen verbunden und
+bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es
+ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas,
+aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische
+Stadion (dorisch σπάδιον) als spatium mit der gleichen Bedeutung in
+sehr frueher Zeit in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt
+sogar ein ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die
+Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich
+eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die
+Roemer ausser den musikalischen und poetischen Anregungen auch den
+fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu
+verdanken.
+
+Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus
+denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch
+diese selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die
+Elemente der Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als
+der roemische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und
+den Jagdspiess fuehren lernte und als in Rom jeder Gemeindebuerger
+zugleich Soldat war; sondern es genoss die Tanzkunst von jeher
+oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen Wettkaempfen
+eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik
+und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische
+Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die
+Maskenposse die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische
+Einwirkung nicht.
+
+Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht
+aufgingen oder verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der
+latinischen Jugend blieb derb und tuechtig, aber fern von dem Gedanken
+einer kuenstlerischen Ausbildung des Koerpers, wie die hellenische
+Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen Wettkaempfe der Hellenen
+veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber ihr Wesen.
+Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne Zweifel
+anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und
+Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung
+die erste Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war,
+so kamen die roemischen bald in die Haende von freigelassenen und
+fremden, ja selbst von unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der
+Umstand der Mitstreiter in ein Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des
+Wettsiegers, den man mit Recht das Wahrzeichen von Hellas genannt hat,
+ist in Latium spaeterhin kaum die Rede.
+
+Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen
+und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden
+Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens
+gruenen Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen
+Sagenbildung kam es nicht. Die italischen Goetter sind Abstraktionen
+gewesen und geblieben und haben nie zu rechter persoenlicher Gestaltung
+sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die
+Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne
+Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in
+sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in
+der Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem
+aber kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es
+ist die tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor
+allem der Poesie, dass sie die Schranken der buergerlichen Gemeinden
+sprengen und aus den Staemmen ein Volk, aus den Voelkern eine Welt
+erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur
+die Gegensaetze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die
+griechische Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum
+hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt.
+Aber in Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba
+und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal,
+was eher noch denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der
+Art wie die Hesiodischen ‘Werke und Tage’. Es konnte wohl das
+latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die
+Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein
+Sagenkreis anknuepfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede
+Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin
+wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere
+geschah und Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst.
+
+Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen
+Kuenste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das
+bestaetigt, auch fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die
+Anfaenge der Poesie eignen wohl ueberall mehr den Frauen als den
+Maennern; Zaubergesang und Totenlied gehoeren vorzugsweise jenen und
+nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und
+die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas weiblich gefasst
+worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die Sangfrau
+abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen
+nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache keine
+Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier
+unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die
+Uebung musischer Kuenste hat sich hier frueh teils auf Frauen und
+Kinder, teils auf zuenftige und unzuenftige Handwerker beschraenkt.
+Dass die Klagelieder von den Frauen, die Tischlieder von den Knaben
+gesungen wurden, ist schon erwaehnt worden; auch die religioesen
+Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgefuehrt. Die Spielleute
+bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die Klagefrauen (praeficae)
+unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets
+blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren, ehrenvolle
+und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende
+Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der
+Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um
+so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte und je
+mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war.
+Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb
+geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so
+schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern
+schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in Griechenland immer mehr
+Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und
+damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie
+in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und indem sie
+zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht
+einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen
+Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den
+Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von
+der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel
+auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den
+Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war.
+Diese haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem
+Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden
+Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen
+Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor
+der Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und
+staatlichen Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der
+gewichtige Ernst (gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter
+des roemischen Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener
+Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum bewusster Weisheit, die
+ebenso einfach sind wie tief; aber ueber der Bewunderung, die sie
+erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur durchgefuehrt
+werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der
+eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die
+so reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen.
+
+———————————————————————-
+
+^7 Vates ist wohl zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der
+Salier zu fassen sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch
+dem griechischen προφήτης: es ist ein dem religioesen Ritual
+angehoerendes Wort und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht
+ward, immer den Nebenbegriff des gotterfuellten Saengers, des
+Musenpriesters, behalten.
+
+———————————————————————
+
+Ueber die Entwicklung der musischen Kuenste bei den Etruskern und
+Sabellern mangelt uns so gut wie jede Kunde ^8. Es kann hoechstens
+erwaehnt werden, dass auch in Etrurien die Taenzer (histri, histriones)
+und die Floetenspieler (subulones) frueh und wahrscheinlich noch
+frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein Gewerbe machten und nicht bloss
+in der Heimat, sondern auch in Rom um geringen Lohn und keine Ehre sich
+oeffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist es, dass an dem
+etruskischen Nationalfest, welches die saemtlichen Zwoelfstaedte durch
+einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des roemischen
+Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage,
+inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, ueber
+den einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind
+wir zu beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien
+schon in frueherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen
+Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen
+Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem allgemeinen
+Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden, Chaldaeern
+und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell goettlicher Weisheit
+angestaunt zu werden.
+
+Womoeglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus
+natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie der der Nachbarstaemme
+nachgestanden hat. Vielmehr laesst sich nach dem sonst bekannten
+Charakter der drei Hauptstaemme vermuten, dass an kuenstlerischer
+Begabung die Samniten den Hellenen am naechsten, die Etrusker ihnen am
+fernsten gestanden haben moegen; und eine gewisse Bestaetigung dieser
+Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die bedeutendsten und
+eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie Naevius, Ennius,
+Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehoeren, wogegen
+Etrurien in der roemischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat
+als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten
+und worteverkraeuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das
+rechte Ideal eines hoffaertigen und mattherzigen, der Poesie
+beflissenen Jungen.
+
+Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes
+Gemeingut der Staemme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es
+ist dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem
+spitzen Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen
+Wohnraum, welcher durch die mit dem Regenloch im Boden
+korrespondierende Deckenoeffnung (cavum aedium) den Rauch entlaesst und
+das Licht einfuehrt. Unter dieser “schwarzen Decke” (atrium) werden die
+Speisen bereitet und verzehrt; hier werden die Hausgoetter verehrt und
+das Ehebett wie die Bahre aufgestellt; hier empfaengt der Mann die
+Gaeste und sitzt die Frau spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus
+hatte keinen Flur, insofern man nicht den unbedeckten Raum zwischen der
+Haustuer und der Strasse dafuer nehmen will, welcher seinen Namen
+vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause
+im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga
+umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den
+Wohnraum herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten;
+und an Treppen und aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.
+
+————————————————————————
+
+^8 Dass die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und
+etruskischen, sondern der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner
+Zeit gezeigt werden.
+
+———————————————————————-
+
+Ob und wieweit aus diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik
+hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung
+schon in der fruehesten Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die
+etwa vorhandenen volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat.
+Schon die aelteste italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht
+nicht viel weniger unter dem Einfluss der griechischen als die Tektonik
+der augustischen Zeit. Die uralten Graeber von Caere und Alsium sowie
+wahrscheinlich auch das aelteste unter den kuerzlich aufgedeckten
+praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae
+durch uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende und mit einem
+grossen Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In
+derselben Weise ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer
+von Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das
+Quellhaus (tullianum) am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten
+Gebaeudes wegen die Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System
+angelegten Tore gleichen sich voellig in Arpinum und in Mykenae. Der
+Emissar des Albaner Sees hat die groesste Aehnlichkeit mit dem des
+Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien,
+vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina haeufig vor
+und gehoeren der Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken
+Italiens, obwohl der groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich
+erst viel spaeter, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der
+Stadt aufgefuehrt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen,
+bald ganz roh aus grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen
+eingeschobenen kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen
+Lagen ^9, bald aus vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken
+geschichtet; ueber die Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme
+entschied in der Regel wohl das Material, wie denn in Rom, wo man in
+aeltester Zeit nur aus Tuff baute, deswegen der Polygonalbau nicht
+vorkommt. Die Analogie der beiden ersten einfacheren Arten mag man auf
+die des Baustoffs und des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann
+schwerlich fuer zufaellig gehalten werden, dass auch der kuenstliche
+polygone Mauerbau und das Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden
+und die unbeschildete rechte Seite des Angreifers den Verteidigern
+blosslegenden Torweg den italischen Festungen ebensowohl wie den
+griechischen eignet. Bedeutsame Winke liegen auch darin, dass in
+demjenigen Teil Italiens, der von den Hellenen zwar nicht unterworfen,
+aber doch mit ihnen in lebhaftem Verkehr war, der eigentliche polygone
+Mauerbau landueblich war und er in Etrurien nur in Pyrgi und in den
+nicht sehr weit davon entfernten Staedten Cosa und Saturnia begegnet;
+da die Anlage der Mauer von Pyrgi, zumal bei dem bedeutsamen Namen
+(“Tuerme”), wohl ebenso sicher den Griechen zugeschrieben werden kann
+wie die der Mauern von Tirynth, so steht hoechst wahrscheinlich in
+ihnen noch uns eines der Muster vor Augen, an denen die Italiker den
+Mauerbau lernten. Der Tempel endlich, der in der Kaiserzeit der
+tuscanische hiess und als eine den verschiedenen griechischen
+Tempelbauten koordinierte Stilgattung betrachtet ward, ist sowohl im
+ganzen eben wie der griechische ein gewoehnlich viereckiger ummauerter
+Raum (cella), ueber welchem Waende und Saeulen das schraege Dach
+schwebend emportragen, als auch im einzelnen, vor allem in der Saeule
+selbst und ihrem architektonischen Detail, voellig abhaengig von dem
+griechischen Schema. Es ist nach allem diesem wahrscheinlich wie auch
+an sich glaublich, dass die italische Baukunst vor der Beruehrung mit
+den Hellenen sich auf Holzhuetten, Verhacke und Erd- und
+Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die Steinkonstruktion erst
+in Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der
+Griechen. Kaum zu bezweifeln ist es, dass die Italiker erst von diesen
+den Gebrauch des Eisens kennenlernten und von ihnen die
+Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von χάλιξ), die Maschine (machina
+μηχανή), das Richtmass (groma, verdorben aus γνώμων γνώμα) und den
+kuenstlichen Verschluss (clatri κλήθρον) ueberkamen. Demnach kann von
+einer eigentuemlich italischen Architektur kaum gesprochen werden. Doch
+mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses neben den durch
+griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen manches
+Eigentuemliche festgehalten oder auch erst entwickelt worden sein und
+dies dann wieder auf den Bau der italischen Goetterhaeuser
+zurueckgewirkt haben. Die architektonische Entwicklung des Hauses aber
+ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner und selbst der
+Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der guten
+alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung,
+sondern nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon
+begonnen hatte, das Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem
+Muster des menschlichen Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und dem
+Geist ein Grabgemach zu errichten. Dass man in Latium zu solchen
+Luxusbauten erst unter etruskischem Einfluss vorschritt, beweist die
+Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des aeltesten Hausbaustils als
+tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser Uebertragung anlangt, so
+ahmt der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen Umrisse des
+Zeltes oder des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern
+gebaut und mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den
+gebrannten Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die
+Gesetze der Notwendigkeit und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker
+dagegen blieb der scharfe griechische Gegensatz zwischen der von Holz
+hergerichteten Menschen- und der steinernen Goetterwohnung fremd; die
+Eigentuemlichkeiten des tuscanischen Tempels: der mehr dem Quadrat sich
+naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die groessere Weite der
+Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die gesteigerte
+Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber die
+tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des
+Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues
+hervor.
+
+————————————————————————————-
+
+^9 Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils
+aus einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier
+Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am
+Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore
+die natuerliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach
+aussen durch eine aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen
+Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen
+Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog sich vor dem
+Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die
+Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind in
+neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen. Die
+Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen,
+durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit,
+waehrend die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und
+ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den
+Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.
+
+Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des
+Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament
+gewaltiger Tuffbloecke von drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf
+welchem dann aus Bloecken von demselben Material und derselben Groesse,
+wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Aussenmauer sich erhob.
+Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der oberen Flaeche
+eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem. Fuss,
+die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine
+Breite bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die
+Stuecke aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden
+sind, sind erst bei spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen.
+
+Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner
+am Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des
+Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom
+im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer
+Ueberreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind.
+
+^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum.
+
+——————————————————————————-
+
+Die bildenden und zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur;
+das Haus muss erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende
+zu schmuecken. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in
+Italien schon waehrend der roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme
+gekommen sind; nur in Etrurien, wo Handel und Seeraub frueh grosse
+Reichtuemer konzentrierten, wird die Kunst oder, wenn man lieber will,
+das Handwerk in fruehester Zeit Fuss gefasst haben. Die griechische
+Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, wie ihr Abbild beweist,
+noch auf einer sehr primitiven Stufe und es moegen wohl die Etrusker in
+nicht viel spaeterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in Ton und
+Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von
+ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben
+die Silbermuenzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger
+Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen
+hohen Begriff; doch moegen von den etruskischen Bronzewerken, welche
+die spaeteren Kunstkenner so hoch stellten, die besten eben dieser
+Urzeit angehoert haben, und auch die etruskischen Terrakotten koennen
+nicht ganz gering gewesen sein, da die aeltesten in den roemischen
+Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, die Bildsaeule des
+kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem Dache, in Veii
+bestellt worden waren und die grossen derartigen Aufsaetze auf den
+Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern als “tuscanische
+Werke” gingen.
+
+Dagegen war bei den Italikern, nicht bloss bei den sabellischen
+Staemmen, sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und
+Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten
+Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu sein. Der
+angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht; dass in
+Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene
+Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in
+Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das
+Bild der Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem
+Aventin, welches als das aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich
+genau dem massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht
+in Elea oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter
+Zeit in Rom vorhandenen Zuenfte der Toepfer, Kupfer- und Goldschmiede,
+welche das Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst
+beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich,
+eine konkrete Vorstellung zu gewinnen.
+
+Versuchen wir aus den Archiven aeltester Kunstueberlieferung und
+Kunstuebung geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunaechst
+offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie italisches Mass und
+italische Schrift nicht unter phoenikischem, sondern ausschliesslich
+unter hellenischem Einfluss sich entwickelt hat. Es ist nicht eine
+einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in der
+altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und insofern
+hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten
+Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien
+zurueckfuehrt auf die drei griechischen Kuenstler: den “Bildner”,
+“Ordner” und “Zeichner”, Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr
+als zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und
+zunaechst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung
+orientalischer Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer
+selbstaendig entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen
+Steinschneider an der urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder
+Skarabaeenform festhielten, so sind doch auch die Skarabaeen in
+Griechenland in sehr frueher Zeit nachgeschnitten worden, wie denn ein
+solcher Kaeferstein mit sehr alter griechischer Inschrift sich in
+Aegina gefunden hat, und koennen also den Etruskern recht wohl durch
+die Griechen zugekommen sein. Von dem Phoeniker mochte man kaufen; man
+lernte nur von dem Griechen.
+
+————————————————————————————
+
+^11 Wenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die
+Roemer mehr als 170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so
+denkt er offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der
+konventionellen Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der
+Stadt dediziert und ohne Zweifel das erste Goetterbild war, dessen
+Weihung die dem Varro vorliegenden Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1,
+230.
+
+———————————————————————————
+
+Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die
+Kunstmuster zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische
+Antwort nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen
+der etruskischen und der aeltesten attischen Kunst. Die drei
+Kunstformen, die in Etrurien wenigstens spaeterhin in grosser, in
+Griechenland nur in sehr beschraenkter Ausdehnung geuebt worden sind,
+die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind
+bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet
+worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch
+dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem
+um die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines
+besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische
+Stil dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element
+durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage
+unter allen griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium
+mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen
+Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst
+versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch fuer
+die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit
+angenommen werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen wie
+im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind;
+und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis
+widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die
+aeltere etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen
+Staemmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische Bau-
+und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der
+westlicheren italischen Staemme nahegetreten.
+
+Wenn aber endlich ueber die Kunstbegabung der verschiedenen italischen
+Nationen ein Urteil gefaellt werden soll, so ist schon hier
+ersichtlich, was freilich in den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte
+noch bei weitem deutlicher hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher
+zur Kunstuebung gelangt sind und massenhafter und reicher gearbeitet
+haben, dagegen ihre Werke hinter den latinischen und sabellischen an
+Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit nicht minder wie an Geist und
+Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich dies allerdings fuer jetzt nur
+noch in der Architektur. Der ebenso zweckmaessige wie schoene polygone
+Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland haeufig, in
+Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen
+Bloecken geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich
+merkwuerdigen religioesen Hervorhebung des Bogens und der Bruecke in
+Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge der spaeteren roemischen
+Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen zu erkennen. Dagegen haben
+die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, aber auch
+verdorben, indem sie die fuer den Steinbau festgestellten Gesetze nicht
+durchaus geschickt auf den Holzbau uebertrugen und durch das tief
+hinabgehende Dach und die weiten Saeulenzwischenraeume ihrem
+Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu reden, “ein breites,
+niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen” gegeben haben. Die
+Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen Kunst nur sehr
+weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial gefunden, aber
+was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich angeeignet und in
+der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre Lehrmeister
+uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwuerdiges Zeugnis
+handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig festgehaltener
+Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur
+genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben mag, so gut wie man
+laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus der etruskischen
+abzuleiten, wird man sich auch noch entschliessen muessen, in der
+Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der ersten in die
+letzte Stelle zu versetzen.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
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+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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+from people in all walks of life.
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+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
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+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
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+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
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+ Dr. Gregory B. Newby
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@@ -0,0 +1,10666 @@
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+<pre>
+The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1, by Theodor Mommsen
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+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
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+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
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+Title: Römische Geschichte Book 1
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3060]
+[Most recently updated: January 15, 2020]
+
+Language: German
+
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+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+</pre>
+
+
+<h1>Römische Geschichte </h1>
+
+<h4>Erstes Buch<br/>
+Bis zur Abschaffung des römischen Königtums
+</h4>
+
+<h2>von Theodor Mommsen</h2>
+
+<hr />
+
+<p>
+The following e-text of Mommsen&rsquo;s Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
+modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
+words, nor is there any differentiation between the different accents of
+ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+</p>
+
+
+<h2>Contents</h2>
+
+<table summary="" style="margin-left: auto; margin-right: auto">
+
+<tr>
+<td> <a href="#pref01">Vorrede zu der zweiten Auflage</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#pref02">Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage</a><br/><br/></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#part01"><b>Erstes Buch&mdash;Bis zur Abschaffung des römischen Königtums</b></a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap01">Kapitel I. Einleitung</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap02">Kapitel II. Die ältesten Einwanderungen in Italien</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap03">Kapitel III. Die Ansiedelungen der Latiner</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap04">Kapitel IV. Die Anfänge Roms</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap05">Kapitel V. Die ursprüngliche Verfassung Roms</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap06">Kapitel VI. Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap07">Kapitel VII. Roms Hegemonie in Latium</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap08">Kapitel VIII. Die umbrisch-sabellischen Stämme.
+Anfänge der Samniten</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap09">Kapitel IX. Die Etrusker</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap10">Kapitel X. Die Hellenen in Italien.
+Seeherrschaft der Tusker und Karthager</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap11">Kapitel XI. Recht und Gericht</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap12">Kapitel XII. Religion</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap13">Kapitel XIII. Ackerbau, Gewerbe und Verkehr</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap14">Kapitel XIV. Mass und Schrift</a></td>
+</tr>
+
+<tr>
+<td> <a href="#chap15">Kapitel XV. Die Kunst</a></td>
+</tr>
+
+</table>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="pref01"></a>Vorrede zu der zweiten Auflage</h2>
+
+<p>
+Die neue Auflage der &lsquo;Roemischen Geschichte&rsquo; weicht von der
+frueheren betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten
+Buechern, welche die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen.
+Wo die pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich
+selbst Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die
+Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit-
+und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der Art,
+dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. Obwohl der
+Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten der Forschung und
+der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte,
+so blieb dennoch notwendig, hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese
+Auflage ist eine Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die
+staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der
+dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden.
+Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung
+durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung klarer und
+uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten Buche die inneren
+Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht,
+wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit
+wie die Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt
+worden.
+</p>
+
+<p>
+Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu
+loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen
+wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der Verfasser
+es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht jene leicht
+ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr
+wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es
+abgeschlossen und fertig war.
+</p>
+
+<p>
+Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich
+bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte
+beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor
+Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der Stadt
+dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt
+worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen
+Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt
+werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des
+Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten
+Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das
+roemische und griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden,
+dass Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und
+fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu
+100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde
+gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000
+Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304½ Talern
+preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird.
+Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische
+Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag.
+Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. Ein
+alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben werden **,
+da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so
+rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern.
+</p>
+
+<p>
+——————-
+</p>
+
+<p>
+* Hier in Klammern im Text.
+</p>
+
+<p>
+** Karte und Register sind hier weggelassen.
+</p>
+
+<p>
+——————-
+</p>
+
+<p>
+Breslau, im November 1856
+</p>
+
+<p>
+Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande dieses
+Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst gewesen ist, sind
+zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu aufgefundenen Fragmenten des
+Licinianus, welche er durch die zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers,
+Herrn Karl Pertz, bereits vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat
+einsehen duerfen und die zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der
+Schlacht bei Pydna bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige
+Ergaenzung, freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben.
+</p>
+
+<p>
+Breslau, im Mai 1857
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="pref02"></a>Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage<br/>
+Einleitung</h2>
+
+<p>
+Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird
+man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden.
+Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, wie
+das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue Auflagen jede
+inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu
+wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen
+der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als versehen
+oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu einer
+Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung dargeboten. Eine
+Ausfuehrung ueber die Grundlagen der roemischen Chronologie im vierzehnten
+Kapitel des dritten Buches ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe
+angemessener Weise in einer besonderen Schrift (&lsquo;Die roemische
+Chronologie bis auf Caesar&rsquo;. Zweite Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und
+deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung der Ergebnisse von allgemein
+geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die
+Einrichtung nicht veraendert.
+</p>
+
+<p>
+Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am 4.
+August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober 1902.
+</p>
+
+<p class="center">
+Meinem Freunde<br/>
+Moritz Haupt<br/>
+In Berlin
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="part01"></a>Erstes Buch<br/>
+Bis zur Abschaffung des römischen Königtums
+</h2>
+
+<p class="letter">
+Τά παλαίστερα σαφώς μέν ευρείν διά χρόνου πλήθος αδύνατα ήν. Εκ δέ τεκμηρίων ων
+επί μακρότατον σκοπούντί μοι πιστεύσαι ξυμβαίνει ου μεγάλα νομίζω γενέσθαι,
+ούτε κατά τούς πολέμους οίτε ες τά άλλα.
+</p>
+
+<p class="letter">
+Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht genau
+erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im grossen
+Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht erheblich waren,
+weder in bezug auf die Kriege noch sonst.
+</p>
+
+<p class="right">
+Thukydides
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap01"></a>KAPITEL I.<br/>
+Einleitung</h2>
+
+<p>
+Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die
+Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder
+vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in betraechtlicher Breite
+ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in
+alten Zeiten Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und
+sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein
+Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die
+Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner
+des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien an uns
+vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen Stammes an dem
+suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen Nation, die die
+Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und
+Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und
+der Italiker, welche die europaeischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu
+ihrem Erbteil empfingen. Wohl knuepft jede dieser Geschichten an ihren
+Anfaengen an andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt
+bald ihren eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch
+stammverwandten Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber
+und Neger Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und
+Deutschen Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach
+sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen
+gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt Kulturkreise sich
+abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit gelten, dessen Hoehepunkt
+die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier
+Nationen, nachdem jede von ihnen auf eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und
+grossartigen Zivilisation gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung
+zueinander alle Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und
+entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue Voelkerschaften, die
+bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand
+umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer ergossen und, indem sie die Suedkueste
+geschichtlich trennten von der noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation
+verlegten vom Mittelmeer an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte
+Geschichte von der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die
+neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen
+Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl anschliesst an
+die untergehende oder untergegangene Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie
+diese an die aelteste indogermanische, aber auch wie diese bestimmt ist, eine
+eigene Bahn zu durchmessen und Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu
+erproben: die Epochen der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die
+beglueckende Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen
+Genuss erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst
+das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des erreichten
+Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein; das grossartigste
+Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie erfuellen, nimmer aber
+das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am Ziele zu stehen scheint, die
+alte Aufgabe auf weiterem Felde und in hoeherem Sinne neu gestellt wird.
+</p>
+
+<p>
+Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen
+weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den
+drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer
+erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach
+Sueden sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunaechst in
+suedoestlicher Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen
+oestlichen Busen des Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine
+hoechste, kaum indes zu der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in
+den Abruzzen erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in
+suedlicher Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach
+einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in einen
+flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug und schliesst
+dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln ab. Das noerdlich
+zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab sich ausbreitende
+Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete Zeit auch historisch
+nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, demjenigen Italien, dessen
+Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im siebenten Jahrhundert Roms wurde das
+Kuestenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten das Potal Italien
+einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern
+der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern
+breit durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene
+Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen eine wohl
+geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von dem oestlich,
+suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und Kuestenland. Zwar an
+der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von dem Bergstock der Abruzzen
+geschlossen und nur von dem steilen Ruecken des Garganus inselartig
+unterbrochen, die apulische Ebene in einfoermiger Flaeche mit schwach
+entwickelter Kuesten- und Strombildung aus. An der Suedkueste aber zwischen den
+beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere
+Huegelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich
+und fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden
+Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst
+zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und
+Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium
+und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von Kampanien das
+Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem
+Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der
+Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und
+groesste des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum,
+vor allem im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten,
+grossenteils vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die
+sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen &ldquo;Riss&rdquo; (Ρήγιον) der
+Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich
+Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der
+Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben Staemme und der
+gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung. Die italische Halbinsel teilt
+mit der griechischen die gemaessigte Temperatur und die gesunde Luft auf den
+maessig hohen Bergen und im ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der
+Kuestenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer,
+das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem
+Nachbarn ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und
+kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf.
+Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit des Menschen
+anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen in die Ferne, dem
+ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber
+wenn die griechische Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische
+nach Westen. Wie das epirotische und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind
+die apulischen und messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter
+Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche
+Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien,
+Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und
+fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das
+unbewaffnete Auge von Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben
+Italiker und Hellenen sich doch frueher und enger auf jeder andern Strasse
+beruehrt als auf der naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie
+so oft in den Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker
+vorgezeichnet: die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten
+Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der
+andere nach Westen.
+</p>
+
+<p>
+Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht die
+Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde
+von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien, dann ueber die Welt
+gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs
+behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer
+zu nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten
+Stammes der Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur
+ein Zweig sind.
+</p>
+
+<p>
+Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die innere
+Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung des
+latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir
+werden also darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der
+Halbinsel; die Gefaehrdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine
+teilweise Unterjochung durch Voelker anderer Herkunft und aelterer
+Zivilisation, durch Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen
+die Fremdlinge und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der
+beiden italischen Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie
+auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor
+Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der
+beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen die Punischen
+Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an
+und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen
+Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im
+dritten und den folgenden Buechern erzaehlt werden.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap02"></a>KAPITEL II.<br/>
+Die ältesten Einwanderungen in Italien</h2>
+
+<p>
+Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten Einwanderung des
+Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im Altertum der Glaube allgemein,
+dass dort wie ueberall die erste Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei.
+Indes die Entscheidung ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren
+genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem
+Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch wichtig
+festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines Landes daselbst
+autochthon oder selbst schon eingewandert ist.
+</p>
+
+<p>
+Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung
+in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen zu
+der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder kulturfaehigen oder
+auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher stehende Nationen soweit
+moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend arm an
+Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in einem
+bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den Ergebnissen der
+deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England, Frankreich,
+Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische Staemme hier sich
+ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr
+gestreift haben, das von Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton
+oder Knochen verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des
+Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise
+ging in Indien der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige
+Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten
+Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die
+schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt
+die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie sie
+die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten der
+sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist
+bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in
+Italien die Existenz des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des
+Ackers und das Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen
+Italiens das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden
+hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede
+Spur schlechterdings ausgeloescht.
+</p>
+
+<p>
+Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die Staemme.
+Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von
+den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den
+Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich
+bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig,
+deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens
+auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet nicht
+nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her erfahren hat;
+diese sind es, deren nationale Individualitaet die Forschung zunaechst
+festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der
+Voelkernamen und der zerruetteten, angeblich geschichtlichen Ueberlieferung,
+welche aus wenigen brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse
+meistens geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer
+Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die
+Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer uns eine
+Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, aber doch
+authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien
+seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst
+geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die
+nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen
+Sprachen auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen
+hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die
+Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den
+einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren.
+</p>
+
+<p>
+So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme unterscheiden, den
+iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen,
+von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom
+und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten
+angehoeren.
+</p>
+
+<p>
+Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten Suedosten
+Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind Inschriften in
+einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden
+worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms der Iapyger, welche auch die
+Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen
+Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren
+dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch in
+Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um
+dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um
+positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der
+Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht
+entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird. Dass
+der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen
+aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen οιο
+anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten
+Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen
+iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in einer
+gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer
+vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den Hellenen
+findet weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften mehrfach
+hervortretenden griechischen Goetternamen und in der auffallenden, von der
+Sproedigkeit der uebrigen italischen Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit,
+mit der die Iapyger sich hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos&rsquo;
+Zeit (400 Roms, [350]) als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im
+sechsten Jahrhundert der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung
+von Griechenland aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische
+Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich
+vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen Stamm-
+oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber doch keineswegs
+so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen rohen Dialekt des
+Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen
+bleiben muessen, bis ein schaerferes und besser gesichertes Ergebnis zu
+erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes nicht sehr empfindlich; denn nur
+weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn unserer Geschichte
+schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht
+in andere Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation
+passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich
+gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen
+Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten Wanderungen
+der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen
+Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und deshalb noch
+in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. Kamen aber die frueheren
+Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der
+Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung
+wagen, dass die am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten
+Bewohner Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem suedoestlichen
+Saume begegnen wir der iapygischen Nation.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie θeotoras
+artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi.
+</p>
+
+<p>
+^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache
+von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine
+Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen albanesischen
+angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich bestaetigen und sollten
+anderseits die Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen
+und italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener
+hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz Griechenland und
+namentlich in den noerdlichen Landschaften hervortreten, so wuerde diese
+vorhellenische Nationalitaet damit als auch voritalisch nachgewiesen sein;
+Einwanderung der Iapyger in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde
+daraus zunaechst noch nicht folgen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung
+zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen desselben
+Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit groesserer
+Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der iapygischen Nation der Fall war.
+Wir duerfen dies Volk billig das italische heissen, da auf ihm die
+geschichtliche Bedeutung der Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden
+Staemme der Latiner einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen
+Auslaeufern, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von
+den Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen
+Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied sind in
+der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in der sie eine
+Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im Lautsystem erscheint
+bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie uebereinstimmen mit den
+Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen hellenischen und
+hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit selbst. Die Aspiraten dagegen,
+die von den Griechen durchaus und die haerteren davon auch von den Etruskern
+festgehalten werden, sind den Italikern urspruenglich fremd und werden bei
+ihnen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es
+durch den Hauch allein f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die
+Griechen soweit moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig
+beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das
+Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der
+Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den
+Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als diese
+angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen ist sicher
+nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern spaetere
+Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich schwaecher auch in Rom
+geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im
+Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; die schliessenden Konsonanten sind
+dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zaehigkeit
+festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch diese fallen laesst. Damit
+haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den italischen Sprachen nur
+geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch
+Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste
+Teil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet
+wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung den
+Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die italischen
+Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, haben sie den
+Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, grossenteils auch den
+Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint Anstoss daran genommen
+zu haben, den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und der Vielheit zu
+spalten, waehrend man die in den Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen
+mit grosser Schaerfe festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit
+fremd ist die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo
+durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter.
+</p>
+
+<p>
+Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele
+genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen
+indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich sprachlich
+wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; der Grieche und
+der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und der Slave ihnen Vettern.
+Die wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen Dialekte und
+Staemme unter sich muss frueh und klar den beiden grossen Nationen selbst
+aufgegangen sein; denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes Wort
+raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet,
+und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Οπικός, die von allen, den
+Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht
+aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird.
+</p>
+
+<p>
+Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in
+einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings
+sind von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische
+Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter und
+schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die einen, wie der
+volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie
+in ihrer Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit
+Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der
+sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im
+provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst
+die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen
+Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des
+grossen italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem
+lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch wieder
+von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig
+sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach - so pis fuer quis;
+ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem
+Keltischen in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen
+ist. In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt
+den noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen
+Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der
+Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal
+abschwaecht, was nicht geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv
+der Woerter auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der
+ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, im
+Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen im
+Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern italischen
+Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im
+Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den
+Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete
+Futur nach griechischer Art (her-est wie λέγ-σω) bei den Roemern fast,
+vielleicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen
+Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser
+Faelle, zum Beispiel in den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur
+vorhanden fuer die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge
+zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen
+selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische Mundart zu
+der umbrisch-samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich
+die Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten
+Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und in
+Sparta.
+</p>
+
+<p>
+Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen
+Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen,
+dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein
+Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich
+in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese
+wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in
+Umbrer und Osker auseinander gingen.
+</p>
+
+<p>
+Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht
+lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen
+ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen
+Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die
+Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig und
+vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand,
+als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge
+der Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der
+Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das
+treue Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen technischen und
+sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen
+Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus
+welchen alle unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist.
+</p>
+
+<p>
+Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen
+Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem
+angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell
+festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der gegebenen
+Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem Wortschatz nicht
+bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der Taetigkeiten, der
+Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den urspruenglichen Widerhall des
+Eindrucks, den die Aussenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch
+eine Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer
+gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen
+Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung
+erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des
+Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten Namen der
+zahmen Tiere: sanskritisch gâus ist lateinisch bos, griechisch βούς;
+sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch όις; sanskritisch açvas,
+lateinisch equus, griechisch ίππος; sanskritisch hansas, lateinisch anser,
+griechisch χήν; sanskritisch âtis, griechisch νήσσα, lateinisch anas; ebenso
+sind pecus, sus, porcus, taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in
+dieser fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf
+unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten
+Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, ueberschritten und
+war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der Wohnsitze gelangt. Dagegen
+fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen dafuer, dass schon damals der Acker
+gebaut worden ist. Die Sprache spricht eher dagegen als dafuer. Unter den
+lateinisch-griechischen Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit
+einziger Ausnahme von ζέα, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht,
+uebrigens im Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es
+muss nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen
+Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende
+Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche
+Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in primitiven
+Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung der Pflanzen
+schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, der Weizen- und
+Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und Haferbau der Germanen und
+Kelten koennten an sich wohl alle auf einen gemeinschaftlichen urspruenglichen
+Feldbau zurueckgehen. Aber auf der andern Seite ist die den Griechen und Indern
+gemeinschaftliche Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer,
+dass man vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden
+Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man
+schon Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung
+ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl der
+wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, aber
+durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei den Indern
+ueberhaupt Flur, kûrnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas
+das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind
+uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das zu
+mahlende Getreide (granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden furcht wie
+das Schiff die Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war
+bei der aeltesten Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch
+nicht wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen
+und zum Beispiel von dem sanskritischen kûrnu sowohl das zum Zerreiben
+bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch
+girnôs ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen,
+dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss,
+dass, wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine durchaus
+untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon gewesen, was er
+spaeter den Griechen und Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich
+eingepraegt, als es geschehen ist.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen sanskritisch
+dam(as), lateinisch domus, griechisch δόμος; sanskritisch vêças, lateinisch
+vicus, griechisch οίκος; sanskritisch dvaras, lateinisch fores, griechisch
+θύρα; ferner fuer den Bau von Ruderbooten die Namen des Nachens - sanskritisch
+nâus, griechisch ναύς, lateinisch navis - und des Ruders - sanskritisch
+aritram, griechisch ερετμός, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch
+der Wagen und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch
+akshas (Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch άξων, αμ-αξα;
+sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch ζυγόν. Auch die Benennungen
+des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch εςθής - und
+des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, lateinisch suo; sanskritisch nah,
+lateinisch neo, griechisch νήθω - sind in allen indogermanischen Sprachen die
+gleichen. Von der hoeheren Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in
+gleicher Weise sich sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung
+des Feuers zur Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes
+Erbgut der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der
+Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen verwandten
+Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), vielleicht auch vom
+Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese Namen sind doch schwerlich
+entstanden, bevor man gelernt hatte, die Erze zu scheiden und zu verwenden; wie
+denn auch sanskritisch asis, lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch
+metallener Waffen hinleitet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste,
+Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Géographie botanique
+raisonnée. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen in
+Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische Geschichtschreiber
+Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.).
+</p>
+
+<p>
+^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben
+und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und Italiker
+sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, und kann diese
+erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten unabhaengig voneinander,
+in die des Webens uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er ist, reicht
+nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die Flachspflanze wohl,
+bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist
+den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens
+sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen
+die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die
+Stellung von Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum
+des Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie
+ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche
+Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die
+positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und
+Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und
+Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert ueberall
+einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft und der Religion
+zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft.
+</p>
+
+<p>
+Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch çatam, ékaçatam, lateinisch
+centum, griechisch ε-κατόν, gotisch hund); der Mond heisst in allen Sprachen
+davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie der Begriff der Gottheit
+selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, griechisch θεός) gehoeren zum
+gemeinen Gut der Voelker auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und
+Naturbilder. Die Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde
+als der Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen auf
+sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die schattenhafte
+Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen wie der
+griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter vom
+Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf die Namen
+ueberein - so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der Zeus, Jovis
+pater, Diespiter der Djâus pitâ der Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der
+hellenischen Mythologie ist durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere
+indische Goetterlehre ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen
+geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern
+schon mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche
+Windspiel Saramâ, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und
+Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden Regenwolken
+zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten treulich in die Welt
+der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn der Saramâ, dem Saramêyas
+oder Hermeias geworden, und die raetselhafte, ohne Zweifel auch mit der
+roemischen Cacussage zusammenhaengende hellenische Erzaehlung von dem Raub der
+Rinder des Helios erscheint nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener
+alten sinnvollen Naturphantasie.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der
+Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten
+Welt angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der italischen Geschichte,
+zu ermitteln, soweit es moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische
+Nation sich befand, als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist
+dies keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der
+italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte.
+</p>
+
+<p>
+Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich ein
+Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die
+Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk waren.
+Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen
+noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein
+geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der
+chinesischen, aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede
+gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen entweder
+stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch
+keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie
+heutzutage die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn
+die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten
+Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf
+Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen
+wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig.
+Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der Streitwagen, des
+Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet weit oefter einen Schluss
+auf alten Voelkerverkehr als auf urspruengliche Volkseinheit. Aber was die
+Griechen und Italiker anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten
+Beziehungen dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau,
+wie Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als
+voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten
+Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller
+aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager αγρός, aro aratrum αρόω άροτρον,
+ligo neben λαχαίνω, hortus χόρτος, hordeum κριθή, milium μελίνη, rapa ραφανίς,
+malva μαλάχη, vinum οίνος, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und
+italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf altattischen und
+roemischen Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten
+Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu
+schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu
+lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls πόλτος, pinso πτίσσω,
+mola μύλη, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch deshalb im
+roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder Brei gebraucht. Dass
+auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste griechische Einwanderung
+hinausgeht, dafuer spricht die Benennung &ldquo;Weinland&rdquo; (Οινοτρία), die
+bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach
+muss der Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die
+Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben,
+nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber
+bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens
+scheinen, als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter
+sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu einem
+Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die
+wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der
+indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den
+keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen
+gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem
+wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange
+nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und
+Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung der Sprachen in dieser Beziehung
+hat kaum begonnen, und auch die Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre
+Darstellung der Urzeit vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen,
+vielmehr dem groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss
+es darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur
+der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der
+Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch ungetrennt zusammenlebten;
+die Unterscheidung der den asiatischen Gliedern dieser Familie fremden, den
+europaeischen aber gemeinsamen Kulturresultate von denjenigen, welche die
+einzelnen Gruppen dieser letzteren, wie die griechisch-italische, die
+deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf
+jeden Fall erst nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen
+Untersuchungen gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die
+graecoitalische, wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern
+des Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein
+geblieben. Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet
+anstatt der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im
+geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta oder Εστία,
+fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden Nationen von Haus
+aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen Stammsagen legt dem Koenig
+Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben muessen, Vitalus oder Vitulus,
+die Ueberfuehrung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft
+sinnig die urspruengliche italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung
+davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den
+Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk
+bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter
+(Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen
+Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk
+auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den Italikern wie
+bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen,
+mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti,
+arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben
+hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch
+malunas, keltisch malirr.
+</p>
+
+<p>
+Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen, dass es
+eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen nur von der
+Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in
+Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht
+dies nicht darauf, dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er
+anfaenglich nach dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies
+versteht es sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung
+der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet
+mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, als
+dies spaeter der Fall war.
+</p>
+
+<p>
+^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die
+aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung
+setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die
+Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach,
+Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in
+Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten
+griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber &ldquo;Ernte&rdquo;
+heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt
+ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der
+Stadtgruendung ist bekannt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die
+Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie denn das
+Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben nicht gedacht
+werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte
+entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist
+dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und
+zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach Westen,
+in deren Schneidepunkt (templum, τέμενος von τέμνω) er steht, alsdann in
+gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch
+eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle
+(termini, in sizilischen Inschriften τέρμονες, gewoehnlich όροι) bezeichnen.
+Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen
+Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr
+alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich
+ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern,
+sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist
+erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man selbst,
+wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess,
+sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss.
+</p>
+
+<p>
+Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten der
+aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge Verwandtschaft der
+Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische Haus, wie Homer es
+schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das in Italien bestaendig
+festgehalten ward; das wesentliche Stueck und urspruenglich der ganze innere
+Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heisst das schwarze Gemach
+mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd, und nichts
+anderes ist auch das homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und
+schwarzberusster Decke. Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der
+Rudernachen ist altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu
+Segelschiffen aber gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es
+keine nicht allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und
+Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte
+italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, deren
+Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, von
+Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin trafen die
+aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass sie nicht, wie es
+spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank liegend, sondern sitzend
+die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch Reiben zweier verschiedenartiger
+Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen
+und Italiker zusammen in den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des
+&ldquo;Reibers&rdquo; (τρύπανον, terebra) und der &ldquo;Unterlage&rdquo;
+(στόρευς εσχάρα, tabula, wohl von tendere, τέταμαι). Ebenso ist die Kleidung
+beider Voelker wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht voellig dem
+Chiton, und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem
+so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass
+die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in
+den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich sich ausspricht ^7
+und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten Fechtweise
+angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte
+zurueck auf dieselben Elemente alles, was die materiellen Grundlagen der
+menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die Erde an den
+Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch eine Nation
+ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte
+aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit λόγχη
+zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen
+oder Spaniern entlehnt.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit
+sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu
+leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters
+Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die
+Charaktere der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der
+graecoitalischen Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche
+diesen innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen
+und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren
+Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat,
+Religion und Kunst sind in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so
+durchaus national entwickelt worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf
+der auch hier beide Voelker fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern
+Augen fast ganz entzogen ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das
+Ganze, der Gemeinde die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen
+Lebensideal das schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang
+war, dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen
+Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen
+Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst die
+Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die Glieder
+entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in aller seiner
+Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn gab; und jenes
+roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Buerger in die
+Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte, das nichts
+forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger zwang, jeden
+Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche
+Verhuellung des Koerpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders
+sein wollte als die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat
+alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe
+Gedanke - wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren
+auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide vorbereitete
+und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen Schleier lueften zu
+wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, die Anfaenge der
+italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine aeltere Periode zu
+bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu leihen, aber
+die Richtung zu weisen.
+</p>
+
+<p>
+Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in
+Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehoert
+hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ^8,
+welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet
+und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises
+die Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt.
+Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose
+Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den
+Griechen fremd und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in
+Italien sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde
+die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei
+lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen
+ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche und
+rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe als ein
+gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der
+Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder
+abgeschlossenen&rdquo; (γάμος επί παίδων γνησίων αρότω - matrimonium liberorum
+quaerendorum causa).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen
+desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen wie den
+Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in der schwaecheren
+politischen Entwicklung Griechenlands der Geschlechtsverband als korporative
+Macht dem Staat gegenueber sich noch weit in die historische Zeit hinein
+behauptet hat, erscheint der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm
+gegenueber die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die
+Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger darstellt.
+Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht gegenueber in Griechenland
+weit frueher und vollstaendiger zur innerlichen Freiheit und eigenartigen
+Entwicklung gediehen ist als in Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in
+der bei beiden Voelkern durchaus verschiedenartigen Entwicklung der
+urspruenglich doch gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt
+der Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu,
+waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre
+Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. Aber
+waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh verschwindet,
+wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den Roemern, zum
+Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das Praenomen, sich ihm
+unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und immer mehr
+zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders
+der roemischen Individualnamen, verglichen mit der ueppigen und poetischen
+Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde zeigen, wie dort die Nivellierung,
+hier die freie Entwicklung der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag.
+</p>
+
+<p>
+Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer
+die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen
+wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die
+Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. Die
+&ldquo;Gesetze des Koenigs Italus&rdquo;, die noch in Aristoteles&rsquo; Zeiten
+angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen
+Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der Gemeinde,
+Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des Stammhauptes, ein Rat
+der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen Freien, eine gewisse Verfassung
+muessen in denselben enthalten gewesen sein. Gericht (crimen, κρίνειν), Busse
+(poena, ποινή), Wiedervergeltung (talio, ταλάω τλήναι) sind graecoitalische
+Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die
+Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern
+und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die Grundgedanken
+der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur zur Bestaetigung oder
+Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an sie gebrachten Antraege befugte
+Volksversammlung - sind kaum irgendwo so scharf ausgesprochen wie in
+Aristoteles&rsquo; Bericht ueber die aeltere Verfassung von Kreta. Die Keime zu
+groesseren Staatenbuenden in der staatlichen Verbruederung oder gar der
+Verschmelzung mehrerer bisher selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos)
+sind gleichfalls beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der
+Grundlagen hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als
+dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit
+erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs wie
+die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. Wie verschieden
+aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in Griechenland aufgebauten
+Politien waren und wie vollstaendig der ganze Verlauf der politischen
+Entwicklung jeder der beiden Nationen als Sondergut angehoert ^9, wird die
+weitere Erzaehlung darzulegen haben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen
+ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass
+die roemischen Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen,
+und doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine
+Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes
+Spiel treibt, versteht sich von selbst.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem
+Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter
+Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen
+der roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren
+Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen
+Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der
+Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes (τέμενος, templum), in manchen
+Opfern und Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig
+ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so
+vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur
+weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder
+missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den
+Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die
+graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte,
+so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein
+Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken
+am Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der
+Goetter die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass
+es, dass die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer
+einzelne Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten
+bereiten und geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte,
+sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder
+auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia;
+und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald
+in ihnen nichts sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene
+Menschen und sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete.
+Wohl anders, aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des
+italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form
+ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel
+aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet ist
+Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und
+Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der
+Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist
+zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der
+maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem
+Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem
+nach seiner Art. Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der
+Taetigkeit vergeistigt; so wird beispielsweise in der Fuerbitte fuer den
+Landmann angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens,
+Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des
+Oeffnens der Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere
+physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise indes
+die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die Ehrfurcht der
+Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der Maennlichkeit und der
+Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft,
+Dea bona oder, bei den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen
+alles konkret und koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte,
+vollkommen durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten
+Sagenschatz der Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten
+der Begriff noch zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger
+festhalten, weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier
+der Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und
+allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst den
+Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen Flut
+uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen
+Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden. Ihre Goetter
+konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie
+wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften nicht des
+Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der platten
+Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht maechtiger
+fassten als die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von Hellas,
+davon wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische, dem Worte
+wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die
+&ldquo;Religio&rdquo;, das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus
+einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen,
+dieses die Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der
+griechischen Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die
+Freiheit, hier die Notwendigkeit.
+</p>
+
+<p>
+Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in Scherz
+und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten Zeit des vollen
+und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die
+einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben:
+der ehrbare Waffentanz, der &ldquo;Sprung&rdquo; (triumpus, θρίαμβος,
+δι-θύραμβος); der Mummenschanz der &ldquo;vollen Leute&rdquo; (σάτυροι,
+satura), die, in Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest
+beschliessen; endlich das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den
+lustigen Tanz mit angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends
+vielleicht tritt so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der
+Hellenen und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden
+Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die
+Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken der haeuslichen
+Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach mannigfaltiger und doch
+harmonischer Bildung des menschlichen Geistes und Koerpers die von der Nation
+und von den Einzelnen als ihr bestes Gut gepflegten Wissenschaften der
+Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der Duerftigkeit seiner
+kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der kulturlosen Voelker; in
+Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den religioesen Vorstellungen der
+Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der
+Bildnerei erwachsen, derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat.
+In Latium gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als
+Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die beseligende
+Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer Schwaermerei dem
+schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen Mut in den Schlachtliedern
+des goettlichen Saengers wiederzufinden.
+</p>
+
+<p>
+So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes erreicht
+hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die Vorzuege der
+Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer Fasslichkeit und von hellerem
+Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung
+und Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen
+Goetter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich
+einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit
+wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand
+wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht bilden lernte wie
+Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben das Beste und Eigenste des
+griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich machte, von der nationalen Einheit
+zur politischen fortzuschreiten, ohne doch die Politie zugleich mit der
+Despotie zu vertauschen. Die ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles
+und ersetzte ihnen selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet
+ihnen abging; wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt,
+beruht dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel
+und Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, nur
+die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. Entschlossen gab
+dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit willen und lernte dem
+Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der
+Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche
+Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein
+Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter
+allen Kulturvoelkern des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden
+Verfassung die nationale Einheit, die ihm endlich ueber den zersplitterten
+hellenischen Stamm und ueber den ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand
+legte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap03"></a>KAPITEL III.<br/>
+Die Ansiedelungen der Latiner</h2>
+
+<p>
+Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil Mittelasiens;
+von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils
+in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der
+Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und
+von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem
+asiatischen und dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen
+naeher in die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der
+beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen,
+raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer die Annahme einer
+allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung
+liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine engere Lokalisierung ist
+ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die einzelnen Staemme auf ihren
+weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europaeische mag noch nach dem
+Ausscheiden der Inder laengere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben;
+denn allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste,
+Spelt und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und
+vom Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und
+andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist
+es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten,
+Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen also wohl
+vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres
+erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette
+gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt,
+gesiedelt haben moegen, laesst sich nur beantworten, wenn es entschieden ist,
+auf welchem Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach
+Griechenland gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her
+in ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten.
+Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergruecken
+Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich noch deutlich
+verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der vollkommen historischen
+Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug.
+Vermutlich zog sie in aehnlicher Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange
+bevor die ersten sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die
+Hoehen erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die
+latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, dass
+die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst von diesen aus,
+wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker draengten.
+</p>
+
+<p>
+Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer
+Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten
+Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden,
+verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften
+zeigen, von einem den Sabellern naeher als den Latinern verwandten Stamm
+besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen
+Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola
+(Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare),
+Opsci (Arbeiter) sind nachweislich aelter als der samnitische Einfall und
+beweisen, dass, als Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und
+wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausōner, Kampanien innehatten. Auch die
+Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften,
+die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten
+Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt;
+es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch
+vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung
+dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die
+Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den
+gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in
+Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber
+Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der Brettischen
+Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei;
+und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern
+wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu
+Thukydides&rsquo; Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende
+Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen Griechisch mit dem
+Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der
+Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den alten Handelsverbindungen zwischen
+Rom und den sizilischen Griechen; nach allen Spuren indes sind nicht bloss die
+latinische, sondern wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische
+Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und
+die oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen Staemmen
+der latinischen Nation bewohnt gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien,
+Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in
+Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten
+nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich in
+Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der sabinischen
+Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer
+und Morgeten, die Ausōner nicht dazu gekommen, eine taetige Rolle in der
+Geschichte der Halbinsel zu spielen.
+</p>
+
+<p>
+Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind
+und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie
+gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die
+Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen
+bestimmt war.
+</p>
+
+<p>
+Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der
+grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des
+Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber Schicht schoben
+desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die
+Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner
+und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss
+Hoehe ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin
+durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss
+des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem
+Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem
+Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite
+etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus,
+durchflossen von dem Tiberis, dem &ldquo;Bergstrom&rdquo;, der aus den
+umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. Inselartig
+steigen in der Flaeche auf teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im
+Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche,
+obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen,
+deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die
+bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei
+zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt.
+</p>
+
+<p>
+Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen der
+Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den ausserhalb dieses
+Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt werden, der &ldquo;alten
+Latiner&rdquo; (prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die
+Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles
+Land noerdlich des Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches
+Gebiet, mit dessen Bewohnern ein ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich
+war und die Waffenruhe stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein
+scheint. Die Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch
+die bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese
+folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen
+Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt,
+in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler und Volsker; schon
+Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich latinische Staedte. Nur der
+mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den
+Albaner Bergen und dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen,
+wenig groesser als der jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die
+&ldquo;Ebene&rdquo; ^1, wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich
+darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen
+und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche
+unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und tiefe
+Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen des Bodens
+bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten in der
+Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen Substanzen, die
+boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im
+Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, dass diese Miasmen erst
+durch den Verfall des Ackerbaues entstanden seien, wie ihn das Missregiment des
+letzten Jahrhunderts der Republik und das der Paepste herbeigefuehrt haben;
+ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt
+noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen
+gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der
+Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil
+aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen
+der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer dichten
+ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden Bewohner
+gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht verweilt, wie
+die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine
+fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf einer
+niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer das,
+was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote,
+vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger
+anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen
+der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden,
+allein der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung,
+Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva
+nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus
+sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere Wollstoffe
+gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht erloeschen liess. Im
+uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden ackerbauenden Volke
+einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten
+und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach italienischem Massstab
+auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte
+Korn ^2. An gutem Wasser ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt
+die Bevoelkerung jede frische Quelle.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Wie latus (Seite) und πλατύς (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz
+zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die &ldquo;Ebene&rdquo; den
+Gegensatz bildet zu Samnium. Lātus, ehemals stlātus gehoert nicht hierher.
+</p>
+
+<p>
+^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des
+Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die Limagne in
+Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit
+einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten
+ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die
+Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden
+vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von
+Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt
+dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten
+spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann
+dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet
+zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere
+Pachtzins fuer einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde
+dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer
+verteilt werden wuerden Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des
+Bewirtschaftens durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert
+Jahren ohne Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage
+die Campagna di Roma.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in der
+Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind
+darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges indes laesst sich
+dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten.
+</p>
+
+<p>
+Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl
+Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die aeltesten
+&ldquo;Landquartiere&rdquo; (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen
+Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung der Claudischen
+Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher fuer die
+uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind
+nicht, wie die der spaeter hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten
+entlehnt, sondern ohne Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die
+Geschlechter, die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen
+gaben, soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii,
+Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen
+Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii,
+Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter all diesen
+Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst spaeter nach Rom
+uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird jeder italische und ohne
+Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich
+oertlich und geschlechtlich vereinigter Genossenschaften zerfallen sein; es ist
+diese Geschlechtsansiedlung das &ldquo;Haus&rdquo; (οικία) der Griechen, aus
+dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr haeufig die Komen oder Demen
+hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen
+&ldquo;Haus&rdquo; (vicus) oder &ldquo;Bezirk&rdquo; (pagus von pangere) deuten
+gleichfalls das Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im
+Sprachgebrauch begreiflicherweise ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie
+zu dem Hause ein Acker, so gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine
+Geschlechtsmark, die aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in
+verhaeltnismaessig spaete Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem
+System der Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium
+selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon
+als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage,
+auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermoegen, in
+welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung
+gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3, in wie weit das Geschlecht
+neben der Abstammung noch auf aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht
+blutsverwandter Individuen mit beruhen mag.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag
+festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert
+Koepfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit
+gewaehlten Hausvaters (Goszpodár) in demselben Hause beisammen. Das Vermoegen
+des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der
+Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie
+und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z.
+B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics,
+Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen
+Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen
+moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als
+selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen
+Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu gegenseitiger
+Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff
+verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher
+Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau
+so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-,
+das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt
+des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine
+gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die gemeinen
+Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag
+des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich zusammenfanden und wo sie im
+Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in
+den Weilern, die aber uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war.
+Ganz aehnliche alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande
+der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heisst
+in Italien &ldquo;Hoehe&rdquo; (capitolium, wie άκρα, das Berghaupt) oder
+&ldquo;Wehr&rdquo; (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die
+Grundlage einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen und
+spaeterhin sich umgeben mit dem &ldquo;Ringe&rdquo; (urbs mit urvus, curvus,
+vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied zwischen
+Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg moeglichst wenige, die
+Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein einziges, diese mindestens
+drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die vorstaedtische Gauverfassung
+Italiens, welche in denjenigen italischen Landschaften, die zum staedtischen
+Zusammensiedeln erst spaet und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht
+vollstaendig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der
+Abruzzen, noch einigermassen sich erkennen laesst. Die Landschaft der
+Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in
+unzaehligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher
+Mauerringe, die als &ldquo;veroedete Staedte&rdquo; mit einzelnen Tempeln das
+Staunen der roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene
+ihre &ldquo;Urbewohner&rdquo; (aborigines), diese ihre Pelasger hier
+unterbringen zu koennen meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen
+nicht ummauerte Staedte erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen,
+wie sie in aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger
+kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo die zu
+staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten steinerne
+Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu
+wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch
+Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten
+Landfriedens man solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese
+Zufluchtsstaetten verlassen und bald den spaeteren Generationen ein Raetsel.
+</p>
+
+<p>
+Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse
+Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die
+urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen
+Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue
+sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem
+historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die
+gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage
+darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen
+zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb
+Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen
+Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des
+latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen
+Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften
+Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten
+Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und
+gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der
+Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der
+Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen
+Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden
+her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden
+Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor allem
+der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand mannshoch
+gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges
+entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau
+auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist.
+</p>
+
+<p>
+Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten
+Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter die
+ansehnlichen Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und
+Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber;
+Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte
+Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder
+namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren
+in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von seinem Fuersten
+unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmaenner
+regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und
+Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich
+dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und staatlichen Institution, in
+dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand
+urspruenglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen
+Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von
+Alba, der ueberhaupt, wie gesagt; als der aelteste und vornehmste der
+latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich
+dreissig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in
+Griechenland wie in Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu
+den dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf die
+Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig albanischen
+Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht ueberliefert und nicht
+mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel der
+Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt
+dieser Vereinigung das &ldquo;latinische Fest&rdquo; (feriae Latinae), an
+welchem auf dem &ldquo;Berg von Alba&rdquo; (mons Albanus, Monte Cavo) an einem
+alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem &ldquo;latinischen
+Gott&rdquo; (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer
+dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach
+festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und Kaese zu liefern und dagegen von
+dem Opferbraten ein Stueck zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in
+die spaete Zeit und sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen
+Wirkungen dieser Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen
+aufzustellen. Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem
+Berg von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der
+benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei Marino); und
+ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine
+gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die ganze Landschaft gueltige
+Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung des Bundesrechts eine
+Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst auf den Tod erkannt werden
+konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch die spaetere Rechts- und eine
+gewisse Ehegemeinschaft der latinischen Gemeinden darf wohl schon als
+integrierender Teil des aeltesten Bundesrechts gedacht werden, so dass also der
+Latiner mit der Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz
+erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die
+Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht angeordnet
+haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des souveraenen
+Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den Bund nicht nachweisen.
+Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit
+gegeben war, einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu fuehren,
+wobei denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber
+wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich
+gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr umgekehrt verwehrt war,
+auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen.
+Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie
+waehrend der hellenischen Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4
+und wahrscheinlich in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander
+sicheres Geleit zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der
+Vorrechte des fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass
+keine Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre
+politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja
+wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte als die
+elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war der Umfang wie
+der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich lose und wandelbar; doch
+war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat verschiedener, mehr oder minder
+einander fremder Gemeinden, sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des
+latinischen Stammes. Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle
+latinische Gemeinden umfasst haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer
+nicht latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in Griechenland
+ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische
+Eidgenossenschaft.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand&rdquo; (indutiae Macr.
+Sat. 1, 16; εκεχερίαι Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt,
+waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.).
+</p>
+
+<p>
+^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals
+in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer
+Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht nicht
+von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und es ist
+sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach manchem
+durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher
+einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom
+niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen
+Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt
+hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die
+hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen
+Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede sein;
+und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3,
+10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien
+schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel,
+wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und
+geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, und es
+muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, dass sie in einem
+gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber
+doch das Gefuehl der nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und
+damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem
+jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit
+der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap04"></a>KAPITEL IV.<br/>
+Die Anfänge Roms</h2>
+
+<p>
+Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses stromaufwaerts
+erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel, hoehere auf dem
+rechten, niedrigere auf dem linken; an den letzteren haftet seit mindestens
+dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht
+angeben, wie und wann er aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten
+uns bekannten Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht
+Romaner; und diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber
+in frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis
+fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst sich
+nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich
+aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii Fovii,
+Valerius Volesus, vacuus vocivus.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung
+der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass
+dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich ehemals
+unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem einheitlichen
+Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, woraus in Attika
+Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der Gemeinde ist ^3, zeigt wohl
+am deutlichsten, dass die Roemer namentlich in staatsrechtlicher Beziehung fuer
+&ldquo;teilen&rdquo; und &ldquo;Teil&rdquo; regelmaessig sagen
+&ldquo;dritteln&rdquo; (tribuere) und &ldquo;Drittel&rdquo; (tribus) und dieser
+Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung
+einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen
+Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen Feldmark
+und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig vertreten; wie
+denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare Mitgliederzahl fast aller
+aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, der Taenzer, der Ackerbrueder,
+der Wolfsgilde, der Vogelschauer, wahrscheinlich auf diese Dreiteilung
+zurueckgeht. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die aelteste roemische
+Buergerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige
+Meinung, dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und
+bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen
+als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das wie
+wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und
+volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und
+sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu verwandeln.
+Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst
+sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der
+komponierenden Elemente des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden
+kann. Dass die Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt
+werden, da sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die
+Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber
+die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege
+steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die
+zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies
+kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft bewahrte
+Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in
+die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden
+waere. Es mag also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der
+sabellische Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf
+gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine sabellische
+Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da
+die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den
+Platz vor den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier den
+aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener
+Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie
+viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter
+erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius Claudius und
+seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese Aufnahme der Claudier
+unter die Roemer berechtigt die aeltere der Titier unter die Ramner, die
+Gemeinde darum den Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht
+einzelner, im Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch
+sabellische Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die
+latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen Anhalt ^4.
+Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung einer einzelnen
+Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten Stamm die latinische
+Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt haette; wobei vor allem
+nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern
+sich ansaessig machten, die latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht
+auf Rom. Das neue dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger
+urspruenglich sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner
+gewesen war, ein Teil der latinischen Nation.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht notwendig
+verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, aber fuer alle
+gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, 15; Hdt. 1, 170).
+</p>
+
+<p>
+^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische τριττύς, die umbrische
+trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der Gemeinde eine
+graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die Dreiteilung der roemischen
+Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen
+Staemme zurueckgefuehrt werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung
+sich also auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im
+graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein
+scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer
+koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen
+Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit Sicherheit
+nachzuweisen.
+</p>
+
+<p>
+^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine Mischsprache aus
+griechischen und nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von
+allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A.
+Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch
+in dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte
+finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen
+Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied zwischen
+zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass dies ebenso wohl
+und haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher
+Mischung.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner,
+Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln
+ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker bestellt
+haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag das
+&ldquo;Wolfsfest&rdquo; sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen
+Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die schlichten
+Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig genug noch im
+christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am laengsten behauptet
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer
+eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich in
+keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Wohl aber
+verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer
+hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann,
+waehrend man nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte.
+Die Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die
+der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen in
+Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen Quellen- denn
+weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem Capenischen Tor noch der
+spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu
+kommt das haeufige Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in
+der Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere
+zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler
+und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die
+Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es
+ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck
+innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht die erste naturgemaesse
+Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt haben koenne, sondern dass die Not
+oder vielmehr irgendein besonderer Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst
+haben muesse. Schon die Legende hat diese Seltsamkeit empfunden; das
+Geschichtchen von der Anlage Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung
+der albanischen Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver
+Versuch der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so
+unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die
+allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die Geschichte
+sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche Autoschediasmen, wird
+die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu machen haben; vielleicht ist es
+ihr aber auch vergoennt, noch einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung
+der besonderen Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber
+ueber die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und seiner
+Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen.
+</p>
+
+<p>
+Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. Gegen
+Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in naechster Naehe,
+zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen Mauerring entfernt, und
+muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren gewesen sein. Gegen Sueden trifft
+man in einem Abstand von drei deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden
+Tusculum und Alba und es scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter
+gereicht zu haben als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom.
+Ebenso war in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium
+bereits am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau
+ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, erstreckt er
+sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden Ufern des Tiber gegen
+das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der Kueste irgendeine als alter
+Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, irgendeine Spur alter Gaugrenze
+begegnete. Die Sage, die fuer alles einen Ursprung weiss, weiss freilich auch
+zu berichten, dass die roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die
+&ldquo;sieben Weiler&rdquo; (septem pagi) und die wichtigen Salinen an der
+Muendung durch Koenig Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass
+Koenig Ancus am rechten Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum)
+befestigt, am linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der
+&ldquo;Muendung&rdquo; (Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen
+am etruskischen Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert
+haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein
+der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin (dea dia),
+der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der Ackerbruederschaft;
+und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit das Geschlecht der Romilier, wohl
+einst das vornehmste unter allen roemischen, eben hier angesessen, das
+Ianiculum ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt
+gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche
+Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige
+Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr
+des latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepôt fuer den
+latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums eignete
+kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und der
+unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide Ufer des
+Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den Anio herabkommenden
+Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der damaligen maessigen Groesse
+der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz
+gewaehrte als die unmittelbar an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht
+seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen
+Verhaeltnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die
+von ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. Daher
+ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war, was fuer
+Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und Handelsfreund wurde;
+daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und des Brueckenbaues ueberhaupt
+in dem roemischen Gemeinwesen; daher die Galeere als staedtisches Wappen. Daher
+der uralte roemische Hafenzoll, dem von Haus aus nur unterlag, was zum
+Feilbieten (promercale), nicht was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium)
+in dem Hafen von Ostia einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf
+den Handel war. Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen
+des gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in Rom.
+In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine
+geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die
+juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft schon
+einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche andere Hoehe der
+Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische Grenzemporium am Tiber
+entstand. Ob ein Beschluss der latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale
+Blick eines verschollenen Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der
+Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist uns
+nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an diese
+Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere Beobachtung an.
+Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem latinischen
+Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt gegenueber. Die latinische
+Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu
+Festen und Versammlungen oder im Notfall zu benutzen, ist hoechst
+wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher beschraenkt worden als irgendwo
+sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen
+oder ihn als sein rechtes Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die
+boese Luft der Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging,
+auf den luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben
+dem Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden und
+Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die dichte
+Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5½ Quadratmeilen zum
+Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der
+aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte,
+also mindestens 10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art
+einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der
+weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf
+ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz gegen
+die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der Gegensatz ist
+des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder
+Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom
+zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was
+Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings
+zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten
+Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften
+war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen
+Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch entwickelte und
+damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser
+merkantilen und strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem
+wichtiger und ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und
+wenig verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene
+staedtische Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den
+Ueberlieferungen ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und
+Verschanzungen Roms, deren Anlage mit der Entwicklung des roemischen
+Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein
+muss.
+</p>
+
+<p>
+Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte
+Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in
+spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der
+regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern
+dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei
+von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am
+Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den palatinischen
+Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung wenigstens an den dem
+Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf
+hin, dass hier der Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war.
+Auf dem Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte
+&ldquo;Einrichtung&rdquo; (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem,
+dessen das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde
+eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die
+saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen
+Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der
+&ldquo;Springer&rdquo; (curia saliorum), zugleich der Aufbewahrungsort der
+heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der &ldquo;Woelfe&rdquo; (lupercal)
+und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und an diesem Huegel ward die
+Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde das strohgedeckte
+Haus des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige
+Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem
+Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des
+Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene
+Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen
+gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher hat solche
+auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. Die Gemeindestaetten aber
+sind frueh anderswohin verlegt und deshalb verschollen; nur vermuten laesst
+sich, dass der freie Platz um den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt,
+die aelteste Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber
+dem Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen
+Gemeinde gewesen sein moegen.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen hat sich in dem &ldquo;Fest der sieben Berge&rdquo; (septimontium) das
+Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um den
+Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern erwachsen, eine
+jede durch besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den
+urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich
+die Aussendeiche, angelehnt. Die &ldquo;sieben Ringe&rdquo; sind der Palatin
+selbst; der Cermalus, der Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem
+Kapitol nach dem Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia,
+der den Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen
+Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der
+Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucūsa oder Subūra, eine
+ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte, unterhalb
+S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin und dem Quirinal
+angelegte Festung. In diesen offenbar allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die
+aelteste Geschichte des palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich
+vor, zumal wenn man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung
+gebildete Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt.
+</p>
+
+<p>
+Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und
+urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie
+ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten
+Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der Servianischen
+Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, liegen im Kreise um den
+Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse,
+worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der
+palatinischen Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und
+die Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt
+mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile
+des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche
+vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; die
+auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen den Palatin aus
+laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von welcher das ganze
+Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche
+Stadt, und der suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom
+Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter
+liegende Tal hin sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter
+gewesen zu sein als die in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk
+einverleibten Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere
+vorangeht. Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden
+Stadtteile hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom
+bewahrt, das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des
+Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt
+gestritten zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse
+und je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen
+Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem Palatin
+angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier in gleich
+berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren also die Esquiliae -
+welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschliesst - in der Tat, was
+sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie inquilinus von colere) oder die
+Vorstadt; sie wurden in der spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und
+es hat dieses stets neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder
+ansehnlich gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und
+Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor
+allem die &ldquo;Pfahlbruecke&rdquo; (pons sublicius) ueber den natuerlichen
+Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein buergt
+dafuer hinreichend - schon damals bestanden und man auch den Brueckenkopf am
+etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser acht gelassen haben;
+aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in ihren Befestigungsring
+gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die spaeteste Zeit festgehalten
+worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen lediglich aus Holz zusammenzufuegen
+sei, geht in ihrem urspruenglichen praktischen Zweck offenbar darauf hinaus,
+dass sie nur eine fliegende sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen
+oder abgebrannt werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die
+roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen beherrscht
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen Ansiedlungen zu den
+drei Gemeinden, in die die roemische staatsrechtlich seit unvordenklich frueher
+Zeit zerfiel, ist nicht zu ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer
+urspruenglich selbstaendige Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie
+freilich auch urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben
+Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen gewohnt und
+was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, wird der verstaendige
+Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen von der Tarpeia und die
+Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr werden schon die beiden
+Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und Palatin und ebenso das vorstaedtische
+jedes in die drei Teile der Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es
+zusammenhaengen kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und
+palatinischen wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare
+Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische Siebenhuegelstadt
+vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung von derselben geblieben
+als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den
+neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen,
+also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die
+Staette bereitet.
+</p>
+
+<p>
+Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem
+spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor alters
+bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft gegenueber eine
+zweite auf dem Quirinal. Die &ldquo;alte Burg&rdquo; (Capitolium vetus) mit
+einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und einem Tempel der
+Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege oeffentlich aufgestellt
+wurden, ist das deutliche Gegenbild des spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-,
+Juno- und Minervatempel und mit dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen
+Archiv bestimmten Tempel der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer,
+dass auch der Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen
+Gemeinwesens gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf
+dem Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und der
+aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt weiter
+zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten Genossenschaften der
+Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in dem spaeteren Rom gedoppelt
+vorhanden gewesen sind und neben der palatinischen auch eine Springerschaft vom
+Quirinal bestanden hat, neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine
+Fabische Wolfsgilde, die ihr Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal
+gehabt hat ^5. Alle diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht,
+gewinnen um so hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau
+bekannte Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss
+und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten Bezirke
+der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal nebst dem
+benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So erklaert sich auch,
+zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem
+Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal angelegt ward - hier beruehrten sich
+ja die beiderseitigen Marken und musste von den Palatinern, nachdem sie die
+Niederung in Besitz genommen hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine
+Burg aufgefuehrt werden.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus
+hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die Fabier
+beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die Fabier zu den
+Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer auf dem Quirinal (Liv. 5,
+46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien zusammenhaengen oder nicht.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253)
+Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult
+zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 17)
+findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; die bei den
+Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist also
+entstellt und das Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern,
+sondern den weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1,
+30) oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern
+genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das
+Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein.
+</p>
+
+<p>
+Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom
+Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische
+Stadt sich die &ldquo;der sieben Berge&rdquo;, ihre Buerger &ldquo;die von den
+Bergen&rdquo; montani) sich nennen, die Bezeichnung &ldquo;Berg&rdquo; wie an
+den uebrigen ihr angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so
+heisst die quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas
+hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen
+Sprachgebrauch nie anders als &ldquo;Huegel&rdquo; (collis); ja in den sakralen
+Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der &ldquo;Huegel&rdquo; ohne
+weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende
+Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige
+Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der vom
+Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte Servianische
+das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der Gegend
+haftenden Namen der &ldquo;Roemer&rdquo; moegen dabei die Huegelmaenner ebenso
+wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini)
+sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich
+eine Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an Beweisen,
+welche ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer
+stammfremd zu erklaeren, fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus
+^7.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der
+Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch
+keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem
+Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie gezeigt
+ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; andrerseits ist es
+unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher
+lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und
+collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung
+des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars quirinus, der
+speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt
+wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel
+gefundenen Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber
+der Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der
+Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl
+collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet als
+der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer.
+</p>
+
+<p>
+^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1,
+S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von den
+Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene etymologisch-historische
+Hypothese, dass das lateinische quiris quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen
+Cures verwandt und demnach des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden
+sei. Auch wenn die sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende,
+duerfte daraus der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die
+alten Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen
+&ldquo;latiarischen Huegel&rdquo; gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet,
+aber nicht erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus
+fidius sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar
+in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. Wenn
+an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie
+der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta
+sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder
+unbefangene Forscher darin nur einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte,
+nicht fuer ihre Entlehnung aus dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit,
+dass alte Stammgegensaetze dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet
+werden; aber wenn dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die
+unseren Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element im
+Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das Leere fuehrenden
+Studien ernstlich zu warnen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die
+Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei gesonderte
+und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen einander gegenueber,
+einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani und die Trasteverini. Dass die
+Gemeinde der sieben Berge schon frueh die quirinalische bei weitem ueberwog,
+ist mit Sicherheit zu schliessen sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer
+Neu- und Vorstaedte als auch aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen
+Huegelroemer in der spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen
+gefallen lassen. Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich
+zu einer rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen
+Bestandteile der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander
+jaehrlich um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch die
+einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab noch keinen
+gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde standen,
+obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander - moegen sich mehr
+gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom eher ein Inbegriff
+staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt gewesen sein. Manchen
+Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten und maechtigen Familien
+gleichsam festungsartig angelegt und der Verteidigung faehig, also auch wohl
+beduerftig. Erst der grossartige Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius
+zugeschrieben wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom Palatin und
+Quirinal, sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen
+des Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und
+somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses
+gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden
+Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der
+Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den andern
+latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen Zeiten
+leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen Anfang festerer
+Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und tatenlosen Epoche des
+latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung
+auf dem Palatin und in den &ldquo;sieben Ringen&rdquo; zusammenfaellt mit der
+Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit
+dem Fortschritt der Latiner zu regerem und freierem Verkehr, zu staedtischer
+Gesittung vor allem in Rom und wohl auch zu festerer politischer Einigung in
+den Einzelstaaten wie in der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer
+einheitlichen Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in
+der die Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft zu
+ringen und endlich sie zu erringen vermochte.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap05"></a>KAPITEL V.<br/>
+Die ursprüngliche Verfassung Roms</h2>
+
+<p>
+Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und Geraet -
+das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die
+Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber
+gehen die Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese
+natuerlichen Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich
+aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an
+schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst
+vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse.
+</p>
+
+<p>
+Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt
+gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des
+Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio)
+angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren rechten
+Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem,
+einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die
+Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich
+sind, der Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in
+gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem
+roemischen Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein
+Uebel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des
+Geschlechts ist ein Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in
+fruehester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme
+fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein
+trug die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in der
+sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann
+nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter
+dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem
+Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig
+gehoert die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause
+notwendig hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die
+vaterlose unverheiratete Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese
+sind es und nicht der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau
+verrechtfertigt wird. Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin,
+sondern Herrin. Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde
+zukommenden Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische
+Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der
+Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde
+die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder von der roemischen
+Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger Frevel, wenn der Vater
+das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch nur zum Nachteil desselben
+sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich wird die Familie unbedingt geleitet
+und gelenkt durch den einen allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater
+familias). Ihm gegenueber ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht,
+der Stier und der Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau
+durch die freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind,
+das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. Es ist
+nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung eingegeben hat,
+vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung und Kinderzeugung
+sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief und ernst im Bewusstsein
+des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige Beispiel einer in Rom von
+Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist die Bestimmung, dass dem Vater,
+welchem Drillinge geboren werden, eine Beihilfe gegeben werden soll; und wie
+man ueber die Aussetzung dachte, zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich
+aller Soehne - mit Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten
+Tochter. Aber wie gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die
+Untersagung derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in
+religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem Hause
+durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen nicht bloss in
+strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und die Pflicht, ueber sie die
+richterliche Gewalt auszuueben und sie nach Ermessen an Leib und Leben zu
+strafen. Der erwachsene Sohn kann einen gesonderten Hausstand begruenden oder,
+wie die Roemer dies ausdruecken, sein &ldquo;eigenes Vieh&rdquo; (peculium) vom
+Vater angewiesen erhalten; aber rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag
+er durch eigene Arbeit oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen
+Haushalte gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater
+lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher auch nicht
+anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie vererben. In dieser
+Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher Linie mit dem Sklaven, dem
+die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch nicht selten verstattet ward, und
+der mit Auftrag des Herrn gleichfalls befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater
+kann wie den Sklaven so auch den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen;
+ist der Kaeufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer,
+so wird der Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann,
+seinem Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche
+Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon erwaehnten
+des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche mit rechtlicher
+Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden; so trafen diese den,
+der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn verkauft; und durch die
+Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der Ausuebung der haeuslichen
+Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der Ehemann den Spruch ueber Kind und
+Frau nicht faellte, ohne vorher die naechsten Blutsverwandten, sowohl die
+seinigen wie die der Frau, zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung
+der Gewalt lag in der letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht
+zugezogenen Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den richtenden
+Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber nicht bloss
+wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde verantwortlich, sondern auch,
+so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich und unzerstoerlich. Nach den
+griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der erwachsene, tatsaechlich
+selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; die Macht des roemischen
+Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das Alter, nicht der Wahnsinn
+desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille aufzuheben, nur dass die
+Person des Gewalthabers wechseln kann: denn allerdings kann das Kind im Wege
+der Adoption in eines andern Vaters Gewalt kommen, die Tochter durch eine
+rechte Ehe aus der Hand des Vaters uebergehen in die Hand des Mannes und, aus
+ihrem Geschlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottesschutz des
+Mannes eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es ihrem Vater war.
+Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich von dem Herrn,
+als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des ersteren ward
+frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung des letzteren wurde
+erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich gemacht. Ja, wenn der Herr
+den Knecht und der Vater den Sohn verkauft und der Kaeufer beide freigibt, so
+erlangt der Knecht die Freiheit, der Sohn aber faellt durch die Freilassung
+vielmehr zurueck in die fruehere vaeterliche Gewalt. So ward durch die
+unerbittliche Konsequenz, mit der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt von
+den Roemern aufgefasst wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt.
+Indes, bei aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an
+die Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der
+Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch rechtlich
+aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch abgesehen davon, dass
+sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt, ist voruebergehender und
+gewissermassen stellvertretender Art. Weib und Kind sind nicht bloss um des
+Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur fuer den Eigentuemer, wie in dem
+absoluten Staat die Untertanen nur fuer den Koenig vorhanden sind; sie sind
+wohl auch Gegenstand des Rechts, aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht
+Sachen, sondern Personen. Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die
+Einheit des Hauses im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert;
+wenn aber der Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren
+ein und erlangen nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen
+die bisher vom Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod des Herrn
+die rechtliche Stellung des Knechtes in nichts sich aendert.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Es gilt dies nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium
+confarreatione), sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar
+nicht an sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die
+Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung (usus)
+ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der Weg geoeffnet,
+Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er sie gewann, also namentlich
+in der bis zur Vollendung der Verjaehrung verfliessenden Zeit, war das Weib,
+ganz wie bei der spaeteren Ehe mit causae probatio bis zu dieser, nicht uxor,
+sondern pro uxore; bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt
+sich dieser Satz, dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht
+Ehefrau sei, sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3,
+14).
+</p>
+
+<p>
+^2 Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig, ist
+nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht.
+</p>
+
+<p>
+Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt&rsquo; an und lies ihn durch.
+</p>
+
+<p>
+Es deckt der schlechte Grabstein eine schoene Frau.
+</p>
+
+<p>
+Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie;
+</p>
+
+<p>
+Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann;
+</p>
+
+<p>
+Zwei Soehne gebar sie; einen liess auf Erden sie
+</p>
+
+<p>
+Zurueck, den andern barg sie in der Erde Schoss.
+</p>
+
+<p>
+Sie war von artiger Rede und von edlem Gang,
+</p>
+
+<p>
+Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh.
+</p>
+
+<p>
+Vielleicht noch bezeichnender ist die Auffuehrung des Wollspinnens unter lauter
+sittlichen Eigenschaften, die in roemischen Grabschriften nicht ganz selten
+ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta
+domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo
+diligentia fide par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der
+Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis,
+lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus non
+conspiciendi, cultus modici.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod des
+Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben selbstaendig
+gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher Hinsicht sich noch als
+eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in vielen anderen Beziehungen Gebrauch
+gemacht wird, vor allen Dingen aber, um die Stellung der Witwe und der
+unverheirateten Toechter zu ordnen. Da nach aelterer roemischer Ansicht das
+Weib nicht faehig ist, weder ueber andere noch ueber sich die Gewalt zu haben,
+so bleibt die Gewalt ueber sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die
+Hut (tutela), bei dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen
+Hausherrn jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen
+Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne, ueber
+die Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die einmal
+gegruendete Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres Urhebers
+ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation faktisch das Band
+sich lockern und zuletzt selbst die Moeglichkeit des Nachweises der
+urspruenglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der
+Unterschied der Familie und des Geschlechts, oder, nach roemischem Ausdruck,
+der Agnaten und der Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie
+aber umfasst nur diejenigen Individuen, welche von Generation zu Generation
+aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn
+dartun koennen, das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die
+Abstammung selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr
+vollstaendig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen vermoegen.
+Sehr klar spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn es heisst:
+&ldquo;Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, der
+Quintier&rdquo;, so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten individuell
+bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt ergaenzend ein das
+Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle seine
+Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat.
+</p>
+
+<p>
+Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn vereinigten
+oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen Familien- und
+Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar nicht die Gaeste, das
+sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, welche voruebergehend in einem
+fremden Hause verweilen, und ebensowenig die Sklaven, welche rechtlich nur als
+Habe, nicht als Glieder des Hauses angesehen werden, aber wohl die Hoerigen
+(clientes, von cluere), das heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie
+Buerger irgendeines Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande
+geschuetzter Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen
+Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils
+diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner
+Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit geschenkt
+hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit nicht ein streng
+rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein unfreier Mann, fuer den
+Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. Darum bilden die
+&ldquo;Hoerigen&rdquo; (clientes) des Hauses in Verbindung mit den eigentlichen
+Knechten die von dem Willen des &ldquo;Buergers&rdquo; (patronus, wie
+patricius) abhaengige &ldquo;Knechtschaft&rdquo; (familia); darum ist nach
+urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das Vermoegen des Klienten teilweise
+oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls in die Sklaverei
+zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es sind nur tatsaechliche
+Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht so leicht wie gegen den
+wirklichen Knecht die volle Schaerfe dieses hausherrlichen Rechtes
+hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite die sittliche Verpflichtung
+des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu sorgen und sie zu vertreten, bei dem
+tatsaechlich freier gestellten Klienten groessere Bedeutung gewinnt als bei dem
+Sklaven. Ganz besonders musste die faktische Freiheit des Klienten der
+rechtlichen da sich naehern, wo das Verhaeltnis durch mehrere Generationen
+hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber
+gestorben waren, konnte das Herrenrecht ueber die Nachkommen des Freigelassenen
+von den Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietaet in
+Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich ein Kreis
+abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso unterschieden wie von
+den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen.
+</p>
+
+<p>
+Auf diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen als
+der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten
+Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier,
+Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus den vereinigten
+Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer einem jener
+Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in den ueblichen Formen
+abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und begruendete fuer die Kinder das
+Buergerrecht; wer in unrechter oder ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem
+Gemeindeverband ausgeschlossen. Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die
+&ldquo;Vaterkinder&rdquo; (patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater
+hatten. Die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien
+dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und
+Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem Staate
+gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der Haussohn im Hause
+unter, aber in politischen Pflichten und Rechten neben dem Vater stand. Die
+Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich natuerlich dahin, dass die
+Freigelassenen und die Klienten eines jeden Schutzherrn um seinetwillen in der
+ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar blieben sie zunaechst angewiesen auf den
+Schutz derjenigen Familie, der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der
+Sache, dass von dem Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die
+Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen werden
+konnten, wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die eigentlichen
+buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so mehr
+galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand der Staat wie
+das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den Buergern und den
+Insassen.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter sind, so
+ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie
+nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe
+entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich bestehen
+soll, findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen nicht,
+die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden
+sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter (rex)
+und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in spaeterer Zeit in
+oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die wohlversperrte
+Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und die roemischen Penaten zu
+finden sind - sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend,
+das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt beginnt, wenn das Amt erledigt und der
+Nachfolger bezeichnet ist, sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam
+ist die Gemeinde dem Koenig erst schuldig, wenn er die Versammlung der
+waffenfaehigen Freien zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen
+hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater
+zukommt, und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern
+der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt
+alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im Namen der
+Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze Volk, obwohl sonst kein
+Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft
+gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmaechtig im Frieden wie im Kriege,
+weshalb die Boten (lictores, von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm
+ueberall voranschreiten, wo er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat
+das Recht, oeffentlich zu den Buergern zu reden, und er ist es, der die
+Schluessel zu dem Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das
+Zuechtigungsrecht und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen,
+namentlich Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in
+allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt ueber
+Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den Mitbuerger an
+Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche
+Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung an das Volk um
+Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch
+nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege auf und er befehligt das
+Heer; nicht minder aber muss er bei Feuerlaerm persoenlich auf der Brandstelle
+erscheinen. Wie der Hausherr im Hause nicht der Maechtigste ist, sondern der
+allein Maechtige, so ist auch der Koenig nicht der erste, sondern der einzige
+Machthaber im Staate; er mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen
+besonders kundigen Maennern Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat
+einfordern; er mag, um sich die Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne
+Befugnisse andern uebertragen, die Mitteilungen an die Buergerschaft, den
+Befehl im Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die
+Aufspuerung der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu
+verlassen genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen
+Gewalt eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt neben
+der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch den
+Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der aeltesten Zeit, der
+ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer (tribuni, von
+tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei (celeres), sind nichts
+als Beauftragte des Koenigs und keineswegs Magistrate im spaeteren Sinn. Eine
+aeussere rechtliche Schranke hat die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht
+haben; fuer den Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der
+Gemeinde wie fuer den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt
+seine Macht. Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, auf den im
+Fall der Vakanz das &ldquo;Zwischenkoenigtum&rdquo; (interregnum) uebergeht.
+Eine formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst nach
+der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden Kollegium der
+Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger der Gewalt den neuen
+Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird &ldquo;der hohe Goettersegen, unter
+dem die beruehmte Roma gegruendet ist&rdquo;, von dem ersten koeniglichen
+Empfaenger in stetiger Folge auf die Nachfolger uebertragen und die Einheit des
+Staats trotz des Personenwechsels der Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese
+Einheit des roemischen Volkes, die im religioesen Gebiet der roemische Diovis
+darstellt, repraesentiert rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht
+die des hoechsten Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu
+Fuss geht, der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der
+goldene Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in
+gleicher Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen
+Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott
+und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise ineinander verschwommen.
+Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig, sondern viel eher der Eigentuemer des
+Staats. Darum weiss man auch nichts von besonderer goettlicher Begnadigung
+eines Geschlechts oder von irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der
+Koenig von anderem Stoff waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die
+Verwandtschaft mit frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine
+Bedingung; vielmehr kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an
+Geist und Leib gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist
+also eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem
+aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem Hause, zum Herrn
+gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber Bauern, den Krieger ueber
+Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer
+achtet als den Vater, so unterwirft sich der Buerger dem Gebieter, ohne ihn
+gerade fuer seinen Besseren zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische
+Begrenzung der Koenigsgewalt. Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das
+Landrecht zu brechen, viel Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren
+Anteil an der Beute schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder
+sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber
+wenn er es tat, so vergass er, dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam,
+sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer
+schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm geschworen? Die
+rechtliche Beschraenkung aber der Koenigsgewalt lag darin, dass er das Gesetz
+nur zu ueben, nicht zu aendern befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr
+entweder von der Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein
+musste oder ein nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht
+entsprangen. So ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im
+tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im
+modernen Leben so wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen Staat ein
+entsprechendes Abbild vorhanden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Dass Lahmheit vom hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das roemische
+Buergertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, versteht sich
+so sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien ueber den
+Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Einteilung der Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit
+curare = coerare, κοίρανος verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde;
+jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie equ-es,
+der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei kombinierten
+Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als Teil (tribus) der ganzen
+Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit
+der Zahl der Teile. Diese Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den
+Personalbestand der Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die
+Feldmark, soweit diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-,
+sondern auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter
+den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend
+gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum Beispiel
+Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser aeltesten Zeit der
+Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, von denen schon die Rede
+war.
+</p>
+
+<p>
+In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet diese Verfassung in dem Schema der
+spaeterhin unter roemischem Einfluss entstandenen latinischen oder
+Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten dieselben hundert Ratmaenner
+(centumviri). Aber auch in der aeltesten Tradition ueber das dreiteilige Rom,
+welche demselben dreissig Kurien, dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren;
+dreitausend Fusssoldaten beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen
+hervor.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Selbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh verschwunden
+ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwuerdig
+genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter
+allen deren unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten zuhalten,
+bei der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn Zeugen
+dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in der
+Dreissigkurienverfassung sind.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Nichts ist gewisser, als dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in Rom
+entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht
+sogar ueber die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen Dingen sehr
+glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen
+Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die
+Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im vollsten
+Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom, sondern tritt in
+dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als
+wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts ueberhaupt.
+</p>
+
+<p>
+Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die
+&ldquo;Teile&rdquo; koennen schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen
+sein, weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufaellig ist;
+wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung zu, als dass das
+Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze gewesen waren, sich in
+ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert, dass der einzelne Teil einen
+Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte gehabt habe; und die grosse
+Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass im Interesse der Einheit des
+Gemeinwesens den Teilen, aus denen es zusammengeschmolzen war, dergleichen in
+der Tat nie verstattet worden sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar
+soviel Anfuehrerpaare, als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser
+Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder einzelne
+Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte Fussheer. Die
+Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die Grenzen derselben
+wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf, dass die gesetzgebende
+Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen hat, das grosse Geschlecht in
+Zweige gespalten und es als doppeltes gezaehlt oder mehrere schwache
+zusammengeschlagen, fuehrt in der roemischen Ueberlieferung schlechterdings
+keine Spur; auf jeden Fall ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen,
+dass der verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht
+veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, noch viel
+weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich fixiert; wenn die
+Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen hatte, so ist es weder
+ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem Geschlecht einen Reiter und aus
+jedem Hause einen Fussgaenger genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in
+dem aeltesten Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo
+mehrere Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war
+eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens zu gemeinsamen
+Festen sich versammelten, die auch jede unter einem besonderen Pfleger (curio)
+standen und einen eigenen Priester (flamen curialis) hatten; ohne Zweifel wurde
+auch nach Kurien ausgehoben und geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft
+nach Kurien zusammen und stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht
+zunaechst der Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die
+Zahl der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Es liegt dies schon im Namen. Der &ldquo;Teil&rdquo; ist, wie der Jurist
+weiss, nichts als ein ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der
+Gegenwart ohne alle Realitaet.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen war
+innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es kein Volk,
+das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des andern Satzes es
+den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des Gegensatzes zwischen
+Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern tritt vielleicht nirgends mit
+solcher Deutlichkeit hervor wie in der Behandlung der uralten Institution des
+Ehrenbuergerrechts, welches urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu
+vermitteln. Wenn ein Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger
+hineingenommen ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben,
+wo er dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem
+ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in Hellas
+immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in mehreren
+Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger entwickelte
+Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass man zweien Gemeinden zugleich
+als Buerger angehoeren koenne, und liess fuer den Fall, wo der neugewaehlte
+Buerger nicht die Absicht hatte, sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem
+nominellen Ehrenbuergerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft
+und Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher
+vorgekommen war.
+</p>
+
+<p>
+Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen aussen ging Hand in
+Hand, dass aus dem Kreise der roemischen Buergergemeinde jede
+Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Dass die
+innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt
+werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde
+bereits erwaehnt; derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war,
+konnte also als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten.
+Standesvorzuege aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den
+Lucerern in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen
+Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der
+Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine Eliten- oder
+Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die wohlhabendste,
+bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich schloss, war natuerlich
+angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch dieser Gegensatz war rein
+tatsaechlicher Art und der Eintritt in die Reiterei ohne Zweifel jedem
+Patrizier gestattet. Es war einzig und allein die verfassungsmaessige
+Gliederung der Buergerschaft, welche rechtliche Unterschiede hervorrief; im
+uebrigen war die rechtliche Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der
+aeusserlichen Erscheinung durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den
+Vorsteher der Gemeinde vor den Gliedern derselben, den erwachsenen
+dienstpflichtigen Mann vor dem noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus;
+uebrigens aber durfte der Reiche und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene
+oeffentlich nur erscheinen in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weissem
+Wollenstoff. Diese vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel
+urspruenglich begruendet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in
+dieser Schaerfe der Auffassung und Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten
+und der folgenreichsten Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und wohl
+mag man dabei sich erinnern, dass in Italien keine den latinischen Einwanderern
+botmaessig gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und geringerer Kulturfaehigkeit
+begegnet und damit die hauptsaechliche Gelegenheit mangelte, woran das indische
+Kastenwesen, der spartanische und thessalische und wohl ueberhaupt der
+hellenische Adel und vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Dass der Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von selbst.
+Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die Buergerschaft
+hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die Buerger sind zugleich
+die &ldquo;Kriegerschaft&rdquo; (populus, verwandt mit populari verheeren); in
+den alten Litaneien ist es die &ldquo;speerbewehrte Kriegsmannschaft&rdquo;
+(pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars herabgefleht wird und selbst die
+Benennung, mit welcher der Koenig sie anredet, der Quiriten ^6, wird als
+Bezeichnung des Wehrmanns gefasst. In welcher Art das Angriffsheer, die
+&ldquo;Lese&rdquo; (legio) gebildet ward, ist schon gesagt worden; in der
+dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand sie aus drei Hundertschaften
+(centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen oder flexuntes, die Schwenker)
+unter den drei Abteilungsfuehrern der Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei
+Tausendschaften der Fussgaenger (milites) unter den drei Abteilungsfuehrern des
+Fussvolks (tribuni militum); letzteres war vermutlich von Haus aus der Kern des
+Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und Glied
+fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen sein ^8. Der
+Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser dem Kriegsdienst konnten
+noch andere persoenliche Lasten den Buerger treffen, wie die Pflicht zur
+Uebernahme der koeniglichen Auftraege im Kriege wie im Frieden (I, 78) und die
+Fronden zur Bestellung der Aecker oder zur Anlage oeffentlicher Bauten; wie
+schwer namentlich der Bau der Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass
+der Name der &ldquo;Fronden&rdquo; (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine
+regelmaessige direkte Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte
+regelmaessige Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es
+derselben nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt
+oeffentliche Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine
+solche ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet
+ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von dem, der selber nicht
+dienen konnte oder wollte. Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst noetigen
+Opfertiere wurden durch eine Prozesssteuer beschafft, indem, wer im
+ordentlichen Prozess unterlag, eine nach dem Werte des Streitgegenstandes
+abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den Staat erlegte. Von stehenden
+Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird nichts berichtet. Dagegen
+flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, 62), sowie die Einnahme von den
+Domaenen, namentlich der Weidezins (scriptura) von dem auf die Gemeinweide
+aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die die Nutzniesser der
+Staatsaecker an Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der Ertrag der
+Viehbussen und Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde
+eine Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe
+betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe die
+Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht
+entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig leitete
+die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, das, nach den Angaben
+ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten roemischen Koenigsgeschlechts
+der Tarquinier zu schliessen, regelmaessig bedeutend gewesen sein muss, fiel
+das Staatsvermoegen nicht zusammen und namentlich der durch die Waffen
+gewonnene Acker scheint stets als Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie
+weit der Koenig in der Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen
+beschraenkt war, ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere
+Entwicklung, dass die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann,
+wogegen es Sitte sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des
+im Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Quĭris quirītis oder quirinus wird von den Alten gedeutet als der
+Lanzentraeger, von quĭris oder cŭris = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern
+zusammen mit samnis, samnitis und săbinus, das auch bei den Alten von σαύνιον,
+Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an
+arquites, milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die im
+Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen Oberwurf
+gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit der roemischen Auffassung des
+Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden die Juno quiritis, der (Mars)
+quirinus, der Janus quirinus als speerschwingende Gottheiten gedacht; und von
+Menschen gebraucht ist quiris der Wehrmann, das ist der Vollbuerger. Damit
+stimmt der Sprachgebrauch ueberein. Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll,
+wird nie von Quiriten gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma,
+populus, civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so wenig eine lokale
+Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum koennen auch diese Bezeichnungen
+nicht miteinander verbunden werden: man sagt nicht civis quiris, weil beides,
+wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus, denselben Rechtsbegriff
+bezeichnet. Dagegen lautet die feierliche Ankuendigung der Buergerleiche
+darauf, dass &ldquo;dieser Wehrmann mit Tode abgegangen&rdquo; (ollus quiris
+leto datus), und ebenso redet der Koenig die versammelte Gemeinde mit diesem
+Namen an und spricht, wenn er zu Gericht sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften
+Freien (ex iure quiritium, ganz gleich dem juengeren ex iure civili). Populus
+Romanus, quirites ( populus Romanus quiritium ist nicht genuegend beglaubigt)
+heisst also &ldquo;die Gemeinde und die einzelnen Buerger&rdquo; und werden
+darum in einer alten Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus die prisci Latini,
+den quirites die homines prisci Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd.
+2, S. 20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche
+Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen Gemeinde
+einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und nach deren
+Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den der aufnehmenden im
+sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. Vgl. 1, 68 A.
+</p>
+
+<p>
+^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt Dionysios (2, 64) nach
+den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Fuehrer der Reiter (οι
+ηγεμόνες τών Κελερίων). Nach dem praenestinischen Kalender wird am 19. Maerz
+ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis)
+celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten
+roemischen Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen in der
+Schrift &lsquo;De viris illustribus&rsquo; 1 Celer selbst centurio genannt
+wird. Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen
+sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die
+Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius
+(dig. 1, 2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm schoepfend, Lydus
+(mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem magister
+equitum des republikanischen Diktators, dem Praefectus Praetorio der
+Kaiserzeit.
+</p>
+
+<p>
+Von diesen Angaben, den einzigen, die ueber die tribuni celerum vorhanden sind,
+ruehrt die letzte nicht bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen
+Gewaehrsmaennern her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens,
+welcher nur &ldquo;Teilfuehrer der Reiter&rdquo; heissen kann; vor allen Dingen
+aber kann der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte
+Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen sein mit
+der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also stehenden Magistratur.
+Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der Nachricht des Pomponius, die
+offenbar lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit
+historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum
+den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die
+Abteilungsfuehrer der Reiter gewesen sind, also voellig verschieden von dem
+Reiterfeldherrn.
+</p>
+
+<p>
+^8 Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und arquites und
+die spaetere Organisation der Legion.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indes nicht bloss leistend und dienend erscheint die roemische Buergerschaft,
+sondern auch beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten hierzu die
+Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht waffenfaehigen
+Kinder, also, wie die Anrede lautet, die &ldquo;Lanzenmaenner&rdquo; (quirites)
+auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief, um ihnen eine
+Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie foermlich auf die dritte
+Woche (in trinum noundinum) zusammentreten hiess (comitia), um sie nach Kurien
+zu befragen. Ordnungsmaessig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24. Maerz und
+zum 24. Mai, dergleichen foermliche Gemeindeversammlungen an und ausserdem, so
+oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger nicht zum Reden,
+sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand spricht in
+der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu gestatten fuer gut
+findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache Antwort auf die Frage des
+Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung, ohne Bedingung, ohne Fragteilung.
+Nichtsdestoweniger ist die roemische Buergergemeinde eben wie die deutsche und
+vermutlich die aelteste indogermanische ueberhaupt die eigentliche und letzte
+Traegerin der Idee des souveraenen Staats; allein diese Souveraenitaet ruht im
+ordentlichen Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier nur darin, dass die
+Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig verpflichtet. Zu
+diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die
+versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und botmaessig sein und ihn
+selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise anerkennen wollen;
+eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr
+ganz aehnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war
+durchaus folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der Souveraen,
+ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich nicht
+beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die
+Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich
+souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der
+Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden
+Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem einzelnen
+Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der roemischen Verfassung ohne
+Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so dass ein solcher Akt der
+souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird durch das Zusammenwirken der
+Buergerschaft und des Koenigs oder Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis
+zwischen Regent und Regierten selbst durch muendliche Frage und Antwort
+kontraktmaessig sanktioniert wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der
+Gemeinde zustande gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an
+die Buerger gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in
+welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum
+ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es fassen, der von dem
+Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl, sondern
+zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates durch Rede und
+Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen Gesetzvertragung bedurfte es
+rechtlich in allen Faellen, die der ordentlichen Rechtskonsequenz
+zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschraenkt sein
+Eigentum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass er dasselbe
+sofort aufgibt; dass das Eigentum vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei
+seinem Tode auf einen andern uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es sei denn,
+dass ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloss die auf dem Markt
+versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft bewilligen
+konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann
+der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit nicht verlieren noch
+weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan ist, sich nicht einem
+andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn, dass ihm die Gemeinde solches
+gestatte. Dies ist die Adrogation. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann das
+Buergerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden -
+es sei denn, dass die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben
+gestatte, was beides unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss nicht in
+gueltiger Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft den
+todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter nach
+Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, da der Koenig
+nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass der zum Tode verurteilte
+Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der Richter ihm die Betretung des
+Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang der Provokation, die darum auch
+vorzugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen
+ist, sondern dem gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im
+gewoehnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige
+Vertrag nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill die
+Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie notwendig
+befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem
+Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim
+Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an
+die gewoehnliche Versammlung der Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich
+ueberhaupt, wenn der Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des
+bestehenden gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und
+insofern ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des
+Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen und in allen
+aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der Gemeinde nicht mit
+rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein zum Patrizier erklaerte Mann
+blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es konnte der nichtige Akt nur etwa
+faktische Folgen erzeugen. Insofern war also die Gemeindeversammlung, wie
+beschraenkt und gebunden sie auch auftrat, doch von alters her ein
+konstitutives Element des roemischen Gemeinwesens und stand dem Rechte nach
+mehr ueber als neben dem Koenig.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^9 Lēx, die Bindung (verwandt mit lēgare, zu etwas verbinden) bezeichnet
+bekanntlich ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines
+Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil
+einfach annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der
+Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent der
+Koenig, der Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung des letzteren ist
+also auch sprachlich praegnant bezeichnet.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Aber neben dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der
+aeltesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln
+bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben beide und
+innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies ist der Rat der Alten
+oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe hervorgegangen aus der
+Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, dass in dem urspruenglichen Rom
+die saemtlichen Hausvaeter den Senat gebildet haetten, ist staatsrechtlich
+insofern richtig, als jedes der nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter
+des spaeteren Rom seinen Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der
+aeltesten Stadt als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies
+wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat,
+wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst
+jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, sei es
+durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es durch Erbfolge
+bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat nichts
+gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom
+Koenig wie von der Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der
+letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten
+gewissermassen eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings
+ist jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem
+latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der erste und
+vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu
+entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, moeglicherweise in Latium
+lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie wir das roemische Geschlecht
+kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt und zur Vertretung des
+gemeinsamen Patriarchen, von dem alle Geschlechtsmaenner abstammen oder
+abzustammen behaupten, von den lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner
+vorzugsweise berufen, so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem
+Geschlecht ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht
+werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates
+der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige
+Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung des
+Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein blosser Staatsrat, als die
+Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, deren Ratschlaege der Koenig
+einzuholen zweckmaessig findet, beruht lediglich darauf, dass er einst eine
+Versammlung gewesen war gleich jener, die Homer schildert, der um den Koenig im
+Kreise herum zu Rate sitzenden Fuersten und Herren des Volkes. Solange der
+Senat durch die Gesamtheit der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl
+der Mitglieder eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch
+nicht war; aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die
+Zahl der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht
+auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert festgestellt
+worden, sodass von der Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der
+Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die
+staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren
+zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in spaeterer Zeit dies
+lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich als von Rechts wegen eintrat und
+die von Zeit zu Zeit stattfindenden Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit
+darboten, den unwuerdigen oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen,
+so hat diese Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt.
+Die Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht mehr
+gab, bei dem Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in aelterer Zeit,
+solange noch die Individualitaet der Geschlechter im Volke lebendig war, als
+Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig einen anderen erfahrenen und
+bejahrten Mann derselben Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen
+haben. Vermutlich ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren
+Einigung der Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der
+Ratsherren ganz in das freie Ermessen des Koenigs uebergegangen, so dass nur
+das noch als Missbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess.
+</p>
+
+<p>
+Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass die
+Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von Rechts wegen
+den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn sie auch, nach der schon in
+dem Hause so scharf sich auspraegenden monarchischen Grundanschauung der
+Roemer, zur Zeit immer nur von einem dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig,
+ausgeuebt werden kann. Ein jedes Mitglied des Senats ist also als solches,
+nicht der Ausuebung, aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde;
+weshalb auch seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben
+gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur dass der des
+Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. Hierauf beruht es
+ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die koenigliche Gewalt in der
+roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt werden kann. Stirbt der Koenig,
+so treten ohne weiteres die Aeltesten an seine Stelle und ueben die Befugnisse
+der koeniglichen Gewalt. Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur
+einer zur Zeit Herr sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen
+und es unterscheidet sich ein solcher &ldquo;Zwischenkoenig&rdquo; (interrex)
+von dem auf Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle
+der Gewalt. Die Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber
+festgesetzt auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den
+Senatoren in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt
+ist, der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los
+festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage uebergibt.
+Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von der Gemeinde nicht
+geleistet. Im uebrigen aber ist der Zwischenkoenig berechtigt und verpflichtet,
+nicht bloss alle dem Koenig sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen,
+sondern selbst einen Koenig auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten
+von ihnen fehlt ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser
+angesehen wird als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger
+ernannt ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin
+der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des roemischen
+Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft gegeben fuer die ununterbrochene Dauer
+desselben und seiner monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung.
+Wenn also dieser Senat spaeter den Griechen eine Versammlung von Koenigen zu
+sein duenkte, so ist das nur in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat
+eine solche gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser
+Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches Glied der
+roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten sich nicht in die
+Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine Stellvertreter freilich hat
+dieser, falls er nicht imstande war, selbst das Heer zu fuehren oder den
+Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von jeher aus dem Senat genommen - weshalb
+auch spaeter noch die hoechsten Befehlshaberstellen regelmaessig nur an
+Senatoren vergeben und ebenso als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet
+werden. Aber weder bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der
+Senat in seiner Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem
+spaeteren Rom nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des
+Senats gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer
+der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der Buergerschaft.
+Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von dieser gefassten
+Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die bestehenden Rechte zu verletzen
+schien, demselben die Bestaetigung zu versagen; oder, was dasselbe ist, in
+allen Faellen, wo verfassungsmaessig ein Gemeindebeschluss erforderlich war,
+also bei jeder Verfassungsaenderung, bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der
+Erklaerung eines Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings
+darf man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der
+Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den beiden
+Haeusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl
+Gesetzgeber als Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur dann kassieren,
+wenn die Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also bestehende
+Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige Staaten oder auch
+organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren Beschluss verletzt zu haben
+schien. Immer aber bleibt es vom groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn
+der roemische Koenig die Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft
+dieselbe zum Beschluss erhoben hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige
+Gemeinde zu erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden
+war, der roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit
+den Worten schloss: &ldquo;darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim,
+wie wir zu unsrem Rechte kommen&rdquo;; erst wenn der Rat der Alten sich
+einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft beschlossene,
+vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss war es weder die Absicht
+noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges Eingreifen des Senats in die
+Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen und durch solche Bevormundung die
+Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt zu entkleiden; aber wie im Fall der
+Vakanz des hoechsten Amtes der Senat die Dauer der Gemeindeverfassung
+verbuergte, finden wir auch hier ihn als den Hort der gesetzlichen Ordnung
+gegenueber selbst der hoechsten Gewalt, der Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch die allem Anschein nach uralte
+Uebung an, dass der Koenig die an die Volksgemeinde zu bringenden Antraege
+vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen saemtliche Mitglieder eines nach
+dem anderen darueber ihr Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht
+zustand, den gefassten Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich
+vorher die Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu
+befuerchten sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich
+brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Maenner
+Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung nach
+dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur Seite zu stehen.
+Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der bisher bezeichneten
+Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des Senats hervorgegangen; die Anfaenge
+indes sind unscheinbar und gehen eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren,
+dann zu antworten, wenn sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei
+Angelegenheiten von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche
+waren, also zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu
+bringender Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der
+Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das eroberte
+Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, rechtlich notwendig
+war eine solche vorherige Befragung nicht. Der Koenig beruft den Rat, wenn es
+ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; ungefragt darf kein Ratsherr seine
+Meinung sagen, noch weniger der Rat sich ungeladen versammeln, abgesehen von
+dem einen Fall, wo er in der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der
+Zwischenkoenige festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den
+Senatoren und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens zu
+berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der Ratschlag
+sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu folgen, ohne
+dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht praktische Geltung
+zu schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs allgemein anwendbare
+Kassationsrecht. &ldquo;Ich habe euch gewaehlt, nicht dass ihr mich leitet,
+sondern um euch zu gebieten&rdquo;: diese Worte, die ein spaeterer
+Schriftsteller dem Koenig Romulus in den Mund legt, bezeichnen nach dieser
+Seite hin die Stellung des Senats gewiss im wesentlichen richtig.
+</p>
+
+<p>
+Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische Buergergemeinde, an
+welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber allein zu handeln war sie
+nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von der bestehenden Ordnung abgegangen
+werden sollte. Neben ihr stand die Versammlung der lebenslaenglich bestellten
+Gemeindeaeltesten, gleichsam ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt,
+berufen im Fall der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven
+Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den
+rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche Gewalt
+selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch die Gesetze
+gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des Koenigs Gebot,
+gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden musste, gebunden,
+insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht von dem wahren Souveraen,
+dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen
+erzeugte. Also war die aelteste roemische Verfassung gewissermassen die
+umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie in dieser der Koenig als Inhaber und
+Traeger der Machtfuelle des Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte
+lediglich von ihm ausgehen, den Vertretern des Volkes aber und den ihnen
+verantwortlichen Beamten die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische
+Volksgemeinde ungefaehr, was in England der Koenig ist und das
+Begnadigungsrecht, wie in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein
+Reservatrecht der Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei dem Vorsteher der
+Gemeinde stand.
+</p>
+
+<p>
+Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu dessen einzelnen
+Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich weit entfernt von der
+Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der modernen Idee einer
+unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte wohl ueber die Person des
+Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten und Bestrafung der Vergehen und
+Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das einen einzelnen Mann wegen nicht
+allgemein verpoenter Handlungen mit Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst
+wenn in den Formen nicht gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und
+Unrecht erschienen. Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich
+der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der
+Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen Polizeistaat, das
+Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen Kosten gross gemacht. Es
+ist einer der unleugbarsten wie einer der merkwuerdigsten Saetze der aeltesten
+roemischen Verfassung, dass der Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten,
+aber nicht ihm seinen Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit
+bleibender Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst
+die Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke
+bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre praktische
+Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der gewiss befugt und
+verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht zuwiderlaufenden
+Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so
+wie die roemische allmaechtig; aber in keiner Gemeinde auch lebte der
+unstraeflich sich fuehrende Buerger in gleich unbedingter Rechtssicherheit
+gegenueber seinen Mitbuergern wie gegenueber dem Staat selbst.
+</p>
+
+<p>
+So regierte sich die roemische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen
+verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in
+unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Auspraegung
+der eigenen Nationalitaet, waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt
+werden - dem Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore
+weit aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern
+erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht sich, dass sie auf der
+aelteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen Verfassung beruht;
+aber es liegt doch eine unuebersehbar lange Kette staatlicher
+Entwicklungsphasen zwischen den Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder
+Tacitus&rsquo; Bericht ueber Deutschland sie schildern, und der aeltesten
+Ordnung der roemischen Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem
+Schildschlagen des deutschen Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der
+souveraenen Gewalt der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten
+Kompetenz und der geregelten Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es
+mag ferner sein, dass, wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den
+Elfenbeinstab sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt hat, so auch
+die zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr vom Ausland
+heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die Entwicklung des
+roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium gehoert, und wie wenig
+und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, beweist die durchgaengige
+Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern latinischer Praegung.
+</p>
+
+<p>
+Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des roemischen Staats fuer alle
+Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn trotz der wandelnden Formen steht es
+fest, solange es eine roemische Gemeinde gibt, dass der Beamte unbedingt
+befiehlt, dass der Rat der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist und dass
+jede Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst
+der Volksgemeinde.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap06"></a>KAPITEL VI.<br/>
+Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung</h2>
+
+<p>
+Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein
+grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir Kunde haben, ist ein
+dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung des Roemerrums endigen die
+aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem aeltesten Verschmelzungsprozess
+der Ramner, Titier und Lucerer, von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt
+ist, ist der frueheste derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die
+Huegelbuergerschaft aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden
+Gemeinden wird, als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen
+gleichartig und die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht
+werden duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der
+Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der
+uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der
+Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg ein. Die
+roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei Wolfsgilden und wie
+einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen Marspriester, von denen sich
+spaeterhin der palatinische den Priester des Mars, der collinische den des
+Quirinus zu nennen pflegte. Es ist glaublich, wenngleich nicht mehr
+nachzuweisen, dass die gesamten altlatinischen Priesterschaften Roms, der
+Augurn, Pontifices, Vestalen, Fetialen in gleichartiger Weise aus den
+kombinierten Priesterkollegien der beiden Gemeinden vom Palatin und vom
+Quirinal hervorgegangen sind. Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den
+drei Quartieren der palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die
+Huegelstadt auf dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem
+urspruenglichen Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung
+wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit gewissermassen
+politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in Beziehung auf die
+Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren Annexionsprozesse wieder
+vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel die roemische Gemeinde in die
+bisherigen drei Teile zu je zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen
+sie nun ihrerseits mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die
+bestehenden Teile und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist
+dies in der Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der
+Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit den
+Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan jene Teile
+doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die Ramner und die
+Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, posteriores). Eben damit
+haengt wahrscheinlich die in den organischen Institutionen der Gemeinde
+ueberall hervortretende paarweise Anordnung zusammen. So werden die drei Paare
+der heiligen Jungfrauen ausdruecklich als die Vertreterinnen der drei Teile
+erster und zweiter Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte
+Larenpaar ist vermutlich aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese
+Anordnung im Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der
+dreiteiligen Gemeinde hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische
+Buergerreiterei auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer
+wahrscheinlich auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des
+Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen Gebrauch,
+dass die Legionen regelmaessig je zwei und zwei einberufen wurden, hierauf
+zurueckfuehren duerfen, und wahrscheinlich ruehrt von dieser Verdoppelung des
+Aufgebotes ebenfalls her, dass nicht, wie wohl urspruenglich, drei, sondern
+sechs Abteilungsfuehrer die Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung
+der Senatsstellen hat entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl
+von dreihundert Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die
+normale geblieben; womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der
+angesehensten Maenner der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der
+palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den
+Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig vor, und von
+seinen hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt
+dasselbe. Man sieht, dass die sakralen Institutionen der Huegelstadt
+fortbestanden und in militaerischer Hinsicht man nicht unterliess, der
+verdoppelten Buergerschaft die doppelte Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber
+die Einordnung der quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre
+Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben,
+dass der Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen
+Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten Titiern,
+Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der Quirinalstadt die
+&ldquo;zweiten&rdquo; oder die &ldquo;minderen&rdquo; gewesen. Indes war der
+Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den
+Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen
+Ratsherren vor denen der &ldquo;minderen&rdquo; gefragt. In gleicher Weise
+steht das collinische Quartier im Range zurueck selbst hinter dem
+vorstaedtischen der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars
+hinter dem des palatinischen, die quirinalischen Springer und Woelfe hinter
+denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synoekismus, durch den die
+palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine Mittelstufe
+zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner und Lucerer miteinander
+verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen Teil zwar durfte die zutretende
+Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber noch wenigstens einen
+Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen liess man nicht bloss
+bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba,
+geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was
+spaeterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam.
+</p>
+
+<p>
+Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen war mehr
+eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung der bestehenden
+Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozess, der weit allmaehlicher
+durchgefuehrt ward und weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten
+Anfaenge gleichfalls bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die Verschmelzung
+der Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der roemischen
+Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die &ldquo;Hoerigen&rdquo;
+(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen
+Buergerhaeuser, oder die &ldquo;Menge&rdquo; (plebes, von pleo, plenus), wie
+sie negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. Die
+Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt
+ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde musste
+diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich und rechtlich zu
+groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde selbst wie Knechte,
+so auch halbfreie Hoerige besitzen; besonders mochte nach Ueberwindung einer
+Stadt und Aufloesung ihres Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde
+zweckmaessig erscheinen, die Masse der Buergerschaft nicht foermlich als
+Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu
+gestatten, so dass sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den
+Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten. Zweitens
+aber war durch die Gemeinde und deren Macht ueber die einzelnen Buerger die
+Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen missbraeuchliche Handhabung des
+rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu schuetzen. Bereits in unvordenklich
+frueher Zeit ist in das roemische Landrecht der Grundsatz eingefuehrt worden,
+von dem die gesamte Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen
+hat: dass, wenn der Herr bei Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts -
+Testament, Prozess, Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder
+stillschweigend aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger
+diesen Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner
+Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen koennen.
+Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder Buerger- noch
+Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung von seiten der
+Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes in einer mit der
+roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was ihnen zuteil ward, war ein
+gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder Unfreiheit;
+und darum scheinen laengere Zeit hindurch ihre vermoegensrechtlichen
+Beziehungen gleich denen der Sklaven als Rechtsverhaeltnisse des Patrons
+gegolten und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn
+auch zusammenhaengen wird, dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen
+einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber
+allmaehlich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in
+eigenem Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung
+ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen und zu
+erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Buergern zwar
+weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehoerigen,
+eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl gewehrt
+werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden
+Rechtsverhaeltnisse der eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und
+des Geschlechts, der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der
+buergerrechtlichen zu gestalten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Teilweise zu aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, insofern
+auf Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen und dort
+eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit uralter Zeit
+die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben. Das roemische Recht weiss
+weder von Erbgutsqualitaet noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und
+gestattet einesteils jedem dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten
+vollkommen unbeschraenkte Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel
+wir wissen, jedem, der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern befugt
+war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte Recht bewegliches
+und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen konnten, in
+gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist eben Rom
+eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang ihrer Bedeutung dem
+internationalen Verkehr verdankte, so auch das Niederlassungsrecht mit
+grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde ungleicher Ehe, jedem freigelassenen
+Knecht, jedem nach Rom unter Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden
+Fremden gewaehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die
+Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die
+Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in Rom bald
+schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis mit dem
+faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen des Verkehrs, die
+durch das latinische Buendnis allen Latinern gewaehrleistete volle
+privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss selbst der Erwerbung von
+Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende Haeufigkeit der Freilassungen
+mussten schon im Frieden die Zahl der Insassen unverhaeltnismaessig vermehren.
+Es kam dazu der groessere Teil der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen
+und Rom inkorporierten Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom
+uebersiedeln oder in seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben,
+in der Regel wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht
+vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern und
+lichtete bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die
+Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute dafuer zu
+bezahlen.
+</p>
+
+<p>
+Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, dass das roemische
+Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat der Fall
+war. Dass er noch laengere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der
+Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an
+einzelne ansehnliche auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer
+Heimat oder nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht
+empfingen - denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und
+immer seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise
+stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der Zivilehe,
+wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne Konfarreation
+zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht erwarb, so gut wie
+das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die
+schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiss nicht
+urspruengliche Zivilehe eben eingefuehrt ward, um das Zusammenschwinden des
+Patriziats zu hemmen ^2. Auch die Massregeln, durch welche bereits in aeltester
+Zeit auf die Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen
+Haeusern hingewirkt ward, gehoeren in diesen Zusammenhang.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass
+dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das hohe Alter der
+Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die religioese Ehe die
+eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von der religioesen Ehe
+hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, dass die religioese Ehe
+selbst als eigentuemliche und rechtlich notwendige Erwerbsform der Frau galt,
+wogegen zu der Zivilehe eine der anderweitigen allgemeinen Formen des
+Eigentumserwerbs, Uebergabe von seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung,
+hinzutreten musste, um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in bestaendigem
+und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, waehrend die der Buerger
+sich im besten Fall nicht vermindern mochte; und infolgedessen erhielten die
+Insassen unmerklich eine andere und freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren
+nicht mehr bloss entlassene Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten
+dazu die ehemaligen Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen
+Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst
+des Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom
+lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in der
+neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder und
+Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen
+Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht, der
+eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies schon nicht
+mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und die Beziehungen zu
+dem Patron traten damit von selbst immer mehr zurueck. War in aelterer Zeit der
+Klient ausschliesslich fuer den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des
+Patrons, so musste, je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die
+Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch
+ohne Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge und
+Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der Nichtbuerger,
+namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen Gemeinden, standen
+ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich von Haus aus nicht in der
+Klientel der koeniglichen und der sonstigen grossen Geschlechter und gehorchten
+dem Koenig ungefaehr in gleicher Art wie die Buerger. Dem Koenig, dessen
+Herrschaft ueber die Buerger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der
+Gehorchenden, musste es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm
+abhaengigen Schutzleuten sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu
+bilden.
+</p>
+
+<p>
+So erwuchs neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den
+Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch;
+rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, dem
+Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr bedeutender, indem
+jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem der politisch berechtigten
+Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie
+das Gefuehl der besonderen Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der
+politischen Zuruecksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die ueber
+allen gleichmaessig waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen
+des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde.
+</p>
+
+<p>
+Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes
+schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz vorzuzeichnen
+schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen traegt vom Koenig Servius
+Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel,
+wie alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was wir wissen, nicht durch
+historische Ueberlieferung, sondern nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren
+Institutionen wissen; aber ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie
+gefordert haben koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte
+gab. Sie muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige ihren
+Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf Befreiung von
+der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der Nichtbuerger teils zu der
+Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, dem Staat im Notfall
+vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, teils zu dem Aufgebot.
+Beides wird in der Servianischen Verfassung zusammengefasst, ist aber
+schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen ist die Heranziehung der
+Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen Lasten: es wurden diese frueh
+auch auf die &ldquo;Begueterten&rdquo; (locupletes) oder die &ldquo;stetigen
+Leute&rdquo; (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich Vermoegenslosen, die
+&ldquo;Kinderzeuger&rdquo; (proletarii, capite censi) blieben davon frei.
+Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der Nichtbuerger zu der
+Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die Buergerschaft als solche, gelegt
+auf die Grundbesitzer, die tribules, mochten sie Buerger oder bloss Insassen
+sein; die Heeresfolge wurde aus einer persoenlichen zu einer Reallast. Im
+einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige
+Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der
+Hauskinder ansaessiger Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der
+entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt
+war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war der Erwerb
+roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst herangezogen, sofern sie,
+was ohne Zweifel bei den meisten derselben der Fall war, auf roemischem Gebiet
+ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der Groesse der Grundstuecke wurde die
+kriegstuechtige Mannschaft eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die
+Vollhufener, welche in vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und insofern
+vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von den vier folgenden
+Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Haelften,
+Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung der
+Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und sie also
+unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der damaligen Verteilung
+des Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen Vollhufen, waehrend die
+Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufener reichlich
+ein Achtel der Ansaessigen ausmachten; weshalb festgesetzt ward, dass fuer das
+Fussvolk auf achtzig Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und
+achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden sollten. Aehnlich verfuhr
+man bei der Reiterei: die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht,
+und nur darin wich man hier ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen
+mit den alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern
+blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern
+gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, dass man
+damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und nach der Heimkehr
+entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus militaerischen Ruecksichten
+auch im Frieden zusammengehalten wurden und regelmaessige Uebungen hielten, die
+als Festlichkeiten der roemischen Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit
+fortbestanden ^3. So liess man denn auch bei dieser Reform den einmal
+bestehenden Schwadronen ihre hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem
+Buerger zugaenglich zu machen, wurden die unverheirateten Frauen und die
+unmuendigen Waisen, soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des
+eigenen Dienstes einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei -
+zu stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein Reiter;
+doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Aus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt
+der Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft aber statt
+der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die nicht ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen
+stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen sowie eine
+Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer zogen und, wenn im
+Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen
+ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden.
+</p>
+
+<p>
+Zum Behuf der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier
+&ldquo;Teile&rdquo; (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer
+lokalen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches
+Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die Strasse dieses
+Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den esquilinischen; und den
+collinischen, den der Quirinal und Viminal, die &ldquo;Huegel&rdquo; im
+Gegensatz der &ldquo;Berge&rdquo; des Kapitol und Palatin, bildeten. Von der
+Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen und gezeigt, in
+welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und quirinalischen
+Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es herbeigefuehrt worden ist,
+dass jeder ansaessige Buerger einem dieser Stadtteile angehoerte, laesst sich
+nicht sagen; aber es war dies der Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr
+gleiche Mannzahl hatten, ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei
+der Aushebung. Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden
+allein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen
+Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung zugekommen;
+denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der raetselhaften
+Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig zu sakralen Bezirken,
+als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder ein Larenaltar errichtet ward.
+</p>
+
+<p>
+Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annaehernd den vierten Teil wie der
+ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen,
+sodass jede Legion und jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk
+zaehlte, um alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und
+gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den maechtigen
+Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger zu einem Volke zu
+verschmelzen.
+</p>
+
+<p>
+Militaerisch wurde die waffenfaehige Mannschaft geschieden in ein erstes und
+zweites Aufgebot, von denen jene, die &ldquo;Juengeren&rdquo;, vom laufenden
+achtzehnten bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum
+Felddienst verwandt wurden, waehrend die &ldquo;Aelteren&rdquo; die Mauern
+daheim schirmten. Die militaerische Einheit ward in der Infanterie die jetzt
+verdoppelte Legion, eine vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und
+geruestete Phalanx von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von
+tausend Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400
+&ldquo;Ungeruestete&rdquo; (velites, s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten
+Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die vollgeruesteten Hopliten der
+Vollhufener, im fuenften und sechsten standen die minder geruesteten Bauern der
+zweiten und dritten Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu
+der Phalanx hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte
+Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind, war
+gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, davon 6000
+Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden Abteilungen, ferner
+2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der fuenften Abteilung; ungefaehr
+stellte jeder Aushebungsbezirk zu der Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann.
+Diese Phalanx war das zum Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche
+Truppenmacht auf die fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren
+gerechnet wurde; wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann
+kam, 80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten
+Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die der
+Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, welche aus 1800
+Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft nur der dritte Teil der
+Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des roemischen Heeres ersten und
+zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an 20000 Mann; welche Zahl dem
+Effektivbestand der roemischen Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der
+Einfuehrung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen
+haben wird. Bei steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien
+vermehrt, sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen
+Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die
+roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig durch
+Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke umgingen.
+</p>
+
+<p>
+Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfaeltigere
+Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde entweder
+jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, dass ein Erdbuch angelegt
+werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre Aecker mit dem Zubehoer, den
+Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen
+sollten. Jede Veraeusserung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah,
+wurde fuer nichtig erklaert und eine Revision des Grundbesitzregisters, das
+zugleich Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind
+aus der servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus
+hervorgegangen.
+</p>
+
+<p>
+Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militaerischer Natur.
+In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch nicht ein einziger Zug, der
+auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung der Zenturien hinwiese;
+und dies allein muss fuer jeden, der in solchen Dingen zu denken gewohnt ist,
+genuegen, um ihre Verwendung zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu
+erklaeren. Wenn, wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr
+ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies keinen
+Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und neben den
+Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch die
+Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit der
+Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und insofern nichts
+verkehrter ist, als die Servianische Ordnung fuer die Einfuehrung der
+Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise die neue
+Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische Stellung
+wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch Offizier werden koennen,
+solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Plebejer
+zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden. Wenn ferner auch der
+bisherigen in den Kurien vertretenen Buergerschaft durch die
+Zenturieninstitution der Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmaelert
+werden sollte, so mussten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die
+bisherige Buergerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als
+Buergeraufgebot geuebt hatte, uebergehen auf die neuen Buerger- und
+Insassenzenturien. Die Zenturien also sind es fortan, die der Koenig vor dem
+Beginn eines Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist
+wichtig der spaeteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer
+Beteiligung der Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen;
+allein zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr
+folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden waere, und nach wie
+vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die eigentliche
+Buergergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem Koenig verpflichtete. Neben
+diesen neuen grundsaessigen Vollbuergern standen die angesessenen Auslaender
+aus dem verbuendeten Latium als teilnehmend an den oeffentlichen Lasten, der
+Steuer und den Fronden (daher municipes); waehrend die ausser den Tribus
+stehenden, nicht ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger
+nur als steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen.
+</p>
+
+<p>
+Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und
+Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen
+Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht
+beherrscht haben.
+</p>
+
+<p>
+Wann und wie diese neue militaerische Organisation der roemischen Gemeinde ins
+Leben trat, darueber sind nur Vermutungen moeglich. Sie setzt die vier
+Quartiere voraus, das heisst, die Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor
+die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine
+urspruengliche Grenze betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle
+ebensoviel Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den
+Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht
+moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir als Minimum 10000
+Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 deutschen Quadratmeilen
+Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, Haeuserraum und nicht
+kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz bringt, das Gebiet zu der Zeit,
+wo diese Reform durchgefuehrt ward, mindestens eine Ausdehnung von 20
+Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben
+muss. Folgt man der Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000
+ansaessigen und waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei
+dem ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, zeigt
+ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert, sondern
+vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des Normalstandes der
+Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie zu fuenf Koepfen
+ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu ergeben schienen und
+diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt ward. Aber auch nach jenen
+maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer
+Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen und mindestens der dreifachen
+Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grundsaessigen Leuten und Knechten
+notwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio
+gewonnen, sondern auch die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische
+Verfassung festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das
+Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl nach
+urspruenglich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^4 Schon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5;
+Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur.
+Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu
+berichtigen ist) den Empfaengern klein.
+</p>
+
+<p>
+Die Vergleichung der deutschen Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und
+Morgen, beide urspruenglich mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen
+werden als urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30,
+nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette haeufig,
+wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei
+Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des roemischen Heredium
+von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe von 20 Morgen den
+Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, dass die
+Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische
+Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den
+Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der Verfassung
+des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie entstanden ist
+unter griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen truegen, wie zum
+Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, dass auch in Korinth die
+Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung
+der Ruestung wie der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist
+sicher kein zufaelliges Zusammentreffen. Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten
+Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen
+Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das
+Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden wir hierin den
+Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform hervorrief, eine im
+wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng
+monarchische Form des roemischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte
+Verfassungsaenderung.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Auch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der
+Behandlung der attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat
+eben wie Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und dann
+auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger hier ein
+unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es
+sich, wie dieselben Ursachen - staedtische Zentralisierung und staedtische
+Entwicklung - ueberall und notwendig die gleichen Folgen herbeifuehren.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap07"></a>KAPITEL VII.<br/>
+Roms Hegemonie in Latium</h2>
+
+<p>
+An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und
+leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem
+Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde allmaehlich in
+den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein und politische Maechte
+angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen fruehesten Raufhaendeln
+und Beutezuegen, in denen der Charakter der Voelker sich bildet und sich
+aeusserst wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat
+kein italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns
+die geschichtliche Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der
+Machtverhaeltnisse der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder
+Genauigkeit zu erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht
+und seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten
+Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie
+waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem
+Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Kueste zu bis
+an die etwas ueber drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermuendung
+(Ostia). &ldquo;Groessere und kleinere Voelkerschaften&rdquo;, sagt Strabon in
+der Schilderung des aeltesten Rom, &ldquo;umschlossen die neue Stadt, von denen
+einige in unabhaengigen Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig
+waren&rdquo;. Auf Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die
+aeltesten Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden
+Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria,
+Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom und scheinen schon
+in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer ihre Selbstaendigkeit
+eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk
+spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch Buendnis mit Rom seine Freiheit
+rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brueckenkopf der Etrusker am linken
+Ufer des Tiber, kaempften Latiner und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter
+mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den
+Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in
+die spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem
+Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes ^1.
+Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9
+Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen Kaempfe
+ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte
+Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole
+Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und zerstoert. Wie der
+Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht ueberliefert; der
+Kampf der drei roemischen gegen die drei albanischen Drillingsbrueder ist
+nichts als eine personifizierte Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und
+eng verwandter Gaue, von denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war.
+Wir wissen eben nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und
+Zerstoerung Albas durch Rom ^2.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und
+Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche
+Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in der Tat
+stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und hoechst
+unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare auf diese beiden
+verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren Antiquaren fuer
+geschichtliche Urkunden gehalten.
+</p>
+
+<p>
+^2 Aber zu bezweifeln, dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom
+ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein
+Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung
+in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und
+Unmoeglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen
+historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe
+zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die
+Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass die latinische
+Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings
+untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer
+Familien in den roemischen Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die
+Roemer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei
+gegeben haben? Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in
+religioeser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba
+auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter,
+sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und gegruendet
+ward.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dass in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge
+festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht benachbarten
+Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher
+Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere verhaeltnismaessig ansehnliche
+Macht begruendet haben moegen, laesst sich vollends nur vermuten.
+</p>
+
+<p>
+Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte ueber den
+rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser aeltesten latinischen
+Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, dass sie nach demselben
+Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige roemische
+Gemeinde hervorgegangen war; nur dass die durch die Waffen zum Eintritt
+gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen
+vereinigten Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern
+voellig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des
+latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen politischen
+Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er
+selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die Griechen es taten und
+damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und kuenftige Rivalen der
+Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in dieser Hinsicht ist die
+Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an
+dieser Stelle konnte und wollte man nicht hindern, gestattete aber dem Orte
+keine politische Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein
+Ortsbuerger-, sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, das
+allgemeine roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch
+das Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch durch
+freiwillige Unterwerfung einem staerkeren untertaenig wurden. Die Festung des
+Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der Ueberwinder geschlagen, den
+Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in dem Hauptort des siegenden Gaues eine
+neue Heimat gegruendet. Eine foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die
+neue Hauptstadt, wie sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird
+man hierunter freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums
+konnten in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der
+Bauern; im ganzen genuegte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den
+neuen Hauptort. Dass selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, laesst sich
+an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen Staedten noch nach der
+Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz geblieben sein muss. Selbst wo
+die Festigkeit des geschleiften Ortes eine wirkliche Verpflanzung der Insassen
+erforderlich machte, wird man mit Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben
+haeufig in offenen Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht
+selten auch die ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in
+ihrem neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen
+Erzaehlungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen Staatsrechts,
+dass nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das
+Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde den ueberwundenen,
+uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das Schutzverwandtenrecht aufgezwungen
+^4; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem Buergerrecht, das
+heisst dem Patriziat, beschenkt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem
+Fall ihrer Heimat in die roemische Buergerschaft eingereihten albischen
+Geschlechter, darunter die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier,
+Curiatier, Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen
+Familienheiligtuemer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in
+Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Hieraus entwickelte sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder
+Buergerkolonie (colonia civium Romanorum), das heisst einer faktisch
+gesonderten, aber rechtlich unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in
+der Hauptstadt aufgeht wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und
+als stehende Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist.
+</p>
+
+<p>
+^4 Darauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i
+mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen
+Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die
+latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche
+Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das Zwoelftafelgesetz
+ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini
+prisci cives Romani, das heisst die von den Roemern in das Plebejat genoetigten
+Gemeinden Latiums.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war
+natuerlich nichts weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die
+Entwicklung Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze
+der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern es
+gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe
+Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika
+Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem
+bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer
+Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen
+Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und gluecklicher festhielt als
+irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in
+Hellas die Folge seiner fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine
+Groesse lediglich demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System
+zu danken.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige,
+unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden duerfen, so
+kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht
+bloss die problematische Groesse und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die
+Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben.
+Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die
+Vorstandschaft unter den dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas
+hob natuerlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die
+boeotische Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen
+Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als
+Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und
+welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten,
+vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die roemische Hegemonie
+ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne
+Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr
+entzogen haben moegen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft,
+als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft
+gegenueberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten
+gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die
+unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der
+materielle Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt,
+groesser war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte
+Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, dass Rom
+nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische Gemeinde ward,
+sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die
+Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der kuenftigen
+Hegemonie der roemischen Gemeinde ueber die gesamte latinische
+Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhaeltnisse so
+bestimmt wie moeglich zu bezeichnen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Es scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae
+gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Staedte
+eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der
+Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie
+Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Form der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines gleichen
+Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen
+Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark
+und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die Verteidigung festgestellt
+ward. &ldquo;Friede soll sein zwischen den Roemern und allen Gemeinden der
+Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg fuehren
+untereinander noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten;
+dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und
+gleichmaessig verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen
+Krieg.&rdquo; Die verbriefte Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im
+Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die
+gleiche Sprache und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen
+Beziehungen des Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht
+wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb
+jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war
+das latinische Recht mit dem roemischen nicht notwendig identisch, und wir
+finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit der Verloebnisse, die in Rom frueh
+abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die
+einfache und rein volkstuemliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das
+Bestreben, die Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch
+dahin, dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz
+Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen
+ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Buergers.
+Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein
+Buerger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb
+dessen das Buergerrecht einbuessen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was
+dasselbe war, das Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus
+dem Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz
+erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten
+sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft.
+Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln aufgenommene Bestimmung, dass
+der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn der Glaeubiger ihn verkaufen wolle,
+verkauft werden muesse jenseits der Tibergrenze, das heisst ausserhalb des
+Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago,
+dass der von den Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle,
+so wie er einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft
+innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen
+zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon frueher bemerkt worden
+ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunaechst jeder Latiner
+nur da ausueben, wo er eingebuergert war; dagegen lag es im Wesen der
+privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich
+niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den
+besonderen Buergerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines
+eidgenoessisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als
+Buerger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle
+Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die
+allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen Erwerb, staedtische
+Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der Insassen in Rom sich reissend
+schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom
+lebte, ist begreiflich.
+</p>
+
+<p>
+In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde
+selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen,
+sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden als
+solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass Albas Stellung
+zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als die Roms, und dass
+die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt haetten, so ist dies
+insofern wohl moeglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus
+mehr als Sonderstaat dem Bunde gegenueber als innerhalb desselben stand; aber
+es mag, eben wie die Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die
+deutschen Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas
+Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms
+Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen
+sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt zu haben,
+waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter Leitung, wie es
+scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten Vorsitzenden, ihre Beratungen
+abhalten liess und sich begnuegte mit der Ehrenvorstandschaft bei dem
+Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit der Errichtung eines zweiten
+Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem Aventin, so dass von nun an
+teils auf roemischem Boden fuer Rom und Latium, teils auf latinischem fuer
+Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass
+die Roemer in dem Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner
+latinischen Gemeinde ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der
+die ohne Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der
+maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich
+die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die
+Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise des Aufgebots unwidersprechlich
+zeigt, gebildet aus zwei gleich starken Massen, einer roemischen und einer
+latinischen. Das Oberkommando stand ein fuer allemal bei den roemischen
+Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich
+einzufinden und begruesste hier den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als
+seinen Feldherrn, nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten
+Roemer sich aus der Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter
+mit der getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut
+gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die Bundesglieder
+verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die roemisch-latinische Foederation nur
+durch Rom vertreten worden ist, laesst sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der
+Bundesvertrag untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen
+Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluss, sei es infolge
+eines feindlichen Ueberfalls, ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der
+Fuehrung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat
+rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals schon
+die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und
+ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das Uebergewicht
+auf die Seite von jenem zu fallen pflegt.
+</p>
+
+<p>
+Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig
+bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der
+latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter
+ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunaechst
+den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht
+auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern gelang, diesen auf dem
+latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen
+etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus
+dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu verdraengen. Dagegen behaupten sie sich,
+wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der
+Tibermuendung. Den Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr
+ueberlegenen Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den
+entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit
+bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen Nachbarn von
+zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der bestaendige Kriegsschauplatz
+aber war die Suedgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker.
+Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am fruehesten
+erweitert, und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem
+feindlichen Lande begruendeten und als autonome Glieder der latinischen
+Eidgenossenschaft konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen
+Kolonien, von denen die aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen
+scheinen. Wie weit indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit
+sich erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den
+benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den roemischen
+Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede; aber kaum duerften
+wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme von Suessa in der
+pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern enthalten. Dass die Koenigszeit
+nicht bloss die staatlichen Grundlagen Roms gelegt, sondern auch nach aussen
+hin Roms Macht begruendet hat, laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der
+Stadt Rom mehr gegenueber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im
+Beginn der Republik entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon
+in der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin
+stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge hier
+verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit Roms, vor allem
+auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein fernes Abendrot, in dem die
+Umrisse verschwimmen.
+</p>
+
+<p>
+So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu einigen
+und zugleich sein Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom selbst
+aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus einer
+regsamen Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden
+Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung und die
+darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der
+Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser
+innerlichen Umwandlung des roemischen Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich
+musste mit den reicher stroemenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen,
+mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern.
+Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muss
+bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform
+stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und einheitlichen
+Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft nicht dabei beharren,
+die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander mit Gebaeuden sich gefuellt hatten,
+zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel
+und die Hoehe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von
+Latium verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man
+schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende
+Stadtwall begann am Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen Huegel, an
+dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den
+Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen, die kolossalen Ueberreste
+dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstuecke von der
+Hoehe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen
+Tuffbloecken unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer
+gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich dastehen
+und deren geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit fortwirken
+werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des
+Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder
+in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau, nach aussen von Peperinbloecken
+aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben geschuetzt, nach innen in einen
+maechtigen, gegen die Stadt zu abgeboeschten und noch heute imponierenden
+Erddamm auslaufend, den Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte,
+lief von da zum Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil
+des Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an
+den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum gehoerten
+nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Hoehe ein befestigtes
+Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser
+Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau ueberlassen und dagegen auf dem nach
+allen Seiten hin freistehenden und bei seinem maessigen Umfang leicht zu
+verteidigenden tarpeischen Huegel die neue &ldquo;Burg&rdquo; (arx, capitolium)
+^6 angelegt mit dem Burgbrunnen, dem sorgfaeltig gefassten
+&ldquo;Quellhaus&rdquo; (tullianum), der Schatzkammer (aerarium), dem
+Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der Buergerschaft (area
+Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die regelmaessigen Abkuendigungen
+der Mondzeiten stattgefunden haben. Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen
+in frueherer Zeit nicht auf dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum
+zwischen den beiden Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes
+(Ve-diovis) oder, wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl
+war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden
+aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das
+Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbstaendiges,
+auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges Kastell, dessen Tor
+wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen hat ^8. In aehnlicher Weise,
+wenn auch schwaecher, scheint der Aventin befestigt und der festen Ansiedelung
+entzogen worden zu sein. Es haengt damit zusammen, dass fuer eigentlich
+staedtische Zwecke, zum Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers,
+die roemische Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner
+(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen, aber doch
+nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani Aventinenses,
+Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9. Der von der neuen
+Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser der bisherigen palatinischen
+und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des
+Aventin, ferner das Ianiculum ^10; der Palatin als die eigentliche und aelteste
+Stadt ward von den uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war,
+wie im Kranz umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen.
+Aber das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem
+auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen war,
+welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd fuellte, sodass
+hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das Tal zwischen dem Kapitol und
+der Velia sowie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die heute noch
+stehenden, aus prachtvollen Quadern zusammengefuegten unterirdischen
+Abzugsgraeben, welche die Spaeteren als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom
+anstaunten, duerften eher der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei
+verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit
+erzaehlt wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die
+Koenigszeit, wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des
+Mauerrings und der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den entsumpften
+oder trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen, wie die neue
+Grossstadt sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der Gemeinde, bis dahin der
+kapitolinische Platz auf der Burg selbst, ward verlegt auf die Flaeche, die von
+der Burg gegen die Stadt sich senkte (comitium), und dehnte von dort zwischen
+dem Palatin und den Carinen in der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der
+der Burg zugekehrten Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines
+Altanes ueber die Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und
+die Gaeste der Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz;
+und auf dem Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das spaeter
+den Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den Richterstuhl
+(tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft gesprochen ward (die
+spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der Dingstaette selbst errichtet. Ihre
+Verlaengerung gegen die Velia ward der neue Markt (forum Romanum). Am Ende
+desselben, unter dem Palatin, erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung
+des Koenigs (regia) und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des
+Vestatempels, einschloss; nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward
+ein dazu gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde
+oder der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der Kirche Santi
+Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in ganz anderer Art, als
+die Ansiedelung der &ldquo;sieben Berge&rdquo; es gewesen war, geeinigte Stadt,
+dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit deren Vereinigung in einem
+Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt hatte, in dem Servianischen dieser
+allgemeine und einheitliche Stadtherd trat ^11. Laengs der beiden Langseiten
+des Marktes reihten sich die Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal
+zwischen Aventin und Palatin ward fuer die Rennspiele der &ldquo;Ring&rdquo;
+abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt
+angelegt und bald entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere.
+Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf dem
+Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg der weithin
+sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all diese Herrlichkeit
+gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die umliegenden Nationen, so mit
+ihnen ueber die unterworfenen Goetter der Besiegten triumphierte.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^6 Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von der
+nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze des
+Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen άκρα und
+κορυφή entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische Stadt ihr capitolium
+ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen Burghuegels ist mons Tarpeius.
+</p>
+
+<p>
+^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret,
+untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die
+Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker,
+Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386.
+</p>
+
+<p>
+^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die &ldquo;Heilige Strasse&rdquo;, auf
+die Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach links
+macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. Dieses selbst
+wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus stattfanden, untergegangen
+sein. Das sogenannte Tor an der steilsten Stelle des kapitolinischen Berges,
+das unter dem Namen des janualischen oder saturnischen oder auch des offenen
+vorkommt und in Kriegszeiten stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich
+nur religioese Bedeutung und ist nie ein wirkliches Tor gewesen.
+</p>
+
+<p>
+^9 Es kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5,
+2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5,
+50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller,
+Roemische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri
+(Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3.
+die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani
+pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiss nicht
+zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom
+vorkommen, eben den von den vier oertlichen Tribus aus-, aber von der
+Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Huegeln, dem Kapitol und dem
+Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehoerigen Ianiculum angehoeren; und
+damit steht weiter im Zusammenhang, dass als Bezeichnung der gesamten
+staedtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser
+der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die
+staedtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive
+si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen
+drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche
+Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher
+die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum
+und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal.
+</p>
+
+<p>
+^10 Die &ldquo;Siebenhuegelstadt&rdquo; im eigentlichen und religioesen Sinn
+ist und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das
+Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit (vgl. z. B.
+Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt betrachtet,
+wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig gefeierte Fest des
+Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu gelten; aber schwerlich ist
+man je darueber zu fester Einigung gelangt, welche von den durch den
+Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen zu den sieben zaehlen. Die uns
+gelaeufigen sieben Berge Palatinus, Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis,
+Quirinalis, Capitolinus zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind
+zusammengestellt aus der traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen
+Entstehung der Stadt (Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2.
+Berlin 1885, S. 206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil
+sonst acht herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge
+(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins des
+Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, Tarpeius,
+Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, offenbar als
+colles, fehlen und dafuer zwei &ldquo;montes&rdquo; vom rechten Tiberufer,
+darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer liegende Vaticanus mit
+hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen geben Servius (Aen. 6, 783),
+die Berner Scholien zu Vergils Georgiken (2, 535) und Lydus (mens. p. 118
+Bekker).
+</p>
+
+<p>
+^11 Sowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des
+Dionysios (2, 25), dass der Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag,
+bezeugen es, dass diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der
+zweiten (Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den
+Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist
+die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Namen der Maenner, auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten sich
+erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den
+aeltesten roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die
+verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus
+Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die grosse
+Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Aelteren, den
+Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben moegen
+richtig sein, und es scheint nicht zufaellig, dass der Bau des neuen Mauerrings
+mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der
+Stadtwaelle wesentliche Ruecksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach
+zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnuegen muessen, aus
+dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet, dass diese
+zweite Schoepfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der
+Umschaffung des Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar
+aus einem und demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber weder
+eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch in diese
+Umgestaltung des roemischen Gemeindewesens die hellenische Anregung maechtig
+eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es unmoeglich ist, die Art und
+den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, dass die
+Servianische Militaerverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und dass die
+Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird spaeter gezeigt
+werden. Auch das neue Koenigshaus mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein
+griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal
+von den Auguren eingeweihte Vestatempel in keinem Stueck nach italischem,
+sondern durchaus nach hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus
+nicht unglaublich, was die Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen
+Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster diente
+und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen
+Artemision nachgebildet ward.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap08"></a>KAPITEL VIII.<br/>
+Die umbrisch-sabellischen Stämme.<br/>
+Anfänge der Samniten</h2>
+
+<p>
+Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme
+begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch
+mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt.
+Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der
+Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt
+noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass
+sie in aeltester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die
+illyrischen Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den
+Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden
+zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den
+ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der
+umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten
+Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die
+zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name
+von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders
+begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen
+italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich Etruriens zwischen dem
+Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt
+Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine
+andere Sprache geredet als die etruskische, und neuerdings sind daselbst
+derartige Inschriften zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar
+auch mit dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem
+Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in
+denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere
+und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend
+spaeter als die Landschaft nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern
+entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische
+Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter nach der roemischen Eroberung im
+Vergleich mit dem zaehen Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im
+noerdlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende Latinisierung der
+suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass
+von Norden und Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt
+wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie
+spaeter innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich,
+wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre aehnlichen
+Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die Tusker den
+Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in den
+Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst
+anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwuenscht.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen (R),
+nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus dem
+primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen.
+Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa,
+das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo
+sentem …. dedet cuando … cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis)
+f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum.
+Zugleich mit diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften
+gefunden von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die
+Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie
+die Ebenen schon von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne
+Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und
+mit ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und
+Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir
+spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss
+von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen mit
+den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen Westkueste
+wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der
+von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem
+Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch
+minder dicht war; waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser
+Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner
+Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren
+zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und
+drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in
+zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so
+frueh und so schnell sich latinisieren konnten.
+</p>
+
+<p>
+Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina oestlich in
+die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich anschliessende
+Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste die bergigen Striche,
+deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern wich oder sich unterwarf, waehrend
+dagegen in dem ebenen apulischen Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung
+der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria
+und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden,
+laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in
+Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt von
+den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem Kriegsjahre
+geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren, preiszugeben und
+ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter sie nach ihrem Gefallen
+verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze bescheren moechten. Den einen Schwarm
+fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst
+sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus
+die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus
+besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone,
+hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten.
+Einen zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das
+Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf
+(hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In aehnlicher
+Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die uebrigen kleinen
+Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran Sasso, die
+Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze, die Paeligner am
+Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den Volskern und
+den Latinern sich beruehrend. In ihnen allen blieb das Gefuehl der
+Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in
+jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf
+erlagen und die westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen
+oder hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Staemme
+in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrueckt dem Anstoss
+der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Staedtisches Leben entwickelte bei
+ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre
+geographische Lage sie beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung
+genuegten die Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen
+blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem
+jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie bei
+den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation
+der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder lockere
+Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe
+Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone
+hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es
+kommt, dass diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in
+voelliger Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der
+Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen
+Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben.
+Dagegen ist das Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso
+entschieden der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen
+das latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an,
+umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation
+und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten Platz in Italien in
+ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir
+ebensowenig als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in
+Samnium keine einzelne Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer
+Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen,
+sondern dass die Kraft des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt
+in der aus ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die
+erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen,
+dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv
+ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im
+Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass
+die Erweiterung des Gebiets planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch die
+ganze Geschichte der beiden Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral
+auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der
+Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf
+Landraub ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben
+waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des
+Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode
+an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze
+sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes
+Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung veranlassten
+Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer,
+Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich,
+wenn man den allerdings sehr romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf,
+hier, wie das bei solchen Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die
+Gedraengten zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen
+Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten
+Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der
+ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen
+Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt abzuschlagen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap09"></a>KAPITEL IX.<br/>
+Die Etrusker</h2>
+
+<p>
+Im schaerfsten Gegensatz zu den latinischen und den sabellischen Italikern wie
+zu den Griechen steht das Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber nannten,
+der Rasen ^1. Schon der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; statt des
+schlanken Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der
+Etrusker nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir
+wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst gleichfalls auf
+eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen
+Staemmen schliessen, so namentlich die Religion, die bei den Tuskern einen
+trueben phantastischen Charakter traegt und im geheimnisvollen Zahlenspiel und
+wuesten und grausamen Anschauungen und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit
+entfernt von dem klaren Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren
+hellenischen Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das
+wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns gekommene
+Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer die Entzifferung
+darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass es bis jetzt nicht
+einmal gelungen ist, den Platz des Etruskischen in der Klassifizierung der
+Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu deuten.
+Deutlich unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der aelteren ist die
+Vokalisierung vollstaendig durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier
+Konsonanten fast ohne Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen
+konsonantischen Endungen und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward
+dies weiche und klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte und
+rauhe Sprache verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramθa aus ramuθaf,
+Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchsentre aus
+Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt
+am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den Etruskern schon in
+sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich wurde wie im Lateinischen und in den
+rauheren griechischen Dialekten der Akzent durchaus auf die Anfangssilbe
+zurueckgezogen. Aehnlich wurden die aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend
+die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die
+Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen θ φ χ beibehielten,
+liessen die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das φ gaenzlich, ausser in
+Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei in ungemeiner
+Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum Beispiel Thetis ihnen
+Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder Uthuze heisst. Von den wenigen
+Endungen und Woertern, deren Bedeutung ermittelt ist, entfernen die meisten
+sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle;
+so die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie
+zum Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi uebersetzt
+wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung des
+Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum Beispiel die Gattin
+eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem Kasus clensi Sohn;
+seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos
+Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen fremdartigen Formen und Lauten finden
+sich allerdings einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen und den italischen
+Sprachen. Die Eigennamen sind im wesentlichen nach dem allgemeinen italischen
+Schema gebildet: die haeufige gentilizische Endung enas oder ena ^4 kehrt
+wieder in der auch in italischen, besonders sabellischen Geschlechtsnamen
+haeufigen Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas und Spurinna
+den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe von
+Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern als
+etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung nach so
+durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich von Haus aus
+etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen sein muessen: so Usil
+(Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, aurora, sol), Minerva
+(menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. Indes da diese Analogien erst
+aus den spaeteren politischen und religioesen Beziehungen zwischen Etruskern
+und Latinern und den dadurch veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen
+herruehren koennen, so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die
+uebrigen Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den
+saemtlichen griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die
+Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern;
+&ldquo;tuskisch und gallisch&rdquo; sind Barbarensprachen, &ldquo;oskisch und
+volskisch&rdquo; Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem
+griechisch-italischen Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt ebensowenig
+gelungen, sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. Auf die
+Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die verschiedenartigsten
+Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen Frage, aber alle ohne
+Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem baskischen, an das den
+geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht werden koennte, haben
+entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt. Ebensowenig deuten die
+geringen Reste, die von der liturgischen Sprache in Orts- und Personennamen auf
+uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit den Tuskern. Nicht einmal die
+verschollene Nation, die auf den Inseln des tuskischen Meeres, namentlich auf
+Sardinien, jene raetselhaften Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu Tausenden
+aufgefuehrt hat, kann fueglich mit der etruskischen in Verbindung gebracht
+werden, da im etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude
+vorkommt. Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige
+Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen
+beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer Inschriften
+sicher εμί, ειμί und findet die Genetivform konsonantischer Staemme veneruf,
+rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, entsprechend der alten
+sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name des etruskischen Zeus Tina
+oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen wie Ζάν mit dem
+gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies zugegeben erscheint das etruskische
+Volk darum kaum weniger isoliert. &ldquo;Die Etrusker&rdquo;, sagt schon
+Dionysios, &ldquo;stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte&rdquo;; und
+weiter haben auch wir nichts zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Ras-ennae mit der 1, 131 erwaehnten gentilizischen Endung.
+</p>
+
+<p>
+^2 Dahin gehoeren z. B. Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice
+θumamimaθumaramlisiaeipurenaieθeeraisieepanamineθunastavhelefu oder: mi ramuθas
+kaiufinaia.
+</p>
+
+<p>
+^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff geben zum
+Beispiel der Anfang der grossen Perusiner Inschrift: eulat tanna larezu amevaχr
+lautn velθinase stlaafunas sleleθcaru.
+</p>
+
+<p>
+^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der Vokal in der
+vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge der Zurueckziehung
+des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt und sogar ausgestossen. So
+finden wir neben Porsēna, auch Porsĕna, neben Caecina Ceicne.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Ebensowenig laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien
+eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf
+jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche
+Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage eifriger
+verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der Archaeologen,
+vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar noch wissenswert ist,
+&ldquo;nach der Mutter der Hekabe&rdquo;, wie Kaiser Tiberius meinte. Da die
+aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief im Binnenlande liegen, ja
+unmittelbar am Meer keine einzige namhafte etruskische Stadt begegnet ausser
+Populonia, von dem wir aber eben sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf
+Staedten nicht gehoert hat; da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von
+Norden nach Sueden sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der
+Halbinsel gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie
+zuerst finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen
+wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die Voelker
+gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen Westkueste setzt ganz
+andere Bedingungen voraus. Danach muss die aeltere Heimat der Etrusker west-
+oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich,
+dass die Etrusker ueber die raetischen Alpen nach Italien gekommen sind, da die
+aeltesten in Graubuenden und Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in
+die historische Zeit etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen
+anklingt; sie koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po,
+aber wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener
+Teil des Volks sein.
+</p>
+
+<p>
+Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung aber tritt in grellen
+Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus Asien ausgewanderte Lyder
+seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot findet sie sich und kehrt dann in
+zahllosen Wandlungen und Steigerungen bei den Spaeteren wieder, wenngleich
+einzelne verstaendige Forscher, wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich
+dagegen erklaerten und darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und
+Sprache zwischen Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich
+zeige. Es ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm
+nach Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen;
+wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen Quiproquo.
+Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form scheint die
+urspruengliche und der griechischen Τυρ-σηνοί, Τυρρηνοί, der umbrischen
+Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu liegen - begegneten
+sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke der Τορρηβοί oder auch wohl
+Τυρρ-ηνοί, so genannt von der Stadt Τύρρα; und diese offenbar zufaellige
+Namensvetterschaft scheint in der Tat die einzige Grundlage jener durch ihr
+hohes Alter reicht besser gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen
+Turmes darauf aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem
+lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und
+endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen
+Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren
+pluendernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine der
+heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die Tyrrhener
+bezeichnen bald die lydischen Torrheber - so in den aeltesten Quellen, wie in
+den Homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener
+die pelasgische Nation; bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die
+letzteren mit den Pelasgern oder den Torrhebern je sich nachhaltig beruehrt
+oder gar die Abstammung mit ihnen gemein haetten.
+</p>
+
+<p>
+Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was die nachweislich
+aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort aus sich weiter
+bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion in der Landschaft
+noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch grenzend mit den Venetern
+illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich mit den Ligurern, ist vielfach
+beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der schon erwaehnte rauhe etruskische
+Dialekt, den noch in Livius&rsquo; Zeit die Bewohner der raetischen Alpen
+redeten, sowie das bis in spaete Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom
+Padus und an den Muendungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer,
+jener als der herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten
+Kaufstaedte Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und
+Ravenna tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den
+Padus ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten Ufer
+desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen
+hat als auf dem frueh aufgegebenen linken. Doch sind ueberhaupt die
+Landschaften noerdlich vom Apennin zu rasch von einer Nation an die andere
+gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwicklung sich hier haette gestalten
+koennen.
+</p>
+
+<p>
+Weit wichtiger fuer die Geschichte wurde die grosse Ansiedelung der Tusker in
+dem Lande, das heute noch ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer
+hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische
+Okkupation und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In
+diesem Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom
+Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre bleibende
+Staette gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich
+behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus;
+das Gebiet von da nordwaerts bis zur Muendung der Macra und dem Apennin war
+streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etruskisch, und groessere
+Ansiedlungen gediehen deshalb daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs
+wahrscheinlich der Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo,
+spaeterhin der Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet
+zwischen dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete,
+Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren Distrikte,
+moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den Etruskern eingenommen
+zu sein scheint und dass die urspruengliche italische Bevoelkerung sich hier,
+namentlich in Falerii, wenn auch in abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben
+muss.
+</p>
+
+<p>
+Seitdem der Tiberstrom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium
+bildete, mag hier im ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und
+eine wesentliche Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten
+gegen die Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der
+Etrusker ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom
+rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu haben als zum
+Beispiel von den Stammesverwandten in Gabii und Alba; natuerlich, denn dort
+schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des breiten Stromes, sondern auch der
+fuer Roms merkantile und politische Entwicklung folgenreiche Umstand, dass
+keine der maechtigeren etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am
+latinischen Ufer Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren
+es auch, mit denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten,
+namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf dem linken
+Tiberufer, aehnlich wie auf dem rechten den Roemern das Ianiculum, als eine Art
+Brueckenkopf diente und bald in den Haenden der Latiner, bald in denen der
+Etrusker sich befand. Dagegen mit dem etwas entfernteren Caere war das
+Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und freundlicher, als es sonst unter
+Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen pflegt. Es gibt wohl schwankende und in
+die graueste Fernzeit gerueckte Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere,
+wie denn der caeritische Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege
+erfochten und denselben einen Weinzins auferlegt haben soll; aber viel
+bestimmter als der einstmalige Fehdestand erhellt aus der Tradition ein
+vorzugsweise enges Verhaeltnis zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des
+Handels- und Seeverkehrs in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem
+Vordringen der Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln
+ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos im Jahre
+230 (524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die Etrusker in
+erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht als bis ins
+einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die Etrusker an einem
+grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger ist es, dass suedwaerts vom
+Tiber keine auf dem Landweg gegruendete etruskische Ansiedlung nachweisbar ist
+und dass namentlich von einer ernstlichen Bedraengung der latinischen Nation
+durch die Etrusker gar nichts wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und
+der beiden Ufer der Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen,
+unangefochten. Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom
+anlangt, so findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener
+Bericht, dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und
+nach dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt habe,
+von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies zuverlaessig sein,
+wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges von diesem Caelius
+offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der Zusatz, dass dieser
+Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiss
+nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung solcher Archaeologen, die mit
+dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf etruskische Ansiedlungen in Rom deutet
+weiter das &ldquo;Tuskerquartier&rdquo; unter dem Palatin.
+</p>
+
+<p>
+Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das letzte Koenigsgeschlecht,
+das ueber die Roemer geherrscht hat, das der Tarquinier, aus Etrurien
+entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie die Sage will, sei es aus Caere,
+wo das Familiengrab der Tarchnas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der in
+die Sage verflochtene Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch,
+dagegen in Etrurien gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach
+Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen
+war und in Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die
+geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt, sondern
+voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt etwas mehr
+entnommen werden kann als die nackte und im Grunde gleichgueltige Tatsache,
+dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft das koenigliche Szepter in Rom
+gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, dass diese Herrschaft eines Mannes
+tuskischer Herkunft ueber Rom weder als eine Herrschaft der Tusker oder einer
+tuskischen Gemeinde ueber Rom, noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber
+Suedetrurien gefasst werden darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer
+die andere Annahme irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der
+Tarquinier spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat
+waehrend der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in
+Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige
+Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes unterbrochen.
+</p>
+
+<p>
+Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen das latinische
+Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den Kaempfen der Etrusker mit
+den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst nach der Vertreibung der Koenige
+in Rom ueberschritten, teils in der Richtung der etruskischen Nation auf
+Seefahrt und Meer- und Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen
+Ansiedelungen entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter
+die Rede sein wird.
+</p>
+
+<p>
+Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen und latinischen auf der
+zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die fruehe Richtung der Nation aber auf
+Schiffahrt, Handel und Industrie scheint rascher, als es sonst in Italien der
+Fall gewesen ist, hier eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen zu
+haben; zuerst von allen italischen Staedten wird in den griechischen Berichten
+Caere genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig
+und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit
+Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung der
+Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit der roemischen
+gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die aehnliche Insignien, also
+wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie die roemischen; Vornehme und
+Geringe standen sich schroff gegenueber; fuer die Aehnlichkeit der
+Geschlechterordnung buergt die Analogie des Namensystems, nur dass bei den
+Etruskern die Abstammung von muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als
+im roemischen Recht. Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein.
+Sie umschloss nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und
+die kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso wie
+die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand aus zwoelf
+Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den Goetterdienst, und ein
+Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester anerkannten, aber doch im
+wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein scheinen und zum Teil wenigstens
+so maechtig, dass weder eine Hegemonie sich bilden noch die Zentralgewalt zur
+Konsolidierung gelangen konnte. Im eigentlichen Etrurien war die Metropole
+Volsinii; von den uebrigen Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere
+Ueberlieferung nur Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes
+ebenso selten, dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das
+Umgekehrte selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt
+regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann ins
+Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen wird, so
+schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es scheint den
+etruskischen Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen italischen
+Stammbuenden von Haus aus an einer festen und gebietenden Oberleitung gefehlt
+zu haben.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap10"></a>KAPITEL X.<br/>
+Die Hellenen in Italien.<br/>
+Seeherrschaft der Tusker und Karthager</h2>
+
+<p>
+Nicht auf einmal wird es hell in der Voelkergeschichte des Altertums; und auch
+hier beginnt der Tag im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in tiefes
+Werdegrauen eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen Becken des
+Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte Kultur ans
+Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten Stadien der
+Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den Meister und Herrn zu
+finden, ist in hervorragendem Masse auch den Voelkern Italiens zuteil geworden.
+Indes lag es in den geographischen Verhaeltnissen der Halbinsel, dass eine
+solche Einwirkung nicht zu Lande stattfinden konnte. Von der Benutzung des
+schwierigen Landwegs zwischen Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet
+sich nirgends eine Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von
+Italien aus schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die
+aelteste Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der
+Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als Heimat des
+Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich eine andere quer
+durch die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa fuehrende an; aber Elemente der
+Zivilisation konnten von dort her den Italikern nicht zukommen. Es sind die
+seefahrenden Nationen des Ostens, die nach Italien gebracht haben, was
+ueberhaupt in frueher Zeit von auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist.
+</p>
+
+<p>
+Das aelteste Kulturvolk am Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch nicht
+ueber Meer und haben daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig aber
+kann dies von den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die von
+ihrer engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen
+bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des Fisch-
+und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, die zuerst
+den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit das Mittelmeer bis
+zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast an allen Gestaden
+desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische Seestationen: wie in
+Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, Libyen und Spanien, so auch
+im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien herum, erzaehlt Thukydides, hatten,
+ehe die Griechen dorthin kamen, oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer
+Anzahl sich festsetzten, die Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre
+Faktoreien gegruendet, des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu
+gewinnen. Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von
+phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige mit
+einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei bei Caere, deren
+Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der kleinen Ortschaft an der
+caeritischen Kueste Punicum, teils in dem zweiten Namen der Stadt Caere selbst,
+Agylla, welcher nicht, wie man fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern
+phoenikisch ist und die &ldquo;Rundstadt&rdquo; bezeichnet, wie eben vom Ufer
+aus gesehen Caere sich darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen
+Gruendungen es an den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden
+Fall weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast
+spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund vor, sie
+fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen Ansiedlungen an
+denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen davon, dass wenigstens
+Latium die kanaanitischen Maenner erst durch Vermittlung der Hellenen
+kennengelernt hat, ist ihre latinische, der griechischen entlehnte Benennung
+der Poener. Vielmehr fuehren alle aeltesten Beziehungen der Italiker zu der
+Zivilisation des Ostens entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das
+Entstehen der phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische
+Periode zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen
+des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat lag, wenn man
+sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich Kuestenfahrt war und
+blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am Mittelmeer so fern wie der
+italische Kontinent. Sie konnten ihn nur entweder von der griechischen
+Westkueste oder von Sizilien aus erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die
+hellenische Seefahrt frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung
+der Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen
+unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, ist deshalb
+kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der phoenikischen
+Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen Anwohnern der
+Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen.
+</p>
+
+<p>
+Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die zuerst
+unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die italischen
+Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher Gegend und zu
+welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin gelangt sind, laesst nur die
+erstere sich mit einiger Sicherheit und Vollstaendigkeit beantworten. Es war
+das aeolische und ionische Gestade Kleinasiens, wo zuerst der hellenische
+Seeverkehr sich grossartig entfaltete und von wo aus den Griechen wie das
+Innere des Schwarzen Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen.
+Der Namen des Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und
+Sizilien geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die
+Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken an die
+einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch ionische
+Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in Italien, Kyme, ist
+dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der gleichnamigen Stadt an der
+anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger hellenischer Ueberlieferung waren es
+die kleinasiatischen Phokaeer, die zuerst von den Hellenen die entferntere
+Westsee befuhren. Bald folgten auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen
+andere Griechen nach: Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer,
+Lokrer, Rhodier, Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der
+Entdeckung Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin zu
+fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der europaeischen
+Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren deutlicher zum
+Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch die Schiffahrt nach dem
+Westen und die Ansiedelung im Westland kein Sondergut einer einzelnen
+Landschaft oder eines einzelnen Stammes der Griechen, sondern Gemeingut der
+hellenischen Nation; und wie sich zu Nordamerikas Schoepfung englische und
+franzoesische, hollaendische und deutsche Ansiedlungen gemischt und
+durchdrungen haben, so ist auch das griechische Sizilien und
+&ldquo;Grossgriechenland&rdquo; aus den verschiedenartigsten hellenischen
+Stammschaften oft ununterscheidbar zusammengeschmolzen. Doch lassen sich,
+ausser einigen mehr vereinzelt stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit
+ihren Pflanzstaedten Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser
+Periode gegruendete Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im
+ganzen drei Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen
+Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme mit den
+uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, in Sizilien Zankle
+(spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini, Himera zaehlen; die achaeische,
+wozu Sybaris und die Mehrzahl der grossgriechischen Staedte sich rechneten, und
+die dorische, welcher Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der
+sizilischen Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen
+Pflanzstadt Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die
+aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen Einwanderung
+im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben sich vorzugsweise nur
+die Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie Korinth und Megara, die rein
+dorischen Landschaften dagegen nur in untergeordnetem Grade beteiligt;
+natuerlich, denn die Ionier waren ein altes Handels- und Schiffervolk, die
+dorischen Staemme aber sind erst verhaeltnismaessig spaet von ihren
+binnenlaendischen Bergen in die Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen
+Zeiten dem Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen
+Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. Die phokaeischen
+Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden babylonischen Fuss. Die
+chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit dem aeginaeischen, das heisst
+dem urspruenglich im ganzen europaeischen Griechenland vorherrschenden und zwar
+zunaechst derjenigen Modifikation desselben, die wir dort auf Euboea
+wiederfinden. Die achaeischen Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen
+endlich auf diejenige Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika
+eingefuehrt hatte, nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken
+vielmehr nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der der
+sizilischen Dorer.
+</p>
+
+<p>
+Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und Ansiedlungen wird wohl fuer immer
+in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. Zwar eine gewisse Folge darin tritt auch
+fuer uns noch unverkennbar hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen,
+welche, wie der aelteste Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern
+eignet, in den Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das
+oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See
+verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa noch
+von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde nach
+Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen Dichtung
+mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche am fruehesten mit
+dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige Kunde von Sizilien und
+Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter des Ostens konnten, wie
+seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften Orient, ungestoert die leeren
+Raeume des Westens mit ihren luftigen Gestalten erfuellen. Bestimmter treten
+schon in den Hesiodischen Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor;
+sie kennen aus beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und
+Staedten; doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten
+nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte Gestade
+Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. Ebenso laesst die
+Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger Sicherheit sich
+bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im Westland galt offenbar schon
+dem Thukydides Kyme; und gewiss hat er nicht geirrt. Allerdings lag dem
+griechischen Schiffer mancher Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie
+vor den Barbaren war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die
+Stadt urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser
+Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf dem
+Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die noch heute
+den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt traegt. Nirgends in Italien
+sind denn auch die Oertlichkeiten der kleinasiatischen Maerchen mit solcher
+Festigkeit und Lebendigkeit lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo
+die fruehesten Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst
+das Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu wandeln
+meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden Aornossee
+zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen Nachbarn der Italiker
+wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb der Name desjenigen
+italischen Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen war, der Name der Opiker,
+von ihnen noch lange Jahrhunderte nachher fuer saemtliche Italiker gebraucht
+ward. Es ist ferner glaublich ueberliefert, dass die massenhafte hellenische
+Einwanderung in Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch
+einen betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener Einwanderung
+wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und Naxos auf Sizilien
+die aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in Italien und Sizilien
+gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die achaeischen und dorischen
+Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind.
+</p>
+
+<p>
+Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen auch nur
+annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung der achaeischen
+Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen Stadt Taras im Jahre 46
+Roms (708) moegen die aeltesten Daten der italischen Geschichte sein, deren
+wenigstens ungefaehre Richtigkeit als ausgemacht angesehen werden kann. Um
+wieviel aber die Ausfuehrung der aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser
+Epoche zurueckliege, ist ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der
+Hesiodischen und gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter
+Homers richtig bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor
+der Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle
+anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer die
+Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache erwaegt,
+dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der hellenische
+Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung der Hellenen von
+dem in Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder Graeci entlehnten ^1,
+wird geneigt sein, den fruehesten Verkehr der Italiker mit den Griechen um ein
+bedeutendes hoeher hinaufzuruecken.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Ob der Name der Graeker urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland und
+der Gegend von Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das
+Westmeer reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in
+ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des
+eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte Nation
+uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als aelterer
+Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit beiseite geschoben
+und dem hellenischen untergeordnet, welcher letztere bei Homer noch nicht, wohl
+aber, ausser bei Hesiod, schon bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704)
+auftritt und recht wohl noch bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L.
+Duncker, Geschichte des Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also
+bereits vor dieser Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt,
+dass jener in Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der
+griechischen Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei
+nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der
+hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen ist als
+diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer sich fixierte als
+dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den wohlbekannten
+naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es damit vereinigen will,
+dass noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms Italien den kleinasiatischen
+Griechen voellig unbekannt war, ist schwer abzusehen. Von dem Alphabet wird
+unten die Rede sein; es ergibt dessen Geschichte vollkommen die gleichen
+Resultate. Man wird es vielleicht verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin
+die Herodotische Angabe ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es
+etwa keine Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen?
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Geschichte der italischen und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil der
+italischen; die hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten
+Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten und Rechten
+der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den verschiedenen
+Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu bezeichnen und wenigstens
+gewisse Grundzuege hervorzuheben, durch die der verschiedenartige Einfluss der
+griechischen Kolonisierung auf Italien wesentlich bedingt worden ist.
+</p>
+
+<p>
+Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am meisten
+geschlossene war diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund hervorging,
+welchen die Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, Sybaris mit
+seinen Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina und
+Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen genommen,
+einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen, dem dorischen
+naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des sonst allgemein in
+Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit an der altnationalen
+hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine besondere Nationalitaet den
+Barbaren wie den andern Griechen gegenueber in einer festen buendischen
+Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer laesst sich anwenden,
+was Polybios von der achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: &ldquo;nicht
+allein in eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie,
+sondern sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und
+Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter&rdquo;.
+</p>
+
+<p>
+Dieser Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die Staedte
+waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne
+Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den Bruecken
+seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm Milesier und Etrusker.
+Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss die Kuestensaeume, sondern
+herrschten von Meer zu Meer in dem &ldquo;Wein-&rdquo; und
+&ldquo;Rinderland&rdquo; (Οινοτρία, Ιταλία) oder der &ldquo;grossen
+Hellas&rdquo;; die eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel
+oder gar in Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner
+Zeit die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme und
+fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und Poseidonia
+gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des Krathis und Bradanos
+warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen Ertrag ab - vielleicht ist
+hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut worden. Von der hohen Bluete, zu
+welcher diese Staaten in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am
+lebendigsten die einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen
+Achaeer: ihre Muenzen von strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt
+die fruehesten Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung
+erweislich im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen
+zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben um
+diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern in
+der Technik demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt der dicken, oft nur
+einseitig gepraegten und regelmaessig schriftlosen Silberstuecke, welche um
+diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern
+ueblich waren, schlugen die italischen Achaeer mit grosser und selbstaendiger
+Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen, teils erhaben teils vertieft
+geschnittenen Stempeln grosse duenne, stets mit Aufschrift versehene
+Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der Falschmuenzerei jener Zeit -
+Plattierung geringen Metalls mit duennen Silberblaettern - sich schuetzende
+Praegweise den wohlgeordneten Kulturstaat verraet.
+</p>
+
+<p>
+Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. In der muehelosen, weder durch
+kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch durch eigene schwere Arbeit auf die
+Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen frueh die Spannkraft des
+Koerpers und des Geistes. Keiner der glaenzenden Namen der griechischen Kunst
+und Literatur verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren
+unzaehlige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische
+Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der
+Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess
+die strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden frueh
+ans Ruder gekommen war und im Notfall an der Bundesgewalt einen sicheren
+Rueckhalt fand: wohl aber drohte die Verwandlung der Herrschaft der Besten in
+eine Herrschaft der Wenigen, vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in
+den verschiedenen Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig
+sich aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des
+Pythagoras bezeichnete solidarische Verbindung der &ldquo;Freunde&rdquo;, sie
+gebot, die herrschende Klasse &ldquo;gleich den Goettern zu verehren&rdquo;,
+die dienende &ldquo;gleich den Tieren zu unterwerfen&rdquo;, und rief durch
+solche Theorie und Praxis eine furchtbare Reaktion hervor, welche mit der
+Vernichtung der pythagoreischen &ldquo;Freunde&rdquo; und mit der Erneuerung
+der alten Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden,
+Massenerhebungen der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische
+Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten
+Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, bis
+ihre politische Macht darueber zusammenbrach.
+</p>
+
+<p>
+Es ist danach nicht zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die
+daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die
+uebrigen griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus
+ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als den
+Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die Eingeborenen und
+zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne doch den Italikern durch
+vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu eroeffnen. So ist in Sybaris und
+Metapont, in Kroton und Poseidonia das griechische Wesen, das sonst allen
+politischen Missgeschicken zum Trotz sich lebenskraeftig zu behaupten wusste,
+schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet,
+und die zwiesprachigen Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der
+eingeborenen Italiker und der Achaeer und den juengeren Einwanderern
+sabellischer Herkunft hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig
+gelangt. Indes, diese Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende
+Periode.
+</p>
+
+<p>
+Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der
+uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn
+keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer
+Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art an einer
+befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle diese Staedte
+zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und darum denn auch, ganz
+abweichend von den achaeischen, durchgaengig an den besten Haefen und
+Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, die Veranlassung und die Epoche dieser
+Gruendungen waren mannigfach verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine
+gewisse Gemeinschaft - so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch
+gewisser moderner Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der
+Sprache, der auch in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel
+Kyme ^3, von Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die
+Entwicklung Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade
+wichtig geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend
+in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des dorischen Tarent
+und des ionischen Kyme.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 So sind die drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als
+leicht zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen
+vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder ausschliesslich
+oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, waehrend die uebrigen Griechen
+Italiens und Siziliens ohne Unterschied des Stammes sich ausschliesslich oder
+doch sehr vorwiegend der juengeren Formen bedient haben.
+</p>
+
+<p>
+^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Tongefaess Ταταίες εμί
+λέυqθος. Fόσ δ'άν με κλέφσει θύφλος έσται.
+</p>
+
+<p>
+————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Den Tarentinern ist unter allen hellenischen Ansiedlungen in Italien die
+glaenzendste Rolle zugefallen. Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der
+ganzen Suedkueste, machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepôt fuer den
+sueditalienischen Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem
+Adriatischen Meer. Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und
+Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft
+der tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte -
+beide Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos -,
+beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch den
+Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im griechischen
+Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen Muenzen sind noch
+heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften tarentinischen Verkehrs.
+Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit Sybaris um den ersten Rang unter den
+unteritalischen Griechenstaedten rang, muessen seine ausgedehnten
+Handelsverbindungen sich angeknuepft haben; indes auf eine wesentliche
+Erweiterung ihres Gebietes nach Art der achaeischen Staedte scheinen die
+Tarentiner nie mit dauerndem Erfolg ausgegangen zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also die oestlichste der griechischen Ansiedlungen in Italien rasch und
+glaenzend sich emporhob, so gediehen die noerdlichsten derselben am Vesuv zu
+bescheidnerer Bluete. Hier waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus
+die Kymaeer auf das Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart
+am Meere eine zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia
+(spaeter Puteoli), und weiter die &ldquo;Neustadt&rdquo; Neapolis gegruendet
+wurden. Sie lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und
+Sizilien, nach den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650)
+festgestellt hatte, in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus
+gemaessigten Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den Reichsten
+erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung, die sich bewaehrte und
+im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir
+wissen wenig von den aeusseren Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie
+blieben, sei es aus Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner
+beschraenkt auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und
+unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich mit ihnen
+handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine gedeihliche Existenz
+und nahmen zugleich den ersten Platz unter den Missionaren der griechischen
+Zivilisation in Italien ein.
+</p>
+
+<p>
+Wenn zu beiden Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die
+ganze suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere oestliche
+Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so gestalteten dagegen auf
+der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv und auf der ganzen Ostkueste die
+Verhaeltnisse sich wesentlich anders. An dem dem Adriatischen Meer zugewandten
+italischen Gestade entstanden griechische Ansiedlungen nirgends; womit die
+verhaeltnismaessig geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der
+griechischen Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und den
+zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich zusammenhaengt. Zwar
+wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser Kueste zwei ansehnliche
+Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt Durazzo; 127 587) und Apollonia
+(bei Avlona; um 167 627) noch waehrend der roemischen Koenigsherrschaft
+gegruendet; aber weiter noerdlich ist, mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden
+Niederlassung auf Schwarzkerkyra (Curzola; um 174? 580) keine alte griechische
+Ansiedlung nachzuweisen. Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die
+griechische Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat,
+wohin doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat
+seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach Rom (um
+44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein Handelszug bestand,
+dessen Entrepôts auf der italischen Kueste die Staedte an der Pomuendung, Spina
+und Atria, waren. Die Stuerme der Adriatischen See, die Unwirtlichkeit
+wenigstens der illyrischen Kuesten, die Wildheit der Eingeborenen reichen
+offenbar allein nicht aus, um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien
+ist es von den wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden
+Elemente der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften
+einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese gelangten. Selbst in den
+Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und Kerkyra die oestlichste Kaufstadt
+Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch den Besitz von Hydrus
+(Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf der italischen Seite
+beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung an der ganzen Ostkueste
+nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht bestanden - Ankons Aufbluehen faellt
+in weit spaetere Zeit und noch spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es
+wohl begreiflich, dass die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in
+Tarent loeschten. Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit
+Apulien; auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im
+Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die ersten
+Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer spaeteren
+Epoche.
+</p>
+
+<p>
+Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich vom Vesuv in aeltester Zeit
+von den Hellenen befahren worden ist und auf den Inseln und Landspitzen
+hellenische Faktoreien bestanden, laesst sich nicht bezweifeln. Wohl das
+aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die Lokalisierung der Odysseussage an den
+Kuesten des Tyrrhenischen Meeres ^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des
+Aeolos wiederfand, wenn man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am
+Misenischen die der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das
+ragende Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn
+bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne des
+Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, im
+&ldquo;innersten Winkel der heiligen Inseln&rdquo; die Tyrrhener beherrschen
+oder in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke,
+Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das alte
+Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat auf der
+Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche Lebendigkeit der
+Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den Fahrten des Odysseus
+waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung derselben Sage bei
+Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der kymaeischen Schiffer.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische
+Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische &lsquo;Theogonie&rsquo; in einem
+ihrer juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor
+Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und der
+sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an, wo Italien
+den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher sehr alt; und es
+kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen mit Sicherheit in die
+roemische Koenigszeit gesetzt werden.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Andere Spuren dieser aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel
+Aethalia (Ilva, Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von Griechen
+besetzten Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes
+Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der caeritischen Kueste
+Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss die Namen
+unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die eigentuemliche,
+von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen Stadtmauern sich
+wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern von Pyrgi. Aethalia,
+&ldquo;die Feuerinsel&rdquo;, mit ihren reichen Kupfer- und besonders
+Eisengruben mag in diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und hier die
+Altsiedlung der Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen seinen Mittelpunkt
+gehabt haben; um so mehr als das Schmelzen der Erze auf der kleinen und nicht
+waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch
+die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenueberliegenden Landspitze
+waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die Fremden, wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- und
+Landraub obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit sich
+bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven fortzufuehren, so
+uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das Vergeltungsrecht aus; und dass die
+Latiner und Tyrrhener dies mit groesserer Energie und besserem Glueck getan
+haben als ihre sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an,
+sondern vor allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich
+der Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte und
+Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch Herren
+ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die sueditalischen
+Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker Mittelitaliens,
+freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, zur Seefahrt und zur
+Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der Italiker das Floss und den
+Nachen mit der phoenikischen und griechischen Rudergaleere vertauscht haben.
+Hier zuerst begegnen grosse Kaufstaedte, vor allem Caere im suedlichen Etrurien
+und Rom am Tiber, die, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger
+Entfernung vom Meere zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen
+Handelsstaedte an der Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich
+Ariminum, sicher keine griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den
+geschichtlichen Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet
+gegen fremden Eingriff darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande;
+wohl aber laesst es noch sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung
+Italiens von der groessten Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium und im
+suedlichen Etrurien einen andern Gang genommen hat als in der eigentlichen
+tuskischen und den sich daran anschliessenden Landschaften.
+</p>
+
+<p>
+Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem &ldquo;wilden Tyrrhener&rdquo;
+den Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche
+Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint sein, dass
+man die griechische Kolonisierung in einigen Landschaften Mittelitaliens
+geduldet, in andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts vom Vesuv hat
+ueberhaupt in geschichtlicher Zeit nirgends eine unabhaengige griechische
+Gemeinde bestanden, und wenn Pyrgi dies einmal gewesen ist, so muss es doch
+schon vor dem Beginn unserer Ueberlieferung in die Haende der Italiker, das
+heisst der Caeriten zurueckgekehrt sein. Aber wohl ward in Suedetrurien, in
+Latium und ebenso an der Ostkueste der friedliche Verkehr mit den fremden
+Kaufleuten geschuetzt und gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem
+merkwuerdig ist die Stellung von Caere. &ldquo;Die Caeriten&rdquo;, sagt
+Strabon, &ldquo;galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und
+Gerechtigkeit, und weil sie, so maechtig sie waren, des Raubes sich
+enthielten.&rdquo; Nicht der Seeraub ist gemeint, den der caeritische Kaufmann
+wie jeder andere sich gestattet haben wird; sondern Caere war eine Art von
+Freihafen fuer die Phoeniker wie fuer die Griechen. Wir haben der phoenikischen
+Station - spaeter Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und Alsion bereits
+gedacht; diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich enthielten,
+und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte Reede
+besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher Bluete gelangt ist
+und fuer den aeltesten griechischen Handel noch groessere Bedeutung gewonnen
+hat als die von der Natur zu Emporien bestimmten Staedte der Italiker an den
+Muendungen des Tiber und des Po. Die hier genannten Staedte sind es, welche in
+uraltem religioesen Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste unter allen
+Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische Koenig
+Arimnos, vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem Tempel
+des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem Verkehr
+stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der aeltesten
+caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische Heiligtum sowohl
+wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, wo die Italiker friedlich
+schalteten und mit dem fremden Kaufmann freundlich verkehrten, wurden vor allen
+reich und maechtig und wie fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime
+der hellenischen Zivilisation die rechten Stapelplaetze.
+</p>
+
+<p>
+Anders gestalteten sich die Verhaeltnisse bei den &ldquo;wilden
+Tyrrhenern&rdquo;. Dieselben Ursachen, die in der latinischen und in den
+vielleicht mehr unter etruskischer Suprematie stehenden als eigentlich
+etruskischen Landschaften am rechten Tiberufer und am unteren Po zur
+Emanzipierung der Eingeborenen von der fremden Seegewalt gefuehrt hatten,
+entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, sei es aus anderen Ursachen, sei es
+infolge des verschiedenartigen, zu Gewalttat und Pluenderung hinneigenden
+Nationalcharakters, den Seeraub und die eigene Seemacht. Man begnuegte sich
+hier nicht, die Griechen aus Aethalia und Populonia zu verdraengen; auch der
+einzelne Kaufmann ward, wie es scheint, hier nicht geduldet, und bald
+durchstreiften sogar etruskische Kaper weithin die See und machten den Namen
+der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache galt diesen der
+Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die Griechen das
+italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem diese wilden
+Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, zeigt am
+deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und kampanischen Kueste. Zwar
+behaupteten im eigentlichen Latium sich die Latiner und am Vesuv sich die
+Griechen; aber zwischen und neben ihnen geboten die Etrusker in Antium wie in
+Surrentum. Die Volsker traten in die Klientel der Etrusker ein; aus ihren
+Waldungen bezogen diese die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der
+Antiaten erst die roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es
+wohl, warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das
+laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch steileren,
+aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der Buchten von Neapel
+und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende Korsarenwarte, wurde frueh
+von den Etruskern in Besitz genommen. Sie sollen sogar in Kampanien einen
+eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet haben und etruskisch redende Gemeinden
+haben hier noch in vollkommen historischer Zeit im Binnenlande bestanden;
+wahrscheinlich sind diese Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der
+Seeherrschaft der Etrusker im kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit
+den Kymaeern am Vesuv hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich
+keineswegs auf Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit
+griechischen Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die
+wenigstens vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders
+Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss geschlagen haben;
+dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern vielmehr attischen, ja
+kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, ist uebrigens wohl auch ein
+Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der Etrusker zu den italischen
+Griechen. In der Tat befanden sie sich fuer den Handel in der guenstigsten
+Stellung und in einer weit vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von
+Meer zu Meer wohnend geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen
+Freihafen, am oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit,
+ferner ueber die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen
+nach Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die reichen
+Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten italischen
+Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische und kampanische
+Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der Ostsee ihnen zugefuehrten
+Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie, gleichsam einer rohen
+Navigationsakte, musste ihr eigener Handel emporkommen; und es kann ebensowenig
+befremden, dass in Sybaris der etruskische und milesische Kaufmann
+konkurrierten, als dass aus jener Verbindung von Kaperei und Grosshandel der
+mass- und sinnlose Luxus entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich
+selber verzehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die Latiner
+den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden, so griff
+dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in diejenige Rivalitaet ein,
+die damals Handel und Schiffahrt auf dem Mittellaendischen Meere vor allem
+beherrschte: in die Rivalitaet der Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht
+dieses Orts, im einzelnen darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit
+diese beiden grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in
+Griechenland und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen,
+spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft rangen;
+unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht gekaempft, aber die
+Folgen derselben doch auch in Italien tief und nachhaltig empfunden. Die
+frische Energie und die universellere Begabung des juengeren Nebenbuhlers war
+anfangs ueberall im Vorteil; die Hellenen entledigten sich nicht bloss der
+phoenikischen Faktoreien in ihrer europaeischen und asiatischen Heimat, sondern
+verdraengten die Phoeniker auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten
+und Kyrene und bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen
+Haelfte der sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen
+Handelsplaetze der energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward auch im
+westlichen Sizilien Selinus (126 628) und Akragas (174 580) gegruendet, schon
+von den kuehnen kleinasiatischen Phokaeern die entferntere Westsee befahren, an
+dem keltischen Gestade Massalia erbaut (um 150 600) und die spanische Kueste
+erkundet. Aber ploetzlich, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der
+Fortschritt der hellenischen Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die
+Ursache dieses Stockens der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge
+der von den Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die
+maechtigste ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die den
+Seeverkehr auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch den juengeren
+Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft ueber die Westsee, dem
+Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem oestlichen und dem westlichen
+Becken des Mittelmeeres und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient
+und Okzident, so konnte doch wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von
+Sardinien und Sizilien noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren
+Behauptung setzte Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche
+zaehe und umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand
+der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren
+phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides schildert,
+waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich ausgedehnte
+Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen Festungen. Hatten bisher
+die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt den Griechen gegenuebergestanden,
+so zentralisierte jetzt die maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die
+ganze Wehrkraft ihrer Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische
+Geschichte nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das
+wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge
+Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu
+erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier und
+Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen Ansiedlungen auf
+Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten, wurden sie durch die
+Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker wieder von dort vertrieben.
+Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia (Aleria) auf Korsika Caere
+gegenueber niederliessen, erschien, um sie von dort zu vertreiben, die
+vereinigte Flotte der Etrusker und der Karthager, hundertundzwanzig Segel
+stark; und obwohl in dieser Seeschlacht - einer der aeltesten, die die
+Geschichte kennt - die nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg
+zuschrieb, so erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den
+Angriff bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber an
+der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich nieder. Ein
+Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss die Regeln ueber
+Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch ein Waffenbuendnis
+(συμμαχία) ein, von dessen ernstlicher Bedeutung eben jene Schlacht von Alalia
+zeugt. Charakteristisch ist es fuer die Stellung der Caeriten, dass sie die
+phokaeischen Gefangenen auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den
+Frevel zu suehnen, den delphischen Apoll beschickten.
+</p>
+
+<p>
+Latium hat dieser Fehde gegen die Hellenen sich nicht angeschlossen; vielmehr
+finden sich in sehr alter Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu den
+Phokaeern in Hyele wie in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar
+gemeinschaftlich mit den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere
+Saguntum gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf
+die Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen
+zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den Latinern
+und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern durch Vermittlung
+der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, ihn stets mit dem
+griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder den Namen der Stadt
+Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den Griechen entlehnt haben,
+dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern mit dem ebenfalls die griechische
+Vermittlung ausschliessenden Namen der sarranischen bezeichnet werden ^7,
+beweist ebenso wie die spaeteren Vertraege den alten und unmittelbaren
+Handelsverkehr zwischen Latium und Karthago.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^5 Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago.
+</p>
+
+<p>
+^6 Der Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio
+Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich stammverwandt mit
+dem der Hebraeer.
+</p>
+
+<p>
+^7 Sarranisch heissen den Roemern seit alter Zeit der tyrische Purpur und die
+tyrische Floete, und auch als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem
+Hannibalischen Krieg in Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende
+Stadtname Sarra ist wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen
+Namen Sor gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern
+nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K. Movers, Die
+Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Der vereinigten Macht der Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die
+westliche Haelfte des Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der
+nordwestliche Teil von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos
+an der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im
+unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des Kyros und
+Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu bestimmen suchte, insgesamt aus
+Kleinasien auswandernd in Sardinien sich niederzulassen (um 200 554), kam ihnen
+dort der karthagische Feldherr Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil
+der wichtigen Insel mit Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint
+das ganze Gestade Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen
+Gemeinde. Korsika dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern
+zu und die Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel,
+dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in den Gewaessern
+westlich von Sizilien und Sardinien herrschten die verbuendeten Etrusker und
+Karthager. Zwar gaben die Griechen den Kampf nicht auf. Jene von Lilybaeon
+vertriebenen Rhodier und Knidier setzten auf den Inseln zwischen Sizilien und
+Italien sich fest und gruendeten hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia
+gedieh trotz seiner Isolierung und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis
+nach den Pyrenaeen. An den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt
+Rhoda (jetzt Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich
+angesiedelt, ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten
+geherrscht haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer die Hellenen
+vorbei; nach Akragas&rsquo; Gruendung sind ihnen bedeutende
+Gebietserweiterungen am Adriatischen wie am westlichen Meer nicht mehr
+gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben ihnen
+verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den tuskischen
+&ldquo;Seeraeubern&rdquo;, die Karthager mit den Massalioten, den Kyrenaeern,
+vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner Seite hin ward ein
+dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der Jahrhunderte langen Kaempfe
+war im ganzen die Aufrechterhaltung des Status quo.
+</p>
+
+<p>
+So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern es zu danken, dass
+wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften nicht kolonisiert wurden,
+sondern hier, namentlich in Etrurien, eine nationale Seemacht ins Leben trat.
+Es fehlt aber auch nicht an Spuren, dass die Phoeniker es schon der Muehe wert
+fanden, wenn nicht gegen die latinischen, doch wenigstens gegen die
+seemaechtigeren etruskischen Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln,
+die aller Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den
+Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den
+Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden
+rivalisierenden Interessen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap11"></a>KAPITEL XI.<br/>
+Recht und Gericht</h2>
+
+<p>
+Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen,
+vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung der
+Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des
+einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden,
+sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der Versuch, diese Zustaende,
+wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben fuer diese
+aelteste, geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen notwendig, weil
+die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker
+trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen
+laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten
+Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen, dass sie
+einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch diese saeuseln zu
+lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer
+und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser schicken zu fragen, wie
+denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der
+Religion sich ausgepraegt, wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die
+Schrift den Voelkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig
+auch hier unser Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das
+der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und
+lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch eine
+Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, um dies gleich
+hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich zusammenfassen, dass bei den
+Italikern und insbesondere bei den Roemern von den urzeitlichen Zustaenden
+verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei irgendeinem anderen
+indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der
+Weiber, Kauf der Ehefrau, primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der
+Gemeindegewalt ringende Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus -
+alle diese und unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als
+Grundlage der italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns
+zuerst anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, und
+nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr einstmaliges
+Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte bei einem weit
+spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die griechische und deutsche
+und traegt von Haus aus einen relativ modernen Charakter.
+</p>
+
+<p>
+Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen: nur von
+dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung einige Kunde auf
+uns gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem
+Koenig, welcher Gericht oder &ldquo;Gebot&rdquo; (ius) haelt an den Spruchtagen
+(dies fasti) auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem
+Wagenstuhl (sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor
+ihm der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber
+die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste
+maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst nicht als
+Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte
+die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine
+eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des
+dem Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen
+Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der
+koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur.
+Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich
+vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die
+Toetung des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die
+Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon
+bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die
+Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt
+unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den
+Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem deutschen Recht
+zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas wahrzunehmen, noch findet sich in
+diesem, was in jenem so haeufig ist, dass der Wille selbst und die Macht einen
+Anspruch mit den Waffen in der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder
+doch zulaessig behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder
+Privatprozess, je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des
+Verletzten einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede
+gebrochen ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der
+Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen Auflehnung
+gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder (parricida), der
+Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder Frauenehre, der
+Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch boesen Zauber
+bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Goetter und des Volkes
+ueberlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den gemeinen
+Frieden und werden deshalb dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess
+eroeffnet und leitet der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den
+zugezogenen Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem
+er den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung
+an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen werden;
+die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner fuer
+Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren staendigen
+Stellvertreter, die &ldquo;Mordspuerer&rdquo; (quaestores parricidii), denen
+zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse
+polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber
+wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist
+Regel, doch kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden.
+Folterung zur Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer
+ueberwiesen ist, den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem
+Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom
+Burgfelsen gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt.
+Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig aber
+kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) gestatten oder
+verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine Begnadigung des verurteilten
+Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall
+tut, darf an demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus
+betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher
+geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der
+Vesta zufaellig begegnet.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Dieser &ldquo;Wagenstuhl&rdquo; - eine andere Erklaerung ist sprachlich
+nicht wohl moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in
+der Weise erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt war,
+woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche Gelegenheiten
+blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein erhoehtes Tribunal gab,
+auf dem Comitium oder wo er sonst wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach.
+</p>
+
+<p>
+^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24)
+sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten;
+dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe;
+dass dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder des
+Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass aber infolge
+goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener Strafgerichte sowohl die
+ersten als die zweiten Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich zur
+gerechten Strafe gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine
+Historisierung der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der
+Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden
+Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber auch
+verwirrt oder zurechtgemacht.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der
+Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name
+multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner
+Hand.
+</p>
+
+<p>
+In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine Friede
+verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher
+den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter Gewalt zwingt, sich mit ihm
+persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind beide Parteien erschienen und hat der
+Klaeger die Forderung muendlich vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in
+gleicher Weise verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen
+oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die
+regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich
+zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein,
+wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne
+(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder seine
+gerechte Forderung nicht erfuellt ward.
+</p>
+
+<p>
+Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und
+wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht
+bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat
+ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die
+Erbitterung, welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen
+diesen. Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht
+imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter gebilligte
+Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann
+zugesprochen.
+</p>
+
+<p>
+Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den leichteren
+Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe
+ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn
+um Zahn.
+</p>
+
+<p>
+Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft
+benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden ist, sich
+nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem &ldquo;Sklaven- und
+Viehstand&rdquo; (familia pecuniaque) entwickelt. Als Rechtsgrund desselben
+gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles
+Eigentum als dem einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben
+und Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in
+dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben.
+Alles Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen
+wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit
+ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und
+kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das
+vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die
+Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche
+Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch
+versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein
+Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den
+Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen
+Beschraenkungen des Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen
+jedem erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die
+Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und seine
+Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter
+Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das
+Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine
+groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die
+beiden Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers und
+Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen Recht
+miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit
+Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft unentbehrlichen
+Gerechtigkeiten, durchaus nicht zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente
+sind rechtlich unmoeglich; anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig
+kennt, dient die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den
+Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort
+(fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu veraeussern
+und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem Schuldner
+zurueckzustellen.
+</p>
+
+<p>
+Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die
+Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten
+(praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen die
+Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen Anspruch auf
+Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach
+kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig
+hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern.
+Rechtlich klagbar sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die
+versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner
+der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich
+abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die
+Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den
+bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das Kupfer
+anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser geworden war,
+geschah durch Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer auf der von einem
+Unparteiischen richtig gehaltenen Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss
+der Verkaeufer dafuer einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der
+Verkaeufer wie der Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen;
+widrigenfalls buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm
+entwendet haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug
+um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum
+und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen eingegangen,
+indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene Quantitaet Kupfer
+unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem
+Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen
+wohl fuer das Jahr zehn Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte
+seinerzeit auch die Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem
+Staat gegenueber seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres
+mit allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte zur
+Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die Vergewaltigung
+seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder erfolgte die
+Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es darauf an, ob das
+Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei Eigentumsklagen regelmaessig
+der Fall war, oder schon klar vorlag, was bei Darlehensklagen nach den
+geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte.
+Die Feststellung des Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede
+Partei fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei
+wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern, bei
+geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann, wer recht
+gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei den Priestern zum
+Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht gewettet hatte, und,
+ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage hatte verstreichen lassen;
+ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand, also regelmaessig der
+Darlehensschuldner, wofern er nicht Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte,
+unterlag dem Exekutionsverfahren &ldquo;durch Handanlegung&rdquo; (manus
+iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht
+stellte, lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte
+der Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten
+und diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das
+Verfahren eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter
+persoenlich verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der
+Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch Vertretung
+ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn
+abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage
+verstrichen, war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt
+ausgestellt und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und
+dies alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu
+toeten und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und
+seiner Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an
+Sklaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der
+roemischen Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave
+werden. So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den
+Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den
+zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die
+Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums
+gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die
+Tradition angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht.
+Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie passt
+zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand erworben
+werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das
+Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die
+Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird
+demnach eine Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch
+der Gebrauch der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die
+Manzipation urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen
+Reform bei allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete
+die Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, dass
+nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten.
+</p>
+
+<p>
+^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des Kapitals
+(uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das zwoelfmonatliche
+zehn vom Hundert.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung
+des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen
+und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut
+desselben berief.
+</p>
+
+<p>
+Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle
+Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die Witwe mit
+den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren von der
+gesetzlichen Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch vorher wegen
+der an dem Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten der Priester
+einzuholen ist; indes scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig
+geworden zu sein, und wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien
+Disposition, die einem jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand,
+diesem Mangel dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein
+Gesamtvermoegen einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen
+des Verstorbenen gemaess verteilte.
+</p>
+
+<p>
+Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte
+freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen
+dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger
+Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren
+der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die
+Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem
+Herrn nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach
+Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo
+sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber
+anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. Eine
+eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch nicht - der
+beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht gegeben haben kann -,
+sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt, welche das Recht sonst
+darbot: das Testament, der Prozess, die Schatzung. Wenn der Herr entweder bei
+Errichtung seines letzten Willens in der Volksversammlung den Sklaven
+freigesprochen hatte oder wenn er dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber
+vor Gericht die Freiheit anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste
+einzeichnen zu lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber
+wohl als frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und
+demnach anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere
+Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des Sohnes;
+denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und darum willkuerlich
+loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu sein. Darum musste
+spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen, erst in die Knechtschaft
+eintreten, um dann aus dieser entlassen zu werden; in der gegenwaertigen
+Periode aber kann es eine Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben.
+</p>
+
+<p>
+Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen
+denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige privatrechtliche
+Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen
+Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er
+wie seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht
+erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das
+Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische
+Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer
+gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne Buerger
+nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem
+Heerbann ficht, bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern
+dem Staat, und hier haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben
+oder zurueckzunehmen.
+</p>
+
+<p>
+Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere
+Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der roemischen
+gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige Buendnis zwischen Rom und
+Latium alle Vertraege zwischen Roemern und Latinern fuer rechtsgueltig und
+verordnete zugleich fuer diese einen beschleunigten Zivilprozess vor
+geschworenen &ldquo;Wiederschaffern&rdquo; (reciperatores), welche, da sie,
+gegen den sonstigen roemischen Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu
+uebertragen, immer in der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein
+aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und
+Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages
+und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die Formen,
+in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, waren
+natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer miteinander
+verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind urspruenglich gar keine
+Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren
+Herrschaft reichte wenigstens so weit man lateinisch sprach.
+</p>
+
+<p>
+In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem eigentlichen
+Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit den Caeriten und
+anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr und Rechtsfolge
+abgeschlossen und die Grundlage des internationalen Privatrechts (ius gentium)
+geworden sein, das sich in Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat.
+Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der
+&ldquo;Wandel&rdquo; (von mutare; wie dividuus); eine Form des Darlehens, die
+nicht wie das Nexum auf einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden
+Erklaerung des Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus
+einer Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden
+entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum
+charakteristisch, dass das Wort als μοίτον im sizilischen Griechisch
+wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen des lateinischen
+carcer in dem sizilischen κάρκαρον. Da es sprachlich feststeht, dass beide
+Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr Vorkommen in dem sizilischen
+Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den haeufigen Verkehr der latinischen
+Schiffer auf der Insel, welcher sie veranlasste, dort Geld zu borgen und der
+Schuldhaft, die ja ueberall in den aelteren Rechten die Folge des nicht
+bezahlten Darlehens ist, sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des
+syrakusanischen Gefaengnisses, &ldquo;Steinbrueche&rdquo; oder λατομίαι, in
+alter Zeit auf das erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae
+uebertragen.
+</p>
+
+<p>
+Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen,
+die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes Jahrhundert
+nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten Aufzeichnung des roemischen
+Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Koenigszeit sich wohl fuer
+einzelne Punkte, aber nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin
+das Recht einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker-
+und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum Beispiel die
+deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig verschollen. Es
+unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den Italikern einmal
+vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer sind zum Beispiel die Form
+der Haussuchung, wobei der Suchende nach roemischer wie nach deutscher Sitte
+ohne Obergewand im blossen Hemd erscheinen musste, und vor allem die uralte
+latinische Formel der Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den
+Kelten und den Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das &ldquo;reine
+Kraut&rdquo; (herba pura, fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen
+Bodens und der angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit
+wenigen Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen
+Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch das
+Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das roemische
+Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und fordert in allen
+Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und reinen Ausdruck des
+Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung
+der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien die Absicht in verstaendlicher
+Weise erklaert haben; es ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in
+die Hand zu geben, den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das
+Haupt zu verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes
+einzufuehren; aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem
+roemischen Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus
+der Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward,
+wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist
+hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die germanischen
+Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der
+Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder
+Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb
+des Staates zur Ergaenzung der unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen
+Schutz und Trutz, keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung
+des einzelnen beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl
+einmal bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des
+Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger
+den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine
+Spur sich finden; allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in
+Gedanken erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar
+vernichtet ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht;
+aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet
+ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der Staat dem
+Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund ist ueberall der
+Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im
+weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder
+stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag
+gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament
+nur, insofern die Gemeinde es bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des
+oeffentlichen und des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen
+den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer
+Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder den Gast,
+welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder Befriedigung des
+Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst werden, sondern
+hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste
+Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren;
+ganz wie heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der
+strenge Wechselprozess zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse
+stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende
+Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den
+Maennern voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt
+sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste
+Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist
+in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst
+charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, sondern
+anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage das
+Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des Eigentums vom Schuldner auf
+den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche Kredit in der umfassendsten, um
+nicht zu sagen ausschweifendsten Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den
+Glaeubiger befugt, den zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu
+behandeln und ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum
+Spott ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den
+Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es der
+Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass es zugleich
+unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und kaufmaennischen Kredit
+herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle Wortlosigkeit mit
+unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige. Nimmt man dazu das frueh
+anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher Latiner und die gleichfalls frueh
+ausgesprochene Gueltigkeit der Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser
+Staat, der das Hoechste von seinen Buergern verlangte und den Begriff der
+Untertaenigkeit des einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor
+oder nach ihm, dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des
+Verkehrs selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie
+beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt auf: wie
+der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast dem Buerger
+gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo das Recht des
+Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass dem Armen nirgends
+eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige Beruecksichtigung sich
+zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude daran, ueberall die schaerfsten
+Spitzen hervorzukehren, die aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische
+des Rechtsbegriffs gewaltsam dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die
+poetische Form, die gemuetliche Anschaulichkeit, die in den germanischen
+Rechtsordnungen anmutig walten, sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist
+alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist
+nicht grausam; alles Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die
+Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des
+roemischen Rechts, den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen
+muessen. Aber es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge,
+die man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis,
+denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die
+Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den
+Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die Groesse
+Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein Recht gesetzt
+und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze der Freiheit und der
+Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge unverfaelscht und ungemildert
+walteten und heute noch walten.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap12"></a>KAPITEL XII.<br/>
+Religion</h2>
+
+<p>
+Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher angedeutet ward,
+hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem hoeheren und
+idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine
+wie das Grosse wiederholte. Der Staat und das Geschlecht, das einzelne
+Naturereignis wie die einzelne geistige Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und
+Gegenstand, ja jede Handlung innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in
+der roemischen Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge
+flutet im ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis.
+Der Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht laenger
+als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen Menschen lebt und
+stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt auch diesen Goetterwesen ewige
+Dauer zu, als aehnliche Handlungen und gleichartige Menschen und damit auch
+gleichartige Geister immer aufs neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber
+der roemischen, walten ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene
+Gottheiten; wie schroff auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem
+fremden Gott entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde
+Gottheiten dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und
+wenn aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden auch
+wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich zu bereiten.
+</p>
+
+<p>
+Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder Beruehrung mit den
+Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem Verzeichnis der
+oeffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae) der roemischen Gemeinde,
+das in dem Kalender derselben erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus
+dem roemischen Altertum auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in
+demselben nehmen die Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des
+letzteren, dem Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus)
+heilig, ausserdem die saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter
+noch zu erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem &ldquo;boesen Jovis&rdquo;
+(Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen gehoert das
+Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest in diesem, von dem
+Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch das Pferderennen
+(equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den Tagen des Schildschmiedens
+(equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), des Waffentanzes auf der Dingstaette
+(quinquatrus, 19. Maerz) und der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine
+Hochtage hatte. Wie, wenn ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste
+begann, so folgte nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine
+Marsfeier, das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten
+Mars endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den
+uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezueglichen die erste
+Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle spielen. Hierher
+gehoert vor allem die grosse Reihe der Fruehlingsfeste im April, wo am 15. der
+Tellus, das ist der naehrenden Erde (fordicidia, Opfer der traechtigen Kuh),
+und am 19. der Ceres, das ist der Goettin des sprossenden Wachstums (Cerialia),
+dann am 21. der befruchtenden Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter
+als dem Schuetzer der Reben und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden
+Faesser von der vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der
+Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird
+nach vollendeter Arbeit und gluecklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und
+der Goettin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops
+ein Doppelfest gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21.
+August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen
+der Speicher vor allem offenbar wird (15. Dezember, Consualia; 19. Dezember,
+Opalia), zwischen welchen letzteren beiden Feiertagen die sinnige Anschauung
+der alten Festordner das Fest der Aussaat (Saturnalia von Saëturnus oder
+Saturnus, 17. Dezember), einschaltete. Gleichermassen wird das Most- oder
+Heilefest (meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most
+heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter Lese
+dargebracht, waehrend die urspruengliche Beziehung des dritten Weinfestes
+(Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen weiter am
+Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der Hirten zu Ehren des
+guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest (Terminalia, 23. Februar) der
+Ackerbauer, ferner das zweitaegige sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21.
+Juli) das den Waldgoettern (Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier
+(Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kuerzesten Tages, der die neue Sonne
+herauffuehrt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember).
+</p>
+
+<p>
+Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das fuer die Hafenstadt Latiums
+sich nicht anders erwarten laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der See
+(Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17. August) und des
+Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in
+diesem Goetterkreis nur vertreten durch den Gott des Feuers und der
+Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag
+(Volcanalia, 23. August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium,
+23. Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis
+(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die Goettin der
+Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als Schuetzerin der Geburten
+verehrt ward.
+</p>
+
+<p>
+Dem haeuslichen und Familienleben ueberhaupt galten das Fest der Goettin des
+Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia,
+9. Juni); das Fest der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das Fest des
+Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), das
+Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige
+Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die buergerlichen
+Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht klaren Festtage der
+Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5.
+Juli), von denen wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das
+Fest der sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch
+dem Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar)
+gewidmet. Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter
+und der Acca Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest (23.
+Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 Das ist allem Anschein nach das urspruengliche Wesen der
+&ldquo;Morgenmutter&rdquo; oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu
+erinnern hat, dass, wie die Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die
+Morgenstunde fuer die Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin
+ist die Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus
+geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt ward,
+spricht dagegen, sie urspruenglich als Hafengoettin zu fassen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Diese Tafel ist vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; und
+wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit Wandel-
+und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, in dem,
+was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in eine sonst
+fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der
+altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits erfolgt, als diese
+Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch
+stand der kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen
+Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet;
+noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss
+des roemischen, sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen
+Epoche, wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war
+allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, vorwiegend
+gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind
+niederwerfende goettliche Vorfechter der Buergerschaft - natuerlich in der Art,
+dass eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass und ihn fuer den staerksten
+und heiligsten unter allen achtete, demnach auch jeder zu neuer
+Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz seines eigenen
+Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst goetterlosen - roemischen
+Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den saemtlichen uebrigen latinischen und
+sabellischen der erste Monat geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die
+sonst ebenfalls keiner Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius
+seit uralter Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen
+Specht knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige
+Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, und was
+von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen vermocht hat, geht
+ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen Doppelgaenger, den
+Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings der Vater Diovis, eine
+reinere und mehr buergerliche als kriegerische Widerspiegelung des Wesens der
+roemischen Gemeinde, einen groesseren Raum ein als der Mars, ebenso wie der
+Priester des Jupiter an Rang den beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht;
+aber eine sehr hervorragende Rolle spielt doch auch der letztere in demselben,
+und es ist sogar ganz glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt
+wurde, Jovis neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der
+wahrhafte Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen
+Gemeinde auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war,
+wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte
+&ldquo;Sorgenbrecher&rdquo;, sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt
+des herzerfreuenden Weines.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^2 Aus Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich durch
+verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in ŏ (aehnlich
+wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in der Doppelform Mar-Mor
+(vgl. Ma-mŭrius) neben Mar-Mar und Ma-Mers.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die roemischen Gottheiten im
+einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren
+eigentuemlichen, zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben.
+Abstraktion und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der
+hellenischen Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer
+Naturerscheinung oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen
+jede Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen
+als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte Gottheit:
+&ldquo;bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib&rdquo;; dafuer der
+tiefhaftende Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde
+unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott
+bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen hinueberlocke. Ein Ueberrest
+dieser maechtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der aeltesten und
+nationalsten italischen Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die
+Abstraktion, die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer
+weiteren Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen der
+Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen Glaubensbilder
+auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und des Begreifens. Wenn
+dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen-
+und Ideenkreis erweitert, so bleibt dem Roemer der Grundgedanke in seiner
+urspruenglichen nackten Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch
+sittlicher Verklaerung, dem goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen
+und geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion
+nichts auch nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich
+waere. Sie weiss wohl auch von einem &ldquo;schlimmen Gott&rdquo; (Ve-diovis),
+von Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten der
+boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des Diebstahls
+(laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das Menschenherz doch
+auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit
+dem Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen in der Natur und dem Menschen,
+welches der Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen
+soll. Es gab in der roemischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen
+der Stadtgoetter, der Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war
+jedem offenbar.
+</p>
+
+<p>
+Die nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die wichtigen
+Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie terminologisch
+auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch dem Privatrecht zu
+Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen - zu klassifizieren, um
+darnach die Goetter und Goetterreihen selber richtig anzurufen und ihre
+richtige Anrufung der Menge zu weisen (indigitare). In solchen aeusserlich
+abgezogenen Begriffen von der einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb
+laecherlichen Schlichtheit ging die roemische Theologie wesentlich auf;
+Vorstellungen wie Saat (saëturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und
+Grenzstein (terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen
+Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen
+Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich italisches
+Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und doch liegt in ihm
+eben nichts als die fuer die aengstliche roemische Religiositaet bezeichnende
+Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns zunaechst der &ldquo;Geist der
+Eroeffnung&rdquo; anzurufen sei, und vor allem das tiefe Gefuehl davon, dass es
+ebenso unerlaesslich war, die roemischen Goetterbegriffe in Reihen
+zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren Goetter der Hellenen notwendig jeder
+fuer sich standen ^3. Vielleicht der innigste unter allen roemischen ist der
+Kult der in und ueber dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im
+oeffentlichen Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der
+der Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen
+Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der Familienmahlzeit
+ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu verrichten noch zu des
+aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters erstes Geschaeft war. Aber in
+der Rangordnung der Goetter nahmen diese Haus- und Feldgeister eher den letzten
+als den ersten Platz ein; es war, wie es bei einer auf Idealisierung
+verzichtenden Religion nicht anders sein konnte, nicht die weiteste und
+allgemeinste, sondern die einfachste und individuellste Abstraktion, in der das
+fromme Herz die meiste Nahrung fand.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Dass Tor und Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und
+er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch vor
+dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn
+unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der nach
+zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten hin sich
+oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf man um so weniger
+aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat urspruenglich der elfte, nicht
+der erste ist; vielmehr scheint dieser Monat seinen Namen davon zu fuehren,
+dass in dieser Zeit nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der
+Feldarbeiten wieder von vorn beginnt. Dass uebrigens, namentlich seit der
+Januarius an der Spitze des Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den
+Bereich des Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die
+praktische und utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der
+oben eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und
+Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel - das
+ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu recht wohl,
+dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- und Gluecksgoettin
+(fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle aus dem taeglichen Verkehr
+hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch schon
+sehr frueh weit und breit von den Roemern verehrt auftreten. Strenge
+Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische Spekulation waren zu tief im roemischen
+Wesen begruendet, um nicht auch dessen goettliches Abbild bis in den innersten
+Kern zu durchdringen.
+</p>
+
+<p>
+Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der
+sterblichen Menschen, die &ldquo;Guten&rdquo; (manes) lebten schattenhaft
+weiter, gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von
+den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen der Tiefe
+und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den auf der Erde
+waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der griechische
+Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und schlecht die
+Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz unroemische
+Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa, der aelteste und
+ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in Rom nie als Gott verehrt
+worden wie Theseus in Athen.
+</p>
+
+<p>
+Die aeltesten Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf
+Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der &ldquo;Zuender des
+Mars&rdquo; (flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt
+ward, und die zwoelf &ldquo;Springer&rdquo; (salii), eine Schar junger Leute,
+die im Maerz den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass
+die Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung des
+roemischen Mars und damit die Einfuehrung eines zweiten Marspriesters - des
+flamen Quirinalis - und einer zweiten Taenzergilde - der salii collini -
+herbeifuehrte, ist bereits frueher auseinandergesetzt worden.
+</p>
+
+<p>
+Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach weit ueber
+Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, fuer welche entweder
+Einzelpriester angestellt waren -solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des
+Volcanus, des Hafen- und des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen
+Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine
+derartige Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf
+&ldquo;Ackerbrueder&rdquo; (fratres arvales), welche die &ldquo;schaffende
+Goettin&rdquo; (dea dia) im Mai anriefen fuer das Gedeihen der Saaten; obwohl
+es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in dieser Epoche dasjenige
+besondere Ansehen genoss, welches wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden.
+Ihnen schloss die titische Bruederschaft sich an, die den Sonderkult der
+roemischen Sabiner zu bewahren und zu besorgen hatte, sowie die fuer die Herde
+der dreissig Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales).
+Das schon erwaehnte &ldquo;Wolfsfest&rdquo; (lupercalia) wurde fuer die
+Beschirmung der Herden dem &ldquo;guenstigen Gotte&rdquo; (faunus) von dem
+Quinctiergeschlecht und den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen
+Fabiern im Monat Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die
+&ldquo;Woelfe&rdquo; (luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen
+und wen sie trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern
+gentilizischen Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten.
+</p>
+
+<p>
+Zu diesem aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich
+neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf die
+neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam zum zweitenmal
+gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste beste Jovis vom
+Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes, an die Spitze der
+gesamten roemischen Goetterschaft, und sein fortan bestellter Zuender, der
+Flamen Dialis, bildet mit den beiden Marspriestern die heilige
+oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen
+Stadtherdes - der Vesta - und der dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs
+keusche Jungfrauen versahen, gleichsam als die Haustoechter des roemischen
+Volkes, jenen frommen Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes
+den Buergern zum Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es
+war dieser haeuslich-oeffentliche Gottesdienst der heiligste aller roemischen,
+wie er denn auch von allem Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen
+Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen als der
+Repraesentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben darum eine
+besondere roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt; und zahlreichen
+anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die Gemeinde sich in bestimmter
+Weise durch allgemeine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte
+stellvertretende Priesterschaften zu huldigen, wobei sie einzelnen - zum
+Beispiel der Blumen (Flora) und der Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen
+eigenen Zuender bestellte, sodass deren zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber
+sorgfaeltig unterschied man unter ihnen jene drei &ldquo;grossen Zuender&rdquo;
+(flamines maiores), die bis in die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern
+genommen werden konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der
+palatinischen und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen
+Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden
+Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften oder
+staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur Deckung der
+vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den einzelnen Tempeln
+gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen.
+</p>
+
+<p>
+Dass der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der
+sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht zu
+bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und Vestalinnen
+nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische Institutionen gewesen
+und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen in den stammverwandten
+Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster gebildet zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis des Staats, so auch der
+einzelne Buerger innerhalb seines individuellen Kreises aehnliche Anordnungen
+treffen und seinen Goettern nicht bloss Opfer darbringen, sondern auch Staetten
+und Diener ihnen weihen.
+</p>
+
+<p>
+Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an
+den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. Jeder
+Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde natuerlich
+durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio und die Ritterschaft
+durch ihre Obristen; und keine priesterliche Vermittlung durfte das
+urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken oder verdunkeln. Allein es
+ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine
+eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verstaendlich ist; wer es
+aber recht versteht, der weiss den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln,
+sondern auch zu lenken, sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen.
+Darum ist es natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige
+Leute zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen
+Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus national-italische
+Institution, die auf die politische Entwicklung weit bedeutender eingewirkt hat
+als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft
+verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die
+Verehrung einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die
+Bewahrung der Tradition fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen
+Verrichtungen, deren richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und
+fuer deren treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese
+geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden
+Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und
+Wissenschaften geworden. In der roemischen und ueberhaupt der latinischen
+Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien urspruenglich nur zwei: das der
+Augurn und das der Pontifices ^4. Die sechs &ldquo;Voegelfuehrer&rdquo;
+(augures) verstanden die Sprache der Goetter aus dem Flug der Voegel zu deuten,
+welche Auslegungskunst sehr ernstlich betrieben und in ein gleichsam
+wissenschaftliches System gebracht ward. Die sechs &ldquo;Brueckenbauer&rdquo;
+(pontifices) fuehrten ihren Namen von dem ebenso heiligen wie politisch
+wichtigen Geschaeft, den Bau und das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es
+waren die roemischen Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen
+verstanden; woher ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu
+fuehren, dem Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu
+sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage
+vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den ganzen
+Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe, Testament und
+Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte Geschaeft nicht gegen das
+goettliche Recht irgendwie verstosse, und ging von ihnen die Feststellung und
+Bekanntmachung der allgemeinen exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter
+dem Namen der Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller
+Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die allgemeine
+Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was damit zusammenhing - und
+was hing nicht damit zusammen? Sie selbst bezeichneten als den Inbegriff ihres
+Wissens &ldquo;die Kunde goettlicher und menschlicher Dinge&rdquo;. In der Tat
+sind die Anfaenge der geistlichen und weltlichen Rechtswissenschaft wie die der
+Geschichtsaufzeichnung aus dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen.
+Denn wie alle Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch
+anknuepft, musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach
+der Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung
+nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell werden,
+das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein Gutachten zu geben
+allein kompetent war.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen
+Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen (z. B.
+Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der pater patratus
+der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen Kollegien aber nicht.
+Jene also stehen auf einer Linie mit der Zehnkurienverfassung, den Flamines,
+Saliern, Luperkern als aeltestes latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn
+sacris faciundis und die anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die
+Servianischen Tribus und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom
+beschraenkt geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der
+Pontifices, ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein
+latinische Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen
+eingedrungen, oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich
+hat, pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer.
+</p>
+
+<p>
+Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn schwanken. Dass
+die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt Cicero (leg. agr. 2, 35,
+96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht dies, sondern nur, dass die Zahl
+der roemischen Augurn durch drei teilbar sein und insofern auf eine ungerade
+Grundzahl zurueckgehen muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum
+Ogulnischen Gesetz sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14),
+indem er Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die Zahl
+der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Gewissermassen laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten
+Genossenschaften geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig
+Staatsboten (fētiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als
+lebendiges Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden
+durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des vertragenen
+Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den Suehneversuch und die
+Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus fuer das Voelkerrecht, was die
+Pontifices fuer das Goetterrecht, und hatten daher auch wie diese die Befugnis,
+Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie wichtige und
+umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am
+wenigsten bei den am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern
+sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht unmittelbar zu
+erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen hatten. So steht auch der
+vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem Koenig nach, sondern er darf
+ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob
+und wann er die Voegel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und
+verdolmetscht ihm, wenn es noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso
+kann der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht
+anders eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit
+unerbittlicher Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem
+Grundsatz, dass in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu
+verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Buerger
+dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung
+beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in
+untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkraeften; sie bewegt
+sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der Freude, in Liedern und
+Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem aber in Schmaeusen. Wie ueberall
+bei den ackerbauenden, regelmaessig von Vegetabilien sich naehrenden
+Voelkerschaften war auch in Italien das Viehschlachten zugleich Hausfest und
+Gottesdienst; das Schwein ist den Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur
+darum, weil es der gewoehnliche Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie
+alle Ueberschwenglichkeit des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen
+zuwider. Die Sparsamkeit gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten
+Zuege des aeltesten latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie
+wird durch die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit
+eiserner Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von
+solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben. Wohl
+liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und irdische Strafe
+auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein Verbrechen gegen die Gottheit,
+diese als deren Suehnung aufzufassen, im innersten Wesen auch der latinischen
+Religion. Die Hinrichtung des zum Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein
+der Gottheit dargebrachtes Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene
+Toetung des Feindes; der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am
+Galgen wie der boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten
+Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet
+hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf einen bestimmten
+Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versoehnen, wer sich freiwillig
+hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich schliessen,
+halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein braver Buerger sich
+als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde stuerzt. Auf aehnlicher
+Anschauung beruht der heilige Lenz, indem den Goettern dargebracht wird, was
+der bestimmte Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden laesst. Will man
+dies Menschenopfer nennen, so gehoert solches freilich zum Kern des latinischen
+Glaubens; aber man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in die Ferne
+irgend zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich
+beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht ueberwiesen
+ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt. Menschenopfer anderer
+Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und beruhen wenigstens
+bei den indogermanischen Staemmen ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer
+Ausartung und Verwilderung. Bei den Roemern haben sie nie Eingang gefunden;
+kaum dass einmal in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung
+ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von Gespensterglauben,
+Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den Roemern verhaeltnismaessig
+sehr geringe Spuren. Das Orakel- und Prophetentum hat in Italien niemals die
+Bedeutung erlangt wie in Griechenland und nie vermocht, das private und
+oeffentliche Leben ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist
+dafuer auch die latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und
+Trockenheit verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen
+Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor allen
+Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer Zwecke; wie
+denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine Richtung auf das
+Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben wird und nicht minder
+scharf noch in dem heutigen Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die Goetter
+stehen dem Menschen voellig gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder
+von ihnen hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und
+Leistungen, und da die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente
+des irdischen Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines
+jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine muehsame
+und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen auch nur sich
+bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen Rechtes kundigen und
+dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu ungemeinem Einfluss gelangen.
+Denn der rechtliche Mann erfuellt die Vorschriften des heiligen Rituals mit
+derselben kaufmaennischen Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen
+Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es
+seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein:
+das Geluebde ist der Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen
+dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine
+gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein
+Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte
+Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der Menschen alle
+Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der roemische Kaufmann, seiner
+konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag bloss dem Buchstaben
+nach zu erfuellen befugt ist, so ward auch, wie die roemischen Theologen
+lehren, im Verkehr mit den Goettern das Abbild statt der Sache gegeben und
+genommen. Dem Herrn des Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe
+dar, um auf deren statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem
+Vater Tiberis wurden zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer
+jaehrlich dreissig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfen ^5. Die
+Ideen goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind hier ununterscheidbar gemischt
+mit der frommen Schlauigkeit, welche es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch
+scheinhafte Befriedigung zu beruecken und abzufinden. So ist die roemische
+Gottesfurcht wohl von gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber
+keineswegs jenes Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen
+Gottheit, das den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde
+liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von
+demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten, aber sehr
+genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist einleuchtend, dass
+eine solche Religion die kuenstlerische und die spekulative Auffassung viel
+mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet war. Indem der Grieche die naiven
+Gedanken der Urzeit mit menschlichem Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese
+Goetterideen nicht bloss die Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst,
+sondern sie erlangten auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die
+tiefste Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller
+Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu
+kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen
+Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die griechische
+Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen, die ganze ideale
+Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit dem wachsenden Inhalt in Tiefe
+und Weite sich auszudehnen, bevor die Phantasie und die Spekulation das
+Gefaess, das sie gehegt hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die
+Verkoerperung der Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der
+Kuenstler noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die
+latinische Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der
+Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer irdischen
+Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild seine Staette
+(templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von Menschenhand gemacht, schienen
+die geistigen Vorstellungen nur zu trueben und zu befangen. Darum war der
+urspruengliche roemische Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und
+wenngleich auch in Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in
+frueher Zeit der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut
+ward, so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas
+zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit Ausnahme etwa
+des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein ihr eigentuemliches
+Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete ueber die nach Puppen und
+Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller zeugenden Kraft in der
+roemischen Religion ist gleichfalls die letzte Ursache, warum die roemische
+Poesie und noch mehr die roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und
+blieben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Hierin konnte nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer
+finden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der
+praktische Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs,
+war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes, formuliertes
+Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen Bevormundung des
+Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die Stelle der
+Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht
+der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der
+ersteren Art gehoerte ausser der religioesen Einschaerfung der Heiligung des
+Feiertags und eines kunstmaessigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten
+kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen
+Ruecksichten zusammenhaengende Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den
+Roemern ungemein frueh, weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte
+Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens
+voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist.
+Man wird es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion
+diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch
+war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den
+verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater oder den
+Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast oder den zugewandten
+Mann die Treupflicht verletzte; wenn der ungerechte Nachbar den Grenzstein
+verrueckte oder der Dieb sich bei naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden
+anvertrauten Halmfrucht vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf
+dem Haupt des Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei
+gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist nur
+ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in Rom waehrend des
+staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen Buerger oder gar dem
+voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung solchen goettlichen Fluches
+zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem goettlichen Strafgericht anheim
+gefallen, nicht der menschlichen Willkuer, und schon der fromme Volksglaube,
+auf dem dieser Bannfluch fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige
+Naturen Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht;
+vielmehr ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und,
+nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach seiner
+gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den Gebannten der
+verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten (supplicium) und also
+die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen
+geringerer Art, so tritt an die Stelle der Toetung des Schuldigen die Loesung
+durch Darbringung eines Opfertiers oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze
+Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung.
+</p>
+
+<p>
+Weitere Leistungen aber als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung und
+Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich viel
+hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion nicht
+bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale Einigung,
+soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und Goetterfeste, um
+Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die Musen, bewegt sich alles,
+was im hellenischen Leben gross, und alles, was darin nationales Gemeingut ist.
+Und dennoch knuepfen eben hier auch Latiums Vorzuege vor Hellas an. Die
+latinische Religion, herabgedrueckt wie sie ist auf das Mass der gewoehnlichen
+Anschauung, ist jedem vollkommen verstaendlich und allen insgemein zugaenglich;
+und darum bewahrte die roemische Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit,
+waehrend Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des Denkens der Besten stand,
+von fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie
+gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere urspruenglich
+hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur der oberflaechlichen
+Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich taeuscht, weil er klar ist,
+kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach erscheinen. Dieser innige Glaube
+verschwindet freilich im Laufe der Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor
+der hoeher steigenden Sonne und auch die latinische Religion ist also
+spaeterhin verdorrt; aber laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die
+naive Glaeubigkeit sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie
+die Farben die Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind
+Kunst und Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer
+des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die
+Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz auch der
+naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter vergeblich sich
+bemueht zu erringen. Eben die gewaltige geistige Entwicklung der Hellenen,
+welche jene immer unvollkommene religioese und literarische Einheit erschuf,
+machte es ihnen unmoeglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie
+buessten damit die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die
+Verschmelzbarkeit ein, welche die Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es
+waere darum wohl an der Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften
+Geschichtsbetrachtung, welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die
+Roemer nur auf Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die
+Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen Organismen,
+die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es
+zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit
+bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der Verschiedenheit beider Nationen
+liegt ohne Zweifel darin, dass Latium nicht, wohl aber Hellas in seiner
+Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich
+allein war gross genug, weder das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das
+Wunder der christlichen Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die
+Geschichte da erzeugt, wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen
+Boden sich eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein
+humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der
+nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren und von
+beiden zu lernen.
+</p>
+
+<p>
+Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und ungehemmten
+durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem nationalen Charakter keinen
+Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem
+Auslande heruebergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts
+an einzelne Fremde den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von
+alters her mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich;
+bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern und
+Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist bereits
+gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt worden sind,
+ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von
+lascivus), und die Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare),
+welche man wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach
+sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden
+Fall, und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr
+wissen, dass frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der
+griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass gaben die
+griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter beschraenkte sich im
+ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch
+das - wie es scheint, urspruenglich italische - Werfen der Lose ^6; waehrend
+seit sehr alter Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten
+empfangenen Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche
+erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar frueh
+bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin Apollons, der
+kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der griechischen
+Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in
+fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range
+nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis)
+bestellt, auch fuer dasselbe zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von
+Gemeinde wegen angeschafft; diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften
+Faellen an, wenn es, um ein drohendes Unheil abzuwenden, eines
+gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man doch nicht wusste, welchem Gott und
+wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten
+schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber
+diesen Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen
+Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte italische
+Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon Aperta, der
+Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen Apellon, deren
+Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische Herakles ist frueh als
+Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und dort in eigentuemlicher
+Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns
+und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn
+der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des
+errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt
+dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der
+kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar
+geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem
+alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung
+des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, mit
+einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens verehrt und in den
+Gassen der Staedte wie an den Landstrassen standen ueberall seine Altaere. Die
+Schiffergoetter ferner, Kastor und Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der
+Gott des Handels, Hermes, der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios
+oder Aesculapius, wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren
+oeffentliche Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der
+&ldquo;guten Goettin&rdquo; (bona dea) damium, entsprechend dem griechischen
+δάμιον oder δήμιον, mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen.
+Auf alter Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer
+spaeter als &ldquo;Vater Befreier&rdquo; gefasst ward und mit dem Weingott der
+Griechen, dem &ldquo;Loeser&rdquo; (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der
+roemische Gott der Tiefe der &ldquo;Reichtumspender&rdquo; (Pluton - Dis pater)
+hiess, dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch
+Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst
+Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die
+aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen Ionier, der
+ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war das Schnitzbild in dem
+roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus gefertigt. Nur auf diesem Wege,
+durch die frueh mit orientalischen Vorstellungen durchdrungenen apollinischen,
+dionysischen, plutonischen, herakleischen und Artemismythen, hat in dieser
+Epoche die aramaeische Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf
+Italien geuebt. Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen
+Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst
+Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte
+Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die
+Runen erinnert.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer
+Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage
+von den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im
+grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung des
+Volkes, bei dem wir sie finden.
+</p>
+
+<p>
+Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu
+schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die
+latinische mit lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von
+der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen
+Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie
+gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau
+war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die
+Titier schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn. Ueberall, wo
+wir vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der
+Goetter als Abstraktion des Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden
+Staemmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus
+diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den
+charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen.
+</p>
+
+<p>
+Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns gekommen sind,
+redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine duestere und dennoch
+langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feierliche
+Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet.
+Wir kennen zwar den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher
+Vollstaendigkeit und Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere
+Gruebelei auch manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die
+duesteren und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich
+entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat
+nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik
+und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des
+etruskischen Volkes begruendet.
+</p>
+
+<p>
+Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen
+Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt
+treten unter den etruskischen Goettern die boesen und schadenfrohen in den
+Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der
+Gefangenen einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer,
+in Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe
+friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen &ldquo;guten Geister&rdquo;, wie
+die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die
+armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von
+dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit Fluegeln und
+einem grossen Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in Rom bei den
+Kampfspielen verwandte, um den Mann zu kostuemieren, der die Leichen der
+Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der
+Schatten die Pein verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach
+gewissen geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen
+Goetter. Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die
+Etrusker frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie
+denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der
+etruskischen Weisheit spielen.
+</p>
+
+<p>
+Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen und
+Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter;
+allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im
+allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im
+Laufe der Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie
+zum Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man
+suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt
+schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit
+nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der
+Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne heraus, und je
+seltsamer die Goettersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto
+sicherer gab er an, was er verkuende und wie man das Unheil etwa abwenden
+koenne. So entstanden die Blitzlehre, die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle
+ausgesponnen mit der ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden
+Verstandes, vor allem die Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit
+grauen Haaren, der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden,
+Tages genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und
+altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -, also Tages
+hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich gestorben. Seine
+Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze zu schleudern pflegten;
+wie man am Quartier des Himmels und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes
+erkenne; ob der Blitz einen dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes
+Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder
+durch Kunst sich verschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den
+eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und
+dergleichen wundersame Kuenste mehr, denen man gelegentlich die
+Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen
+widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie
+ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den
+Roemern wohl noch die einheimischen und die griechischen Orakel.
+</p>
+
+<p>
+Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als sie von
+dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten
+Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt mit ihren
+Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische Jupiter selber
+befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie entstanden ist, so auch
+wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die
+Saecula sind. Ueber den geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und
+Philosophie einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch
+ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen
+gewesen zu sein.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap13"></a>KAPITEL XIII.<br/>
+Ackerbau, Gewerbe und Verkehr</h2>
+
+<p>
+Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der
+aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf
+dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht werden,
+anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, namentlich die
+roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend zu schildern.
+</p>
+
+<p>
+Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der Einwanderung
+der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt. Der Feldbau blieb der
+Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen
+nicht minder als der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien
+in geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme ueberall,
+je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem Masse, neben dem
+Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es empfand, dass jedes
+Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene Sitte, die Anlage neuer
+Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der kuenftige Mauerring sich
+erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom,
+ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit
+sprechen laesst, nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der
+Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit der
+Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die
+Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil des roemischen
+Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war und also die Rechte
+und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der Ansaessigkeit ruhten,
+beseitigte die reformierte Verfassung dies Missverhaeltnis und die daraus
+drohenden Gefahren nicht bloss fuer einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem
+sie die Gemeindeglieder ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer
+allemal nach der Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht
+auf die Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf der
+Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik
+der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf die Ansaessigkeit; wie im
+Staat der ansaessige Mann allein galt, so hatte der Krieg den Zweck, die Zahl
+der ansaessigen Gemeindeglieder zu vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward
+entweder genoetigt, ganz in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn
+es zu diesem Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution
+oder fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich
+eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische Bauernhoefe
+entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die Roemer; aber keines
+hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also im Schweisse seines
+Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze gewonnen hatte, mit der
+Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg
+wieder entreissen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflueger macht; wenn
+die Roemer viele Schlachten verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen
+Boden abgetreten haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern
+an ihrem Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des
+Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und
+unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die geschlossene
+Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft.
+</p>
+
+<p>
+Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den
+einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag unter die
+einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt ward, ist bereits
+angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und Geschlechtergemeinde innerlich
+zusammenhaengen und auch spaeterhin in Rom noch das Zusammenwohnen und
+Wirtschaften der Mitbesitzer sehr haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische
+Rechtsueberlieferung weiss noch zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in
+Vieh und Bodenbenutzung bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu
+Sondereigentum aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die
+aelteste Bezeichnung des Vermoegens als &ldquo;Viehstand&rdquo; (pecunia) oder
+&ldquo;Sklaven- und Viehstand&rdquo; (familia pecuniaque) und des Sonderguts
+der Hauskinder und Sklaven als &ldquo;Schaefchen&rdquo; (peculium); ferner die
+aelteste Form des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur
+fuer bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass des
+&ldquo;Eigenlandes&rdquo; (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder
+preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann ^3. Wann
+und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, laesst sich nicht
+mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest, dass die aelteste
+Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als Surrogat dafuer die
+Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die Servianische den aufgeteilten
+Acker voraussetzt. Aus derselben Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse
+des Grundbesitzes aus mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu
+tun und zu leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des
+Pfluges gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe
+ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt ward,
+schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten
+Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die
+Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie bei den
+Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes in jedem
+wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet worden, so wuerde
+doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von zerstueckelten Hufen ausgehen.
+Allein es ist vielmehr das Gegenteil der Fall; die Individualnamen der
+roemischen Hufen (fundus Cornelianus) zeigen deutlich, dass der aelteste
+roemische Individualgrundbesitz faktisch geschlossen war.
+</p>
+
+<p>
+^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur Zeit des
+Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et
+locupletes vocabantur. - (Numa) primum agros, quos bello Romulus ceperat,
+divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig
+Kuriendistrikte teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest
+einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16).
+</p>
+
+<p>
+^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die
+Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der
+Kaiserzeit rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf
+roemische Scheffel Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines
+Heredium ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es
+lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht nimmt,
+50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer
+arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen.
+Die Frage, ob eine roemische Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht,
+mag danach sich jeder selber beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt
+sich darauf, dass der Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie
+Bauer der aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die
+Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl richtig,
+aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die Nebennutzungen,
+welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch,
+Fleisch (besonders durch die alte und intensive Schweinezucht) und dergleichen
+abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit in Anschlag zu bringen; aber die
+aeltere roemische Weidewirtschaft war, wenn auch nicht unbedeutend, so doch von
+untergeordneter Bedeutung und die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das
+Getreide. Man mag ferner wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer
+sehr ansehnlichen Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen - und ohne
+Frage haben die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag
+abgewonnen, als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit
+ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um
+Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch mit grossem
+Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des zehnten Korns statt
+des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und sie genuegt doch weitaus
+nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme Defizit, welches auch nach diesen
+Ansaetzen zwischen dem Ertrag des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens
+bleibt, durch blosse Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der
+Gegenbeweis erst dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle
+landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer
+ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag eines
+Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die Ernaehrung
+einer Familie ausreichend herausstellt.
+</p>
+
+<p>
+Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen
+mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der Art
+(Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen Gelehrten,
+gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente zu gebrauchen,
+sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail zuverlaessigen Ueberlieferung
+gezaehlt werden und unterliegt auch noch anderen sehr ernsten Bedenken. Das
+allerdings ist richtig, dass bei der nichtkolonialen Ackeranweisung an die
+gesamte Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben
+worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den
+Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den
+bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I,
+p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine
+Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums
+ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger
+bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von
+sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn
+war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese
+fleissig gezogen.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis
+zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben
+koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust. 1, 44,
+1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen zehn Scheffel
+Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, woraus denn gefolgert
+wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, doch einen betraechtlich
+hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. Es ist aber vielmehr das Umgekehrte
+richtig und jene nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus
+dem Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den
+Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das
+Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch
+heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert nach
+Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen aber geringeren.
+Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. Hanssen mitteilt, rechnet man dort
+als Durchschnittsertrag fuer den wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer
+Aussaat von ¼-½ Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (=
+825 Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von ½-1½ Scheffel) mindestens sieben
+Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die
+Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der Spelt,
+verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei gleich gutem
+Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht nach aber vor der
+Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung (als Kern&rdquo;) weniger
+als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet worden ist, sondern weil es
+zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und
+gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf
+Weizen gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht
+wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist
+genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als
+der Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht
+unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren
+Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend von
+Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der
+Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden
+ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei vorschreitender
+Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige
+Uebergang der italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein
+Fortschritt gewesen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach
+Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende
+Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt und diese dem
+Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen entlehnten Weingott,
+dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig
+Mezentius von Caere von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert,
+wenn als die Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu
+ueberschreiten, in einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten
+italischen Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und
+vor allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz
+der Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh und
+allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige Rebenzucht
+hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste Priester der
+Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst damit begonnen hatte;
+in gleicher Weise verbot eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen
+Weines, bevor der Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso
+gehoert hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das
+Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte
+Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen
+Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das
+nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten
+Getreides untersagten.
+</p>
+
+<p>
+Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien gekommen
+^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der Stadt am
+westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; es stimmt dazu, dass der Oelzweig
+und die Olive im roemischen Ritual eine weit untergeordnetere Rolle spielen als
+der Saft der Rebe. Wie wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt,
+beweisen der Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit
+des Curtischen Teiches gepflanzt wurden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^5 Oleum, oliva sind aus έλαιον, έλαια, amurca (Φlhefe) aus αμόργη entstanden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in
+Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren
+ebenfalls mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die
+roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen
+ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in
+allen guten Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21,
+interpoliert.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt
+die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen
+Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit verwandt
+worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, auch die Kuh;
+zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. Eine selbstaendige
+Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand wenigstens
+auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr
+beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die
+gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders
+Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und wieder zu
+pfluegen - der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so
+dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb
+war mehr intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene
+Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige
+Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die
+geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener
+war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle
+ueberkommene Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen der
+Landwirtschaft, wie zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und das
+Berieselungssystem der Wiesen, moegen schon frueh von den Nachbarvoelkern
+uebernommen oder selbstaendig entwickelt worden sein; begann doch die roemische
+Literatur selbst mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen
+und verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die
+Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch
+Pausen der Erholung und der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden
+achten Tag (nonae), also durchschnittlich viermal im Monat, geht der Bauer in
+die Stadt, um zu verkaufen und zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu
+besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und
+vor allem der Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae);
+waehrend dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es
+ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der
+Stier.
+</p>
+
+<p>
+In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in aeltester
+Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen
+anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten
+Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu
+lassen. Den Frauen war ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich
+entzogen, und wenn sie sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen
+Geschlechtsgenossen zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten.
+Der Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch,
+dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an
+der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger verordnete,
+teils durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs fuehrende
+Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, wie die Folge
+zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr unvollkommen. Die freie
+Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich unbeschraenkt. So wuenschenswert es
+auch sein mochte, dass die Miterben im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben,
+so sorgte doch schon das aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen
+Gemeinschaft zu jeder Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn
+Brueder friedlich zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen
+Geiste des roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn
+auch, dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern
+nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. Die
+Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der Gewohnheit
+und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass man sich hierin
+nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind,
+beweist schon die allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden
+Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch
+die Ausfuehrung von Kolonien, welche regelmaessig die Gruendung einer Anzahl
+neuer Vollhufen, und haeufig wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als
+Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte.
+Bei weitem schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes
+zu erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist
+nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert
+sich auch leicht teils aus der Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der
+notwendig ungleichen Kopfzahl der in den einzelnen Geschlechtern daran
+Teilnehmenden von selbst einen Stand von groesseren Grundbesitzern ins Leben
+rufen musste, teils aus der Menge der in Rom zusammenstroemenden
+kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt
+auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann
+fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition,
+wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an
+geringe Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird
+urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er nicht
+selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in kleinen
+Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies noch
+jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder
+Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein
+Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des
+&ldquo;Bittbesitzes&rdquo; (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt
+diesen, solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel,
+um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte dieser ihn
+jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des Bodennutzers an den
+Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht notwendig; ohne Zweifel aber fand
+sie haeufig statt und mag wohl in der Regel in der Abgabe eines Teils vom
+Fruchtertrag bestanden haben, wo dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich
+naehert, immer aber von ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines
+festen Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und
+den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten
+Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein
+Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, religioes
+geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch nicht. Das
+durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte ohne Zweifel im
+letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch
+keineswegs erst durch die Aufhebung der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie
+nach dieser der einzelne, konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner
+Mark abhaengigen Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen,
+dass die roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der
+Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu Schutz
+und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen Gutswirtschaft
+erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern in Rom ein Land-, kein
+Stadtadel hervorging. Da die verderbliche Institution der Mittelmaenner den
+Roemern fremd blieb, fand sich der roemische Gutsherr nicht viel weniger an den
+Grundbesitz gefesselt als der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu
+und griff selber ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob,
+ein guter Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte
+er nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend der
+heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde durch diese
+Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der Vornehmen zu den
+Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert.
+Die freien Bittpaechter, hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien,
+zugewandten Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des
+Proletariats aus und waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es
+der kleine Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist.
+Die fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem
+weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde Nation
+nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, scheinen Sklaven
+anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden gewesen zu sein und
+infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu
+haben, als in der wir spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in
+der aelteren Epoche die &ldquo;Tageloehner&rdquo; (θήτες) vielfach an der
+Stelle der spaeteren Sklaven und hat in einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei
+den Lokrern, es bis in die historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der
+Knecht aber war doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische,
+sabinische, etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders
+gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er
+als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und
+Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab, lag die
+Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit dem grossen
+Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er keineswegs eine
+offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe vom wesentlichsten Nutzen.
+Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen Familien eine wenn
+auch im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und kleine; sondern es
+erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren
+die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und
+eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische
+Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen konnte; denn
+der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht demjenigen, der kein
+Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die Pflugschar zu fuehren.
+</p>
+
+<p>
+Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der Staat,
+nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der Gemeinweide
+betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu
+anderen Zwecken bestimmten und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem
+Stande gehaltenen Herden benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf
+dieselbe gegen eine maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am
+Gemeindeanger mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum
+Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der einzelnen
+Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide kann in Rom schon
+deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum auch von dem Insassen
+erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem Insassen wohl nur
+ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. In dieser Epoche indes
+scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine
+untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl
+nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich
+unter die Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt
+ward.
+</p>
+
+<p>
+Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben
+aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus der
+fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner, und
+in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs Numa, das heisst unter
+den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen, acht
+Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, der Goldschmiede, der
+Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Faerber, der Toepfer, der
+Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die
+gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die
+Wolle zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde
+Rechnung arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird.
+Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es
+bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit
+der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum
+Beispiel fuer den heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die
+spaeteste Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das
+staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen
+diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen
+sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die Masse der
+fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersklaven und die
+steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen
+Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen
+Streitgott Mamers, sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach
+dem goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche
+Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse
+Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in
+dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und das
+Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und fand sich
+nichts von jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst
+begegnet. Seit indes die Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich
+auf die Ansaessigen legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber
+doch wohl infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom
+Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den
+Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch
+organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies wohl der
+Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und politischen
+Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte hatte ohne Zweifel
+denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen gleichenden
+Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich zusammen, um die
+Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass unkundige Leute in irgendeiner
+Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren
+weder von Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation -
+freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten
+so voellig versiegt wie ueber die Gewerke.
+</p>
+
+<p>
+Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr der
+Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst. Die Messen
+(mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten
+(nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die
+internationalen Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit
+der Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden
+haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten
+diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu
+erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch
+groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche Landesversammlung am
+Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii,
+welche zugleich als Messe diente und auch von roemischen Kaufleuten
+regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste unter allen italischen Messen
+war die, welche am Soracte im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage,
+wie sie nicht guenstiger zu finden war fuer den Warentausch unter den drei
+grossen Nationen. Der hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene
+wie von der Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an
+der Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher
+letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium und
+Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen hier die
+roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten manchen Hader mit den
+Sabinern herbei.
+</p>
+
+<p>
+Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste
+griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier
+halfen bei vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus;
+hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen
+aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste
+Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen;
+sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein
+stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen Gross-
+und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden besonders bei den
+Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, sondern noch darueber
+hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft zurueck ^7. Daneben kam in
+Italien, wo man besonders fuer die Ackerbestellung und die Ruestung allgemein
+des Metalls in ansehnlicher Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst
+die noetigen Metalle erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer
+(aes) auf, wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die
+&ldquo;Kupferung&rdquo; (aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers
+als allgemeinen, auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den
+spaeter noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer
+Erfindung und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses
+aeltesten sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen
+Voelker vorliegen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich
+daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf zu
+zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus p. 237,
+vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn
+nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier,
+wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem
+substituiert hat.
+</p>
+
+<p>
+Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen
+(englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen
+Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz
+unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen geringen und
+unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen
+zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische
+Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung
+ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser
+Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien
+Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch
+in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die
+aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken
+schliessen, die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus
+Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils
+und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn
+natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie
+nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung
+der Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen
+Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag
+dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber und
+Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder
+selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der
+Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen
+sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter
+den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn
+auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste
+in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen
+Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck
+gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung
+ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste in
+aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo
+von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur
+wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch
+griechischen Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass
+die aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen
+sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit
+eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach
+Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen,
+aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster, darunter
+mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder eingeschnitzten
+Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die letzten koennen aus dem
+Norden auf dem Landweg gekommen sein; die uebrigen Gegenstaende aber beweisen
+die Einfuhr von Salben und Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher
+kamen Linnen und Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe
+Gebrauch der linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen
+Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten Lehnnamen
+(λίνον līnum; πορφύρα purpura; σκήπτρον σκίπων scipio, auch wohl ελέφας ebur;
+θύος thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer Anzahl auf Ess- und
+Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die Benennung des Oels (vgl. 1,
+200), der Kruege (αμφορεύς amp[h]ora ampulla; κρατήρ cratera), des Schmausens
+(κωμάζω comissari), des Leckergerichts (οψώνιον opsonium), des Teiges (μάζα
+massa) und verschiedener Kuchennamen (γλυκούς lucuns; πλακούς placenta; τυρούς
+turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina
+πατάνη) und des Specks (arvina αρβίνη) in das sizilische Griechisch Eingang
+gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, kerkyraeisches und
+kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, beweist eben wie diese
+sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach
+Italien. Dass die griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur
+Eingang fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (σκύτος)
+bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich
+gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten
+Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt:
+Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9;
+ferner die griechische Benennung des Briefes (επιστολή epistula), der Marke
+(tessera, von τέσσαρα ^10), der Waage (στατήρ statera) und des Aufgeldes
+(αρραβών arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer
+Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende
+Austausch der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der
+barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor
+allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta
+= πλακούντα; ampora = αμφορέα; statera = στατήρα), ist der klarste Beweis ihres
+hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes (Mercurius) erscheint von
+Haus aus durch griechische Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum
+auf die Iden des Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten
+als den Sohn der schoenen Maia.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen
+und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf. 32),
+welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum Vorschein
+kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist.
+</p>
+
+<p>
+^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies nicht
+bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch antenna kann von
+ανά (anhelare, antestari) und tendere = supertensa herkommen. Dagegen sind
+griechisch gubernare steuern κυβερνάν, ancora Anker άγκυρα, prora Vorderteil
+πρώρα, aplustre Schiffshinterteil άφλαστον, anquina der die Rahen festhaltende
+Strick άγκοινα, nausea Seekrankheit ναυσία. Die alten vier Hauptwinde - aquilo
+der Adlerwind, die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung,
+vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind,
+der Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende
+Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche Namen; alle
+uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch (wie eurus, notus) oder
+aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus = απηλιώτης, Africus = λίψ).
+</p>
+
+<p>
+^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die ξυλήφια κατά φυλακήν
+βραχέα τελέως έχοντα χαρακτήρα (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des
+Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die Vierteilung
+der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; die
+Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf
+die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen Lager eingewirkt haben.
+Die Verwendung der nicht dorischen Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete
+Uebernahme des Wortes.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine
+Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst
+zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als
+seine Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann
+Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im
+Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide.
+</p>
+
+<p>
+Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente
+ist schon frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium
+und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen alle
+hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen Passivhandel
+fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig
+bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der
+uralte Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward;
+dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua
+wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte
+Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium
+vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in
+allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit
+ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden sich in
+Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine Sonderstellung gehabt zu
+haben und mit Falerii und dem suedlichen Etrurien in besonders enger Verbindung
+gewesen zu sein scheint, die latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck
+auslaendischer Herkunft und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer
+Zeit aufweist, vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher
+Rasen die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der Zeit
+nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; Latium hat
+in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst
+die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn nur aeusserst selten haben
+dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In
+Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und
+auf Latium, aber nur dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt
+ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben
+Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; aber
+in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit zurueck
+hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, dass die nach
+griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren auch in Latium,
+namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend
+Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt hat.
+</p>
+
+<p>
+Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner und
+Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten Handel der
+Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas aussprechen als die
+Vermutung, dass er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist.
+Dass die westlichen Etrusker sich dreist in die oestlichen Meere wagten und
+nicht bloss mit Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland
+verkehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss
+die attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so
+zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt,
+wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt die
+tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein gesuchter Artikel
+wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die Silberstuecke von Populonia
+sind nachgepraegt einem uralten, einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten,
+anderseits bloss mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das
+sich in Athen und an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen
+gefunden hat und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons
+Geheiss geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der
+karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die Etrusker mit
+den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; es ist
+beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser einheimischem
+Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren sich gefunden haben,
+welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herruehren koennen,
+wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt
+wurden. Indes darf diesem phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung
+beigelegt und namentlich nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle
+sonstigen Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den
+Griechen, nicht von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind.
+</p>
+
+<p>
+Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir auch
+Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme
+hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind,
+eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. Am
+deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen
+Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische
+weicht nicht unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und
+beide Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu
+anderer Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern
+wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische
+Pultuke sind jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes;
+der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische Ulixes
+gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der
+tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax
+einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der
+samnitische Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische
+Apulu a us Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums ausschliesslich auf
+den Zug des latinischen Handels zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin
+fuehrt jede andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in
+Latium gefundene Muenze von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom
+bei den Volskern, Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie
+begreiflich bei den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des
+latinischen Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische
+Bezeichnung der Silbermuenze νόμος, das sizilische Mass ημίνα als nummus und
+hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die
+italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die
+zur Abmessung des nach dem Gewichte an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium
+aufgekommen sind, in den korrupten und hybriden Formen λίτρα, τριάς, τετράς,
+εζάς, ουγκία schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen
+Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und
+Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in
+ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der
+zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht
+gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent eines
+sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des roemischen
+Pfundes) als Silbermuenze (λίτρα αργυρίου, das ist &ldquo;Kupferpfund in
+Silber&rdquo;) schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus geschlagen ward.
+Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass die italischen Kupferbarren auch
+in Sizilien an Geldes Statt umliefen; und es stimmt dies auf das beste damit
+zusammen, dass der Handel der Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und
+also das latinische Geld nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten
+Verkehrs zwischen Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen
+Benennungen des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den
+sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. Auch
+von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten in
+Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und Massalia
+begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass er indes bei weitem
+weniger intensiv war als der mit den Sikelioten, beweist schon die bekannte
+Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach Latium gelangten griechischen Woerter
+- es genuegt an Aesculapius, Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische
+Formen zeigen. Wenn der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie
+Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern
+auch nur gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben
+erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst der
+Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt hat.
+Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der Latiner mit den
+Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den sizilischen zu belegen,
+hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich ein unmittelbarer Verkehr
+stattgefunden und kann der Verkehr mit den afrikanischen, den Schriftstellen
+und Fundstuecke hinreichend belegen, in seiner Einwirkung auf den Kulturstand
+Latiums doch nur in zweiter Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer
+beweisend, dass - von einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten Verkehr
+der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen
+Zeugnis gebricht ^11.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen oertlichen
+Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar aus dem
+Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in demselben
+vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich arrabo oder arra
+und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst
+Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern
+eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den
+Aramaeern aufzuweisen hat. Dass ελέφας und ebur von dem gleichen phoenikischen
+Original mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes selbstaendig
+gebildet seien, ist sprachlich unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr
+ha ist, auch so nicht verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort
+bis jetzt noch nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte
+thesaurus; mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus
+dem Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie
+schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches
+Lehnwort.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von
+italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so
+hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle Wahrscheinlichkeit
+fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen Bezeichnungen des
+Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen Sprachgebrauch der
+Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten eindringen koennen, dass
+sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer gegen Schmuck einhandelten.
+</p>
+
+<p>
+Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel in
+Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand
+selbstaendig gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund
+dieser auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang
+an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine Annahme,
+die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren
+schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der
+von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von
+Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische Eigenhandel
+musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er allein die Schiffe und
+in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz
+zwischen Land- und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht
+bekannt; die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die
+Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese
+Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung
+zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der
+latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen ward Rom
+keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der
+Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap14"></a>KAPITEL XIV.<br/>
+Mass und Schrift</h2>
+
+<p>
+Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des
+Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst
+ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und
+Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen
+Bahnen zu folgen.
+</p>
+
+<p>
+Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen,
+raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen,
+das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die
+Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des
+Mondes oder Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der
+leichter misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann
+mit ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder
+das &ldquo;Gewicht&rdquo; (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus
+gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren
+fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das
+Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles Zaehlens
+und Messens nicht bloss ueber die Trennung des griechischen und lateinischen
+Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit zurueckreichen. Wie alt namentlich
+die Messung der Zeit nach dem Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise,
+die zwischen den einzelnen Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt
+eingetretenen vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts
+zu zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und Lateiner.
+Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche
+Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt die
+bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den Zahlwoertern
+bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind hier alle aeltesten
+Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genuegt, an die so
+gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, Magistrate, an die
+gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die Teilung des
+Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende Dekuriierung, an die
+Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus
+zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses
+aeltesten Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern.
+Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und
+Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei aeltesten und
+unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I, V oder A, X,
+offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und der
+Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phoenikern entlehnt, dagegen den
+Roemern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze
+zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der
+Regsamkeit des aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen
+Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen
+erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen.
+Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es
+gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 Fuss ins
+Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in
+denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen
+und wahrscheinlich von den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt
+worden sind, die Teilung des &ldquo;Ganzen&rdquo; (as) in zwoelf
+&ldquo;Einheiten&rdquo; (unciae) vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben
+die aeltesten latinischen Priesterschaften, die Kollegien der Salier und
+Arvalen sowie auch die etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl
+herrscht im roemischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass,
+wo der Fuss (pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des
+roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem
+zusammengesetzte &ldquo;Trieb&rdquo; (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. Im
+Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^1 Urspruenglich sind sowohl &ldquo;actus&rdquo; Trieb, wie auch das noch
+haeufiger vorkommende Doppelte davon, &ldquo;iugerum&rdquo;, Joch, wie unser
+&ldquo;Morgen&rdquo; nicht Flaechen-, sondern Arbeitsmasse und bezeichnen
+dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, mit Ruecksicht auf die namentlich
+in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe des Pfluegers.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein
+mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein neben der
+Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden
+werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an
+der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf
+Mondkreislaeufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus
+gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff
+eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste
+duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und
+vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen.
+</p>
+
+<p>
+Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische
+Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber wohl das
+Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das heisst diejenigen
+Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich ist, die Folgen des
+neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste roemische Fuss ist verschollen;
+der, den wir kennen und der in fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war,
+ist aus Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen
+Einteilung in Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und
+sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht in
+ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien
+herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis, dass der
+latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier roemische Pfund
+wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das roemische Pfund gleich
+anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und
+buntscheckigste Bild aber bieten die roemischen Koerpermasse teils in den
+Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach
+μέδιμνος congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung
+(acetabulum von οξύβαφον) entstanden sind, waehrend umgekehrt ξέστης Korruption
+von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die
+gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius oder Chus,
+der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer trockene Waren, die
+roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen Talent gleichgesetzt und
+steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2,
+zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen
+versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung
+jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben.
+</p>
+
+<p>
+Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer
+das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen
+der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer
+100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das
+Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das
+Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische
+im wesentlichen in Etrurien angenommen ward.
+</p>
+
+<p>
+In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische
+Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter
+unter griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die
+Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am
+unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach
+zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt,
+lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden
+auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis in spaete Zeit
+hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an jedem der vier
+Mondphasentage die von da bis zum naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch
+die Priester abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich
+nicht bloss bei den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen,
+welche, wie schon gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts,
+sondern von dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen,
+die bei der mittleren Dauer von 7⅜ Tagen zwischen sieben- und achttaegiger
+Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer
+des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-,
+bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag
+die kleinste, der Mond die groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin
+begann man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der
+Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der
+Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme
+auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und
+die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die
+Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet
+gewesen, da die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und
+den Italikern voellig selbstaendig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker
+schon in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen
+Ordnung, doch zur Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit
+fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der
+Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung
+einer Frist von zehn Monaten als eines &ldquo;Ringes&rdquo; (annus) oder eines
+Jahrganzen traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber
+auch noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der
+griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das
+Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des
+Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher
+zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es
+zusammenhaengen, dass in den Individualnamen der Monate - welche erst
+entstanden sein koennen, seit der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst
+wurde -, namentlich in den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und
+Griechen, aber wohl die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das
+Problem, einen zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen
+Kalender herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels
+vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen es
+vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche, wo die
+Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt haben; indes
+diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen. Was wir von dem
+aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen Staedte wissen - ueber
+die sabellische und etruskische Zeitmessung ist ueberall nichts ueberliefert -,
+beruht entschieden auf der aeltesten griechischen Jahresordnung, die der
+Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und
+aufgebaut war auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29½ Tagen, eines
+Sonnenumlaufs von 12½ Mondmonaten oder 368¾ Tagen und dem stetigen Wechsel der
+vollen oder dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate
+sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch
+willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den wirklichen
+Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass diese griechische
+Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern in Gebrauch gekommen ist;
+die aelteste roemische Jahrform aber, die sich geschichtlich erkennen laesst,
+weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der
+zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der
+Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies
+roemische Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der
+einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius),
+die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen
+(iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis,
+sextilis, september, october, november, december), der elfte vom Anfangen
+(ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der
+Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der
+zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu
+dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein
+namenloser &ldquo;Arbeitsmonat&rdquo; (mercedonius) am Jahresschluss, also
+hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem
+altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in
+der Dauer derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und
+sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden,
+abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten
+Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm
+gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften und
+achten - einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner
+einem in drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und
+einem jedes andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 +
+383 + 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der
+urspruenglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige
+Wochen; er liess die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen
+Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und
+setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein
+fuer allemal das erste Viertel in den einunddreissigtaegigen Monaten auf den
+siebenten, in den neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen
+auf den fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest
+geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der
+zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt zu
+werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae).
+Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen Zeitabschnitts des Monats wurde
+- der roemischen Sitte gemaess, den Zieltag der Frist mit in dieselbe
+einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag (nonae). Der Tag des Vollmonds behielt
+den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das dieser seltsamen
+Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint hauptsaechlich der
+Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und
+wenn er im allgemeinen an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so
+tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in
+Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren
+des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender, so
+deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond- wie mit dem
+Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs
+so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches Vorbild, den
+Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste griechische, nicht anders als
+mittels haeufiger willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den
+Kalender schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat,
+hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der
+Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach
+zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes
+Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des aeltesten
+roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser roemische
+Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen werden koennen. Bei der
+allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere
+Abweichungen in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer
+gemeinschaftlichen Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem
+Kalenderschema, das tatsaechlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht
+zu ihren willkuerlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen,
+wie denn beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen
+schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien
+aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen
+Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere
+untergeordnete Umgestaltungen erfahren.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem
+Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder
+15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45
+Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die
+geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das
+Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen
+wird.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der
+Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige
+Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen ist.
+Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit verbundene
+Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung
+der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes
+infolge der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreissenden
+Unregelmaessigkeit ihre chronologische Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat.
+</p>
+
+<p>
+Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben
+sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den
+italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus
+hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit
+Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden
+koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen
+Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, beweist am besten die
+Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und
+heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu
+Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht;
+und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame
+Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in
+dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann,
+erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn
+auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden
+ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in
+hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten
+aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch
+Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier fuer die
+Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a
+e i o und durch Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der
+Silbe in die Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei
+Euripides sagt:
+</p>
+
+<p>
+Heilmittel also ordnend der Vergessenheit
+</p>
+
+<p>
+Fuegt ich lautlos&rsquo; und lautende in Silben ein
+</p>
+
+<p>
+Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen.
+</p>
+
+<p>
+Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht
+worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die
+Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme
+oder Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten Vermittlungsstaetten des
+internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt
+sein wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das
+aelteste hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren,
+namentlich den Zusatz der drei Buchstaben ξ φ χ und die Abaenderung der Zeichen
+fuer υ γ λ ^3. Auch das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das
+latinische Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus
+dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach Etrurien
+und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das etruskische
+Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und nur ein einfaches k ^4
+und vom r nur die aeltere Form P; das latinische kennt, soviel wir wissen, nur
+ein einziges s, dagegen ein doppeltes k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast
+nur die juengere Form R. Die aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile
+nicht und windet sich wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in
+abgesetzten Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt,
+soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in
+gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach rechts
+oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den Roemern in jener,
+bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach Etrurien gebrachte
+Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten Charakters dennoch in eine
+sehr alte, wenn auch nicht positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da
+die beiden Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene
+Laute nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet,
+das nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige
+Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern der
+griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San nebeneinander im
+Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, wie wir es kennen, im
+ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in
+Latium nicht, wie in Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden
+hat, sondern die Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen
+Nachbarn laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht
+hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel,
+dass die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die
+juengeren AA, R und &gt;, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was sich
+nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre griechischen
+Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich des griechischen
+Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem
+verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das
+wir in Rom finden, und dem aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu
+ziehen, dass in Etrurien frueher geschrieben worden ist als in Rom.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin,
+dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem vokalisierten
+und mit dem u vermehrten phoenikischen, die verschiedenartigsten Vorschlaege
+zur Ergaenzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und dass jeder
+dieser Vorschlaege seine eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser
+Vorschlaege, die auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu
+behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden.
+</p>
+
+<p>
+I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute ξ φ χ. Dieser Vorschlag ist so
+alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta
+alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten
+Alphabete unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl
+dahin, die Zeichen Χ ξι, Φ φι, Ψ χι dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in
+dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und
+Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme
+gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des
+Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag
+zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des
+phoenikischen Alphabets (Samech) Ξ im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten
+deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das Φ auch fuer φι, aber das Χ nicht
+fuer ξι sondern fuer χι. Das dritte, urspruenglich fuer χι erfundene Zeichen
+liess man wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man
+es fest, gab ihm aber den Wert ψι. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte
+auch Athen, nur dass hier nicht bloss das ψι, sondern auch das ξι nicht
+angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward.
+</p>
+
+<p>
+II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die
+naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn saemtliche
+uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide
+Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit
+muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen
+Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den Sibilanten,
+wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und
+das achtzehnte (Σ) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren
+vielmehr jenes - und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln,
+in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das
+Zeichen des i durch einfachen Strich І, was bei weitem das Gewoehnlichere war
+und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das
+gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der
+Form M auch neben dem І festhielten.
+</p>
+
+<p>
+III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit Γ γ zu verwechselnden λ Λ durch
+V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth
+abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem γ statt
+der haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben.
+</p>
+
+<p>
+IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer ρ Ρ p p und r
+P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere
+Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen Achaeern
+und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in dem
+eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist
+die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie
+die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter.
+</p>
+
+<p>
+Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist in
+aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln
+des Aegaeischen Meeres.
+</p>
+
+<p>
+Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und
+geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten
+Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen
+Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die
+vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des
+griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle
+Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch fuer
+die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten
+ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets
+unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen
+Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschlaege
+verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme
+geschieden werden sollen, darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X
+als ξ oder als χ in zwei Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23
+und das von 25 oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das
+kleinasiatisch-ionische, aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen
+ist, und das gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es
+haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den
+verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch
+verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben
+insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als sie
+zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften
+die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhaeltnis
+standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwuerdigen
+Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den chalkidischen und dorischen mehr
+kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in jenen sind durchgaengig
+die primitiven Formen festgehalten, in diesen die verbesserten Formen
+angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich
+gewissermassen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen
+Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der
+italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass aber die
+Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide
+unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die
+verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben
+bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen
+ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei
+ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner
+ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als
+dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es
+empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei
+den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen
+Tongefaesses ausschliesslich die juengere Form begegnet.
+</p>
+
+<p>
+^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht
+zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur
+desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen
+Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf
+jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein
+gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann zu
+diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am Schluss
+stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen Wert haben als
+den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte ist und das in dem, die
+Abweichungen .des etruskischen Alphabets von seinem Muster darlegenden
+Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem
+nach Etrurien gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in
+dem chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich
+eine lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet
+zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig werdendes
+Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer
+und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet das achtzehnte phoenikische
+Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im
+Alphabet festgehalten.
+</p>
+
+<p>
+^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887),
+unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer
+Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das raetselhafte
+Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel in den AdI 52, 1880) die
+aeltere Form des r.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die
+Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen
+schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor
+Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische
+Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes
+etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist -
+offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der
+Buchstabenschrift in Etrurien.
+</p>
+
+<p>
+Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte
+dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger;
+denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, der
+noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit den Fremden.
+In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in der man sich im
+wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente, scheint der
+Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana
+beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria und Spina
+aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den
+Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits
+derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und
+Steiermark reichen. Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des
+Alphabets, welche sich hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter
+Zeilenschrift, auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht
+mehr zu unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens
+f, wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese
+Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, waehrend
+sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei saemtlichen
+sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich eingebuergert; im
+weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den
+Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen
+Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo
+wieder neue Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des
+Alphabets aber ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen
+Graeber, sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in
+einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer
+wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das
+reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so
+versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet
+nach Italien gelangte.
+</p>
+
+<p>
+Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden,
+Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf
+Latium beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich
+behauptet; nur fielen γ κ und ζ ς allmaehlich lautlich zusammen, wovon die
+Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (κ ζ) aus der Schrift
+verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten
+Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und
+literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer
+nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von γ c und κ k
+noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo die Laute
+in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem
+die Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege
+liegt; dass endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung
+eines konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist
+verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der
+Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der
+aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor Christi
+Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland die
+Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der Schreibkunst in Rom
+sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden
+aus der Koenigszeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen
+Gabii und Rom, den ein Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses
+Namens, abschloss, und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten
+Stiers, in dem an Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande
+entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des
+Buendnisses, das Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch
+Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah -
+freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars
+hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall grub, ist
+nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch
+die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die aelteste derartige roemische
+Urkunde und das gemeinschaftliche Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte
+man (exarare, scribere verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher
+littera) auf Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni),
+spaeter auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen
+Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso
+die aeltesten, im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem
+Kapitol bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch
+noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die
+Anrede im Senat &ldquo;Vaeter und Eingeschriebene&rdquo; (patres conscripti),
+an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen
+und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten
+Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und
+Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber muss
+nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht
+einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der aeltesten roemischen
+Geschichte entzogen, sondern die Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit,
+die zur Geschichtsforschung berufen war, die archivalischen Nachrichten zu
+verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von
+Motiven und Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu
+begehren und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene
+schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht
+verweigert haben wuerde.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen sein,
+welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der wir Truemmer
+besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner Entstehung
+niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber ihren Text nicht auf
+das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine nach dem gallischen Brande
+vorgenommene offizielle Niederschrift, beweist die Erzaehlung von der damals
+erfolgten Wiederherstellung der Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus,
+dass ihr Text keineswegs die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie
+aufwies, auch abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum
+Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue
+Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann.
+</p>
+
+<p>
+^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen
+hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von κ.
+</p>
+
+<p>
+^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen
+gilt dieses natuerlich nicht; hier wird γ nicht durch c, sondern durch G (GAL
+Galeria), κ in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), vor a
+durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man
+den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen Konsonanten durch C
+ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q.
+</p>
+
+<p>
+^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn
+auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die
+Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850);
+denn die Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der
+Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen
+Zeit an.
+</p>
+
+<p>
+^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache
+und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz
+zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den Etruskern, nicht
+von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich daraus, dass sie das
+Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den Ruecken des Apennin antraten,
+die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem
+Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthaelt diese
+Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die
+spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische
+Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig
+wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern aus
+Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem eine Spur
+sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen
+Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass sie nicht einmal
+das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja
+wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker,
+die von den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v
+entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat
+die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit
+zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen
+Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet
+angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav
+Meyer, Griechische Grammatik, § 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein
+aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich naehern.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die
+Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben
+besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten
+untergegangen, waehrend die Umbrer γ d, die Samniten d, die Roemer γ
+einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den
+Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich
+Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den
+Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhaelt, der
+Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt,
+beschraenkt sich der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen,
+der spaetere Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren
+Lautverschiedenheiten wurden von den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und
+zweier Sprachen maechtigen Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen
+Loesung der nationalen Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen
+allmaehlich die Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und
+Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr
+Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die Zerstoerung
+der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser Lautzerruettung Hand in
+Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere
+als die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo
+ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von
+dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren
+bewahrten. Dass diese Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste
+als irgendeinen der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen
+ihrer minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den
+Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die
+suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird
+der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen wenigstens mit
+zu dieser Erscheinung beigetragen haben.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<div class="chapter">
+
+<h2><a name="chap15"></a>KAPITEL XV.<br/>
+Die Kunst</h2>
+
+<p>
+Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern
+ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise
+begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische nicht; es fehlt dem
+Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche zu
+idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste
+der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen
+vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei
+Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die
+guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komoedie
+und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische
+Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und
+Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation
+gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht ueber
+Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und
+ein echtes Drama erzeugt. Auch die hoechsten in Italien gelungenen
+literarischen Leistungen, goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und
+Geschichtbuecher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind
+doch von einer mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in
+der Musik ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent
+weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich
+steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und
+herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet,
+insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein Aeusserliches
+unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen
+ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal
+vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist
+er denn auch in den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause
+und darin in der alten Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der
+neuen der Meister aller Nationen geworden.
+</p>
+
+<p>
+Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich, die
+Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens
+zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie
+reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie
+jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen
+Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich
+durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten
+Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener
+hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische
+Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den
+Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene
+geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben, alle in
+roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die
+Maenner ueberdies behelmt, ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei
+Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke
+nackt bis auf den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren
+vielleicht die aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die
+&ldquo;Springer&rdquo; und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei
+keinem oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen,
+weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe ward. Wo
+aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in
+aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. Auch sie fehlen bei
+keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begraebnis, und neben der
+uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, obwohl im
+Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205),
+deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen
+roemischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert
+und suessen Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der
+Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige
+Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide bestellt
+sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und gewissermassen
+Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder dem Taenzer zur
+Begleitung seiner Spruenge dienen.
+</p>
+
+<p>
+Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen
+Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der &ldquo;guenstige
+Geist&rdquo; (faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das
+verkuenden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in
+rhythmisch gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen
+weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und Frauen (vates)
+verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die Besprechungsformeln gegen
+Krankheiten und anderes Ungemach und die boesen Lieder, durch welche man dem
+Regen wehrt und den Blitz herabruft oder auch die Saat von einem Feld auf das
+andere lockt; nur dass in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine
+Klangformeln erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die
+religioesen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen
+und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein wahrscheinlich
+als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrueder zum Preise des Mars,
+wohl auch hier eine Stelle verdient:
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den
+Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich
+seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich
+daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nuechtern
+eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend,
+die Worte spricht: &ldquo;Ich denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde
+empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil&rdquo; (terra pestem teneto,
+salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Enos, Lases, iuvate!
+</p>
+
+<p>
+Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
+</p>
+
+<p>
+Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber!
+</p>
+
+<p>
+Semunis alternei advocapit conctos!
+</p>
+
+<p>
+Enos, Marmar, invato!
+</p>
+
+<p>
+Triumpe! ^2
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, sinas
+incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera
+(limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die
+ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die
+Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile.
+</p>
+
+<p>
+Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat deiuosqoi
+med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied - asted noisi ope toitesiai pakariuois
+- duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich =
+die noni) med malo statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter;
+bemerkenswert vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und
+oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et,
+hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+an die Goetter Uns, Laren, helfet!
+</p>
+
+<p>
+                          Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars,
+</p>
+
+<p>
+                          lass einstuermen auf mehrere.
+</p>
+
+<p>
+                          Satt sei, grauser Mars!
+</p>
+
+<p>
+an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie!
+
+</p> <p>
+Brueder
+</p>
+
+<p>
+an alle
+</p>
+
+<p>
+Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen
+</p>
+
+<p>
+an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf!
+</p>
+
+<p>
+an die einzelnen Springe!
+</p>
+
+<p>
+Brueder
+</p>
+
+<p>
+Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der Baliarischen
+Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die aeltesten
+Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu dem Latein der Zwoelf
+Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl
+duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den
+indischen Veden vergleichen.
+</p>
+
+<p>
+Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass es in
+Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, wuerde sich aus
+dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die sehr
+alten polizeilichen Massnahmen dagegen es ausdruecklich bezeugten. Wichtiger
+aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein Buerger zur Bestattung weggetragen ward,
+so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm
+unter Begleitung eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen
+wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter
+auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der
+Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne Begleitung
+bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei dem Gastmahl der
+Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich den Griechen entlehnte
+Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht
+sich, dass sie schilderten und erzaehlten und insofern neben und aus dem
+lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten.
+</p>
+
+<p>
+Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel ueber die
+Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder
+der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den
+Verhaeltnissen, dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den
+Hochzeiten aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht
+mehrere Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der
+Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend
+einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden
+hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der
+fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer
+volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer das
+Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und
+Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war.
+</p>
+
+<p>
+Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und Drama. Dass
+die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum
+Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig von Kindern vorgetragen
+wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit waren dieselben vollstaendig
+verschollen. Die Komoedien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in
+dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte
+von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das
+Mass, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken.
+</p>
+
+<p>
+Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft; die
+Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich fixierten
+metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen
+begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnische ^3
+oder faunische Mass, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig
+mit der aeltesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich
+einer weit spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine
+Vorstellung geben.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das &ldquo;Liedermass&rdquo;, insofern
+die sătura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben
+Stamm ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Sāturnus benannt;
+sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist
+moeglich, dass die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt
+wurden. Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und
+vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus sāturnius mit dem
+Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der
+spaeteren Zeit an.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Quod ré suá difeídens - ásperé afleícta
+</p>
+
+<p>
+Paréns timéns heíc vóvit - vóto hóc soúto
+</p>
+
+<p>
+Decumá factá poloúcta - leíbereís lubéntes
+</p>
+
+<p>
+Donú danúnt - Hércolei - máxsumé - méreto
+</p>
+
+<p>
+Semól te oránt se vóti - crébro cóndémnes
+</p>
+
+<p>
+Was, Missgeschick befuerchtend - schwer betroffnem Wohlstand,
+</p>
+
+<p>
+Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des Geloebnis eintraf,
+</p>
+
+<p>
+Zu Weih&rsquo; und Schmaus den Zehnten - bringen gern die Kinder
+</p>
+
+<p>
+Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten;
+</p>
+
+<p>
+Sie flehn zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest.
+</p>
+
+<p>
+In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig
+gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass
+namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei
+Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die
+saturnische Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum
+vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl
+das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen
+sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das
+der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten
+iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer hoehere
+poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu entwickeln.
+</p>
+
+<p>
+Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die
+ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns
+verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird als
+einem kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie
+der Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten
+musikalischen Instrument.
+</p>
+
+<p>
+Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen
+Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der
+Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus - Masken, die man so artig
+wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der
+italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass diese Masken bereits der
+aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren, laesst sich natuerlich nicht
+eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die
+Volksbuehne von unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in
+Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da
+jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da
+endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele ohne
+feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal zuweisende Masken
+nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfaenge des
+roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie als diese Anfaenge selbst
+betrachten duerfen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium
+spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber
+die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil wurden.
+In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, namentlich der
+griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche letztere den Latinern
+natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich
+der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade
+selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der
+Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens.
+Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen
+noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen
+wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in
+fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und
+weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine
+Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine
+musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es darf wohl
+ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch
+nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische
+Befruchtung aber blieb nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die
+&ldquo;Saiten&rdquo; (fides, von σφίδη Darm; auch barbitus βάρβυτος) ist nicht,
+wie die Floete, in Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches
+Instrument gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist
+teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre
+Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen bereits in
+dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der
+griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation
+ruhenden Darstellungen; und auch die altlatinischen Barbarisierungen der
+Persephone in Prosepna, des Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes,
+des Laomedon in Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der
+Semele in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen
+von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem
+kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine
+Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl anders als unter
+griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier,
+regelmaessig auf Grund eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen
+Geluebdes und darum gewoehnlich bei der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem
+kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Goettern
+ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin
+abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz:
+voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der
+Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher
+beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die
+Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet;
+endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das
+Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu
+Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer
+Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die abgesprungenen
+Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer Fechtart mit einem
+Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen die Kaempfer zu
+Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf,
+im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal
+und zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte der
+Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche
+Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest
+dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen die Wettkaempfe an
+diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen Karneval, wobei denn die
+Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet haben moegen und
+wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei,
+ihren Platz fanden ^6. Auch die im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei
+diesem Feste eine Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die
+Ruestungen der erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im
+Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie
+spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit dem
+urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso unvereinbar, wie es
+nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben in Etrurien lernten. Dass
+das Studium der etruskischen Sprache damals in Rom die Rolle gespielt habe wie
+etwa jetzt bei uns das Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten
+heutigen Bekenner des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen
+Haruspicin etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten,
+einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. O.
+Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist die Angabe
+von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der Republik
+herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren Annalen, welche
+zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung mit Porsena zuliebe als
+Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion.
+Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber
+Italien eine gewisse Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern
+erforderte.
+</p>
+
+<p>
+^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic.
+Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448,
+vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter
+nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger
+unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik
+im Jahre 639 wurden nur der &ldquo;latinische Floetenspieler samt dem Saengern,
+nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur
+zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa
+voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10,
+20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt,
+ungenau auf Privatgastmaehler uebertragen.
+</p>
+
+<p>
+^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es noch im
+sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag circensischer
+Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845.
+Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen
+sind. Dass in jeder Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward,
+folgt aus Liv. 44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig
+Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das
+Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei
+Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in den
+roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte
+Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die weisse und die rote.
+Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die
+sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne
+Zweifel knuepfte es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen
+Dionys (7, 72) gedenkt.
+</p>
+
+<p>
+—————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen
+oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch in den
+Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen Leichenfeier
+traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch
+Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer
+vorher besonders zu dem Begraebnis eingeladen ward.
+</p>
+
+<p>
+Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene Stadtfest
+trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor allem in
+dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen Feier und eines
+kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Uebungen, die bei dem
+Fest von Olympia nach Pindaros&rsquo; Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen,
+Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der
+Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen
+Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem
+Besitzer des Gespannes zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein
+patriotischer Taten und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann
+diese Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter
+Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen Verkehrs; fuer
+die letztere Annahme spricht die ueberwiegende Wahrscheinlichkeit. Das
+Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist keine der aeltesten
+Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu den Anlagen der spaeteren
+Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie die Verfassungsreform damals unter
+griechischem Einfluss erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine
+aeltere Belustigungsweise - der &ldquo;Sprung&rdquo; (triumpus, 1, 44) und etwa
+das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in
+Uebung gebliebene Schaukeln - mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu
+einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von
+dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in Latium
+eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch σπάδιον) als
+spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit in die lateinische
+Sprache uebergegangen und liegt sogar ein ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor,
+dass die Roemer die Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten,
+wogegen freilich eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach
+scheinen die Roemer ausser den musikalischen und poetischen Anregungen auch den
+fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken.
+</p>
+
+<p>
+Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus denen
+die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese selbst in
+fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der Gymnastik
+besassen die Latiner nicht bloss insofern, als der roemische Knabe wie jeder
+Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspiess fuehren lernte und als
+in Rom jeder Gemeindebuerger zugleich Soldat war; sondern es genoss die
+Tanzkunst von jeher oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen
+Wettkaempfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische
+Lyrik und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische
+Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse
+die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht.
+</p>
+
+<p>
+Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht aufgingen oder
+verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und
+tuechtig, aber fern von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des
+Koerpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen
+Wettkaempfe der Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen,
+aber ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne
+Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und
+Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste
+Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die
+roemischen bald in die Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von
+unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein
+Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das
+Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum die Rede.
+</p>
+
+<p>
+Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und die
+Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der
+goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen Boden eben nur wenige
+Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen
+Goetter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter
+persoenlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt.
+Ebenso sind die Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker
+ohne Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in
+sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der
+Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es
+in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und
+herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der Poesie, dass sie
+die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und aus den Staemmen ein
+Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und
+durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze der zivilisierten Nationen
+aufgehoben sind, so hat die griechische Dichtkunst das duerftige und
+egoistische Stammgefuehl zum hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum
+Humanismus umgewandelt. Aber in Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte
+Dichter in Alba und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht
+einmal, was eher noch denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der
+Art wie die Hesiodischen &lsquo;Werke und Tage&rsquo;. Es konnte wohl das
+latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und
+Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen,
+wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle
+Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder hineinlegen.
+Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien blieb ohne nationale
+Poesie und Kunst.
+</p>
+
+<p>
+Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste
+in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch
+fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen
+wohl ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied
+gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die
+Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas
+weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die
+Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen
+nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache keine
+Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig
+schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat
+sich hier frueh teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und
+unzuenftige Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die
+Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt worden; auch die
+religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgefuehrt. Die
+Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die Klagefrauen (praeficae)
+unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets blieben, was
+sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren, ehrenvolle und dem Buerger wie
+seiner Gemeinde zur Zier gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium
+der bessere Teil der Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten
+zurueck, und um so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte
+und je mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war.
+Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb geaechtet;
+und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so schien das auslaendische
+Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern schaendlich. Waehrend die
+musischen Kuenste in Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen
+und aller Hellenen zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung
+sich entwickelt, schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen
+Volksbewusstsein, und indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken
+herabsinken, kommt hier nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden,
+allgemein nationalen Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen
+in den Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von
+der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel auf das
+Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der
+Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese haeusliche Erziehung war wohl
+geeignet, den Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der
+dauernden Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen
+Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der
+Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen
+Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst
+(gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen Lebens. Wohl
+war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer
+selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber ueber
+der Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur
+durchgefuehrt werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung
+der eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so
+reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^7 Vates ist wohl zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der Salier
+zu fassen sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem
+griechischen προφήτης: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort und
+hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff des
+gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Ueber die Entwicklung der musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern
+mangelt uns so gut wie jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass
+auch in Etrurien die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler
+(subulones) frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst
+ein Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom um
+geringen Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist
+es, dass an dem etruskischen Nationalfest, welches die saemtlichen
+Zwoelfstaedte durch einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des
+roemischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage,
+inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, ueber den
+einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu
+beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien schon in
+frueherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten,
+namentlich theologischen und astrologischen Plunders, durch den die Tusker
+spaeterhin, als in dem allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete
+kam, mit den Juden, Chaldaeern und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell
+goettlicher Weisheit angestaunt zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Womoeglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus natuerlich
+noch keineswegs folgt, dass sie der der Nachbarstaemme nachgestanden hat.
+Vielmehr laesst sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstaemme
+vermuten, dass an kuenstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am
+naechsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; und eine
+gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die
+bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie Naevius,
+Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehoeren, wogegen
+Etrurien in der roemischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den
+Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und
+worteverkraeuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal
+eines hoffaertigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen.
+</p>
+
+<p>
+Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes
+Gemeingut der Staemme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist
+dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen
+Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher
+durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung (cavum
+aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser
+&ldquo;schwarzen Decke&rdquo; (atrium) werden die Speisen bereitet und
+verzehrt; hier werden die Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre
+aufgestellt; hier empfaengt der Mann die Gaeste und sitzt die Frau spinnend im
+Kreise ihrer Maegde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern man nicht den
+unbedeckten Raum zwischen der Haustuer und der Strasse dafuer nehmen will,
+welcher seinen Namen vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, dass
+man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die
+Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den Wohnraum
+herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und
+aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^8 Dass die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen,
+sondern der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt werden.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Ob und wieweit aus diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik
+hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der
+fruehesten Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen
+volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste
+italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem
+Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten
+Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das aelteste unter den
+kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von
+Orchomenos und Mykenae durch uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende
+und mit einem grossen Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In
+derselben Weise ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von
+Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus
+(tullianum) am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die
+Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich
+voellig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die
+groesste Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen
+Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der
+Sabina haeufig vor und gehoeren der Anlage nach entschieden zu den aeltesten
+Bauwerken Italiens, obwohl der groesste Teil der jetzt vorhandenen
+wahrscheinlich erst viel spaeter, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert
+der Stadt aufgefuehrt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald
+ganz roh aus grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen
+kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus
+vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber die
+Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme entschied in der Regel wohl das
+Material, wie denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur aus Tuff baute,
+deswegen der Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie der beiden ersten
+einfacheren Arten mag man auf die des Baustoffs und des Bauzwecks
+zurueckfuehren; aber es kann schwerlich fuer zufaellig gehalten werden, dass
+auch der kuenstliche polygone Mauerbau und das Tor mit dem durchgaengig links
+einbiegenden und die unbeschildete rechte Seite des Angreifers den Verteidigern
+blosslegenden Torweg den italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen
+eignet. Bedeutsame Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens,
+der von den Hellenen zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem
+Verkehr war, der eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er in
+Etrurien nur in Pyrgi und in den nicht sehr weit davon entfernten Staedten Cosa
+und Saturnia begegnet; da die Anlage der Mauer von Pyrgi, zumal bei dem
+bedeutsamen Namen (&ldquo;Tuerme&rdquo;), wohl ebenso sicher den Griechen
+zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth, so steht hoechst
+wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor Augen, an denen die
+Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel endlich, der in der Kaiserzeit der
+tuscanische hiess und als eine den verschiedenen griechischen Tempelbauten
+koordinierte Stilgattung betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben wie der
+griechische ein gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber welchem
+Waende und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im
+einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen Detail,
+voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem diesem
+wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische Baukunst vor der
+Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten, Verhacke und Erd- und
+Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die Steinkonstruktion erst in
+Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum
+zu bezweifeln ist es, dass die Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens
+kennenlernten und von ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von
+χάλιξ), die Maschine (machina μηχανή), das Richtmass (groma, verdorben aus
+γνώμων γνώμα) und den kuenstlichen Verschluss (clatri κλήθρον) ueberkamen.
+Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum gesprochen
+werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses neben den durch
+griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen manches Eigentuemliche
+festgehalten oder auch erst entwickelt worden sein und dies dann wieder auf den
+Bau der italischen Goetterhaeuser zurueckgewirkt haben. Die architektonische
+Entwicklung des Hauses aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner
+und selbst der Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der
+guten alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, sondern
+nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon begonnen hatte, das
+Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem Muster des menschlichen
+Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und dem Geist ein Grabgemach zu
+errichten. Dass man in Latium zu solchen Luxusbauten erst unter etruskischem
+Einfluss vorschritt, beweist die Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des
+aeltesten Hausbaustils als tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser
+Uebertragung anlangt, so ahmt der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen
+Umrisse des Zeltes oder des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern
+gebaut und mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten
+Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der Notwendigkeit
+und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb der scharfe
+griechische Gegensatz zwischen der von Holz hergerichteten Menschen- und der
+steinernen Goetterwohnung fremd; die Eigentuemlichkeiten des tuscanischen
+Tempels: der mehr dem Quadrat sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die
+groessere Weite der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die
+gesteigerte Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber
+die tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des
+Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues hervor.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+^9 Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus
+einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier Metern
+starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am Viminal und
+Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natuerliche
+Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach aussen durch eine
+aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die
+Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen Berichten der Alten 30 Fuss tief und
+100 Fuss breit, zog sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem
+Graben genommen war. Die Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den
+Futtermauern sind in neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein
+gekommen. Die Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen,
+durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, waehrend die
+Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und ohne Anwendung von
+Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den Schmalseiten nach aussen, in
+mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.
+</p>
+
+<p>
+Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen Walls
+am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffbloecke von drei
+bis vier Metern Hoehe und Breite, auf welchem dann aus Bloecken von demselben
+Material und derselben Groesse, wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die
+Aussenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der
+oberen Flaeche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem.
+Fuss, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine
+Breite bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke
+aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei
+spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen.
+</p>
+
+<p>
+Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am
+Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin
+aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum.
+Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer Ueberreste der
+Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind.
+</p>
+
+<p>
+^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum.
+</p>
+
+<p>
+——————————————————————————-
+</p>
+
+<p>
+Die bildenden und zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das
+Haus muss erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu
+schmuecken. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon
+waehrend der roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in
+Etrurien, wo Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird
+die Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss
+gefasst haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand,
+wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es moegen wohl
+die Etrusker in nicht viel spaeterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in
+Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von
+ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die
+Silbermuenzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser
+Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen
+von den etruskischen Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch
+stellten, die besten eben dieser Urzeit angehoert haben, und auch die
+etruskischen Terrakotten koennen nicht ganz gering gewesen sein, da die
+aeltesten in den roemischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde,
+die Bildsaeule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem
+Dache, in Veii bestellt worden waren und die grossen derartigen Aufsaetze auf
+den Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern als &ldquo;tuscanische
+Werke&rdquo; gingen.
+</p>
+
+<p>
+Dagegen war bei den Italikern, nicht bloss bei den sabellischen Staemmen,
+sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit
+noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande
+gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde
+schon gedacht; dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften
+versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in
+Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der
+Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das
+aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem massaliotischen der
+ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es
+sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zuenfte der Toepfer,
+Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und
+Zeichnens daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr
+moeglich, eine konkrete Vorstellung zu gewinnen.
+</p>
+
+<p>
+Versuchen wir aus den Archiven aeltester Kunstueberlieferung und Kunstuebung
+geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunaechst offenbar, dass die
+italische Kunst ebenso wie italisches Mass und italische Schrift nicht unter
+phoenikischem, sondern ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich
+entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen,
+die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und
+insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten
+Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt auf
+die drei griechischen Kuenstler: den &ldquo;Bildner&rdquo;,
+&ldquo;Ordner&rdquo; und &ldquo;Zeichner&rdquo;, Eucheir, Diopos und Eugrammos,
+obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und
+zunaechst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer
+Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbstaendig
+entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der
+urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten, so sind
+doch auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit nachgeschnitten
+worden, wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter griechischer Inschrift
+sich in Aegina gefunden hat, und koennen also den Etruskern recht wohl durch
+die Griechen zugekommen sein. Von dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte
+nur von dem Griechen.
+</p>
+
+<p>
+————————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+^11 Wenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die Roemer
+mehr als 170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er
+offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen
+Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne
+Zweifel das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden
+Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230.
+</p>
+
+<p>
+———————————————————————————
+</p>
+
+<p>
+Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die
+Kunstmuster zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort
+nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen
+und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien
+wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in sehr beschraenkter
+Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die
+Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und
+Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem
+dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten,
+in dem um die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines
+besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische Stil
+dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene
+ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen
+griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium mangelt es so gut wie
+ganz an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies
+ja genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und
+Verkehrsbeziehungen auch fuer die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so
+kann mit Sicherheit angenommen werden, dass die kampanischen und sizilischen
+Hellenen wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen
+sind; und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis
+widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die aeltere
+etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen Staemmen ist wie
+das griechische Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn
+ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der westlicheren italischen Staemme
+nahegetreten.
+</p>
+
+<p>
+Wenn aber endlich ueber die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen
+ein Urteil gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in
+den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher
+hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind und
+massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den
+latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit nicht minder
+wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich dies allerdings fuer
+jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmaessige wie schoene
+polygone Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland haeufig,
+in Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken
+geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen
+Hervorhebung des Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die
+Anfaenge der spaeteren roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen zu
+erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt,
+aber auch verdorben, indem sie die fuer den Steinbau festgestellten Gesetze
+nicht durchaus geschickt auf den Holzbau uebertrugen und durch das tief
+hinabgehende Dach und die weiten Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit
+einem alten Baumeister zu reden, &ldquo;ein breites, niedriges, sperriges und
+schwerfaelliges Ansehen&rdquo; gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen
+Fuelle der griechischen Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen
+Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich
+sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre
+Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwuerdiges Zeugnis
+handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig festgehaltener Fertigkeiten,
+aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur genialer Rezeptivitaet.
+Wie man sich auch straeuben mag, so gut wie man laengst aufgehoert hat, die
+griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch
+entschliessen muessen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus
+der ersten in die letzte Stelle zu versetzen.
+</p>
+
+</div><!--end chapter-->
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1 by Theodor Mommsen
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***
+
+***** This file should be named 3060-h.htm or 3060-h.zip *****
+This and all associated files of various formats will be found in:
+ http://www.gutenberg.org/3/0/6/3060/
+
+Updated editions will replace the previous one--the old editions will
+be renamed.
+
+Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
+law means that no one owns a United States copyright in these works,
+so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
+States without permission and without paying copyright
+royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
+of this license, apply to copying and distributing Project
+Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
+concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
+and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
+specific permission. If you do not charge anything for copies of this
+eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
+for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
+performances and research. They may be modified and printed and given
+away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
+not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
+trademark license, especially commercial redistribution.
+
+START: FULL LICENSE
+
+THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
+PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
+
+To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
+distribution of electronic works, by using or distributing this work
+(or any other work associated in any way with the phrase "Project
+Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
+Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
+www.gutenberg.org/license.
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+Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
+Gutenberg-tm electronic works
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+1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
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+and accept all the terms of this license and intellectual property
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+destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
+possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
+Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
+by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
+person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
+1.E.8.
+
+1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
+used on or associated in any way with an electronic work by people who
+agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
+even without complying with the full terms of this agreement. See
+paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
+agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
+electronic works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
+works in the collection are in the public domain in the United
+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
+United States and you are located in the United States, we do not
+claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
+displaying or creating derivative works based on the work as long as
+all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
+that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
+free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
+works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
+Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
+comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
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+you share it without charge with others.
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+1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
+what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
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+check the laws of your country in addition to the terms of this
+agreement before downloading, copying, displaying, performing,
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+posted with the permission of the copyright holder found at the
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+prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
+active links or immediate access to the full terms of the Project
+Gutenberg-tm License.
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+1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
+compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
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+to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
+of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
+Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
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+INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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+with your written explanation. The person or entity that provided you
+with the defective work may elect to provide a replacement copy in
+lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
+or entity providing it to you may choose to give you a second
+opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
+the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
+without further opportunities to fix the problem.
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+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
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+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of
+damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
+violates the law of the state applicable to this agreement, the
+agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
+limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
+unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
+remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
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+production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
+electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
+including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
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+or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
+additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
+Defect you cause.
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
+DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
+state visit www.gutenberg.org/donate
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including checks, online payments and credit card donations. To
+donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
+distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
+volunteer support.
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
+the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search
+facility: www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+
+</pre>
+
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+</html>
diff --git a/3060.txt b/3060.txt
new file mode 100644
index 0000000..38a0092
--- /dev/null
+++ b/3060.txt
@@ -0,0 +1,9237 @@
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 by Theodor
+Mommsen (#1 in our series by Theodor Mommsen)
+
+Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the
+laws for your country before redistributing these files!!!
+
+Please take a look at the important information in this header. We
+encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic
+path open for the next readers.
+
+Please do not remove this.
+
+This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not
+change or edit it without written permission. The words are carefully
+chosen to provide users with the information they need about what they
+can legally do with the texts.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations*
+
+Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further
+information is included below. We need your donations.
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states. These donations should be made to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Ave. Oxford, MS 38655
+
+
+Title: Rmische Geschichte Book 1
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3060] [Yes, we are about one year
+ahead of schedule]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte by Theodor Mommsen
+******This file should be named 3060.txt or 3060.zip******
+
+Thanks to KGSchon for preparing this etext.
+
+Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions,
+all of which are in the Public Domain in the United States, unless a
+copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of
+these books in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our books one year in advance of the
+official release dates, leaving time for better editing. Please be
+encouraged to send us error messages even years after the official
+publication date.
+
+Please note: neither this list nor its contents are final till midnight
+of the last day of the month of any such announcement. The official
+release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central
+Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may
+often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to
+do so.
+
+Most people start at our sites at: https://gutenberg.org
+http://promo.net/pg
+
+
+Those of you who want to download any Etext before announcement can surf
+to them as follows, and just download by date; this is also a good way
+to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers
+produce obviously take a while after an announcement goes out in the
+Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02
+
+Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want, as it
+appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The time
+it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get
+any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and
+analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience
+is one hundred million readers. If our value per text is nominally
+estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this
+year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts
+in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's
+population then the total should reach over 300 billion Etexts given
+away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files
+by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten
+thousand titles each to one hundred million readers, which is only about
+4% of the present number of computer users.
+
+At our revised rates of production, we will reach only one-third of that
+goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get
+some real funding.
+
+Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the
+next 100 years.
+
+We need your donations more than ever!
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states.
+
+All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law.
+
+Mail to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Avenue Oxford, MS 38655 [USA]
+
+We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to
+build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information at:
+
+https://www.gutenberg.org/donation.html
+
+
+***
+
+You can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your
+mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from
+prairienet.org, better resend later on. . . .
+
+We would prefer to send you this information by email.
+
+
+Example command-line FTP session:
+
+ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd
+pub/docs/books/gutenberg cd etext90 through etext99 or etext00 through
+etext02, etc. dir [to see files] get or mget [to get files. . .set bin
+for zip files] GET GUTINDEX.?? [to get a year's listing of books, e.g.,
+GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books]
+
+
+**The Legal Small Print**
+
+
+(Three Pages)
+
+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS**START*** Why is
+this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you
+might sue us if there is something wrong with your copy of this etext,
+even if you got it for free from someone other than us, and even if
+what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small
+Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells
+you how you can distribute copies of this etext if you want to.
+
+*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS ETEXT By using or reading any part of
+this PROJECT GUTENBERG-tm etext, you indicate that you understand, agree
+to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can
+receive a refund of the money (if any) you paid for this etext by
+sending a request within 30 days of receiving it to the person you got
+it from. If you received this etext on a physical medium (such as a
+disk), you must return it with your request.
+
+ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM ETEXTS This PROJECT GUTENBERG-tm etext, like
+most PROJECT GUTENBERG-tm etexts, is a "public domain" work distributed
+by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association
+(the "Project"). Among other things, this means that no one owns a
+United States copyright on or for this work, so the Project (and you!)
+can copy and distribute it in the United States without permission and
+without paying copyright royalties. Special rules, set forth below,
+apply if you wish to copy and distribute this etext under the Project's
+"PROJECT GUTENBERG" trademark.
+
+Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any
+commercial products without permission.
+
+To create these etexts, the Project expends considerable efforts to
+identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these
+efforts, the Project's etexts and any medium they may be on may contain
+"Defects". Among other things, Defects may take the form of incomplete,
+inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
+intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other
+etext medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot
+be read by your equipment.
+
+LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES But for the "Right of
+Replacement or Refund" described below, [1] the Project (and any other
+party you may receive this etext from as a PROJECT GUTENBERG-tm
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+
+
+
+
+The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
+is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
+in Greek words, nor is there any differentiation between the different
+accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Theodor Mommsen Roemische Geschichte Erstes Buch Bis zur Abschaffung des
+roemischen Koenigtums
+
+Vorrede zu der zweiten Auflage Die neue Auflage der 'Roemischen
+Geschichte' weicht von der frueheren betraechtlich ab. Am meisten
+gilt dies von den beiden ersten Buechern, welche die ersten fuenf
+Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo die pragmatische
+Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich selbst Inhalt und
+Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die Schwierigkeiten,
+welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit- und
+Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der
+Art, dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt.
+Obwohl der Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten
+der Forschung und der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er
+dasselbe dem Publikum vorlegte, so blieb dennoch notwendig, hier noch
+viel zu tun und viel zu bessern. In diese Auflage ist eine Reihe neu
+angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die staatsrechtliche
+Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der dichtenden und
+bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden. Ueberdies
+wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung
+durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung
+klarer und uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten
+Buche die inneren Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der
+Karthagischen Kriege nicht, wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft,
+sondern mit der durch die Wichtigkeit wie die Schwierigkeit des
+Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt worden. Der billig
+Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu loesen
+unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen
+wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der
+Verfasser es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht
+jene leicht ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont,
+sondern vielmehr wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige
+gerichtet hat, darin es abgeschlossen und fertig war. Im uebrigen hat
+der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich bemueht.
+Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte beibehalten;
+die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor Christi
+Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der
+Stadt dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4
+gleichgesetzt worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge
+des roemischen Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem
+1. Juli beruecksichtigt werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der
+Stadt den letzten zehn Monaten des Jahres 753 und den zwei ersten des
+Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten Monaten von Ol. 6, 3 und
+den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das roemische und
+griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden, dass
+Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und
+fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle
+Summen bis zu 100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden
+Gewichtsquantums zugrunde gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (=
+327,45 Gramm) Geld gleich 4000 Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes
+zum Silber 1:15,5 zu 304 Talern preussisch, der Denar nach Silberwert
+zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird. Die dem ersten Bande
+beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische Konsolidierung
+Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag. Die
+Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern.
+Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben
+werden **, da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich
+machen, das Werk so rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern.
+------------- * Hier in Klammern im Text. ** Karte und Register
+sind hier weggelassen. ------------- Breslau, im November 1856 Die
+Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande
+dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst
+gewesen ist, sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den
+neu aufgefundenen Fragmenten des Licinianus, welche er durch die
+zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, Herrn Karl Pertz, bereits
+vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat einsehen duerfen und die
+zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der Schlacht bei Pydna
+bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige Ergaenzung,
+freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben. Breslau, im Mai
+1857 Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage Die dritte (vierte,
+fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird man im ganzen
+von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden. Kein
+billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes,
+wie das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue
+Auflagen jede inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen,
+das heisst zu wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen,
+seit dem Erscheinen der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich
+dem Verfasser als versehen oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig
+berichtet worden; zu einer Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich
+keine Veranlassung dargeboten. Eine Ausfuehrung ueber die Grundlagen
+der roemischen Chronologie im vierzehnten Kapitel des dritten Buches
+ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe angemessener Weise in einer
+besonderen Schrift ('Die roemische Chronologie bis auf Caesar'. Zweite
+Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze
+Darlegung der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit
+eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert.
+Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868;
+am 4. August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober
+1902. Meinem Freunde Moritz Haupt In Berlin Erstes Buch Bis zur
+Abschaffung des roemischen Koenigtums
+
+
+Ta palaistera saph/o/s men eyrein dia chronoy pl/e/thos ad?nata /e/n. Ek
+de tekm/e/ri/o/n /o/n epi makrotaton skopo?nti moi piste?sai xymbainei
+oy megala nomiz/o/ genesthai, o?te kata to?s polemoys oite es ta alla.
+Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht
+genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung
+im grossen Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht
+erheblich waren, weder in bezug auf die Kriege noch sonst. Thukydides 1.
+Kapitel Einleitung Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das
+tief einschneidend in die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet
+und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald
+wieder sich in betraechtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile
+der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten
+Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich
+betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein Ganzes
+ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die
+Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der
+Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien
+an uns vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen
+Stammes an dem suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen
+Nation, die die Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein
+bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des
+Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europaeischen
+Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl
+knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an andere Gesichts-
+und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren eigenen
+abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten
+Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger
+Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen
+Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach
+sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch
+weder ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt
+Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit
+gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom
+bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf
+eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation
+gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle
+Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet
+und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue
+Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie
+die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer
+ergossen und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der
+noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer
+an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von
+der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die
+neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen
+Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl
+anschliesst an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der
+Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, aber
+auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und
+Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen
+der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende
+Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss
+erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst
+das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des
+erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein;
+das grossartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie
+erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am
+Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in
+hoeherem Sinne neu gestellt wird. Unsere Aufgabe ist die Darstellung
+des letzten Akts jenes grossen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte
+Geschichte der mittleren unter den drei Halbinseln, die vom noerdlichen
+Kontinent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch
+die von den westlichen Alpen aus nach Sueden sich verzweigenden Gebirge.
+Der Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher Richtung zwischen dem
+breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des Mittelmeers,
+an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu
+der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen
+erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher
+Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach
+einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in
+einen flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug
+und schliesst dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln
+ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab
+sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete
+Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland,
+demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im
+siebenten Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia
+bis Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte
+Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin.
+Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit
+durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene
+Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen
+eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von
+dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und
+Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von
+dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen
+Ruecken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in
+einfoermiger Flaeche mit schwach entwickelter Kuesten- und Strombildung
+aus. An der Suedkueste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen
+der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Huegelland eine ausgedehnte
+Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich und fruchtbar
+ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden Stroemen,
+namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst
+zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und
+Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien,
+Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von
+Kampanien das Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette
+fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies
+schliesst, wie an Griechenland der Peloponnes, so an Italien die Insel
+Sizilien sich an, die schoenste und groesste des Mittelmeers, deren
+gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor allem im Osten
+und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, grossenteils
+vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die
+sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen "Riss" (R/e/gion)
+der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch
+geschichtlich Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil
+Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben
+Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung.
+Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemaessigte
+Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen Bergen und im
+ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der Kuestenentwicklung steht
+sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen
+zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn
+ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und
+kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer
+bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit
+des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen
+in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in
+gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach Osten
+gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische
+und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die apulischen und
+messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter Bedeutung;
+und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche
+Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen
+Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng
+benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander
+abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von Otranto aus die
+akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich
+doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt als auf der
+naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den
+Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker vorgezeichnet:
+die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt
+erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der
+andere nach Westen. Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt
+werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem
+Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst
+ueber Italien, dann ueber die Welt gewann, so laesst sich doch dies im
+hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das,
+was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu nennen gewohnt
+ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der
+Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein
+Zweig sind. Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte:
+in die innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der
+Fuehrung des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen
+Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen
+Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefaehrdung seiner
+nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung
+durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch Griechen
+und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren
+Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden italischen
+Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der
+Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor
+Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt
+der beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen
+die Punischen Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des
+Roemerreiches bis an und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen
+Status quo der roemischen Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des
+gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Buechern
+erzaehlt werden. 2. Kapitel Die aeltesten Einwanderungen in Italien
+Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten
+Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im
+Altertum der Glaube allgemein, dass dort wie ueberall die erste
+Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung
+ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische
+Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem
+Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch
+wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines
+Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist. Wohl aber
+liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung in
+dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen
+zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder
+kulturfaehigen oder auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher
+stehende Nationen soweit moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien
+indes ist auffallend arm an Denkmaelern der primitiven Epoche und
+steht in dieser Beziehung in einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen
+Kulturgebieten. Den Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge
+muss in England, Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor
+indogermanische Staemme hier sich ansaessig machten, ein Volk vielleicht
+tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von
+Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton oder Knochen
+verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte,
+des Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In
+aehnlicher Weise ging in Indien der indogermanischen eine minder
+kulturfaehige dunkelfarbige Bevoelkerung vorauf. In Italien
+aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten Nation, wie im
+keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die schwarzen
+Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt die
+Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie
+sie die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten
+der sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren
+scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der
+Annahme berechtigt, dass in Italien die Existenz des Menschengeschlechts
+aelter sei als die Bebauung des Ackers und das Schmelzen der Metalle;
+und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens das Menschengeschlecht
+einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden hat, die wir den
+Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede Spur
+schlechterdings ausgeloescht. Die Elemente der aeltesten Geschichte sind
+die Voelkerindividuen, die Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin
+in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von den Hellenen, die
+Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den Bewohnern der
+sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich bezeugt.
+Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig,
+deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern
+hoechstens auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren
+Nationalitaet nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von
+aussen her erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet
+die Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig
+angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten,
+angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren
+Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger
+Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte
+zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die
+Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer
+uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke,
+aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen
+der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die
+mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief
+eingepraegt, um durch die nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu
+werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollstaendig
+bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste
+erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die Stammverschiedenheit oder
+Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und
+Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. So lehrt uns die Sprachforschung
+drei italische Urstaemme unterscheiden, den iapygischen, den
+etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen
+der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und
+dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten
+angehoeren. Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im
+aeussersten Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen
+Halbinsel, sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen
+Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer
+des Idioms der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser
+Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen Staemmen
+unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren
+dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch
+in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt
+wohl, um dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden,
+nicht aber, um positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache
+und diesem Volk in der Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die
+Inschriften sind nicht entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass
+dies dereinst gelingen wird. Dass der Dialekt den indogermanischen
+beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen aihi und ihi entsprechend
+dem sanskritischen asya, dem griechischen oio anzudeuten. Andere
+Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten Konsonanten
+und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen
+iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in
+einer gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die
+Annahme einer vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen
+Nation mit den Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den
+Inschriften mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in
+der auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen
+Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich
+hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos' Zeit (400 Roms, [350]) als
+ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert der
+Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland
+aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft
+geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich
+vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen
+Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber
+doch keineswegs so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen
+rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung
+vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes und
+besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes
+nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich
+uns dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen
+begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere
+Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation passt
+wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich
+gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen
+Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten
+Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien
+gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht
+werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig
+unbekannt war. Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin,
+so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung
+erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die
+am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner
+Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem
+suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation.
+------------------------------------------------------- ^1 Ihren Klang
+moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras artahiaihi
+berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. ^2 Man hat, freilich
+auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache von solcher
+Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine
+Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen
+albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich
+bestaetigen und sollten anderseits die Albanesen - ein ebenfalls
+indogermanischer und dem hellenischen und italischen gleichstehender
+Stamm - wirklich ein Rest jener hellenobarbarischen Nationalitaet sein,
+deren Spuren in ganz Griechenland und namentlich in den noerdlichen
+Landschaften hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet
+damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger
+in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst
+noch nicht folgen.
+----------------------------------------------------------------- Die
+Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung
+zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen
+desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm
+sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der
+iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig das
+italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel
+beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner einerseits,
+anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern, den Marsern
+und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den Samniten
+ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen
+Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied
+sind in der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in
+der sie eine Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im
+Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie
+uebereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen
+hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit
+selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die
+haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den
+Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines
+ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein
+f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit
+moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschaedigt
+erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurueckziehen
+des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der Endungen
+haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den
+Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als
+diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen
+ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern
+spaetere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich
+schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den
+italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab;
+die schliessenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr
+noch im Samnitischen mit Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das
+Umbrische auch diese fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass
+die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren
+zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch Anfuegung von
+r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste Teil
+der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet
+wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung
+den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die
+italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten,
+haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig,
+grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker
+scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in
+den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den
+Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe
+festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist
+die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo
+durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter. Diese aus einer reichen
+Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele genuegen, um
+die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen
+indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich
+sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen;
+der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und
+der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie
+aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss frueh und klar
+den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein; denn wir finden in
+der roemischen Sprache ein uraltes Wort raetselhaften Ursprungs, Graius
+oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet, und ebenso bei den Griechen
+die analoge Benennung Opikos, die von allen, den Griechen in aelterer
+Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht aber von
+Iapygern oder Etruskern gebraucht wird. Innerhalb des italischen
+Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in einen bestimmten
+Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings sind
+von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische
+Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter
+und schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die
+einen, wie der volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern
+auf uns gekommen, um sie in ihrer Individualitaet zu erfassen oder
+auch nur die Mundarten selbst mit Sicherheit und Genauigkeit zu
+klassifizieren, waehrend andere, wie der sabinische, bis auf geringe,
+als dialektische Eigentuemlichkeiten im provinzialen Latein erhaltene
+Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst die Kombination der
+sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen Zweifel, dass
+diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des grossen
+italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem
+lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch
+wieder von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und
+sonst haeufig sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach
+- so pis fuer quis; ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen
+scheiden, zum Beispiel dem Keltischen in der Bretagne und Wales p,
+dem Gaelischen und Irischen k eigen ist. In den Vokalen erscheinen die
+Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt den noerdlichen Dialekten
+sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen Dialekten sie wenig
+gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der Zusammensetzung der
+Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwaecht, was nicht
+geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter
+auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der
+ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis,
+im Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen
+im Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern
+italischen Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural
+auf bus ist nur im Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische
+Infinitiv auf um ist den Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische,
+von der Wurzel es gebildete Futur nach griechischer Art (her-est wie
+leg-s/o/) bei den Roemern fast, vielleicht ganz verschollen und ersetzt
+ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder durch analoge
+Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Faelle, zum Beispiel in
+den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden fuer
+die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge
+zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen
+selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische
+Mundart zu der umbrisch- samnitischen etwa wie die ionische zur
+dorischen, waehrend sich die Verschiedenheiten des Oskischen und des
+Umbrischen und der verwandten Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen
+des Dorismus in Sizilien und in Sparta. Jede dieser Spracherscheinungen
+ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen Ereignisses. Es laesst
+sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, dass aus dem
+gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein Stamm
+ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich
+in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten
+und diese wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche
+noch spaeter in Umbrer und Osker auseinander gingen. Wo und wann diese
+Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht lehren, und
+kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen ahnend
+zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen
+Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die
+Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig
+und vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk
+sich befand, als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und
+damit uns die Anfaenge der Geschichte gewaehren, welche nichts ist
+als die Entwicklung der Zivilisation. Denn es ist namentlich in der
+Bildungsepoche die Sprache das treue Bild und Organ der erreichten
+Kulturstufe; die grossen technischen und sittlichen Revolutionen sind
+darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft
+nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus welchen alle
+unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist. Waehrend die jetzt getrennten
+indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen Stamm bildeten,
+erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem angemessenen
+Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell
+festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der
+gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem
+Wortschatz nicht bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der
+Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den
+urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die
+Brust des Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwoerter
+nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer gewohnheitsmaessig
+ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen Stammes und
+weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung
+erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des
+Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten
+Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gaus ist lateinisch bos,
+griechisch bo?s; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch ois;
+sanskritisch avas, lateinisch equus, griechisch ippos; sanskritisch
+hansas, lateinisch anser, griechisch ch/e/n; sanskritisch atis,
+griechisch n/e/ssa, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus,
+taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in dieser fernsten
+Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf unsere
+Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten
+Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche,
+ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der
+Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen
+dafuer, dass schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache
+spricht eher dagegen als dafuer. Unter den lateinisch-griechischen
+Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von
+zea, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, uebrigens im
+Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muss
+nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen
+Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende
+Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche
+Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in
+primitiven Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung
+der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder,
+der Weizen- und Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und
+Haferbau der Germanen und Kelten koennten an sich wohl alle auf einen
+gemeinschaftlichen urspruenglichen Feldbau zurueckgehen. Aber auf der
+andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche Benennung
+einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, dass man vor der
+Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden Gersten- und
+Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man schon
+Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung
+ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl
+der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch,
+aber durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei
+den Indern ueberhaupt Flur, kurnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder
+und Schiff, venas das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende
+Trank. Die Woerter also sind uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf
+die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf
+das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die Meeresflaeche
+(aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der aeltesten
+Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht
+wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen
+und zum Beispiel von dem sanskritischen kurnu sowohl das zum Zerreiben
+bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus,
+litauisch girnos ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als
+wahrscheinlich annehmen, dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau
+noch nicht kannte, und als gewiss, dass, wenn es ihn kannte, er doch
+noch in der Volkswirtschaft eine durchaus untergeordnete Rolle spielte;
+denn waere er damals schon gewesen, was er spaeter den Griechen und
+Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich eingepraegt, als
+es geschehen ist. Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der
+Indogermanen sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch domos;
+sanskritisch veas, lateinisch vicus, griechisch oikos; sanskritisch
+dvaras, lateinisch fores, griechisch th?ra; ferner fuer den Bau von
+Ruderbooten die Namen des Nachens - sanskritisch naus, griechisch na?s,
+lateinisch navis - und des Ruders - sanskritisch aritram, griechisch
+eretmos, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch der Wagen
+und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas
+(Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch ax/o/n, am- axa;
+sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch zygon. Auch die
+Benennungen des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis,
+griechisch esth/e/s - und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv,
+lateinisch suo; sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch n/e/th/o/
+- sind in allen indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren
+Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in gleicher Weise sich
+sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur
+Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes Erbgut
+der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der
+Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen
+verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum),
+vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese
+Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die
+Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis,
+lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet.
+----------------------------------------------- ^3 Nordwestlich von Anah
+am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste, Weizen und Spelt im
+wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Geographie botanique raisonnee.
+Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen
+in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische
+Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.). ^4 Wenn
+das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben
+und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und
+Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben,
+und kann diese erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten
+unabhaengig voneinander, in die des Webens uebergegangen sein. Auch der
+Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die
+Inder kennen die Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute
+nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist den Italikern wohl noch
+spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens sieht cannabis
+ganz aus wie ein spaetes Lehnwort.
+----------------------------------------------- Nicht minder reichen in
+diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen die Entwicklung
+aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die Stellung von
+Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum des
+Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie
+ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche
+Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond.
+Dagegen die positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen
+Koenigtum und Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der
+Koenigs- und Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der
+Buerger gehoert ueberall einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente
+der Wissenschaft und der Religion zeigen Spuren urspruenglicher
+Gemeinschaft. Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch atam,
+ekaatam, lateinisch centum, griechisch e-katon, gotisch hund); der
+Mond heisst in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst
+(mensis). Wie der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas,
+lateinisch deus, griechisch theos) gehoeren zum gemeinen Gut der Voelker
+auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die
+Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der
+Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen
+auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die
+schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken
+der indischen wie der griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst
+einzelne der Goetter vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber
+verehrten bis auf die Namen ueberein - so ist der Uranos der Griechen
+der Varunas, so der Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djaus pita der
+Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist
+durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere indische Goetterlehre
+ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen
+Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon
+mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche
+Windspiel Sarama, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne
+und Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden
+Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten
+treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn
+der Sarama, dem Sarameyas oder Hermeias geworden, und die raetselhafte,
+ohne Zweifel auch mit der roemischen Cacussage zusammenhaengende
+hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint
+nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen
+Naturphantasie. Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den
+die Indogermanen vor der Scheidung der Staemme erreichten, mehr der
+allgemeinen Geschichte der alten Welt angehoert, so ist es dagegen
+speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es
+moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand,
+als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies
+keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der
+italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte.
+Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich
+ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die
+Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk
+waren. Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst,
+die im ganzen noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft
+rechtfertigt. Ein geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen
+Ackerbaus mit dem der chinesischen, aramaeischen und aegyptischen
+Staemme wird schwerlich in Abrede gestellt werden koennen; und doch sind
+diese Staemme den Indogermanen entweder stammfremd oder doch zu einer
+Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch keinen Feldbau gab.
+Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie heutzutage
+die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn
+die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem
+bestimmten Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung
+von fuenf Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im
+allgemeinen wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche
+ohne Zweifel richtig. Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des
+Alphabets, der Streitwagen, des Purpurs und andern Geraets und Schmuckes
+gestattet weit oefter einen Schluss auf alten Voelkerverkehr als auf
+urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker anlangt,
+so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten Beziehungen dieser
+beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, wie Schrift
+und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als
+voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten
+Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller
+aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager agros, aro aratrum aro/o/
+arotron, ligo neben lachain/o/, hortus chortos, hordeum krith/e/, milium
+melin/e/, rapa raphanis, malva malach/e/, vinum oinos, und ebenso das
+Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form
+des Pfluges, der auf altattischen und roemischen Denkmaelern ganz gleich
+gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten Kornarten: Hirse, Gerste,
+Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu schneiden und
+sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu lassen,
+endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls poltos, pinso ptiss/o/,
+mola m?l/e/, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch
+deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder
+Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste
+griechische Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht die Benennung
+"Weinland" (Oinotria), die bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern
+hinaufzureichen scheint. Danach muss der Uebergang vom Hirtenleben zum
+Ackerbau oder, genauer gesprochen, die Verbindung des Feldbaus mit der
+aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, nachdem die Inder aus dem
+Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen
+und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens scheinen,
+als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter
+sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu
+einem Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache,
+dass die wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern
+der indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und
+Griechen mit den keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen,
+lettischen Staemmen gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen
+Erbgutes von dem wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und
+Sprache ist noch lange nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit
+der Gliederungen und Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung
+der Sprachen in dieser Beziehung hat kaum begonnen, und auch die
+Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre Darstellung der Urzeit
+vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, vielmehr dem
+groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es
+darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der
+Kultur der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein
+und zwischen der Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch
+ungetrennt zusammenlebten; die Unterscheidung der den asiatischen
+Gliedern dieser Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen
+Kulturresultate von denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser
+letzteren, wie die griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede
+fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst
+nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen Untersuchungen
+gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die graecoitalische,
+wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern des Volks-
+und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben.
+Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet anstatt
+der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im
+geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta
+oder Estia, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch
+beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen
+Stammsagen legt dem Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen
+haben muessen, Vitalus oder Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom
+Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft sinnig die urspruengliche
+italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es,
+wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den Ackerstier
+macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk bezeichnen
+als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter (Opsci).
+Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen
+Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk
+auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den
+Italikern wie bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6.
+---------------------------------------------------------- ^5 So finden
+sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen, mundartlich
+eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, arimnas,
+im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben
+hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch
+malunas, keltisch malirr. Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man
+es nicht zugeben koennen, dass es eine Zeit gegeben wo die Griechen in
+allen hellenischen Gauen nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht
+Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und
+Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht dies nicht darauf,
+dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich nach
+dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es
+sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung
+der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der
+Lokalitaet mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer
+Weise verband, als dies spaeter der Fall war. ^6 Nichts ist dafuer
+bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die aelteste
+Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung setzte.
+So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die
+Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach,
+Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in
+Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch
+in alten griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber "Ernte"
+heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio,
+entnimmt ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung
+des Pflugs bei der Stadtgruendung ist bekannt.
+--------------------------------------------------------- Wie der
+Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die
+Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie
+denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben
+nicht gedacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100
+Fuss ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das
+Prinzip der Limitation ist dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach
+einer der Himmelsgegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden
+nach Sueden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum,
+temenos von temn/o/) er steht, alsdann in gewissen festen Abstaenden den
+Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger
+Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle (termini, in
+sizilischen Inschriften termones, gewoehnlich oroi) bezeichnen. Diese
+Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen
+Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber
+auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie
+wahrscheinlich ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese
+sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich
+roemisch und charakteristisch ist erst die eigensinnige Ausbildung
+des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, wo Fluss und Meer eine
+natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess, sondern mit dem
+letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss. Aber
+nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten
+der aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge
+Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische
+Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen,
+das in Italien bestaendig festgehalten ward; das wesentliche Stueck und
+urspruenglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das
+Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett,
+dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das homerische
+Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster Decke. Nicht
+dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist
+altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber
+gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht
+allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und
+Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte
+italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern,
+deren Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft,
+von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin
+trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass
+sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank
+liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch
+Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber
+gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker zusammen in
+den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des "Reibers" (tr?panon,
+terebra) und der "Unterlage" (storeys eschara, tabula, wohl von tendere,
+tetamai). Ebenso ist die Kleidung beider Voelker wesentlich identisch,
+denn die Tunika entspricht voellig dem Chiton, und die Toga ist nichts
+als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem so veraenderlichen
+Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass die beiden
+Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in den
+aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich sich ausspricht
+^7 und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten
+Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern
+in Sprache und Sitte zurueck auf dieselben Elemente alles, was die
+materiellen Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten
+Aufgaben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden
+Voelkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest
+worden. ------------------------------------- ^7 Unter den beiderseits
+aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte aufgezeigt werden
+koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit logch/e/ zusammenhaengend, ist
+als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen oder Spaniern
+entlehnt. ------------------------------------- Anders ist es in dem
+geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit sich selbst, mit
+seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu leben, laesst
+so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters Reich; und
+auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die Charaktere
+der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der graecoitalischen
+Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen
+innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen
+und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich
+offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich
+fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind in Italien wie in
+Griechenland so eigentuemlich, so durchaus national entwickelt worden,
+dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Voelker
+fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen
+ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde
+die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das
+schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang war,
+dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen
+Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen
+Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst
+die Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die
+Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in
+aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn
+gab; und jenes roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters,
+die Buerger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der
+Goetter bannte, das nichts forderte und nichts ehrte als die nuetzliche
+Tat und jeden Buerger zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit
+rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche Verhuellung des Koerpers
+schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als
+die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat alles war
+und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe Gedanke
+- wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren
+auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide
+vorbereitete und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen
+Schleier lueften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht
+werden, die Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung
+an eine aeltere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen
+Lesers nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen. Alles,
+was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in
+Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen
+Dingen gehoert hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des
+gesellschaftlichen Lebens ^8, welche dem Manne die Monogamie gebietet
+und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen Stellung
+der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises die Ebenbuertigkeit beider
+Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. Dagegen ist die
+schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose Entwicklung der
+eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den Griechen fremd
+und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien
+sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde
+die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der
+Sklaverei lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten
+und in allen ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen
+frueh tatsaechliche und rechtliche Milderungen stattfanden und zum
+Beispiel die Sklavenehe als ein gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward.
+----------------------------------------------- ^8 Selbst im einzelnen
+zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der Bezeichnung der rechten
+Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder abgeschlossenen" (gamos epi
+paid/o/n gn/e/si/o/n arot/o/ - matrimonium liberorum quaerendorum
+causa). ----------------------------------------------- Auf dem Hause
+beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen
+desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen
+wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in
+der schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der
+Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenueber sich
+noch weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint
+der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenueber
+die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die
+Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger
+darstellt. Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht
+gegenueber in Griechenland weit frueher und vollstaendiger zur
+innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in
+Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in der bei beiden Voelkern
+durchaus verschiedenartigen Entwicklung der urspruenglich doch
+gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt der
+Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu,
+waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre
+Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten.
+Aber waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh
+verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den
+Roemern, zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das
+Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und
+immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der
+italischen, besonders der roemischen Individualnamen, verglichen mit
+der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde
+zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung
+der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag. Ein Zusammenleben
+in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer die
+graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen
+wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die
+Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten.
+Die "Gesetze des Koenigs Italus", die noch in Aristoteles' Zeiten
+angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen
+Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der
+Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des
+Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen
+Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten
+gewesen sein. Gericht (crimen, krinein), Busse (poena, poin/e/),
+Wiedervergeltung (talio, tala/o/ tl/e/nai) sind graecoitalische
+Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die
+Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den
+Italikern und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die
+Grundgedanken der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur
+zur Bestaetigung oder Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an
+sie gebrachten Antraege befugte Volksversammlung - sind kaum irgendwo
+so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles' Bericht ueber die aeltere
+Verfassung von Kreta. Die Keime zu groesseren Staatenbuenden in der
+staatlichen Verbruederung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher
+selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls
+beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen
+hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als
+dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit
+erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs
+wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht.
+Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in
+Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollstaendig der ganze
+Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als
+Sondergut angehoert ^9, wird die weitere Erzaehlung darzulegen haben.
+--------------------------------------------- ^9 Nur darf man natuerlich
+nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen ueberall zu aehnlichen
+Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass die roemischen
+Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen, und
+doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine
+Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier
+sein neckendes Spiel treibt, versteht sich von selbst.
+--------------------------------------------- Nicht anders ist es in
+der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem Volksglauben der
+gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter Naturanschauungen
+zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der
+roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in
+spaeteren Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in
+zahlreichen Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des
+Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes
+(temenos, templum), in manchen Opfern und Zeremonien, stimmten die
+beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig ueberein. Aber dennoch
+gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so vollstaendig national
+und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur weniges in
+erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder
+missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in
+den Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die
+graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten
+hatte, so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die
+bis dahin nur ein Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern
+mochten, wenn die Wolken am Himmel hin gejagt wurden, sich das so
+ausdruecken, dass die Huendin der Goetter die verscheuchten Kuehe der
+Herde zusammentreibe; der Grieche vergass es, dass die Kuehe eigentlich
+die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer einzelne Zwecke
+gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten bereiten und
+geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er
+den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder
+auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des
+Zeus, Athenaia; und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er
+sich geschaffen, dass er bald in ihnen nichts sah als vom Glanze der
+Naturkraft strahlende und getragene Menschen und sie frei nach den
+Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl anders, aber nicht
+schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des italischen
+Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form
+ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel
+aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet
+ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das
+Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem
+Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm
+vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen
+Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno,
+der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr
+der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in
+den Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit vergeistigt; so wird
+beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann angerufen der Geist
+der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, Zudeckens, Eggens und
+so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Oeffnens der
+Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere
+physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise
+indes die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die
+Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der
+Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende,
+Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei den Samniten, Dea
+cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und koerperlich
+erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, vollkommen durchsichtige
+Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der Urzeit
+deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch
+zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger festhalten,
+weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der
+Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und
+allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst
+den Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen
+Flut uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen
+Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden.
+Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die
+hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und
+bedurften nicht des Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit,
+die nur der platten Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig
+und vielleicht maechtiger fassten als die nach dem Bilde des Menschen
+geschaffenen Goetter von Hellas, davon wuerde, auch wenn die Geschichte
+schwiege, schon die roemische, dem Worte wie dem Begriffe nach
+unhellenische Benennung des Glaubens, die "Religio", das heisst die
+Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und demselben Erbschatz
+jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, dieses die Abstraktionen
+des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen
+Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die Freiheit,
+hier die Notwendigkeit. Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens,
+auch von dessen Nachbild in Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und
+am meisten in der aeltesten Zeit des vollen und einfachen Daseins, den
+Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die einfachsten Elemente
+der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare
+Waffentanz, der "Sprung" (triumpus, thriambos, di- th?rambos); der
+Mummenschanz der "vollen Leute" (satyroi, satura), die, in Schaf- und
+Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest beschliessen; endlich
+das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit
+angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt
+so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen
+und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden
+Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen.
+Die Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken
+der haeuslichen Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach
+mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen Geistes
+und Koerpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut
+gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in
+der Duerftigkeit seiner kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe
+der kulturlosen Voelker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus
+den religioesen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und
+aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen,
+derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium
+gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als
+Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die
+beseligende Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer
+Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen
+Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden.
+So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes
+erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander.
+Die Vorzuege der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer
+Fasslichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des
+Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfaehigkeit
+des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Goetter ist der reiche
+Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich einseitig
+entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit
+wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten
+verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht
+bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben
+das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich
+machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten, ohne
+doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die ideale
+Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen selbst bis
+zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen abging; wo immer
+in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht dieser
+nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und
+Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge,
+nur die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen.
+Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit
+willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen
+verstaende. Mochte der Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und
+der schoenste menschliche Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer
+ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt
+hat, und errang allein unter allen Kulturvoelkern des Altertums bei
+einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale Einheit, die
+ihm endlich ueber den zersplitterten hellenischen Stamm und ueber den
+ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand legte. 3. Kapitel Die
+Ansiedlungen der Latiner Die Heimat des indogermanischen Stammes ist
+der westliche Teil Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in
+suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils in nordwestlicher ueber
+Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen,
+ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und von der See
+entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und
+dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen naeher in
+die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat
+der beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des
+aramaeischen, raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer
+die Annahme einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur-
+und Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine
+engere Lokalisierung ist ebensowenig moeglich, als es moeglich ist,
+die einzelnen Staemme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der
+europaeische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder laengere Zeit in
+Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier
+die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in
+Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom Kaspischen
+Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und andere
+der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist
+es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten,
+Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen
+also wohl vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des
+Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker
+an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch
+mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben moegen, laesst sich
+nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von
+Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland
+gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in
+ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht
+gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren
+Bergruecken Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich
+noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der
+vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den
+die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in aehnlicher
+Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die ersten
+sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen
+erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die
+latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich,
+dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst
+von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker
+draengten. Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge
+ein latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber,
+welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und
+Kampanien offenstanden, verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie
+die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern naeher als
+den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor
+der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner;
+denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua,
+Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind
+nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als
+Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und wahrscheinlich
+latinischer Stamm, die Ausoner, Kampanien innehatten. Auch die
+Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten
+Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden
+von den besten Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem
+italischen Stamm gestellt; es ist nichts im Wege, sie dem latinischen
+Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch vor dem Beginn der staatlichen
+Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung dieser Gegenden und
+deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die Spuren
+der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den
+gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in
+Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber
+Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der
+Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus
+Rom gekommen sei; und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der
+von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer,
+deren es noch zu Thukydides' Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die
+auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen
+Griechisch mit dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der
+alten Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den
+alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen;
+nach allen Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern
+wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das
+eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die
+oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen
+Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen. Die Schicksale dieser
+Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, Grossgriechenland und
+Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Beruehrung in
+einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten nicht
+vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich
+in Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der
+sabinischen Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die
+Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen, eine
+taetige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen. Anders war es
+in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind und es
+den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie
+gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf
+die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt
+einzugreifen bestimmt war. Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von
+Latium der Schauplatz der grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen
+die langsam bildende Kraft des Wassers und die Ausbrueche gewaltiger
+Vulkane Schicht ueber Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem
+entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehoere.
+Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die
+dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe
+ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin
+durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus,
+Nebenfluss des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich
+ziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem
+Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im
+Norden in das weite etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet
+eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem
+"Bergstrom", der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den
+sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Flaeche auf
+teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen
+Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe
+des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene
+Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die bedeutendste
+unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei
+zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt.
+Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem
+Namen der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den
+ausserhalb dieses Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt
+werden, der "alten Latiner" (prisci Latini). Allein das von ihnen
+besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener
+mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des Tiber ist den Latinern
+ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein
+ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die Waffenruhe
+stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die
+Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die
+bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese
+folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen
+Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte
+beginnt, in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler
+und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich
+latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem
+Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und dem Meer,
+ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig groesser als der
+jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die "Ebene" ^1,
+wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die
+Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum
+Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche
+unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und
+tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen
+des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten
+in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen
+Substanzen, die boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter
+wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum,
+dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden
+seien, wie ihn das Missregiment des letzten Jahrhunderts der Republik
+und das der Paepste herbeigefuehrt haben; ihre Ursache liegt vielmehr
+in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt noch heute wie vor
+Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen gewissen Grad die
+boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der Bodenkultur;
+wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil aber
+darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen
+der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer
+dichten ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden
+Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht
+verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris
+und Metapont sind, eine fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich
+erinnern, dass auf einer niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt
+einen schaerferen Blick hat fuer das, was die Natur erheischt, und eine
+groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote, vielleicht auch physisch ein
+elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger anschmiegt. In Sardinien
+wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen der Ackerbau
+noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden, allein
+der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung,
+Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria
+cattiva nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde
+Feuer; woraus sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig
+in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht
+erloeschen liess. Im uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden
+ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke
+und Karst zu bearbeiten und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach
+italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt
+durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser ist kein
+Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung
+jede frische Quelle.
+---------------------------------------------------------- ^1 Wie latus
+(Seite) und plat?s (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz zu
+der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die "Ebene" den Gegensatz
+bildet zu Samnium. Latus, ehemals stlatus gehoert nicht hierher. ^2 Ein
+franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des
+Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die
+Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und
+ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und
+Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens
+2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein
+ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der
+Ackerbau wird fast ganz von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst
+oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafuer der leichte Pflug ein der mit
+zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen
+sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu
+gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und
+Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer einen Arpent
+Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt dessen
+unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden
+Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens
+durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne
+Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die
+Campagna di Roma. ------------------------------------------------------
+Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner
+in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und
+wir sind darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges
+indes laesst sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit
+vermuten. Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl
+Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus
+die aeltesten "Landquartiere" (tribus rusticae) zu bilden. Von dem
+Claudischen Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung
+der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht
+ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung
+hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der spaeter
+hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne
+Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter,
+die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben,
+soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii,
+Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen
+Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii,
+Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter
+all diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst
+spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird
+jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus
+aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter
+Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das
+"Haus" (oikia) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch
+dort sehr haeufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die
+entsprechenden italischen Benennungen "Haus" (vicus) oder "Bezirk"
+(pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der
+Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise
+ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so
+gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die aber,
+wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete
+Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der
+Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium
+selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner
+schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist
+eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu
+bestimmen vermoegen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch
+eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3,
+in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf aeusserlicher
+Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen mit beruhen
+mag. ----------------------------------------------- ^3 In Slawonien, wo
+die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag festgehalten
+wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert Koepfen
+stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit
+gewaehlten Hausvaters (Goszpodar) in demselben Hause beisammen. Das
+Vermoegen des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet
+der Hausvater; der Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt.
+Privaterwerb durch Industrie und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte
+aus dem Hause, auch der Maenner, z. B. durch Einheiraten in eine fremde
+Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, Slawonien und Kroatien. Pest
+1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen Verhaeltnissen, die von den
+aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen moegen, naehert
+das Haus sich der Gemeinde.
+------------------------------------------------- Von Haus aus aber
+galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als selbstaendige
+Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen
+Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu
+gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in
+Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach-
+und sittengleicher Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen
+Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig fehlen wie der
+Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, das heisst die
+Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt des
+Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur
+eine gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die
+gemeinen Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen
+an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich
+zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem
+einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber
+uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz aehnliche
+alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande der
+Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz
+heisst in Italien "Hoehe" (capitolium, wie akra, das Berghaupt) oder
+"Wehr" (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage
+einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen
+und spaeterhin sich umgeben mit dem "Ringe" (urbs mit urvus, curvus,
+vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied
+zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg
+moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein
+einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die
+vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen
+Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst spaet und zum
+Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig gelangt sind, wie
+im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen
+sich erkennen laesst. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der
+Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in unzaehligen offenen Weilern
+wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher Mauerringe, die als "veroedete
+Staedte" mit einzelnen Tempeln das Staunen der roemischen wie der
+heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre "Urbewohner"
+(aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu koennen meinten.
+Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Staedte
+erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, wie sie in
+aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger
+kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo
+die zu staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten
+steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in
+offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer
+Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in
+der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht
+mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten verlassen und bald den
+spaeteren Generationen ein Raetsel. Jene Gaue also, die in einer
+Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse Anzahl
+Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die
+urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen
+Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen
+Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von
+besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das
+den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am
+meisten gesicherte Lage darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne
+Zweifel von den Ankoemmlingen zuerst besetzt worden. Hier lag denn
+auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb Palazzuola zwischen dem
+Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen Berg (Monte Cavo)
+lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des latinischen Stammes
+und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen Gemeinden galt;
+hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften Lanuvium,
+Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten Bauwerken,
+welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und gleichsam
+der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der Tat,
+wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der
+Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen
+Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von
+Norden her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu
+verteidigenden Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei
+laesst; und vor allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss
+maechtige Lavawand mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in
+dem alten Krater des Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine
+jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau auf dem Berge selbst ein
+bedeutender Raum gewonnen worden ist. Natuerliche Festen der latinischen
+Ebene sind auch die Spitzen der letzten Auslaeufer der Sabinergebirge,
+wo aus solchen Gauburgen spaeter die ansehnlichen Staedte Tibur und
+Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der Ebene
+zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber,
+Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte
+Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder
+namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue
+waren in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von
+seinem Fuersten unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung
+der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der
+Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern
+es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und
+staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen
+Gaue. Die Vorstandschaft stand urspruenglich nach allgemeinem italischen
+wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die
+Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie
+gesagt; als der aelteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward.
+Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich dreissig, wie denn diese
+Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in
+Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu den
+dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf
+die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig
+albanischen Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht
+ueberliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen
+Eidgenossenschaften zum Beispiel der Boeoter und der Ionier die
+Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das
+"latinische Fest" (feriae Latinae), an welchem auf dem "Berg von Alba"
+(mons Albanus, Monte Cavo) an einem alljaehrlich von dem Vorstand dafuer
+fest gesetzten Tage dem "latinischen Gott" (Iuppiter Latiaris) von dem
+gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus
+hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh,
+Milch und Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck
+zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und
+sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser
+Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen.
+Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg
+von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf
+der benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei
+Marino); und ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht
+werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die
+ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung
+des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst
+auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch
+die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen
+Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des aeltesten
+Bundesrechts gedacht werden, so dass also der Latiner mit der Latinerin
+rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben
+und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die
+Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht
+angeordnet haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des
+souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den
+Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit
+der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg
+abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei denn ein
+Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber
+wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde
+rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr
+umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein
+Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend
+der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen
+Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich
+in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit
+zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des
+fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine
+Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre
+politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja
+wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte
+als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war
+der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich
+lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat
+verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der
+rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der
+latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfasst
+haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die
+Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in Griechenland ist nicht
+die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische
+Eidgenossenschaft. ----------------------------------------------- ^4
+Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand" (indutiae Macr. Sat.
+1, 16; ekecheriai Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt,
+waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). ^5 Die oft in
+alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals in den
+Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer
+Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht
+nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus,
+und es ist sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach
+manchem durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung
+Latiums, schon vorher einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist
+es bemerkenswert, dass Rom niemals als Erbin Albas eigentliche
+Herrschaftsansprueche gegen die latinischen Gemeinden geltend gemacht,
+sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt hat, die
+freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die
+hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen
+Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede
+sein; und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241
+und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln.
+----------------------------------------------- Diese allgemeinen
+Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien schaerfer zu
+ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel, wie
+die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und
+geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen,
+und es muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten,
+dass sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre
+Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefuehl der nationalen
+Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und damit den Fortschritt
+vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem jede
+Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit
+der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte. 4. Kapitel
+Die Anfaenge Roms Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des
+Tiberflusses stromaufwaerts erheben sich an beiden Ufern desselben
+maessige Huegel, hoehere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an
+den letzteren haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name
+der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht angeben, wie und wann er
+aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten uns bekannten
+Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; und
+diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in
+frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes
+Zeugnis fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung
+laesst sich nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute
+sind. ----------------------------------------------- ^1 Aehnlichen
+Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich aeltester
+Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii
+Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus.
+----------------------------------------------- Aber sie blieben nicht
+allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung der aeltesten
+roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass dieselbe
+hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich
+ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem
+einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war,
+woraus in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der
+Gemeinde ist ^3, zeigt wohl am deutlichsten, dass die Roemer namentlich
+in staatsrechtlicher Beziehung fuer "teilen" und "Teil" regelmaessig
+sagen "dritteln" (tribuere) und "Drittel" (tribus) und dieser Ausdruck
+schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung
+einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen
+Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen
+Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig
+vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare
+Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen,
+der Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer,
+wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat mit diesen
+drei Elementen, in die die aelteste roemische Buergerschaft zerfiel,
+den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige Meinung, dass die
+roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und bemueht sich
+in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen als
+komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das
+wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und
+volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und
+sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu
+verwandeln. Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen
+Hypothesen laesst sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die
+Nationalitaet der komponierenden Elemente des aeltesten roemischen
+Gemeinwesens gesagt werden kann. Dass die Ramner ein latinischer
+Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da sie dem neuen roemischen
+Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die Nationalitaet der vereinigten
+Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber die Herkunft der
+Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege steht, sie
+gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die zweite
+dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies
+kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft
+bewahrte Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem
+Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen
+Sonderrituals gestiftet worden waere. Es mag also in einer sehr fernen
+Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm sich noch in Sprache
+und Sitte bei weitem weniger scharf gegenueber standen als spaeter der
+Roemer und der Samnite, eine sabellische Gemeinde in einen latinischen
+Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da die Titier in der
+aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den Platz vor
+den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier
+den aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung
+verschiedener Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden;
+aber schwerlich hat sie viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die
+einige Jahrhunderte spaeter erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus
+Clauzus oder Appius Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom.
+So wenig wie diese Aufnahme der Claudier unter die Roemer berechtigt
+die aeltere der Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den
+Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner, im
+Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische
+Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die
+latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen
+Anhalt ^4. Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung
+einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten
+Stamm die latinische Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt
+haette; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit,
+wo die Titier neben den Ramnern sich ansaessig machten, die latinische
+Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue dreiteilige
+roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger urspruenglich sabellischer
+Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner gewesen war,
+ein Teil der latinischen Nation.
+----------------------------------------------------------------------
+^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht
+notwendig verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen,
+aber fuer alle gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2,
+15; Hdt. 1, 170). ^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische
+tritt?s, die umbrische trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die
+Dreiteilung der Gemeinde eine graecoitalische Grundform sei; in
+welchem Falle die Dreiteilung der roemischen Gemeinde gar nicht auf die
+Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen Staemme zurueckgefuehrt
+werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung sich also
+auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im
+graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu
+sein scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die
+Umbrer koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss
+der roemischen Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es
+nicht mit Sicherheit nachzuweisen. ^4 Nachdem die aeltere Meinung,
+dass das Lateinische als eine Mischsprache aus griechischen und
+nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von allen Seiten
+aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A. Schwegler,
+Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch in
+dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer
+Dialekte finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder
+geschichtlichen Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache
+als Mittelglied zwischen zwei anderen erscheint, so weiss jeder
+Sprachforscher, dass dies ebenso wohl und haeufiger auf
+organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher Mischung.
+--------------------------------------------------- Lange bevor eine
+staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner, Titier,
+Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln
+ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker
+bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag
+das "Wolfsfest" sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen
+Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die
+schlichten Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig
+genug noch im christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am
+laengsten behauptet hat. Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere
+Rom hervor. Von einer eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie
+annimmt, kann natuerlich in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht
+an einem Tage gebaut worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche
+Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer hervorragenden
+politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, waehrend man
+nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die
+Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als
+die der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum
+gedeihen in Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an
+ausgiebigen Quellen- denn weder der sonst treffliche Born der Camenen
+vor dem Capenischen Tor noch der spaeter im Tullianum gefasste
+Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das haeufige
+Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in der
+Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug
+dem Meere zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich
+oeffnenden Taeler und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den
+Ansiedler ist die Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in
+alter Zeit ist es ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und
+unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht
+die erste naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt
+haben koenne, sondern dass die Not oder vielmehr irgendein besonderer
+Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die Legende
+hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage
+Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen
+Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch
+der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so
+unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die
+allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die
+Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche
+Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu
+machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch
+einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen
+Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber ueber
+die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und
+seiner Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen.
+Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes.
+Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in
+naechster Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen
+Mauerring entfernt, und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren
+gewesen sein. Gegen Sueden trifft man in einem Abstand von drei
+deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es
+scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben
+als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war
+in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits
+am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische
+Gau ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist,
+erstreckt er sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden
+Ufern des Tiber gegen das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der
+Kueste irgendeine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft,
+irgendeine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die fuer alles
+einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu berichten, dass die
+roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die "sieben Weiler" (septem
+pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig Romulus
+den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am rechten
+Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am
+linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der "Muendung"
+(Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen am etruskischen
+Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert haben
+muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein
+der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin
+(dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der
+Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit
+das Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen
+roemischen, eben hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt
+selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt gewesen. Es kann das
+nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche Handelsstrasse,
+seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige Ankerplatz der
+Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr des
+latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepot fuer
+den latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung
+Latiums eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer
+festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte,
+das ueber beide Ufer des Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den
+Tiber oder den Anio herabkommenden Flussschiffer ebenso bequem gelegen
+war wie bei der damaligen maessigen Groesse der Fahrzeuge dem Seefahrer,
+und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz gewaehrte als die unmittelbar
+an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht seine Entstehung, doch
+seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhaeltnissen
+verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von
+ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten.
+Daher ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien
+war, was fuer Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und
+Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und
+des Brueckenbaues ueberhaupt in dem roemischen Gemeinwesen; daher die
+Galeere als staedtisches Wappen. Daher der uralte roemische Hafenzoll,
+dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht
+was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia
+einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war.
+Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des
+gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in
+Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt,
+mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen
+eher die juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft
+schon einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche
+andere Hoehe der Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische
+Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein Beschluss der latinischen
+Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen
+Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der
+Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist
+uns nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an
+diese Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere
+Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem
+latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt
+gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die
+gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall
+zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher
+beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer
+seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes Heim zu
+betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der Campagna
+musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den
+luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben dem
+Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden
+und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die
+dichte Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5
+Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden
+kann und schon nach der aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von
+3300 freien Maennern stellte, also mindestens 10000 freie Einwohner
+zaehlte, erklaert sich auf diese Art einigermassen. Aber noch mehr.
+Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der weiss es, dass das
+Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf ihrem
+staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz
+gegen die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der
+Gegensatz ist des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt
+wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende
+Landschaft und Rom zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen
+und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen
+latinischen Staedte, muss allerdings zurueckgefuehrt werden auf
+seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten Geist seiner
+Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften
+war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen
+Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch
+entwickelte und damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward.
+Die Verfolgung dieser merkantilen und strategischen Entwicklung
+der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und ausfuehrbarer als das
+unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig verschiedene Gemeinden
+der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene staedtische Entwicklung koennen
+wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen ueber die
+allmaehlich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren
+Anlage mit der Entwicklung des roemischen Gemeinwesens zu staedtischer
+Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein muss. Die urspruengliche
+staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte Rom erwachsen
+ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in
+spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der
+regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und
+Mauern dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit
+sichtbar; zwei von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro
+und die Porta Mugionis am Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach
+bekannt, und den palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus
+nach eigener Anschauung wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius
+zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin, dass hier der
+Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf dem
+Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte
+"Einrichtung" (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen
+das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde
+eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die
+saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen
+und anderen Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war
+das Versammlungshaus der "Springer" (curia saliorum), zugleich der
+Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der
+"Woelfe" (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und
+an diesem Huegel ward die Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich
+lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus des Romulus, die
+Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran
+der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem Speerschaft,
+welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des
+Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene
+Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen
+gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher
+hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen.
+Die Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt und deshalb
+verschollen; nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz um
+den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, die aelteste
+Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber dem
+Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen
+Gemeinde gewesen sein moegen. Dagegen hat sich in dem "Fest der sieben
+Berge" (septimontium) das Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung,
+welche allmaehlich um den Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte,
+eine nach der andern erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch
+schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den urspruenglichen Mauerring
+des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich die Aussendeiche,
+angelehnt. Die "sieben Ringe" sind der Palatin selbst; der Cermalus, der
+Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem
+Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den
+Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen
+Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius
+und der Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucusa oder
+Subura, eine ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen
+schuetzte, unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen
+dem Esquilin und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar
+allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die aelteste Geschichte des
+palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn
+man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete
+Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt. Der Palatin war der
+Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und urspruenglich einzige
+Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie ueberall
+nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten
+Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der
+Servianischen Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden,
+liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des
+Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt
+haben mag an den wohl schon in der palatinischen Stadt lebhaften
+Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und die Niederlassung
+auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt mit dem
+Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile
+des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche
+vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat;
+die auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen
+den Palatin aus laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von
+welcher das ganze Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen
+bilden die anfaengliche Stadt, und der suburanische Bezirk derselben,
+der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro
+in Vincoli und ueber das darunter liegende Tal hin sich erstreckte,
+scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter gewesen zu sein als die
+in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten
+Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht.
+Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile
+hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt,
+das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses:
+bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten
+zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse und
+je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen
+Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem
+Palatin angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier
+in gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren
+also die Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen
+ausschliesst - in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae,
+wie inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der
+spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets
+neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich
+gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und
+Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein;
+vor allem die "Pfahlbruecke" (pons sublicius) ueber den natuerlichen
+Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein
+buergt dafuer hinreichend - schon damals bestanden und man auch den
+Brueckenkopf am etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser
+acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in
+ihren Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in
+die spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen
+lediglich aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen
+praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende
+sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen oder abgebrannt
+werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die
+roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen
+beherrscht hat. Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen
+staedtischen Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die roemische
+staatsrechtlich seit unvordenklich frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu
+ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer urspruenglich selbstaendige
+Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie freilich auch
+urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben
+Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen
+gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist,
+wird der verstaendige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen
+von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr
+werden schon die beiden Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und
+Palatin und ebenso das vorstaedtische jedes in die drei Teile der
+Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhaengen
+kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen
+wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei
+Paare Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische
+Siebenhuegelstadt vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung
+von derselben geblieben als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie
+die Blaetter des Waldes fuer den neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie
+ungesehen von Menschenaugen niederfallen, also hat diese verschollene
+Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die Staette bereitet.
+Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem
+spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor
+alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft
+gegenueber eine zweite auf dem Quirinal. Die "alte Burg" (Capitolium
+vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und
+einem Tempel der Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege
+oeffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des
+spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und Minervatempel und mit
+dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel
+der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass auch der
+Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens
+gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem
+Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und
+der aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit
+haengt weiter zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten
+Genossenschaften der Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in
+dem spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der
+palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, neben
+den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, die ihr
+Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat ^5. Alle
+diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen um so
+hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau bekannte
+Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss
+und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten
+Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal
+nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So
+erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das
+feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal
+angelegt ward - hier beruehrten sich ja die beiderseitigen Marken und
+musste von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen
+hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgefuehrt
+werden. ------------------------------------------------ ^5 Dass die
+Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus
+hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die
+Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die
+Fabier zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer
+auf dem Quirinal (Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den
+Luperkalien zusammenhaengen oder nicht.
+----------------------------------------------- Uebrigens heisst
+der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253) Lupercus
+Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult
+zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S.
+17) findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern;
+die bei den Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius
+und Quinctilianus ist also entstellt und das Kollegium nicht den
+verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, sondern den weit aelteren
+Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, 30) oder
+Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern
+genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das
+Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein. Endlich ist
+auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom Quirinal
+von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische
+Stadt sich die "der sieben Berge", ihre Buerger "die von den Bergen"
+montani) sich nennen, die Bezeichnung "Berg" wie an den uebrigen ihr
+angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so heisst die
+quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas
+hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen
+Sprachgebrauch nie anders als "Huegel" (collis); ja in den sakralen
+Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der "Huegel" ohne weiteren
+Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende
+Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige
+Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der
+vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte
+Servianische das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst
+wohl an der Gegend haftenden Namen der "Roemer" moegen dabei die
+Huegelmaenner ebenso wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa
+Huegelroemer (Romani collini) sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz
+der beiden Nachbarstaedte zugleich eine Stammverschiedenheit obgewaltet
+hat, ist moeglich, aber an Beweisen, welche ausreichten, um eine auf
+latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer stammfremd zu erklaeren,
+fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus ^7.
+------------------------------------------ ^6 Wenn spaeterhin fuer
+die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der Name des
+Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch keineswegs
+der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem
+Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie
+gezeigt ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini;
+andrerseits ist es unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von
+Haus aus wie nachher lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem
+Gegensatz der montani und collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten
+5. Kap.). Die spaetere Benennung des Quirinalis beruht darauf, dass zwar
+urspruenglich der Mars quirinus, der speertragende Todesgott, sowohl
+auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt wurde, wie denn noch
+die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel gefundenen
+Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der
+Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der
+Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch
+wohl collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur
+bezeichnet als der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer. ^7 Was man
+dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, S.
+480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von
+den Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene
+etymologisch-historische Hypothese, dass das lateinische quiris
+quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen Cures verwandt und demnach
+des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden sei. Auch wenn die
+sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, duerfte daraus
+der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die alten
+Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen "latiarischen
+Huegel" gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, aber nicht
+erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus fidius
+sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar
+in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren.
+Wenn an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal
+ein Name wie der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon
+benannte porta sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel
+begegnet, so wird jeder unbefangene Forscher darin nur einen Beweis
+fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht fuer ihre Entlehnung aus dem
+Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, dass alte Stammgegensaetze
+dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet werden; aber wenn
+dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die unseren
+Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element
+im Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das
+Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen.
+-------------------------------------------------------- So standen
+an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die
+Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei
+gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen
+einander gegenueber, einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani
+und die Trasteverini. Dass die Gemeinde der sieben Berge schon frueh
+die quirinalische bei weitem ueberwog, ist mit Sicherheit zu schliessen
+sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstaedte als auch
+aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in der spaeteren
+Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen lassen.
+Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer
+rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile
+der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander jaehrlich
+um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch
+die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab noch keinen
+gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde
+standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander -
+moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom
+eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt
+gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten
+und maechtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der
+Verteidigung faehig, also auch wohl beduerftig. Erst der grossartige
+Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht
+bloss jene beiden Staedte vom Palatin und Quirinal, sondern auch noch
+die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen des Kapitol und des
+Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und somit das neue
+Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses gewaltige
+Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden Landschaft
+ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der
+Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den
+andern latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen
+Zeiten leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen
+Anfang festerer Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und
+tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter
+die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in den "sieben Ringen"
+zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische
+Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem und
+freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl
+auch zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in
+der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer einheitlichen
+Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in der die
+Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft
+zu ringen und endlich sie zu erringen vermochte. 5. Kapitel Die
+urspruengliche Verfassung Roms Vater und Mutter, Soehne und Toechter,
+Hof und Wohnung, Knechte und Geraet - das sind die natuerlichen
+Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter
+als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber gehen die
+Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen
+Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich
+aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen
+gleich an schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der
+Natur selbst vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse. Die Familie, das
+heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie
+Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des
+Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio)
+angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren
+rechten Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern
+nebst allem, einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit,
+von der dagegen die Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie
+entweder, wenn sie ehelich sind, der Familie des Mannes angehoeren,
+oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Eigenes
+Haus und Kindersegen erscheinen dem roemischen Buerger als das Ziel und
+der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Uebel, denn er ist notwendig;
+aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein
+Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in fruehester Zeit dem
+Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme fremder Kinder
+anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein trug
+die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in
+der sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander.
+Familienhaupt kann nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von
+Gut und Geld nicht hinter dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die
+Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit
+den Kindern, aber immer und notwendig gehoert die Frau dem Hause, nicht
+der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig hausuntertaenig, die
+Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die vaterlose unverheiratete
+Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese sind es und nicht
+der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird.
+Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin.
+Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden
+Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische
+Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und
+daneben der Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug
+^2. Ebenso wurde die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder
+von der roemischen Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger
+Frevel, wenn der Vater das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch
+nur zum Nachteil desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich
+wird die Familie unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen
+allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber
+ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, der Stier und der
+Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die
+freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind,
+das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen.
+Es ist nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung
+eingegeben hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung
+und Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief
+und ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige
+Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist
+die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren werden, eine
+Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung dachte,
+zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit
+Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie
+gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung
+derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in
+religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem
+Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen
+nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und
+die Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und sie nach
+Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen
+gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken,
+sein "eigenes Vieh" (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber
+rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit
+oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen Haushalte
+gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater
+lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher
+auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie
+vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher
+Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch
+nicht selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls
+befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch
+den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein
+Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, so wird der
+Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, seinem
+Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche
+Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon
+erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche
+mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden;
+so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn
+verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der
+Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der
+Ehemann den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne vorher
+die naechsten Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der Frau,
+zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung der Gewalt lag in der
+letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht zugezogenen
+Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den richtenden
+Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber nicht bloss
+wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde verantwortlich, sondern
+auch, so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich und unzerstoerlich.
+Nach den griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der erwachsene,
+tatsaechlich selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; die
+Macht des roemischen Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das
+Alter, nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier
+Wille aufzuheben, nur dass die Person des Gewalthabers wechseln kann:
+denn allerdings kann das Kind im Wege der Adoption in eines andern
+Vaters Gewalt kommen, die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des
+Vaters uebergehen in die Hand des Mannes und, aus ihrem Geschlecht
+und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottesschutz des Mannes
+eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es ihrem Vater war.
+Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich von dem
+Herrn, als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des
+ersteren ward frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung
+des letzteren wurde erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich
+gemacht. Ja, wenn der Herr den Knecht und der Vater den Sohn verkauft
+und der Kaeufer beide freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der
+Sohn aber faellt durch die Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere
+vaeterliche Gewalt. So ward durch die unerbittliche Konsequenz, mit
+der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt von den Roemern aufgefasst
+wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. Indes, bei
+aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an die
+Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der
+Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch
+rechtlich aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch
+abgesehen davon, dass sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt,
+ist voruebergehender und gewissermassen stellvertretender Art. Weib und
+Kind sind nicht bloss um des Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur
+fuer den Eigentuemer, wie in dem absoluten Staat die Untertanen nur fuer
+den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl auch Gegenstand des Rechts,
+aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht Sachen, sondern Personen.
+Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die Einheit des Hauses
+im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert; wenn aber der
+Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren ein und
+erlangen nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen
+die bisher vom Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod
+des Herrn die rechtliche Stellung des Knechtes in nichts sich aendert.
+--------------------------------------------------- ^1 Es gilt dies
+nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium confarreatione),
+sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar nicht an
+sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die
+Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung
+(usus) ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der
+Weg geoeffnet, Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er
+sie gewann, also namentlich in der bis zur Vollendung der Verjaehrung
+verfliessenden Zeit, war das Weib, ganz wie bei der spaeteren Ehe mit
+causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, sondern pro uxore; bis in die
+Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt sich dieser Satz,
+dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht Ehefrau sei,
+sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3, 14). ^2
+Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig,
+ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht. Kurz,
+Wandrer ist mein Spruch: halt' an und lies ihn durch. Es deckt der
+schlechte Grabstein eine schoene Frau. Mit Namen nannten Claudia die
+Eltern sie; Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann; Zwei Soehne
+gebar sie; einen liess auf Erden sie Zurueck, den andern barg sie in
+der Erde Schoss. Sie war von artiger Rede und von edlem Gang, Versah ihr
+Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh. Vielleicht noch bezeichnender ist
+die Auffuehrung des Wollspinnens unter lauter sittlichen Eigenschaften,
+die in roemischen Grabschriften nicht ganz selten ist. Orelli 4639:
+optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta domiseda. Orelli
+4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo diligentia fide
+par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der Turia
+1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis,
+lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus
+non conspiciendi, cultus modici. ------------------------------------
+Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod
+des Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben
+selbstaendig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher
+Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in
+vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen aber,
+um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Toechter zu ordnen. Da
+nach aelterer roemischer Ansicht das Weib nicht faehig ist, weder ueber
+andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so bleibt die Gewalt ueber
+sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut (tutela), bei
+dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen Hausherrn
+jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen
+Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne,
+ueber die Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die
+einmal gegruendete Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres
+Urhebers ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation
+faktisch das Band sich lockern und zuletzt selbst die Moeglichkeit
+des Nachweises der urspruenglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und
+hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie und des Geschlechts,
+oder, nach roemischem Ausdruck, der Agnaten und der Gentilen. Beide
+bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfasst nur diejenigen
+Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad
+ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen,
+das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die Abstammung
+selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr
+vollstaendig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen
+vermoegen. Sehr klar spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn
+es heisst: "Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter,
+der Quintier", so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten
+individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt
+ergaenzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen
+Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt
+hat. Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn
+vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen
+Familien- und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar
+nicht die Gaeste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise,
+welche voruebergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig
+die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des Hauses
+angesehen werden, aber wohl die Hoerigen (clientes, von cluere), das
+heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie Buerger irgendeines
+Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschuetzter
+Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen
+Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils
+diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner
+Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit
+geschenkt hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit
+nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein
+unfreier Mann, fuer den Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte.
+Darum bilden die "Hoerigen" (clientes) des Hauses in Verbindung mit den
+eigentlichen Knechten die von dem Willen des "Buergers" (patronus,
+wie patricius) abhaengige "Knechtschaft" (familia); darum ist nach
+urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das Vermoegen des Klienten
+teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls
+in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es
+sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht
+so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schaerfe dieses
+hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite
+die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu
+sorgen und sie zu vertreten, bei dem tatsaechlich freier gestellten
+Klienten groessere Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders
+musste die faktische Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich
+naehern, wo das Verhaeltnis durch mehrere Generationen hindurchgegangen
+war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber gestorben waren,
+konnte das Herrenrecht ueber die Nachkommen des Freigelassenen von den
+Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietaet in
+Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich
+ein Kreis abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso
+unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen. Auf
+diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen
+als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer
+erfolgten Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der
+Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus
+den vereinigten Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer
+einem jener Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in
+den ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und
+begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in unrechter oder
+ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen.
+Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die "Vaterkinder"
+(patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die
+Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien
+dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und
+Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem
+Staate gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der
+Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten
+neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich
+natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines jeden
+Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar
+blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie,
+der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass von dem
+Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen
+der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen werden konnten,
+wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die eigentlichen
+buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so
+mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand
+der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den
+Buergern und den Insassen. Wie die Elemente des Staates die auf
+der Familie ruhenden Geschlechter sind, so ist auch die Form der
+Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie nachgebildet.
+Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und
+vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich bestehen soll,
+findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen nicht,
+die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes
+Gnaden sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr
+Leiter (rex) und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in
+spaeterer Zeit in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und
+die wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und
+die roemischen Penaten zu finden sind - sie alle die sichtbare Einheit
+des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt
+beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist, sofort
+und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem Koenig
+erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfaehigen Freien
+zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat
+er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt,
+und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern der
+Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt
+alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im
+Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze
+Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem
+Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist
+allmaechtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores, von
+licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall voranschreiten, wo er in
+amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, oeffentlich zu
+den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem
+Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht
+und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich
+Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in
+allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt
+ueber Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den
+Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben
+in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung
+an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil stattzugeben, ist
+er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege
+auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muss er bei Feuerlaerm
+persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause
+nicht der Maechtigste ist, sondern der allein Maechtige, so ist auch der
+Koenig nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er
+mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen
+Maennern Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er
+mag, um sich die Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse
+andern uebertragen, die Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im
+Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung
+der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen
+genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt
+eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt neben
+der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch
+den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der aeltesten
+Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer
+(tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei
+(celeres), sind nichts als Beauftragte des Koenigs und keineswegs
+Magistrate im spaeteren Sinn. Eine aeussere rechtliche Schranke hat
+die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht haben; fuer den Herrn der
+Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der Gemeinde wie fuer
+den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt seine Macht.
+Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, auf den im
+Fall der Vakanz das "Zwischenkoenigtum" (interregnum) uebergeht. Eine
+formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst
+nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden
+Kollegium der Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger
+der Gewalt den neuen Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird "der
+hohe Goettersegen, unter dem die beruehmte Roma gegruendet ist", von
+dem ersten koeniglichen Empfaenger in stetiger Folge auf die Nachfolger
+uebertragen und die Einheit des Staats trotz des Personenwechsels der
+Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese Einheit des roemischen Volkes,
+die im religioesen Gebiet der roemische Diovis darstellt, repraesentiert
+rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht die des hoechsten
+Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss geht,
+der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene
+Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in
+gleicher Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen
+Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die
+Begriffe Gott und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise
+ineinander verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig,
+sondern viel eher der Eigentuemer des Staats. Darum weiss man auch
+nichts von besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von
+irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff
+waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit
+frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr
+kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib
+gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also
+eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem
+aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem Hause, zum
+Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber Bauern, den
+Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und
+doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der
+Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen Besseren zu halten.
+Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Koenigsgewalt.
+Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel
+Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute
+schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder sonst durch
+Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber wenn
+er es tat, so vergass er, dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam,
+sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und
+wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm
+geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber der Koenigsgewalt lag
+darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu aendern befugt war,
+jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der Volksversammlung
+und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein musste oder ein nichtiger
+und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen.
+So ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im tiefsten
+Grunde verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im
+modernen Leben so wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen
+Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.
+----------------------------------------------- ^3 Dass Lahmheit vom
+hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das roemische Buergertum
+Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, versteht sich so
+sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien
+ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen.
+----------------------------------------------- Die Einteilung der
+Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit curare =
+coerare, koiranos verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde;
+jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie
+equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei
+kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als
+Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und
+vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile. Diese
+Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den Personalbestand der
+Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit
+diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, sondern auch
+Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter
+den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend
+gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum
+Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser
+aeltesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken,
+von denen schon die Rede war. In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet
+diese Verfassung in dem Schema der spaeterhin unter roemischem Einfluss
+entstandenen latinischen oder Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten
+dieselben hundert Ratmaenner (centumviri). Aber auch in der aeltesten
+Tradition ueber das dreiteilige Rom, welche demselben dreissig Kurien,
+dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; dreitausend Fusssoldaten
+beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen hervor.
+------------------------------------------ ^4 Selbst in Rom, wo die
+einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh verschwunden ist, findet sich
+noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwuerdig genug eben bei
+demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter allen deren
+unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten zuhalten, bei
+der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn
+Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in
+der Dreissigkurienverfassung sind.
+------------------------------------------- Nichts ist gewisser, als
+dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in Rom entstanden, sondern
+uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht sogar ueber
+die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen Dingen sehr
+glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen
+Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die
+Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im
+vollsten Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom,
+sondern tritt in dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen
+Gemeindeordnungen auf als wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts
+ueberhaupt. Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in
+Kurien. Die "Teile" koennen schon deshalb kein wesentliches Moment
+gewesen sein, weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl
+zufaellig ist; wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung
+zu, als dass das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze
+gewesen waren, sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert,
+dass der einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte
+gehabt habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass
+im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es
+zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden
+sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare,
+als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser
+Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder
+einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte
+Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die
+Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf,
+dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen
+hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes
+gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in der
+roemischen Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall
+ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen, dass der
+verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht
+veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter,
+noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich
+fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen
+hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem
+Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger
+genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in dem aeltesten
+Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere
+Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war
+eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens
+zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem
+besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen
+curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und
+geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und
+stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der
+Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die Zahl
+der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde.
+------------------------------------------------------- ^5 Es liegt dies
+schon im Namen. Der "Teil" ist, wie der Jurist weiss, nichts als ein
+ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der Gegenwart ohne
+alle Realitaet. -------------------------------------------------------
+So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen
+war innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es
+kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des
+andern Satzes es den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des
+Gegensatzes zwischen Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern
+tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der
+Behandlung der uralten Institution des Ehrenbuergerrechts, welches
+urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein
+Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger hineingenommen
+ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo er
+dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem
+ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in
+Hellas immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in
+mehreren Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger
+entwickelte Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass man zweien
+Gemeinden zugleich als Buerger angehoeren koenne, und liess fuer
+den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht die Absicht hatte, sein
+bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen Ehrenbuergerrecht
+nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und
+Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher
+vorgekommen war. Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken
+gegen aussen ging Hand in Hand, dass aus dem Kreise der roemischen
+Buergergemeinde jede Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt
+ferngehalten wurde. Dass die innerhalb des Hauses bestehenden
+Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt werden konnten, innerhalb
+der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde bereits erwaehnt;
+derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, konnte also
+als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzuege
+aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den Lucerern
+in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen
+Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht
+vor der Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine
+Eliten- oder Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus
+die wohlhabendste, bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich
+schloss, war natuerlich angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch
+dieser Gegensatz war rein tatsaechlicher Art und der Eintritt in die
+Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und
+allein die verfassungsmaessige Gliederung der Buergerschaft, welche
+rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die rechtliche
+Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen Erscheinung
+durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde vor
+den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem
+noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber durfte der Reiche
+und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene oeffentlich nur erscheinen
+in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weissem Wollenstoff. Diese
+vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel urspruenglich
+begruendet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser
+Schaerfe der Auffassung und Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten
+und der folgenreichsten Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und
+wohl mag man dabei sich erinnern, dass in Italien keine den latinischen
+Einwanderern botmaessig gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und
+geringerer Kulturfaehigkeit begegnet und damit die hauptsaechliche
+Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen, der spartanische
+und thessalische und wohl ueberhaupt der hellenische Adel und
+vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft hat. Dass der
+Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von selbst.
+Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die
+Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen.
+Die Buerger sind zugleich die "Kriegerschaft" (populus, verwandt mit
+populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die "speerbewehrte
+Kriegsmannschaft" (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars
+herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der Koenig sie
+anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des Wehrmanns gefasst.
+In welcher Art das Angriffsheer, die "Lese" (legio) gebildet ward, ist
+schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand sie
+aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen
+oder flexuntes, die Schwenker) unter den drei Abteilungsfuehrern der
+Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei Tausendschaften der Fussgaenger
+(milites) unter den drei Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni
+militum); letzteres war vermutlich von Haus aus der Kern des
+Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und
+Glied fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen
+sein ^8. Der Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser
+dem Kriegsdienst konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger
+treffen, wie die Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im
+Kriege wie im Frieden (I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker
+oder zur Anlage oeffentlicher Bauten; wie schwer namentlich der Bau der
+Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass der Name der
+"Fronden" (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine regelmaessige direkte
+Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte regelmaessige
+Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es derselben
+nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt oeffentliche
+Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine solche
+ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet
+ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von dem, der selber
+nicht dienen konnte oder wollte. Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst
+noetigen Opfertiere wurden durch eine Prozesssteuer beschafft,
+indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag, eine nach dem Werte des
+Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den Staat
+erlegte. Von stehenden Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird
+nichts berichtet. Dagegen flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I,
+62), sowie die Einnahme von den Domaenen, namentlich der Weidezins
+(scriptura) von dem auf die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die
+Fruchtquote (vectigalia), die die Nutzniesser der Staatsaecker an
+Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der Ertrag der Viehbussen und
+Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde eine
+Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe
+betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe
+die Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht
+entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig
+leitete die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes,
+das, nach den Angaben ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten
+roemischen Koenigsgeschlechts der Tarquinier zu schliessen, regelmaessig
+bedeutend gewesen sein muss, fiel das Staatsvermoegen nicht zusammen
+und namentlich der durch die Waffen gewonnene Acker scheint stets als
+Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der Koenig in der
+Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen beschraenkt war,
+ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere Entwicklung, dass
+die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann, wogegen es Sitte
+sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des im
+Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten.
+---------------------------------------- ^6 Quiris quiritis oder
+quirinus wird von den Alten gedeutet als der Lanzentraeger, von quiris
+oder curis = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern zusammen mit
+samnis, samnitis und sabinus, das auch bei den Alten von sa?nion,
+Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an
+arquites, milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die
+im Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen
+Oberwurf gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit der roemischen
+Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden die Juno
+quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als speerschwingende
+Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist quiris der Wehrmann,
+das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der Sprachgebrauch ueberein.
+Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, wird nie von Quiriten
+gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma, populus,
+civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so wenig eine lokale
+Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum koennen auch diese
+Bezeichnungen nicht miteinander verbunden werden: man sagt nicht civis
+quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus,
+denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet die feierliche
+Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass "dieser Wehrmann mit Tode
+abgegangen" (ollus quiris leto datus), und ebenso redet der Koenig die
+versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und spricht, wenn er zu Gericht
+sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften Freien (ex iure quiritium, ganz
+gleich dem juengeren ex iure civili). Populus Romanus, quirites (
+populus Romanus quiritium ist nicht genuegend beglaubigt) heisst also
+"die Gemeinde und die einzelnen Buerger" und werden darum in einer alten
+Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus die prisci Latini, den quirites
+die homines prisci Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd. 2, S.
+20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche
+Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen
+Gemeinde einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und
+nach deren Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den
+der aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt.
+Vgl. 1, 68 A. ^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt
+Dionysios (2, 64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf
+die Fuehrer der Reiter (oi /e/gemones t/o/n Keleri/o/n). Nach dem
+praenestinischen Kalender wird am 19. Maerz ein Fest auf dem Comitium
+begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius
+Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten roemischen
+Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen in der
+Schrift 'De viris illustribus' 1 Celer selbst centurio genannt wird.
+Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen
+sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes
+die Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren
+Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm
+schoepfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer
+des Antias, dem magister equitum des republikanischen Diktators, dem
+Praefectus Praetorio der Kaiserzeit. Von diesen Angaben, den einzigen,
+die ueber die tribuni celerum vorhanden sind, ruehrt die letzte nicht
+bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen Gewaehrsmaennern
+her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, welcher nur
+"Teilfuehrer der Reiter" heissen kann; vor allen Dingen aber kann
+der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte
+Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen
+sein mit der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also
+stehenden Magistratur. Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der
+Nachricht des Pomponius, die offenbar lediglich hervorgegangen ist aus
+der mit immer steigender Unwissenheit historisierten Brutusanekdote,
+so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum den tribuni militum in
+Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die Abteilungsfuehrer der Reiter
+gewesen sind, also voellig verschieden von dem Reiterfeldherrn. ^8
+Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und
+arquites und die spaetere Organisation der Legion.
+------------------------------------------ Indes nicht bloss leistend
+und dienend erscheint die roemische Buergerschaft, sondern auch
+beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten hierzu die
+Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht
+waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die "Lanzenmaenner"
+(quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief,
+um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie
+foermlich auf die dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten
+hiess (comitia), um sie nach Kurien zu befragen. Ordnungsmaessig setzte
+derselbe zweimal im Jahr, zum 24. Maerz und zum 24. Mai, dergleichen
+foermliche Gemeindeversammlungen an und ausserdem, so oft es ihm
+erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger nicht zum Reden,
+sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand
+spricht in der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu
+gestatten fuer gut findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache
+Antwort auf die Frage des Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung,
+ohne Bedingung, ohne Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die roemische
+Buergergemeinde eben wie die deutsche und vermutlich die aelteste
+indogermanische ueberhaupt die eigentliche und letzte Traegerin der Idee
+des souveraenen Staats; allein diese Souveraenitaet ruht im ordentlichen
+Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier nur darin, dass die
+Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig
+verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt
+angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm
+treu und botmaessig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in
+hergebrachter Weise anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel
+ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr ganz aehnliche
+Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war durchaus
+folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der Souveraen,
+ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich nicht
+beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die
+Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich
+souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht
+der Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden
+Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem
+einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der
+roemischen Verfassung ohne Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so
+dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird
+durch das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder
+Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und Regierten
+selbst durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig sanktioniert
+wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande
+gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an die Buerger
+gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem
+Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum
+ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es fassen, der von
+dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl,
+sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates
+durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen
+Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Faellen, die der
+ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf
+kann jeder unbeschraenkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein
+nur in der Art, dass er dasselbe sofort aufgibt; dass das Eigentum
+vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei seinem Tode auf einen andern
+uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es sei denn, dass ihm die Gemeinde
+solches gestatte; was hier nicht bloss die auf dem Markt versammelte,
+sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft bewilligen
+konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen
+Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit
+nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan
+ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn,
+dass ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im
+gewoehnlichen Rechtslauf kann das Buergerrecht nur gewonnen werden durch
+die Geburt und nicht verloren werden - es sei denn, dass die Gemeinde
+das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben gestatte, was beides
+unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss nicht in gueltiger
+Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft den
+todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter
+nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe,
+da der Koenig nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass
+der zum Tode verurteilte Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der
+Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang
+der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem leugnenden
+Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen ist, sondern dem
+gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im gewoehnlichen
+Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag
+nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill
+die Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie
+notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird,
+nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag
+bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch richtete sich
+jene Frage, wie es scheint, nicht an die gewoehnliche Versammlung der
+Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich ueberhaupt, wenn der
+Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden
+gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und insofern
+ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des
+Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen
+und in allen aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der
+Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein
+zum Patrizier erklaerte Mann blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es
+konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern
+war also die Gemeindeversammlung, wie beschraenkt und gebunden sie auch
+auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des roemischen
+Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als neben dem Koenig.
+-------------------------------------------------------- ^9 Lex, die
+Bindung (verwandt mit legare, zu etwas verbinden) bezeichnet bekanntlich
+ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines Vertrages,
+dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach
+annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der
+Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent
+der Koenig, der Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung
+des letzteren ist also auch sprachlich praegnant bezeichnet.
+-------------------------------------------------------- Aber neben
+dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der aeltesten
+Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln
+bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben
+beide und innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies
+ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe
+hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung,
+dass in dem urspruenglichen Rom die saemtlichen Hausvaeter den Senat
+gebildet haetten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der
+nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des spaeteren Rom seinen
+Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der aeltesten Stadt
+als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies wahrscheinlich
+ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, wo wie
+der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst
+jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem,
+sei es durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es
+durch Erbfolge bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben
+Epoche auch der Senat nichts gewesen als die Gesamtheit dieser
+Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom Koenig wie von der
+Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der letzteren,
+unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten gewissermassen
+eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings ist
+jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem
+latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der
+erste und vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung
+die Gemeinde zu entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten,
+moeglicherweise in Latium lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie
+wir das roemische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares
+Haupt und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle
+Geschlechtsmaenner abstammen oder abzustammen behaupten, von den
+lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen,
+so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht
+ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht werden.
+Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates
+der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige
+Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung
+des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein blosser
+Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, deren
+Ratschlaege der Koenig einzuholen zweckmaessig findet, beruht lediglich
+darauf, dass er einst eine Versammlung gewesen war gleich jener, die
+Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum zu Rate sitzenden
+Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die Gesamtheit
+der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder eine
+feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war;
+aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die Zahl
+der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht
+auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert
+festgestellt worden, sodass von der Verschmelzung der drei Urgemeinden
+die Vermehrung der Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl
+von dreihundert die staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit
+ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in
+spaeterer Zeit dies lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich
+als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden
+Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwuerdigen
+oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese
+Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die
+Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht
+mehr gab, bei dem Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in
+aelterer Zeit, solange noch die Individualitaet der Geschlechter im
+Volke lebendig war, als Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig
+einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben
+Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich
+ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der
+Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren
+ganz in das freie Ermessen des Koenigs uebergegangen, so dass nur das
+noch als Missbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess.
+Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass
+die Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von
+Rechts wegen den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn
+sie auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich auspraegenden
+monarchischen Grundanschauung der Roemer, zur Zeit immer nur von einem
+dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt werden kann. Ein
+jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausuebung,
+aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch
+seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben
+gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur
+dass der des Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators.
+Hierauf beruht es ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die
+koenigliche Gewalt in der roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt
+werden kann. Stirbt der Koenig, so treten ohne weiteres die Aeltesten
+an seine Stelle und ueben die Befugnisse der koeniglichen Gewalt. Jedoch
+nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur Zeit Herr sein
+kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es unterscheidet
+sich ein solcher "Zwischenkoenig" (interrex) von dem auf Lebenszeit
+ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der Gewalt. Die
+Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber festgesetzt
+auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren
+in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt ist,
+der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los
+festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage
+uebergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von
+der Gemeinde nicht geleistet. Im uebrigen aber ist der Zwischenkoenig
+berechtigt und verpflichtet, nicht bloss alle dem Koenig sonst
+zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst einen Koenig
+auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von ihnen fehlt
+ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird
+als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger ernannt
+ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin
+der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des
+roemischen Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft gegeben fuer die
+ununterbrochene Dauer desselben und seiner monarchischen, nicht aber
+erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat spaeter den
+Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein duenkte, so ist das nur
+in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat eine solche gewesen.
+Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser
+Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches
+Glied der roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten
+sich nicht in die Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine
+Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst
+das Heer zu fuehren oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von
+jeher aus dem Senat genommen - weshalb auch spaeter noch die hoechsten
+Befehlshaberstellen regelmaessig nur an Senatoren vergeben und ebenso
+als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder
+bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner
+Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom
+nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats
+gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer
+der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der
+Buergerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von
+dieser gefassten Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die bestehenden
+Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestaetigung zu versagen;
+oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo verfassungsmaessig ein
+Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei jeder Verfassungsaenderung,
+bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der Erklaerung eines
+Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf
+man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der
+Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den
+beiden Haeusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war
+nicht sowohl Gesetzgeber als Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur
+dann kassieren, wenn die Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also
+bestehende Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige
+Staaten oder auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren
+Beschluss verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom
+groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die
+Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss
+erhoben hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu
+erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war,
+der roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit
+den Worten schloss: "darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim,
+wie wir zu unsrem Rechte kommen"; erst wenn der Rat der Alten sich
+einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft
+beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss
+war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges
+Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen
+und durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt
+zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des hoechsten Amtes der Senat
+die Dauer der Gemeindeverfassung verbuergte, finden wir auch hier ihn
+als den Hort der gesetzlichen Ordnung gegenueber selbst der hoechsten
+Gewalt, der Gemeinde. Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch
+die allem Anschein nach uralte Uebung an, dass der Koenig die an die
+Volksgemeinde zu bringenden Antraege vorher dem Rat der Alten vorlegte
+und dessen saemtliche Mitglieder eines nach dem anderen darueber ihr
+Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht zustand, den gefassten
+Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich vorher die
+Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu befuerchten
+sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich
+brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer
+Maenner Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen
+Zusammensetzung nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als
+Staatsrat zur Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr
+als aus der bisher bezeichneten Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des
+Senats hervorgegangen; die Anfaenge indes sind unscheinbar und gehen
+eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn
+sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei Angelegenheiten von
+Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also
+zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender
+Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der
+Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das
+eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich,
+rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der
+Koenig beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor;
+ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat
+sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in
+der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkoenige
+festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den Senatoren
+und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens
+zu berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der
+Ratschlag sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu
+folgen, ohne dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht
+praktische Geltung zu schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs
+allgemein anwendbare Kassationsrecht. "Ich habe euch gewaehlt, nicht
+dass ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten": diese Worte, die ein
+spaeterer Schriftsteller dem Koenig Romulus in den Mund legt, bezeichnen
+nach dieser Seite hin die Stellung des Senats gewiss im wesentlichen
+richtig. Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische
+Buergergemeinde, an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber
+allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von
+der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die
+Versammlung der lebenslaenglich bestellten Gemeindeaeltesten, gleichsam
+ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt, berufen im Fall
+der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven
+Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den
+rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche
+Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch
+die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des
+Koenigs Gebot, gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden
+musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht
+von dem wahren Souveraen, dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer
+keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die aelteste roemische
+Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie
+in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des Staates
+gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen,
+den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten
+die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische Volksgemeinde
+ungefaehr, was in England der Koenig ist und das Begnadigungsrecht, wie
+in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der
+Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde
+stand. Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu
+dessen einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich
+weit entfernt von der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der
+modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte
+wohl ueber die Person des Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten
+und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das
+einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpoenter Handlungen mit
+Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht
+gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und Unrecht erschienen.
+Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich der
+Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing,
+der Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen
+Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen
+Kosten gross gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der
+merkwuerdigsten Saetze der aeltesten roemischen Verfassung, dass der
+Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen
+Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender
+Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst die
+Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke
+bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre
+praktische Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der
+gewiss befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht
+zuwiderlaufenden Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war
+innerhalb ihres Kreises so wie die roemische allmaechtig; aber in keiner
+Gemeinde auch lebte der unstraeflich sich fuehrende Buerger in
+gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenueber seinen Mitbuergern wie
+gegenueber dem Staat selbst. So regierte sich die roemische Gemeinde,
+ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem
+mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz
+und unter sich, in scharfer Auspraegung der eigenen Nationalitaet,
+waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt werden - dem
+Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore weit
+aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt,
+sondern erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht
+sich, dass sie auf der aelteren italischen, graecoitalischen
+und indogermanischen Verfassung beruht; aber es liegt doch eine
+unuebersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den
+Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus' Bericht ueber
+Deutschland sie schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen
+Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des
+deutschen Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt
+der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz
+und der geregelten Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag
+ferner sein, dass, wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den
+Elfenbeinstab sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt
+hat, so auch die zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr
+vom Ausland heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die
+Entwicklung des roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium
+gehoert, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist,
+beweist die durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern
+latinischer Praegung. Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des
+roemischen Staats fuer alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn
+trotz der wandelnden Formen steht es fest, solange es eine roemische
+Gemeinde gibt, dass der Beamte unbedingt befiehlt, dass der Rat
+der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist und dass jede
+Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst
+der Volksgemeinde. 6. Kapitel Die Nichtbuerger und die reformierte
+Verfassung Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor
+allen, ist ein grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir
+Kunde haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung
+des Roemerrums endigen die aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von
+jenem aeltesten Verschmelzungsprozess der Ramner, Titier und Lucerer,
+von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der frueheste
+derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die Huegelbuergerschaft
+aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird,
+als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und
+die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht
+werden duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der
+Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der
+uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der
+Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg
+ein. Die roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei
+Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen
+Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester
+des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es
+ist glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten
+altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen,
+Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien
+der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind.
+Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den drei Quartieren der
+palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Huegelstadt auf
+dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem urspruenglichen
+Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung
+wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit
+gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in
+Beziehung auf die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren
+Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung
+zerfiel die roemische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je
+zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen sie nun ihrerseits
+mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die bestehenden Teile und
+Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in der
+Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der
+Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit
+den Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan
+jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die
+Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores,
+posteriores). Eben damit haengt wahrscheinlich die in den organischen
+Institutionen der Gemeinde ueberall hervortretende paarweise Anordnung
+zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen ausdruecklich
+als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter Ordnung
+bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist vermutlich
+aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im Heerwesen:
+nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde
+hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische Buergerreiterei
+auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer wahrscheinlich
+auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des
+Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen
+Gebrauch, dass die Legionen regelmaessig je zwei und zwei einberufen
+wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen, und wahrscheinlich ruehrt von
+dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her, dass nicht, wie
+wohl urspruenglich, drei, sondern sechs Abteilungsfuehrer die Legion
+befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat
+entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert
+Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale
+geblieben; womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der
+angesehensten Maenner der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der
+palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den
+Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig
+vor, und von seinen hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich
+dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, dass die sakralen
+Institutionen der Huegelstadt fortbestanden und in militaerischer
+Hinsicht man nicht unterliess, der verdoppelten Buergerschaft die
+doppelte Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber die Einordnung der
+quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre Unterordnung der
+ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben, dass der
+Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen
+Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten
+Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der
+Quirinalstadt die "zweiten" oder die "minderen" gewesen. Indes war der
+Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den
+Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen
+Ratsherren vor denen der "minderen" gefragt. In gleicher Weise steht das
+collinische Quartier im Range zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen
+der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem
+des palatinischen, die quirinalischen Springer und Woelfe hinter
+denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synoekismus, durch den
+die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine
+Mittelstufe zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner und
+Lucerer miteinander verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen
+Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr
+bilden, wohl aber noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre
+sakralen Institutionen liess man nicht bloss bestehen, was auch nachher
+noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba, geschah, sondern erhob
+sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was spaeterhin in dieser
+Weise nicht wieder vorkam. Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen
+gleichartiger Gemeinwesen war mehr eine quantitative Steigerung als
+eine innerliche Umgestaltung der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten
+Inkorporationsprozess, der weit allmaehlicher durchgefuehrt ward und
+weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten Anfaenge gleichfalls
+bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die Verschmelzung der
+Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der roemischen
+Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die "Hoerigen"
+(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen
+Buergerhaeuser, oder die "Menge" (plebes, von pleo, plenus), wie sie
+negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1.
+Die Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren,
+wie gezeigt ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der
+Gemeinde musste diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich
+und rechtlich zu groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die
+Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hoerige besitzen;
+besonders mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung ihres
+Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen,
+die Masse der Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen,
+sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten,
+so dass sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den
+Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten.
+Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht ueber die
+einzelnen Buerger die Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen
+missbraeuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts
+zu schuetzen. Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische
+Landrecht der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte
+Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn
+der Herr bei Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament,
+Prozess, Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend
+aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen
+Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner
+Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen
+koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder
+Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung
+von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes
+in einer mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was
+ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei
+rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum scheinen laengere Zeit
+hindurch ihre vermoegensrechtlichen Beziehungen gleich denen der Sklaven
+als Rechtsverhaeltnisse des Patrons gegolten und dieser prozessualisch
+sie notwendig vertreten zu haben, womit denn auch zusammenhaengen wird,
+dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen einheben und sie vor
+sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber allmaehlich
+entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in eigenem
+Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung
+ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen
+und zu erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den
+Buergern zwar weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner
+Gemeinde angehoerigen, eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte
+denselben doch nicht wohl gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise
+Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden Rechtsverhaeltnisse der
+eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und des Geschlechts,
+der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der buergerrechtlichen
+zu gestalten. ----------------------------------------------------
+^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2,
+2). ---------------------------------------------------- Teilweise zu
+aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, insofern auf
+Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen und
+dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit
+uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben.
+Das roemische Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet noch von
+Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils jedem
+dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen unbeschraenkte
+Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel wir wissen, jedem,
+der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern befugt war, selbst
+dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte Recht bewegliches
+und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen konnten,
+in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es
+ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang
+ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch das
+Niederlassungsrecht mit grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde
+ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter
+Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden Fremden gewaehrt hat.
+Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die
+Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die
+Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in
+Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis
+mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen
+des Verkehrs, die durch das latinische Buendnis allen Latinern
+gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss
+selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende
+Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der
+Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil
+der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten
+Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in
+seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel
+wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht vertauschte.
+Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern und lichtete
+bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die
+Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute
+dafuer zu bezahlen. Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich,
+dass das roemische Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand,
+als es in der Tat der Fall war. Dass er noch laengere Zeit eine
+zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen
+in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an einzelne ansehnliche
+auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder
+nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht empfingen -
+denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer
+seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise
+stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der
+Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne
+Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht
+erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens
+wahrscheinlich, dass die schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende,
+aber doch gewiss nicht urspruengliche Zivilehe eben eingefuehrt ward, um
+das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmen ^2. Auch die Massregeln,
+durch welche bereits in aeltester Zeit auf die Erhaltung einer
+zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern hingewirkt
+ward, gehoeren in diesen Zusammenhang.
+------------------------------------------------------- ^2 Die
+Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass
+dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das
+hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die
+religioese Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von
+der religioesen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich,
+dass die religioese Ehe selbst als eigentuemliche und rechtlich
+notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der
+anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Uebergabe von
+seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, hinzutreten musste,
+um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden.
+------------------------------------------------------
+Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in
+bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen,
+waehrend die der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte;
+und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und
+freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene
+Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen
+Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und
+vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des
+Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom
+lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in
+der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder
+und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen
+Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht,
+der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies
+schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln,
+und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr
+zurueck. War in aelterer Zeit der Klient ausschliesslich fuer den
+Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so musste,
+je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der
+Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne
+Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge
+und Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der
+Nichtbuerger, namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen
+Gemeinden, standen ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich
+von Haus aus nicht in der Klientel der koeniglichen und der sonstigen
+grossen Geschlechter und gehorchten dem Koenig ungefaehr in gleicher Art
+wie die Buerger. Dem Koenig, dessen Herrschaft ueber die Buerger denn
+doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, musste es
+willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhaengigen Schutzleuten
+sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu bilden. So erwuchs
+neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den Klienten
+ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch;
+rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer,
+dem Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr
+bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem
+der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel
+der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefuehl der besonderen
+Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der politischen Zuruecksetzung
+den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen gleichmaessig
+waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen des
+politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen
+Gemeinde. Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile
+geschah indes schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener
+Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen
+traegt vom Koenig Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen
+Ursprung nach in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von
+der wir, was wir wissen, nicht durch historische Ueberlieferung, sondern
+nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren Institutionen wissen; aber
+ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben
+koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie
+muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige
+ihren Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf
+Befreiung von der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der
+Nichtbuerger teils zu der Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung,
+dem Staat im Notfall vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden,
+teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung
+zusammengefasst, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen
+ist die Heranziehung der Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen
+Lasten: es wurden diese frueh auch auf die "Begueterten" (locupletes)
+oder die "stetigen Leute" (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich
+Vermoegenslosen, die "Kinderzeuger" (proletarii, capite censi) blieben
+davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der
+Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die
+Buergerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules,
+mochten sie Buerger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde
+aus einer persoenlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung
+folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige Mann vom achtzehnten
+bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der Hauskinder ansaessiger
+Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der entlassene
+Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt
+war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war
+der Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst
+herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der
+Fall war, auf roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der
+Groesse der Grundstuecke wurde die kriegstuechtige Mannschaft
+eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in
+vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und insofern vorzugsweise das
+Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von den vier folgenden Reihen
+der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Haelften,
+Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung
+der Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und
+sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der
+damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen
+Vollhufen, waehrend die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener
+jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansaessigen
+ausmachten; weshalb festgesetzt ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig
+Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten
+Reihe ausgehoben werden sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei:
+die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin
+wich man hier ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den
+alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern
+blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern
+gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen,
+dass man damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und
+nach der Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus
+militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und
+regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen
+Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man
+denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre
+hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu
+machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen,
+soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes
+einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei - zu
+stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein
+Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont.
+---------------------------------------------------- ^3 Aus demselben
+Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt der
+Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft
+aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen.
+----------------------------------------------------- Die nicht
+ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen
+stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen
+sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer
+zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken
+und Gefallenen ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden. Zum Behuf
+der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier "Teile"
+(tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen
+Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches
+Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die
+Strasse dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den
+esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die
+"Huegel" im Gegensatz der "Berge" des Kapitol und Palatin, bildeten. Von
+der Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen und
+gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und
+quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es
+herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem dieser
+Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der
+Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten,
+ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung.
+Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und
+nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen
+Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung
+zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der
+raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig
+zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder
+ein Larenaltar errichtet ward. Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte
+hatte annaehernd den vierten Teil wie der ganzen Mannschaft, so jeder
+einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen, sodass jede Legion und
+jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk zaehlte, um
+alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und
+gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den
+maechtigen Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger
+zu einem Volke zu verschmelzen. Militaerisch wurde die waffenfaehige
+Mannschaft geschieden in ein erstes und zweites Aufgebot, von denen
+jene, die "Juengeren", vom laufenden achtzehnten bis zum vollendeten
+sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden,
+waehrend die "Aelteren" die Mauern daheim schirmten. Die militaerische
+Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine
+vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx
+von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend
+Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400 "Ungeruestete" (velites,
+s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis,
+bildeten die vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und
+sechsten standen die minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten
+Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx
+hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte
+Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind,
+war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann,
+davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden
+Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der
+fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der
+Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum
+Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die
+fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde;
+wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann kam,
+80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten
+Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die
+der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei,
+welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft
+nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des
+roemischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe
+an 20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der roemischen
+Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der Einfuehrung dieser neuen
+Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei
+steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt,
+sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen
+Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die
+roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig
+durch Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke
+umgingen. Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die
+sorgfaeltigere Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats.
+Es wurde entweder jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt,
+dass ein Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer
+ihre Aecker mit dem Zubehoer, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den
+Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veraeusserung, die
+nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde fuer nichtig erklaert
+und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich Aushebungsrolle
+war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der
+servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus
+hervorgegangen. Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus
+militaerischer Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch
+nicht ein einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische
+Bestimmung der Zenturien hinwiese; und dies allein muss fuer jeden, der
+in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, genuegen, um ihre Verwendung
+zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu erklaeren. Wenn,
+wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr
+ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies
+keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und
+neben den Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch
+die Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit
+der Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und
+insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische Ordnung fuer die
+Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise
+die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische
+Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch Offizier
+werden koennen, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten
+in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt
+werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen
+Buergerschaft durch die Zenturieninstitution der Sonderbesitz der
+politischen Rechte nicht geschmaelert werden sollte, so mussten doch
+unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige Buergerschaft
+nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot geuebt hatte,
+uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien. Die Zenturien
+also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines Angriffskrieges
+um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der spaeteren
+Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer Beteiligung der
+Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein
+zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr
+folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden waere, und
+nach wie vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die
+eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem Koenig
+verpflichtete. Neben diesen neuen grundsaessigen Vollbuergern standen
+die angesessenen Auslaender aus dem verbuendeten Latium als teilnehmend
+an den oeffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher
+municipes); waehrend die ausser den Tribus stehenden, nicht
+ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger nur als
+steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen. Hatte man somit bisher
+nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und Schutzverwandte
+unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen Klassen
+fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht
+beherrscht haben. Wann und wie diese neue militaerische Organisation
+der roemischen Gemeinde ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen
+moeglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heisst, die
+Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand.
+Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine urspruengliche Grenze
+betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel
+Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den
+Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird
+nicht moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir
+als Minimum 10000 Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9
+deutschen Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide,
+Haeuserraum und nicht kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz
+bringt, das Gebiet zu der Zeit, wo diese Reform durchgefuehrt ward,
+mindestens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich
+aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben muss. Folgt man der
+Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 ansaessigen und
+waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem
+ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist,
+zeigt ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert,
+sondern vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des
+Normalstandes der Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie
+zu fuenf Koepfen ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu
+ergeben schienen und diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt
+ward. Aber auch nach jenen maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von
+etwa 16000 Hufen mit einer Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen
+und mindestens der dreifachen Zahl von Frauen, Kindern und Greisen,
+nicht grundsaessigen Leuten und Knechten notwendig anzunehmen, dass
+nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio gewonnen, sondern auch
+die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische Verfassung
+festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das
+Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl
+nach urspruenglich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln.
+---------------------------------------------------------- ^4 Schon um
+480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; Colum. 1
+praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. Vict.
+33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu
+berichtigen ist) den Empfaengern klein. Die Vergleichung der deutschen
+Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und Morgen, beide urspruenglich
+mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen werden als
+urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30,
+nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette
+haeufig, wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug,
+so wird bei Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des
+roemischen Heredium von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe
+von 20 Morgen den Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt
+es zu bedauern, dass die Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst.
+------------------------------------------------------- Im allgemeinen
+aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische Institution
+nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den
+Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der
+Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie
+entstanden ist unter griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen
+truegen, wie zum Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, dass
+auch in Korinth die Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen
+wurden; aber die Entlehnung der Ruestung wie der Gliederstellung von dem
+griechischen Hoplitensystem ist sicher kein zufaelliges Zusammentreffen.
+Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten Jahrhundert der Stadt
+die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen
+Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das
+Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden
+wir hierin den Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform
+hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende
+und nur durch die streng monarchische Form des roemischen Staats
+in etwas abweichende Bahnen gelenkte Verfassungsaenderung.
+--------------------------------------------- ^5 Auch die Analogie
+zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der Behandlung der
+attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat eben wie
+Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und dann
+auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger
+hier ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto
+bestimmter zeigt es sich, wie dieselben Ursachen - staedtische
+Zentralisierung und staedtische Entwicklung - ueberall und notwendig
+die gleichen Folgen herbeifuehren.
+--------------------------------------------- 7. Kapitel Roms Hegemonie
+in Latium An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere
+und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen;
+mit dem Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde
+allmaehlich in den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein
+und politische Maechte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von
+jenen fruehesten Raufhaendeln und Beutezuegen, in denen der Charakter
+der Voelker sich bildet und sich aeusserst wie in den Spielen und
+Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns
+ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche
+Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse der
+einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu
+erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und
+seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten
+Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben
+worden; sie waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche
+Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig
+gegen die Kueste zu bis an die etwas ueber drei deutsche Meilen von
+Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). "Groessere und kleinere
+Voelkerschaften", sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten
+Rom, "umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen
+Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren". Auf
+Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten
+Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein. Die am oberen
+Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden
+Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum,
+Cameria, Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom
+und scheinen schon in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer
+ihre Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde
+erscheint in diesem Bezirk spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch
+Buendnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem
+Brueckenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kaempften Latiner
+und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter mit wechselndem Erfolg.
+Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen
+innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die
+spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem
+Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes
+^1. Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9
+Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen
+Kaempfe ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine
+andere uralte Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die
+alte heilige Metropole Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und
+zerstoert. Wie der Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward,
+ist nicht ueberliefert; der Kampf der drei roemischen gegen die drei
+albanischen Drillingsbrueder ist nichts als eine personifizierte
+Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und eng verwandter Gaue, von
+denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war. Wir wissen eben
+nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und Zerstoerung
+Albas durch Rom ^2. ----------------------------------------------------
+^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und
+Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche
+Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in
+der Tat stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und
+hoechst unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare
+auf diese beiden verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren
+Antiquaren fuer geschichtliche Urkunden gehalten. ^2 Aber zu bezweifeln,
+dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom ausgegangen sei wie es
+neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein Grund vorhanden.
+Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung in seinen
+Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Unmoeglichkeiten
+ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen historischen
+Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe
+zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber
+die Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass
+die latinische Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer
+Gemeinden schlechterdings untersagte. Noch weniger widerspricht
+die Aufnahme einer Anzahl albischer Familien in den roemischen
+Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die Roemer; warum soll es
+nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei gegeben haben?
+Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in religioeser
+wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt;
+welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter,
+sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und
+gegruendet ward. ---------------------------------------- Dass in
+der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge
+festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht
+benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische
+Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere
+verhaeltnismaessig ansehnliche Macht begruendet haben moegen, laesst
+sich vollends nur vermuten. Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen
+wir genaue Berichte ueber den rechtlichen Charakter und die rechtlichen
+Folgen dieser aeltesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht
+zu bezweifeln, dass sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt
+wurden, woraus die dreiteilige roemische Gemeinde hervorgegangen war;
+nur dass die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht
+einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten
+Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern
+voellig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die
+Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen
+politischen Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger
+legte er selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die
+Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und
+kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in
+dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die
+faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte
+man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische
+Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbuerger-,
+sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, das allgemeine
+roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch das
+Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch
+durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren untertaenig wurden.
+Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der
+Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in
+dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat gegruendet. Eine
+foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die neue Hauptstadt, wie
+sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird man hierunter
+freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums konnten
+in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der
+Bauern; im ganzen genuegte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an
+den neuen Hauptort. Dass selbst die Tempel oft am alten Platze blieben,
+laesst sich an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen
+Staedten noch nach der Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz
+geblieben sein muss. Selbst wo die Festigkeit des geschleiften Ortes
+eine wirkliche Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man
+mit Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen
+Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch
+die ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem
+neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen
+Erzaehlungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen
+Staatsrechts, dass nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die
+Stadtmauer (das Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde
+den ueberwundenen, uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das
+Schutzverwandtenrecht aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber
+auch wohl mit dem Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt.
+Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die
+roemische Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter
+die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier,
+Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen
+Familienheiligtuemer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier
+in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob.
+------------------------------------------------ ^3 Hieraus entwickelte
+sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder Buergerkolonie (colonia
+civium Romanorum), das heisst einer faktisch gesonderten, aber rechtlich
+unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in der Hauptstadt aufgeht
+wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und als stehende
+Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist. ^4 Darauf geht ohne
+Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i mancipiique] forti
+sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen Verkehr dem
+Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die latinischen
+Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche
+Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das
+Zwoelftafelgesetz ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die
+sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heisst die von
+den Roemern in das Plebejat genoetigten Gemeinden Latiums.
+------------------------------------------ Diese Zentralisierung
+mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war natuerlich nichts
+weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die Entwicklung
+Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze der
+nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern
+es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war
+dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom
+und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche
+der weise Thales dem bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den
+einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist
+es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher
+und gluecklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und
+eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner
+fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Groesse lediglich
+demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System zu
+danken. Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als
+gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet
+werden duerfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere
+Bedeutung zu. Es sind nicht bloss die problematische Groesse und der
+etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme
+Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole
+der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den
+dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas hob natuerlich
+den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die boeotische
+Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter
+des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als
+Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch.
+Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder
+nachfolgten, vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die
+roemische Hegemonie ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu
+haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor
+allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben moegen. Schon damals
+mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften,
+als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenueberstehen, schon damals
+nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten gegen Karthager, Hellenen
+und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn
+sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der materielle
+Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser
+war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte
+Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich,
+dass Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische
+Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch
+gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und
+damit die Grundlage der kuenftigen Hegemonie der roemischen Gemeinde
+ueber die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese
+entscheidenden Verhaeltnisse so bestimmt wie moeglich zu bezeichnen.
+---------------------------------------------------- ^5 Es scheint sogar
+aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae gebildet und
+diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Staedte eingetreten
+zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der
+Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019);
+ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).
+--------------------------------------------------------------- Die Form
+der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines gleichen
+Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen
+Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der
+ganzen Mark und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die
+Verteidigung festgestellt ward. "Friede soll sein zwischen den Roemern
+und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie
+sollen nicht Krieg fuehren untereinander noch Feinde ins Land rufen noch
+Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet
+werden mit gesamter Hand und gleichmaessig verteilt werden, was gewonnen
+ist im gemeinschaftlichen Krieg." Die verbriefte Rechtsgleichheit im
+Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die
+Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte
+verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des
+Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht wie in
+unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings
+blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den
+Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem roemischen nicht
+notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit
+der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den latinischen
+Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstuemliche
+Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die
+Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin,
+dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in
+ganz Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den
+Bestimmungen ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit
+des einzelnen Buergers. Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des
+latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem Staat, wo er frei gewesen
+war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Buergerrecht einbuessen;
+sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, das
+Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem
+Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz
+erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der
+Bundesstaaten sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten
+Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln
+aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn
+der Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden muesse jenseits der
+Tibergrenze, das heisst ausserhalb des Bundesgebietes, und die Klausel
+des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, dass der von den
+Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er
+einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft
+innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch
+Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon
+frueher bemerkt worden ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte
+konnte zunaechst jeder Latiner nur da ausueben, wo er eingebuergert war;
+dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder
+Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, nach
+heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen Buergerrechten
+der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenoessisches
+Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Buerger
+anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle
+Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt
+ausschlug, die allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen
+Erwerb, staedtische Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der
+Insassen in Rom sich reissend schnell vermehrte, seit die latinische
+Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich. In
+Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde
+selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen,
+sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden
+als solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass
+Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als
+die Roms, und dass die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie
+erlangt haetten, so ist dies insofern wohl moeglich, als Alba wesentlich
+Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem Bunde
+gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie die
+Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen
+Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas
+Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms
+Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit
+gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt
+zu haben, waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter
+Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten
+Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit der
+Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit
+der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels
+auf dem Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom
+und Latium, teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward.
+Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem
+Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde
+ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der die ohne
+Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der
+maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten
+zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in
+dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise
+des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken
+Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand
+ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der
+latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste hier
+den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem
+die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus der
+Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der
+getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut
+gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die Bundesglieder
+verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die roemisch-latinische
+Foederation nur durch Rom vertreten worden ist, laesst sich nicht
+mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch
+Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei
+es nach Bundesschluss, sei es infolge eines feindlichen Ueberfalls,
+ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der Fuehrung wie bei der
+Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat rechtlich beteiligt
+gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals schon die Hegemonie
+besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und
+ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das
+Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt. Wie nach Albas
+Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig bedeutenden
+Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der
+latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares
+Gebiet weiter ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den
+Etruskern, zunaechst den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den
+Besitz von Fidenae nicht auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern
+gelang, diesen auf dem latinischen Ufer des Flusses nur eine starke
+Meile von Rom gelegenen etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt
+zu bringen und die Veienter aus dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu
+verdraengen. Dagegen behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten
+im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung. Den
+Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr ueberlegenen
+Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den entfernteren
+Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit
+bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen
+Nachbarn von zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der
+bestaendige Kriegsschauplatz aber war die Suedgrenze, das Gebiet der
+Rutuler und mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die
+latinische Landschaft sich am fruehesten erweitert, und hier begegnen
+wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande
+begruendeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft
+konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von
+denen die aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen.
+Wie weit indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit
+sich erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden
+mit den benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den
+roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede;
+aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme
+von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern
+enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen
+Roms gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat,
+laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenueber
+als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik
+entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon in
+der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin
+stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge
+hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit
+Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein
+fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen. So war der latinische
+Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu einigen und zugleich sein
+Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom selbst aber war durch
+die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus einer regsamen
+Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden
+Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung
+und die darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter
+dem Namen der Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten
+Zusammenhang mit dieser innerlichen Umwandlung des roemischen
+Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich musste mit den reicher stroemenden
+Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten
+politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern. Die
+Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen
+muss bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische
+Reform stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und
+einheitlichen Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft
+nicht dabei beharren, die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander
+mit Gebaeuden sich gefuellt hatten, zu verschanzen und etwa noch
+zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel und die Hoehe am
+entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium
+verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man
+schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende
+Stadtwall begann am Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen
+Huegel, an dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen
+Abhang gegen den Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen,
+die kolossalen Ueberreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein
+gekommen sind, Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen von Alatri
+und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken
+unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer
+gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich
+dastehen und deren geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit
+fortwirken werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den
+ganzen Raum des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst
+vor kurzem (1862) wieder in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau,
+nach aussen von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen
+Graben geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt
+zu abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den
+Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum
+Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des
+Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal
+an den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum
+gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Hoehe
+ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg
+gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau
+ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und
+bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Huegel
+die neue "Burg" (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem Burgbrunnen,
+dem sorgfaeltig gefassten "Quellhaus" (tullianum), der Schatzkammer
+(aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der
+Buergerschaft (area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die
+regelmaessigen Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben.
+Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf
+dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum zwischen den beiden
+Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder,
+wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit
+Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden
+aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb.
+Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein
+selbstaendiges, auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges
+Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen
+hat ^8. In aehnlicher Weise, wenn auch schwaecher, scheint der Aventin
+befestigt und der festen Ansiedelung entzogen worden zu sein. Es haengt
+damit zusammen, dass fuer eigentlich staedtische Zwecke, zum
+Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers, die roemische
+Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner
+(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen,
+aber doch nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani
+Aventinenses, Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9.
+Der von der neuen Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser
+der bisherigen palatinischen und quirinalischen Stadt noch die beiden
+Bundesfestungen des Kapitol und des Aventin, ferner das Ianiculum ^10;
+der Palatin als die eigentliche und aelteste Stadt ward von den
+uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war, wie im Kranz
+umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen. Aber
+das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem
+auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen
+war, welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd
+fuellte, sodass hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das
+Tal zwischen dem Kapitol und der Velia sowie das zwischen Palatin und
+Aventin versumpfte. Die heute noch stehenden, aus prachtvollen Quadern
+zusammengefuegten unterirdischen Abzugsgraeben, welche die Spaeteren
+als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom anstaunten, duerften eher
+der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei verwendet ist und
+vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit erzaehlt
+wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die Koenigszeit,
+wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des
+Mauerrings und der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den
+entsumpften oder trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen,
+wie die neue Grossstadt sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der
+Gemeinde, bis dahin der kapitolinische Platz auf der Burg selbst, ward
+verlegt auf die Flaeche, die von der Burg gegen die Stadt sich senkte
+(comitium), und dehnte von dort zwischen dem Palatin und den Carinen in
+der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der der Burg zugekehrten
+Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines Altanes ueber die
+Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste
+der Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz;
+und auf dem Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das
+spaeter den Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den
+Richterstuhl (tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft
+gesprochen ward (die spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der
+Dingstaette selbst errichtet. Ihre Verlaengerung gegen die Velia ward
+der neue Markt (forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem Palatin,
+erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia)
+und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels,
+einschloss; nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein
+dazu gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde
+oder der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der
+Kirche Santi Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in
+ganz anderer Art, als die Ansiedelung der "sieben Berge" es gewesen
+war, geeinigte Stadt, dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit
+deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt
+hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche Stadtherd
+trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die
+Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen Aventin und
+Palatin ward fuer die Rennspiele der "Ring" abgesteckt; das ward der
+Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald
+entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere. Auf allen
+Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf dem Aventin
+das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg der
+weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all
+diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die
+umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der
+Besiegten triumphierte. ---------------------------------------- ^6
+Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von
+der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze
+des Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen
+akra und koryph/e/ entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische
+Stadt ihr capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen
+Burghuegels ist mons Tarpeius. ^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in
+arce aut capitolio habitaret, untersagte wohl nur die Umwandlung des
+Bodens in Privateigentum, nicht die Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A.
+Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S.
+386. ^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die "Heilige Strasse", auf
+die Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach
+links macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen.
+Dieses selbst wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus
+stattfanden, untergegangen sein. Das sogenannte Tor an der steilsten
+Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem Namen des janualischen
+oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in Kriegszeiten
+stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese Bedeutung
+und ist nie ein wirkliches Tor gewesen. ^9 Es kommen vier solcher Gilden
+vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, 2) mit eigenen magistri
+(Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL
+I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, Roemische
+Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen
+6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand;
+3. die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die
+pagani pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802).
+Es ist gewiss nicht zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen
+derartigen, die in Rom vorkommen, eben den von den vier oertlichen
+Tribus aus-, aber von der Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden
+Huegeln, dem Kapitol und dem Aventin, und dem zu derselben Befestigung
+gehoerigen Ianiculum angehoeren; und damit steht weiter im Zusammenhang,
+dass als Bezeichnung der gesamten staedtischen Eingesessenen Roms
+montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser der bekannten Stelle Cic.
+dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die staedtischen Wasserleitungen
+bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive si[fis aquam
+dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen
+drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche
+Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind
+sicher die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin
+und Ianiculum und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal.
+^10 Die "Siebenhuegelstadt" im eigentlichen und religioesen Sinn ist
+und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das
+Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit
+(vgl. z. B. Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt
+betrachtet, wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig
+gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu
+gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung gelangt,
+welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen
+zu den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus,
+Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus
+zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der
+traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen Entstehung der Stadt
+(Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S.
+206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil sonst acht
+herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge
+(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins
+des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin,
+Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal,
+offenbar als colles, fehlen und dafuer zwei "montes" vom rechten
+Tiberufer, darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer
+liegende Vaticanus mit hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen
+geben Servius (Aen. 6, 783), die Berner Scholien zu Vergils Georgiken
+(2, 535) und Lydus (mens. p. 118 Bekker). ^11 Sowohl die Lage der beiden
+Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des Dionysios (2, 25), dass der
+Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag, bezeugen es, dass
+diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der zweiten
+(Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den
+Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt,
+so ist die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu
+legen. ------------------------------------------ Die Namen der Maenner,
+auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten sich erhoben, sind
+nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den aeltesten
+roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die
+verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus
+Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die
+grosse Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den
+Aelteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche
+dieser Angaben moegen richtig sein, und es scheint nicht zufaellig, dass
+der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die
+stetige Verteidigung der Stadtwaelle wesentliche Ruecksicht nahm, auch
+der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird
+man sich begnuegen muessen, aus dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was
+schon an sich einleuchtet, dass diese zweite Schoepfung Roms mit
+der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der Umschaffung des
+Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus
+einem und demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber
+weder eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch
+in diese Umgestaltung des roemischen Gemeindewesens die hellenische
+Anregung maechtig eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es
+unmoeglich ist, die Art und den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es
+wurde schon bemerkt, dass die Servianische Militaerverfassung wesentlich
+hellenischer Art ist, und dass die Circusspiele nach hellenischem Muster
+geordnet wurden, wird spaeter gezeigt werden. Auch das neue Koenigshaus
+mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein griechisches Prytaneion und der
+runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte
+Vestatempel in keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach
+hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich,
+was die Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen
+Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster
+diente und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin
+dem ephesischen Artemision nachgebildet ward. 8. Kapitel Die
+umbrisch-sabellischen Staemme Anfaenge der Samniten Spaeter als die der
+Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme begonnen zu haben,
+die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch mehr in der
+Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. Es
+ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der
+Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der
+Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht
+unwahrscheinlich, dass sie in aeltester Zeit ganz Norditalien
+innehatten, bis wo im Osten die illyrischen Staemme begannen, im Westen
+die Ligurer, von deren Kaempfen mit den Umbrern es Sagen gibt, und auf
+deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden zu einzelne Namen,
+zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen
+Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der
+umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten
+Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie
+die zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars
+alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken.
+Ganz besonders begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen
+voraufgegangenen italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich
+Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem
+Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das
+Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als
+die etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften
+zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit
+dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem
+Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren;
+in denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen
+zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese
+suedlichen Striche bedeutend spaeter als die Landschaft nordwaerts
+vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach der
+tuskischen Eroberung umbrische Bevoelkerung sich hier gehalten. Die
+spaeter nach der roemischen Eroberung im Vergleich mit dem zaehen
+Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im noerdlichen Etrurien so
+auffallend schnell erfolgende Latinisierung der suedlichen Landschaft
+findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass von Norden und
+Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt wurden in
+das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie spaeter
+innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich,
+wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre
+aehnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass
+die Tusker den Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was
+mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir
+noch besitzen, werden nebst anderen Staemmen vor allem die Tusker als
+Landesfeinde verwuenscht. ---------------------------------------- ^1
+In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen
+(R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus
+dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu
+darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci
+Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A.
+Cotena La. f. .... zenatuo sentem .... dedet cuando ... cuncaptum, das
+ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia
+dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit diesen und aehnlichen
+haben sich einige andere Inschriften gefunden von abweichender
+und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.
+--------------------------------------- Vermutlich infolge dieses von
+Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die Umbrer vor gegen Sueden,
+im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon
+von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das
+Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und mit
+ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und
+Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten,
+wie wir spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu
+erzaehlen weiss von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium
+und ihren Kaempfen mit den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich
+laengs der ganzen Westkueste wiederholt haben. Im ganzen behaupten
+die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten
+Landschaft neben Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil
+die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch minder dicht war;
+waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser Widerstand
+zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner
+Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz
+abwehren zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme
+hueben und drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit
+den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich
+sowie die Sabina so frueh und so schnell sich latinisieren konnten. Der
+Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina
+oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich
+anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste
+die bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern
+wich oder sich unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen apulischen
+Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung der Iapyger, zwar unter
+steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im
+ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, laesst sich
+natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in Rom
+die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt
+von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem
+Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren,
+preiszugeben und ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter
+sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze
+bescheren moechten. Den einen Schwarm fuehrte der Stier des Mars: das
+wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den
+Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus die schoene Ebene
+oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetzten und im
+alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei
+Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen
+zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das
+Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten
+der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner.
+In aehnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die
+uebrigen kleinen Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die
+Vestiner am Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der
+apulischen Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am
+Fuciner See, diese mit den Volskern und den Latinern sich beruehrend.
+In ihnen allen blieb das Gefuehl der Verwandtschaft und der Herkunft
+aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich
+ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die
+westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder
+hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen
+Staemme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich
+entrueckt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen.
+Staedtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem
+Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre geographische Lage sie
+beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung genuegten die
+Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen blieben in
+den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden
+gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie
+bei den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur
+Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder
+lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint
+die scharfe Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der
+einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie
+gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese Bergkantone in geringem
+Zusammenhang unter sich und in voelliger Isolierung gegen das uebrige
+Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als
+irgendein anderer Teil der italischen Nation in die Entwicklung der
+Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk der
+Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden
+der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das
+latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung
+an, umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die
+samnitische Nation und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten
+Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das
+Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig als wir die Bundesverfassung
+kennen; das aber ist klar, dass in Samnium keine einzelne Gemeinde
+ueberwog und noch weniger ein staedtischer Mittelpunkt den samnitischen
+Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft
+des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus
+ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die
+erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es
+zusammen, dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die
+roemische aggressiv ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung
+der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die
+Leidenschaft so maechtig, dass die Erweiterung des Gebiets planmaessig
+verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden
+Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden
+Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der Staat; was die
+Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub
+ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben
+waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten
+des Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren
+Periode an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst
+erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden.
+Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische
+Ansiedelung veranlassten Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme
+durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt
+230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr
+romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen
+Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten zu einem
+Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit
+diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten Iapyger.
+Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der
+ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen
+Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt
+abzuschlagen. 9. Kapitel Die Etrusker Im schaerfsten Gegensatz zu den
+latinischen und den sabellischen Italikern wie zu den Griechen steht das
+Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber nannten, der Rasen ^1. Schon
+der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; statt des schlanken
+Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker
+nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir
+wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst
+gleichfalls auf eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den
+griechisch-italischen Staemmen schliessen, so namentlich die Religion,
+die bei den Tuskern einen trueben phantastischen Charakter traegt und im
+geheimnisvollen Zahlenspiel und wuesten und grausamen Anschauungen
+und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit entfernt von dem klaren
+Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren hellenischen
+Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das
+wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns
+gekommene Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer
+die Entzifferung darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass
+es bis jetzt nicht einmal gelungen ist, den Platz des Etruskischen in
+der Klassifizierung der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige
+denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei
+Sprachperioden. In der aelteren ist die Vokalisierung vollstaendig
+durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne
+Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen
+Endungen und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies
+weiche und klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte
+und rauhe Sprache verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramtha aus
+ramuthaf, Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke,
+Elchsentre aus Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die
+Aussprache war, zeigt am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d
+und t den Etruskern schon in sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich
+wurde wie im Lateinischen und in den rauheren griechischen Dialekten der
+Akzent durchaus auf die Anfangssilbe zurueckgezogen. Aehnlich wurden die
+aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend die Italiker sie wegwarfen
+mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die Griechen umgekehrt
+mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen th ph ch beibehielten, liessen
+die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das ph gaenzlich, ausser
+in Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei
+in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum
+Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder
+Uthuze heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren
+Bedeutung ermittelt ist, entfernen die meisten sich weit von allen
+griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle; so die Endung
+al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie zum
+Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi uebersetzt
+wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung
+des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum Beispiel
+die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem
+Kasus clensi Sohn; sech Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms,
+Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen
+fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien
+zwischen dem Etruskischen und den italischen Sprachen. Die Eigennamen
+sind im wesentlichen nach dem allgemeinen italischen Schema gebildet:
+die haeufige gentilizische Endung enas oder ena ^4 kehrt wieder in der
+auch in italischen, besonders sabellischen Geschlechtsnamen haeufigen
+Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas und Spurinna
+den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe von
+Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern
+als etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung
+nach so durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich
+von Haus aus etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen
+sein muessen: so Usil (Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum,
+aurora, sol), Minerva (menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna.
+Indes da diese Analogien erst aus den spaeteren politischen und
+religioesen Beziehungen zwischen Etruskern und Latinern und den dadurch
+veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren koennen,
+so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen
+Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den saemtlichen
+griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die
+Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern;
+"tuskisch und gallisch" sind Barbarensprachen, "oskisch und volskisch"
+Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem griechisch-italischen
+Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt ebensowenig gelungen,
+sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. Auf die
+Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die verschiedenartigsten
+Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen Frage, aber alle
+ohne Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem baskischen, an
+das den geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht
+werden koennte, haben entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt.
+Ebensowenig deuten die geringen Reste, die von der liturgischen Sprache
+in Orts- und Personennamen auf uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit
+den Tuskern. Nicht einmal die verschollene Nation, die auf den Inseln
+des tuskischen Meeres, namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften
+Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu Tausenden aufgefuehrt hat, kann
+fueglich mit der etruskischen in Verbindung gebracht werden, da im
+etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude vorkommt.
+Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige
+Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen
+beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer
+Inschriften sicher emi, eimi und findet die Genetivform konsonantischer
+Staemme veneruf, rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder,
+entsprechend der alten sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name
+des etruskischen Zeus Tina oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina
+= Tag zusammen wie Zan mit dem gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies
+zugegeben erscheint das etruskische Volk darum kaum weniger isoliert.
+"Die Etrusker", sagt schon Dionysios, "stehen keinem Volke gleich
+an Sprache und Sitte"; und weiter haben auch wir nichts zu sagen.
+--------------------------------------- ^1 Ras-ennae mit der 1, 131
+erwaehnten gentilizischen Endung. ^2 Dahin gehoeren z. B.
+Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice
+thumamimathumaramlisiaeipurenaietheeraisieepanaminethunastavhelefu oder:
+mi ramuthas kaiufinaia. ^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon
+kann einen Begriff geben zum Beispiel der Anfang der grossen Perusiner
+Inschrift: eulat tanna larezu amevachr lautn velthinase stlaafunas
+slelethcaru. ^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der
+Vokal in der vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge
+der Zurueckziehung des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt
+und sogar ausgestossen. So finden wir neben Porsena, auch Porsena, neben
+Caecina Ceicne. ---------------------------------------- Ebensowenig
+laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien eingewandert
+sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf jeden
+Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche
+Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage
+eifriger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der
+Archaeologen, vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar
+noch wissenswert ist, "nach der Mutter der Hekabe", wie Kaiser Tiberius
+meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief
+im Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine einzige namhafte
+etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber eben
+sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat;
+da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden
+sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel
+gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst
+finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen
+wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die
+Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen
+Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die aeltere
+Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es
+ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die raetischen
+Alpen nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in Graubuenden und
+Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die historische Zeit
+etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen anklingt; sie
+koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po, aber
+wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener
+Teil des Volks sein. Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung
+aber tritt in grellen Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus
+Asien ausgewanderte Lyder seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot
+findet sie sich und kehrt dann in zahllosen Wandlungen und Steigerungen
+bei den Spaeteren wieder, wenngleich einzelne verstaendige Forscher,
+wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich dagegen erklaerten und
+darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und Sprache zwischen
+Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich zeige. Es
+ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm nach
+Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen;
+wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen
+Quiproquo. Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form
+scheint die urspruengliche und der griechischen Tyr-s/e/noi, Tyrr/e/noi,
+der umbrischen Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu
+liegen - begegneten sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke
+der Torr/e/boi oder auch wohl Tyrr-/e/noi, so genannt von der Stadt
+T?rra; und diese offenbar zufaellige Namensvetterschaft scheint in der
+Tat die einzige Grundlage jener durch ihr hohes Alter reicht besser
+gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen Turmes darauf
+aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem
+lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und
+endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen
+Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren
+pluendernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine
+der heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die
+Tyrrhener bezeichnen bald die lydischen Torrheber - so in den aeltesten
+Quellen, wie in den Homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder
+auch bloss Tyrrhener die pelasgische Nation; bald endlich die italischen
+Etrusker, ohne dass die letzteren mit den Pelasgern oder den Torrhebern
+je sich nachhaltig beruehrt oder gar die Abstammung mit ihnen gemein
+haetten. Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was
+die nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort
+aus sich weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion
+in der Landschaft noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch
+grenzend mit den Venetern illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich
+mit den Ligurern, ist vielfach beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der
+schon erwaehnte rauhe etruskische Dialekt, den noch in Livius' Zeit
+die Bewohner der raetischen Alpen redeten, sowie das bis in spaete Zeit
+tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und an den Muendungen
+dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener als der
+herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten Kaufstaedte
+Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und Ravenna
+tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den
+Padus ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten
+Ufer desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere
+Wurzeln geschlagen hat als auf dem frueh aufgegebenen linken. Doch sind
+ueberhaupt die Landschaften noerdlich vom Apennin zu rasch von einer
+Nation an die andere gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwicklung
+sich hier haette gestalten koennen. Weit wichtiger fuer die Geschichte
+wurde die grosse Ansiedelung der Tusker in dem Lande, das heute noch
+ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer hier einstmals
+gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische Okkupation
+und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem
+Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom
+Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre
+bleibende Staette gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die
+Kaiserzeit hinein sich behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich
+tuskischen Gebietes machte der Arnus; das Gebiet von da nordwaerts bis
+zur Muendung der Macra und dem Apennin war streitiges Grenzland, bald
+ligurisch, bald etruskisch, und groessere Ansiedlungen gediehen deshalb
+daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der
+Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo, spaeterhin der
+Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet zwischen
+dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete,
+Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren
+Distrikte, moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den
+Etruskern eingenommen zu sein scheint und dass die urspruengliche
+italische Bevoelkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch in
+abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben muss. Seitdem der Tiberstrom
+die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium bildete, mag hier im
+ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und eine wesentliche
+Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen die
+Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker
+ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom
+rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu
+haben als zum Beispiel von den Stammesverwandten in Gabii und Alba;
+natuerlich, denn dort schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des
+breiten Stromes, sondern auch der fuer Roms merkantile und politische
+Entwicklung folgenreiche Umstand, dass keine der maechtigeren
+etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen Ufer
+Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren es auch,
+mit denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten,
+namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf
+dem linken Tiberufer, aehnlich wie auf dem rechten den Roemern das
+Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf diente und bald in den Haenden der
+Latiner, bald in denen der Etrusker sich befand. Dagegen mit dem etwas
+entfernteren Caere war das Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und
+freundlicher, als es sonst unter Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen
+pflegt. Es gibt wohl schwankende und in die graueste Fernzeit gerueckte
+Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische
+Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben
+einen Weinzins auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der
+einstmalige Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges
+Verhaeltnis zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des Handels-
+und Seeverkehrs in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem
+Vordringen der Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln
+ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos
+im Jahre 230 (524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die
+Etrusker in erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht
+als bis ins einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die
+Etrusker an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger
+ist es, dass suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete
+etruskische Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer
+ernstlichen Bedraengung der latinischen Nation durch die Etrusker gar
+nichts wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer
+der Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen, unangefochten.
+Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom anlangt, so
+findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener Bericht,
+dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach
+dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt habe,
+von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies zuverlaessig
+sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges von
+diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der
+Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen
+Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung
+solcher Archaeologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf
+etruskische Ansiedlungen in Rom deutet weiter das "Tuskerquartier" unter
+dem Palatin. Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das
+letzte Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der
+Tarquinier, aus Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie
+die Sage will, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas
+vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der in die Sage verflochtene
+Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch, dagegen in Etrurien
+gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach Tarquinius der Sohn
+eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen war und in
+Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die
+geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt,
+sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt
+etwas mehr entnommen werden kann als die nackte und im Grunde
+gleichgueltige Tatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft
+das koenigliche Szepter in Rom gefuehrt hat, so kann darin nur liegen,
+dass diese Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft ueber Rom weder
+als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde ueber Rom,
+noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber Suedetrurien gefasst werden
+darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer die andere Annahme
+irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der Tarquinier
+spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat waehrend
+der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in
+Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige
+Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes
+unterbrochen. Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen
+das latinische Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den
+Kaempfen der Etrusker mit den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst
+nach der Vertreibung der Koenige in Rom ueberschritten, teils in
+der Richtung der etruskischen Nation auf Seefahrt und Meer- und
+Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen Ansiedelungen
+entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter die
+Rede sein wird. Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen
+und latinischen auf der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die
+fruehe Richtung der Nation aber auf Schiffahrt, Handel und Industrie
+scheint rascher, als es sonst in Italien der Fall gewesen ist, hier
+eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen zu haben; zuerst
+von allen italischen Staedten wird in den griechischen Berichten Caere
+genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig
+und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit
+Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung
+der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit
+der roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die
+aehnliche Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie
+die roemischen; Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber;
+fuer die Aehnlichkeit der Geschlechterordnung buergt die Analogie
+des Namensystems, nur dass bei den Etruskern die Abstammung von
+muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als im roemischen Recht.
+Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie umschloss
+nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die
+kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso
+wie die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand
+aus zwoelf Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den
+Goetterdienst, und ein Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester
+anerkannten, aber doch im wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein
+scheinen und zum Teil wenigstens so maechtig, dass weder eine Hegemonie
+sich bilden noch die Zentralgewalt zur Konsolidierung gelangen konnte.
+Im eigentlichen Etrurien war die Metropole Volsinii; von den uebrigen
+Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere Ueberlieferung nur
+Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso selten,
+dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte
+selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt
+regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann
+ins Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen
+wird, so schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es
+scheint den etruskischen Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen
+italischen Stammbuenden von Haus aus an einer festen und gebietenden
+Oberleitung gefehlt zu haben. 10. Kapitel Die Hellenen in Italien
+Seeherrschaft der Tusker und Karthager Nicht auf einmal wird es hell in
+der Voelkergeschichte des Altertums; und auch hier beginnt der Tag
+im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in tiefes Werdegrauen
+eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen Becken des
+Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte Kultur
+ans Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten
+Stadien der Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den
+Meister und Herrn zu finden, ist in hervorragendem Masse auch den
+Voelkern Italiens zuteil geworden. Indes lag es in den geographischen
+Verhaeltnissen der Halbinsel, dass eine solche Einwirkung nicht zu Lande
+stattfinden konnte. Von der Benutzung des schwierigen Landwegs zwischen
+Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet sich nirgends eine
+Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von Italien aus
+schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die aelteste
+Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der
+Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als
+Heimat des Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich
+eine andere quer durch die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa
+fuehrende an; aber Elemente der Zivilisation konnten von dort her den
+Italikern nicht zukommen. Es sind die seefahrenden Nationen des Ostens,
+die nach Italien gebracht haben, was ueberhaupt in frueher Zeit von
+auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist. Das aelteste Kulturvolk am
+Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch nicht ueber Meer und haben
+daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig aber kann dies von
+den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die von ihrer
+engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen
+bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des
+Fisch- und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten,
+die zuerst den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit
+das Mittelmeer bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast
+an allen Gestaden desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische
+Seestationen: wie in Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten,
+Libyen und Spanien, so auch im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien
+herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe die Griechen dorthin kamen,
+oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl sich festsetzten, die
+Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre Faktoreien gegruendet,
+des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu gewinnen.
+Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von
+phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige
+mit einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei
+bei Caere, deren Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der
+kleinen Ortschaft an der caeritischen Kueste Punicum, teils in dem
+zweiten Namen der Stadt Caere selbst, Agylla, welcher nicht, wie man
+fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern phoenikisch ist und
+die "Rundstadt" bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen Caere sich
+darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen es an
+den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall
+weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast
+spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund
+vor, sie fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen
+Ansiedlungen an denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen
+davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen Maenner erst durch
+Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre latinische, der
+griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren alle
+aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens
+entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der
+phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode
+zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen
+des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat
+lag, wenn man sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich
+Kuestenfahrt war und blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am
+Mittelmeer so fern wie der italische Kontinent. Sie konnten ihn
+nur entweder von der griechischen Westkueste oder von Sizilien aus
+erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt
+frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der
+Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen
+unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen,
+ist deshalb kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der
+phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen
+Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen.
+Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die
+zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die
+italischen Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher
+Gegend und zu welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin
+gelangt sind, laesst nur die erstere sich mit einiger Sicherheit und
+Vollstaendigkeit beantworten. Es war das aeolische und ionische Gestade
+Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr sich grossartig
+entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des Schwarzen
+Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des
+Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien
+geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die
+Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken
+an die einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch
+ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in
+Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der
+gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger
+hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen Phokaeer, die
+zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald folgten
+auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach:
+Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier,
+Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung
+Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin
+zu fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der
+europaeischen Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren
+deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch
+die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im Westland kein
+Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes der
+Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu
+Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und
+deutsche Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch
+das griechische Sizilien und "Grossgriechenland" aus den
+verschiedenartigsten hellenischen Stammschaften oft ununterscheidbar
+zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser einigen mehr vereinzelt
+stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren Pflanzstaedten
+Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode gegruendete
+Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei
+Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen
+Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme
+mit den uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion,
+in Sizilien Zankle (spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini,
+Himera zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris und die Mehrzahl der
+grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische, welcher
+Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen
+Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen Pflanzstadt
+Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die
+aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen
+Einwanderung im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben
+sich vorzugsweise nur die Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie
+Korinth und Megara, die rein dorischen Landschaften dagegen nur in
+untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn die Ionier waren ein
+altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme aber sind erst
+verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen Bergen in die
+Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten dem
+Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen
+Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss.
+Die phokaeischen Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden
+babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit
+dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im ganzen europaeischen
+Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen Modifikation
+desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen
+Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige
+Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt hatte,
+nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken vielmehr
+nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der
+der sizilischen Dorer. Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und
+Ansiedlungen wird wohl fuer immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben.
+Zwar eine gewisse Folge darin tritt auch fuer uns noch unverkennbar
+hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen, welche, wie der aelteste
+Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern eignet, in den
+Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das
+oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See
+verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa
+noch von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde
+nach Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen
+Dichtung mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche
+am fruehesten mit dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige
+Kunde von Sizilien und Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter
+des Ostens konnten, wie seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften
+Orient, ungestoert die leeren Raeume des Westens mit ihren luftigen
+Gestalten erfuellen. Bestimmter treten schon in den Hesiodischen
+Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; sie kennen aus
+beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und Staedten;
+doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten
+nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte
+Gestade Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt.
+Ebenso laesst die Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger
+Sicherheit sich bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im
+Westland galt offenbar schon dem Thukydides Kyme; und gewiss hat
+er nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen Schiffer mancher
+Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den Barbaren
+war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt
+urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser
+Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf
+dem Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die
+noch heute den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt
+traegt. Nirgends in Italien sind denn auch die Oertlichkeiten der
+kleinasiatischen Maerchen mit solcher Festigkeit und Lebendigkeit
+lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo die fruehesten
+Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst das
+Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu
+wandeln meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden
+Aornossee zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen
+Nachbarn der Italiker wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb
+der Name desjenigen italischen Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen
+war, der Name der Opiker, von ihnen noch lange Jahrhunderte nachher
+fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist ferner glaublich
+ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung in
+Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch
+einen betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener
+Einwanderung wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und
+Naxos auf Sizilien die aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in
+Italien und Sizilien gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die
+achaeischen und dorischen Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind.
+Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen
+auch nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung
+der achaeischen Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen
+Stadt Taras im Jahre 46 Roms (708) moegen die aeltesten Daten der
+italischen Geschichte sein, deren wenigstens ungefaehre Richtigkeit als
+ausgemacht angesehen werden kann. Um wieviel aber die Ausfuehrung der
+aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser Epoche zurueckliege, ist
+ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der Hesiodischen und
+gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers richtig
+bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der
+Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle
+anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer
+die Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache
+erwaegt, dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der
+hellenische Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung
+der Hellenen von dem in Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder
+Graeci entlehnten ^1, wird geneigt sein, den fruehesten Verkehr der
+Italiker mit den Griechen um ein bedeutendes hoeher hinaufzuruecken.
+------------------------------------------- ^1 Ob der Name der Graeker
+urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland und der Gegend von
+Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das Westmeer
+reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in
+ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des
+eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte
+Nation uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als
+aelterer Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit
+beiseite geschoben und dem hellenischen untergeordnet, welcher
+letztere bei Homer noch nicht, wohl aber, ausser bei Hesiod, schon
+bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704) auftritt und recht wohl noch
+bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L. Duncker, Geschichte des
+Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also bereits vor dieser
+Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt, dass jener in
+Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der griechischen
+Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei
+nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der
+hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen
+ist als diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer
+sich fixierte als dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den
+wohlbekannten naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es
+damit vereinigen will, dass noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms
+Italien den kleinasiatischen Griechen voellig unbekannt war, ist schwer
+abzusehen. Von dem Alphabet wird unten die Rede sein; es ergibt dessen
+Geschichte vollkommen die gleichen Resultate. Man wird es vielleicht
+verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin die Herodotische Angabe
+ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es etwa keine
+Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen?
+---------------------------------------- Die Geschichte der italischen
+und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil der italischen; die
+hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten
+Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten
+und Rechten der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den
+verschiedenen Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu
+bezeichnen und wenigstens gewisse Grundzuege hervorzuheben, durch
+die der verschiedenartige Einfluss der griechischen Kolonisierung
+auf Italien wesentlich bedingt worden ist. Unter allen griechischen
+Ansiedlungen die intensivste und in sich am meisten geschlossene war
+diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund hervorging, welchen die
+Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, Sybaris mit seinen
+Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina
+und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen
+genommen, einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen,
+dem dorischen naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des
+sonst allgemein in Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit
+an der altnationalen hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine
+besondere Nationalitaet den Barbaren wie den andern Griechen gegenueber
+in einer festen buendischen Verfassung bewahrte. Auch auf diese
+italischen Achaeer laesst sich anwenden, was Polybios von der
+achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: "nicht allein in
+eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie, sondern
+sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und
+Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter". Dieser
+Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die Staedte
+waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne
+Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den
+Bruecken seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm
+Milesier und Etrusker. Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss
+die Kuestensaeume, sondern herrschten von Meer zu Meer in dem "Wein-"
+und "Rinderland" (Oinotria, Italia) oder der "grossen Hellas"; die
+eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel oder gar in
+Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit
+die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme
+und fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und
+Poseidonia gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des
+Krathis und Bradanos warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen
+Ertrag ab - vielleicht ist hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut
+worden. Von der hohen Bluete, zu welcher diese Staaten in unglaublich
+kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die einzigen auf uns
+gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre Muenzen von
+strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die fruehesten
+Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung erweislich
+im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen
+zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben
+um diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst,
+sondern in der Technik demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt
+der dicken, oft nur einseitig gepraegten und regelmaessig schriftlosen
+Silberstuecke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie
+bei den italischen Dorern ueblich waren, schlugen die italischen Achaeer
+mit grosser und selbstaendiger Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen,
+teils erhaben teils vertieft geschnittenen Stempeln grosse duenne,
+stets mit Aufschrift versehene Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der
+Falschmuenzerei jener Zeit - Plattierung geringen Metalls mit duennen
+Silberblaettern - sich schuetzende Praegweise den wohlgeordneten
+Kulturstaat verraet. Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht.
+In der muehelosen, weder durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch
+durch eigene schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte
+sogar den Griechen frueh die Spannkraft des Koerpers und des Geistes.
+Keiner der glaenzenden Namen der griechischen Kunst und Literatur
+verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren unzaehlige,
+auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent
+den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der
+Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen
+liess die strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen
+Gemeinden frueh ans Ruder gekommen war und im Notfall an der
+Bundesgewalt einen sicheren Rueckhalt fand: wohl aber drohte die
+Verwandlung der Herrschaft der Besten in eine Herrschaft der Wenigen,
+vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in den verschiedenen
+Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig sich
+aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des
+Pythagoras bezeichnete solidarische Verbindung der "Freunde", sie gebot,
+die herrschende Klasse "gleich den Goettern zu verehren", die dienende
+"gleich den Tieren zu unterwerfen", und rief durch solche Theorie und
+Praxis eine furchtbare Reaktion hervor, welche mit der Vernichtung
+der pythagoreischen "Freunde" und mit der Erneuerung der alten
+Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, Massenerhebungen
+der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische Anwendung
+unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten
+Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten,
+bis ihre politische Macht darueber zusammenbrach. Es ist danach nicht
+zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die daselbst
+angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die uebrigen
+griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus
+ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als
+den Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die
+Eingeborenen und zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne
+doch den Italikern durch vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu
+eroeffnen. So ist in Sybaris und Metapont, in Kroton und Poseidonia das
+griechische Wesen, das sonst allen politischen Missgeschicken zum Trotz
+sich lebenskraeftig zu behaupten wusste, schneller, spur- und ruhmloser
+verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet, und die zwiesprachigen
+Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der eingeborenen Italiker
+und der Achaeer und den juengeren Einwanderern sabellischer Herkunft
+hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig gelangt. Indes, diese
+Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende Periode. Anderer
+Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der
+uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn
+keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu
+ihrer Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art
+an einer befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle
+diese Staedte zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und
+darum denn auch, ganz abweichend von den achaeischen, durchgaengig
+an den besten Haefen und Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft,
+die Veranlassung und die Epoche dieser Gruendungen waren mannigfach
+verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine gewisse Gemeinschaft
+- so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch gewisser moderner
+Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der Sprache, der auch
+in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel Kyme ^3, von
+Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die Entwicklung
+Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade wichtig
+geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend
+in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des
+dorischen Tarent und des ionischen Kyme.
+------------------------------------------------- ^2 So sind die
+drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als leicht
+zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen
+vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder
+ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben,
+waehrend die uebrigen Griechen Italiens und Siziliens ohne Unterschied
+des Stammes sich ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend der juengeren
+Formen bedient haben. ^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen
+Tongefaess Tataies emi leyqthos. Fos d'an me klephsei th?phlos estai.
+--------------------------------- Den Tarentinern ist unter allen
+hellenischen Ansiedlungen in Italien die glaenzendste Rolle zugefallen.
+Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der ganzen Suedkueste,
+machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepot fuer den sueditalienischen
+Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem Adriatischen Meer.
+Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und Verarbeitung
+der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft der
+tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte -
+beide Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos
+-, beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch
+den Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im
+griechischen Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen
+Muenzen sind noch heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften
+tarentinischen Verkehrs. Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit
+Sybaris um den ersten Rang unter den unteritalischen Griechenstaedten
+rang, muessen seine ausgedehnten Handelsverbindungen sich angeknuepft
+haben; indes auf eine wesentliche Erweiterung ihres Gebietes nach Art
+der achaeischen Staedte scheinen die Tarentiner nie mit dauerndem
+Erfolg ausgegangen zu sein. Wenn also die oestlichste der griechischen
+Ansiedlungen in Italien rasch und glaenzend sich emporhob, so gediehen
+die noerdlichsten derselben am Vesuv zu bescheidnerer Bluete. Hier
+waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus die Kymaeer auf das
+Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart am Meere eine
+zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia (spaeter
+Puteoli), und weiter die "Neustadt" Neapolis gegruendet wurden.
+Sie lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und
+Sizilien, nach den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650)
+festgestellt hatte, in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus
+gemaessigten Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den
+Reichsten erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung,
+die sich bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren
+wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren
+Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus
+Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt
+auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und
+unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich
+mit ihnen handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine
+gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den ersten Platz unter den
+Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein. Wenn zu beiden
+Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die ganze
+suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere
+oestliche Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so
+gestalteten dagegen auf der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv
+und auf der ganzen Ostkueste die Verhaeltnisse sich wesentlich anders.
+An dem dem Adriatischen Meer zugewandten italischen Gestade entstanden
+griechische Ansiedlungen nirgends; womit die verhaeltnismaessig
+geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der griechischen
+Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und
+den zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich
+zusammenhaengt. Zwar wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser
+Kueste zwei ansehnliche Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt
+Durazzo; 127 587) und Apollonia (bei Avlona; um 167 627) noch waehrend
+der roemischen Koenigsherrschaft gegruendet; aber weiter noerdlich ist,
+mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden Niederlassung auf Schwarzkerkyra
+(Curzola; um 174? 580) keine alte griechische Ansiedlung nachzuweisen.
+Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die griechische
+Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat, wohin
+doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat
+seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach
+Rom (um 44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein
+Handelszug bestand, dessen Entrepots auf der italischen Kueste die
+Staedte an der Pomuendung, Spina und Atria, waren. Die Stuerme der
+Adriatischen See, die Unwirtlichkeit wenigstens der illyrischen Kuesten,
+die Wildheit der Eingeborenen reichen offenbar allein nicht aus,
+um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist es von den
+wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden Elemente
+der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften
+einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese gelangten.
+Selbst in den Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und Kerkyra die
+oestlichste Kaufstadt Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch
+den Besitz von Hydrus (Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf
+der italischen Seite beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung
+an der ganzen Ostkueste nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht
+bestanden - Ankons Aufbluehen faellt in weit spaetere Zeit und noch
+spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es wohl begreiflich, dass
+die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in Tarent loeschten.
+Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit Apulien;
+auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im
+Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die
+ersten Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer
+spaeteren Epoche. Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich
+vom Vesuv in aeltester Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf
+den Inseln und Landspitzen hellenische Faktoreien bestanden, laesst
+sich nicht bezweifeln. Wohl das aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die
+Lokalisierung der Odysseussage an den Kuesten des Tyrrhenischen Meeres
+^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des Aeolos wiederfand, wenn
+man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am Misenischen die
+der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das ragende
+Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn
+bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne
+des Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos,
+im "innersten Winkel der heiligen Inseln" die Tyrrhener beherrschen oder
+in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke,
+Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das alte
+Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat auf
+der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche Lebendigkeit
+der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den Fahrten des
+Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung
+derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der
+kymaeischen Schiffer. ------------------------------------------- ^4
+Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische
+Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische 'Theogonie' in einem ihrer
+juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor
+Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und
+der sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an,
+wo Italien den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher
+sehr alt; und es kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen
+mit Sicherheit in die roemische Koenigszeit gesetzt werden.
+------------------------------------------- Andere Spuren dieser
+aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva,
+Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von Griechen besetzten
+Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes
+Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der caeritischen
+Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss die
+Namen unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die
+eigentuemliche, von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen
+Stadtmauern sich wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern
+von Pyrgi. Aethalia, "die Feuerinsel", mit ihren reichen Kupfer- und
+besonders Eisengruben mag in diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und
+hier die Altsiedlung der Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen
+seinen Mittelpunkt gehabt haben; um so mehr als das Schmelzen der
+Erze auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem
+Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia
+auf der Elba gegenueberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den
+Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. Wenn die Fremden,
+wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- und Landraub
+obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit
+sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven
+fortzufuehren, so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das
+Vergeltungsrecht aus; und dass die Latiner und Tyrrhener dies
+mit groesserer Energie und besserem Glueck getan haben als ihre
+sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, sondern vor
+allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich der
+Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte
+und Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch
+Herren ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die
+sueditalischen Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker
+Mittelitaliens, freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, zur
+Seefahrt und zur Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der
+Italiker das Floss und den Nachen mit der phoenikischen und griechischen
+Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst begegnen grosse Kaufstaedte,
+vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am Tiber, die, nach den
+italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung vom Meere
+zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte an der
+Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum, sicher keine
+griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den geschichtlichen
+Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet gegen
+fremden Eingriff darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande;
+wohl aber laesst es noch sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung
+Italiens von der groessten Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium
+und im suedlichen Etrurien einen andern Gang genommen hat als in der
+eigentlichen tuskischen und den sich daran anschliessenden Landschaften.
+Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem "wilden Tyrrhener" den
+Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche
+Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint
+sein, dass man die griechische Kolonisierung in einigen Landschaften
+Mittelitaliens geduldet, in andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts
+vom Vesuv hat ueberhaupt in geschichtlicher Zeit nirgends eine
+unabhaengige griechische Gemeinde bestanden, und wenn Pyrgi dies einmal
+gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn unserer Ueberlieferung
+in die Haende der Italiker, das heisst der Caeriten zurueckgekehrt sein.
+Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium und ebenso an der Ostkueste
+der friedliche Verkehr mit den fremden Kaufleuten geschuetzt und
+gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem merkwuerdig ist die
+Stellung von Caere. "Die Caeriten", sagt Strabon, "galten viel bei den
+Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit, und weil sie, so
+maechtig sie waren, des Raubes sich enthielten." Nicht der Seeraub ist
+gemeint, den der caeritische Kaufmann wie jeder andere sich gestattet
+haben wird; sondern Caere war eine Art von Freihafen fuer die Phoeniker
+wie fuer die Griechen. Wir haben der phoenikischen Station - spaeter
+Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und Alsion bereits gedacht;
+diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich enthielten,
+und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte
+Reede besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher
+Bluete gelangt ist und fuer den aeltesten griechischen Handel noch
+groessere Bedeutung gewonnen hat als die von der Natur zu Emporien
+bestimmten Staedte der Italiker an den Muendungen des Tiber und des
+Po. Die hier genannten Staedte sind es, welche in uraltem religioesen
+Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste unter allen Barbaren,
+der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische Koenig Arimnos,
+vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem Tempel
+des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem
+Verkehr stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der
+aeltesten caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische
+Heiligtum sowohl wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte,
+wo die Italiker friedlich schalteten und mit dem fremden Kaufmann
+freundlich verkehrten, wurden vor allen reich und maechtig und wie
+fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime der hellenischen
+Zivilisation die rechten Stapelplaetze. Anders gestalteten sich die
+Verhaeltnisse bei den "wilden Tyrrhenern". Dieselben Ursachen, die in
+der latinischen und in den vielleicht mehr unter etruskischer Suprematie
+stehenden als eigentlich etruskischen Landschaften am rechten Tiberufer
+und am unteren Po zur Emanzipierung der Eingeborenen von der fremden
+Seegewalt gefuehrt hatten, entwickelten in dem eigentlichen Etrurien,
+sei es aus anderen Ursachen, sei es infolge des verschiedenartigen, zu
+Gewalttat und Pluenderung hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub
+und die eigene Seemacht. Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus
+Aethalia und Populonia zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward,
+wie es scheint, hier nicht geduldet, und bald durchstreiften sogar
+etruskische Kaper weithin die See und machten den Namen der Tyrrhener
+zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache galt diesen der
+Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die Griechen das
+italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem diese
+wilden Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen,
+zeigt am deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und
+kampanischen Kueste. Zwar behaupteten im eigentlichen Latium sich die
+Latiner und am Vesuv sich die Griechen; aber zwischen und neben ihnen
+geboten die Etrusker in Antium wie in Surrentum. Die Volsker traten in
+die Klientel der Etrusker ein; aus ihren Waldungen bezogen diese
+die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der Antiaten erst die
+roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es wohl,
+warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das
+laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch
+steileren, aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der
+Buchten von Neapel und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende
+Korsarenwarte, wurde frueh von den Etruskern in Besitz genommen. Sie
+sollen sogar in Kampanien einen eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet
+haben und etruskisch redende Gemeinden haben hier noch in vollkommen
+historischer Zeit im Binnenlande bestanden; wahrscheinlich sind diese
+Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft der Etrusker im
+kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am Vesuv
+hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf
+Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen
+Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens
+vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders
+Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss geschlagen
+haben; dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern vielmehr
+attischen, ja kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, ist
+uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der
+Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich
+fuer den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit
+vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend
+geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen Freihafen, am
+oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit, ferner ueber
+die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen nach
+Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die
+reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten
+italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische
+und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der
+Ostsee ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie,
+gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel
+emporkommen; und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der
+etruskische und milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener
+Verbindung von Kaperei und Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus
+entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich selber verzehrt hat.
+Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die
+Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden,
+so griff dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in
+diejenige Rivalitaet ein, die damals Handel und Schiffahrt auf dem
+Mittellaendischen Meere vor allem beherrschte: in die Rivalitaet der
+Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht dieses Orts, im einzelnen
+darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit diese beiden
+grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in Griechenland
+und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen,
+spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft
+rangen; unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht
+gekaempft, aber die Folgen derselben doch auch in Italien tief und
+nachhaltig empfunden. Die frische Energie und die universellere Begabung
+des juengeren Nebenbuhlers war anfangs ueberall im Vorteil; die Hellenen
+entledigten sich nicht bloss der phoenikischen Faktoreien in ihrer
+europaeischen und asiatischen Heimat, sondern verdraengten die Phoeniker
+auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten und Kyrene und
+bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen Haelfte
+der sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen
+Handelsplaetze der energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward
+auch im westlichen Sizilien Selinus (126 628) und Akragas (174 580)
+gegruendet, schon von den kuehnen kleinasiatischen Phokaeern die
+entferntere Westsee befahren, an dem keltischen Gestade Massalia erbaut
+(um 150 600) und die spanische Kueste erkundet. Aber ploetzlich, um die
+Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der hellenischen
+Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses Stockens
+der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den
+Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die
+maechtigste ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die
+den Seeverkehr auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch
+den juengeren Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft
+ueber die Westsee, dem Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem
+oestlichen und dem westlichen Becken des Mittelmeeres und dem Monopol
+der Handelsvermittlung zwischen Orient und Okzident, so konnte doch
+wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von Sardinien und Sizilien
+noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren Behauptung setzte
+Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche zaehe und
+umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand
+der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren
+phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides
+schildert, waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich
+ausgedehnte Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen
+Festungen. Hatten bisher die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt
+den Griechen gegenuebergestanden, so zentralisierte jetzt die
+maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze Wehrkraft ihrer
+Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische Geschichte
+nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das
+wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge
+Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu
+erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier
+und Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen
+Ansiedlungen auf Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten,
+wurden sie durch die Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker
+wieder von dort vertrieben. Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia
+(Aleria) auf Korsika Caere gegenueber niederliessen, erschien, um sie
+von dort zu vertreiben, die vereinigte Flotte der Etrusker und
+der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark; und obwohl in dieser
+Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt - die
+nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so
+erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff
+bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber
+an der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich
+nieder. Ein Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss
+die Regeln ueber Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch
+ein Waffenbuendnis (symmachia) ein, von dessen ernstlicher Bedeutung
+eben jene Schlacht von Alalia zeugt. Charakteristisch ist es fuer die
+Stellung der Caeriten, dass sie die phokaeischen Gefangenen auf dem
+Markt von Caere steinigten und alsdann, um den Frevel zu suehnen,
+den delphischen Apoll beschickten. Latium hat dieser Fehde gegen die
+Hellenen sich nicht angeschlossen; vielmehr finden sich in sehr alter
+Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu den Phokaeern in Hyele wie
+in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar gemeinschaftlich mit
+den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere Saguntum
+gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf die
+Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen
+zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den
+Latinern und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern
+durch Vermittlung der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen,
+ihn stets mit dem griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder
+den Namen der Stadt Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den
+Griechen entlehnt haben, dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern
+mit dem ebenfalls die griechische Vermittlung ausschliessenden Namen
+der sarranischen bezeichnet werden ^7, beweist ebenso wie die spaeteren
+Vertraege den alten und unmittelbaren Handelsverkehr zwischen Latium
+und Karthago. ------------------------------------------------ ^5
+Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago. ^6 Der
+Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio
+Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich
+stammverwandt mit dem der Hebraeer. ^7 Sarranisch heissen den Roemern
+seit alter Zeit der tyrische Purpur und die tyrische Floete, und auch
+als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem Hannibalischen Krieg in
+Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende Stadtname Sarra ist
+wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen Namen Sor
+gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern
+nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K.
+Movers, Die Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174.
+-------------------------------------------- Der vereinigten Macht der
+Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die westliche Haelfte des
+Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der nordwestliche Teil
+von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos an
+der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im
+unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des
+Kyros und Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu bestimmen
+suchte, insgesamt aus Kleinasien auswandernd in Sardinien sich
+niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der karthagische Feldherr
+Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der wichtigen Insel mit
+Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das ganze Gestade
+Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen Gemeinde. Korsika
+dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern zu und die
+Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel,
+dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in
+den Gewaessern westlich von Sizilien und Sardinien herrschten die
+verbuendeten Etrusker und Karthager. Zwar gaben die Griechen den Kampf
+nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen Rhodier und Knidier setzten
+auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich fest und gruendeten
+hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh trotz seiner Isolierung
+und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis nach den Pyrenaeen. An
+den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt Rhoda (jetzt
+Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich angesiedelt,
+ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten
+geherrscht haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer
+die Hellenen vorbei; nach Akragas' Gruendung sind ihnen bedeutende
+Gebietserweiterungen am Adriatischen wie am westlichen Meer nicht mehr
+gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben
+ihnen verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den
+tuskischen "Seeraeubern", die Karthager mit den Massalioten, den
+Kyrenaeern, vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner
+Seite hin ward ein dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der
+Jahrhunderte langen Kaempfe war im ganzen die Aufrechterhaltung des
+Status quo. So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern
+es zu danken, dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften
+nicht kolonisiert wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine
+nationale Seemacht ins Leben trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren,
+dass die Phoeniker es schon der Muehe wert fanden, wenn nicht gegen
+die latinischen, doch wenigstens gegen die seemaechtigeren etruskischen
+Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, die aller
+Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den
+Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den
+Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden
+rivalisierenden Interessen. 11. Kapitel Recht und Gericht Das Volksleben
+in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen, vermag
+die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung
+der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und
+Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes
+beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der
+Versuch, diese Zustaende, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen,
+anzudeuten, eben fuer diese aelteste, geschichtlich so gut wie
+verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser
+Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker trennt, sich auf
+diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen laesst.
+Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten
+Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen,
+dass sie einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch
+diese saeuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner
+und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich
+besser schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten
+Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgepraegt,
+wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern
+kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser
+Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der
+Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und
+lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch
+eine Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung,
+um dies gleich hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich
+zusammenfassen, dass bei den Italikern und insbesondere bei den Roemern
+von den urzeitlichen Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt
+worden ist als bei irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und
+Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau,
+primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende
+Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - alle diese und
+unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als Grundlage der
+italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst
+anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden,
+und nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr
+einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte
+bei einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die
+griechische und deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen
+Charakter. Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind
+verschollen: nur von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen
+Ueberlieferung einige Kunde auf uns gekommen. Alle Gerichtsbarkeit
+ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem Koenig, welcher
+Gericht oder "Gebot" (ius) haelt an den Spruchtagen (dies fasti) auf
+der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem Wagenstuhl
+(sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor ihm
+der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber
+die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste
+maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst
+nicht als Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne
+und Enkel konkurrierte die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen
+Gerichtsbarkeit; aber eine eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht,
+sondern lediglich ein Ausfluss des dem Vater an den Kindern zustehenden
+Eigentumsrechts. Von einer eigenen Gerichtsbarkeit der Geschlechter
+oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der koeniglichen abgeleiteten
+Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur. Was die Selbsthilfe
+und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich vielleicht noch ein
+sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die Toetung
+des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die
+Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen
+schon bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach
+die Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der
+Gemeindegewalt unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem
+Einfluss, der den Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach
+aeltestem deutschen Recht zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas
+wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so haeufig ist,
+dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in
+der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig
+behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess,
+je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten
+einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen
+ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der
+Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen
+Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder
+(parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder
+Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte
+durch boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der
+Goetter und des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn
+schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb
+dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess eroeffnet und leitet
+der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen
+Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er den
+Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung
+an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen
+werden; die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner
+fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren
+staendigen Stellvertreter, die "Mordspuerer" (quaestores parricidii),
+denen zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine
+gewisse polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht
+an, moegen aber wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen.
+Untersuchungshaft ist Regel, doch kann auch der Angeklagte
+gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung zur Erzwingung des
+Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer ueberwiesen ist, den
+gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem Leben; die
+Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen
+gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt.
+Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig
+aber kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio)
+gestatten oder verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine
+Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem
+Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an demselben Tag nicht
+mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus betritt, muss der Bande
+entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher geschenkt, welcher
+auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der Vesta
+zufaellig begegnet. ------------------------------------------ ^1 Dieser
+"Wagenstuhl" - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht wohl moeglich
+(vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in der Weise
+erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt
+war, woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche
+Gelegenheiten blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein
+erhoehtes Tribunal gab, auf dem Comitium oder wo er sonst wollte,
+vom Wagenstuhl herab Recht sprach. ^2 Die Erzaehlung von dem Tode des
+Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24) sie gibt: dass Verwandte
+des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten; dass Tatius den
+klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe; dass
+dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder
+des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass
+aber infolge goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener
+Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten Moerder in Rom und
+in Laurentum nachtraeglich zur gerechten Strafe gezogen seien - diese
+Erzaehlung sieht ganz aus wie eine Historisierung der Abschaffung
+der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der Provokation dem
+Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden Fassungen
+dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber
+auch verwirrt oder zurechtgemacht.
+------------------------------------------------ Bussen an den Staat
+wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der Koenig nach
+Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa)
+von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner
+Hand. In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine
+Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des
+Verletzten, welcher den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter
+Gewalt zwingt, sich mit ihm persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind
+beide Parteien erschienen und hat der Klaeger die Forderung muendlich
+vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in gleicher Weise verweigert,
+so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen oder sie in seinem
+Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmaessige
+Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem
+Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein, wenn
+der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne
+(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder
+seine gerechte Forderung nicht erfuellt ward. Was in dieser Epoche der
+Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und wann der Diebstahl
+als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht bestimmen.
+Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat ergriffenen
+Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die Erbitterung,
+welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen diesen.
+Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht
+imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter
+gebilligte Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen
+als eigener Mann zugesprochen. Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers
+wie der Sachen musste in den leichteren Faellen der Verletzte wohl
+unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren,
+so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn. Das
+Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft
+benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden
+ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem
+"Sklaven- und Viehstand" (familia pecuniaque) entwickelt. Als
+Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern
+man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem einzelnen Buerger von der
+Gemeinde zu ausschliesslichem Haben und Nutzen zugeteilt, weshalb auch
+nur der Buerger und wen die Gemeinde in dieser Beziehung dem Buerger
+gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. Alles Eigentum geht
+frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen wesentlichen
+Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit ueberhaupt
+der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und
+kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten
+auf das vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht
+imstande, die Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er
+weder die vaeterliche Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung
+der ganzen Gemeinde, die auch versagt werden konnte und in solchem
+Falle gewiss oft versagt ward, ein Testament errichten kann. Bei
+seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den Kindern nachteilige
+Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen Beschraenkungen des
+Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem
+erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die
+Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und
+seine Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen
+unter Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit
+zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das
+Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen
+erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden Gegensaetze, unbeschraenktes
+Verfuegungsrecht des Eigentuemers und Zusammenhaltung des Familiengutes,
+soweit moeglich, im roemischen Recht miteinander vereinigt. Dingliche
+Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit Ausnahme der namentlich fuer
+die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht
+zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich unmoeglich;
+anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient
+die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den
+Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein
+Treuwort (fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht
+zu veraeussern und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem
+Schuldner zurueckzustellen. Vertraege, die der Staat mit einem Buerger
+abschliesst, namentlich die Verpflichtung der fuer eine Leistung an
+den Staat eintretenden Garanten (praevides, praedes), sind ohne weitere
+Foermlichkeit gueltig. Dagegen die Vertraege der Privaten untereinander
+geben in der Regel keinen Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des
+Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach kaufmaennischer Art
+hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig hinzutretenden Eide
+die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. Rechtlich klagbar
+sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die
+versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat,
+ferner der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt
+als rechtlich abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die
+gekaufte Sache in die Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer
+dem Verkaeufer den bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet;
+was, seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige
+Wertmesser geworden war, geschah durch Zuwaegen der bedungenen
+Quantitaet Kupfer auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen
+Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer dafuer
+einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der
+Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls
+buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet
+haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug
+um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein
+Eigentum und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen
+eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene
+Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der
+Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher
+unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das Jahr zehn Prozent
+betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die
+Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat gegenueber
+seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit
+allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte
+zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die
+Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder
+erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es
+darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei
+Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was
+bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der
+Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des
+Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei
+fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei
+wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern,
+bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann,
+wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei
+den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht
+gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage
+hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang
+an feststand, also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern er nicht
+Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren
+"durch Handanlegung" (manus iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo
+er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte, lediglich um die anerkannte
+Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der Ergriffene sich selber
+nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten und diese Gewalttat
+als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren eingestellt
+ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persoenlich
+verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der
+Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch
+Vertretung ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so
+zu, dass dieser ihn abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven.
+Waren alsdann sechzig Tage verstrichen, war waehrend derselben der
+Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und dabei ausgerufen worden,
+ob jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg geblieben, so
+hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu toeten und sich in seine Leiche
+zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner Habe als Sklaven
+in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu
+halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der roemischen
+Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave werden.
+So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den
+Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den
+zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.
+------------------------------------------------- ^3 Die Manzipation in
+ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die Servianische
+Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums gerichtete
+Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die Tradition
+angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht.
+Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie
+passt zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand
+erworben werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche
+angehoeren, wo das Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia
+pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die
+manzipiert werden mussten, wird demnach eine Servianische Neuerung sein;
+die Manzipation selbst und also auch der Gebrauch der Waage und des
+Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die Manzipation urspruenglich
+allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen Reform bei allen
+Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete die
+Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um,
+dass nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten. ^4
+Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des
+Kapitals (uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer
+das zwoelfmonatliche zehn vom Hundert.
+--------------------------------------------- Ebenso schirmte man das
+Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung des eigenen
+Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen
+und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut
+desselben berief. Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu,
+wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten
+und die Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen
+wird. Dispensieren von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die
+Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem Erbgang haftenden
+Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist; indes
+scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig geworden zu sein, und
+wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem
+jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel
+dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen
+einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des
+Verstorbenen gemaess verteilte. Die Freilassung war dem aeltesten
+Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte freilich der Ausuebung seines
+Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen dem Herrn und dem
+Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger Verbindlichmachung wurde
+hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren der Gemeinde
+gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die Freilassung
+kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem Herrn
+nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder
+nach Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den
+Faellen, wo sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde
+gegenueber anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit
+zu lassen. Eine eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab
+es jedoch nicht - der beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung
+nicht gegeben haben kann -, sondern es wurden dafuer diejenigen Wege
+benutzt, welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozess, die
+Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens
+in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er
+dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die Freiheit
+anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu
+lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als
+frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach
+anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere
+Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des
+Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und
+darum willkuerlich loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu
+sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen,
+erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser entlassen zu
+werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine Emanzipation
+ueberhaupt noch nicht gegeben haben. Nach diesem Rechte lebten in Rom
+die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen denen, soweit wir sehen,
+von Anfang an vollstaendige privatrechtliche Gleichheit bestand. Der
+Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen Schutzherrn
+ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie
+seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht
+erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur,
+das Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der
+roemische Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als
+dessen Eigentuemer gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken,
+ist der einzelne Buerger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was
+der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie
+unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier
+haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder
+zurueckzunehmen. Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen
+durch besondere Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden
+innerhalb der roemischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das
+ewige Buendnis zwischen Rom und Latium alle Vertraege zwischen Roemern
+und Latinern fuer rechtsgueltig und verordnete zugleich fuer diese
+einen beschleunigten Zivilprozess vor geschworenen "Wiederschaffern"
+(reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen roemischen Gebrauch
+einem Einzelrichter die Entscheidung zu uebertragen, immer in der
+Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern beider
+Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und Messgericht
+zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages
+und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die
+Formen, in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte,
+waren natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer
+miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind
+urspruenglich gar keine Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck
+der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so weit man
+lateinisch sprach. In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr
+mit dem eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit
+muessen mit den Caeriten und anderen befreundeten Voelkern Vertraege
+ueber Verkehr und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des
+internationalen Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in
+Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser
+Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der "Wandel" (von mutare; wie
+dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf
+einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des
+Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer
+Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden
+entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es
+ist darum charakteristisch, dass das Wort als moiton im sizilischen
+Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen
+des lateinischen carcer in dem sizilischen karkaron. Da es sprachlich
+feststeht, dass beide Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr
+Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den
+haeufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie
+veranlasste, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in
+den aelteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist,
+sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen
+Gefaengnisses, "Steinbrueche" oder latomiai, in alter Zeit auf das
+erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen. Werfen
+wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen,
+die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes
+Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten
+Aufzeichnung des roemischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon
+in der Koenigszeit sich wohl fuer einzelne Punkte, aber nicht im
+ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin das Recht einer
+weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- und
+Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum
+Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig
+verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den
+Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer
+sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach
+roemischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd
+erscheinen musste, und vor allem die uralte latinische Formel der
+Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den
+Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das "reine Kraut" (herba pura,
+fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der
+angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen
+Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen
+Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch
+das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das
+roemische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und
+fordert in allen Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und
+reinen Ausdruck des Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung
+zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien
+die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert haben; es ist zwar
+ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu geben, den zum
+Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu verhuellen
+und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzufuehren;
+aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem roemischen
+Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus der
+Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward,
+wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben.
+Ebenso ist hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die
+germanischen Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch
+ringt mit der Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen
+Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es
+gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergaenzung der
+unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine
+ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung des einzelnen
+beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl einmal
+bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen
+des Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige
+Totschlaeger den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben
+verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon fuer die
+aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken erfassen koennen, ist
+dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar vernichtet ist das
+Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; aber die
+ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet
+ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der
+Staat dem Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund
+ist ueberall der Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck
+fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf
+ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde
+auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren
+Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es
+bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des oeffentlichen und
+des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat,
+welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer
+Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder
+den Gast, welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder
+Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst
+werden, sondern hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand
+gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das
+strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in Handelsstaaten
+die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge Wechselprozess zusammen
+auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr
+vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende Rechtsgleichheit
+auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den Maennern
+voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt
+sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste
+Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen
+kann, ist in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der
+Staat. Hoechst charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit
+existiert nicht, sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein,
+womit heutzutage das Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des
+Eigentums vom Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche
+Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten
+Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, den
+zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und
+ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott
+ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den
+Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es
+der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass
+es zugleich unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und
+kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle
+Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige.
+Nimmt man dazu das frueh anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher
+Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene Gueltigkeit der
+Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Hoechste
+von seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des
+einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm,
+dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs
+selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie
+beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt
+auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast
+dem Buerger gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo
+das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass
+dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige
+Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude
+daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die aeussersten
+Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam dem
+bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, die gemuetliche
+Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten,
+sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein
+Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles
+Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der
+Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts,
+den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber
+es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die
+man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis,
+denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die
+Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den
+Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die
+Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein
+Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze
+der Freiheit und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge
+unverfaelscht und ungemildert walteten und heute noch walten. 12.
+Kapitel Religion Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher
+angedeutet ward, hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen
+Rom in einem hoeheren und idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit
+peinlicher Genauigkeit das Kleine wie das Grosse wiederholte. Der Staat
+und das Geschlecht, das einzelne Naturereignis wie die einzelne geistige
+Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung
+innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen
+Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im
+ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis.
+Der Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert
+nicht laenger als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen
+Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt
+auch diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche Handlungen und
+gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer aufs
+neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten
+ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff
+auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott
+entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten
+dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und wenn
+aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden
+auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich
+zu bereiten. Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder
+Beruehrung mit den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen
+aus dem Verzeichnis der oeffentlichen und benannten Festtage (feriae
+publicae) der roemischen Gemeinde, das in dem Kalender derselben
+erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus dem roemischen Altertum
+auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben nehmen die
+Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem
+Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig,
+ausserdem die saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter
+noch zu erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem "boesen Jovis"
+(Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen
+gehoert das Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest
+in diesem, von dem Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch
+das Pferderennen (equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den
+Tagen des Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz),
+des Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der
+Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie, wenn
+ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste begann, so folgte
+nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine Marsfeier, das
+Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten Mars
+endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den
+uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezueglichen
+die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle
+spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse Reihe der Fruehlingsfeste
+im April, wo am 15. der Tellus, das ist der naehrenden Erde (fordicidia,
+Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der Ceres, das ist der Goettin
+des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann am 21. der befruchtenden
+Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter als dem Schuetzer
+der Reben und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden Faesser von der
+vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der Saaten, dem
+Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird nach
+vollendeter Arbeit und gluecklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und
+der Goettin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und
+der Ops ein Doppelfest gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem
+Schnitt (21. August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im
+Mittwinter, wo der Segen der Speicher vor allem offenbar wird (15.
+Dezember, Consualia; 19. Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren
+beiden Feiertagen die sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest
+der Aussaat (Saturnalia von Saturnus oder Saturnus, 17. Dezember),
+einschaltete. Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest
+(meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most
+heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter
+Lese dargebracht, waehrend die urspruengliche Beziehung des dritten
+Weinfestes (Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen
+weiter am Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der
+Hirten zu Ehren des guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest
+(Terminalia, 23. Februar) der Ackerbauer, ferner das zweitaegige
+sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21. Juli) das den Waldgoettern
+(Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober)
+und das Fest des kuerzesten Tages, der die neue Sonne herauffuehrt
+(An-geronalia, Divalia, 21. Dezember). Von nicht geringer Bedeutung sind
+ferner, wie das fuer die Hafenstadt Latiums sich nicht anders erwarten
+laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der See (Neptunalia, 23. Juli),
+des Hafens (Portunalia, 17. August) und des Tiberstromes (Volturnalia,
+27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in diesem Goetterkreis nur
+vertreten durch den Gott des Feuers und der Schmiedekunst, den Vulcanus,
+welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag (Volcanalia, 23.
+August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, 23.
+Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis
+(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die
+Goettin der Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als
+Schuetzerin der Geburten verehrt ward. Dem haeuslichen und Familienleben
+ueberhaupt galten das Fest der Goettin des Hauses und der Geister der
+Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia, 9. Juni); das Fest
+der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das Fest des Kindersegens,
+dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), das Fest
+der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige
+Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die
+buergerlichen Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht
+klaren Festtage der Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der
+Volksflucht (Poplifugia, 5. Juli), von denen wenigstens der letzte Tag
+dem Jupiter zugeeignet war, und das Fest der sieben Berge (Agonia oder
+Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem Gott des Anfangs, dem
+Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) gewidmet. Einige andere
+Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter und der Acca
+Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest
+(23. Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen.
+----------------------------------------------- ^1 Das ist allem
+Anschein nach das urspruengliche Wesen der "Morgenmutter" oder Mater
+matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass, wie die
+Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die Morgenstunde fuer die
+Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin ist die
+Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus
+geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt
+ward, spricht dagegen, sie urspruenglich als Hafengoettin zu fassen.
+----------------------------------------------- Diese Tafel ist
+vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; und wenn auch
+neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit Wandel- und
+Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, in
+dem, was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in
+eine sonst fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die
+Vereinigung der altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits
+erfolgt, als diese Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den
+Quirinus finden; aber noch stand der kapitolinische Tempel nicht, als
+sie aufgesetzt ward, denn es fehlen Juno und Minerva; noch war das
+Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet; noch war den Griechen
+kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss des roemischen,
+sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen Epoche,
+wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war
+allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2,
+vorwiegend gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende,
+den Feind niederwerfende goettliche Vorfechter der Buergerschaft -
+natuerlich in der Art, dass eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass
+und ihn fuer den staerksten und heiligsten unter allen achtete, demnach
+auch jeder zu neuer Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter
+dem Schutz seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst
+goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den
+saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der erste Monat
+geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls keiner
+Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter
+Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht
+knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige
+Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft,
+und was von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen
+vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen
+Doppelgaenger, den Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings
+der Vater Diovis, eine reinere und mehr buergerliche als kriegerische
+Widerspiegelung des Wesens der roemischen Gemeinde, einen groesseren
+Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des Jupiter an Rang den
+beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr hervorragende
+Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar ganz
+glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis
+neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte
+Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde
+auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war,
+wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte
+"Sorgenbrecher", sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt des
+herzerfreuenden Weines. ----------------------------------- ^2 Aus
+Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich durch
+verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in o
+(aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in
+der Doppelform Mar-Mor (vgl. Ma-murius) neben Mar-Mar und Ma-Mers.
+----------------------------------- Es ist nicht die Aufgabe dieser
+Darstellung, die roemischen Gottheiten im einzelnen zu betrachten; aber
+wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren eigentuemlichen,
+zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben. Abstraktion
+und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der hellenischen
+Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer Naturerscheinung
+oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen jede
+Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen
+als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte
+Gottheit: "bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib"; dafuer der
+tiefhaftende Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der
+Gemeinde unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn
+erfahre und, den Gott bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen
+hinueberlocke. Ein Ueberrest dieser maechtig sinnlichen Auffassung
+haftet namentlich der aeltesten und nationalsten italischen
+Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die Abstraktion, die jeder
+Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer weiteren
+Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen
+der Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen
+Glaubensbilder auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und
+des Begreifens. Wenn dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch
+zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis erweitert, so bleibt
+dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen nackten Starrheit
+stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher Verklaerung, dem
+goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und geheimnisvollen
+chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion nichts auch
+nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich
+waere. Sie weiss wohl auch von einem "schlimmen Gott" (Ve-diovis), von
+Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten
+der boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des
+Diebstahls (laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das
+Menschenherz doch auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht
+sich zu durchdringen mit dem Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen
+in der Natur und dem Menschen, welches der Religion nicht fehlen darf,
+wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen soll. Es gab in der roemischen
+Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen der Stadtgoetter, der
+Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war jedem offenbar. Die
+nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die
+wichtigen Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie
+terminologisch auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch
+dem Privatrecht zu Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen
+- zu klassifizieren, um darnach die Goetter und Goetterreihen selber
+richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung der Menge zu weisen
+(indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen von der
+einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit
+ging die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat
+(saturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein
+(terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen
+Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen
+Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich
+italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und
+doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische
+Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns
+zunaechst der "Geist der Eroeffnung" anzurufen sei, und vor allem das
+tiefe Gefuehl davon, dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen
+Goetterbegriffe in Reihen zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren
+Goetter der Hellenen notwendig jeder fuer sich standen ^3. Vielleicht
+der innigste unter allen roemischen ist der Kult der in und ueber
+dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im oeffentlichen
+Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der der
+Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen
+Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der
+Familienmahlzeit ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu
+verrichten noch zu des aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters
+erstes Geschaeft war. Aber in der Rangordnung der Goetter nahmen diese
+Haus- und Feldgeister eher den letzten als den ersten Platz ein; es war,
+wie es bei einer auf Idealisierung verzichtenden Religion nicht anders
+sein konnte, nicht die weiteste und allgemeinste, sondern die einfachste
+und individuellste Abstraktion, in der das fromme Herz die meiste
+Nahrung fand. ---------------------------------------- ^3 Dass Tor und
+Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und er stets
+vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch vor
+dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn
+unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der
+nach zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten
+hin sich oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf
+man um so weniger aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat
+urspruenglich der elfte, nicht der erste ist; vielmehr scheint dieser
+Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser Zeit nach der Rast
+des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von vorn beginnt.
+Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der Spitze des
+Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich des
+Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst.
+------------------------------------- Hand in Hand mit dieser
+Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die praktische und
+utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der oben
+eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und
+Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel
+- das ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu
+recht wohl, dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls-
+und Gluecksgoettin (fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle
+aus dem taeglichen Verkehr hervorgegangen, zwar noch nicht in jener
+uralten Festtafel, aber doch schon sehr frueh weit und breit von den
+Roemern verehrt auftreten. Strenge Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische
+Spekulation waren zu tief im roemischen Wesen begruendet, um nicht auch
+dessen goettliches Abbild bis in den innersten Kern zu durchdringen.
+Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der
+sterblichen Menschen, die "Guten" (manes) lebten schattenhaft weiter,
+gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von
+den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen
+der Tiefe und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den
+auf der Erde waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der
+griechische Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und
+schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz
+unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa,
+der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in
+Rom nie als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen. Die aeltesten
+Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf
+Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der "Zuender des Mars"
+(flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt ward,
+und die zwoelf "Springer" (salii), eine Schar junger Leute, die im Maerz
+den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass die
+Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung
+des roemischen Mars und damit die Einfuehrung eines zweiten
+Marspriesters - des flamen Quirinalis - und einer zweiten Taenzergilde
+- der salii collini - herbeifuehrte, ist bereits frueher
+auseinandergesetzt worden. Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil
+wohl ihrem Ursprung nach weit ueber Roms Entstehung hinaufreichende
+Verehrungen, fuer welche entweder Einzelpriester angestellt waren
+-solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des Volcanus, des Hafen- und
+des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen Genossenschaften oder
+Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine derartige
+Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf "Ackerbrueder" (fratres
+arvales), welche die "schaffende Goettin" (dea dia) im Mai anriefen fuer
+das Gedeihen der Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe
+bereits in dieser Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches
+wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische
+Bruederschaft sich an, die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu
+bewahren und zu besorgen hatte, sowie die fuer die Herde der dreissig
+Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales). Das
+schon erwaehnte "Wolfsfest" (lupercalia) wurde fuer die Beschirmung der
+Herden dem "guenstigen Gotte" (faunus) von dem Quinctiergeschlecht und
+den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen Fabiern im Monat
+Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die "Woelfe"
+(luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und wen sie
+trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern gentilizischen
+Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten. Zu diesem
+aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich neue
+Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf
+die neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam
+zum zweitenmal gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste
+beste Jovis vom Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes,
+an die Spitze der gesamten roemischen Goetterschaft, und sein
+fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis, bildet mit den beiden
+Marspriestern die heilige oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig
+beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes - der Vesta - und der
+dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche Jungfrauen versahen,
+gleichsam als die Haustoechter des roemischen Volkes, jenen frommen
+Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes den Buergern zum
+Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es war dieser
+haeuslich-oeffentliche Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie
+er denn auch von allem Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen
+Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen
+als der Repraesentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben
+darum eine besondere roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt;
+und zahlreichen anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die
+Gemeinde sich in bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder durch
+besonders zu ihrem Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu
+huldigen, wobei sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der
+Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass
+deren zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied
+man unter ihnen jene drei "grossen Zuender" (flamines maiores), die bis
+in die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern genommen werden
+konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der palatinischen
+und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen
+Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden
+Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften
+oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur
+Deckung der vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den
+einzelnen Tempeln gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen. Dass
+der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der
+sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht
+zu bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und
+Vestalinnen nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische
+Institutionen gewesen und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen
+in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster
+gebildet zu sein. Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis
+des Staats, so auch der einzelne Buerger innerhalb seines individuellen
+Kreises aehnliche Anordnungen treffen und seinen Goettern nicht bloss
+Opfer darbringen, sondern auch Staetten und Diener ihnen weihen. Also
+gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an
+den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott.
+Jeder Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde
+natuerlich durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio
+und die Ritterschaft durch ihre Obristen; und keine priesterliche
+Vermittlung durfte das urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken
+oder verdunkeln. Allein es ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte
+zu verkehren. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem
+kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber recht versteht, der weiss
+den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, sondern auch zu lenken,
+sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. Darum ist es
+natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige Leute
+zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen
+Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus
+national-italische Institution, die auf die politische Entwicklung
+weit bedeutender eingewirkt hat als die Einzelpriester und die
+Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein
+mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten
+Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition
+fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren
+richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren
+treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese
+geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden
+Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten
+und Wissenschaften geworden. In der roemischen und ueberhaupt der
+latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien urspruenglich
+nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die sechs
+"Voegelfuehrer" (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus
+dem Flug der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich
+betrieben und in ein gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward.
+Die sechs "Brueckenbauer" (pontifices) fuehrten ihren Namen von dem
+ebenso heiligen wie politisch wichtigen Geschaeft, den Bau und
+das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es waren die roemischen
+Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen verstanden; woher
+ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu fuehren, dem
+Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu sorgen,
+dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage
+vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den
+ganzen Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe,
+Testament und Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte
+Geschaeft nicht gegen das goettliche Recht irgendwie verstosse, und
+ging von ihnen die Feststellung und Bekanntmachung der allgemeinen
+exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter dem Namen der
+Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller
+Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die
+allgemeine Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was
+damit zusammenhing - und was hing nicht damit zusammen? Sie selbst
+bezeichneten als den Inbegriff ihres Wissens "die Kunde goettlicher und
+menschlicher Dinge". In der Tat sind die Anfaenge der geistlichen und
+weltlichen Rechtswissenschaft wie die der Geschichtsaufzeichnung aus
+dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn wie alle
+Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft,
+musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der
+Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung
+nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell
+werden, das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein
+Gutachten zu geben allein kompetent war.
+------------------------------------------------------- ^4 Am
+deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen
+Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen
+(z. B. Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der
+pater patratus der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen
+Kollegien aber nicht. Jene also stehen auf einer Linie mit der
+Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, Luperkern als aeltestes
+latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris faciundis und die
+anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die Servianischen Tribus
+und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom beschraenkt
+geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices,
+ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische
+Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen,
+oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat,
+pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer.
+Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn
+schwanken. Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt
+Cicero (leg. agr. 2, 35, 96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht
+dies, sondern nur, dass die Zahl der roemischen Augurn durch drei
+teilbar sein und insofern auf eine ungerade Grundzahl zurueckgehen
+muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum Ogulnischen Gesetz
+sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), indem er
+Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die
+Zahl der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20.
+------------------------------------------------------- Gewissermassen
+laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten Genossenschaften
+geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig Staatsboten
+(fetiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als lebendiges
+Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden
+durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des
+vertragenen Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den
+Suehneversuch und die Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus
+fuer das Voelkerrecht, was die Pontifices fuer das Goetterrecht, und
+hatten daher auch wie diese die Befugnis, Recht zwar nicht zu
+sprechen, aber doch zu weisen. Aber wie hochansehnlich immer diese
+Genossenschaften waren und wie wichtige und umfassende Befugnisse
+sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am wenigsten bei den
+am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern
+sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht
+unmittelbar zu erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen
+hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem
+Koenig nach, sondern er darf ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem
+Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und wann er die Voegel beobachten
+will; der Vogelschauer steht nur dabei und verdolmetscht ihm, wenn es
+noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann der Fetialis und
+der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders eingreifen
+als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit unerbittlicher
+Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz,
+dass in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu
+verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen
+Buerger dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische
+Gottesverehrung beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am
+Irdischen und nur in untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden
+Naturkraeften; sie bewegt sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der
+Freude, in Liedern und Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem
+aber in Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden, regelmaessig
+von Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in Italien das
+Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist den
+Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche
+Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit
+des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit
+gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten
+latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie wird durch
+die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit eiserner
+Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von
+solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben.
+Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und
+irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein
+Verbrechen gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im
+innersten Wesen auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum
+Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes
+Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes;
+der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie der
+boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten Geistern.
+Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet
+hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf einen
+bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versoehnen, wer
+sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich
+schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein
+braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde
+stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der heilige Lenz, indem
+den Goettern dargebracht wird, was der bestimmte Zeitraum an Vieh und
+Menschen geboren werden laesst. Will man dies Menschenopfer nennen, so
+gehoert solches freilich zum Kern des latinischen Glaubens; aber
+man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in die Ferne irgend
+zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich
+beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht
+ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt.
+Menschenopfer anderer Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung
+zuwider und beruhen wenigstens bei den indogermanischen Staemmen
+ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer Ausartung und Verwilderung.
+Bei den Roemern haben sie nie Eingang gefunden; kaum dass einmal
+in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung
+ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von
+Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei
+den Roemern verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und
+Prophetentum hat in Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in
+Griechenland und nie vermocht, das private und oeffentliche Leben
+ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist dafuer auch die
+latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und Trockenheit
+verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen
+Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor
+allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer
+Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine
+Richtung auf das Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben
+wird und nicht minder scharf noch in dem heutigen Heiligenkult
+der Italiener hervortritt. Die Goetter stehen dem Menschen voellig
+gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder von ihnen hat ein
+wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und Leistungen, und da
+die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente des irdischen
+Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines jeden
+Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine
+muehsame und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen
+auch nur sich bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen
+Rechtes kundigen und dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu
+ungemeinem Einfluss gelangen. Denn der rechtliche Mann erfuellt
+die Vorschriften des heiligen Rituals mit derselben kaufmaennischen
+Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen Verpflichtungen nachkommt und
+tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es seinerseits getan hat. Auch
+auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein: das Geluebde ist der
+Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen dem Gotte
+und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine
+gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein
+Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht
+der letzte Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der
+Menschen alle Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der
+roemische Kaufmann, seiner konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet,
+den Vertrag bloss dem Buchstaben nach zu erfuellen befugt ist, so ward
+auch, wie die roemischen Theologen lehren, im Verkehr mit den Goettern
+das Abbild statt der Sache gegeben und genommen. Dem Herrn des
+Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren
+statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater
+Tiberis wurden zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer
+jaehrlich dreissig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen
+geworfen ^5. Die Ideen goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind
+hier ununterscheidbar gemischt mit der frommen Schlauigkeit, welche
+es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte Befriedigung zu
+beruecken und abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl von
+gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes
+Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das
+den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde
+liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von
+demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten,
+aber sehr genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist
+einleuchtend, dass eine solche Religion die kuenstlerische und die
+spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet
+war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit menschlichem
+Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss die
+Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten
+auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste
+Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller
+Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu
+kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen
+Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die
+griechische Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen,
+die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit
+dem wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor
+die Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt
+hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der
+Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler
+noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die latinische
+Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der
+Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer
+irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild
+seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von
+Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu
+trueben und zu befangen. Darum war der urspruengliche roemische
+Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und wenngleich auch in
+Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in frueher Zeit der
+Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut ward,
+so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas
+zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit
+Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein
+ihr eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete
+ueber die nach Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller
+zeugenden Kraft in der roemischen Religion ist gleichfalls die letzte
+Ursache, warum die roemische Poesie und noch mehr die
+roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und blieben.
+----------------------------------------------- ^5 Hierin konnte
+nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer finden.
+----------------------------------------------- Aber auch auf dem
+praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der praktische
+Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs,
+war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes,
+formuliertes Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen
+Bevormundung des Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die
+Stelle der Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen
+vor das Gericht der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte.
+Zu den Bestimmungen der ersteren Art gehoerte ausser der religioesen
+Einschaerfung der Heiligung des Feiertags und eines kunstmaessigen
+Acker- und Rebenbaus, die wir unten kennenlernen werden, zum Beispiel
+der auch mit gesundheitspolizeilichen Ruecksichten zusammenhaengende
+Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den Roemern ungemein frueh,
+weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte Leichenverbrennung,
+welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens voraussetzt,
+wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. Man wird
+es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion
+diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger
+aber noch war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der
+Vater den verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur
+den Vater oder den Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen
+den Gast oder den zugewandten Mann die Treupflicht verletzte; wenn der
+ungerechte Nachbar den Grenzstein verrueckte oder der Dieb sich bei
+naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden anvertrauten Halmfrucht
+vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem Haupt des
+Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei
+gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht
+ist nur ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in
+Rom waehrend des staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen
+Buerger oder gar dem voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung
+solchen goettlichen Fluches zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem
+goettlichen Strafgericht anheim gefallen, nicht der menschlichen
+Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch
+fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige Naturen Macht
+gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht; vielmehr
+ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und,
+nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach
+seiner gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den
+Gebannten der verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten
+(supplicium) und also die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu
+reinigen. Ist das Vergehen geringerer Art, so tritt an die Stelle der
+Toetung des Schuldigen die Loesung durch Darbringung eines Opfertiers
+oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze Kriminalrecht in seinem letzten
+Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung. Weitere Leistungen aber
+als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung und Sittlichkeit hat
+die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich viel hat hier
+Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion nicht
+bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale
+Einigung, soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und
+Goetterfeste, um Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die
+Musen, bewegt sich alles, was im hellenischen Leben gross, und alles,
+was darin nationales Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch
+Latiums Vorzuege vor Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt
+wie sie ist auf das Mass der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem
+vollkommen verstaendlich und allen insgemein zugaenglich; und darum
+bewahrte die roemische Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit, waehrend
+Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des Denkens der Besten stand, von
+fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie
+gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere
+urspruenglich hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur
+der oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich
+taeuscht, weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach
+erscheinen. Dieser innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der
+Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne
+und auch die latinische Religion ist also spaeterhin verdorrt; aber
+laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die naive Glaeubigkeit
+sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie die Farben die
+Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind Kunst und
+Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer des
+Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die
+Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz
+auch der naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter
+vergeblich sich bemueht zu erringen. Eben die gewaltige geistige
+Entwicklung der Hellenen, welche jene immer unvollkommene religioese und
+literarische Einheit erschuf, machte es ihnen unmoeglich, zu der echten
+politischen Einigung zu gelangen; sie buessten damit die Einfalt,
+die Lenksamkeit, die Hingebung, die Verschmelzbarkeit ein, welche die
+Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es waere darum wohl an der
+Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung,
+welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die Roemer nur auf
+Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die
+Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen
+Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu
+tadeln, sondern es zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch
+ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der
+Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium
+nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt
+hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich allein war gross genug, weder
+das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen
+Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt,
+wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich
+eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein
+humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der
+nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren
+und von beiden zu lernen. Also war und wirkte die roemische Religion in
+ihrer reinen und ungehemmten durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es
+tut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit aeltester Zeit
+Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande heruebergenommen
+wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts an einzelne Fremde
+den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von alters her
+mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich;
+bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern
+und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist
+bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt
+worden sind, ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere
+Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die Minerva, die Goettin
+des Gedaechtnisses (mens, menervare), welche man wohl als urspruenglich
+etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach sprachlichen Gruenden
+vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, und passt
+auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr wissen, dass
+frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der
+griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass
+gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter
+beschraenkte sich im ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die
+Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es scheint, urspruenglich
+italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit sehr alter Zeit,
+wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen
+Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche
+erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar
+frueh bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin
+Apollons, der kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der
+griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des
+Zauberbuches wurde in fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und
+Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen
+(duoviri sacris faciundis) bestellt, auch fuer dasselbe zwei der
+griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft;
+diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Faellen an, wenn es, um
+ein drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte
+und man doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei.
+Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten schon frueh sich
+ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber diesen
+Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen
+Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte
+italische Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon
+Aperta, der Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen
+Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische
+Herakles ist frueh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien
+einheimisch und dort in eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie
+es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns und der
+ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn
+der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des
+errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt
+dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der
+kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar
+geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit
+dem alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die
+Verehrung des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden;
+er wurde, mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck
+Italiens verehrt und in den Gassen der Staedte wie an den Landstrassen
+standen ueberall seine Altaere. Die Schiffergoetter ferner, Kastor und
+Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes,
+der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius,
+wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren oeffentliche
+Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der "guten Goettin"
+(bona dea) damium, entsprechend dem griechischen damion oder d/e/mion,
+mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter
+Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer
+spaeter als "Vater Befreier" gefasst ward und mit dem Weingott der
+Griechen, dem "Loeser" (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der roemische
+Gott der Tiefe der "Reichtumspender" (Pluton - Dis pater) hiess,
+dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch
+Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst
+Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die
+aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen
+Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war
+das Schnitzbild in dem roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus
+gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die frueh mit orientalischen
+Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen,
+herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramaeische
+Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geuebt.
+Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen Religion
+vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst
+Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht
+haben. --------------------------------------- ^6 Sors, von serere,
+reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte Holztaefelchen,
+die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die Runen
+erinnert. ---------------------------------------- Indessen sind die
+einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer Bedeutung,
+die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage von
+den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im
+grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung
+des Volkes, bei dem wir sie finden. Die sabellische und umbrische
+Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu schliessen, was wir davon
+wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit
+lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von
+der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen
+Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber
+eben sie gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand.
+Die Vogelschau war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der
+Goetterbefragung; aber die Titier schauten nach anderen Voegeln als die
+ramnischen Augurn. Ueberall, wo wir vergleichen koennen, zeigen sich
+aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der Goetter als Abstraktion des
+Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden Staemmen gemein,
+Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus diese
+Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen
+den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu
+erfassen. Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf
+uns gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine
+duestere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei
+und jene feierliche Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen
+Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Kult
+bei weitem nicht in solcher Vollstaendigkeit und Reinheit wie den
+latinischen; aber mag die spaetere Gruebelei auch manches erst
+hineingetragen haben, und moegen auch gerade die duesteren und
+phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich entfernenden
+Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat nicht
+wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik
+und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des
+etruskischen Volkes begruendet. Ein innerlicher Gegensatz des sehr
+ungenuegend bekannten etruskischen Gottheitsbegriffs zu dem italischen
+laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt treten unter den etruskischen
+Goettern die boesen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn
+auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der Gefangenen
+einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, in
+Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der
+Tiefe friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen "guten Geister", wie
+die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die
+die armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen
+abgeholt werden von dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen
+Greisengestalt mit Fluegeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt,
+die man spaeter in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann
+zu kostuemieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz
+wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein
+verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach gewissen
+geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Goetter.
+Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker
+frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie
+denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der
+etruskischen Weisheit spielen. Aber vor allen Dingen beschaeftigt den
+Etrusker die Deutung der Zeichen und Wunder. Die Roemer vernahmen
+wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter; allein ihr Vogelschauer
+verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im allgemeinen, ob
+die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im Laufe der
+Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie zum
+Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und
+man suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt
+schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich
+damit nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den
+Eingeweiden der Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins
+einzelne heraus, und je seltsamer die Goettersprache, je auffallender
+das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkuende und
+wie man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden die Blitzlehre,
+die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen
+Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die
+Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren,
+der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden,
+Tages genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und
+altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -,
+also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich
+gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze
+zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels und an der
+Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen dauernden
+Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe
+ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben lasse
+bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte
+oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame
+Kuenste mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelueste anmerkt.
+Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass,
+selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht
+ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch
+die einheimischen und die griechischen Orakel. Hoeher als die roemische
+Religion steht die etruskische insofern, als sie von dem, was den
+Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten
+Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt
+mit ihren Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische
+Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie
+entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten
+Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Ueber den geistigen
+Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie einmal
+gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch ihnen ein
+geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen
+gewesen zu sein. 13. Kapitel Ackerbau, Gewerbe und Verkehr Ackerbau und
+Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der aeusseren
+Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf
+dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht
+werden, anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische,
+namentlich die roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend
+zu schildern. Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft
+jenseits der Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward
+schon bemerkt. Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen
+Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen nicht minder als
+der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien in
+geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme
+ueberall, je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem
+Masse, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man
+es empfand, dass jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die
+schoene Sitte, die Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man
+dort, wo der kuenftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine
+Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische
+Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit sprechen laesst,
+nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der
+Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit
+der Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am
+klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser
+Teil des roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern
+gelangt war und also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht
+mehr auf der Ansaessigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung
+dies Missverhaeltnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer
+einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder
+ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer allemal nach der
+Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die
+Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf
+der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und
+Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf
+die Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so
+hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu
+vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz
+in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem
+Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder
+fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich
+eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische
+Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die
+Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also
+im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze
+gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der
+Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also die
+Eroberung, die der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten
+verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen Boden abgetreten
+haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern an ihrem
+Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des Mannes
+und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste
+und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die
+geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft. Dass in
+aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den
+einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag
+unter die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt
+ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und
+Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhaengen und auch spaeterhin
+in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr
+haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische Rechtsueberlieferung weiss noch
+zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in Vieh und Bodenbenutzung
+bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu Sondereigentum
+aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste
+Bezeichnung des Vermoegens als "Viehstand" (pecunia) oder "Sklaven- und
+Viehstand" (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder
+und Sklaven als "Schaefchen" (peculium); ferner die aelteste Form
+des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur fuer
+bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass
+des "Eigenlandes" (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder
+preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann
+^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat,
+laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel
+fest, dass die aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern
+als Surrogat dafuer die Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon
+die Servianische den aufgeteilten Acker voraussetzt. Aus derselben
+Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des Grundbesitzes aus
+mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun und zu
+leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des Pfluges
+gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe
+ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt
+ward, schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden.
+------------------------------------------------------------ ^1 Die
+bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten
+Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die
+Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie
+bei den Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes
+in jedem wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet
+worden, so wuerde doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von
+zerstueckelten Hufen ausgehen. Allein es ist vielmehr das Gegenteil
+der Fall; die Individualnamen der roemischen Hufen (fundus Cornelianus)
+zeigen deutlich, dass der aelteste roemische Individualgrundbesitz
+faktisch geschlossen war. ^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom.
+15) berichtet: Tunc (zur Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum
+possessionibus, ex quo pecuniosi et locupletes vocabantur. - (Numa)
+primum agros, quos bello Romulus ceperat, divisit viritim civibus.
+Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig Kuriendistrikte
+teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest
+einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16). ^3 Da dieser Behauptung
+fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die Zahlen reden. Die
+roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der Kaiserzeit rechnen
+durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf roemische Scheffel
+Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines Heredium
+ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es
+lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht
+nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den
+erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer
+das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine roemische Familie von
+dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber
+beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich darauf, dass der
+Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie Bauer der
+aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die
+Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl
+richtig, aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die
+Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an
+Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und intensive
+Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit
+in Anschlag zu bringen; aber die aeltere roemische Weidewirtschaft war,
+wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und
+die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner
+wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen
+Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben
+die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen,
+als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit
+ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um
+Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch
+mit grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des
+zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein,
+und sie genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme
+Defizit, welches auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag
+des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch blosse
+Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst
+dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle
+landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer
+ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag
+eines Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die
+Ernaehrung einer Familie ausreichend herausstellt. Man behauptet
+nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen mit
+Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der
+Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen
+Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente
+zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail
+zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden und unterliegt auch noch
+anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, dass bei der
+nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte Buergerschaft (adsignatio
+viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B.
+Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den Losen neue
+Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den bestehenden
+vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I,
+p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine
+Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums
+ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem
+weniger bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf
+Grundstuecken von sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln
+Ertrag nicht auskommen zu koennen.
+---------------------------------------------- Die Landwirtschaft ging
+wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn war der Spelt
+(far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese fleissig
+gezogen. --------------------------------------------- ^4 Vielleicht der
+juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis zu fuehren,
+dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben
+koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust.
+1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen
+zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt,
+woraus denn gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten,
+doch einen betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau.
+Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene nominell hoehere
+Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus dem Umstand, dass die Roemer
+den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den Spelt aber in den
+Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das Dreschen
+nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch
+heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert
+nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen
+aber geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G.
+Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer den
+wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von - Scheffel)
+drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825 Pfund), an
+Spelt (bei einer Aussaat von -1 Scheffel) mindestens sieben Scheffel
+zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die
+Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der
+Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei
+gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht
+nach aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung
+(als Kern") weniger als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet
+worden ist, sondern weil es zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser
+Art von ueberlieferten und gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die
+oben aufgestellte Berechnung auf Weizen gestellt worden; sie durfte
+es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht wesentlich abweicht und der
+Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist genuegsamer in bezug auf
+Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der Weizen; aber
+der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht
+unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren
+Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend
+von Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden
+3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in
+Sueddeutschland, wo der Boden ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen
+wird, und ueberhaupt bei vorschreitender Kultur dieser den Speltbau
+zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige Uebergang der
+italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar
+ein Fortschritt gewesen.
+-------------------------------------------------------- Dass die Pflege
+des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach
+Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende
+Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt
+und diese dem Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen
+entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer
+recht alten Sage der Koenig Mezentius von Caere von den Latinern oder
+den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die Ursache, welche
+die Kelten veranlasste, die Alpen zu ueberschreiten, in einer weit
+verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen Erzaehlung
+die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor allem mit
+der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der
+Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh
+und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige
+Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste
+Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst
+damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot eine tusculanische
+Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der Priester das Fest
+der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso gehoert hierher nicht bloss die
+allgemeine Aufnahme der Weinspende in das Opferritual, sondern auch die
+als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte Vorschrift der roemischen
+Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein
+zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das nuetzliche Doerren des
+Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten Getreides untersagten.
+Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach
+Italien gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten
+Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein;
+es stimmt dazu, dass der Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual
+eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie wert
+uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, beweisen der Rebstock
+und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des Curtischen
+Teiches gepflanzt wurden. --------------------------------------- ^5
+Oleum, oliva sind aus elaion, elaia, amurca (PHlhefe) aus amorg/e/
+entstanden. --------------------------------------- Von den
+Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in Italien
+einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren ebenfalls
+mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die
+roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen.
+--------------------------------------- ^6 Aber dass der vor dem
+Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen ward (Plin. nat. 15,
+18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in allen guten
+Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert.
+----------------------------------------- Es waren der Bauer und
+dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt die
+landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen
+Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit
+verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier,
+auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere.
+Eine selbstaendige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der
+Milch bestand wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land
+nicht oder nur in sehr beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem
+Kleinvieh, das man auf die gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof
+Schweine und Gefluegel, besonders Gaense gehalten. Im allgemeinen ward
+man nicht muede zu pfluegen und wieder zu pfluegen - der Acker galt als
+mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so dicht gezogen waren,
+dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war mehr
+intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene
+Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das
+hartnaeckige Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu
+wahrscheinlich die geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn
+dem praktischen Italiener war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die
+mit der ererbten Scholle ueberkommene Bestellungsweise fremd, und
+einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der
+Anbau von Futterkraeutern und das Berieselungssystem der Wiesen, moegen
+schon frueh von den Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig
+entwickelt worden sein; begann doch die roemische Literatur selbst
+mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und
+verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier
+machte die Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch
+dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und der freieren menschlichen
+Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also durchschnittlich
+viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und
+zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu besorgen. Eigentliche
+Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der
+Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); waehrend
+dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es
+ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht
+und der Stier. In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische
+Bauernstelle in aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte
+Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht,
+den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten Vermoegens gleichsam als
+einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war
+ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie
+sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen Geschlechtsgenossen
+zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der
+Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils
+dadurch, dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang
+des Eigentums an der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den
+Glaeubiger verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen
+Konkurs fuehrende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch
+erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr
+unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich
+unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die Miterben
+im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das
+aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu jeder
+Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder friedlich
+zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen Geiste des
+roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch,
+dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern
+nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat.
+Die Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der
+Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass
+man sich hierin nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel
+zusammengeblieben sind, beweist schon die allgemeine roemische Sitte,
+sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde
+griff nur indirekt hier ein durch die Ausfuehrung von Kolonien, welche
+regelmaessig die Gruendung einer Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig
+wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte,
+die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem
+schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu
+erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab,
+ist nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu
+bezweifeln und erklaert sich auch leicht teils aus der Aufteilung der
+Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl der in
+den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand
+von groesseren Grundbesitzern ins Leben rufen musste, teils aus der
+Menge der in Rom zusammenstroemenden kaufmaennischen Kapitalien. Aber
+eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt auf einen ansehnlichen
+Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann fuer diese Zeit
+nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition, wonach die
+Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an geringe
+Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird
+urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er
+nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in
+kleinen Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben,
+wie dies noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger
+konnte Hauskind oder Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann
+war, so war sein Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen
+des "Bittbesitzes" (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt diesen,
+solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel,
+um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte
+dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des
+Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht
+notwendig; ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der
+Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo
+dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von
+ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen Endtermins,
+teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und den
+lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten
+Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein
+Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen,
+religioes geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch
+nicht. Das durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte
+ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen.
+Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung der
+Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der einzelne, konnte
+vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen Leuten
+gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die
+roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der
+Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu
+Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen
+Gutswirtschaft erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern
+in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche
+Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd blieb, fand sich der
+roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als
+der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff selber
+ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein guter
+Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er
+nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend
+der heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde
+durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der
+Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit
+wesentlich gemindert. Die freien Bittpaechter, hervorgegangen
+aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten Leuten und
+Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats aus und
+waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der kleine
+Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. Die
+fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem
+weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde
+Nation nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat,
+scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden
+gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere
+Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir spaeter sie finden.
+Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren Epoche die "Tageloehner"
+(th/e/tes) vielfach an der Stelle der spaeteren Sklaven und hat in
+einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die
+historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war
+doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische, sabinische,
+etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders gegenueberstehen
+als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er als
+Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und
+Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab,
+lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit
+dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er
+keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe
+vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis
+ebenso vielen Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz
+wie der mittlere und kleine; sondern es erwuchsen auch in den
+verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren die
+natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und
+eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische
+Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen
+konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht
+demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die
+Pflugschar zu fuehren. Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht
+betroffen. Es ist der Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der
+als Eigentuemer der Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe
+fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten
+und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden
+benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine
+maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger
+mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum
+Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der
+einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide
+kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum
+auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem
+Insassen wohl nur ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward.
+In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft
+ueberhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die
+urspruengliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte
+Land aber wohl groesstenteils sogleich unter die Geschlechter oder
+spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt ward. Dass der
+Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben
+aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus
+der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der
+Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs
+Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden
+Einrichtungen, acht Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser,
+der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der
+Faerber, der Toepfer, der Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo
+man das Brotbacken und die gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte
+und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern selber spannen, der
+Kreis der auf Bestellung fuer fremde Rechnung arbeitenden Gewerke wohl
+im wesentlichen erschoepft sein wird. Merkwuerdig ist es, dass keine
+eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es bestaetigt dies aufs neue,
+dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit der Bearbeitung des
+Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel fuer den
+heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die spaeteste
+Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das
+staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft
+muessen diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser
+Bedeutung gewesen sein, die nicht abgemessen werden darf nach den
+spaeteren, durch die Masse der fuer den Herrn oder auf seine Rechnung
+arbeitenden Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren
+gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen Handwerks. Die aeltesten
+Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen Streitgott Mamers,
+sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem
+goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern
+gleiche Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers
+und der Esse Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen
+Festverzeichnis. Auch in dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die
+Kunst, die Pflugschar und das Schwert zu schmieden und sie zu fuehren,
+Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von jener hoffaertigen
+Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst begegnet. Seit indes die
+Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich auf die Ansaessigen
+legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl
+infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom
+Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den
+Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch
+organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies
+wohl der Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und
+politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte
+hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen
+gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich
+zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass
+unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist
+wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von Monopoltendenzen
+noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation - freilich sind auch
+ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten so voellig
+versiegt wie ueber die Gewerke. Dass der italische Handel sich in der
+aeltesten Epoche auf den Verkehr der Italiker untereinander beschraenkt
+hat, versteht sich von selbst. Die Messen (mercatus), die wohl zu
+unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten (nundinae), sind
+in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die internationalen
+Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit der
+Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden
+haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen,
+mochten diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in
+Rom zu erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und
+vielleicht noch groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche
+Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone)
+im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von
+roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste
+unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der
+Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu
+finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der
+hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der
+Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der
+Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher
+letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium
+und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen
+hier die roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten
+manchen Hader mit den Sabinern herbei. Ohne Zweifel handelte und
+tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste griechische oder
+phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier halfen bei
+vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus;
+hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen
+aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste
+Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe
+gingen; sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich
+allgemein stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz
+zwischen Gross- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden
+besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische,
+sondern noch darueber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft
+zurueck ^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die
+Ackerbestellung und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher
+Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle
+erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf,
+wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die "Kupferung"
+(aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen,
+auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter
+noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung
+und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten
+sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen
+Voelker vorliegen. ----------------------------------------------- ^7
+Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich
+daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf
+zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus
+p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe
+Bestimmung, wenn nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich
+gelten; nur dass hier, wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren
+dezimalen das Duodezimalsystem substituiert hat. Dass die Bezeichnung
+des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen
+(englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt.
+----------------------------------------------- In welcher Art
+der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen Italiker
+einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz
+unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen
+geringen und unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von
+den fremden Nationen zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch
+tuskische oder latinische Vermittlung empfingen; woher denn auch der
+Mangel staedtischer Entwicklung ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den
+Apulern und Messapiern scheint in dieser Epoche noch gering gewesen zu
+sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien Griechen und Italiker
+friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch in Etrurien ein
+ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die aeltesten
+Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken schliessen,
+die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus
+Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt
+sind, teils und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische
+Gewerbe empfing; denn natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden
+Manufakte, ehe man sie nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht
+bestimmen, wie weit die Entwicklung der Handwerke vor der Scheidung der
+Staemme und dann wieder in derjenigen Periode gediehen ist, wo Italien
+sich selbst ueberlassen blieb; es mag dahingestellt werden, inwieweit
+die italischen Walker, Faerber, Gerber und Toepfer von Griechenland
+oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder selbstaendig sich
+entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der Goldschmiede, das seit
+unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen sein, nachdem
+der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter den
+Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn
+auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und
+Praeneste in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten
+Loewen und aehnlichen Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das
+einzelne Fundstueck gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt
+oder einheimische Nachahmung ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel,
+dass die ganze italische Westkueste in aeltester Zeit Metallwaren aus
+dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo von der Kunstuebung die
+Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur wie die Plastik
+in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch griechischen
+Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass die
+aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen
+sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck
+noch mit eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem
+Ton, nach Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu
+schliessen, aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem
+Alabaster, darunter mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten
+oder eingeschnitzten Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen.
+Die letzten koennen aus dem Norden auf dem Landweg gekommen sein;
+die uebrigen Gegenstaende aber beweisen die Einfuhr von Salben und
+Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher kamen Linnen und
+Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch der
+linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen
+Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten
+Lehnnamen (linon linum; porph?ra purpura; sk/e/ptron skip/o/n scipio,
+auch wohl elephas ebur; th?os thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung
+einer Anzahl auf Ess- und Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich
+die Benennung des Oels (vgl. 1, 200), der Kruege (amphore?s amp[h]ora
+ampulla; krat/e/r cratera), des Schmausens (k/o/maz/o/ comissari),
+des Leckergerichts (ops/o/nion opsonium), des Teiges (maza massa) und
+verschiedener Kuchennamen (glyko?s lucuns; plako?s placenta; tyro?s
+turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina
+patan/e/) und des Specks (arvina arbin/e/) in das sizilische Griechisch
+Eingang gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches,
+kerkyraeisches und kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen,
+beweist eben wie diese sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der
+griechischen Toepferwaren nach Italien. Dass die griechische Lederarbeit
+in Latium wenigstens bei der Armatur Eingang fand, zeigt die Verwendung
+des griechischen Wortes fuer Leder (sk?tos) bei den Latinern fuer den
+Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich gehoeren hierher die
+zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten Schifferausdruecke, obwohl
+die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt: Segel, Mast und Rahe
+doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9; ferner die
+griechische Benennung des Briefes (epistol/e/ epistula), der Marke
+(tessera, von tessara ^10), der Waage (stat/e/r statera) und des
+Aufgeldes (arrab/o/n arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die
+Aufnahme italischer Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch,
+sowie der nachher zu erwaehnende Austausch der Muenz-, Mass- und
+Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der barbarische Charakter,
+den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor allem die
+charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta
+= plako?nta; ampora = amphorea; statera = stat/e/ra), ist der klarste
+Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes
+(Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische Vorstellungen
+bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des Mai gelegt
+zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den Sohn der
+schoenen Maia. ----------------------------------------------- ^8 Vor
+kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen
+und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf.
+32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum
+Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist.
+^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies
+nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch
+antenna kann von ana (anhelare, antestari) und tendere = supertensa
+herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern kybernan, ancora
+Anker agkyra, prora Vorderteil pr/o/ra, aplustre Schiffshinterteil
+aphlaston, anquina der die Rahen festhaltende Strick agkoina, nausea
+Seekrankheit naysia. Die alten vier Hauptwinde - aquilo der Adlerwind,
+die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, vielleicht
+der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind, der
+Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende
+Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche
+Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch
+(wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus
+= ap/e/li/o/t/e/s, Africus = lips). ^10 Zunaechst sind die Marken im
+Lagerdienst gemeint, die xyl/e/phia kata phylak/e/n brachea tele/o/s
+echonta charakt/e/ra (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des
+Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die
+Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch;
+die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv.
+35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen
+Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen Form
+spricht fuer verhaeltnismaessig spaete Uebernahme des Wortes.
+------------------------------------------ Sonach bezog das aelteste
+Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine Luxuswaren aus dem Osten,
+bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst zu fabrizieren
+versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine
+Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann
+Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa
+im Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide. Aus diesem Stande
+des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente ist schon
+frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium und
+in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen
+alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen
+Passivhandel fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer,
+dessen sie notwendig bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder
+Sklaven eintauschen, wie denn der uralte Vertrieb der letzteren auf
+das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; dagegen musste die tuskische
+Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua wie in Spina sich
+notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte Wohlstand
+dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium
+vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies
+in allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art,
+nur mit ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber
+finden sich in Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine
+Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem suedlichen
+Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die
+latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck auslaendischer Herkunft
+und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer Zeit aufweist,
+vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen
+die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der
+Zeit nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an;
+Latium hat in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich
+beholfen und selbst die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn
+nur aeusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von
+Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik
+wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur
+dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten
+Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben
+Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte;
+aber in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit
+zurueck hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen,
+dass die nach griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren
+auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst
+Absatz fanden, waehrend Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt
+hat. Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der
+Latiner und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den
+aeltesten Handel der Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum
+etwas aussprechen als die Vermutung, dass er von Spina und Hatria
+vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Dass die westlichen Etrusker
+sich dreist in die oestlichen Meere wagten und nicht bloss mit Sizilien,
+sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten, ward schon
+gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die attischen
+Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so zahlreich
+vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt,
+wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt
+die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein
+gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die
+Silberstuecke von Populonia sind nachgepraegt einem uralten,
+einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloss mit einem
+eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das sich in Athen und
+an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden hat
+und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss
+geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung
+der karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die
+Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt;
+es ist beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser
+einheimischem Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren
+sich gefunden haben, welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten
+herruehren koennen, wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen
+Handelsmaennern eingefuehrt wurden. Indes darf diesem phoenikischen
+Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich nicht
+uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen Anregungen und
+Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht von den
+Phoenikern nach Etrurien gebracht sind. Nach einer anderen Richtung
+weist der latinische Verkehr. So selten wir auch Gelegenheit haben,
+Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme hellenischer
+Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind, eine
+vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander.
+Am deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den
+chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern
+zugebrachte griechische weicht nicht unwesentlich ab von dem den
+Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide Voelker haben also hier
+zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer Zeit und an einem
+anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern wiederholt sich
+dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische Pultuke sind
+jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; der
+tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische
+Ulixes gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso
+entspricht der tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens,
+der roemische Aiax einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische
+Aperta oder Apello, der samnitische Appellun sind entstanden aus dem
+dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache
+und Schrift Latiums ausschliesslich auf den Zug des latinischen Handels
+zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede andere Spur,
+die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Muenze
+von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern,
+Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei
+den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen
+Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische
+Bezeichnung der Silbermuenze nomos, das sizilische Mass /e/mina als
+nummus und hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so
+waren umgekehrt die italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens,
+quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte
+an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den
+korrupten und hybriden Formen litra, trias, tetras, ezas, oygkia
+schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen
+Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht-
+und Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen
+Kupfersystem in ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss
+dem Silber der zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell
+und vielleicht gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene
+Aequivalent eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen
+Talents, 1/3 des roemischen Pfundes) als Silbermuenze (litra argyrioy,
+das ist "Kupferpfund in Silber") schon in fruehester Zeit namentlich in
+Syrakus geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass
+die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen;
+und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der Handel der
+Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld
+nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen
+Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen
+des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den
+sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden.
+Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten
+in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und
+Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass
+er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den Sikelioten,
+beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach
+Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an Aesculapius,
+Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen zeigen. Wenn
+der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie Kyme und die
+phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur
+gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben
+erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst
+der Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt
+hat. Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der
+Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den
+sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich
+ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den
+afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke hinreichend belegen,
+in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter
+Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer beweisend, dass - von
+einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten Verkehr der Latiner
+mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis
+gebricht ^11. ----------------------------------------------------------
+^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen
+oertlichen Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar
+aus dem Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in
+demselben vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich
+arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind
+offenbar zunaechst Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen
+orientalischen Lehnwoertern eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines
+aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern aufzuweisen hat. Dass elephas und
+ebur von dem gleichen phoenikischen Original mit oder ohne Hinzufuegung
+des Artikels, also jedes selbstaendig gebildet seien, ist sprachlich
+unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht
+verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch
+nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus;
+mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem
+Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es,
+wie schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden
+Fall griechisches Lehnwort.
+---------------------------------------------------------- Fragen wir
+weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von italischen
+Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so
+hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle
+Wahrscheinlichkeit fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen
+Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen
+Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten
+eindringen koennen, dass sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und
+Kupfer gegen Schmuck einhandelten. Was endlich die Personen und Staende
+anlangt, durch die dieser Handel in Italien gefuehrt ward, so hat
+sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand selbstaendig
+gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser
+auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang
+an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine
+Annahme, die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von
+mehreren schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse
+Grundbesitzer, der von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird,
+frueh zu dem Besitz von Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt;
+der ueberseeische Eigenhandel musste also um so mehr dem Gutsbesitzer
+zufallen, als er allein die Schiffe und in den Fruechten die
+Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz zwischen Land-
+und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt;
+die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die
+Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese
+Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige
+Darstellung zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern
+der Handel der latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein
+im wesentlichen ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder
+Tarent, sondern war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden
+Gemeinde. 14. Kapitel Mass und Schrift Die Kunst des Messens unterwirft
+dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hoert seine
+Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst ist; sie beide
+geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit.
+Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen
+Bahnen zu folgen. Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die
+Begriffe der zeitlichen, raeumlichen und Gewichtseinheit und des
+aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das
+Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die Natur als naechste
+Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder
+Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der leichter
+misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit
+ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag
+oder das "Gewicht" (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus
+gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit
+ihren fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht
+das Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente
+alles Zaehlens und Messens nicht bloss ueber die Trennung des
+griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit
+zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde
+ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen
+Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen
+vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu
+zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und
+Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche
+Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt
+die bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den
+Zahlwoertern bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind
+hier alle aeltesten Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es
+genuegt, an die so gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten,
+Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn
+Schafen, an die Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt
+die durchstehende Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und
+Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem
+Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses aeltesten
+Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern.
+Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen
+und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei
+aeltesten und unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei
+Zeichen, I, V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten
+Fingers, der offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch
+den Phoenikern entlehnt, dagegen den Roemern, Sabellern und Etruskern
+gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze zur Bildung einer national
+italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des
+aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen Verkehrs
+der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen erfunden
+und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen.
+Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam;
+es gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100
+Fuss ins Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im
+allgemeinen in denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische
+Festsetzungen anknuepfen und wahrscheinlich von den Italikern vor
+Beruehrung mit den Griechen entwickelt worden sind, die Teilung des
+"Ganzen" (as) in zwoelf "Einheiten" (unciae) vorherrschend. Nach der
+Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen Priesterschaften,
+die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die etruskischen
+Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im roemischen
+Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo der Fuss
+(pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des
+roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem
+zusammengesetzte "Trieb" (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1.
+Im Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein.
+------------------------------------------ ^1 Urspruenglich sind sowohl
+"actus" Trieb, wie auch das noch haeufiger vorkommende Doppelte
+davon, "iugerum", Joch, wie unser "Morgen" nicht Flaechen-, sondern
+Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk,
+mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende
+Mittagsruhe des Pfluegers. --------------------------------------------
+Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen
+sein mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein
+neben der Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung
+wohl nur gefunden werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und
+Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an
+dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf Mondkreislaeufen zuerst dem
+Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten
+zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines
+Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste
+duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu
+sein und vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen. Als
+nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische
+Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber
+wohl das Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das
+heisst diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich
+ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste
+roemische Fuss ist verschollen; der, den wir kennen und der in
+fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus Griechenland
+entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in
+Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn
+Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht
+in ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz
+Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis,
+dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier
+roemische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das
+roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen
+gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die
+roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den griechischen
+entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach medimnos congius
+aus choe?s, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von
+ox?baphon) entstanden sind, waehrend umgekehrt xest/e/s Korruption
+von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die
+gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius
+oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer
+trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen
+Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem
+griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 :
+1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen
+Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes
+sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben. Die griechischen Zahlzeichen
+nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer das griechische
+Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen der drei
+Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer 100
+zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das
+Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich
+das Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das
+roemische im wesentlichen in Etrurien angenommen ward. In gleicher Weise
+ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische Kalender,
+nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter unter
+griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die
+Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes
+am unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht
+nach zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung
+bestimmt, lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und
+-untergang wurden auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen
+Ausrufer bis in spaete Zeit hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich
+einstmals an jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum
+naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch die Priester abgerufen.
+Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei den
+Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon
+gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von
+dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die
+bei der mittleren Dauer von 7? Tagen zwischen sieben- und achttaegiger
+Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der
+mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44
+Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse
+Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die
+groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann man Tag und
+Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der Stundenteilung
+sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der Bestimmung
+des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme
+auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller
+und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens
+als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht
+kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der
+Jahresteile bei den Griechen und den Italikern voellig selbstaendig
+gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen
+Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur
+Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit fortgeschritten
+zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der Rechnung nach
+Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer
+Frist von zehn Monaten als eines "Ringes" (annus) oder eines Jahrganzen
+traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber auch
+noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der
+griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde,
+das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus
+der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs
+hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung
+bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den
+Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit
+der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in
+den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl
+die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen
+zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender
+herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels
+vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen
+es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche,
+wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt
+haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen.
+Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen
+Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische Zeitmessung ist
+ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf der aeltesten
+griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des
+Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme
+eines Mondumlaufs von 29 Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12
+Mondmonaten oder 368_ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder
+dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate
+sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber
+durch willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den
+wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass
+diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern
+in Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die sich
+geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis
+und ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen
+Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der
+einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies roemische Jahr beginnt mit
+Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der einzige, der von
+einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius), die drei
+folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen (iunius),
+der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, sextilis,
+september, october, november, december), der elfte vom Anfangen
+(ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der
+Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der
+zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius).
+Zu dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im
+Schaltjahr noch ein namenloser "Arbeitsmonat" (mercedonius) am
+Jahresschluss, also hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den
+wahrscheinlich aus dem altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate
+ist der roemische Kalender in der Dauer derselben selbstaendig: fuer die
+vier aus je sechs dreissig- und sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten
+und einem jedes zweite Jahr eintretenden, abwechselnd dreissig-
+und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des
+griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm
+gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften
+und achten - einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen
+Monaten, ferner einem in drei Jahren acht-, in dem vierten
+neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes andere Jahr eingelegten
+siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + 382 = 1475
+Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der urspruenglichen Einteilung
+des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige Wochen; er liess
+die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen
+Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es
+tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt.
+Er setzte daneben ein fuer allemal das erste Viertel in den
+einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den
+neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den
+fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest
+geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der
+zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt
+zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des
+Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen
+Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den
+Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag
+(nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht
+Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde
+liegende Motiv scheint hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende
+Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen
+an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen
+Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in Unteritalien
+uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren des
+Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender,
+so deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond-
+wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit
+dem Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein
+griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste
+griechische, nicht anders als mittels haeufiger willkuerlicher
+Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender schwerlich
+mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, hoechst
+wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der
+Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach
+zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes
+Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des
+aeltesten roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird
+dieser roemische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen
+werden koennen. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und
+der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den
+Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl
+vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsaechlich von
+dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkuerlichen,
+etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn
+beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen
+schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von
+Unteritalien aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch
+zu anderen italischen Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen
+Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren.
+---------------------------------------- ^2 Aus derselben Ursache sind
+saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem Monat wiederkehrenden
+(kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder 15.) als auch,
+mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45 Jahresfeste.
+Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die geraden
+Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das
+Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai
+begangen wird. ----------------------------------------- Zur Messung
+mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der Koenige
+bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige
+Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen
+ist. Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit
+verbundene Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen
+Olympiadenzaehlung der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren
+angeknuepft zu haben, die indes infolge der bald in der Abhaltung
+der Schatzungen einreissenden Unregelmaessigkeit ihre chronologische
+Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat. Juenger als die Messkunst ist
+die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben sowenig wie die
+Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den italischen
+Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus
+hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit
+Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden
+werden koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in
+so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss,
+beweist am besten die Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische,
+indische, griechisch-roemische und heutige Zivilisation ein einziges,
+von Volk zu Volk und von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanztes
+Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; und auch dieses
+bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame Schoepfung der
+Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem
+der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann,
+erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb
+denn auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet
+erfunden worden ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk
+selbstaendig und in hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel
+ihnen zugefuehrten aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige
+Alphabet erschaffen durch Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte
+durch die Verwendung von vier fuer die Griechen als Konsonantenzeichen
+unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a e i o und durch
+Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der Silbe in die
+Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides
+sagt: Heilmittel also ordnend der Vergessenheit Fuegt ich lautlos'
+und lautende in Silben ein Und fand des Schreibens Wissenschaft den
+Sterblichen. Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den
+Italikern zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen,
+nicht aber durch die Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch
+die Kaufleute etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunaechst nach den
+uralten Vermittlungsstaetten des internationalen Verkehrs in Latium und
+Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die
+Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste hellenische: es hatte
+schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei
+Buchstaben x ph ch und die Abaenderung der Zeichen fuer y g l ^3. Auch
+das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische
+Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus
+dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach
+Etrurien und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das
+etruskische Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und
+nur ein einfaches k ^4 und vom r nur die aeltere Form P; das latinische
+kennt, soviel wir wissen, nur ein einziges s, dagegen ein doppeltes
+k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die juengere Form R. Die
+aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich
+wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten
+Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt,
+soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in
+gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach
+rechts oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den
+Roemern in jener, bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach
+Etrurien gebrachte Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten
+Charakters dennoch in eine sehr alte, wenn auch nicht positiv zu
+bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da die beiden Sibilanten Sigma
+und San von den Etruskern stets als verschiedene Laute nebeneinander
+gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, das nach
+Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige
+Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern
+der griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San
+nebeneinander im Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings,
+wie wir es kennen, im ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es
+nicht unwahrscheinlich, dass in Latium nicht, wie in Etrurien, bloss
+eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, sondern die Latiner infolge
+ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen Nachbarn laengere Zeit
+sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht hielten und den
+Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass die
+Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die
+juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was
+sich nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre
+griechischen Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich
+des griechischen Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch
+bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen
+griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und dem aelteren des
+nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien
+frueher geschrieben worden ist als in Rom.
+------------------------------------------- ^3 Die Geschichte des
+Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, dass
+gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem
+vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, die
+verschiedenartigsten Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung
+desselben gemacht worden sind und dass jeder dieser Vorschlaege seine
+eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschlaege, die
+auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten vor.
+Interesse ist, sind die folgenden. I. Einfuehrung eigener Zeichen
+fuer die Laute x ph ch. Dieser Vorschlag ist so alt, dass mit einziger
+Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta alle griechischen
+und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten Alphabete
+unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin,
+die Zeichen CH xi, PH phi, PS chi dem Alphabet am Schluss anzufuegen,
+und in dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme
+von Athen und Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen
+Griechen Annahme gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und
+die der Inseln des Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther
+scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i
+bereits das fuenfzehnte Zeichen des phoenikischen Alphabets (Samech) X
+im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei neuen
+Zeichen zwar das PH auch fuer phi, aber das CH nicht fuer xi sondern
+fuer chi. Das dritte, urspruenglich fuer chi erfundene Zeichen liess man
+wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man
+es fest, gab ihm aber den Wert psi. Der kleinasiatischen Schreibweise
+folgte auch Athen, nur dass hier nicht bloss das psi, sondern auch das
+xi nicht angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant
+geschrieben ward. II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man
+sich bemueht, die naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu
+verhueten; denn saemtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen
+die Spuren des Bestrebens, beide Zeichen anders und schaerfer
+zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit muessen zwei
+Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen
+Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den
+Sibilanten, wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das
+vierzehnte (M) fuer sch und das achtzehnte (S) fuer s, darbot, statt des
+letzteren, lautlich angemesseneren vielmehr jenes - und so schrieb man
+in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln, in Korinth und Kerkyra und
+bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das Zeichen des i durch
+einfachen Strich ?, was bei weitem das Gewoehnlichere war und in
+nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das
+gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in
+der Form M auch neben dem ? festhielten. III. Juenger ist die Ersetzung
+des leicht mit G g zu verwechselnden l L durch V, der wir in Athen und
+Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth abhaengigen
+Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem g statt der
+haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben. IV. Die ebenfalls der
+Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer r R p p und r P wurden
+unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere
+Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen
+Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen
+sowohl in dem eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit
+aeberwiegt. Doch ist die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so
+voellig verschwunden wie die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt
+daher ohne Zweifel spaeter. Die Differenzierung des langen und kurzen e
+und des langen und kurzen o ist in aelterer Zeit beschraenkt geblieben
+auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln des Aegaeischen Meeres.
+Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und
+geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer
+bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann
+ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung
+gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur
+Geschichte des griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die
+bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht
+geworfen und auch fuer die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und
+Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse
+Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat,
+leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen
+einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt.
+Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man die
+Alphabete nicht nach der Geltung des X als x oder als ch in zwei Klassen
+teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26
+Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische,
+aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das
+gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es
+haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den
+verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch
+verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben
+insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als
+sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen
+Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen
+Wechselverhaeltnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist
+schon auf den merkwuerdigen Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu
+den chalkidischen und dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam
+gemacht worden; in jenen sind durchgaengig die primitiven Formen
+festgehalten, in diesen die verbesserten Formen angenommen, selbst
+solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich gewissermassen
+widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete
+stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der
+italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass
+aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern,
+sondern beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt
+besonders die verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend
+von den vier oben bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die
+italischen Griechen ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien
+beschraenkt), die drei ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor
+dasselbe auf die Etrusker und Latiner ueberging, war die Differenzierung
+von p und r noch nicht geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam,
+dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es empfingen, weshalb fuer
+r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern
+und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefaesses
+ausschliesslich die juengere Form begegnet. ^4 Dass das Koppa den
+Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht zweifelhaft: denn nicht
+bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur desselben, sondern
+es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen Gefaesses. Der
+Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf
+jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein
+gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann
+zu diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am
+Schluss stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen
+Wert haben als den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte
+ist und das in dem, die Abweichungen .des etruskischen Alphabets von
+seinem Muster darlegenden Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend
+bleibt es freilich, dass in dem nach Etrurien gelangten griechischen
+Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem chalkidisch-dorischen
+sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich eine lokale
+Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet
+zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig
+werdendes Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen
+Zeiten Willkuer und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet
+das achtzehnte phoenikische Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der
+Lautschrift verschwundenen im Alphabet festgehalten. ^5 Die vor kurzem
+bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887), unter
+den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer
+Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das
+raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel
+in den AdI 52, 1880) die aeltere Form des r.
+------------------------------------------- Welchen gewaltigen Eindruck
+die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die Empfaenger machte und
+wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht
+ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor Erfindung
+des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische
+Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus
+gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar,
+verzeichnet ist - offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der
+Akklimatisierung der Buchstabenschrift in Etrurien. Nicht minder wichtig
+als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte dessen weitere
+Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn
+hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr,
+der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit
+den Fremden. In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in
+der man sich im wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert
+bediente, scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po
+und in der heutigen Toskana beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist
+alsdann, offenbar von Atria und Spina aus, suedlich an der Ostkueste
+hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den Venetern und spaeter sogar
+zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodass
+die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen.
+Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich
+hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter Zeilenschrift,
+auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu
+unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens f,
+wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte.
+Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und
+hat, waehrend sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen
+bei saemtlichen sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich
+eingebuergert; im weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem
+einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und
+Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz
+oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und Konsonanten
+entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber ist nicht
+bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen Graeber, sondern
+betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in einem
+derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in
+einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da
+das reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ
+jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene
+Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte. Erscheinen sonach die
+Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, Osten und Sueden
+der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium
+beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich
+behauptet; nur fielen g k und z s allmaehlich lautlich zusammen, wovon
+die Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (k z) aus der Schrift
+verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des
+vierten Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte
+monumentale und literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme
+^7 kennt sie nicht. Wer nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen
+der Unterschied von g c und k k noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8,
+dass also der Zeitraum, wo die Laute in der Aussprache zusammenfielen,
+und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem die Abkuerzungen sich
+fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege liegt; dass
+endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung eines
+konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist
+verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den
+Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten
+Eintritt der aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre
+1321 vor Christi Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in
+Griechenland die Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter
+der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche
+Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit ist hinreichend
+beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein Koenig
+Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, und
+der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an
+Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen
+Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Buendnisses, das
+Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch Dionysios auf
+einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah - freilich
+wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars
+hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall
+grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels
+beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die
+aelteste derartige roemische Urkunde und das gemeinschaftliche Muster
+fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit
+scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf Blaetter (folium),
+Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), spaeter auch auf Leder
+und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten
+wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die aeltesten,
+im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol
+bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch
+noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura),
+an die Anrede im Senat "Vaeter und Eingeschriebene" (patres conscripti),
+an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des
+albanischen und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon
+in der fruehesten Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in
+denen die Knaben und Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten,
+so kann das, aber muss nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde
+der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns
+die Kunde der aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die
+Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung
+berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre
+Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und
+Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu begehren
+und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene
+schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher
+nicht verweigert haben wuerde.
+------------------------------------------------------------- ^6 In
+diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen
+sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der
+wir Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner
+Entstehung niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber
+ihren Text nicht auf das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine
+nach dem gallischen Brande vorgenommene offizielle Niederschrift,
+beweist die Erzaehlung von der damals erfolgten Wiederherstellung der
+Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, dass ihr Text keineswegs
+die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie aufwies, auch abgesehen
+davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum Auswendiglernen
+fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue
+Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann. ^7 Dies ist die 1, 227
+angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen hat selbst schon
+auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von k. ^8 So ist C
+Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen gilt
+dieses natuerlich nicht; hier wird g nicht durch c, sondern durch G (GAL
+Galeria), k in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina),
+vor a durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn
+eine Zeitlang hat man den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen
+Konsonanten durch C ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch
+das alte Zeichen des Koppa Q. ^9 Wenn dies richtig ist, so muss die
+Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn auch natuerlich nicht gerade
+die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in
+welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die
+Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der Beginn
+des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen
+Zeit an. ^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann
+schreiben. --------------------------------------------- Die Geschichte
+der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache und
+mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im
+Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den
+Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich
+daraus, dass sie das Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den
+Ruecken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe
+schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze
+mitbrachten. Andererseits enthaelt diese Geschichte der Schrift
+eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die spaetere, der
+etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische Bildung
+aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig
+wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern
+aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem
+eine Spur sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der
+latinischen Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass
+sie nicht einmal das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich
+angeeignet hat ^11. Ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen,
+sind es vielmehr die Etrusker, die von den Roemern wenigstens
+das Zeichen fuer 50 uebernommen haben.
+---------------------------------------------- ^11 Das Raetsel, wie die
+Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v entsprechende Zeichen
+fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat die Spange von
+Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit zugleich die
+Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen Kolonien
+Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet angehoerigen
+boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer,
+Griechische Grammatik,  244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und
+ein aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich
+naehern. --------------------------------------------- Endlich ist es
+charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die Entwicklung des
+griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben
+besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten
+untergegangen, waehrend die Umbrer g d, die Samniten d, die Roemer
+g einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso
+fielen den Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den
+Lateinern finden sich Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte
+zeigt sich bei den Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei
+Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber
+dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich der Samnite und
+der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spaetere Roemer sogar
+auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden von
+den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen maechtigen
+Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen Loesung der nationalen
+Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmaehlich die
+Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und
+Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr
+Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die
+Zerstoerung der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser
+Lautzerruettung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also
+im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an
+jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell
+ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von dem, was sonst spurlos
+voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese
+Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste als irgendeinen
+der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer
+minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den
+Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die
+suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden,
+so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen
+wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben. 15. Kapitel
+Die Kunst Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang
+die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu
+den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die
+italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens,
+die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu
+vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem
+scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die
+Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio
+finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten
+neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere
+Komoedie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit
+die parodische Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der
+Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern
+keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen
+haben sie es nicht leicht ueber Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer
+Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch
+die hoechsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, goettliche
+Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie Sallustius und
+Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen
+als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter
+wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent weit weniger
+hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich
+steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und
+herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche
+Gebiet, insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein
+Aeusserliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene
+Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf
+ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor
+die Augen gerueckt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und
+bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten
+Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der neuen der Meister
+aller Nationen geworden. Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer
+Ueberlieferung nicht moeglich, die Entwicklung der kuenstlerischen Ideen
+bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich
+laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur
+von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere
+ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen
+Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit
+sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten
+Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit
+entschiedener hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug,
+mit dem das roemische Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den
+Goetterbildern und den Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und
+die lustigen Taenzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der
+Juenglinge und der Knaben, alle in roten Roecken mit kupfernem Leibgurt,
+mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Maenner ueberdies behelmt,
+ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der
+Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf
+den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die
+aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die "Springer"
+und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem
+oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen,
+weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe
+ward. Wo aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute
+oder, was in aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein.
+Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem
+Begraebnis, und neben der uralten oeffentlichen Priesterschaft der
+Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die
+Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart
+bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen roemischen Polizei
+zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und suessen
+Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als
+ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige
+Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide
+bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und
+gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder
+dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen. Den Roemern galt als
+das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen Waldeseinsamkeit die
+Blaetter sich selber singen. Was der "guenstige Geist" (faunus, von
+favere) im Haine fluestert und floetet, das verkuenden die, denen
+es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch
+gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen
+weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und
+Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die
+Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die
+boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft
+oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass
+in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln
+erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die religioesen
+Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen
+und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein
+wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der
+Ackerbrueder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient:
+------------------------------------------------- ^1 So gibt der aeltere
+Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat
+hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem
+Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich
+daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man
+nuechtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend
+und ausspuckend, die Worte spricht: "Ich denke dein, hilf meinen
+Fuessen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil"
+(terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).
+--------------------------------------------------------------------
+Enos, Lases, iuvate! Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
+Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber! Semunis alternei
+advocapit conctos! Enos, Marmar, invato! Triumpe! ^2
+-------------------------------------------------------------------- ^2
+Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers,
+sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta!
+verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato!
+Tripudia! Die ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf
+fuenfmal wiederholt. Die Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders
+der dritten Zeile. Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal
+lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied
+- asted noisi ope toitesiai pakariuois - duenos med feked (= onus me
+fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo
+statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter; bemerkenswert
+vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische
+kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von
+et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.
+------------------------------------------------------------
+
+an die Goetter Uns, Laren, helfet! Nicht Sterben und Verderben, Mars,
+Mars, lass einstuermen auf mehrere. Satt sei, grauser Mars!
+
+an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie! Brueder
+
+an alle Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen
+
+an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf!
+
+an die einzelnen Springe! Brueder
+
+Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der
+Baliarischen Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit
+als die aeltesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu
+dem Latein der Zwoelf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der
+Sprache Luthers; und wohl duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach
+diese ehrwuerdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen. Schon
+einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass
+es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab,
+wuerde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen,
+auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es
+ausdruecklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein
+Buerger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm
+anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines
+Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem
+Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter auch
+zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der
+Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne
+Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei
+dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich
+den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen
+Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, dass sie schilderten und
+erzaehlten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie
+das epische entwickelten. Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem
+uralten, ohne Zweifel ueber die Scheidung der Staemme zurueckreichenden
+Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang
+wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhaeltnissen,
+dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten
+aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht mehrere
+Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und
+der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich
+ueberwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter
+trug. So entstanden hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter
+unter dem Namen der fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die
+Elemente einer volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der
+Italiener fuer das Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen
+an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden
+gepflanzt war. Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen
+Epos und Drama. Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht
+sich von selbst und wird zum Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie
+regelmaessig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des aelteren
+Cato Zeit waren dieselben vollstaendig verschollen. Die Komoedien aber,
+wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch
+lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser
+Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Mass,
+die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken. Ob
+es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft;
+die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich
+fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte
+Rezitation. Dagegen begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das
+sogenannte saturnische ^3 oder faunische Mass, welches den Griechen
+fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der aeltesten latinischen
+Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit spaeteren
+Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben.
+------------------------------------------ ^3 Der Name bezeichnet wohl
+nichts als das "Liedermass", insofern die satura urspruenglich das beim
+Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Saeegott
+Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Saturnus benannt; sein Fest, die
+Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist moeglich, dass
+die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden.
+Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und
+vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus saturnius
+mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der
+ersten Silbe erst der spaeteren Zeit an.
+------------------------------------------ Quod re sua difeidens -
+aspere afleicta Parens timens heic vovit - voto hoc souto Decuma facta
+poloucta - leibereis lubentes Donu danunt - Hercolei - maxsume - mereto
+Semol te orant se voti - crebro condemnes Was, Missgeschick befuerchtend
+- schwer betroffnem Wohlstand, Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des
+Geloebnis eintraf, Zu Weih' und Schmaus den Zehnten - bringen gern
+die Kinder Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten; Sie flehn
+zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest. In saturnischer Weise
+scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig gesungen worden
+zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass namentlich der
+Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier
+auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische
+Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum
+vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken
+Versmassen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen
+mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten
+Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem
+diese einander entgegengesetzten iambischen und trochaeischen Halbzeilen
+wenig geeignet sind, einen fuer hoehere poetische Leistungen genuegenden
+rhythmischen Bau zu entwickeln. Die Grundelemente der volkstuemlichen
+Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich
+festgestellt haben muessen, sind fuer uns verschollen; ausser dass uns
+von der latinischen Floete berichtet wird als einem kurzen und duennen,
+nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie der Name zeigt,
+aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen
+Instrument. Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der
+latinischen Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der
+Harlekin, Bucco der Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus
+- Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem
+Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomoedie verglichen
+hat -, dass diese Masken bereits der aeltesten latinischen Volkskunst
+angehoeren, laesst sich natuerlich nicht eigentlich beweisen; da aber
+der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die Volksbuehne von
+unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in Rom erst
+ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da
+jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da
+endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele
+ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal
+zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken
+an die Anfaenge des roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie
+als diese Anfaenge selbst betrachten duerfen. Wenn unsere Kunde ueber
+die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spaerlich
+fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber
+die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil
+wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen,
+namentlich der griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche
+letztere den Latinern natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies
+schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber
+doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und
+dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen
+zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung
+der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf
+elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen
+wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie
+bereits in fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich
+die Hellenen und weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche
+in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends
+begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder
+Caere zurueckwiese, und es darf wohl ueberhaupt die phoenikische wie die
+etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der
+Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische Befruchtung aber blieb
+nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die "Saiten" (fides, von
+sphid/e/ Darm; auch barbitus barbytos) ist nicht, wie die Floete, in
+Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument
+gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist
+teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre
+Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen
+bereits in dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige
+Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem
+poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die
+altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des
+Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in
+Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele
+in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen
+von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor
+allem kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani)
+wo nicht seine Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl
+anders als unter griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als
+ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund eines von dem
+Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum gewoehnlich bei
+der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und
+den mit ihm zusammen hausenden Goettern ausgerichtet. Im Festzuge begab
+man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit
+einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: voran die ganze
+Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Buergerwehr zu
+Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher beschriebenen
+Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener
+der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet;
+endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst
+war das Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf
+zu Wagen, zu Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren
+jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug,
+darauf die abgesprungenen Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder
+nach roemischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien
+(desultor); endlich massen die Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen
+Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und
+im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal und
+zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte
+der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die
+gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu
+legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen
+die Wettkaempfe an diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen
+Karneval, wobei denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre
+Possen entfaltet haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum
+Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die
+im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine
+Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der
+erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel
+den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte.
+----------------------------------------------------------- ^4
+Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie
+spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist
+mit dem urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso
+unvereinbar, wie es nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben
+in Etrurien lernten. Dass das Studium der etruskischen Sprache damals
+in Rom die Rolle gespielt habe wie etwa jetzt bei uns das
+Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten heutigen Bekenner
+des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen Haruspicin
+etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten,
+einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K.
+O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist
+die Angabe von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der
+Republik herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren
+Annalen, welche zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung
+mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5,
+28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine
+Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine gewisse Kenntnis der
+Landessprache bei den vornehmen Roemern erforderte. ^5 Den Gebrauch der
+Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4;
+Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803.
+Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter
+nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger
+unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der
+Musik im Jahre 639 wurden nur der "latinische Floetenspieler samt dem
+Saengern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem
+Mahle sangen nur zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro
+bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das
+Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51)
+von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf Privatgastmaehler
+uebertragen. ^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt
+haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer
+und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu
+Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch
+die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen sind. Dass in jeder
+Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv.
+44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig Wagenpaare
+nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung.
+Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei
+Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in
+den roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es
+sogenannte Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die
+weisse und die rote. Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der
+patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar
+wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knuepfte es an den Aufzug
+der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt.
+---------------------------------------------------------- Solcher
+Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen
+oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch
+in den Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen
+Leichenfeier traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr
+geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch
+den oeffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begraebnis
+eingeladen ward. Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng
+verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich
+zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer
+religioesen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der
+einzelnen Uebungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros' Zeugnis
+von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und
+Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in
+Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und
+dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes
+zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten
+und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese
+Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter
+Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen
+Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht die ueberwiegende
+Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist
+keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu
+den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie
+die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss erfolgt ist (I,
+109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere Belustigungsweise -
+der "Sprung" (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei
+dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Uebung gebliebene Schaukeln
+- mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen
+Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von dem
+ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in
+Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch
+spadion) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit
+in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt sogar ein
+ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die Pferde- und
+Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere
+Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Roemer ausser
+den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren
+Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken. Es
+waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus
+denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch
+diese selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die
+Elemente der Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als
+der roemische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren
+und den Jagdspiess fuehren lernte und als in Rom jeder Gemeindebuerger
+zugleich Soldat war; sondern es genoss die Tanzkunst von jeher
+oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen Wettkaempfen
+eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik
+und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische
+Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die
+Maskenposse die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische
+Einwirkung nicht. Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese
+Samenkoerner nicht aufgingen oder verkuemmerten. Die koerperliche
+Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tuechtig, aber fern
+von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des Koerpers, wie die
+hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen Wettkaempfe der
+Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber
+ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und
+ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe
+von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und
+hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den
+griechischen Festspielen war, so kamen die roemischen bald in die
+Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten.
+Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein
+Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht
+das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum
+die Rede. Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die
+Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden
+Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen
+Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung
+kam es nicht. Die italischen Goetter sind Abstraktionen gewesen und
+geblieben und haben nie zu rechter persoenlicher Gestaltung sich
+gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen,
+auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme
+Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in
+sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der
+Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber
+kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die
+tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der
+Poesie, dass sie die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und
+aus den Staemmen ein Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie
+heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze
+der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische
+Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum hellenischen
+Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium
+trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben,
+aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch
+denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die
+Hesiodischen 'Werke und Tage'. Es konnte wohl das latinische Bundesfest
+ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der
+Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen, wie
+er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle
+Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder
+hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien
+blieb ohne nationale Poesie und Kunst. Was hieraus mit Notwendigkeit
+folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste in Latium mehr ein
+Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch fuer uns noch
+unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen wohl
+ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied
+gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister,
+die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von
+Hellas weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der
+Dichter die Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen
+trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die aeltere
+lateinische Sprache keine Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die
+Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und
+rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat sich hier frueh
+teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und unzuenftige
+Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die
+Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt
+worden; auch die religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern
+ausgefuehrt. Die Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die
+Klagefrauen (praeficae) unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang
+in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen
+waren, ehrenvolle und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier
+gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der
+Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um
+so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte und je
+mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war.
+Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb
+geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so
+schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern
+schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in Griechenland immer mehr
+Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und
+damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie
+in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und indem sie
+zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht
+einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen
+Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den
+Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von
+der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der
+Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den
+Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese
+haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause
+und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft
+zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden
+Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der
+Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen Tradition,
+die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst
+(gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen
+Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen
+schlichter und ihrer selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach
+sind wie tief; aber ueber der Bewunderung, die sie erweckt, darf es
+nicht uebersehen werden, dass sie nur durchgefuehrt werden konnte
+und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der eigentlichen
+individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so
+reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen.
+----------------------------------------------- ^7 Vates ist wohl
+zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der Salier zu fassen
+sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem griechischen
+proph/e/t/e/s: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort
+und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den
+Nebenbegriff des gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten.
+---------------------------------------------- Ueber die Entwicklung der
+musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern mangelt uns so gut wie
+jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass auch in Etrurien
+die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler (subulones)
+frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein
+Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom
+um geringen Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten.
+Bemerkenswerter ist es, dass an dem etruskischen Nationalfest, welches
+die saemtlichen Zwoelfstaedte durch einen Bundespriester ausrichteten,
+Spiele wie die des roemischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die
+dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner
+zu einer nationalen, ueber den einzelnen Gemeinden stehenden musischen
+Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande.
+Anderseits mag wohl in Etrurien schon in frueherer Zeit der Grund gelegt
+sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen
+und astrologischen Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem
+allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden,
+Chaldaeern und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell goettlicher
+Weisheit angestaunt zu werden. Womoeglich noch weniger wissen wir von
+sabellischer Kunst; woraus natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie
+der der Nachbarstaemme nachgestanden hat. Vielmehr laesst sich nach
+dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstaemme vermuten, dass an
+kuenstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am naechsten, die
+Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; und eine
+gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die
+bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie
+Naevius, Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften
+angehoeren, wogegen Etrurien in der roemischen Literatur fast keine
+anderen Vertreter hat als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten
+aller herzvertrockneten und worteverkraeuselnden Hofpoeten, und
+den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffaertigen und
+mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen. Die Elemente der Baukunst
+sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes Gemeingut der Staemme. Den
+Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist dasselbe bei Griechen
+und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen Stroh- oder
+Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher
+durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung
+(cavum aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser
+"schwarzen Decke" (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt;
+hier werden die Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre
+aufgestellt; hier empfaengt der Mann die Gaeste und sitzt die Frau
+spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern
+man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustuer und der Strasse
+dafuer nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der
+Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause im Untergewand zu
+gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine
+Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den Wohnraum herum Schlaf- und
+Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und
+aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.
+------------------------------------------------ ^8 Dass die Atellanen
+und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, sondern
+der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt werden.
+----------------------------------------------- Ob und wieweit aus
+diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik hervorging, ist kaum
+zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der fruehesten
+Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen
+volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste
+italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger
+unter dem Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen
+Zeit. Die uralten Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch
+das aelteste unter den kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind
+ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae durch
+uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende und mit einem grossen
+Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In derselben Weise
+ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von Tusculum
+gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus (tullianum)
+am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die
+Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore
+gleichen sich voellig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des
+Albaner Sees hat die groesste Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die
+sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in
+Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina haeufig vor und gehoeren der
+Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken Italiens, obwohl der
+groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst viel spaeter,
+einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt aufgefuehrt
+worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus
+grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen
+kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus
+vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber
+die Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme entschied in der
+Regel wohl das Material, wie denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur
+aus Tuff baute, deswegen der Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie
+der beiden ersten einfacheren Arten mag man auf die des Baustoffs und
+des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann schwerlich fuer zufaellig
+gehalten werden, dass auch der kuenstliche polygone Mauerbau und das
+Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden und die unbeschildete
+rechte Seite des Angreifers den Verteidigern blosslegenden Torweg den
+italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen eignet. Bedeutsame
+Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens, der von
+den Hellenen zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem
+Verkehr war, der eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er
+in Etrurien nur in Pyrgi und in den nicht sehr weit davon entfernten
+Staedten Cosa und Saturnia begegnet; da die Anlage der Mauer von Pyrgi,
+zumal bei dem bedeutsamen Namen ("Tuerme"), wohl ebenso sicher den
+Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth, so
+steht hoechst wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor
+Augen, an denen die Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel
+endlich, der in der Kaiserzeit der tuscanische hiess und als eine
+den verschiedenen griechischen Tempelbauten koordinierte Stilgattung
+betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben wie der griechische ein
+gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber welchem Waende
+und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im
+einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen
+Detail, voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem
+diesem wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische
+Baukunst vor der Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten,
+Verhacke und Erd- und Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die
+Steinkonstruktion erst in Aufnahme kam durch das Beispiel und die
+besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum zu bezweifeln ist es, dass die
+Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens kennenlernten und von
+ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von chalix), die Maschine
+(machina m/e/chan/e/), das Richtmass (groma, verdorben aus gn/o/m/o/n
+gn/o/ma) und den kuenstlichen Verschluss (clatri kl/e/thron) ueberkamen.
+Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum
+gesprochen werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses
+neben den durch griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen
+manches Eigentuemliche festgehalten oder auch erst entwickelt worden
+sein und dies dann wieder auf den Bau der italischen Goetterhaeuser
+zurueckgewirkt haben. Die architektonische Entwicklung des Hauses
+aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner und selbst der
+Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der guten
+alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung,
+sondern nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon
+begonnen hatte, das Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem
+Muster des menschlichen Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und
+dem Geist ein Grabgemach zu errichten. Dass man in Latium zu solchen
+Luxusbauten erst unter etruskischem Einfluss vorschritt, beweist die
+Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des aeltesten Hausbaustils als
+tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser Uebertragung anlangt, so ahmt
+der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen Umrisse des Zeltes oder
+des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern gebaut und
+mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten
+Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der
+Notwendigkeit und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb
+der scharfe griechische Gegensatz zwischen der von Holz
+hergerichteten Menschen- und der steinernen Goetterwohnung fremd; die
+Eigentuemlichkeiten des tuscanischen Tempels: der mehr dem Quadrat
+sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die groessere Weite
+der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die gesteigerte
+Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber die
+tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des
+Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues
+hervor. --------------------------------------------------------- ^9
+Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils
+aus einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier
+Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am
+Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore
+die natuerliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach
+aussen durch eine aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen
+Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen
+Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog sich vor dem
+Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die
+Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind
+in neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen.
+Die Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen,
+durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, waehrend
+die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und
+ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den
+Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.
+Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des
+Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament
+gewaltiger Tuffbloecke von drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf
+welchem dann aus Bloecken von demselben Material und derselben Groesse,
+wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Aussenmauer sich erhob.
+Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der oberen Flaeche eine
+Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem. Fuss, die
+ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine Breite
+bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke
+aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind,
+sind erst bei spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen. Den
+Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am
+Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des
+Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom
+im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer
+Ueberreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind.
+^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum.
+----------------------------------------------------- Die bildenden und
+zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das Haus muss erst
+gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu schmuecken. Es ist
+nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon waehrend der
+roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien,
+wo Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird die
+Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss
+gefasst haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat,
+stand, wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe
+und es moegen wohl die Etrusker in nicht viel spaeterer Zeit von den
+Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige
+war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von etruskischer
+Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermuenzen von Populonia,
+fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden
+Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen von den
+etruskischen Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch
+stellten, die besten eben dieser Urzeit angehoert haben, und auch die
+etruskischen Terrakotten koennen nicht ganz gering gewesen sein, da die
+aeltesten in den roemischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter
+Erde, die Bildsaeule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf
+seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und die grossen derartigen
+Aufsaetze auf den Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern
+als "tuscanische Werke" gingen. Dagegen war bei den Italikern, nicht
+bloss bei den sabellischen Staemmen, sondern selbst bei den Latinern,
+das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen.
+Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu
+sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht;
+dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene
+Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in
+Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das
+Bild der Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin,
+welches als das aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem
+massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea
+oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter Zeit in Rom
+vorhandenen Zuenfte der Toepfer, Kupfer- und Goldschmiede, welche das
+Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst beweisen; von
+ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich, eine konkrete
+Vorstellung zu gewinnen. Versuchen wir aus den Archiven aeltester
+Kunstueberlieferung und Kunstuebung geschichtliche Resultate zu
+gewinnen, so ist zunaechst offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie
+italisches Mass und italische Schrift nicht unter phoenikischem, sondern
+ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich entwickelt hat. Es ist
+nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in
+der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und
+insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten
+Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt
+auf die drei griechischen Kuenstler: den "Bildner", "Ordner" und
+"Zeichner", Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als
+zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und zunaechst
+nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer
+Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbstaendig
+entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der
+urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten,
+so sind doch auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit
+nachgeschnitten worden, wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter
+griechischer Inschrift sich in Aegina gefunden hat, und koennen also
+den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von
+dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen.
+-------------------------------------------------------- ^11 Wenn Varro
+(bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die Roemer mehr als
+170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er offenbar
+an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen Chronologie
+zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne Zweifel
+das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro
+vorliegenden Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230.
+------------------------------------------------------ Auf die weitere
+Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die Kunstmuster
+zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort
+nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der
+etruskischen und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen,
+die in Etrurien wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in
+sehr beschraenkter Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei,
+die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf
+griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet worden.
+Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch dem
+ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem um
+die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines
+besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische
+Stil dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element
+durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage
+unter allen griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium
+mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen
+Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst
+versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch fuer die
+Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit angenommen
+werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen wie im Alphabet
+so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und
+die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis
+widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die
+aeltere etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen
+Staemmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische
+Bau- und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der
+westlicheren italischen Staemme nahegetreten. Wenn aber endlich ueber
+die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen ein Urteil
+gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in
+den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher
+hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind
+und massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter
+den latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit
+nicht minder wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich
+dies allerdings fuer jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso
+zweckmaessige wie schoene polygone Mauerbau ist in Latium und dem
+dahinterliegenden Binnenland haeufig, in Etrurien selten und nicht
+einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken geschichtet. Selbst
+in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen Hervorhebung
+des Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge
+der spaeteren roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen
+zu erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau
+wiederholt, aber auch verdorben, indem sie die fuer den Steinbau
+festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf den Holzbau
+uebertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten
+Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu
+reden, "ein breites, niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen"
+gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen
+Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial
+gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich
+angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht
+ihre Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein
+merkwuerdiges Zeugnis handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig
+festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein
+Zeugnis auch nur genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben
+mag, so gut wie man laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus
+der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschliessen
+muessen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der
+ersten in die letzte Stelle zu versetzen.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 by
+Theodor Mommsen
+
+
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
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+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
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+Procedures for determining public domain status are described in
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+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1
+by Theodor Mommsen
+(#1 in our series by Theodor Mommsen)
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+are carefully chosen to provide users with the information they
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+begin in the additional states. These donations should be made to:
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+Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+PMB 113
+1739 University Ave.
+Oxford, MS 38655
+
+
+Title: Rmische Geschichte Book 1
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+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3060]
+[Yes, we are about one year ahead of schedule]
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+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte
+by Theodor Mommsen
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+million dollars per hour this year as we release fifty new Etext
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+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+should reach over 300 billion Etexts given away by year's end.
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+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
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+of that goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we
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+the next 100 years.
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+
+
+
+The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those
+quotations is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are
+not marked in Greek words, nor is there any differentiation between
+the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are
+missing as well.
+
+Theodor Mommsen
+Roemische Geschichte
+Erstes Buch
+Bis zur Abschaffung des roemischen Koenigtums
+
+Vorrede zu der zweiten Auflage
+Die neue Auflage der 'Roemischen Geschichte' weicht von der frueheren
+betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten Buechern, welche
+die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo die
+pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich selbst
+Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die
+Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit-
+und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der Art,
+dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. Obwohl der
+Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten der Forschung und
+der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte,
+so blieb dennoch notwendig, hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese
+Auflage ist eine Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die
+staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der
+dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden.
+Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung
+durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung klarer und
+uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten Buche die inneren
+Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht,
+wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit
+wie die Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt
+worden.
+Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu
+loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen
+wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der Verfasser
+es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht jene leicht
+ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr wie
+den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es
+abgeschlossen und fertig war.
+Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten
+sich bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte
+beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor
+Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der Stadt
+dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt
+worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen
+Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt
+werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des
+Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten
+Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das
+roemische und griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden,
+dass Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und
+fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu 100
+Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde
+gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000
+Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304 Talern
+preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird.
+Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische
+Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag.
+Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. Ein
+alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben werden **,
+da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so
+rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern.
+-------------
+* Hier in Klammern im Text.
+** Karte und Register sind hier weggelassen.
+-------------
+Breslau, im November 1856
+Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande
+dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst gewesen ist,
+sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu aufgefundenen Fragmenten des
+Licinianus, welche er durch die zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers,
+Herrn Karl Pertz, bereits vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat
+einsehen duerfen und die zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der
+Schlacht bei Pydna bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige
+Ergaenzung, freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben.
+Breslau, im Mai 1857
+Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage
+Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage
+wird man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden.
+Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, wie
+das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue Auflagen jede
+inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu
+wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen
+der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als versehen
+oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu einer Umarbeitung
+groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung dargeboten. Eine Ausfuehrung
+ueber die Grundlagen der roemischen Chronologie im vierzehnten Kapitel des
+dritten Buches ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe angemessener Weise
+in einer besonderen Schrift ('Die roemische Chronologie bis auf Caesar'. Zweite
+Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung
+der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt worden.
+Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert.
+Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am 4.
+August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober 1902.
+Meinem Freunde
+Moritz Haupt
+In Berlin
+Erstes Buch
+Bis zur Abschaffung des roemischen Koenigtums
+
+
+Ta palaistera saph/o/s men eyrein dia chronoy pl/e/thos ad?nata /e/n. Ek de
+tekm/e/ri/o/n /o/n epi makrotaton skopo?nti moi piste?sai xymbainei oy megala
+nomiz/o/ genesthai, o?te kata to?s polemoys oite es ta alla.
+Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht
+genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im grossen
+Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht erheblich waren,
+weder in bezug auf die Kriege noch sonst.
+Thukydides
+1. Kapitel
+Einleitung
+Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in
+die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder
+vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in betraechtlicher Breite
+ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in
+alten Zeiten Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und
+sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein
+Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die
+Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner
+des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien an uns
+vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen Stammes an dem
+suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen Nation, die die
+Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und
+Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und
+der Italiker, welche die europaeischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem
+Erbteil empfingen. Wohl knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an
+andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren
+eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten
+Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger Afrikas,
+die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen Europas, haben mit
+jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach sich beruehrt, aber eine
+eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen gegeben noch von ihnen
+empfangen; und soweit ueberhaupt Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann
+derjenige als eine Einheit gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago,
+Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen
+auf eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation gelangt
+war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle Elemente der
+Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und entwickelt, bis auch dieser
+Kreis erfuellt war, bis neue Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der
+Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber
+beide Ufer ergossen und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der
+noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer an den
+Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von der neuen nicht
+bloss zufaellig und chronologisch; was wir die neue Geschichte nennen, ist in
+der Tat die Gestaltung eines neuen Kulturkreises, der in mehreren seiner
+Entwicklungsepochen wohl anschliesst an die untergehende oder untergegangene
+Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische,
+aber auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und
+Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen der
+Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende Muehe des Schaffens
+in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss erworbenen materiellen und
+geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst das Versiegen der schaffenden Kraft
+in der satten Befriedigung des erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur
+ein vorlaeufiges sein; das grossartigste Zivilisationssystem hat seine
+Peripherie und kann sie erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem,
+so wie es am Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in
+hoeherem Sinne neu gestellt wird.
+Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen
+weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den
+drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer
+erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach Sueden
+sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher
+Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des
+Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu
+der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen erreicht.
+Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher Richtung fort, anfangs
+ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach einer Einsattlung, die eine
+Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in einen flacheren suedoestlichen und
+einen steileren suedlichen Hoehenzug und schliesst dort wie hier mit der Bildung
+zweier schmaler Halbinseln ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu
+den Abruzzen hinab sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in
+sehr spaete Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland,
+demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im siebenten
+Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten
+das Potal Italien einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die
+Alpen, sondern der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette
+empor, sondern breit durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige
+Paesse verbundene Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den
+Menschen eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von
+dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und
+Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von dem
+Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen Ruecken des Garganus
+inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in einfoermiger Flaeche mit schwach
+entwickelter Kuesten- und Strombildung aus. An der Suedkueste aber zwischen den
+beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere
+Huegelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich
+und fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden
+Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst
+zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und
+Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium
+und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von Kampanien das
+Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem
+Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der
+Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und groesste
+des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor allem
+im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, grossenteils
+vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die sizilischen
+Gebirge die kaum durch den schmalen "Riss" (R/e/gion) der Meerenge unterbrochene
+Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich Sizilien in aelterer
+Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der Peloponnes von Griechenland,
+der Tummelplatz derselben Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren
+Gesittung. Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemaessigte
+Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen Bergen und im ganzen auch
+in den Taelern und Ebenen. In der Kuestenentwicklung steht sie ihr nach;
+namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation
+gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn ueberlegen durch die reichen
+Flussebenen und die fruchtbaren und kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der
+Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes
+Land, das die Taetigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen
+Streben die Bahnen in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn
+daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach
+Osten gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische und
+akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die apulischen und messapischen
+Kuesten fuer Italien von untergeordneter Bedeutung; und wenn dort diejenigen
+Landschaften, auf denen die geschichtliche Entwicklung ruht, Attika und
+Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien, Latium und Kampanien nach
+Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und fast verschwisterten
+Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von
+Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich
+doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt als auf der naechsten
+ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den
+Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker vorgezeichnet: die
+beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt erwuchs,
+warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der andere nach
+Westen.
+Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht die
+Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde
+von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien, dann ueber die Welt
+gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs
+behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu
+nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten
+Stammes der Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein
+Zweig sind.
+Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die innere
+Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung des latinischen
+Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir werden also
+darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel;
+die Gefaehrdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine teilweise
+Unterjochung durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch
+Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und
+deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden italischen
+Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der Halbinsel
+und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor Christi Geburt
+oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der beiden ersten
+Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen die Punischen Kriege; er umfasst
+die reissend schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an und ueber Italiens
+natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen Kaiserzeit und das
+Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden
+Buechern erzaehlt werden.
+2. Kapitel
+Die aeltesten Einwanderungen in Italien
+Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten Einwanderung
+des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im Altertum der Glaube
+allgemein, dass dort wie ueberall die erste Bevoelkerung dem Boden selbst
+entsprossen sei. Indes die Entscheidung ueber den Ursprung der verschiedenen
+Rassen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt
+billig dem Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch
+wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines Landes
+daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist.
+Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive
+Voelkerschichtung in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der
+unvollkommenen zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder
+kulturfaehigen oder auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher stehende
+Nationen soweit moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend
+arm an Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in einem
+bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den Ergebnissen der
+deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England, Frankreich,
+Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische Staemme hier sich
+ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr
+gestreift haben, das von Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton
+oder Knochen verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des
+Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise
+ging in Indien der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige
+Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten
+Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die
+schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt
+die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie sie
+die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten der
+sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist
+bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in
+Italien die Existenz des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des
+Ackers und das Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen
+Italiens das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden
+hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede
+Spur schlechterdings ausgeloescht.
+Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die
+Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen,
+wie von den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und
+den Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich
+bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig,
+deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens
+auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet nicht
+nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her erfahren hat; diese
+sind es, deren nationale Individualitaet die Forschung zunaechst festzustellen
+hat. Waeren wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und
+der zerruetteten, angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen
+brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens
+geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte
+zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die Aufgabe als
+eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer uns eine Quelle der
+Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, aber doch authentische
+gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit
+unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst
+geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die
+nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen
+Sprachen auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen
+hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die
+Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den
+einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren.
+So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme unterscheiden,
+den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen,
+von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom
+und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten
+angehoeren.
+Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten
+Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind
+Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in ziemlicher
+Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms der Iapyger, welche
+auch die Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latinischen und
+samnitischen Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren
+fuehren dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch
+in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um
+dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um
+positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der
+Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht
+entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird. Dass
+der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen
+aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen oio
+anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten
+Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen
+iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in einer
+gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer
+vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den Hellenen findet
+weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften mehrfach hervortretenden
+griechischen Goetternamen und in der auffallenden, von der Sproedigkeit der
+uebrigen italischen Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die
+Iapyger sich hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos' Zeit (400 Roms,
+[350]) als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert
+der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland aus
+dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft geworden, und
+selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich vielfache Ansaetze zu einer
+analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen Stamm- oder Wahlverwandtschaft der
+Iapyger mit den Hellenen, die aber doch keineswegs so weit reicht, dass man die
+Iapygersprache als einen rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird
+die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes
+und besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes
+nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich uns
+dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volksstamm.
+Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere Nationalitaeten sich aufloesende
+Charakter der iapygischen Nation passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre
+geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, dass dies die aeltesten
+Einwanderer oder die historischen Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft
+sind die aeltesten Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach
+Italien gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht
+werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war.
+Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog
+aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der
+Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die am weitesten nach Sueden
+geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner Italiens sein werden; und eben an
+dessen aeusserstem suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation.
+-------------------------------------------------------
+^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras
+artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi.
+^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine
+Tatsache von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin,
+eine Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen
+albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich bestaetigen und
+sollten anderseits die Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem
+hellenischen und italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener
+hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz Griechenland und
+namentlich in den noerdlichen Landschaften hervortreten, so wuerde diese
+vorhellenische Nationalitaet damit als auch voritalisch nachgewiesen sein;
+Einwanderung der Iapyger in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus
+zunaechst noch nicht folgen.
+-----------------------------------------------------------------
+Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung
+zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen desselben
+Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit groesserer
+Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der iapygischen Nation der Fall war.
+Wir duerfen dies Volk billig das italische heissen, da auf ihm die
+geschichtliche Bedeutung der Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden
+Staemme der Latiner einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen
+Auslaeufern, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von
+den Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen
+Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied sind in
+der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in der sie eine Einheit
+bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im Lautsystem erscheint bei ihnen
+der eigentuemliche Spirant f, worin sie uebereinstimmen mit den Etruskern, aber
+sich scharf scheiden von allen hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen,
+sowie vom Sanskrit selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus
+und die haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den
+Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines ihrer
+Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h. Die
+feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit moeglich beseitigen, sind
+in den italischen Sprachen wenig beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter
+entwickelt worden. Das Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene
+Zerstoerung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen
+Staemmen und mit den Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in
+geringerem als diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im
+Umbrischen ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet,
+sondern spaetere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich
+schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den
+italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; die
+schliessenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im
+Samnitischen mit Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch
+diese fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den
+italischen Sprachen nur geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein
+eigentuemliches, durch Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt;
+ferner dass der groesste Teil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den
+Wurzeln es und fu gebildet wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die
+reichere Ablautung den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart.
+Waehrend die italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual
+verzichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging,
+durchgaengig, grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der
+Italiker scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in
+den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den Beugungen
+sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe festhielt.
+Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist die in den Gerundien
+und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo durchgefuehrte Substantivierung
+der Zeitwoerter.
+Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten
+Beispiele genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem
+anderen indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich
+sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; der
+Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und der Slave
+ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen
+Dialekte und Staemme unter sich muss frueh und klar den beiden grossen Nationen
+selbst aufgegangen sein; denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes
+Wort raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen
+bezeichnet, und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Opikos, die von
+allen, den Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und samnitischen
+Stmmen, nicht aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird.
+Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in
+einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings
+sind von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische
+Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter und
+schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die einen, wie der
+volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie
+in ihrer Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit
+Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der
+sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im
+provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst
+die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen
+Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des
+grossen italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem
+lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch wieder
+von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig
+sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach - so pis fuer quis;
+ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem
+Keltischen in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen ist.
+In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt den
+noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen
+Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der
+Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwaecht,
+was nicht geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter
+auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der
+ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, im
+Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen im
+Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern italischen
+Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im
+Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den
+Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete Futur
+nach griechischer Art (her-est wie leg-s/o/) bei den Roemern fast, vielleicht
+ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder
+durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Faelle, zum Beispiel
+in den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden fuer die
+beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge zusammenfallen. Wenn
+also die italische Sprache neben der griechischen selbstaendig steht, so
+verhaelt sich innerhalb jener die lateinische Mundart zu der umbrisch-
+samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich die
+Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten Dialekte
+etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und in Sparta.
+Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen
+Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen,
+dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein
+Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich in
+sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese
+wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in
+Umbrer und Osker auseinander gingen.
+Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht
+lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen
+ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen
+Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die
+Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig und
+vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand,
+als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge
+der Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der
+Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das treue
+Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen technischen und
+sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen
+Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus
+welchen alle unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist.
+Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen
+gleichsprachigen Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und
+einen diesem angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in
+konventionell festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der
+gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem
+Wortschatz nicht bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der
+Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den
+urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die Brust des
+Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln
+nach, sondern in einer gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut
+des indogermanischen Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus
+spaeterer Entlehnung erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die
+Entwicklung des Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich
+fixierten Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gaus ist lateinisch bos,
+griechisch bo?s; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch ois;
+sanskritisch avas, lateinisch equus, griechisch ippos; sanskritisch hansas,
+lateinisch anser, griechisch ch/e/n; sanskritisch atis, griechisch n/e/ssa,
+lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus, taurus, canis sanskritische
+Woerter. Also schon in dieser fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den
+Tagen Homers bis auf unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht,
+den niedrigsten Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche,
+ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der Wohnsitze
+gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen dafuer, dass schon
+damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache spricht eher dagegen als dafuer.
+Unter den lateinisch-griechischen Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit
+mit einziger Ausnahme von zea, das sprachlich dem sanskritischen yavas
+entspricht, uebrigens im Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt
+bezeichnet. Es muss nun freilich zugegeben werden, dass diese von der
+wesentlichen Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf
+abstechende Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche
+Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in primitiven
+Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung der Pflanzen
+schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, der Weizen- und
+Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und Haferbau der Germanen und
+Kelten koennten an sich wohl alle auf einen gemeinschaftlichen urspruenglichen
+Feldbau zurueckgehen. Aber auf der andern Seite ist die den Griechen und Indern
+gemeinschaftliche Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer,
+dass man vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden
+Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man schon
+Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung ergibt,
+so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl der wichtigsten
+hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, aber durchgaengig in
+allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei den Indern ueberhaupt Flur,
+kurnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmutige
+ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind uralt; aber
+ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide
+(granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die
+Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der
+aeltesten Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht
+wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen und zum
+Beispiel von dem sanskritischen kurnu sowohl das zum Zerreiben bestimmte Korn
+als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch girnos ihre Namen
+empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen, dass das
+indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss, dass,
+wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine durchaus
+untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon gewesen, was er spaeter
+den Griechen und Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich eingepraegt,
+als es geschehen ist.
+Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen
+sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch domos; sanskritisch veas,
+lateinisch vicus, griechisch oikos; sanskritisch dvaras, lateinisch fores,
+griechisch th?ra; ferner fuer den Bau von Ruderbooten die Namen des Nachens -
+sanskritisch naus, griechisch na?s, lateinisch navis - und des Ruders -
+sanskritisch aritram, griechisch eretmos, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer
+den Gebrauch der Wagen und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren
+sanskritisch akshas (Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch ax/o/n, am-
+axa; sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch zygon. Auch die
+Benennungen des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch
+esth/e/s - und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, lateinisch suo;
+sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch n/e/th/o/ - sind in allen
+indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren Kunst des Webens laesst
+dies dagegen nicht in gleicher Weise sich sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde
+von der Benutzung des Feuers zur Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung
+derselben uraltes Erbgut der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt
+sogar von der Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem
+Menschen verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum),
+vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese Namen
+sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die Erze zu scheiden
+und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis, lateinisch ensis auf den
+uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet.
+-----------------------------------------------
+^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen
+Gerste, Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Geographie
+botanique raisonnee. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und
+Weizen in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische
+Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.).
+^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser
+weben und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und
+Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, und kann
+diese erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten unabhaengig
+voneinander, in die des Webens uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er
+ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die
+Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des
+Leinoels. Der Hanf ist den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der
+Flachs; wenigstens sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort.
+-----------------------------------------------
+Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf
+denen die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die
+Stellung von Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum
+des Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie
+ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche
+Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die
+positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und
+Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und
+Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert ueberall
+einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft und der Religion
+zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft.
+Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch atam, ekaatam,
+lateinisch centum, griechisch e-katon, gotisch hund); der Mond heisst in allen
+Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie der Begriff der
+Gottheit selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, griechisch theos) gehoeren
+zum gemeinen Gut der Voelker auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen
+und Naturbilder. Die Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der
+Erde als der Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen
+auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die
+schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen
+wie der griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter
+vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf die Namen
+ueberein - so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der Zeus, Jovis pater,
+Diespiter der Djaus pita der Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der
+hellenischen Mythologie ist durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere
+indische Goetterlehre ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen
+geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern
+schon mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche
+Windspiel Sarama, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und
+Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden Regenwolken zum
+Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten treulich in die Welt der
+Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn der Sarama, dem Sarameyas oder
+Hermeias geworden, und die raetselhafte, ohne Zweifel auch mit der roemischen
+Cacussage zusammenhaengende hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des
+Helios erscheint nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten
+sinnvollen Naturphantasie.
+Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der
+Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten Welt
+angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu
+ermitteln, soweit es moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation
+sich befand, als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies
+keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der italischen
+Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte.
+Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich
+ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die
+Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk waren.
+Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen
+noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein
+geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der
+chinesischen, aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede
+gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen entweder
+stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch
+keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie
+heutzutage die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn
+die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten
+Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf
+Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen
+wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig.
+Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der Streitwagen, des
+Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet weit oefter einen Schluss auf
+alten Voelkerverkehr als auf urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen
+und Italiker anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten
+Beziehungen dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau,
+wie Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als
+voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten
+Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller
+aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager agros, aro aratrum aro/o/ arotron,
+ligo neben lachain/o/, hortus chortos, hordeum krith/e/, milium melin/e/, rapa
+raphanis, malva malach/e/, vinum oinos, und ebenso das Zusammentreffen des
+griechischen und italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf
+altattischen und roemischen Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der
+Wahl der aeltesten Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren
+mit der Sichel zu schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das
+Vieh austreten zu lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls
+poltos, pinso ptiss/o/, mola m?l/e/, denn das Backen ist juengeren Ursprungs,
+und wird auch deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder
+Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste griechische
+Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht die Benennung "Weinland" (Oinotria), die
+bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach
+muss der Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die
+Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben,
+nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber
+bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens
+scheinen, als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter
+sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu einem
+Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die
+wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der
+indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den
+keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen
+gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem wohlerworbenen
+Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange nicht vollstaendig
+und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und Abstufungen durchgefuehrt;
+die Durchforschung der Sprachen in dieser Beziehung hat kaum begonnen, und auch
+die Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre Darstellung der Urzeit
+vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, vielmehr dem groesstenteils
+tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es darum hier genuegen, auf
+die Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur der indogermanischen Familie in
+ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der Kultur derjenigen Epoche, wo die
+Graecoitaliker noch ungetrennt zusammenlebten; die Unterscheidung der den
+asiatischen Gliedern dieser Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen
+Kulturresultate von denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser letzteren,
+wie die griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten,
+kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst nach weiter vorgeschrittenen
+sprachlichen und sachlichen Untersuchungen gemacht werden. Sicher aber ist der
+Ackerbau fuer die graecoitalische, wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der
+Keim und der Kern des Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im
+Volksbewusstsein geblieben. Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich
+gruendet anstatt der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten,
+werden im geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta
+oder Estia, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden Nationen
+von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen Stammsagen legt dem
+Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben muessen, Vitalus oder
+Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und
+knuepft sinnig die urspruengliche italische Gesetzgebung daran; nur eine andere
+Wendung davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien
+den Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk
+bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter
+(Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen
+Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk
+auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den Italikern wie bei
+den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6.
+----------------------------------------------------------
+^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen,
+mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti,
+arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben
+hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch malunas,
+keltisch malirr.
+Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen, dass
+es eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen nur von der
+Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in
+Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht dies
+nicht darauf, dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich
+nach dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es sich
+von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung der Staemme noch
+nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet mehr oder minder,
+die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, als dies spaeter der
+Fall war.
+^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die
+aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung
+setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die
+Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach,
+Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in
+Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten
+griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber "Ernte" heisst (Anm. 8);
+ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt ihren Namen und
+ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der Stadtgruendung ist
+bekannt.
+---------------------------------------------------------
+Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und
+die Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie denn
+das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben nicht gedacht
+werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte
+entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist
+dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und
+zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach Westen,
+in deren Schneidepunkt (templum, temenos von temn/o/) er steht, alsdann in
+gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch
+eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle
+(termini, in sizilischen Inschriften termones, gewoehnlich oroi) bezeichnen.
+Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen
+Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr
+alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich
+ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern,
+sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist
+erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man selbst,
+wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess,
+sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss.
+Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten der
+aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge Verwandtschaft der
+Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische Haus, wie Homer es
+schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das in Italien bestaendig
+festgehalten ward; das wesentliche Stueck und urspruenglich der ganze innere
+Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heisst das schwarze Gemach
+mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes
+ist auch das homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster
+Decke. Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist
+altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber gehoert
+der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht allgemein
+indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und Italikern gemeinsame
+Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte italische Sitte der
+gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, deren Ursprung der Mythus an
+die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, von Aristoteles mit den kretischen
+Syssitien verglichen; und auch darin trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern
+und Lakonen zusammen, dass sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich
+ward, auf der Bank liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das
+Feuerzuenden durch Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern
+gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker zusammen in
+den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des "Reibers" (tr?panon, terebra)
+und der "Unterlage" (storeys eschara, tabula, wohl von tendere, tetamai). Ebenso
+ist die Kleidung beider Voelker wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht
+voellig dem Chiton, und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja
+selbst in dem so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern
+gemein, dass die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was
+roemischerseits in den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich
+sich ausspricht ^7 und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf
+berechneten Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern in
+Sprache und Sitte zurueck auf dieselben Elemente alles, was die materiellen
+Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die
+Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch
+eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden.
+-------------------------------------
+^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte
+aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit logch/e/
+zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen
+oder Spaniern entlehnt.
+-------------------------------------
+Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit
+sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu
+leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters
+Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die
+Charaktere der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der graecoitalischen
+Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen innerlichen
+Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen und den Italikern hat
+jene tiefe geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren Nachwirkung noch bis
+auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind
+in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so durchaus national entwickelt
+worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Voelker
+fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen ist.
+Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde die Nation,
+dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das schoene und gute
+Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang war, dessen politische Entwicklung in
+der Vertiefung des urspruenglichen Partikularismus der einzelnen Gaue und
+spaeter sogar in der innerlichen Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen
+religioese Anschauung erst die Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter
+leugnete, das die Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem
+Gedanken in aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie
+Bahn gab; und jenes roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die
+Buerger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte,
+das nichts forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger
+zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit auszufuellen, das
+die keusche Verhuellung des Koerpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem,
+wer anders sein wollte als die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem
+der Staat alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente
+hohe Gedanke - wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken
+zurueckzufuehren auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und
+beide vorbereitete und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen
+Schleier lueften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden,
+die Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine aeltere
+Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu
+leihen, aber die Richtung zu weisen.
+Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in
+Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehoert
+hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ^8,
+welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet
+und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises
+die Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt.
+Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose
+Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den Griechen
+fremd und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien
+sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde die
+vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei lag,
+von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen ihren
+Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche und
+rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe als ein
+gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward.
+-----------------------------------------------
+^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der
+Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder
+abgeschlossenen" (gamos epi paid/o/n gn/e/si/o/n arot/o/ - matrimonium liberorum
+quaerendorum causa).
+-----------------------------------------------
+Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der
+Nachkommen desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen
+wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in der
+schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der Geschlechtsverband als
+korporative Macht dem Staat gegenueber sich noch weit in die historische Zeit
+hinein behauptet hat, erscheint der italische Staat sofort insofern fertig, als
+ihm gegenueber die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die
+Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger darstellt.
+Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht gegenueber in Griechenland
+weit frueher und vollstaendiger zur innerlichen Freiheit und eigenartigen
+Entwicklung gediehen ist als in Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in
+der bei beiden Voelkern durchaus verschiedenartigen Entwicklung der
+urspruenglich doch gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt
+der Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu,
+waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre Vorfahren
+urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. Aber waehrend in
+Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh verschwindet, wird er bei
+den Italikern, und zwar nicht bloss bei den Roemern, zum Hauptnamen, so dass der
+eigentliche Individualname, das Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als
+sollte die geringe und immer mehr zusammenschwindende Zahl und die
+Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders der roemischen Individualnamen,
+verglichen mit der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im
+Bilde zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung der
+Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag.
+Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es
+fuer die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren
+italischen wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch
+die Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. Die
+"Gesetze des Koenigs Italus", die noch in Aristoteles' Zeiten angewendet wurden,
+moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen Institutionen bezeichnen.
+Frieden und Rechtsfolge innerhalb der Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach
+aussen, ein Regiment des Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der
+waffenfaehigen Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten
+gewesen sein. Gericht (crimen, krinein), Busse (poena, poin/e/),
+Wiedervergeltung (talio, tala/o/ tl/e/nai) sind graecoitalische Begriffe. Das
+strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die Rueckgabe des
+Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern und zum
+Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die Grundgedanken der
+roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur zur Bestaetigung oder
+Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an sie gebrachten Antraege befugte
+Volksversammlung - sind kaum irgendwo so scharf ausgesprochen wie in
+Aristoteles' Bericht ueber die aeltere Verfassung von Kreta. Die Keime zu
+groesseren Staatenbuenden in der staatlichen Verbruederung oder gar der
+Verschmelzung mehrerer bisher selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos)
+sind gleichfalls beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der
+Grundlagen hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als
+dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit
+erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs wie die
+der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. Wie verschieden aber
+die auf dieser gleichen Basis in Italien und in Griechenland aufgebauten
+Politien waren und wie vollstaendig der ganze Verlauf der politischen
+Entwicklung jeder der beiden Nationen als Sondergut angehoert ^9, wird die
+weitere Erzaehlung darzulegen haben.
+---------------------------------------------
+^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen
+ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass
+die roemischen Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen,
+und doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine
+Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes
+Spiel treibt, versteht sich von selbst.
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+Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas
+dem Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter
+Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der
+roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren
+Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen
+Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der
+Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes (temenos, templum), in manchen
+Opfern und Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig
+ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so
+vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur
+weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder
+missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den
+Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die
+graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte, so
+schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein
+Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken am
+Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der Goetter
+die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass es, dass
+die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer einzelne
+Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten bereiten und
+geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er den Zeus
+auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder auflaechelte,
+blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia; und so
+maechtig lebten ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald in ihnen
+nichts sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene Menschen und
+sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl anders,
+aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des italischen
+Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form ihn
+verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel aufschlaegt,
+so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet ist Anschauung und dieses
+Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und Allgemeine; jedem
+Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der Vorratskammer, ist der mit
+ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des
+Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die
+weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden
+Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in den
+Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit vergeistigt; so wird
+beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann angerufen der Geist der
+Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, Zudeckens, Eggens und so fort bis zu
+dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Oeffnens der Scheuer; und in
+aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere physische Ereignis mit
+heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise indes die Abstraktion
+beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die Ehrfurcht der Menschen; so sind
+Jupiter und Juno die Abstraktionen der Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea
+Dia oder Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei
+den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und
+koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, vollkommen
+durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der
+Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch
+zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger festhalten, weil ihm
+die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der Allegorie sich zu
+trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und allgemeinsten Mythen, zum
+Beispiel der den Indern, Griechen und selbst den Semiten gelaeufigen Erzaehlung
+von dem nach einer grossen Flut uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des
+gegenwaertigen Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt
+worden. Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die
+hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften
+nicht des Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der
+platten Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht
+maechtiger fassten als die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von
+Hellas, davon wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische,
+dem Worte wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die
+"Religio", das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und
+demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, dieses die
+Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen
+Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die Freiheit, hier
+die Notwendigkeit.
+Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in
+Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten Zeit des
+vollen und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen.
+Die einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus
+dieselben: der ehrbare Waffentanz, der "Sprung" (triumpus, thriambos, di-
+th?rambos); der Mummenschanz der "vollen Leute" (satyroi, satura), die, in
+Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest beschliessen; endlich
+das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit
+angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt so
+deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen und der
+Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden Nationen in keiner
+anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die Jugendbildung blieb in Latium
+gebannt in die engen Schranken der haeuslichen Erziehung; in Griechenland schuf
+der Drang nach mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen
+Geistes und Koerpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut
+gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der
+Duerftigkeit seiner kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der
+kulturlosen Voelker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den
+religioesen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene
+Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, derengleichen die Geschichte
+nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium gibt es im oeffentlichen wie im
+Privatleben keine anderen Maechte als Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen
+war es vorbehalten, die beseligende Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in
+sinnlich idealer Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den
+verlorenen Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden.
+So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes
+erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die Vorzuege der
+Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer Fasslichkeit und von hellerem
+Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung
+und Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen
+Goetter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich
+einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit
+wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand
+wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht bilden lernte wie
+Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben das Beste und Eigenste des
+griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich machte, von der nationalen Einheit
+zur politischen fortzuschreiten, ohne doch die Politie zugleich mit der Despotie
+zu vertauschen. Die ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und
+ersetzte ihnen selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen
+abging; wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht
+dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und
+Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, nur die
+Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. Entschlossen gab
+dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit willen und lernte dem
+Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der
+Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche Keim
+darueber verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl,
+wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter allen Kulturvoelkern
+des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale
+Einheit, die ihm endlich ueber den zersplitterten hellenischen Stamm und ueber
+den ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand legte.
+3. Kapitel
+Die Ansiedlungen der Latiner
+Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil
+Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung ueber
+Indien, teils in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz
+der Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande
+und von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem
+asiatischen und dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen
+naeher in die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der
+beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen,
+raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer die Annahme einer
+allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung
+liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine engere Lokalisierung ist
+ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die einzelnen Staemme auf ihren
+weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europaeische mag noch nach dem
+Ausscheiden der Inder laengere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben; denn
+allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt
+und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom
+Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und
+andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist
+es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten,
+Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen also wohl
+vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres
+erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette gelangt
+sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt
+haben moegen, laesst sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem
+Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland
+gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in ihre
+Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten. Der Zug
+des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergruecken Italiens in der
+Richtung von Norden nach Sueden laesst sich noch deutlich verfolgen; ja die
+letzten Phasen desselben gehoeren der vollkommen historischen Zeit an. Weniger
+kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog
+sie in aehnlicher Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die
+ersten sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen erst,
+wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die latinischen
+Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, dass die Sabeller
+sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst von diesen aus, wo es anging,
+sich zwischen die latinischen Voelker draengten.
+Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer
+Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten
+Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden,
+verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften
+zeigen, von einem den Sabellern naeher als den Latinern verwandten Stamm
+besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen
+Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola
+(Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci
+(Arbeiter) sind nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen,
+dass, als Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und
+wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausoner, Kampanien innehatten. Auch die
+Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften,
+die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten
+Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt;
+es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch
+vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung
+dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die
+Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den
+gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in Beziehung
+zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber Antiochos von
+Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der Brettischen Halbinsel) ein
+Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei; und es scheinen
+diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen
+Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides' Zeit in Italien gab,
+und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des
+sizilischen Griechisch mit dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus
+der alten Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den
+alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; nach allen
+Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern wahrscheinlich auch die
+kampanische und lucanische Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den
+Buchten von Tarent und Laos und die oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter
+Zeit von verschiedenen Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen.
+Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien,
+Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in
+Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten
+nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich in
+Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der sabinischen
+Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer
+und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen, eine taetige Rolle in der
+Geschichte der Halbinsel zu spielen.
+Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden
+sind und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner
+wie gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die
+Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen
+bestimmt war.
+Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der
+grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des
+Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber Schicht schoben
+desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die
+Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner
+und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe
+ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin durch
+das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss des
+Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem Vorgebirg
+von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem Gestade nur
+wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite etruskische Huegelland
+sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem
+Tiberis, dem "Bergstrom", der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den
+sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Flaeche auf teils die
+steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im
+Suedwesten, sowie die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom;
+teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum
+Teil es noch sind: die bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das
+nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der
+Ebene emporragt.
+Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen
+der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den ausserhalb dieses
+Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt werden, der "alten Latiner"
+(prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die Landschaft Latium,
+ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des
+Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen
+Bewohnern ein ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die
+Waffenruhe stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die
+Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die bessere
+Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese folgenreiche
+Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen Strecken suedlich
+vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt, in den Haenden
+umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae
+sind nicht mehr urspruenglich latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes
+Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und
+dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig groesser als der
+jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die "Ebene" ^1, wie sie von
+den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die Landschaft ist eben, aber
+nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten
+Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche unterbrochen durch maessig hohe, oft
+ziemlich steile Tuffhuegel und tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden
+Steigungen und Senkungen des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen,
+deren Verdunsten in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden
+organischen Substanzen, die boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in
+alter wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum,
+dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden seien, wie
+ihn das Missregiment des letzten Jahrhunderts der Republik und das der Paepste
+herbeigefuehrt haben; ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des
+Wassers und wirkt noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis
+auf einen gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet
+der Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum
+Teil aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das
+Austrocknen der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung
+einer dichten ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden
+Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht
+verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont
+sind, eine fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf
+einer niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer
+das, was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote,
+vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger
+anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen
+der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden,
+allein der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung,
+Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva
+nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus
+sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere Wollstoffe
+gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht erloeschen liess. Im uebrigen
+musste die Landschaft einem einwandernden ackerbauenden Volke einladend
+erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne
+Duengung ertragsfaehig, ohne nach italienischem Massstab auffallend ergiebig zu
+sein; der Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser
+ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung jede
+frische Quelle.
+----------------------------------------------------------
+^1 Wie latus (Seite) und plat?s (platt); es ist also das Plattland im
+Gegensatz zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die "Ebene" den
+Gegensatz bildet zu Samnium. Latus, ehemals stlatus gehoert nicht hierher.
+^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique
+des Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die Limagne
+in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene,
+mit einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten
+ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die
+Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden
+vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von
+Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt
+dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten
+spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann
+dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal
+im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer
+einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt
+dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden
+Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens durch
+kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne Zweifel die
+Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma.
+------------------------------------------------------
+Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in
+der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind
+darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges indes laesst sich
+dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten.
+Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl
+Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die aeltesten
+"Landquartiere" (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen Quartier ist es
+ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung der Claudischen Geschlechtsgenossen am
+Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der
+aeltesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der
+spaeter hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne
+Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, die den
+Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben, soweit sie nicht
+gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, Lemonii, Pollii, Pupinii,
+Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen Patrizierfamilien, die Aemilii,
+Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii, Romilii, Sergii, Voturii.
+Bemerkenswert ist es, dass unter all diesen Geschlechtern kein einziges
+erscheint, das nachweislich erst spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich
+wie der roemische, wird jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische
+Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter
+Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das "Haus"
+(oikia) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr haeufig die
+Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen
+"Haus" (vicus) oder "Bezirk" (pagus von pangere) deuten gleichfalls das
+Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch
+begreiflicherweise ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein
+Acker, so gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die
+aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete Zeit
+noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der Feldgemeinschaft
+bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium selbst sich zu
+Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon als
+Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage, auf die
+wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermoegen, in welcher
+Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung gefordert wird,
+sich in Latium gestaltet hat ^3, in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung
+noch auf aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen
+mit beruhen mag.
+-----------------------------------------------
+^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen
+Tag festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert
+Koepfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit
+gewaehlten Hausvaters (Goszpodar) in demselben Hause beisammen. Das Vermoegen
+des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der
+Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie
+und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z.
+B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics,
+Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen
+Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen
+moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde.
+-------------------------------------------------
+Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als
+selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen
+Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu gegenseitiger
+Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff
+verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher
+Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau
+so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-,
+das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt
+des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine
+gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die gemeinen
+Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag
+des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich zusammenfanden und wo sie im
+Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in
+den Weilern, die aber uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war.
+Ganz aehnliche alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande
+der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heisst in
+Italien "Hoehe" (capitolium, wie akra, das Berghaupt) oder "Wehr" (arx von
+arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage einer kuenftigen, indem die
+Haeuser an die Burg sich anschliessen und spaeterhin sich umgeben mit dem
+"Ringe" (urbs mit urvus, curvus, vielleicht auch mit orbis verwandt). Den
+aeusserlichen Unterschied zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore,
+deren die Burg moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel
+nur ein einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die
+vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen
+Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst spaet und zum Teil noch
+bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig gelangt sind, wie im Marserland und
+in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen sich erkennen laesst. Die
+Landschaft der Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern
+in unzaehligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher
+Mauerringe, die als "veroedete Staedte" mit einzelnen Tempeln das Staunen der
+roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre
+"Urbewohner" (aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu koennen
+meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Staedte
+erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, wie sie in aelterer Zeit
+ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger kunstvoller Weise angelegt,
+bestanden. Dass in derselben Epoche, wo die zu staedtischen Ansiedlungen
+uebergegangenen Staemme ihren Staedten steinerne Ringmauern gaben, auch
+diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die
+Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist
+natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher
+Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten verlassen und bald
+den spaeteren Generationen ein Raetsel.
+Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse
+Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die
+urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen
+Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue
+sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem
+historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die
+gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage
+darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen
+zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb
+Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen
+Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des
+latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen
+Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften
+Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten
+Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und
+gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der
+Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der
+Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen
+Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden
+her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden
+Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor allem
+der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand mannshoch
+gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges
+entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau auf
+dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist.
+Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten
+Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter die ansehnlichen
+Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der
+Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber,
+Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte Mittelpunkte
+latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder namhaften und zum
+Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren in aeltester Zeit
+politisch souveraen und wurden ein jeder von seinem Fuersten unter Mitwirkung
+des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch
+ging nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen
+ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen
+religioesen und staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der saemtlichen
+latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand urspruenglich nach allgemeinem
+italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die
+Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie gesagt;
+als der aelteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward. Der
+berechtigten Gemeinden waren anfaenglich dreissig, wie denn diese Zahl als Summe
+der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in Italien ungemein haeufig
+begegnet. Welche Ortschaften zu den dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie
+sie in Beziehung auf die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den
+dreissig albanischen Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht
+ueberliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen
+Eidgenossenschaften zum Beispiel der Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und
+Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das "latinische Fest" (feriae
+Latinae), an welchem auf dem "Berg von Alba" (mons Albanus, Monte Cavo) an einem
+alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem "latinischen Gott"
+(Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu
+dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses
+an Vieh, Milch und Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck
+zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und sind
+wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser Verbindung
+dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen. Seit aeltester Zeit
+schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg von Alba auch Versammlungen
+der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der benachbarten latinischen
+Dingstaette am Quell der Ferentina (bei Marino); und ueberhaupt kann eine solche
+Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des
+Bundes und eine fuer die ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde
+wegen Verletzung des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem
+Fall selbst auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und glaublich.
+Auch die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen
+Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des aeltesten Bundesrechts
+gedacht werden, so dass also der Latiner mit der Latinerin rechte Kinder
+erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben und Handel und Wandel treiben
+konnte. Der Bund mag ferner fuer die Streitigkeiten der Gaue untereinander ein
+Schieds- und Bundesgericht angeordnet haben; dagegen laesst sich eine
+eigentliche Beschraenkung des souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und
+Frieden durch den Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass
+mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg
+abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei denn ein Bundesfeldherr, ein
+Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber wir haben keinen Grund anzunehmen,
+dass in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu
+leisten, oder dass es ihr umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg
+selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass
+waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen
+Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich in
+dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit zugestanden.
+Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des fuehrenden Gaues zu
+bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine Ursache vorhanden ist, in
+der albanischen Vorstandschaft eine wahre politische Hegemonie ueber Latium zu
+erkennen und dass moeglicher-, ja wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in
+Latium zu bedeuten hatte als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5.
+Ueberhaupt war der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes
+vermutlich lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges
+Aggregat verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der
+rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der latinische
+Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfasst haben mag, so hat
+er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt -
+sein Gegenbild in Griechenland ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern
+die boeotische oder aetolische Eidgenossenschaft.
+-----------------------------------------------
+^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand" (indutiae Macr. Sat.
+1, 16; ekecheriai Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt, waehrend
+desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.).
+^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba
+einstmals in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei
+genauerer Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte
+geht nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und
+es ist sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach manchem
+durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher
+einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom
+niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen
+Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt
+hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die
+hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen
+Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede sein; und
+am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, 10
+aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln.
+-----------------------------------------------
+Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien
+schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel,
+wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und
+geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, und es
+muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, dass sie in einem
+gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber
+doch das Gefuehl der nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und
+damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem
+jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit
+der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte.
+4. Kapitel
+Die Anfaenge Roms
+Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses stromaufwaerts
+erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel, hoehere auf dem rechten,
+niedrigere auf dem linken; an den letzteren haftet seit mindestens
+dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht
+angeben, wie und wann er aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten
+uns bekannten Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner;
+und diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in
+frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis
+fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst sich
+nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind.
+-----------------------------------------------
+^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen
+saemtlich aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum,
+Fabii Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus.
+-----------------------------------------------
+Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der
+Gliederung der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten,
+dass dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich
+ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem
+einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, woraus
+in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der Gemeinde ist ^3,
+zeigt wohl am deutlichsten, dass die Roemer namentlich in staatsrechtlicher
+Beziehung fuer "teilen" und "Teil" regelmaessig sagen "dritteln" (tribuere) und
+"Drittel" (tribus) und dieser Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die
+urspruengliche Zahlbedeutung einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede
+dieser drei ehemaligen Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der
+gemeinschaftlichen Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten
+gleichmaessig vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare
+Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, der
+Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer, wahrscheinlich auf
+diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die
+aelteste roemische Buergerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die
+unverstaendige Meinung, dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft
+hier an und bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen
+italischen Rassen als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und
+das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion
+rein und volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und
+sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu verwandeln.
+Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst
+sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der
+komponierenden Elemente des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden
+kann. Dass die Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden,
+da sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die
+Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber
+die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege
+steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die
+zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies kann
+wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft bewahrte
+Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in
+die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden
+waere. Es mag also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der
+sabellische Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf
+gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine sabellische
+Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da
+die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den
+Platz vor den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier den
+aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener
+Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie
+viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter
+erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius Claudius und
+seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese Aufnahme der Claudier
+unter die Roemer berechtigt die aeltere der Titier unter die Ramner, die
+Gemeinde darum den Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht
+einzelner, im Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch
+sabellische Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die
+latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen Anhalt ^4. Es
+waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung einer einzelnen
+Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten Stamm die latinische
+Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt haette; wobei vor allem
+nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern
+sich ansaessig machten, die latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht
+auf Rom. Das neue dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger
+urspruenglich sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner
+gewesen war, ein Teil der latinischen Nation.
+----------------------------------------------------------------------
+^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht notwendig
+verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, aber fuer alle
+gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, 15; Hdt. 1, 170).
+^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische tritt?s, die umbrische
+trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der Gemeinde eine
+graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die Dreiteilung der roemischen
+Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen
+Staemme zurueckgefuehrt werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung
+sich also auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im
+graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein
+scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer
+koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen
+Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit Sicherheit
+nachzuweisen.
+^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine Mischsprache
+aus griechischen und nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von
+allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A.
+Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch
+in dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte
+finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen
+Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied zwischen
+zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass dies ebenso wohl und
+haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher Mischung.
+---------------------------------------------------
+Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene
+Ramner, Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen
+Huegeln ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker
+bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag das
+"Wolfsfest" sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen Huegel
+beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die schlichten Spaesse
+patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig genug noch im christlichen Rom
+sich unter allen heidnischen Festen am laengsten behauptet hat.
+Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer
+eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich in keinem
+Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Wohl aber
+verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer
+hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann,
+waehrend man nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte.
+Die Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die
+der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen in
+Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen Quellen- denn
+weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem Capenischen Tor noch der
+spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu
+kommt das haeufige Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in
+der Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere
+zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler und
+Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die Oertlichkeit
+nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es ausgesprochen worden,
+dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten
+Landstrichs sich nicht die erste naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden
+Bauern gelenkt haben koenne, sondern dass die Not oder vielmehr irgendein
+besonderer Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die
+Legende hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage Roms
+durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen Fuerstensoehne
+Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch der aeltesten Quasihistorie,
+die seltsame Entstehung des Orts an so unguenstiger Staette zu erklaeren und
+zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von
+solchen Maerchen, die Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade
+geistreiche Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu
+machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch einen Schritt
+weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen Lokalverhaeltnisse nicht ueber
+die Entstehung des Ortes, aber ueber die Veranlassung seines raschen und
+auffallenden Gedeihens und seiner Sonderstellung in Latium eine positive
+Vermutung aufzustellen.
+Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes.
+Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in naechster
+Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen Mauerring entfernt,
+und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren gewesen sein. Gegen Sueden trifft
+man in einem Abstand von drei deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden
+Tusculum und Alba und es scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter
+gereicht zu haben als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom.
+Ebenso war in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium
+bereits am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau
+ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, erstreckt er
+sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden Ufern des Tiber gegen das
+Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der Kueste irgendeine als alter
+Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, irgendeine Spur alter Gaugrenze
+begegnete. Die Sage, die fuer alles einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu
+berichten, dass die roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die "sieben
+Weiler" (septem pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig
+Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am rechten
+Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am linken den
+roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der "Muendung" (Ostia) angelegt habe.
+Aber dafuer, dass die Besitzungen am etruskischen Ufer vielmehr schon zu der
+aeltesten roemischen Mark gehoert haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der
+eben hier, am vierten Milienstein der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der
+schaffenden Goettin (dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes
+und der Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit das
+Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen roemischen, eben
+hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie,
+das heisst Vorstadt gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist
+Latiums natuerliche Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande der
+notwendige Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die
+Grenzwehr des latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepot
+fuer den latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums
+eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und
+der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide Ufer des
+Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den Anio herabkommenden
+Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der damaligen maessigen Groesse
+der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz
+gewaehrte als die unmittelbar an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht
+seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen
+Verhaeltnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die
+von ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. Daher
+ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war, was fuer Latium
+Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und Handelsfreund wurde; daher die
+ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und des Brueckenbaues ueberhaupt in dem
+roemischen Gemeinwesen; daher die Galeere als staedtisches Wappen. Daher der
+uralte roemische Hafenzoll, dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten
+(promercale), nicht was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen
+von Ostia einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel
+war. Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des
+gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in Rom. In
+diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine
+geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die juengste
+als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft schon einigermassen
+bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche andere Hoehe der Campagna mit
+Burgen besetzt, als das latinische Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein
+Beschluss der latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines
+verschollenen Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der
+Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist uns
+nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an diese
+Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere Beobachtung an. Wo
+uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem latinischen Gemeindebund
+als einheitlich geschlossene Stadt gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen
+Doerfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und
+Versammlungen oder im Notfall zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im
+roemischen Gau weit frueher beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium.
+Nicht als ob der Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein
+rechtes Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der
+Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den
+luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben dem Bauer
+muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden und
+Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die dichte
+Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5 Quadratmeilen zum
+Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der
+aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte,
+also mindestens 10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art
+einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der
+weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf
+ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz gegen
+die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der Gegensatz ist des
+Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder
+Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom
+zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was
+Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings
+zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten
+Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften
+war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen
+Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch entwickelte und
+damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser
+merkantilen und strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger
+und ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig
+verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene staedtische
+Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen
+ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren
+Anlage mit der Entwicklung des roemischen Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung
+notwendig Hand in Hand gegangen sein muss.
+Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der
+Jahrhunderte Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den
+Palatin, in spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von
+der regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern
+dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei
+von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am
+Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den palatinischen
+Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung wenigstens an den dem
+Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin,
+dass hier der Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf
+dem Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte
+"Einrichtung" (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen das Haus
+bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde eine Scholle getan
+hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die saemtlichen Kurien jede an
+ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen Zwecken sich versammelten
+(curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der "Springer" (curia saliorum),
+zugleich der Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der
+"Woelfe" (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und an diesem
+Huegel ward die Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde
+das strohgedeckte Haus des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters
+Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen
+angetrieben war, der aus dem Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom
+Aventin her ueber das Tal des Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte,
+aufgeschossene Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den
+Glaeubigen gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher
+hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. Die
+Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt und deshalb verschollen;
+nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz um den Mundus, spaeter der Platz
+des Apollo genannt, die aelteste Versammlungsstaette der Buergerschaft und des
+Senats, die ueber dem Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der
+roemischen Gemeinde gewesen sein moegen.
+Dagegen hat sich in dem "Fest der sieben Berge" (septimontium) das Andenken
+bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um den Palatin sich
+gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern erwachsen, eine jede durch
+besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den
+urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich die
+Aussendeiche, angelehnt. Die "sieben Ringe" sind der Palatin selbst; der
+Cermalus, der Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach
+dem Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den Palatin
+mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen Bauten fast ganz
+verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der Cispius, die drei
+Hoehen des Esquilin; endlich die Sucusa oder Subura, eine ausserhalb des
+Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte, unterhalb S. Pietro in
+Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin und dem Quirinal angelegte
+Festung. In diesen offenbar allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die aelteste
+Geschichte des palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal
+wenn man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete
+Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt.
+Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und
+urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie
+ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten
+Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der Servianischen
+Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, liegen im Kreise um den
+Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse,
+worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der
+palatinischen Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und
+die Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt
+mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile
+des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche vermutlich
+nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; die auf den
+Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen den Palatin aus laeuft,
+endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von welcher das ganze Quartier den
+Namen empfing. Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche Stadt, und der
+suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des
+Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter liegende Tal hin
+sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter gewesen zu sein
+als die in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten
+Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht. Eine
+merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile hat einer der
+aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt, das auf dem Anger des
+Mars jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde bei
+diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten zwischen den Maennern der Subura und
+denen von der Heiligen Strasse und je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe
+entweder an den mamilischen Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem
+Koenigshaus unter dem Palatin angenagelt. Es waren die beiden Haelften der
+Altstadt, die hier in gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals
+waren also die Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen
+ausschliesst - in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie
+inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der spaeteren
+Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets neben dem
+suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich gegolten. Auch noch
+andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und Aventin, moegen von der Gemeinde
+der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor allem die "Pfahlbruecke" (pons
+sublicius) ueber den natuerlichen Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das
+Pontifikalkollegium allein buergt dafuer hinreichend - schon damals bestanden
+und man auch den Brueckenkopf am etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum
+nicht ausser acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs
+in ihren Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die
+spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen lediglich
+aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen praktischen Zweck
+offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende sein sollte und jederzeit
+leicht musste abgebrochen oder abgebrannt werden koennen: man erkennt daraus,
+wie lange Zeit hindurch die roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher
+und unterbrochen beherrscht hat.
+Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen Ansiedlungen zu
+den drei Gemeinden, in die die roemische staatsrechtlich seit unvordenklich
+frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer
+urspruenglich selbstaendige Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie
+freilich auch urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben
+Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen gewohnt und
+was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, wird der verstaendige
+Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen von der Tarpeia und die
+Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr werden schon die beiden
+Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und Palatin und ebenso das vorstaedtische
+jedes in die drei Teile der Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es
+zusammenhaengen kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und
+palatinischen wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare
+Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische Siebenhuegelstadt
+vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung von derselben geblieben
+als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den
+neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen,
+also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die
+Staette bereitet.
+Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem
+spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor alters
+bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft gegenueber eine
+zweite auf dem Quirinal. Die "alte Burg" (Capitolium vetus) mit einem Heiligtum
+des Jupiter, der Juno und der Minerva und einem Tempel der Goettin des
+Treuworts, in welchem Staatsvertraege oeffentlich aufgestellt wurden, ist das
+deutliche Gegenbild des spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und
+Minervatempel und mit dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv
+bestimmten Tempel der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass
+auch der Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens
+gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem Palatin
+und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und der aelteste
+Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt weiter zusammen, dass
+dessen Dienerschaft, die beiden uralten Genossenschaften der Springer (salii)
+und der Woelfe (luperci), in dem spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind
+und neben der palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat,
+neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, die ihr
+Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat ^5. Alle diese
+Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen um so hoehere Bedeutung,
+wenn man sich erinnert, dass der genau bekannte Umkreis der palatinischen
+Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss und dass spaeterhin in dem
+Servianischen Rom, waehrend die drei ersten Bezirke der ehemaligen palatinischen
+Stadt entsprechen, aus dem Quirinal nebst dem benachbarten Viminal das vierte
+Quartier gebildet wurde. So erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der
+Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und
+Quirinal angelegt ward - hier beruehrten sich ja die beiderseitigen Marken und
+musste von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen hatten,
+zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgefuehrt werden.
+------------------------------------------------
+^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht
+daraus hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die
+Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die Fabier
+zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer auf dem Quirinal
+(Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien zusammenhaengen oder nicht.
+-----------------------------------------------
+Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli
+2253) Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem
+Luperkalkult zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd.
+1, S. 17) findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; die
+bei den Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist
+also entstellt und das Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen
+Quinctiliern, sondern den weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die
+Quinctier (Liv. 1, 30) oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen
+Geschlechtern genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen
+und das Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein.
+Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom
+Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische
+Stadt sich die "der sieben Berge", ihre Buerger "die von den Bergen" montani)
+sich nennen, die Bezeichnung "Berg" wie an den uebrigen ihr angehoerigen Hoehen,
+so vor allem an dem Palatin haftet, so heisst die quirinalische Spitze, obwohl
+nicht niedriger, im Gegenteil etwas hoeher als jene, und ebenso die dazu
+gehoerige viminalische im genauen Sprachgebrauch nie anders als "Huegel"
+(collis); ja in den sakralen Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der
+"Huegel" ohne weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe
+ausfuehrende Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst
+ansaessige Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der
+vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte
+Servianische das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der
+Gegend haftenden Namen der "Roemer" moegen dabei die Huegelmaenner ebenso wie
+die von den Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini) sich
+genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich eine
+Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an Beweisen, welche
+ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer stammfremd
+zu erklaeren, fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus ^7.
+------------------------------------------
+^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten,
+der Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch
+keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem
+Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie gezeigt ist,
+alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; andrerseits ist es
+unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher
+lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und
+collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung
+des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars quirinus, der
+speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt
+wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel
+gefundenen Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der
+Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der
+Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl
+collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet als
+der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer.
+^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd.
+1, S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von den
+Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene etymologisch-historische
+Hypothese, dass das lateinische quiris quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen
+Cures verwandt und demnach des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden
+sei. Auch wenn die sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende,
+duerfte daraus der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die
+alten Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen "latiarischen
+Huegel" gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, aber nicht erwiesen. Mars
+quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus fidius sind wohl sabinische,
+aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar in der Epoche, wo Latiner und
+Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. Wenn an den heiligen Staetten des
+spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie der des Semo Sancus
+vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta sanqualis), der uebrigens
+auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder unbefangene Forscher darin nur
+einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht fuer ihre Entlehnung aus
+dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, dass alte Stammgegensaetze dennoch
+hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet werden; aber wenn dies der Fall war,
+so sind sie fuer uns verschollen und die unseren Zeitgenossen gelaeufigen
+Betrachtungen ueber das sabinische Element im Roemerrum nur geeignet, vor
+dergleichen aus dem Leeren in das Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen.
+--------------------------------------------------------
+So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch
+die Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei gesonderte
+und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen einander gegenueber,
+einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani und die Trasteverini. Dass die
+Gemeinde der sieben Berge schon frueh die quirinalische bei weitem ueberwog, ist
+mit Sicherheit zu schliessen sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und
+Vorstaedte als auch aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in
+der spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen lassen.
+Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer rechten
+und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile der Ansiedlung
+gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander jaehrlich um das Pferdehaupt
+stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch die einzelnen Berge, ja die
+einzelnen Kurien - es gab noch keinen gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die
+verschiedenen Kurienherde standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch
+nebeneinander - moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das
+ganze Rom eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche
+Stadt gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten und
+maechtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der Verteidigung
+faehig, also auch wohl beduerftig. Erst der grossartige Wallbau, der dem Koenig
+Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom
+Palatin und Quirinal, sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen
+Anhoehen des Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring
+umzogen und somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe
+dieses gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden
+Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der
+Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den andern
+latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen Zeiten leerstehenden
+Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen Anfang festerer Ansiedlung
+darboten, der aeltesten handel- und tatenlosen Epoche des latinischen Stammes
+entspricht, wie dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in
+den "sieben Ringen" zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen durch
+die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem
+und freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl auch
+zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in der
+Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer einheitlichen Grossstadt, der
+Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in der die Stadt Rom um die
+Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft zu ringen und endlich sie zu
+erringen vermochte.
+5. Kapitel
+Die urspruengliche Verfassung Roms
+Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und Geraet
+- das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die
+Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber
+gehen die Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen
+Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefasst
+und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an schlichter,
+aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst vorgezeichneten
+Rechtsverhaeltnisse.
+Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt
+gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des
+Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio)
+angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren rechten
+Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem,
+einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die
+Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich sind,
+der Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar
+keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem roemischen
+Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Uebel, denn er
+ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein
+Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in fruehester Zeit dem
+Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme fremder Kinder anstatt
+eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein trug die roemische
+Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in der sittlich geordneten
+Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann nur der Mann sein;
+die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter dem Manne
+zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder,
+die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig gehoert
+die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig
+hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die vaterlose
+unverheiratete Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese sind es und
+nicht der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird.
+Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin. Befreit
+von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden Arbeiten des
+Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische Hausmutter sich wesentlich
+nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der Spindel, die fuer die Frau
+ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde die sittliche Verpflichtung
+der Eltern gegen die Kinder von der roemischen Nation voll und tief empfunden,
+und es galt als arger Frevel, wenn der Vater das Kind vernachlaessigte oder
+verdarb oder auch nur zum Nachteil desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber
+rechtlich wird die Familie unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen
+allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber ist alles
+rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, der Stier und der Sklave, aber nicht
+minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die freie Wahl des Mannes zu seiner
+Ehefrau wird, so steht auch das Kind, das sie ihm geboren, aufzuziehen oder
+nicht, in seinem freien Willen. Es ist nicht Gleichgueltigkeit gegen die
+Familie, welche diese Satzung eingegeben hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung,
+dass Hausbegruendung und Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und
+Buergerpflicht sei, tief und ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes.
+Vielleicht das einzige Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten
+Unterstuetzung ist die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren
+werden, eine Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung
+dachte, zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit Ausnahme
+der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie gemeinschaedlich
+auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung derselben verwandelte
+sich bald aus der rechtlichen Ahndung in religioese Verwuenschung; denn vor
+allen Dingen war der Vater in seinem Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der
+Hausvater haelt die Seinigen nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat
+auch das Recht und die Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und
+sie nach Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen
+gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken, sein
+"eigenes Vieh" (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber rechtlich bleibt
+aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit oder durch fremde Gabe, im
+vaeterlichen oder im eigenen Haushalte gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und
+es kann, so lange der Vater lebt, die untertaenige Person niemals eigenes
+Vermoegen haben, daher auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern
+und nie vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher
+Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch nicht
+selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls befugt war zu
+veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch den Sohn einem Dritten
+zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein Fremder, so wird der Sohn sein
+Knecht; ist er ein Roemer, so wird der Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines
+Roemers werden kann, seinem Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die
+vaeterliche und eheherrliche Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung
+ausser der schon erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten
+Missbraeuche mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt
+wurden; so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn
+verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der
+Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der Ehemann
+den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne vorher die naechsten
+Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der Frau, zugezogen zu haben. Aber
+eine rechtliche Minderung der Gewalt lag in der letzteren Einrichtung nicht;
+denn die bei dem Hausgericht zugezogenen Blutsverwandten hatten nicht zu
+richten, sondern nur den richtenden Hausvater zu beraten. Es ist die
+hausherrliche Macht aber nicht bloss wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der
+Erde verantwortlich, sondern auch, so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich
+und unzerstoerlich. Nach den griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der
+erwachsene, tatsaechlich selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei;
+die Macht des roemischen Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das Alter,
+nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille
+aufzuheben, nur dass die Person des Gewalthabers wechseln kann: denn allerdings
+kann das Kind im Wege der Adoption in eines andern Vaters Gewalt kommen, die
+Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des Vaters uebergehen in die Hand des
+Mannes und, aus ihrem Geschlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den
+Gottesschutz des Mannes eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es
+ihrem Vater war. Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich
+von dem Herrn, als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des
+ersteren ward frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung des
+letzteren wurde erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich gemacht. Ja,
+wenn der Herr den Knecht und der Vater den Sohn verkauft und der Kaeufer beide
+freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der Sohn aber faellt durch die
+Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere vaeterliche Gewalt. So ward durch
+die unerbittliche Konsequenz, mit der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt
+von den Roemern aufgefasst wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt.
+Indes, bei aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an
+die Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der
+Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch rechtlich
+aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch abgesehen davon, dass
+sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt, ist voruebergehender und
+gewissermassen stellvertretender Art. Weib und Kind sind nicht bloss um des
+Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur fuer den Eigentuemer, wie in dem
+absoluten Staat die Untertanen nur fuer den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl
+auch Gegenstand des Rechts, aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht Sachen,
+sondern Personen. Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die Einheit des
+Hauses im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert; wenn aber der
+Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren ein und erlangen
+nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen die bisher vom
+Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod des Herrn die rechtliche
+Stellung des Knechtes in nichts sich aendert.
+---------------------------------------------------
+^1 Es gilt dies nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium
+confarreatione), sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar nicht
+an sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die
+Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung (usus)
+ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der Weg geoeffnet,
+Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er sie gewann, also namentlich
+in der bis zur Vollendung der Verjaehrung verfliessenden Zeit, war das Weib,
+ganz wie bei der spaeteren Ehe mit causae probatio bis zu dieser, nicht uxor,
+sondern pro uxore; bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt
+sich dieser Satz, dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht
+Ehefrau sei, sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3,
+14).
+^2 Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig,
+ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht.
+Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt' an und lies ihn durch.
+Es deckt der schlechte Grabstein eine schoene Frau.
+Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie;
+Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann;
+Zwei Soehne gebar sie; einen liess auf Erden sie
+Zurueck, den andern barg sie in der Erde Schoss.
+Sie war von artiger Rede und von edlem Gang,
+Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh.
+Vielleicht noch bezeichnender ist die Auffuehrung des Wollspinnens unter
+lauter sittlichen Eigenschaften, die in roemischen Grabschriften nicht ganz
+selten ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta
+domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo
+diligentia fide par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der
+Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis,
+lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus non
+conspiciendi, cultus modici.
+------------------------------------
+Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod des
+Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben selbstaendig
+gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher Hinsicht sich noch als
+eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in vielen anderen Beziehungen Gebrauch
+gemacht wird, vor allen Dingen aber, um die Stellung der Witwe und der
+unverheirateten Toechter zu ordnen. Da nach aelterer roemischer Ansicht das Weib
+nicht faehig ist, weder ueber andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so
+bleibt die Gewalt ueber sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut
+(tutela), bei dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen
+Hausherrn jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen
+Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne, ueber die
+Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die einmal gegruendete
+Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres Urhebers ausstarb; nur
+musste freilich von Generation zu Generation faktisch das Band sich lockern und
+zuletzt selbst die Moeglichkeit des Nachweises der urspruenglichen Einheit
+verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie
+und des Geschlechts, oder, nach roemischem Ausdruck, der Agnaten und der
+Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfasst nur
+diejenigen Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad
+ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen, das
+Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die Abstammung selbst von einem
+gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr vollstaendig die Zwischenglieder,
+also nicht den Grad, nachzuweisen vermoegen. Sehr klar spricht sich das in den
+roemischen Namen aus, wenn es heisst: "Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des
+Quintus und so weiter, der Quintier", so reicht die Familie so weit, als die
+Aszendenten individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt
+ergaenzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn,
+der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat.
+Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn
+vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen Familien-
+und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar nicht die Gaeste, das
+sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, welche voruebergehend in einem
+fremden Hause verweilen, und ebensowenig die Sklaven, welche rechtlich nur als
+Habe, nicht als Glieder des Hauses angesehen werden, aber wohl die Hoerigen
+(clientes, von cluere), das heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie
+Buerger irgendeines Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande
+geschuetzter Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen
+Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils
+diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner
+Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit geschenkt
+hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit nicht ein streng
+rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein unfreier Mann, fuer den
+Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. Darum bilden die "Hoerigen"
+(clientes) des Hauses in Verbindung mit den eigentlichen Knechten die von dem
+Willen des "Buergers" (patronus, wie patricius) abhaengige "Knechtschaft"
+(familia); darum ist nach urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das
+Vermoegen des Klienten teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn
+vorkommenden Falls in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu
+strafen; und es sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn gegen den
+Klienten nicht so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schaerfe
+dieses hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite
+die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu sorgen und
+sie zu vertreten, bei dem tatsaechlich freier gestellten Klienten groessere
+Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders musste die faktische
+Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich naehern, wo das Verhaeltnis durch
+mehrere Generationen hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der
+Freigelassene selber gestorben waren, konnte das Herrenrecht ueber die
+Nachkommen des Freigelassenen von den Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht
+ohne schreiende Impietaet in Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem
+Hause selbst sich ein Kreis abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich
+ebenso unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen.
+Auf diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen
+als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten
+Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier,
+Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus den vereinigten Marken dieser
+Geschlechter; roemischer Buerger war, wer einem jener Geschlechter angehoerte.
+Jede innerhalb des Kreises in den ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als
+echte roemische und begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in
+unrechter oder ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband
+ausgeschlossen. Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die "Vaterkinder"
+(patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die Geschlechter
+wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien dem Staat, wie sie
+bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und Geschlechterkreise blieben innerhalb
+des Staates bestehen; allein dem Staate gegenueber galt die Stellung in
+denselben nicht, so dass der Haussohn im Hause unter, aber in politischen
+Pflichten und Rechten neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen
+aenderte sich natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines
+jeden Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar
+blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, der sie
+angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass von dem Gottesdienst und
+den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht
+gaenzlich ausgeschlossen werden konnten, wenn auch die eigentlichen
+buergerlichen Rechte wie die eigentlichen buergerlichen Lasten
+selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so mehr galt dies von den
+Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand der Staat wie das Haus aus den
+eigenen und den zugewandten Leuten, den Buergern und den Insassen.
+Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter
+sind, so ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der
+Familie nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem
+dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich
+bestehen soll, findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen
+nicht, die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes
+Gnaden sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter
+(rex) und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in spaeterer Zeit
+in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die wohlversperrte
+Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und die roemischen Penaten zu
+finden sind - sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend,
+das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt beginnt, wenn das Amt erledigt und der
+Nachfolger bezeichnet ist, sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist
+die Gemeinde dem Koenig erst schuldig, wenn er die Versammlung der
+waffenfaehigen Freien zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat.
+Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater
+zukommt, und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern
+der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt alle
+Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im Namen der
+Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze Volk, obwohl sonst kein
+Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft
+gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmaechtig im Frieden wie im Kriege,
+weshalb die Boten (lictores, von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall
+voranschreiten, wo er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht,
+oeffentlich zu den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem
+Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht und die
+Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich Stockschlaege wegen
+Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in allen privaten und kriminellen
+Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt ueber Leben und Tod wie ueber die
+Freiheit, so dass er dem Buerger den Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen
+oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland
+anordnen kann; der Berufung an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem
+Bluturteil stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet
+das Volk zum Kriege auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muss er bei
+Feuerlaerm persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause
+nicht der Maechtigste ist, sondern der allein Maechtige, so ist auch der Koenig
+nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er mag aus den der
+heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen Maennern
+Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er mag, um sich die
+Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse andern uebertragen, die
+Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der
+minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung der Verbrechen; er mag namentlich,
+wenn er den Stadtbezirk zu verlassen genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus
+urbi) mit der vollen Gewalt eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber
+jede Amtsgewalt neben der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder
+Beamte nur durch den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der
+aeltesten Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer
+(tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei (celeres),
+sind nichts als Beauftragte des Koenigs und keineswegs Magistrate im spaeteren
+Sinn. Eine aeussere rechtliche Schranke hat die Koenigsgewalt nicht und kann sie
+nicht haben; fuer den Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter
+innerhalb der Gemeinde wie fuer den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod
+beendigt seine Macht. Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten,
+auf den im Fall der Vakanz das "Zwischenkoenigtum" (interregnum) uebergeht. Eine
+formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst nach der
+Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden Kollegium der
+Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger der Gewalt den neuen
+Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird "der hohe Goettersegen, unter dem die
+beruehmte Roma gegruendet ist", von dem ersten koeniglichen Empfaenger in
+stetiger Folge auf die Nachfolger uebertragen und die Einheit des Staats trotz
+des Personenwechsels der Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese Einheit des
+roemischen Volkes, die im religioesen Gebiet der roemische Diovis darstellt,
+repraesentiert rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht die des
+hoechsten Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss
+geht, der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene
+Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in gleicher
+Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen Verfassung eine
+Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott und Koenig in
+aegyptischer und orientalischer Weise ineinander verschwommen. Nicht der Gott
+des Volkes ist der Koenig, sondern viel eher der Eigentuemer des Staats. Darum
+weiss man auch nichts von besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts
+oder von irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff
+waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit frueheren
+Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr kann rechtlich
+jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib gesunde roemische Mann
+zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also eben nur ein gewoehnlicher
+Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem aber die Notwendigkeit, dass einer
+Herr sein muesse in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen,
+den Bauer ueber Bauern, den Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater
+unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so
+unterwirft sich der Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen Besseren
+zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Koenigsgewalt.
+Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel
+Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute schmaelern,
+er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig
+eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber wenn er es tat, so vergass er,
+dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von
+dem Volke, das er vertrat, und wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides
+vergass, den es ihm geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber der
+Koenigsgewalt lag darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu aendern
+befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der
+Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein musste oder ein
+nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So
+ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im tiefsten Grunde
+verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im modernen Leben so
+wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen Staat ein entsprechendes Abbild
+vorhanden.
+-----------------------------------------------
+^3 Dass Lahmheit vom hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das
+roemische Buergertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war,
+versteht sich so sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien
+ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen.
+-----------------------------------------------
+Die Einteilung der Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl
+mit curare = coerare, koiranos verwandt); zehn Pflegschaften bilden die
+Gemeinde; jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie
+equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei kombinierten
+Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als Teil (tribus) der ganzen
+Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit
+der Zahl der Teile. Diese Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den
+Personalbestand der Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die
+Feldmark, soweit diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-,
+sondern auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter
+den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend
+gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum Beispiel
+Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser aeltesten Zeit der
+Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, von denen schon die Rede
+war.
+In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet diese Verfassung in dem Schema der
+spaeterhin unter roemischem Einfluss entstandenen latinischen oder
+Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten dieselben hundert Ratmaenner
+(centumviri). Aber auch in der aeltesten Tradition ueber das dreiteilige Rom,
+welche demselben dreissig Kurien, dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren;
+dreitausend Fusssoldaten beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen
+hervor.
+------------------------------------------
+^4 Selbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh
+verschwunden ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, und
+merkwuerdig genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben,
+unter allen deren unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten
+zuhalten, bei der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn
+Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in der
+Dreissigkurienverfassung sind.
+-------------------------------------------
+Nichts ist gewisser, als dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in
+Rom entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist,
+vielleicht sogar ueber die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen
+Dingen sehr glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen
+Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die
+Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im vollsten
+Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom, sondern tritt in dem
+neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als
+wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts ueberhaupt.
+Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die "Teile"
+koennen schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen sein, weil ihr Vorkommen
+ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufaellig ist; wo es deren gab, kam ihnen
+sicher keine andere Bedeutung zu, als dass das Andenken an eine Epoche, wo diese
+Teile selber Ganze gewesen waren, sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends
+ueberliefert, dass der einzelne Teil einen Sondervorstand und
+Sonderzusammenkuenfte gehabt habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht
+dafuer, dass im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es
+zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden sind.
+Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare, als es Teile
+gab; aber es befehligte nicht jedes dieser Kriegstribunenpaare das Kontingent
+einer Tribus, sondern sowohl jeder einzelne Kriegstribun wie alle zusammen
+geboten ueber das gesamte Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen
+Kurien verteilt, die Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur
+gegeben. Darauf, dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise
+eingegriffen hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes
+gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in der roemischen
+Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall ist dies nur in so
+beschraenkter Weise geschehen, dass der verwandtschaftliche Grundcharakter des
+Geschlechtes dadurch nicht veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl
+der Geschlechter, noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als
+rechtlich fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu
+stellen hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem
+Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger genommen hat. Das
+einzig funktionierende Glied in dem aeltesten Verfassungsorganismus ist die
+Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab.
+Eine solche Pflegschaft war eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder
+wenigstens zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem
+besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen curialis)
+hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und geschaetzt, und im
+Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und stimmte nach Kurien ab.
+Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der Abstimmung wegen eingefuehrt sein,
+da man sonst sicherlich die Zahl der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde.
+-------------------------------------------------------
+^5 Es liegt dies schon im Namen. Der "Teil" ist, wie der Jurist weiss,
+nichts als ein ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der Gegenwart
+ohne alle Realitaet.
+-------------------------------------------------------
+So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen war
+innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es kein Volk,
+das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des andern Satzes es
+den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des Gegensatzes zwischen
+Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern tritt vielleicht nirgends mit solcher
+Deutlichkeit hervor wie in der Behandlung der uralten Institution des
+Ehrenbuergerrechts, welches urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu
+vermitteln. Wenn ein Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger
+hineingenommen ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo
+er dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem ihm
+neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in Hellas immer
+geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in mehreren Gemeinden
+gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger entwickelte Gemeindegefuehl
+Latiums duldete es nicht, dass man zweien Gemeinden zugleich als Buerger
+angehoeren koenne, und liess fuer den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht
+die Absicht hatte, sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen
+Ehrenbuergerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und
+Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher vorgekommen
+war.
+Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen aussen ging Hand in
+Hand, dass aus dem Kreise der roemischen Buergergemeinde jede
+Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Dass die
+innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt
+werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde
+bereits erwaehnt; derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war,
+konnte also als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten.
+Standesvorzuege aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den
+Lucerern in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen
+Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der
+Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine Eliten- oder
+Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die wohlhabendste,
+bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich schloss, war natuerlich
+angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch dieser Gegensatz war rein
+tatsaechlicher Art und der Eintritt in die Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier
+gestattet. Es war einzig und allein die verfassungsmaessige Gliederung der
+Buergerschaft, welche rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die
+rechtliche Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen
+Erscheinung durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde
+vor den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem noch
+nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber durfte der Reiche und Vornehme
+wie der Arme und Niedriggeborene oeffentlich nur erscheinen in dem gleichen
+einfachen Umwurf (toga) von weissem Wollenstoff. Diese vollkommene
+Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel urspruenglich begruendet in der
+indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser Schaerfe der Auffassung und
+Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten und der folgenreichsten
+Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und wohl mag man dabei sich
+erinnern, dass in Italien keine den latinischen Einwanderern botmaessig
+gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und geringerer Kulturfaehigkeit begegnet und
+damit die hauptsaechliche Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen,
+der spartanische und thessalische und wohl ueberhaupt der hellenische Adel und
+vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft hat.
+Dass der Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von
+selbst. Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die
+Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die Buerger
+sind zugleich die "Kriegerschaft" (populus, verwandt mit populari verheeren); in
+den alten Litaneien ist es die "speerbewehrte Kriegsmannschaft" (pilumnus
+poplus), auf die der Segen des Mars herabgefleht wird und selbst die Benennung,
+mit welcher der Koenig sie anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des
+Wehrmanns gefasst. In welcher Art das Angriffsheer, die "Lese" (legio) gebildet
+ward, ist schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand
+sie aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen oder
+flexuntes, die Schwenker) unter den drei Abteilungsfuehrern der Reiter (tribuni
+celerum) ^7 und drei Tausendschaften der Fussgaenger (milites) unter den drei
+Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni militum); letzteres war vermutlich von
+Haus aus der Kern des Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl
+ausser Reihe und Glied fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen
+gekommen sein ^8. Der Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser dem
+Kriegsdienst konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger treffen, wie
+die Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im Kriege wie im Frieden
+(I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker oder zur Anlage oeffentlicher
+Bauten; wie schwer namentlich der Bau der Stadtmauer auf der Gemeinde lastete,
+zeigt, dass der Name der "Fronden" (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine
+regelmaessige direkte Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte
+regelmaessige Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es
+derselben nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt oeffentliche
+Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine solche ueberhaupt
+vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet ward, den zunaechst
+die Auflage traf, oder auch von dem, der selber nicht dienen konnte oder wollte.
+Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst noetigen Opfertiere wurden durch eine
+Prozesssteuer beschafft, indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag, eine nach
+dem Werte des Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den
+Staat erlegte. Von stehenden Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird
+nichts berichtet. Dagegen flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, 62), sowie
+die Einnahme von den Domaenen, namentlich der Weidezins (scriptura) von dem auf
+die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die die
+Nutzniesser der Staatsaecker an Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der
+Ertrag der Viehbussen und Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen
+endlich wurde eine Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene
+Anleihe betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe
+die Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht
+entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig leitete
+die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, das, nach den Angaben
+ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten roemischen Koenigsgeschlechts der
+Tarquinier zu schliessen, regelmaessig bedeutend gewesen sein muss, fiel das
+Staatsvermoegen nicht zusammen und namentlich der durch die Waffen gewonnene
+Acker scheint stets als Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der
+Koenig in der Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen
+beschraenkt war, ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere Entwicklung,
+dass die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann, wogegen es Sitte
+sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des im Kriege
+gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten.
+----------------------------------------
+^6 Quiris quiritis oder quirinus wird von den Alten gedeutet als der
+Lanzentraeger, von quiris oder curis = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern
+zusammen mit samnis, samnitis und sabinus, das auch bei den Alten von sa?nion,
+Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an arquites,
+milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die im Tausend, die zu
+Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen Oberwurf gehen, auch unrichtig
+sein, sie ist mit der roemischen Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen.
+Ebenso werden die Juno quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als
+speerschwingende Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist quiris der
+Wehrmann, das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der Sprachgebrauch ueberein. Wo
+die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, wird nie von Quiriten gesprochen,
+sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma, populus, civis, ager Romanus),
+weil die Benennung quiris so wenig eine lokale Bedeutung hat wie civis oder
+miles. Eben darum koennen auch diese Bezeichnungen nicht miteinander verbunden
+werden: man sagt nicht civis quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen
+Standpunkten aus, denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet die
+feierliche Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass "dieser Wehrmann mit Tode
+abgegangen" (ollus quiris leto datus), und ebenso redet der Koenig die
+versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und spricht, wenn er zu Gericht sitzt,
+nach dem Rechte der wehrhaften Freien (ex iure quiritium, ganz gleich dem
+juengeren ex iure civili). Populus Romanus, quirites ( populus Romanus quiritium
+ist nicht genuegend beglaubigt) heisst also "die Gemeinde und die einzelnen
+Buerger" und werden darum in einer alten Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus
+die prisci Latini, den quirites die homines prisci Latini entgegengesetzt
+(Becker, Handbuch, Bd. 2, S. 20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur
+sprachliche und sachliche Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe
+der roemischen Gemeinde einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden
+und nach deren Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den der
+aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. Vgl. 1, 68
+A.
+^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt Dionysios (2, 64)
+nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Fuehrer der Reiter (oi
+/e/gemones t/o/n Keleri/o/n). Nach dem praenestinischen Kalender wird am 19.
+Maerz ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus pon]tificibus et
+trib(unis) celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der
+aeltesten roemischen Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen
+in der Schrift 'De viris illustribus' 1 Celer selbst centurio genannt wird.
+Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen sein
+(Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die Verbannung der
+Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15;
+19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm schoepfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den
+tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem magister equitum des
+republikanischen Diktators, dem Praefectus Praetorio der Kaiserzeit.
+Von diesen Angaben, den einzigen, die ueber die tribuni celerum vorhanden
+sind, ruehrt die letzte nicht bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen
+Gewaehrsmaennern her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens,
+welcher nur "Teilfuehrer der Reiter" heissen kann; vor allen Dingen aber kann
+der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte
+Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen sein mit
+der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also stehenden Magistratur.
+Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der Nachricht des Pomponius, die
+offenbar lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit
+historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum
+den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die
+Abteilungsfuehrer der Reiter gewesen sind, also voellig verschieden von dem
+Reiterfeldherrn.
+^8 Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und arquites
+und die spaetere Organisation der Legion.
+------------------------------------------
+Indes nicht bloss leistend und dienend erscheint die roemische
+Buergerschaft, sondern auch beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten
+hierzu die Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht
+waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die "Lanzenmaenner"
+(quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief, um ihnen
+eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie foermlich auf die
+dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten hiess (comitia), um sie nach
+Kurien zu befragen. Ordnungsmaessig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24.
+Maerz und zum 24. Mai, dergleichen foermliche Gemeindeversammlungen an und
+ausserdem, so oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger
+nicht zum Reden, sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten.
+Niemand spricht in der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu
+gestatten fuer gut findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache Antwort auf
+die Frage des Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung, ohne Bedingung, ohne
+Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die roemische Buergergemeinde eben wie die
+deutsche und vermutlich die aelteste indogermanische ueberhaupt die eigentliche
+und letzte Traegerin der Idee des souveraenen Staats; allein diese
+Souveraenitaet ruht im ordentlichen Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier
+nur darin, dass die Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher
+freiwillig verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt
+angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und
+botmaessig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise
+anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden
+durfte, als die ihr ganz aehnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert
+werden darf. Es war durchaus folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der
+Souveraen, ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich
+nicht beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die
+Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich
+souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der
+Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden Rechtsordnung
+oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem einzelnen Fall notwendig
+wird; und hier tritt denn auch in der roemischen Verfassung ohne Ausnahme die
+Buergerschaft handelnd auf, so dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt
+vollzogen wird durch das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder
+Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und Regierten selbst
+durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig sanktioniert wird, so wird
+auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande gebracht durch eine
+Anfrage (rogatio), welche der Koenig an die Buerger gerichtet und welcher die
+Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel
+auch verweigert werden durfte. Darum ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst,
+wie wir es fassen, der von dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder
+gerichtete Befehl, sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des
+Staates durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen
+Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Faellen, die der ordentlichen
+Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann jeder
+unbeschraenkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass
+er dasselbe sofort aufgibt; dass das Eigentum vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe
+und bei seinem Tode auf einen andern uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es
+sei denn, dass ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloss die auf
+dem Markt versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft
+bewilligen konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen
+Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit nicht
+verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan ist, sich
+nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn, dass ihm die
+Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im gewoehnlichen Rechtslauf
+kann das Buergerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren
+werden - es sei denn, dass die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen
+Aufgeben gestatte, was beides unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss
+nicht in gueltiger Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft
+den todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter nach
+Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, da der Koenig
+nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass der zum Tode verurteilte
+Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der Richter ihm die Betretung des
+Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang der Provokation, die darum auch
+vorzugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen
+ist, sondern dem gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im
+gewoehnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige
+Vertrag nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill die
+Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie notwendig
+befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem
+Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim
+Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an
+die gewoehnliche Versammlung der Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich
+ueberhaupt, wenn der Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des
+bestehenden gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und
+insofern ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des
+Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen und in allen
+aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der Gemeinde nicht mit
+rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein zum Patrizier erklaerte Mann
+blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es konnte der nichtige Akt nur etwa
+faktische Folgen erzeugen. Insofern war also die Gemeindeversammlung, wie
+beschraenkt und gebunden sie auch auftrat, doch von alters her ein konstitutives
+Element des roemischen Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als
+neben dem Koenig.
+--------------------------------------------------------
+^9 Lex, die Bindung (verwandt mit legare, zu etwas verbinden) bezeichnet
+bekanntlich ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines
+Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach
+annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der Fall zu
+sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent der Koenig, der
+Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung des letzteren ist also auch
+sprachlich praegnant bezeichnet.
+--------------------------------------------------------
+Aber neben dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der
+aeltesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln
+bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben beide und
+innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies ist der Rat der Alten
+oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe hervorgegangen aus der
+Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, dass in dem urspruenglichen Rom
+die saemtlichen Hausvaeter den Senat gebildet haetten, ist staatsrechtlich
+insofern richtig, als jedes der nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter
+des spaeteren Rom seinen Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der
+aeltesten Stadt als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies
+wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat,
+wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst
+jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, sei es
+durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es durch Erbfolge
+bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat nichts
+gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom
+Koenig wie von der Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der
+letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten
+gewissermassen eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings
+ist jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem
+latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der erste und
+vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu
+entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, moeglicherweise in Latium
+lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie wir das roemische Geschlecht
+kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt und zur Vertretung des
+gemeinsamen Patriarchen, von dem alle Geschlechtsmaenner abstammen oder
+abzustammen behaupten, von den lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner
+vorzugsweise berufen, so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem
+Geschlecht ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht
+werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates der
+Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige Rechtsfolgen
+uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung des Senats, wonach
+er etwas anderes und mehr ist als ein blosser Staatsrat, als die Versammlung
+einer Anzahl vertrauter Maenner, deren Ratschlaege der Koenig einzuholen
+zweckmaessig findet, beruht lediglich darauf, dass er einst eine Versammlung
+gewesen war gleich jener, die Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum
+zu Rate sitzenden Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die
+Gesamtheit der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder
+eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war; aber
+in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die Zahl der
+Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht auf die Zahl
+der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert festgestellt worden, sodass
+von der Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der Senatssitze auf
+die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die staatsrechtlich
+notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten
+berufen worden; und wenn in spaeterer Zeit dies lebenslaengliche Verbleiben mehr
+tatsaechlich als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit
+stattfindenden Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den
+unwuerdigen oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese
+Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die Wahl der
+Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht mehr gab, bei dem
+Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in aelterer Zeit, solange noch
+die Individualitaet der Geschlechter im Volke lebendig war, als Regel, wenn ein
+Senator starb, der Koenig einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben
+Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich ist erst mit
+der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der Volksgemeinde hiervon
+abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren ganz in das freie Ermessen des
+Koenigs uebergegangen, so dass nur das noch als Missbrauch erschien, wenn er
+erledigte Stellen unbesetzt liess.
+Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass die
+Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von Rechts wegen
+den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn sie auch, nach der schon in
+dem Hause so scharf sich auspraegenden monarchischen Grundanschauung der Roemer,
+zur Zeit immer nur von einem dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt
+werden kann. Ein jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der
+Ausuebung, aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch
+seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben gleichartig
+sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur dass der des Koenigs
+hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. Hierauf beruht es ferner,
+dass, wie bereits erwaehnt ward, die koenigliche Gewalt in der roemischen
+Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt werden kann. Stirbt der Koenig, so treten
+ohne weiteres die Aeltesten an seine Stelle und ueben die Befugnisse der
+koeniglichen Gewalt. Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur
+Zeit Herr sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es
+unterscheidet sich ein solcher "Zwischenkoenig" (interrex) von dem auf
+Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der Gewalt. Die
+Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber festgesetzt auf
+hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren in der Art
+um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt ist, der zeitige
+Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los festgesetzten
+Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage uebergibt. Ein Treuwort
+wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von der Gemeinde nicht geleistet. Im
+uebrigen aber ist der Zwischenkoenig berechtigt und verpflichtet, nicht bloss
+alle dem Koenig sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst
+einen Koenig auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von ihnen fehlt
+ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird als
+mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger ernannt ist. Also ist
+diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin der Herrschermacht
+(imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des roemischen Gemeinwesens und in
+ihr die Buergschaft gegeben fuer die ununterbrochene Dauer desselben und seiner
+monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat
+spaeter den Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein duenkte, so ist das
+nur in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat eine solche gewesen.
+Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser
+Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches Glied der
+roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten sich nicht in die
+Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine Stellvertreter freilich hat
+dieser, falls er nicht imstande war, selbst das Heer zu fuehren oder den
+Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von jeher aus dem Senat genommen - weshalb
+auch spaeter noch die hoechsten Befehlshaberstellen regelmaessig nur an
+Senatoren vergeben und ebenso als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet
+werden. Aber weder bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat
+in seiner Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom
+nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats gegeben
+hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer der bestehenden
+Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der Buergerschaft. Es lag deshalb
+ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von dieser gefassten Beschluss zu pruefen
+und, wenn derselbe die bestehenden Rechte zu verletzen schien, demselben die
+Bestaetigung zu versagen; oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo
+verfassungsmaessig ein Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei jeder
+Verfassungsaenderung, bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der Erklaerung eines
+Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf man dies
+wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der Buergerschaft und dem Rat
+gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den beiden Haeusern in dem heutigen
+konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl Gesetzgeber als
+Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur dann kassieren, wenn die Gemeinde
+ihre Befugnisse ueberschritten, also bestehende Verpflichtungen gegen die
+Goetter oder gegen auswaertige Staaten oder auch organische Einrichtungen der
+Gemeinde durch ihren Beschluss verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es
+vom groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die
+Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss erhoben
+hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu erlegen verpflichtet
+schien, von derselben umsonst gefordert worden war, der roemische Sendbote die
+Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit den Worten schloss: "darueber aber
+wollen wir Alten Rat pflegen daheim, wie wir zu unsrem Rechte kommen"; erst wenn
+der Rat der Alten sich einverstanden erklaert hatte, war der nun von der
+Buergerschaft beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert.
+Gewiss war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges
+Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen und
+durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt zu
+entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des hoechsten Amtes der Senat die Dauer
+der Gemeindeverfassung verbuergte, finden wir auch hier ihn als den Hort der
+gesetzlichen Ordnung gegenueber selbst der hoechsten Gewalt, der Gemeinde.
+Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch die allem Anschein nach uralte
+Uebung an, dass der Koenig die an die Volksgemeinde zu bringenden Antraege
+vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen saemtliche Mitglieder eines nach
+dem anderen darueber ihr Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht
+zustand, den gefassten Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich
+vorher die Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu
+befuerchten sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich
+brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Maenner
+Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung nach
+dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur Seite zu stehen.
+Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der bisher bezeichneten Kompetenz,
+die spaetere Machtfuelle des Senats hervorgegangen; die Anfaenge indes sind
+unscheinbar und gehen eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu
+antworten, wenn sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei
+Angelegenheiten von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche
+waren, also zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu
+bringender Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der
+Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das eroberte
+Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, rechtlich notwendig
+war eine solche vorherige Befragung nicht. Der Koenig beruft den Rat, wenn es
+ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; ungefragt darf kein Ratsherr seine
+Meinung sagen, noch weniger der Rat sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem
+einen Fall, wo er in der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der
+Zwischenkoenige festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den
+Senatoren und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens zu
+berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der Ratschlag sodann
+ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu folgen, ohne dass dem
+Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht praktische Geltung zu
+schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs allgemein anwendbare
+Kassationsrecht. "Ich habe euch gewaehlt, nicht dass ihr mich leitet, sondern um
+euch zu gebieten": diese Worte, die ein spaeterer Schriftsteller dem Koenig
+Romulus in den Mund legt, bezeichnen nach dieser Seite hin die Stellung des
+Senats gewiss im wesentlichen richtig.
+Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische Buergergemeinde,
+an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber allein zu handeln war
+sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von der bestehenden Ordnung
+abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die Versammlung der lebenslaenglich
+bestellten Gemeindeaeltesten, gleichsam ein Beamtenkollegium mit koeniglicher
+Gewalt, berufen im Fall der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur
+definitiven Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den
+rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche Gewalt selber
+war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch die Gesetze gebunden
+(imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des Koenigs Gebot, gerecht oder
+nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden musste, gebunden, insofern ein dem
+Herkommen zuwiderlaufendes und nicht von dem wahren Souveraen, dem Volke,
+gutgeheissenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war
+die aelteste roemische Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle
+Monarchie. Wie in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des
+Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen,
+den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten die
+Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische Volksgemeinde ungefaehr, was in
+England der Koenig ist und das Begnadigungsrecht, wie in England ein
+Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der Volksgemeinde, waehrend
+alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde stand.
+Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu dessen
+einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich weit entfernt von
+der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der modernen Idee einer
+unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte wohl ueber die Person des
+Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten und Bestrafung der Vergehen und
+Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das einen einzelnen Mann wegen nicht
+allgemein verpoenter Handlungen mit Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst
+wenn in den Formen nicht gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und
+Unrecht erschienen. Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich
+der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der
+Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen Polizeistaat, das
+Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen Kosten gross gemacht. Es
+ist einer der unleugbarsten wie einer der merkwuerdigsten Saetze der aeltesten
+roemischen Verfassung, dass der Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten,
+aber nicht ihm seinen Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit
+bleibender Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst
+die Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke
+bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre praktische
+Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der gewiss befugt und
+verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht zuwiderlaufenden
+Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so
+wie die roemische allmaechtig; aber in keiner Gemeinde auch lebte der
+unstraeflich sich fuehrende Buerger in gleich unbedingter Rechtssicherheit
+gegenueber seinen Mitbuergern wie gegenueber dem Staat selbst.
+So regierte sich die roemische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen
+verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in
+unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Auspraegung
+der eigenen Nationalitaet, waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt
+werden - dem Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore
+weit aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern
+erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht sich, dass sie auf der
+aelteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen Verfassung beruht;
+aber es liegt doch eine unuebersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen
+zwischen den Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus' Bericht
+ueber Deutschland sie schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen
+Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des deutschen
+Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt der Gemeinde;
+aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz und der geregelten
+Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag ferner sein, dass, wie das
+roemische Koenigtum den Purpurmantel und den Elfenbeinstab sicher den Griechen -
+nicht den Etruskern - entlehnt hat, so auch die zwoelf Liktoren und andere
+Aeusserlichkeiten mehr vom Ausland heruebergenommen worden sind. Aber wie
+entschieden die Entwicklung des roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach
+Latium gehoert, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist,
+beweist die durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern
+latinischer Praegung.
+Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des roemischen Staats fuer
+alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn trotz der wandelnden Formen
+steht es fest, solange es eine roemische Gemeinde gibt, dass der Beamte
+unbedingt befiehlt, dass der Rat der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist
+und dass jede Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das
+heisst der Volksgemeinde.
+6. Kapitel
+Die Nichtbuerger und die reformierte Verfassung
+Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein
+grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir Kunde haben, ist ein
+dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung des Roemerrums endigen die
+aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem aeltesten Verschmelzungsprozess
+der Ramner, Titier und Lucerer, von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt
+ist, ist der frueheste derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die
+Huegelbuergerschaft aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden
+Gemeinden wird, als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig
+und die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht werden
+duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der Doppelinstitution
+oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der uebrigbleibenden auf die
+ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der Heiligtuemer und Priesterschaften
+hielt man im ganzen den ersten Weg ein. Die roemische Gemeinde besass fortan
+zwei Springer- und zwei Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen
+zwiefachen Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester
+des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es ist glaublich,
+wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten altlatinischen
+Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen, Fetialen in
+gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien der beiden Gemeinden
+vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind. Ferner trat in der oertlichen
+Einteilung zu den drei Quartieren der palatinischen Stadt, Subura, Palatin und
+Vorstadt, die Huegelstadt auf dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei
+dem urspruenglichen Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der
+Vereinigung wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit
+gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in Beziehung auf
+die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren Annexionsprozesse
+wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel die roemische Gemeinde in
+die bisherigen drei Teile zu je zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen
+sie nun ihrerseits mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die
+bestehenden Teile und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist
+dies in der Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der
+Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit den
+Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan jene Teile
+doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die Ramner und die
+Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, posteriores). Eben damit
+haengt wahrscheinlich die in den organischen Institutionen der Gemeinde ueberall
+hervortretende paarweise Anordnung zusammen. So werden die drei Paare der
+heiligen Jungfrauen ausdruecklich als die Vertreterinnen der drei Teile erster
+und zweiter Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist
+vermutlich aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im
+Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde
+hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische Buergerreiterei auf sechs
+Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer wahrscheinlich auch von drei auf
+sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des Fussvolks ist nichts
+ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen Gebrauch, dass die Legionen
+regelmaessig je zwei und zwei einberufen wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen,
+und wahrscheinlich ruehrt von dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her,
+dass nicht, wie wohl urspruenglich, drei, sondern sechs Abteilungsfuehrer die
+Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat
+entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert
+Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale geblieben;
+womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der angesehensten Maenner der
+neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der palatinischen Stadt aufgenommen
+sein mag. Ebenso verfuhr man mit den Magistraturen: auch der vereinigten
+Gemeinde stand nur ein Koenig vor, und von seinen hauptsaechlichsten
+Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, dass
+die sakralen Institutionen der Huegelstadt fortbestanden und in militaerischer
+Hinsicht man nicht unterliess, der verdoppelten Buergerschaft die doppelte
+Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber die Einordnung der quirinalischen Stadt
+in die palatinische eine wahre Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir
+mit Recht angenommen haben, dass der Gegensatz zwischen den palatinischen Alt-
+und den quirinalischen Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und
+zweiten Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der
+Quirinalstadt die "zweiten" oder die "minderen" gewesen. Indes war der
+Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den
+Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen Ratsherren
+vor denen der "minderen" gefragt. In gleicher Weise steht das collinische
+Quartier im Range zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen der palatinischen
+Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem des palatinischen, die
+quirinalischen Springer und Woelfe hinter denen vom Palatin. Sonach bezeichnet
+der Synoekismus, durch den die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich
+aufnahm, eine Mittelstufe zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner
+und Lucerer miteinander verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen Teil zwar
+durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber
+noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen liess
+man nicht bloss bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme
+von Alba, geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde,
+was spaeterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam.
+Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen war
+mehr eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung der
+bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozess, der weit
+allmaehlicher durchgefuehrt ward und weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die
+ersten Anfaenge gleichfalls bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die
+Verschmelzung der Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der
+roemischen Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die "Hoerigen"
+(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen
+Buergerhaeuser, oder die "Menge" (plebes, von pleo, plenus), wie sie negativ
+hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. Die Elemente zu
+dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt ward, bereits
+in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde musste diese Klasse aus
+einem zwiefachen Grunde tatsaechlich und rechtlich zu groesserer Bedeutung
+erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie
+Hoerige besitzen; besonders mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung
+ihres Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen, die
+Masse der Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen
+den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, so dass sie gleichsam als
+Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in
+Klientelverhaeltnis traten. Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht
+ueber die einzelnen Buerger die Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen
+missbraeuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu
+schuetzen. Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische Landrecht
+der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte Rechtsstellung der
+Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn der Herr bei Gelegenheit
+eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament, Prozess, Schatzung - sein
+Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend aufgegeben habe, weder er selbst
+noch seine Rechtsnachfolger diesen Verzicht gegen die Person des Freigelassenen
+selbst oder gar seiner Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich
+rueckgaengig machen koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar
+weder Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung
+von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes in einer
+mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was ihnen zuteil ward,
+war ein gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder
+Unfreiheit; und darum scheinen laengere Zeit hindurch ihre vermoegensrechtlichen
+Beziehungen gleich denen der Sklaven als Rechtsverhaeltnisse des Patrons
+gegolten und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn
+auch zusammenhaengen wird, dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen
+einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber
+allmaehlich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in
+eigenem Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung
+ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen und zu
+erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Buergern zwar
+weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehoerigen,
+eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl gewehrt
+werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden
+Rechtsverhaeltnisse der eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und
+des Geschlechts, der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der
+buergerrechtlichen zu gestalten.
+----------------------------------------------------
+^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2).
+----------------------------------------------------
+Teilweise zu aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts,
+insofern auf Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen
+und dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit
+uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben. Das roemische
+Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet noch von Geschlossenheit der
+Liegenschaften und gestattet einesteils jedem dispositionsfaehigen Mann bei
+seinen Lebzeiten vollkommen unbeschraenkte Verfuegung ueber sein Vermoegen,
+anderseits, soviel wir wissen, jedem, der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen
+Buergern befugt war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte
+Recht bewegliches und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen
+konnten, in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist
+eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang ihrer Bedeutung dem
+internationalen Verkehr verdankte, so auch das Niederlassungsrecht mit
+grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde ungleicher Ehe, jedem freigelassenen
+Knecht, jedem nach Rom unter Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden
+Fremden gewaehrt hat.
+Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die
+Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die Ansiedlung
+freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in Rom bald schwer und
+wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis mit dem faktischen Zustand
+in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen des Verkehrs, die durch das latinische
+Buendnis allen Latinern gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung
+mit Einschluss selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand
+steigende Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der
+Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil der
+Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten
+Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in seiner
+alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel wohl sein eigenes
+Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht vertauschte. Dazu lastete der Krieg
+ausschliesslich auf den Altbuergern und lichtete bestaendig die Reihen der
+patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die Insassen an dem Erfolg der Siege
+Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute dafuer zu bezahlen.
+Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, dass das roemische
+Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat der Fall
+war. Dass er noch laengere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der
+Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an
+einzelne ansehnliche auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer
+Heimat oder nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht
+empfingen - denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und
+immer seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise
+stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der Zivilehe,
+wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne Konfarreation
+zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht erwarb, so gut wie das
+in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die schon
+vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiss nicht urspruengliche
+Zivilehe eben eingefuehrt ward, um das Zusammenschwinden des Patriziats zu
+hemmen ^2. Auch die Massregeln, durch welche bereits in aeltester Zeit auf die
+Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern
+hingewirkt ward, gehoeren in diesen Zusammenhang.
+-------------------------------------------------------
+^2 Die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass
+dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das hohe Alter der
+Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die religioese Ehe die
+eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von der religioesen Ehe
+hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, dass die religioese Ehe
+selbst als eigentuemliche und rechtlich notwendige Erwerbsform der Frau galt,
+wogegen zu der Zivilehe eine der anderweitigen allgemeinen Formen des
+Eigentumserwerbs, Uebergabe von seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung,
+hinzutreten musste, um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden.
+------------------------------------------------------
+Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in
+bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, waehrend die
+der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte; und infolgedessen
+erhielten die Insassen unmerklich eine andere und freiere Stellung. Die
+Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene Knechte und schutzbeduerftige
+Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen Buergerschaften der im Krieg
+unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen
+Ansiedler, die nicht durch Gunst des Koenigs oder eines anderen Buergers,
+sondern nach Bundesrecht in Rom lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt
+gewannen sie Geld und Gut in der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger
+ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den
+einzelnen Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht,
+der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies schon nicht
+mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und die Beziehungen zu dem
+Patron traten damit von selbst immer mehr zurueck. War in aelterer Zeit der
+Klient ausschliesslich fuer den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des
+Patrons, so musste, je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die
+Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne
+Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge und
+Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der Nichtbuerger,
+namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen Gemeinden, standen
+ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich von Haus aus nicht in der
+Klientel der koeniglichen und der sonstigen grossen Geschlechter und gehorchten
+dem Koenig ungefaehr in gleicher Art wie die Buerger. Dem Koenig, dessen
+Herrschaft ueber die Buerger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der
+Gehorchenden, musste es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm
+abhaengigen Schutzleuten sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu
+bilden.
+So erwuchs neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den
+Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch;
+rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, dem
+Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr bedeutender, indem
+jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem der politisch berechtigten
+Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie
+das Gefuehl der besonderen Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der
+politischen Zuruecksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen
+gleichmaessig waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen des
+politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde.
+Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes
+schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz vorzuzeichnen
+schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen traegt vom Koenig Servius
+Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel, wie
+alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was wir wissen, nicht durch
+historische Ueberlieferung, sondern nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren
+Institutionen wissen; aber ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie
+gefordert haben koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte
+gab. Sie muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige ihren
+Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf Befreiung von
+der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der Nichtbuerger teils zu der
+Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, dem Staat im Notfall
+vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, teils zu dem Aufgebot. Beides
+wird in der Servianischen Verfassung zusammengefasst, ist aber schwerlich
+gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen ist die Heranziehung der Nichtbuerger
+vermutlich von den oekonomischen Lasten: es wurden diese frueh auch auf die
+"Begueterten" (locupletes) oder die "stetigen Leute" (adsidui) erstreckt, und
+nur die gaenzlich Vermoegenslosen, die "Kinderzeuger" (proletarii, capite censi)
+blieben davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der
+Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die Buergerschaft
+als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules, mochten sie Buerger oder
+bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus einer persoenlichen zu einer
+Reallast. Im einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder
+ansaessige Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss
+der Hauskinder ansaessiger Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst
+der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz
+gelangt war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war der
+Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst herangezogen,
+sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der Fall war, auf
+roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der Groesse der
+Grundstuecke wurde die kriegstuechtige Mannschaft eingeteilt in die
+Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in vollstaendiger Ruestung
+erscheinen mussten und insofern vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten,
+waehrend von den vier folgenden Reihen der kleineren Grundbesitzer, den
+Besitzern von Dreivierteln, Haelften, Vierteln und Achteln einer ganzen
+Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung der Dienstpflicht, nicht aber die volle
+Armierung verlangt ward, und sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem)
+standen. Nach der damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Haelfte der
+Bauernstellen Vollhufen, waehrend die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener
+jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansaessigen ausmachten;
+weshalb festgesetzt ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig Vollhufener je
+zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben
+werden sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei: die Zahl der Abteilungen
+wurde in dieser verdreifacht, und nur darin wich man hier ab, dass die bereits
+bestehenden sechs Abteilungen mit den alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi
+und secundi) den Patriziern blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich
+aus den Nichtbuergern gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl
+darin zu suchen, dass man damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu
+formierte und nach der Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen
+aus militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und
+regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen
+Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man denn auch
+bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre hergebrachten Namen.
+Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu machen, wurden die
+unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen, soweit sie Grundbesitz
+hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Reitern die Pferde -
+jeder Reiter hatte deren zwei - zu stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf
+neun Fusssoldaten ein Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr
+geschont.
+----------------------------------------------------
+^3 Aus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem
+Eintritt der Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft
+aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen.
+-----------------------------------------------------
+Die nicht ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der
+Wehrpflichtigen stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu
+stellen sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer
+zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken und
+Gefallenen ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden.
+Zum Behuf der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier
+"Teile" (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen
+Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches Namens
+nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die Strasse dieses Namens,
+die Carinen und der Caelius angehoerten; den esquilinischen; und den
+collinischen, den der Quirinal und Viminal, die "Huegel" im Gegensatz der
+"Berge" des Kapitol und Palatin, bildeten. Von der Bildung dieser Distrikte ist
+bereits frueher die Rede gewesen und gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der
+alten palatinischen und quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In
+welcher Weise es herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem
+dieser Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der
+Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten, ergibt sich
+aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung. Ueberhaupt hat diese
+Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und nur folgeweise auf die
+Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen Charakter und namentlich ist ihr
+niemals eine religioese Bedeutung zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt
+eine gewisse Zahl der raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht
+dieselben ebensowenig zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden,
+dass in jeder ein Larenaltar errichtet ward.
+Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annaehernd den vierten Teil wie
+der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen,
+sodass jede Legion und jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk
+zaehlte, um alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und
+gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den maechtigen Hebel
+des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger zu einem Volke zu
+verschmelzen.
+Militaerisch wurde die waffenfaehige Mannschaft geschieden in ein erstes
+und zweites Aufgebot, von denen jene, die "Juengeren", vom laufenden achtzehnten
+bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst
+verwandt wurden, waehrend die "Aelteren" die Mauern daheim schirmten. Die
+militaerische Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine
+vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx von
+sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend
+Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400 "Ungeruestete" (velites, s. 1,
+84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die
+vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und sechsten standen die
+minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten Abteilung; die beiden letzten
+traten als letzte Glieder zu der Phalanx hinzu oder kaempften daneben als
+Leichtbewaffnete. Fuer die leichte Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der
+Phalanx so verderblich sind, war gesorgt. Es standen also in derselben 84
+Zenturien oder 8400 Mann, davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der
+beiden folgenden Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200
+der fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der Phalanx
+2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum Ausruecken bestimmte
+Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die fuer die Stadtverteidigung
+zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde; wodurch also der Normalbestand des
+Fussvolks auf 16800 Mann kam, 80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden,
+28 der letzten Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft
+sowie die der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei,
+welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft nur der
+dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des roemischen Heeres
+ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an 20000 Mann; welche Zahl
+dem Effektivbestand der roemischen Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der
+Einfuehrung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen
+haben wird. Bei steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien
+vermehrt, sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen
+Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die
+roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig durch
+Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke umgingen.
+Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfaeltigere
+Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde entweder jetzt
+eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, dass ein Erdbuch angelegt werde,
+in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre Aecker mit dem Zubehoer, den
+Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen
+sollten. Jede Veraeusserung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde
+fuer nichtig erklaert und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich
+Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der
+servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus hervorgegangen.
+Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militaerischer
+Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch nicht ein einziger Zug,
+der auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung der Zenturien hinwiese;
+und dies allein muss fuer jeden, der in solchen Dingen zu denken gewohnt ist,
+genuegen, um ihre Verwendung zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu
+erklaeren. Wenn, wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr
+ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies keinen
+Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und neben den Kurien
+die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch die Zenturienordnung
+lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit der Buergschaft durch die
+Beziehung der Insassen zu steigern, und insofern nichts verkehrter ist, als die
+Servianische Ordnung fuer die Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so
+wirkte doch folgeweise die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf
+ihre politische Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch
+Offizier werden koennen, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in
+Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden. Wenn
+ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen Buergerschaft durch die
+Zenturieninstitution der Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmaelert
+werden sollte, so mussten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die
+bisherige Buergerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot
+geuebt hatte, uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien. Die
+Zenturien also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines
+Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der
+spaeteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer Beteiligung der
+Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein zunaechst
+trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr folgeweise ein, als dass
+er geradezu beabsichtigt worden waere, und nach wie vor der Servianischen Reform
+galt die Kurienversammlung als die eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung
+das ganze Volk dem Koenig verpflichtete. Neben diesen neuen grundsaessigen
+Vollbuergern standen die angesessenen Auslaender aus dem verbuendeten Latium als
+teilnehmend an den oeffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher
+municipes); waehrend die ausser den Tribus stehenden, nicht ansaessigen und des
+Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger nur als steuerpflichtig (aerarii) in
+Betracht kommen.
+Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und
+Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen
+Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht
+beherrscht haben.
+Wann und wie diese neue militaerische Organisation der roemischen Gemeinde
+ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen moeglich. Sie setzt die vier
+Quartiere voraus, das heisst, die Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor
+die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine
+urspruengliche Grenze betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle
+ebensoviel Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den
+Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht
+moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir als Minimum 10000
+Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 deutschen Quadratmeilen
+Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, Haeuserraum und nicht
+kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz bringt, das Gebiet zu der Zeit,
+wo diese Reform durchgefuehrt ward, mindestens eine Ausdehnung von 20
+Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben
+muss. Folgt man der Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000
+ansaessigen und waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei
+dem ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, zeigt ein
+Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert, sondern
+vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des Normalstandes der
+Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie zu fuenf Koepfen
+ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu ergeben schienen und
+diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt ward. Aber auch nach jenen
+maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer
+Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen und mindestens der dreifachen Zahl
+von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grundsaessigen Leuten und Knechten
+notwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio
+gewonnen, sondern auch die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische
+Verfassung festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das
+Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl nach urspruenglich
+gestellt hat, ist nicht zu ermitteln.
+----------------------------------------------------------
+^4 Schon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5;
+Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur.
+Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu
+berichtigen ist) den Empfaengern klein.
+Die Vergleichung der deutschen Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und
+Morgen, beide urspruenglich mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen
+werden als urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30,
+nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette haeufig,
+wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei
+Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des roemischen Heredium
+von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe von 20 Morgen den
+Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, dass die
+Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst.
+-------------------------------------------------------
+Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische
+Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den
+Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der Verfassung
+des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie entstanden ist unter
+griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen truegen, wie zum Beispiel die
+schon von den Alten hervorgehobene, dass auch in Korinth die Ritterpferde auf
+die Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung der Ruestung wie
+der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist sicher kein
+zufaelliges Zusammentreffen. Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten Jahrhundert
+der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen
+Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das
+Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden wir hierin den
+Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform hervorrief, eine im
+wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng
+monarchische Form des roemischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte
+Verfassungsaenderung.
+---------------------------------------------
+^5 Auch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und
+der Behandlung der attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen
+hat eben wie Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und
+dann auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger hier
+ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es
+sich, wie dieselben Ursachen - staedtische Zentralisierung und staedtische
+Entwicklung - ueberall und notwendig die gleichen Folgen herbeifuehren.
+---------------------------------------------
+7. Kapitel
+Roms Hegemonie in Latium
+An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und
+leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem
+Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde allmaehlich in
+den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein und politische Maechte
+angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen fruehesten Raufhaendeln und
+Beutezuegen, in denen der Charakter der Voelker sich bildet und sich aeusserst
+wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein
+italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die
+geschichtliche Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse
+der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu
+erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und seines
+Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten Grenzen der
+vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie waren
+landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem Hauptort des
+Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Kueste zu bis an die etwas
+ueber drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). "Groessere
+und kleinere Voelkerschaften", sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten
+Rom, "umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen Ortschaften
+wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren". Auf Kosten zunaechst dieser
+stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten Erweiterungen des roemischen
+Gebietes erfolgt zu sein.
+Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen
+Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum,
+Cameria, Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom und
+scheinen schon in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer ihre
+Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde erscheint in
+diesem Bezirk spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch Buendnis mit Rom seine
+Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brueckenkopf der Etrusker am
+linken Ufer des Tiber, kaempften Latiner und Etrusker, das heisst Roemer und
+Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio
+und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht;
+bis in die spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit
+dem Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes ^1.
+Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9
+Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen Kaempfe
+ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte
+Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole
+Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und zerstoert. Wie der
+Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht ueberliefert; der
+Kampf der drei roemischen gegen die drei albanischen Drillingsbrueder ist nichts
+als eine personifizierte Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und eng
+verwandter Gaue, von denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war. Wir
+wissen eben nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und
+Zerstoerung Albas durch Rom ^2.
+----------------------------------------------------
+^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und
+Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche
+Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in der Tat
+stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und hoechst
+unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare auf diese beiden
+verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren Antiquaren fuer
+geschichtliche Urkunden gehalten.
+^2 Aber zu bezweifeln, dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom
+ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein
+Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung
+in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und
+Unmoeglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen
+historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe
+zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die Frage
+selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass die latinische
+Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings
+untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer
+Familien in den roemischen Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die
+Roemer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei
+gegeben haben? Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in
+religioeser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba
+auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter,
+sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und gegruendet
+ward.
+----------------------------------------
+Dass in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge
+festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht benachbarten
+Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher
+Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere verhaeltnismaessig ansehnliche
+Macht begruendet haben moegen, laesst sich vollends nur vermuten.
+Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte ueber den
+rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser aeltesten latinischen
+Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, dass sie nach demselben
+Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige roemische Gemeinde
+hervorgegangen war; nur dass die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue
+nicht einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten
+Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern voellig und
+spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des latinischen
+Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen politischen Mittelpunkt
+ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er selbstaendige
+Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die Griechen es taten und damit in ihren
+Kolonien vorlaeufig Klienten und kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am
+merkwuerdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom
+erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte
+man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische Selbstaendigkeit
+und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbuerger-, sondern liess ihnen
+bloss, wenn sie es bereits besassen, das allgemeine roemische Buergerrecht ^3.
+Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch das Schicksal der schwaecheren Gaue,
+die durch Waffengewalt oder auch durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren
+untertaenig wurden. Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der
+Mark der Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in
+dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat gegruendet. Eine foermliche
+Uebersiedelung der Besiegten in die neue Hauptstadt, wie sie bei den
+Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird man hierunter freilich nicht
+unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums konnten in dieser Zeit wenig
+mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der Bauern; im ganzen genuegte die
+Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den neuen Hauptort. Dass selbst die
+Tempel oft am alten Platze blieben, laesst sich an dem Beispiel von Alba und
+Caenina dartun, welchen Staedten noch nach der Zerstoerung eine Art religioeser
+Scheinexistenz geblieben sein muss. Selbst wo die Festigkeit des geschleiften
+Ortes eine wirkliche Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man mit
+Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen Weilern ihrer
+alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch die ueberwundenen
+alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem neuen Hauptort
+niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen Erzaehlungen aus der Sagenzeit
+Latiums der Satz des roemischen Staatsrechts, dass nur, wer die Grenzen des
+Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das Pomerium) vorzuschieben befugt sei.
+Natuerlich wurde den ueberwundenen, uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das
+Schutzverwandtenrecht aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber auch
+wohl mit dem Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt. Noch in der
+Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die roemische
+Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier,
+Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das Andenken
+ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtuemer, unter denen das
+Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu
+grossem Ansehen erhob.
+------------------------------------------------
+^3 Hieraus entwickelte sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder
+Buergerkolonie (colonia civium Romanorum), das heisst einer faktisch
+gesonderten, aber rechtlich unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in
+der Hauptstadt aufgeht wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und
+als stehende Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist.
+^4 Darauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i
+mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen
+Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die
+latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche
+Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das Zwoelftafelgesetz
+ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini prisci
+cives Romani, das heisst die von den Roemern in das Plebejat genoetigten
+Gemeinden Latiums.
+------------------------------------------
+Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war
+natuerlich nichts weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die
+Entwicklung Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze
+der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern es
+gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe
+Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika
+Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem
+bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer
+Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen
+Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und gluecklicher festhielt als
+irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in
+Hellas die Folge seiner fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine
+Groesse lediglich demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System zu
+danken.
+Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige,
+unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden duerfen, so
+kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht
+bloss die problematische Groesse und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die
+Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben.
+Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die
+Vorstandschaft unter den dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas
+hob natuerlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die
+boeotische Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen
+Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als
+Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und
+welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten,
+vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die roemische Hegemonie
+ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne
+Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr
+entzogen haben moegen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft,
+als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft
+gegenueberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten
+gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die
+unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der
+materielle Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser
+war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte
+Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, dass Rom
+nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische Gemeinde ward,
+sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die
+Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der kuenftigen
+Hegemonie der roemischen Gemeinde ueber die gesamte latinische
+Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhaeltnisse so
+bestimmt wie moeglich zu bezeichnen.
+----------------------------------------------------
+^5 Es scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde
+Bovillae gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen
+Staedte eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und
+der Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre
+Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).
+---------------------------------------------------------------
+Die Form der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines
+gleichen Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen
+Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark
+und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die Verteidigung festgestellt
+ward. "Friede soll sein zwischen den Roemern und allen Gemeinden der Latiner,
+solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg fuehren untereinander
+noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem
+Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und gleichmaessig
+verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg." Die verbriefte
+Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht,
+verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte
+verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des
+Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht wie in unserer
+Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb jeder Gemeinde
+formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war das latinische
+Recht mit dem roemischen nicht notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel,
+dass die Klagbarkeit der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den
+latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein
+volkstuemliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die
+Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin, dass das
+Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz Latium. Am
+schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen ueber den
+Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Buergers. Nach einem
+alten ehrwuerdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem
+Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das
+Buergerrecht einbuessen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe
+war, das Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem Staat
+und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz erstreckte man
+auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als
+Knecht leben koennen innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft. Anwendungen davon
+sind die in die Zwoelf Tafeln aufgenommene Bestimmung, dass der
+zahlungsunfaehige Schuldner, wenn der Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft
+werden muesse jenseits der Tibergrenze, das heisst ausserhalb des
+Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago,
+dass der von den Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle,
+so wie er einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft
+innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen
+zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon frueher bemerkt worden ist,
+haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunaechst jeder Latiner nur
+da ausueben, wo er eingebuergert war; dagegen lag es im Wesen der
+privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich
+niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den
+besonderen Buergerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines
+eidgenoessisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als
+Buerger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle
+Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die
+allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen Erwerb, staedtische Genuesse
+darzubieten hatte, und dass die Zahl der Insassen in Rom sich reissend schnell
+vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist
+begreiflich.
+In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde
+selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen,
+sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden als
+solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass Albas Stellung
+zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als die Roms, und dass die
+letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt haetten, so ist dies insofern
+wohl moeglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als
+Sonderstaat dem Bunde gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag,
+eben wie die Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen
+Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas Vorstandschaft
+gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms Protektorat von Haus aus
+wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen sein. In der Tat scheint
+Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt zu haben, waehrend Rom die latinischen
+Abgeordneten selbstaendig, unter Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte
+gewaehlten Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit
+der Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit der
+Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem
+Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom und Latium,
+teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im
+Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem Vertrag mit Latium sich
+verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde ein Sonderbuendnis einzugehen -
+eine Bestimmung, aus der die ohne Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der
+Eidgenossenschaft gegenueber der maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar
+heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb,
+sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die
+spaetere Weise des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich
+starken Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand
+ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der
+latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste hier den
+erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem die vom
+latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus der Beobachtung des
+Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der getroffenen Wahl versichert
+hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut gewonnen war, wurde nach dem Ermessen
+der Roemer unter die Bundesglieder verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die
+roemisch-latinische Foederation nur durch Rom vertreten worden ist, laesst sich
+nicht mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch
+Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach
+Bundesschluss, sei es infolge eines feindlichen Ueberfalls, ein Bundeskrieg
+gefuehrt ward, so mag bei der Fuehrung wie bei der Beendigung desselben auch der
+latinische Bundesrat rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsaechlich freilich
+wird Rom damals schon die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein
+einheitlicher Staat und ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander
+treten, das Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt.
+Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig
+bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der
+latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter
+ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunaechst
+den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht
+auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern gelang, diesen auf dem
+latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen
+etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus
+dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu verdraengen. Dagegen behaupten sie sich,
+wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der
+Tibermuendung. Den Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr
+ueberlegenen Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den
+entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit
+bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen Nachbarn von
+zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der bestaendige Kriegsschauplatz
+aber war die Suedgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker.
+Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am fruehesten erweitert,
+und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande
+begruendeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft
+konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von denen die
+aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen. Wie weit indes das
+roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit sich erstreckte, laesst sich
+in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den benachbarten latinischen und
+volskischen Gemeinden ist in den roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug
+und nur zuviel die Rede; aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa
+die der Einnahme von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen
+Kern enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen Roms
+gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat, laesst sich
+nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenueber als in dem
+latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik entschieden gegeben
+und laesst erkennen, dass in Rom schon in der Koenigszeit eine energische
+Machtentfaltung nach aussen hin stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse
+Taten, ungemeine Erfolge hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der
+Koenigszeit Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein
+fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen.
+So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu
+einigen und zugleich sein Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom
+selbst aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus
+einer regsamen Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden
+Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung und die
+darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der
+Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser
+innerlichen Umwandlung des roemischen Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich
+musste mit den reicher stroemenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen,
+mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern.
+Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muss
+bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform
+stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und einheitlichen
+Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft nicht dabei beharren,
+die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander mit Gebaeuden sich gefuellt hatten,
+zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel und
+die Hoehe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium
+verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man schritt zu
+dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende Stadtwall begann am
+Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen Huegel, an dem neuerdings
+(1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den Fluss zu, teils an
+dem entgegengesetzten oestlichen, die kolossalen Ueberreste dieser uralten
+Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen
+von Alatri und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken
+unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer gewaltigen
+Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich dastehen und deren
+geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit fortwirken werden. Weiter
+umfasste der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des Esquilin, Viminal und
+Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder in groesseren Resten zu
+Tage gekommener Bau, nach aussen von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen
+vorgezogenen Graben geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt
+zu abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den Mangel der
+natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum Kapitol, dessen
+steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des Stadtwalls ausmachte, und
+stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an den Fluss. Die Tiberinsel nebst
+der Pfahlbruecke und das Ianiculum gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl
+aber war die letztere Hoehe ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der
+Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien
+staedtischen Anbau ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin
+freistehenden und bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden
+tarpeischen Huegel die neue "Burg" (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem
+Burgbrunnen, dem sorgfaeltig gefassten "Quellhaus" (tullianum), der Schatzkammer
+(aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der Buergerschaft
+(area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die regelmaessigen
+Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben. Privatwohnungen dauernder Art
+sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf dem Burghuegel geduldet worden ^7; und
+der Raum zwischen den beiden Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes
+(Ve-diovis) oder, wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl
+war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden
+aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das
+Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbstaendiges,
+auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges Kastell, dessen Tor
+wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen hat ^8. In aehnlicher Weise,
+wenn auch schwaecher, scheint der Aventin befestigt und der festen Ansiedelung
+entzogen worden zu sein. Es haengt damit zusammen, dass fuer eigentlich
+staedtische Zwecke, zum Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers,
+die roemische Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner
+(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen, aber doch
+nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani Aventinenses,
+Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9. Der von der neuen
+Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser der bisherigen palatinischen
+und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des
+Aventin, ferner das Ianiculum ^10; der Palatin als die eigentliche und aelteste
+Stadt ward von den uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war,
+wie im Kranz umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen.
+Aber das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem
+auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen war,
+welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd fuellte, sodass
+hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das Tal zwischen dem Kapitol und
+der Velia sowie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die heute noch
+stehenden, aus prachtvollen Quadern zusammengefuegten unterirdischen
+Abzugsgraeben, welche die Spaeteren als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom
+anstaunten, duerften eher der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei
+verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit
+erzaehlt wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die Koenigszeit,
+wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des Mauerrings und
+der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den entsumpften oder
+trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen, wie die neue Grossstadt
+sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der Gemeinde, bis dahin der kapitolinische
+Platz auf der Burg selbst, ward verlegt auf die Flaeche, die von der Burg gegen
+die Stadt sich senkte (comitium), und dehnte von dort zwischen dem Palatin und
+den Carinen in der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der der Burg
+zugekehrten Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines Altanes ueber
+die Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste der
+Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz; und auf dem
+Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das spaeter den Namen der
+hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den Richterstuhl (tribunal) und die
+Buehne, von wo aus zur Buergerschaft gesprochen ward (die spaeteren rostra),
+wurden ebenfalls auf der Dingstaette selbst errichtet. Ihre Verlaengerung gegen
+die Velia ward der neue Markt (forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem
+Palatin, erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia)
+und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels, einschloss;
+nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein dazu gehoeriges zweites
+Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde oder der Tempel der Penaten, der
+heute noch steht als Vorhalle der Kirche Santi Cosma e Damiano. Es ist
+bezeichnend fuer die neu und in ganz anderer Art, als die Ansiedelung der
+"sieben Berge" es gewesen war, geeinigte Stadt, dass neben und ueber die
+dreissig Kurienherde, mit deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische
+Rom sich begnuegt hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche
+Stadtherd trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die
+Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen Aventin und Palatin ward
+fuer die Rennspiele der "Ring" abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am
+Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald entstand hier eines der am
+dichtesten bevoelkerten Quartiere. Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und
+Heiligtuemer, vor allem auf dem Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf
+der Hoehe der Burg der weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem
+Volk all diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die
+umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der Besiegten
+triumphierte.
+----------------------------------------
+^6 Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von
+der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze des
+Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen akra und
+koryph/e/ entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische Stadt ihr
+capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen Burghuegels ist mons
+Tarpeius.
+^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret,
+untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die
+Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker,
+Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386.
+^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die "Heilige Strasse", auf die Burg
+hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach links macht, ist
+noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. Dieses selbst wird in den
+grossen Bauten, die spaeter am Clivus stattfanden, untergegangen sein. Das
+sogenannte Tor an der steilsten Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem
+Namen des janualischen oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in
+Kriegszeiten stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese
+Bedeutung und ist nie ein wirkliches Tor gewesen.
+^9 Es kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2,
+5, 2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5,
+50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller,
+Roemische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen
+6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3. die
+pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani pagi
+Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiss nicht
+zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom
+vorkommen, eben den von den vier oertlichen Tribus aus-, aber von der
+Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Huegeln, dem Kapitol und dem
+Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehoerigen Ianiculum angehoeren; und
+damit steht weiter im Zusammenhang, dass als Bezeichnung der gesamten
+staedtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser
+der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die
+staedtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive
+si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen
+drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche
+Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher
+die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum
+und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal.
+^10 Die "Siebenhuegelstadt" im eigentlichen und religioesen Sinn ist und
+bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das Servianische Rom
+sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit (vgl. z. B. Cic. Att. 6, 5, 2;
+Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt betrachtet, wahrscheinlich weil das auch
+in der Kaiserzeit eifrig gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines
+Stadtfest zu gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung
+gelangt, welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen zu
+den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus, Aventinus,
+Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus zaehlt kein alter
+Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der traditionellen Erzaehlung
+von der allmaehlichen Entstehung der Stadt (Jordan, Topographie der Stadt Rom im
+Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur
+uebergangen, weil sonst acht herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche
+die sieben Berge (montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit
+Konstantins des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin,
+Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, offenbar
+als colles, fehlen und dafuer zwei "montes" vom rechten Tiberufer, darunter
+sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer liegende Vaticanus mit
+hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen geben Servius (Aen. 6, 783),
+die Berner Scholien zu Vergils Georgiken (2, 535) und Lydus (mens. p. 118
+Bekker).
+^11 Sowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des
+Dionysios (2, 25), dass der Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag,
+bezeugen es, dass diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der
+zweiten (Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den
+Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist
+die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen.
+------------------------------------------
+Die Namen der Maenner, auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten
+sich erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den
+aeltesten roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die
+verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus Hostilius,
+das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die grosse Kloake, den
+Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Aelteren, den Dianatempel und den
+Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben moegen richtig sein, und es
+scheint nicht zufaellig, dass der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen
+Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der Stadtwaelle wesentliche
+Ruecksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im
+ganzen aber wird man sich begnuegen muessen, aus dieser Ueberlieferung zu
+entnehmen, was schon an sich einleuchtet, dass diese zweite Schoepfung Roms mit
+der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der Umschaffung des
+Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus einem und
+demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber weder eines Mannes
+noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch in diese Umgestaltung des
+roemischen Gemeindewesens die hellenische Anregung maechtig eingegriffen hat,
+ist ebenso unzweifelhaft, als es unmoeglich ist, die Art und den Grad dieser
+Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, dass die Servianische
+Militaerverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und dass die Circusspiele
+nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird spaeter gezeigt werden. Auch das
+neue Koenigshaus mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein griechisches Prytaneion
+und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte
+Vestatempel in keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach hellenischem
+Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, was die
+Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft die
+ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster diente und darum auch das neue
+Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen Artemision nachgebildet ward.
+8. Kapitel
+Die umbrisch-sabellischen Staemme
+Anfaenge der Samniten
+Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme
+begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch
+mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. Es
+ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der Klang
+der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch
+Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie in
+aeltester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die illyrischen
+Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den Umbrern es
+Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden zu einzelne
+Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen
+Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der umbrischen
+Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten Ansiedlungen im
+Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die zahlreichen
+umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name von Clusium,
+Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders begegnen dergleichen
+Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen italischen Bevoelkerung in dem
+suedlichen Strich Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo)
+und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das
+Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als die
+etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften zum Vorschein
+gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit dem Etruskischen
+Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem Latinischen analog ist ^1.
+Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis gehoeren die
+uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben
+die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend spaeter als die Landschaft
+nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach
+der tuskischen Eroberung umbrische Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter
+nach der roemischen Eroberung im Vergleich mit dem zaehen Festhalten
+etruskischer Sprache und Sitte im noerdlichen Etrurien so auffallend schnell
+erfolgende Latinisierung der suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin
+ihren letzten Grund. Dass von Norden und Westen her die Umbrer nach harten
+Kaempfen zurueckgedraengt wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen
+des Apennin, das sie spaeter innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage
+ebenso deutlich, wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken
+ihre aehnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die
+Tusker den Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in
+den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst
+anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwuenscht.
+----------------------------------------
+^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen
+(R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus dem
+primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen.
+Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa,
+das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. .... zenatuo
+sentem .... dedet cuando ... cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena
+La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum.
+Zugleich mit diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften gefunden
+von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.
+---------------------------------------
+Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes dringen
+die Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da
+sie die Ebenen schon von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne
+Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und mit
+ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise
+damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir spaeter
+ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss von dem
+Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen mit den
+Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen Westkueste
+wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der
+von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem
+Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch
+minder dicht war; waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser
+Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner
+Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren
+zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und drueben,
+woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in zahlreichen
+Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so frueh und so
+schnell sich latinisieren konnten.
+Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina
+oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich
+anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste die
+bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern wich oder sich
+unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen apulischen Kuestenland die alte
+einheimische Bevoelkerung der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an
+der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese
+Wanderungen stattfanden, laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber
+doch um die Zeit, wo in Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die
+Sabiner, gedraengt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren,
+die in dem Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen
+waeren, preiszugeben und ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter
+sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze bescheren
+moechten. Den einen Schwarm fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner
+oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in
+spaeterer Zeit von da aus die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den
+Quellen des Tifernus besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre
+Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie
+leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das
+wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann;
+einen dritten der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die
+Hirpiner. In aehnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die
+uebrigen kleinen Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am
+Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze,
+die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den
+Volskern und den Latinern sich beruehrend. In ihnen allen blieb das Gefuehl der
+Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in
+jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf
+erlagen und die westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen
+oder hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Staemme
+in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrueckt dem Anstoss
+der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Staedtisches Leben entwickelte bei
+ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre
+geographische Lage sie beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung
+genuegten die Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen
+blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem
+jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie bei
+den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation
+der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder lockere
+Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe
+Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone
+hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt,
+dass diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in voelliger
+Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer
+Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen Nation in die
+Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das
+Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden der
+Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das latinische.
+Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an, umschloss ein
+vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation und gab ihr
+die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf
+zu ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig als wir
+die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in Samnium keine einzelne
+Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer Mittelpunkt den samnitischen
+Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft des Landes
+in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertretern
+gebildeten Versammlung lag; sie war es, die erforderlichenfalls den
+Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen, dass die Politik dieser
+Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv ist, sondern sich
+beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft
+so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass die Erweiterung des Gebiets
+planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden
+Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden
+Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten
+besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub ausgingen und von
+der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben waren. Doch gehoeren die
+Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des Tyrrhenischen und des
+Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode an; waehrend die Koenige
+in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in
+denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der
+durch diese samnitische Ansiedelung veranlassten Voelkerbewegungen ist der
+Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre
+der Stadt 230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr
+romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen Zuegen
+zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten zu einem Heer vereinigt
+haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit diesen die von den
+umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten Iapyger. Indes das Unternehmen
+scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der ueberlegenen hellenischen
+Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos, den Sturm der Barbaren
+von der schoenen Seestadt abzuschlagen.
+9. Kapitel
+Die Etrusker
+Im schaerfsten Gegensatz zu den latinischen und den sabellischen Italikern
+wie zu den Griechen steht das Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber
+nannten, der Rasen ^1. Schon der Koerperbau unterschied die beiden Nationen;
+statt des schlanken Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke
+der Etrusker nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was
+wir wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst gleichfalls auf
+eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen
+Staemmen schliessen, so namentlich die Religion, die bei den Tuskern einen
+trueben phantastischen Charakter traegt und im geheimnisvollen Zahlenspiel und
+wuesten und grausamen Anschauungen und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit
+entfernt von dem klaren Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren
+hellenischen Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das
+wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns gekommene
+Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer die Entzifferung
+darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass es bis jetzt nicht einmal
+gelungen ist, den Platz des Etruskischen in der Klassifizierung der Sprachen mit
+Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich
+unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der aelteren ist die Vokalisierung
+vollstaendig durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne
+Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen Endungen
+und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies weiche und
+klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte und rauhe Sprache
+verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramtha aus ramuthaf, Tarchnaf aus
+Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchsentre aus Menelaos,
+Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt am
+deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den Etruskern schon in
+sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich wurde wie im Lateinischen und in den
+rauheren griechischen Dialekten der Akzent durchaus auf die Anfangssilbe
+zurueckgezogen. Aehnlich wurden die aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend
+die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die
+Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen th ph ch
+beibehielten, liessen die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das ph
+gaenzlich, ausser in Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen
+drei in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum
+Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder Uthuze
+heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren Bedeutung ermittelt ist,
+entfernen die meisten sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so
+die Zahlwoerter alle; so die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig
+als Metronymikon, wie zum Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von
+Chiusi uebersetzt wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur
+Bezeichnung des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum
+Beispiel die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem
+Kasus clensi Sohn; sech Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms, Aphrodite
+Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen fremdartigen Formen
+und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen
+und den italischen Sprachen. Die Eigennamen sind im wesentlichen nach dem
+allgemeinen italischen Schema gebildet: die haeufige gentilizische Endung enas
+oder ena ^4 kehrt wieder in der auch in italischen, besonders sabellischen
+Geschlechtsnamen haeufigen Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas
+und Spurinna den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe
+von Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern als
+etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung nach so
+durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich von Haus aus
+etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen sein muessen: so Usil
+(Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, aurora, sol), Minerva
+(menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. Indes da diese Analogien erst
+aus den spaeteren politischen und religioesen Beziehungen zwischen Etruskern und
+Latinern und den dadurch veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren
+koennen, so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen
+Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den saemtlichen
+griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die Sprache der
+Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern; "tuskisch und
+gallisch" sind Barbarensprachen, "oskisch und volskisch" Bauernmundarten. Wenn
+aber die Etrusker dem griechisch-italischen Sprachstamm fernstanden, so ist es
+bis jetzt ebensowenig gelungen, sie einem andern bekannten Stamme
+anzuschliessen. Auf die Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die
+verschiedenartigsten Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen
+Frage, aber alle ohne Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem
+baskischen, an das den geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht
+werden koennte, haben entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt.
+Ebensowenig deuten die geringen Reste, die von der liturgischen Sprache in Orts-
+und Personennamen auf uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit den Tuskern. Nicht
+einmal die verschollene Nation, die auf den Inseln des tuskischen Meeres,
+namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu
+Tausenden aufgefuehrt hat, kann fueglich mit der etruskischen in Verbindung
+gebracht werden, da im etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude
+vorkommt. Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige
+Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen
+beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer Inschriften
+sicher emi, eimi und findet die Genetivform konsonantischer Staemme veneruf,
+rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, entsprechend der alten
+sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name des etruskischen Zeus Tina oder
+Tinia wohl mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen wie Zan mit dem
+gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies zugegeben erscheint das etruskische
+Volk darum kaum weniger isoliert. "Die Etrusker", sagt schon Dionysios, "stehen
+keinem Volke gleich an Sprache und Sitte"; und weiter haben auch wir nichts zu
+sagen.
+---------------------------------------
+^1 Ras-ennae mit der 1, 131 erwaehnten gentilizischen Endung.
+^2 Dahin gehoeren z. B. Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice
+thumamimathumaramlisiaeipurenaietheeraisieepanaminethunastavhelefu oder: mi
+ramuthas kaiufinaia.
+^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff geben zum
+Beispiel der Anfang der grossen Perusiner Inschrift: eulat tanna larezu amevachr
+lautn velthinase stlaafunas slelethcaru.
+^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der Vokal in der
+vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge der Zurueckziehung
+des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt und sogar ausgestossen. So
+finden wir neben Porsena, auch Porsena, neben Caecina Ceicne.
+----------------------------------------
+Ebensowenig laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien
+eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf
+jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche
+Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage eifriger
+verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der Archaeologen, vorzugsweise
+nach dem zu forschen, was weder wissbar noch wissenswert ist, "nach der Mutter
+der Hekabe", wie Kaiser Tiberius meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten
+etruskischen Staedte tief im Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine
+einzige namhafte etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber
+eben sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat; da
+ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden sich bewegen,
+so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel gekommen; wie denn auch
+die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst finden, mit einer Einwanderung
+ueber das Meer sich schlecht vertragen wuerde. Eine Meerenge ueberschritten
+schon in fruehester Zeit die Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an
+der italischen Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die
+aeltere Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es
+ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die raetischen Alpen
+nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in Graubuenden und Tirol
+nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die historische Zeit etruskisch
+redeten und auch ihr Name auf den der Rasen anklingt; sie koennen freilich
+Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po, aber wenigstens ebenso gut auch
+ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener Teil des Volks sein.
+Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung aber tritt in grellen
+Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus Asien ausgewanderte Lyder
+seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot findet sie sich und kehrt dann in
+zahllosen Wandlungen und Steigerungen bei den Spaeteren wieder, wenngleich
+einzelne verstaendige Forscher, wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich
+dagegen erklaerten und darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und
+Sprache zwischen Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich
+zeige. Es ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm
+nach Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen;
+wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen Quiproquo.
+Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form scheint die
+urspruengliche und der griechischen Tyr-s/e/noi, Tyrr/e/noi, der umbrischen
+Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu liegen - begegneten
+sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke der Torr/e/boi oder auch
+wohl Tyrr-/e/noi, so genannt von der Stadt T?rra; und diese offenbar zufaellige
+Namensvetterschaft scheint in der Tat die einzige Grundlage jener durch ihr
+hohes Alter reicht besser gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen
+Turmes darauf aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem
+lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und endlich
+noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen Seeraeuber mit
+Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren pluendernden und
+hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine der heillosesten
+Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die Tyrrhener bezeichnen bald die
+lydischen Torrheber - so in den aeltesten Quellen, wie in den Homerischen
+Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener die pelasgische
+Nation; bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die letzteren mit den
+Pelasgern oder den Torrhebern je sich nachhaltig beruehrt oder gar die
+Abstammung mit ihnen gemein haetten.
+Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was die
+nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort aus sich
+weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion in der Landschaft
+noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch grenzend mit den Venetern
+illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich mit den Ligurern, ist vielfach
+beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der schon erwaehnte rauhe etruskische
+Dialekt, den noch in Livius' Zeit die Bewohner der raetischen Alpen redeten,
+sowie das bis in spaete Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und
+an den Muendungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener als
+der herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten Kaufstaedte Atria
+und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und Ravenna tuskische
+Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den Padus
+ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten Ufer desselben das
+etruskische und umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen hat als auf dem
+frueh aufgegebenen linken. Doch sind ueberhaupt die Landschaften noerdlich vom
+Apennin zu rasch von einer Nation an die andere gelangt, als dass eine
+dauerhafte Volksentwicklung sich hier haette gestalten koennen.
+Weit wichtiger fuer die Geschichte wurde die grosse Ansiedelung der Tusker
+in dem Lande, das heute noch ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer
+hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische
+Okkupation und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem
+Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom Apennin
+abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre bleibende Staette
+gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich behauptet.
+Die Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus; das Gebiet
+von da nordwaerts bis zur Muendung der Macra und dem Apennin war streitiges
+Grenzland, bald ligurisch, bald etruskisch, und groessere Ansiedlungen gediehen
+deshalb daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der
+Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo, spaeterhin der
+Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet zwischen dem
+Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete, Falerii,
+Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren Distrikte,
+moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den Etruskern eingenommen
+zu sein scheint und dass die urspruengliche italische Bevoelkerung sich hier,
+namentlich in Falerii, wenn auch in abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben
+muss.
+Seitdem der Tiberstrom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium
+bildete, mag hier im ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und
+eine wesentliche Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen
+die Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker
+ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom rechten
+Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu haben als zum Beispiel
+von den Stammesverwandten in Gabii und Alba; natuerlich, denn dort schuetzte
+nicht bloss die Naturgrenze des breiten Stromes, sondern auch der fuer Roms
+merkantile und politische Entwicklung folgenreiche Umstand, dass keine der
+maechtigeren etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen
+Ufer Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren es auch, mit
+denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten, namentlich um
+den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf dem linken Tiberufer, aehnlich
+wie auf dem rechten den Roemern das Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf diente
+und bald in den Haenden der Latiner, bald in denen der Etrusker sich befand.
+Dagegen mit dem etwas entfernteren Caere war das Verhaeltnis im ganzen weit
+friedlicher und freundlicher, als es sonst unter Nachbarn in solchen Zeiten
+vorzukommen pflegt. Es gibt wohl schwankende und in die graueste Fernzeit
+gerueckte Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische
+Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben einen
+Weinzins auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der einstmalige
+Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges Verhaeltnis zwischen
+den beiden uralten Mittelpunkten des Handels- und Seeverkehrs in Latium und in
+Etrurien. Sichere Spuren von einem Vordringen der Etrusker ueber den Tiber
+hinaus auf dem Landweg mangeln ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen
+Barbarenheer, das Aristodemos im Jahre 230 (524) der Stadt unter den Mauern von
+Kyme vernichtet, die Etrusker in erster Reihe genannt; indes selbst wenn man
+diese Nachricht als bis ins einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur,
+dass die Etrusker an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger ist
+es, dass suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete etruskische
+Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer ernstlichen Bedraengung
+der latinischen Nation durch die Etrusker gar nichts wahrgenommen wird. Der
+Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung blieb den Roemern,
+soviel wir sehen, unangefochten. Was die Uebersiedlungen etruskischer
+Gemeinschaften nach Rom anlangt, so findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen
+Annalen gezogener Bericht, dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von
+Volsinii und nach dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna,
+angefuehrt habe, von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies
+zuverlaessig sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges
+von diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der Zusatz,
+dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen Servius Tullius,
+gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung solcher Archaeologen, die
+mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf etruskische Ansiedlungen in Rom
+deutet weiter das "Tuskerquartier" unter dem Palatin.
+Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das letzte
+Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der Tarquinier, aus
+Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie die Sage will, sei es
+aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas vor kurzem aufgefunden worden ist;
+auch der in die Sage verflochtene Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist
+unlateinisch, dagegen in Etrurien gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung,
+wonach Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten
+Griechen war und in Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage
+und die geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt,
+sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt etwas mehr
+entnommen werden kann als die nackte und im Grunde gleichgueltige Tatsache, dass
+zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft das koenigliche Szepter in Rom
+gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, dass diese Herrschaft eines Mannes
+tuskischer Herkunft ueber Rom weder als eine Herrschaft der Tusker oder einer
+tuskischen Gemeinde ueber Rom, noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber
+Suedetrurien gefasst werden darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer
+die andere Annahme irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der
+Tarquinier spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat
+waehrend der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in
+Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige
+Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes unterbrochen.
+Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen das latinische
+Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den Kaempfen der Etrusker mit
+den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst nach der Vertreibung der Koenige
+in Rom ueberschritten, teils in der Richtung der etruskischen Nation auf
+Seefahrt und Meer- und Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen
+Ansiedelungen entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter
+die Rede sein wird.
+Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen und latinischen auf
+der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die fruehe Richtung der Nation aber
+auf Schiffahrt, Handel und Industrie scheint rascher, als es sonst in Italien
+der Fall gewesen ist, hier eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen
+zu haben; zuerst von allen italischen Staedten wird in den griechischen
+Berichten Caere genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder
+kriegstuechtig und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische
+Sitte, mit Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste
+Verfassung der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit
+der roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die aehnliche
+Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie die roemischen;
+Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber; fuer die Aehnlichkeit der
+Geschlechterordnung buergt die Analogie des Namensystems, nur dass bei den
+Etruskern die Abstammung von muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als
+im roemischen Recht. Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie
+umschloss nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die
+kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso wie die
+Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand aus zwoelf
+Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den Goetterdienst, und ein
+Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester anerkannten, aber doch im
+wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein scheinen und zum Teil wenigstens
+so maechtig, dass weder eine Hegemonie sich bilden noch die Zentralgewalt zur
+Konsolidierung gelangen konnte. Im eigentlichen Etrurien war die Metropole
+Volsinii; von den uebrigen Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere
+Ueberlieferung nur Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso
+selten, dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte
+selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt regelmaessig
+eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann ins Interesse zieht,
+und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen wird, so schliessen sich
+dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es scheint den etruskischen
+Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen italischen Stammbuenden von Haus
+aus an einer festen und gebietenden Oberleitung gefehlt zu haben.
+10. Kapitel
+Die Hellenen in Italien Seeherrschaft der Tusker und Karthager
+Nicht auf einmal wird es hell in der Voelkergeschichte des Altertums; und
+auch hier beginnt der Tag im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in
+tiefes Werdegrauen eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen
+Becken des Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte
+Kultur ans Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten
+Stadien der Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den Meister und
+Herrn zu finden, ist in hervorragendem Masse auch den Voelkern Italiens zuteil
+geworden. Indes lag es in den geographischen Verhaeltnissen der Halbinsel, dass
+eine solche Einwirkung nicht zu Lande stattfinden konnte. Von der Benutzung des
+schwierigen Landwegs zwischen Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet
+sich nirgends eine Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von
+Italien aus schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die
+aelteste Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der
+Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als Heimat des
+Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich eine andere quer durch
+die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa fuehrende an; aber Elemente der
+Zivilisation konnten von dort her den Italikern nicht zukommen. Es sind die
+seefahrenden Nationen des Ostens, die nach Italien gebracht haben, was
+ueberhaupt in frueher Zeit von auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist.
+Das aelteste Kulturvolk am Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch
+nicht ueber Meer und haben daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig
+aber kann dies von den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die
+von ihrer engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter
+allen bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des
+Fisch- und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, die
+zuerst den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit das Mittelmeer
+bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast an allen Gestaden
+desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische Seestationen: wie in
+Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, Libyen und Spanien, so auch im
+italischen Westmeer. Um ganz Sizilien herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe
+die Griechen dorthin kamen, oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl
+sich festsetzten, die Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre
+Faktoreien gegruendet, des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu
+gewinnen. Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von
+phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige mit
+einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei bei Caere, deren
+Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der kleinen Ortschaft an der
+caeritischen Kueste Punicum, teils in dem zweiten Namen der Stadt Caere selbst,
+Agylla, welcher nicht, wie man fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern
+phoenikisch ist und die "Rundstadt" bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen
+Caere sich darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen es
+an den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall weder
+bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast spurloses
+Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund vor, sie fuer aelter
+zu halten als die gleichartigen hellenischen Ansiedlungen an denselben Gestaden.
+Ein unveraechtliches Anzeichen davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen
+Maenner erst durch Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre
+latinische, der griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren
+alle aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens
+entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der
+phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode
+zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen des
+caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat lag, wenn man sich
+erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich Kuestenfahrt war und blieb,
+den Phoenikern kaum eine Landschaft am Mittelmeer so fern wie der italische
+Kontinent. Sie konnten ihn nur entweder von der griechischen Westkueste oder von
+Sizilien aus erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt
+frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der Adriatischen wie
+der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen unmittelbaren Einfluss der
+Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, ist deshalb kein Grund vorhanden; auf die
+spaeteren Beziehungen der phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer
+zu den italischen Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung
+zurueckkommen.
+Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die
+zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die italischen
+Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher Gegend und zu
+welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin gelangt sind, laesst nur die
+erstere sich mit einiger Sicherheit und Vollstaendigkeit beantworten. Es war das
+aeolische und ionische Gestade Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr
+sich grossartig entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des
+Schwarzen Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des
+Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien geblieben
+ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die Griechen frueher das
+Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken an die einstmalige Entdeckung
+der Sued- und Ostkueste Italiens durch ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste
+griechische Ansiedlung in Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine
+Gruendung der gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach
+glaubwuerdiger hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen
+Phokaeer, die zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald
+folgten auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach:
+Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier,
+Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung Amerikas die
+zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin zu fahren und dort sich
+niederzulassen; wie die Solidaritaet der europaeischen Zivilisation den neuen
+Ansiedlern inmitten der Barbaren deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer
+alten Heimat, so war auch die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im
+Westland kein Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes
+der Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu
+Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und deutsche
+Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch das griechische
+Sizilien und "Grossgriechenland" aus den verschiedenartigsten hellenischen
+Stammschaften oft ununterscheidbar zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser
+einigen mehr vereinzelt stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren
+Pflanzstaedten Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode
+gegruendete Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei
+Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen Staedte
+zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme mit den uebrigen
+griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, in Sizilien Zankle (spaeter
+Messana), Naxos, Katane, Leontini, Himera zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris
+und die Mehrzahl der grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische,
+welcher Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen
+Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen Pflanzstadt
+Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die aeltere
+hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen Einwanderung im
+Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben sich vorzugsweise nur die
+Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie Korinth und Megara, die rein dorischen
+Landschaften dagegen nur in untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn
+die Ionier waren ein altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme aber
+sind erst verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen Bergen in die
+Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten dem Seeverkehr ferner
+geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen Einwanderergruppen
+auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. Die phokaeischen Ansiedler praegen
+nach dem in Asien herrschenden babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte
+folgen in aeltester Zeit dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im
+ganzen europaeischen Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen
+Modifikation desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen
+Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige
+Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt hatte, nur
+dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken vielmehr nach der
+Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der der sizilischen Dorer.
+Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und Ansiedlungen wird wohl fuer
+immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. Zwar eine gewisse Folge darin tritt
+auch fuer uns noch unverkennbar hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen,
+welche, wie der aelteste Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern
+eignet, in den Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das
+oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See
+verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa noch
+von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde nach
+Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen Dichtung
+mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche am fruehesten mit
+dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige Kunde von Sizilien und
+Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter des Ostens konnten, wie
+seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften Orient, ungestoert die leeren
+Raeume des Westens mit ihren luftigen Gestalten erfuellen. Bestimmter treten
+schon in den Hesiodischen Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor;
+sie kennen aus beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und
+Staedten; doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten
+nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte Gestade
+Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. Ebenso laesst die
+Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger Sicherheit sich bestimmen.
+Als die aelteste namhafte Ansiedlung im Westland galt offenbar schon dem
+Thukydides Kyme; und gewiss hat er nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen
+Schiffer mancher Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den
+Barbaren war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt
+urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser Ansiedlung
+leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf dem Festland dazu
+ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die noch heute den
+ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt traegt. Nirgends in Italien sind
+denn auch die Oertlichkeiten der kleinasiatischen Maerchen mit solcher
+Festigkeit und Lebendigkeit lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo
+die fruehesten Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst
+das Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu wandeln
+meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden Aornossee
+zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen Nachbarn der Italiker
+wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb der Name desjenigen italischen
+Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen war, der Name der Opiker, von ihnen
+noch lange Jahrhunderte nachher fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist
+ferner glaublich ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung in
+Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch einen
+betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener Einwanderung wieder
+die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und Naxos auf Sizilien die
+aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in Italien und Sizilien
+gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die achaeischen und dorischen
+Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind.
+Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen auch
+nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung der achaeischen
+Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen Stadt Taras im Jahre 46
+Roms (708) moegen die aeltesten Daten der italischen Geschichte sein, deren
+wenigstens ungefaehre Richtigkeit als ausgemacht angesehen werden kann. Um
+wieviel aber die Ausfuehrung der aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser
+Epoche zurueckliege, ist ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der
+Hesiodischen und gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers
+richtig bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der
+Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle anderen
+der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer die Geschichte
+der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache erwaegt, dass den
+Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der hellenische Stammname
+aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung der Hellenen von dem in
+Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder Graeci entlehnten ^1, wird
+geneigt sein, den fruehesten Verkehr der Italiker mit den Griechen um ein
+bedeutendes hoeher hinaufzuruecken.
+-------------------------------------------
+^1 Ob der Name der Graeker urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland
+und der Gegend von Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das
+Westmeer reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in
+ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des
+eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte Nation
+uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als aelterer
+Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit beiseite geschoben
+und dem hellenischen untergeordnet, welcher letztere bei Homer noch nicht, wohl
+aber, ausser bei Hesiod, schon bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704)
+auftritt und recht wohl noch bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L.
+Duncker, Geschichte des Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also
+bereits vor dieser Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt, dass
+jener in Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der
+griechischen Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei
+nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der
+hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen ist als
+diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer sich fixierte als
+dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den wohlbekannten
+naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es damit vereinigen will, dass
+noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms Italien den kleinasiatischen
+Griechen voellig unbekannt war, ist schwer abzusehen. Von dem Alphabet wird
+unten die Rede sein; es ergibt dessen Geschichte vollkommen die gleichen
+Resultate. Man wird es vielleicht verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin
+die Herodotische Angabe ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es
+etwa keine Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen?
+----------------------------------------
+Die Geschichte der italischen und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil
+der italischen; die hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten
+Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten und Rechten
+der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den verschiedenen Charakter
+der griechischen Ansiedlungen daselbst zu bezeichnen und wenigstens gewisse
+Grundzuege hervorzuheben, durch die der verschiedenartige Einfluss der
+griechischen Kolonisierung auf Italien wesentlich bedingt worden ist.
+Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am
+meisten geschlossene war diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund
+hervorging, welchen die Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion,
+Sybaris mit seinen Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa,
+Terina und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen
+genommen, einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen, dem
+dorischen naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des sonst
+allgemein in Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit an der
+altnationalen hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine besondere
+Nationalitaet den Barbaren wie den andern Griechen gegenueber in einer festen
+buendischen Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer laesst sich
+anwenden, was Polybios von der achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: "nicht
+allein in eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie,
+sondern sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und
+Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter".
+Dieser Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die
+Staedte waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne
+Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den Bruecken seiner
+Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm Milesier und Etrusker. Dagegen
+besassen die Griechen hier nicht bloss die Kuestensaeume, sondern herrschten von
+Meer zu Meer in dem "Wein-" und "Rinderland" (Oinotria, Italia) oder der
+"grossen Hellas"; die eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel
+oder gar in Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit
+die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme und
+fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und Poseidonia
+gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des Krathis und Bradanos
+warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen Ertrag ab - vielleicht ist
+hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut worden. Von der hohen Bluete, zu welcher
+diese Staaten in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die
+einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre Muenzen
+von strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die fruehesten
+Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung erweislich im Jahre
+174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen zeigen, dass die
+Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben um diese Zeit im
+Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern in der Technik
+demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt der dicken, oft nur einseitig
+gepraegten und regelmaessig schriftlosen Silberstuecke, welche um diese Zeit in
+dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern ueblich waren,
+schlugen die italischen Achaeer mit grosser und selbstaendiger Geschicklichkeit
+aus zwei gleichartigen, teils erhaben teils vertieft geschnittenen Stempeln
+grosse duenne, stets mit Aufschrift versehene Silbermuenzen, deren sorgfaeltig
+vor der Falschmuenzerei jener Zeit - Plattierung geringen Metalls mit duennen
+Silberblaettern - sich schuetzende Praegweise den wohlgeordneten Kulturstaat
+verraet.
+Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. In der muehelosen, weder
+durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch durch eigene schwere Arbeit auf
+die Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen frueh die Spannkraft
+des Koerpers und des Geistes. Keiner der glaenzenden Namen der griechischen
+Kunst und Literatur verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren
+unzaehlige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische
+Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der
+Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess die
+strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden frueh ans
+Ruder gekommen war und im Notfall an der Bundesgewalt einen sicheren Rueckhalt
+fand: wohl aber drohte die Verwandlung der Herrschaft der Besten in eine
+Herrschaft der Wenigen, vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in den
+verschiedenen Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig sich
+aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des Pythagoras
+bezeichnete solidarische Verbindung der "Freunde", sie gebot, die herrschende
+Klasse "gleich den Goettern zu verehren", die dienende "gleich den Tieren zu
+unterwerfen", und rief durch solche Theorie und Praxis eine furchtbare Reaktion
+hervor, welche mit der Vernichtung der pythagoreischen "Freunde" und mit der
+Erneuerung der alten Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden,
+Massenerhebungen der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische
+Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten
+Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, bis ihre
+politische Macht darueber zusammenbrach.
+Es ist danach nicht zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die
+daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die
+uebrigen griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus
+ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als den
+Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die Eingeborenen und
+zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne doch den Italikern durch
+vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu eroeffnen. So ist in Sybaris und
+Metapont, in Kroton und Poseidonia das griechische Wesen, das sonst allen
+politischen Missgeschicken zum Trotz sich lebenskraeftig zu behaupten wusste,
+schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet,
+und die zwiesprachigen Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der
+eingeborenen Italiker und der Achaeer und den juengeren Einwanderern
+sabellischer Herkunft hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig
+gelangt. Indes, diese Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende Periode.
+Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen
+der uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn
+keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer
+Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art an einer
+befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle diese Staedte
+zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und darum denn auch, ganz
+abweichend von den achaeischen, durchgaengig an den besten Haefen und
+Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, die Veranlassung und die Epoche dieser
+Gruendungen waren mannigfach verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine
+gewisse Gemeinschaft - so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch
+gewisser moderner Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der
+Sprache, der auch in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel
+Kyme ^3, von Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die
+Entwicklung Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade
+wichtig geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend
+in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des dorischen Tarent
+und des ionischen Kyme.
+-------------------------------------------------
+^2 So sind die drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als
+leicht zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen
+vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder ausschliesslich
+oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, waehrend die uebrigen Griechen
+Italiens und Siziliens ohne Unterschied des Stammes sich ausschliesslich oder
+doch sehr vorwiegend der juengeren Formen bedient haben.
+^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Tongefaess Tataies emi
+leyqthos. Fos d'an me klephsei th?phlos estai.
+---------------------------------
+Den Tarentinern ist unter allen hellenischen Ansiedlungen in Italien die
+glaenzendste Rolle zugefallen. Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der
+ganzen Suedkueste, machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepot fuer den
+sueditalienischen Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem
+Adriatischen Meer. Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und
+Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft der
+tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte - beide
+Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos -,
+beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch den
+Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im griechischen
+Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen Muenzen sind noch
+heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften tarentinischen Verkehrs.
+Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit Sybaris um den ersten Rang unter den
+unteritalischen Griechenstaedten rang, muessen seine ausgedehnten
+Handelsverbindungen sich angeknuepft haben; indes auf eine wesentliche
+Erweiterung ihres Gebietes nach Art der achaeischen Staedte scheinen die
+Tarentiner nie mit dauerndem Erfolg ausgegangen zu sein.
+Wenn also die oestlichste der griechischen Ansiedlungen in Italien rasch
+und glaenzend sich emporhob, so gediehen die noerdlichsten derselben am Vesuv zu
+bescheidnerer Bluete. Hier waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus
+die Kymaeer auf das Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart
+am Meere eine zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia
+(spaeter Puteoli), und weiter die "Neustadt" Neapolis gegruendet wurden. Sie
+lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und Sizilien, nach
+den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650) festgestellt hatte, in
+einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus gemaessigten Verfassung, welche
+die Macht in die Haende eines aus den Reichsten erlesenen Rates von Mitgliedern
+legte - eine Verfassung, die sich bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten
+Usurpatoren wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren
+Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus Zwang oder
+aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt auf einen engen
+Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und unterdrueckend gegen die
+Eingeborenen auftraten, sondern friedlich mit ihnen handelten und verkehrten,
+erschufen sie sich selbst eine gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den
+ersten Platz unter den Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein.
+Wenn zu beiden Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die
+ganze suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere oestliche
+Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so gestalteten dagegen auf
+der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv und auf der ganzen Ostkueste die
+Verhaeltnisse sich wesentlich anders. An dem dem Adriatischen Meer zugewandten
+italischen Gestade entstanden griechische Ansiedlungen nirgends; womit die
+verhaeltnismaessig geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der
+griechischen Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und den
+zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich zusammenhaengt. Zwar
+wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser Kueste zwei ansehnliche
+Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt Durazzo; 127 587) und Apollonia
+(bei Avlona; um 167 627) noch waehrend der roemischen Koenigsherrschaft
+gegruendet; aber weiter noerdlich ist, mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden
+Niederlassung auf Schwarzkerkyra (Curzola; um 174? 580) keine alte griechische
+Ansiedlung nachzuweisen. Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die
+griechische Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat,
+wohin doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat
+seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach Rom (um
+44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein Handelszug bestand,
+dessen Entrepots auf der italischen Kueste die Staedte an der Pomuendung, Spina
+und Atria, waren. Die Stuerme der Adriatischen See, die Unwirtlichkeit
+wenigstens der illyrischen Kuesten, die Wildheit der Eingeborenen reichen
+offenbar allein nicht aus, um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist
+es von den wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden Elemente der
+Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften einwirkten,
+sondern erst aus den westlichen in diese gelangten. Selbst in den Handelsverkehr
+teilte sich mit Korinth und Kerkyra die oestlichste Kaufstadt
+Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch den Besitz von Hydrus
+(Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf der italischen Seite
+beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung an der ganzen Ostkueste
+nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht bestanden - Ankons Aufbluehen faellt
+in weit spaetere Zeit und noch spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es
+wohl begreiflich, dass die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in
+Tarent loeschten. Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit
+Apulien; auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im
+Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die ersten
+Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer spaeteren
+Epoche.
+Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich vom Vesuv in aeltester
+Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf den Inseln und Landspitzen
+hellenische Faktoreien bestanden, laesst sich nicht bezweifeln. Wohl das
+aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die Lokalisierung der Odysseussage an den
+Kuesten des Tyrrhenischen Meeres ^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des
+Aeolos wiederfand, wenn man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am
+Misenischen die der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das
+ragende Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn
+bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne des
+Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, im "innersten
+Winkel der heiligen Inseln" die Tyrrhener beherrschen oder in einer juengeren
+Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke, Auson der Sohn des Odysseus
+und der Kalypso heisst, so sind das alte Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer,
+welche der lieben Heimat auf der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe
+herrliche Lebendigkeit der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den
+Fahrten des Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung
+derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der kymaeischen
+Schiffer.
+-------------------------------------------
+^4 Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische
+Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische 'Theogonie' in einem ihrer
+juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor
+Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und der
+sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an, wo Italien
+den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher sehr alt; und es
+kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen mit Sicherheit in die
+roemische Koenigszeit gesetzt werden.
+-------------------------------------------
+Andere Spuren dieser aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der
+Insel Aethalia (Ilva, Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von
+Griechen besetzten Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des
+Hafenplatzes Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der
+caeritischen Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss
+die Namen unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die
+eigentuemliche, von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen Stadtmauern
+sich wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern von Pyrgi. Aethalia, "die
+Feuerinsel", mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben mag in diesem
+Verkehr die erste Rolle gespielt und hier die Altsiedlung der Fremden wie ihr
+Verkehr mit den Eingeborenen seinen Mittelpunkt gehabt haben; um so mehr als das
+Schmelzen der Erze auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit
+dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia auf der
+Elba gegenueberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt
+und von ihnen in Betrieb genommen.
+Wenn die Fremden, wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See-
+und Landraub obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit
+sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven fortzufuehren,
+so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das Vergeltungsrecht aus; und dass
+die Latiner und Tyrrhener dies mit groesserer Energie und besserem Glueck getan
+haben als ihre sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an,
+sondern vor allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich
+der Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte und
+Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch Herren ihrer
+eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die sueditalischen Staemme
+erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker Mittelitaliens, freilich sehr
+wider den Willen der Lehrmeister, zur Seefahrt und zur Staedtegruendung
+angeleitet. Hier zuerst muss der Italiker das Floss und den Nachen mit der
+phoenikischen und griechischen Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst
+begegnen grosse Kaufstaedte, vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am
+Tiber, die, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung
+vom Meere zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte an der
+Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum, sicher keine
+griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den geschichtlichen Verlauf
+dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet gegen fremden Eingriff
+darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande; wohl aber laesst es noch
+sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung Italiens von der groessten
+Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium und im suedlichen Etrurien einen
+andern Gang genommen hat als in der eigentlichen tuskischen und den sich daran
+anschliessenden Landschaften.
+Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem "wilden Tyrrhener" den
+Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche Gestade
+an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint sein, dass man die
+griechische Kolonisierung in einigen Landschaften Mittelitaliens geduldet, in
+andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts vom Vesuv hat ueberhaupt in
+geschichtlicher Zeit nirgends eine unabhaengige griechische Gemeinde bestanden,
+und wenn Pyrgi dies einmal gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn
+unserer Ueberlieferung in die Haende der Italiker, das heisst der Caeriten
+zurueckgekehrt sein. Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium und ebenso an der
+Ostkueste der friedliche Verkehr mit den fremden Kaufleuten geschuetzt und
+gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem merkwuerdig ist die Stellung
+von Caere. "Die Caeriten", sagt Strabon, "galten viel bei den Hellenen wegen
+ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit, und weil sie, so maechtig sie waren, des
+Raubes sich enthielten." Nicht der Seeraub ist gemeint, den der caeritische
+Kaufmann wie jeder andere sich gestattet haben wird; sondern Caere war eine Art
+von Freihafen fuer die Phoeniker wie fuer die Griechen. Wir haben der
+phoenikischen Station - spaeter Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und
+Alsion bereits gedacht; diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich
+enthielten, und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine
+schlechte Reede besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher
+Bluete gelangt ist und fuer den aeltesten griechischen Handel noch groessere
+Bedeutung gewonnen hat als die von der Natur zu Emporien bestimmten Staedte der
+Italiker an den Muendungen des Tiber und des Po. Die hier genannten Staedte sind
+es, welche in uraltem religioesen Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste
+unter allen Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische
+Koenig Arimnos, vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem
+Tempel des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem
+Verkehr stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der aeltesten
+caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische Heiligtum sowohl
+wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, wo die Italiker friedlich
+schalteten und mit dem fremden Kaufmann freundlich verkehrten, wurden vor allen
+reich und maechtig und wie fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime
+der hellenischen Zivilisation die rechten Stapelplaetze.
+Anders gestalteten sich die Verhaeltnisse bei den "wilden Tyrrhenern".
+Dieselben Ursachen, die in der latinischen und in den vielleicht mehr unter
+etruskischer Suprematie stehenden als eigentlich etruskischen Landschaften am
+rechten Tiberufer und am unteren Po zur Emanzipierung der Eingeborenen von der
+fremden Seegewalt gefuehrt hatten, entwickelten in dem eigentlichen Etrurien,
+sei es aus anderen Ursachen, sei es infolge des verschiedenartigen, zu Gewalttat
+und Pluenderung hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub und die eigene
+Seemacht. Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus Aethalia und Populonia
+zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward, wie es scheint, hier nicht
+geduldet, und bald durchstreiften sogar etruskische Kaper weithin die See und
+machten den Namen der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache
+galt diesen der Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die
+Griechen das italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem
+diese wilden Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, zeigt
+am deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und kampanischen Kueste.
+Zwar behaupteten im eigentlichen Latium sich die Latiner und am Vesuv sich die
+Griechen; aber zwischen und neben ihnen geboten die Etrusker in Antium wie in
+Surrentum. Die Volsker traten in die Klientel der Etrusker ein; aus ihren
+Waldungen bezogen diese die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der
+Antiaten erst die roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es
+wohl, warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das
+laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch steileren,
+aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der Buchten von Neapel
+und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende Korsarenwarte, wurde frueh
+von den Etruskern in Besitz genommen. Sie sollen sogar in Kampanien einen
+eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet haben und etruskisch redende Gemeinden
+haben hier noch in vollkommen historischer Zeit im Binnenlande bestanden;
+wahrscheinlich sind diese Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft
+der Etrusker im kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am
+Vesuv hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf Raub
+und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen Staedten zeugen
+namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens vom Jahre 200 der Stadt
+(550) an die etruskischen Staedte, besonders Populonia, nach griechischem Muster
+und auf griechischen Fuss geschlagen haben; dass dieselben nicht den
+grossgriechischen, sondern vielmehr attischen, ja kleinasiatischen Stempeln
+nachgepraegt wurden, ist uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche
+Stellung der Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich
+fuer den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit vorteilhafteren
+als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend geboten sie am westlichen
+ueber den grossen italischen Freihafen, am oestlichen ueber die Pomuendung und
+das Venedig jener Zeit, ferner ueber die Landstrasse, die seit alter Zeit von
+Pisa am Tyrrhenischen nach Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in
+Sueditalien ueber die reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die
+wichtigsten italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das
+volaterranische und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der
+Ostsee ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie,
+gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel emporkommen;
+und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der etruskische und
+milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener Verbindung von Kaperei und
+Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus entsprang, in welchem Etruriens Kraft
+frueh sich selber verzehrt hat.
+Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die
+Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden, so
+griff dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in diejenige Rivalitaet
+ein, die damals Handel und Schiffahrt auf dem Mittellaendischen Meere vor allem
+beherrschte: in die Rivalitaet der Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht
+dieses Orts, im einzelnen darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit
+diese beiden grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in
+Griechenland und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen,
+spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft rangen;
+unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht gekaempft, aber die
+Folgen derselben doch auch in Italien tief und nachhaltig empfunden. Die frische
+Energie und die universellere Begabung des juengeren Nebenbuhlers war anfangs
+ueberall im Vorteil; die Hellenen entledigten sich nicht bloss der phoenikischen
+Faktoreien in ihrer europaeischen und asiatischen Heimat, sondern verdraengten
+die Phoeniker auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten und Kyrene und
+bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen Haelfte der
+sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen Handelsplaetze der
+energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward auch im westlichen Sizilien
+Selinus (126 628) und Akragas (174 580) gegruendet, schon von den kuehnen
+kleinasiatischen Phokaeern die entferntere Westsee befahren, an dem keltischen
+Gestade Massalia erbaut (um 150 600) und die spanische Kueste erkundet. Aber
+ploetzlich, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der
+hellenischen Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses
+Stockens der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den
+Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die maechtigste
+ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die den Seeverkehr auf
+dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch den juengeren Rivalen auch
+bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft ueber die Westsee, dem Besitze
+beider Verbindungsstrassen zwischen dem oestlichen und dem westlichen Becken des
+Mittelmeeres und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient und
+Okzident, so konnte doch wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von
+Sardinien und Sizilien noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren
+Behauptung setzte Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche
+zaehe und umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand
+der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren
+phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides schildert,
+waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich ausgedehnte
+Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen Festungen. Hatten bisher
+die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt den Griechen gegenuebergestanden,
+so zentralisierte jetzt die maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze
+Wehrkraft ihrer Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische
+Geschichte nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das
+wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge
+Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu
+erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier und
+Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen Ansiedlungen auf
+Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten, wurden sie durch die
+Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker wieder von dort vertrieben.
+Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia (Aleria) auf Korsika Caere
+gegenueber niederliessen, erschien, um sie von dort zu vertreiben, die
+vereinigte Flotte der Etrusker und der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark;
+und obwohl in dieser Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt
+- die nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so
+erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff bezweckt
+hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber an der weniger
+ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich nieder. Ein Traktat
+zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss die Regeln ueber Wareneinfuhr
+und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch ein Waffenbuendnis (symmachia) ein,
+von dessen ernstlicher Bedeutung eben jene Schlacht von Alalia zeugt.
+Charakteristisch ist es fuer die Stellung der Caeriten, dass sie die
+phokaeischen Gefangenen auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den
+Frevel zu suehnen, den delphischen Apoll beschickten.
+Latium hat dieser Fehde gegen die Hellenen sich nicht angeschlossen;
+vielmehr finden sich in sehr alter Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu
+den Phokaeern in Hyele wie in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar
+gemeinschaftlich mit den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere
+Saguntum gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf die
+Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen
+zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den Latinern
+und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern durch Vermittlung
+der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, ihn stets mit dem
+griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder den Namen der Stadt
+Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den Griechen entlehnt haben,
+dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern mit dem ebenfalls die griechische
+Vermittlung ausschliessenden Namen der sarranischen bezeichnet werden ^7,
+beweist ebenso wie die spaeteren Vertraege den alten und unmittelbaren
+Handelsverkehr zwischen Latium und Karthago.
+------------------------------------------------
+^5 Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago.
+^6 Der Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio
+Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich stammverwandt mit
+dem der Hebraeer.
+^7 Sarranisch heissen den Roemern seit alter Zeit der tyrische Purpur und
+die tyrische Floete, und auch als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem
+Hannibalischen Krieg in Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende
+Stadtname Sarra ist wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen
+Namen Sor gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern
+nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K. Movers, Die
+Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174.
+--------------------------------------------
+Der vereinigten Macht der Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die
+westliche Haelfte des Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der
+nordwestliche Teil von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos an
+der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im unmittelbaren
+oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des Kyros und Kroesos, eben
+als der weise Bias die Ionier zu bestimmen suchte, insgesamt aus Kleinasien
+auswandernd in Sardinien sich niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der
+karthagische Feldherr Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der
+wichtigen Insel mit Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das
+ganze Gestade Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen Gemeinde.
+Korsika dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern zu und die
+Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel, dem Pech,
+Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in den Gewaessern westlich
+von Sizilien und Sardinien herrschten die verbuendeten Etrusker und Karthager.
+Zwar gaben die Griechen den Kampf nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen
+Rhodier und Knidier setzten auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich
+fest und gruendeten hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh trotz
+seiner Isolierung und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis nach den
+Pyrenaeen. An den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt Rhoda
+(jetzt Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich angesiedelt,
+ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten geherrscht
+haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer die Hellenen vorbei; nach
+Akragas' Gruendung sind ihnen bedeutende Gebietserweiterungen am Adriatischen
+wie am westlichen Meer nicht mehr gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der
+Atlantische Ozean blieben ihnen verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die
+Liparaeer mit den tuskischen "Seeraeubern", die Karthager mit den Massalioten,
+den Kyrenaeern, vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner Seite
+hin ward ein dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der Jahrhunderte
+langen Kaempfe war im ganzen die Aufrechterhaltung des Status quo.
+So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern es zu danken,
+dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften nicht kolonisiert
+wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine nationale Seemacht ins Leben
+trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren, dass die Phoeniker es schon der Muehe
+wert fanden, wenn nicht gegen die latinischen, doch wenigstens gegen die
+seemaechtigeren etruskischen Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln,
+die aller Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den
+Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den
+Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden
+rivalisierenden Interessen.
+11. Kapitel
+Recht und Gericht
+Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu
+machen, vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die
+Entwicklung der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken
+und Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes
+beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der Versuch,
+diese Zustaende, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben
+fuer diese aelteste, geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen
+notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der
+alten Kulturvoelker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum
+Bewusstsein bringen laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten
+Voelkernamen und getruebten Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir
+muehsam begreifen, dass sie einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche
+Rede durch diese saeuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner
+und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser
+schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im
+Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgepraegt, wie man
+gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern kam und die
+weiteren Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser Wissen ist, schon
+fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der Sabeller und das etruskische, so
+wird doch selbst die geringe und lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens
+eine Anschauung oder doch eine Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen
+Betrachtung, um dies gleich hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich
+zusammenfassen, dass bei den Italikern und insbesondere bei den Roemern von den
+urzeitlichen Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei
+irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, Streitwagen,
+Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau, primitive Bestattungsform,
+Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende Geschlechtsverfassung, lebendiger
+Natursymbolismus - alle diese und unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen
+wohl auch als Grundlage der italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber
+wo diese uns zuerst anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos
+verschwunden, und nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber
+ihr einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte bei
+einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die griechische und
+deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen Charakter.
+Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen: nur
+von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung einige Kunde
+auf uns gekommen.
+Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem
+Koenig, welcher Gericht oder "Gebot" (ius) haelt an den Spruchtagen (dies fasti)
+auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem Wagenstuhl
+(sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor ihm der
+Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber die Knechte
+der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste maennliche
+Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst nicht als Glieder der
+Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte die
+hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine
+eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des
+dem Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen
+Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der
+koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur.
+Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich
+vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die
+Toetung des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die
+Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon
+bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die Blutrache
+in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt unterdrueckt
+worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den Genossen und dem
+Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem deutschen Recht zukommt, in dem
+aeltesten roemischen etwas wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in
+jenem so haeufig ist, dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den
+Waffen in der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig
+behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess, je nachdem
+der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten einschreitet. Zu
+jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen ist, also vor allen Dingen
+im Falle des Landesverrats oder der Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio)
+und der gewaltsamen Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der
+arge Moerder (parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen
+oder Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch
+boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Goetter und
+des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den
+gemeinen Frieden und werden deshalb dem Hochverraeter gleich geachtet. Den
+Prozess eroeffnet und leitet der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit
+den zugezogenen Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei,
+nachdem er den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die
+Urteilsfaellung an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat
+genommen werden; die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die
+Zweimaenner fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die
+spaeteren staendigen Stellvertreter, die "Mordspuerer" (quaestores parricidii),
+denen zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse
+polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber
+wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist Regel,
+doch kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung zur
+Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer ueberwiesen ist,
+den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem Leben; die
+Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen
+gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt. Begnadigen
+kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig aber kann dem
+Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) gestatten oder
+verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine Begnadigung des verurteilten
+Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall
+tut, darf an demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus
+betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher
+geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der
+Vesta zufaellig begegnet.
+------------------------------------------
+^1 Dieser "Wagenstuhl" - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht wohl
+moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in der Weise
+erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt war, woher das
+Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche Gelegenheiten blieb, und
+dass er urspruenglich, solange es noch kein erhoehtes Tribunal gab, auf dem
+Comitium oder wo er sonst wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach.
+^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23,
+24) sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte ermordet
+haetten; dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht
+geweigert habe; dass dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus
+die Moerder des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass
+aber infolge goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener Strafgerichte
+sowohl die ersten als die zweiten Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich
+zur gerechten Strafe gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine
+Historisierung der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der
+Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden
+Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber auch
+verwirrt oder zurechtgemacht.
+------------------------------------------------
+Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt
+der Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name
+multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner
+Hand.
+In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine Friede
+verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher
+den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter Gewalt zwingt, sich mit ihm
+persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind beide Parteien erschienen und hat der
+Klaeger die Forderung muendlich vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in
+gleicher Weise verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen
+oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die
+regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich
+zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein,
+wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne
+(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder seine
+gerechte Forderung nicht erfuellt ward.
+Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war
+und wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht
+bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat
+ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die Erbitterung,
+welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen diesen. Erschien
+der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht imstande, die von dem
+Beschaedigten geforderte und von dem Richter gebilligte Schaetzung zu erlegen,
+so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zugesprochen.
+Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den
+leichteren Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen
+durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge
+fordern und Zahn um Zahn.
+Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in
+Feldgemeinschaft benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt
+worden ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem "Sklaven-
+und Viehstand" (familia pecuniaque) entwickelt. Als Rechtsgrund desselben gilt
+nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles
+Eigentum als dem einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben
+und Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in
+dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. Alles
+Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen
+wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit
+ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und
+kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das
+vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die
+Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche
+Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch
+versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein
+Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den
+Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen Beschraenkungen
+des Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem
+erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die Einrichtung,
+wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und seine Kinder desselben
+beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter Vormundschaft gesetzt
+ward, wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst
+aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere
+Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden
+Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers und
+Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen Recht
+miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit
+Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten,
+durchaus nicht zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich
+unmoeglich; anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient die
+sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den Glaeubiger
+gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort (fiducia) gibt,
+bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu veraeussern und sie nach
+Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem Schuldner zurueckzustellen.
+Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die
+Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten
+(praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen die
+Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen Anspruch auf
+Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach
+kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig
+hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. Rechtlich
+klagbar sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die
+versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner
+der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich
+abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die
+Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den bedungenen
+Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das Kupfer anstatt der
+Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser geworden war, geschah durch
+Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer auf der von einem Unparteiischen
+richtig gehaltenen Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer
+dafuer einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der
+Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls buesst er
+dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet haette. Immer aber
+bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug um Zug beiderseits erfuellt
+war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum und begruendet keine Klage. In
+aehnlicher Art wird das Darlehen eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner
+vor Zeugen die bedungene Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur
+Rueckgabe zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu
+entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das Jahr zehn
+Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die
+Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat gegenueber seine
+Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit allem, was er hatte,
+verkauft; dass der Staat forderte, genuegte zur Konstatierung der Schuld. Ward
+dagegen von einem Privaten die Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig
+angezeigt (vindiciae), oder erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens
+nicht, so kam es darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte,
+was bei Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was
+bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen leicht
+bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des Sachverhaeltnisses geschah in
+Form einer Wette, wobei jede Partei fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz
+(sacramentum) machte: bei wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen
+von fuenf Rindern, bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied
+sodann, wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei
+den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht
+gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage hatte
+verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand,
+also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern er nicht Zeugen fuer die
+Rueckzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren "durch Handanlegung" (manus
+iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht
+stellte, lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der
+Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten und
+diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren
+eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persoenlich
+verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der Proletarier
+nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch Vertretung ein, so
+sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn
+abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage
+verstrichen, war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt
+ausgestellt und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und dies
+alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu toeten
+und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner
+Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven
+Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der roemischen
+Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave werden. So ward
+Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den Dieb und
+Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den zahlungsunfaehigen
+Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.
+-------------------------------------------------
+^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als
+die Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums
+gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die Tradition
+angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht. Ihrem
+Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie passt
+zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand erworben werden
+und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das Vermoegen
+wesentlich in Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung
+derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird demnach eine
+Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch der Gebrauch
+der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die Manzipation
+urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen Reform bei
+allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete die
+Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, dass nur
+diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten.
+^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des Kapitals
+(uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das zwoelfmonatliche zehn
+vom Hundert.
+---------------------------------------------
+Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur
+Schirmung des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der
+Wahnsinnigen und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der
+Hut desselben berief.
+Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle
+Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die Witwe mit den
+Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren von der gesetzlichen
+Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem
+Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist;
+indes scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig geworden zu sein, und wo
+sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem jeden ueber
+sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermassen
+abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen einem Freund uebertrug, der
+dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen gemaess verteilte.
+Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte
+freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen
+dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger
+Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren
+der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die
+Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem
+Herrn nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach
+Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo
+sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber
+anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. Eine
+eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch nicht - der
+beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht gegeben haben kann -,
+sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt, welche das Recht sonst darbot:
+das Testament, der Prozess, die Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung
+seines letzten Willens in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte
+oder wenn er dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die
+Freiheit anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu
+lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als frei
+selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach anfangs als
+Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere Schwierigkeiten als die
+Freilassung des Knechts stiess diejenige des Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis
+des Herrn zum Knecht zufaellig und darum willkuerlich loesbar ist, so kann der
+Vater nie aufhoeren Vater zu sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem
+Vater sich zu loesen, erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser
+entlassen zu werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine
+Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben.
+Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten,
+zwischen denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige privatrechtliche
+Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen
+Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie
+seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht erworben
+wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das Grundstueck, das
+ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische Buerger wohl faktisch
+gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer gelten; denn die
+Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne Buerger nicht befugt. Anders
+ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht,
+bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und
+hier haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder
+zurueckzunehmen.
+Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere
+Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der roemischen
+gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige Buendnis zwischen Rom und
+Latium alle Vertraege zwischen Roemern und Latinern fuer rechtsgueltig und
+verordnete zugleich fuer diese einen beschleunigten Zivilprozess vor
+geschworenen "Wiederschaffern" (reciperatores), welche, da sie, gegen den
+sonstigen roemischen Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu
+uebertragen, immer in der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein
+aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und
+Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages
+und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die Formen, in
+denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, waren natuerlich
+die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer miteinander verkehrten;
+denn die Manzipation und das Nexum sind urspruenglich gar keine Formalakte,
+sondern der praegnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte
+wenigstens so weit man lateinisch sprach.
+In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem eigentlichen
+Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit den Caeriten und
+anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr und Rechtsfolge
+abgeschlossen und die Grundlage des internationalen Privatrechts (ius gentium)
+geworden sein, das sich in Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat.
+Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der "Wandel" (von
+mutare; wie dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf
+einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des Schuldners,
+sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer Hand in die andere beruht
+und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem
+einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, dass das Wort
+als moiton im sizilischen Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das
+Wiedererscheinen des lateinischen carcer in dem sizilischen karkaron. Da es
+sprachlich feststeht, dass beide Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird
+ihr Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den
+haeufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie
+veranlasste, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in den
+aelteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, sich zu
+unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen Gefaengnisses,
+"Steinbrueche" oder latomiai, in alter Zeit auf das erweiterte roemische
+Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen.
+Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser
+Institutionen, die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes
+Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten Aufzeichnung des
+roemischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Koenigszeit sich
+wohl fuer einzelne Punkte, aber nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen
+wir darin das Recht einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als
+konsequenten Acker- und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache,
+wie zum Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig
+verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den
+Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer sind zum
+Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach roemischer wie nach
+deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd erscheinen musste, und vor allem
+die uralte latinische Formel der Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch
+bei den Kelten und den Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das "reine Kraut"
+(herba pura, fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der
+angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen Ausnahmen
+aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen Gebraeuche schuetzten
+- dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch das Fetialenkollegium
+namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das roemische Recht, das wir
+kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und fordert in allen Faellen nicht
+mehr und nicht weniger als den vollen und reinen Ausdruck des Willens. Die
+Uebergabe der Sache, die Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind
+vollzogen, so wie die Parteien die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert
+haben; es ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu
+geben, den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu
+verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzufuehren; aber
+alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem roemischen Landrecht
+rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus der Religion alle
+Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward, wurde auch aus dem
+Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist hier jener aelteste
+Zustand, den die hellenischen wie die germanischen Institutionen uns darstellen,
+wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der Autoritaet der kleineren, in die
+Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gaenzlich
+beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergaenzung der
+unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine
+ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung des einzelnen
+beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl einmal bei den
+Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sakralrechts,
+zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger den naechsten
+Verwandten des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich
+finden; allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken
+erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar vernichtet
+ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; aber die
+ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet ist durch
+sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der Staat dem Buerger
+gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund ist ueberall der Staat: die
+Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn;
+alles Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung
+von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde
+in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es
+bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des oeffentlichen und des
+Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat, welche
+unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer Lebensstrafe nach sich
+ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder den Gast, welche zunaechst auf
+dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder Befriedigung des Verletzten erledigt
+und niemals mit dem Leben gebuesst werden, sondern hoechstens mit dem Verlust
+der Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung des
+Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in
+Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge Wechselprozess
+zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr
+vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende Rechtsgleichheit auch
+dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den Maennern voellig auf
+eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt sind; ja der kaum
+erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht ueber sein
+Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist in seinem Kreise so souveraen,
+wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst charakteristisch ist das
+Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, sondern anstatt der
+Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage das Hypothekarverfahren
+schliesst, der Uebergang des Eigentums vom Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen
+ist der persoenliche Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen
+ausschweifendsten Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt,
+den zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und ihm
+dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott ausbedingt, hier
+in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den Punkt wegen des
+Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es der Jude tat. Deutlicher
+konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass es zugleich unabhaengige, nicht
+verschuldete Bauernwesen und kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles
+Scheineigentum aber wie alle Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu
+unterdruecken beabsichtige. Nimmt man dazu das frueh anerkannte
+Niederlassungsrecht saemtlicher Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene
+Gueltigkeit der Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das
+Hoechste von seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des
+einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm, dies nur
+tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs selber niederwarf und
+die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie beschraenkte. Gestattend oder
+hemmend tritt das Recht stets unbedingt auf: wie der unvertretene Fremde dem
+gehetzten Wild, so steht der Gast dem Buerger gleich; der Vertrag gibt
+regelmaessig keine Klage, aber wo das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da
+ist es so allmaechtig, dass dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine
+menschliche und billige Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das
+Recht eine Freude daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die
+aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam
+dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, die gemuetliche
+Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten, sind
+dem Roemer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein Symbol
+angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles Noetige wird
+vollzogen ohne Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert
+werden kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts, den zu gewinnen andere
+Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber es ist schrecklich, dies Recht
+mit seiner unerbittlichen Strenge, die man sich nicht allzusehr gemildert denken
+darf durch eine humane Praxis, denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die
+Bleidaecher und die Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der
+Arme in den Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die
+Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein Recht
+gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze der Freiheit
+und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge unverfaelscht und
+ungemildert walteten und heute noch walten.
+12. Kapitel
+Religion
+Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher angedeutet ward,
+hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem hoeheren und
+idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine wie
+das Grosse wiederholte. Der Staat und das Geschlecht, das einzelne Naturereignis
+wie die einzelne geistige Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja
+jede Handlung innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen
+Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im ewigen
+Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis. Der Schutzgeist,
+der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht laenger als diese Handlung
+selbst, der Schutzgeist des einzelnen Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen;
+und nur insofern kommt auch diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche
+Handlungen und gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer
+aufs neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten ueber
+jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff auch der
+Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott entgegentreten mag, so
+koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten dennoch durch Gemeindebeschluss in
+Rom eingebuergert werden, und wenn aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom
+uebersiedelten, wurden auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue
+Staette sich zu bereiten.
+Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder Beruehrung mit
+den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem Verzeichnis der
+oeffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae) der roemischen Gemeinde,
+das in dem Kalender derselben erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus dem
+roemischen Altertum auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben
+nehmen die Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem
+Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig, ausserdem die
+saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter noch zu erwaehnende Tage;
+seinem Widerspiel, dem "boesen Jovis" (Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia)
+gewidmet. Dem Mars dagegen gehoert das Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das
+grosse Kriegerfest in diesem, von dem Gotte selbst benannten Monat, das,
+eingeleitet durch das Pferderennen (equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an
+den Tagen des Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), des
+Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der Drommetenweihe
+(tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie, wenn ein Krieg zu fuehren
+war, derselbe mit diesem Feste begann, so folgte nach Beendigung des Feldzuges
+im Herbst wiederum eine Marsfeier, das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19.
+Oktober). Dem zweiten Mars endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar
+(Quirinalia) eigen. Unter den uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und
+Weinbau bezueglichen die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine
+untergeordnete Rolle spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse Reihe der
+Fruehlingsfeste im April, wo am 15. der Tellus, das ist der naehrenden Erde
+(fordicidia, Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der Ceres, das ist der
+Goettin des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann am 21. der befruchtenden
+Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter als dem Schuetzer der Reben
+und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden Faesser von der vorjaehrigen Lese
+(Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia)
+Opfer dargebracht werden. Ebenso wird nach vollendeter Arbeit und gluecklich
+eingebrachtem Feldersegen dem Gott und der Goettin des Einbringens und der
+Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops ein Doppelfest gefeiert: zunaechst
+unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21. August, Consualia; 25. August,
+Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen der Speicher vor allem offenbar
+wird (15. Dezember, Consualia; 19. Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren
+beiden Feiertagen die sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest der
+Aussaat (Saturnalia von Saturnus oder Saturnus, 17. Dezember), einschaltete.
+Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest (meditrinalia, 11. Oktober), so
+benannt, weil man dem jungen Most heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem
+Weingott nach vollendeter Lese dargebracht, waehrend die urspruengliche
+Beziehung des dritten Weinfestes (Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen
+Festen kommen weiter am Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar)
+der Hirten zu Ehren des guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest
+(Terminalia, 23. Februar) der Ackerbauer, ferner das zweitaegige sommerliche
+Hainfest (Lucaria, 19., 21. Juli) das den Waldgoettern (Silvani) gegolten haben
+mag, die Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kuerzesten Tages,
+der die neue Sonne herauffuehrt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember).
+Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das fuer die Hafenstadt
+Latiums sich nicht anders erwarten laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der
+See (Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17. August) und des
+Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in
+diesem Goetterkreis nur vertreten durch den Gott des Feuers und der
+Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag
+(Volcanalia, 23. August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium,
+23. Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis
+(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die Goettin der
+Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als Schuetzerin der Geburten
+verehrt ward.
+Dem haeuslichen und Familienleben ueberhaupt galten das Fest der Goettin
+des Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der Penaten
+(Vestalia, 9. Juni); das Fest der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das
+Fest des Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz),
+das Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige
+Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die buergerlichen
+Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht klaren Festtage der
+Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5.
+Juli), von denen wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das
+Fest der sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem
+Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) gewidmet.
+Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter und der Acca
+Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest (23. Dezember),
+sind ihrem Wesen nach verschollen.
+-----------------------------------------------
+^1 Das ist allem Anschein nach das urspruengliche Wesen der "Morgenmutter"
+oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass, wie die
+Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die Morgenstunde fuer die Geburt
+als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin ist die Mater matuta wohl
+erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus geworden; schon dass die
+Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt ward, spricht dagegen, sie
+urspruenglich als Hafengoettin zu fassen.
+-----------------------------------------------
+Diese Tafel ist vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste;
+und wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit
+Wandel- und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde,
+in dem, was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in eine
+sonst fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der
+altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits erfolgt, als diese
+Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch
+stand der kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen
+Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet;
+noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss des
+roemischen, sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen
+Epoche, wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war
+allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, vorwiegend
+gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind niederwerfende
+goettliche Vorfechter der Buergerschaft - natuerlich in der Art, dass eine jede
+Gemeinde ihren eigenen Mars besass und ihn fuer den staerksten und heiligsten
+unter allen achtete, demnach auch jeder zu neuer Gemeindebegruendung
+auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist
+sowohl in der - sonst goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch
+wahrscheinlich in den saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der
+erste Monat geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls
+keiner Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter Zeit
+in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht knuepft sich
+die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige Tier des Mars, ist auch
+das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, und was von heiligen Stammsagen
+die roemische Phantasie aufzubringen vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck
+auf den Gott Mars und seinen Doppelgaenger, den Quirinus. In dem
+.Festverzeichnis nimmt allerdings der Vater Diovis, eine reinere und mehr
+buergerliche als kriegerische Widerspiegelung des Wesens der roemischen
+Gemeinde, einen groesseren Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des
+Jupiter an Rang den beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr
+hervorragende Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar
+ganz glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis neben Mars
+stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte Mittelpunkt der
+Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde auch damals noch der
+kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war, wogegen gleichzeitig nicht der
+durch die Griechen spaeter eingefuehrte "Sorgenbrecher", sondern der Vater Jovis
+selbst als der Gott galt des herzerfreuenden Weines.
+-----------------------------------
+^2 Aus Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich
+durch verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in o
+(aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in der Doppelform
+Mar-Mor (vgl. Ma-murius) neben Mar-Mar und Ma-Mers.
+-----------------------------------
+Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die roemischen Gottheiten im
+einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren
+eigentuemlichen, zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben.
+Abstraktion und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der
+hellenischen Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer
+Naturerscheinung oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen
+jede Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen
+als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte Gottheit:
+"bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib"; dafuer der tiefhaftende
+Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde
+unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott
+bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen hinueberlocke. Ein Ueberrest
+dieser maechtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der aeltesten und
+nationalsten italischen Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die Abstraktion,
+die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer weiteren
+Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen der Dinge
+einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen Glaubensbilder auf einer
+unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und des Begreifens. Wenn dem Griechen
+jedes bedeutsame Motiv sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis
+erweitert, so bleibt dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen
+nackten Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher
+Verklaerung, dem goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und
+geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion
+nichts auch nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich
+waere. Sie weiss wohl auch von einem "schlimmen Gott" (Ve-diovis), von
+Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten der
+boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des Diebstahls
+(laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das Menschenherz doch auch
+sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit dem
+Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen in der Natur und dem Menschen,
+welches der Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen
+soll. Es gab in der roemischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen
+der Stadtgoetter, der Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war jedem
+offenbar.
+Die nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die wichtigen
+Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie terminologisch
+auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch dem Privatrecht zu Grunde
+liegenden Einteilung von Personen und Sachen - zu klassifizieren, um darnach die
+Goetter und Goetterreihen selber richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung
+der Menge zu weisen (indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen
+von der einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit ging
+die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat (saturnus) und
+Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein (terminus) gehoeren zu den
+aeltesten und heiligsten roemischen Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste
+unter allen roemischen Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein
+eigentuemlich italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus;
+und doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische
+Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns zunaechst
+der "Geist der Eroeffnung" anzurufen sei, und vor allem das tiefe Gefuehl davon,
+dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen Goetterbegriffe in Reihen
+zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren Goetter der Hellenen notwendig jeder
+fuer sich standen ^3. Vielleicht der innigste unter allen roemischen ist der
+Kult der in und ueber dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im
+oeffentlichen Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der
+der Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen
+Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der Familienmahlzeit
+ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu verrichten noch zu des
+aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters erstes Geschaeft war. Aber in
+der Rangordnung der Goetter nahmen diese Haus- und Feldgeister eher den letzten
+als den ersten Platz ein; es war, wie es bei einer auf Idealisierung
+verzichtenden Religion nicht anders sein konnte, nicht die weiteste und
+allgemeinste, sondern die einfachste und individuellste Abstraktion, in der das
+fromme Herz die meiste Nahrung fand.
+----------------------------------------
+^3 Dass Tor und Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist
+und er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch
+vor dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn
+unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der nach zwei
+Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten hin sich oeffnenden
+Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf man um so weniger aus ihm
+machen, als der von ihm benannte Monat urspruenglich der elfte, nicht der erste
+ist; vielmehr scheint dieser Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser
+Zeit nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von
+vorn beginnt. Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der Spitze des
+Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich des Janus
+hineingezogen ward, versteht sich von selbst.
+-------------------------------------
+Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die
+praktische und utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der
+oben eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und
+Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel - das
+ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu recht wohl,
+dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- und Gluecksgoettin
+(fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle aus dem taeglichen Verkehr
+hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch schon sehr
+frueh weit und breit von den Roemern verehrt auftreten. Strenge
+Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische Spekulation waren zu tief im roemischen
+Wesen begruendet, um nicht auch dessen goettliches Abbild bis in den innersten
+Kern zu durchdringen.
+Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der
+sterblichen Menschen, die "Guten" (manes) lebten schattenhaft weiter, gebannt an
+den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von den Ueberlebenden
+Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen der Tiefe und keine Bruecke
+fuehrte aus der unteren Welt weder zu den auf der Erde waltenden Menschen noch
+empor zu den oberen Goettern. Der griechische Heroenkult ist den Roemern voellig
+fremd und wie jung und schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt
+schon die ganz unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus.
+Numa, der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in Rom nie
+als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen.
+Die aeltesten Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem
+auf Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der "Zuender des Mars"
+(flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt ward, und die
+zwoelf "Springer" (salii), eine Schar junger Leute, die im Maerz den Waffentanz
+zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass die Verschmelzung der
+Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung des roemischen Mars und
+damit die Einfuehrung eines zweiten Marspriesters - des flamen Quirinalis - und
+einer zweiten Taenzergilde - der salii collini - herbeifuehrte, ist bereits
+frueher auseinandergesetzt worden.
+Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach weit
+ueber Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, fuer welche entweder
+Einzelpriester angestellt waren -solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des
+Volcanus, des Hafen- und des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen
+Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine
+derartige Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf "Ackerbrueder" (fratres
+arvales), welche die "schaffende Goettin" (dea dia) im Mai anriefen fuer das
+Gedeihen der Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in
+dieser Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches wir ihr in der
+Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische Bruederschaft sich an,
+die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu bewahren und zu besorgen hatte,
+sowie die fuer die Herde der dreissig Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender
+(flamines curiales). Das schon erwaehnte "Wolfsfest" (lupercalia) wurde fuer die
+Beschirmung der Herden dem "guenstigen Gotte" (faunus) von dem
+Quinctiergeschlecht und den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen
+Fabiern im Monat Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die
+"Woelfe" (luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und wen sie
+trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern gentilizischen Kulten
+zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten.
+Zu diesem aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich
+neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf die
+neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam zum zweitenmal
+gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste beste Jovis vom
+Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes, an die Spitze der gesamten
+roemischen Goetterschaft, und sein fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis,
+bildet mit den beiden Marspriestern die heilige oberpriesterliche Dreiheit.
+Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes - der Vesta - und
+der dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche Jungfrauen versahen,
+gleichsam als die Haustoechter des roemischen Volkes, jenen frommen Dienst und
+hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes den Buergern zum Beispiel und zum
+Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es war dieser haeuslich-oeffentliche
+Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie er denn auch von allem
+Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen Verfemung gewichen ist. Ferner
+wurde der Aventin der Diana angewiesen als der Repraesentantin der latinischen
+Eidgenossenschaft, aber eben darum eine besondere roemische Priesterschaft fuer
+sie nicht bestellt; und zahlreichen anderen Goetterbegriffen gewoehnte
+allmaehlich die Gemeinde sich in bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder
+durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu
+huldigen, wobei sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der
+Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass deren
+zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied man unter ihnen
+jene drei "grossen Zuender" (flamines maiores), die bis in die spaeteste Zeit
+nur aus den Altbuergern genommen werden konnten, ebenso wie die alten
+Genossenschaften der palatinischen und quirinalischen Salier stets den Vorrang
+vor allen uebrigen Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen
+und stehenden Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften
+oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur Deckung
+der vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den einzelnen Tempeln
+gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen.
+Dass der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der
+sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht zu bezweifeln;
+nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und Vestalinnen nicht spezifisch
+roemische, sondern allgemein latinische Institutionen gewesen und wenigstens die
+drei ersten Kollegien scheinen in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach
+roemischem Muster gebildet zu sein.
+Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis des Staats, so auch der
+einzelne Buerger innerhalb seines individuellen Kreises aehnliche Anordnungen
+treffen und seinen Goettern nicht bloss Opfer darbringen, sondern auch Staetten
+und Diener ihnen weihen.
+Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen
+an den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. Jeder
+Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde natuerlich
+durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio und die Ritterschaft
+durch ihre Obristen; und keine priesterliche Vermittlung durfte das
+urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken oder verdunkeln. Allein es ist
+freilich nicht leicht, mit dem Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine eigene
+Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber
+recht versteht, der weiss den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln,
+sondern auch zu lenken, sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen.
+Darum ist es natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige Leute
+zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen
+Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus national-italische
+Institution, die auf die politische Entwicklung weit bedeutender eingewirkt hat
+als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft
+verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung
+einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der
+Tradition fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren
+richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren treue
+Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese geschlossenen und
+sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden Genossenschaften sind
+dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und Wissenschaften geworden. In der
+roemischen und ueberhaupt der latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher
+Kollegien urspruenglich nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die
+sechs "Voegelfuehrer" (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus dem Flug
+der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich betrieben und in ein
+gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward. Die sechs "Brueckenbauer"
+(pontifices) fuehrten ihren Namen von dem ebenso heiligen wie politisch
+wichtigen Geschaeft, den Bau und das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es
+waren die roemischen Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen
+verstanden; woher ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu
+fuehren, dem Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu
+sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage
+vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den ganzen
+Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe, Testament und
+Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte Geschaeft nicht gegen das
+goettliche Recht irgendwie verstosse, und ging von ihnen die Feststellung und
+Bekanntmachung der allgemeinen exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter
+dem Namen der Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller
+Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die allgemeine
+Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was damit zusammenhing - und
+was hing nicht damit zusammen? Sie selbst bezeichneten als den Inbegriff ihres
+Wissens "die Kunde goettlicher und menschlicher Dinge". In der Tat sind die
+Anfaenge der geistlichen und weltlichen Rechtswissenschaft wie die der
+Geschichtsaufzeichnung aus dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn
+wie alle Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft,
+musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der Errichtung
+der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung nicht entstehen
+konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell werden, das ueber
+Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein Gutachten zu geben allein kompetent
+war.
+-------------------------------------------------------
+^4 Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen
+Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen (z. B. Cic.
+leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der pater patratus der
+Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen Kollegien aber nicht. Jene
+also stehen auf einer Linie mit der Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern,
+Luperkern als aeltestes latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris
+faciundis und die anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die
+Servianischen Tribus und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom
+beschraenkt geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices,
+ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische Schema
+anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen, oder es
+bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat, pons nicht
+Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer.
+Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn schwanken.
+Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt Cicero (leg. agr. 2, 35,
+96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht dies, sondern nur, dass die Zahl
+der roemischen Augurn durch drei teilbar sein und insofern auf eine ungerade
+Grundzahl zurueckgehen muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum
+Ogulnischen Gesetz sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14),
+indem er Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die Zahl
+der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20.
+-------------------------------------------------------
+Gewissermassen laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten
+Genossenschaften geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig
+Staatsboten (fetiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als
+lebendiges Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden
+durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des vertragenen
+Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den Suehneversuch und die
+Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus fuer das Voelkerrecht, was die
+Pontifices fuer das Goetterrecht, und hatten daher auch wie diese die Befugnis,
+Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen.
+Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie wichtige
+und umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am
+wenigsten bei den am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern
+sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht unmittelbar zu
+erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen hatten. So steht auch der
+vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem Koenig nach, sondern er darf
+ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und
+wann er die Voegel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und
+verdolmetscht ihm, wenn es noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann
+der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders
+eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit unerbittlicher
+Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, dass in
+dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu verbleiben und, von
+allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Buerger dem geringsten
+Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung beruht
+wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in untergeordneter
+Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkraeften; sie bewegt sich darum auch
+vorwiegend in Aeusserungen der Freude, in Liedern und Gesaengen, in Spielen und
+Taenzen, vor allem aber in Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden,
+regelmaessig von Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in
+Italien das Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist
+den Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche
+Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit des Jubels
+ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit gegen die Goetter
+ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten latinischen Kultes; und auch
+das freie Walten der Phantasie wird durch die sittliche Zucht, in der die Nation
+sich selber haelt, mit eiserner Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die
+Auswuechse, die von solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern
+ferngeblieben. Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld
+und irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein Verbrechen
+gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im innersten Wesen
+auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum Tode verurteilten
+Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes Suehnopfer wie die im
+gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes; der naechtliche Dieb der
+Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie der boese Feind auf dem Schlachtfeld
+der Mutter Erde und den guten Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke
+der Stellvertretung begegnet hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen,
+ohne dass auf einen bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie
+versoehnen, wer sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige
+Erdspalten sich schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn
+ein braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde
+stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der heilige Lenz, indem den Goettern
+dargebracht wird, was der bestimmte Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden
+laesst. Will man dies Menschenopfer nennen, so gehoert solches freilich zum Kern
+des latinischen Glaubens; aber man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in
+die Ferne irgend zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert,
+sich beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht
+ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt.
+Menschenopfer anderer Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und
+beruhen wenigstens bei den indogermanischen Staemmen ueberall, wo sie vorkommen,
+auf spaeterer Ausartung und Verwilderung. Bei den Roemern haben sie nie Eingang
+gefunden; kaum dass einmal in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und
+Verzweiflung ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von
+Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den Roemern
+verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und Prophetentum hat in
+Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in Griechenland und nie vermocht, das
+private und oeffentliche Leben ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern
+Seite ist dafuer auch die latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit
+und Trockenheit verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und
+geistlosen Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward,
+vor allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer
+Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine Richtung
+auf das Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben wird und nicht
+minder scharf noch in dem heutigen Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die
+Goetter stehen dem Menschen voellig gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner;
+jeder von ihnen hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und
+Leistungen, und da die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente
+des irdischen Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines
+jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine muehsame
+und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen auch nur sich
+bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen Rechtes kundigen und
+dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu ungemeinem Einfluss gelangen.
+Denn der rechtliche Mann erfuellt die Vorschriften des heiligen Rituals mit
+derselben kaufmaennischen Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen
+Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es
+seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein:
+das Geluebde ist der Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen
+dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine
+gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein
+Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte
+Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der Menschen alle
+Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der roemische Kaufmann, seiner
+konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag bloss dem Buchstaben nach
+zu erfuellen befugt ist, so ward auch, wie die roemischen Theologen lehren, im
+Verkehr mit den Goettern das Abbild statt der Sache gegeben und genommen. Dem
+Herrn des Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren
+statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater Tiberis wurden
+zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer jaehrlich dreissig von
+Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfen ^5. Die Ideen goettlicher Gnade
+und Versoehnbarkeit sind hier ununterscheidbar gemischt mit der frommen
+Schlauigkeit, welche es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte
+Befriedigung zu beruecken und abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl
+von gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes Bangen
+vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das den
+pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde liegt, sondern sehr
+irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von demjenigen Zagen, mit dem der
+roemische Schuldner seinem gerechten, aber sehr genauen und sehr maechtigen
+Glaeubiger sich naht. Es ist einleuchtend, dass eine solche Religion die
+kuenstlerische und die spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu
+zeitigen geeignet war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit
+menschlichem Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss
+die Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten auch
+die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste Eigentuemlichkeit
+der Menschennatur und eben darum der Kern aller Weltreligion ist. Durch sie
+konnte die einfache Naturanschauung zu kosmogonischen, der schlichte
+Moralbegriff zu allgemein humanistischen Anschauungen sich vertiefen; und lange
+Zeit hindurch vermochte die griechische Religion die physischen und
+metaphysischen Vorstellungen, die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu
+fassen und mit dem wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor
+die Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt hatte,
+zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der Gottheitsbegriffe so
+vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler noch der Dichter daran sich
+heranzubilden vermochte und die latinische Religion der Kunst stets fremd, ja
+feindlich gegenueberstand. Da der Gott nichts war und nichts sein durfte als die
+Vergeistigung einer irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen
+Gegenbild seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von
+Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu trueben und zu
+befangen. Darum war der urspruengliche roemische Gottesdienst ohne Gottesbilder
+und Gotteshaeuser; und wenngleich auch in Latium, vermutlich nach griechischem
+Vorbild, schon in frueher Zeit der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen
+(aedicula) gebaut ward, so galt doch diese bildliche Darstellung als den
+Gesetzen Numas zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit
+Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein ihr
+eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete ueber die nach
+Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller zeugenden Kraft in der
+roemischen Religion ist gleichfalls die letzte Ursache, warum die roemische
+Poesie und noch mehr die roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und
+blieben.
+-----------------------------------------------
+^5 Hierin konnte nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer
+finden.
+-----------------------------------------------
+Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied.
+Der praktische Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion
+erwuchs, war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes,
+formuliertes Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen
+Bevormundung des Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die Stelle
+der Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht
+der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der
+ersteren Art gehoerte ausser der religioesen Einschaerfung der Heiligung des
+Feiertags und eines kunstmaessigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten
+kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen
+Ruecksichten zusammenhaengende Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den
+Roemern ungemein frueh, weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte
+Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens
+voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. Man
+wird es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion
+diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch
+war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den
+verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater oder den
+Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast oder den zugewandten
+Mann die Treupflicht verletzte; wenn der ungerechte Nachbar den Grenzstein
+verrueckte oder der Dieb sich bei naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden
+anvertrauten Halmfrucht vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem
+Haupt des Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei
+gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist nur
+ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in Rom waehrend des
+staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen Buerger oder gar dem
+voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung solchen goettlichen Fluches
+zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem goettlichen Strafgericht anheim
+gefallen, nicht der menschlichen Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf
+dem dieser Bannfluch fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige
+Naturen Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht;
+vielmehr ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und,
+nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach seiner
+gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den Gebannten der
+verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten (supplicium) und also
+die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen
+geringerer Art, so tritt an die Stelle der Toetung des Schuldigen die Loesung
+durch Darbringung eines Opfertiers oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze
+Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung.
+Weitere Leistungen aber als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung
+und Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich
+viel hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion
+nicht bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale
+Einigung, soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und
+Goetterfeste, um Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die Musen,
+bewegt sich alles, was im hellenischen Leben gross, und alles, was darin
+nationales Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch Latiums Vorzuege
+vor Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt wie sie ist auf das Mass
+der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem vollkommen verstaendlich und allen
+insgemein zugaenglich; und darum bewahrte die roemische Gemeinde ihre
+buergerliche Gleichheit, waehrend Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des
+Denkens der Besten stand, von fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen
+der Geistesaristokratie gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede
+andere urspruenglich hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur
+der oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich taeuscht,
+weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach erscheinen. Dieser
+innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der Zeiten so notwendig wie der
+Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne und auch die latinische Religion ist
+also spaeterhin verdorrt; aber laenger als die meisten Voelker haben die Latiner
+die naive Glaeubigkeit sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie
+die Farben die Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind
+Kunst und Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer
+des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die
+Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz auch der naiven
+Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter vergeblich sich bemueht zu
+erringen. Eben die gewaltige geistige Entwicklung der Hellenen, welche jene
+immer unvollkommene religioese und literarische Einheit erschuf, machte es ihnen
+unmoeglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie buessten damit
+die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die Verschmelzbarkeit ein, welche
+die Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es waere darum wohl an der Zeit,
+einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung, welche die
+Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die Roemer nur auf Kosten der Griechen
+preisen zu koennen meint und, wie man die Eiche neben der Rose gelten laesst, so
+auch die beiden grossartigen Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat,
+nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es zu begreifen, dass ihre Vorzuege
+gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte
+Grund der Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium
+nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat.
+Kein Volksstamm der Erde fuer sich allein war gross genug, weder das Wunder der
+hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen Kultur zu erschaffen;
+diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, wo aramaeische Religionsideen
+in den indogermanischen Boden sich eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas
+der Prototyp der rein humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der
+Prototyp der nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren
+und von beiden zu lernen.
+Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und ungehemmten
+durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem nationalen Charakter keinen
+Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem
+Auslande heruebergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts
+an einzelne Fremde den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von
+alters her mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich;
+bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern und
+Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist bereits
+gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt worden sind,
+ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von
+lascivus), und die Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare),
+welche man wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach
+sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall,
+und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr wissen, dass
+frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der griechische
+Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass gaben die griechischen
+Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter beschraenkte sich im ganzen auf Ja
+und Nein und hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es
+scheint, urspruenglich italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit sehr alter
+Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen
+Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche erteilten.
+Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar frueh bemueht, und
+Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin Apollons, der kymaeischen
+Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der griechischen Gastfreunde aus
+Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in fruehester Zeit
+ein eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von
+zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis) bestellt, auch fuer dasselbe
+zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft;
+diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Faellen an, wenn es, um ein
+drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man
+doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den
+delphischen Apollon selbst wandten schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser
+den schon erwaehnten Sagen ueber diesen Verkehr zeugt davon noch teils die
+Aufnahme des mit dem delphischen Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus
+in alle uns bekannte italische Sprachen, teils die aelteste roemische Form des
+Namens Apollon Aperta, der Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des
+dorischen Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische
+Herakles ist frueh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und
+dort in eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als
+Gott des gewagten Gewinns und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb
+sowohl von dem Feldherrn der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem
+Kaufmann der Zehnte des errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf
+dem Rindermarkt dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der
+Gott der kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar
+geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem
+alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung des
+Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, mit einem
+alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens verehrt und in den Gassen
+der Staedte wie an den Landstrassen standen ueberall seine Altaere. Die
+Schiffergoetter ferner, Kastor und Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der
+Gott des Handels, Hermes, der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios
+oder Aesculapius, wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren
+oeffentliche Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der "guten
+Goettin" (bona dea) damium, entsprechend dem griechischen damion oder d/e/mion,
+mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter Entlehnung
+muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer spaeter als "Vater
+Befreier" gefasst ward und mit dem Weingott der Griechen, dem "Loeser" (Lyaeos)
+zusammenfloss, und dass der roemische Gott der Tiefe der "Reichtumspender"
+(Pluton - Dis pater) hiess, dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch
+Anlautung und durch Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina,
+dass heisst Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die
+aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen Ionier, der
+ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war das Schnitzbild in dem
+roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus gefertigt. Nur auf diesem Wege,
+durch die frueh mit orientalischen Vorstellungen durchdrungenen apollinischen,
+dionysischen, plutonischen, herakleischen und Artemismythen, hat in dieser
+Epoche die aramaeische Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf
+Italien geuebt. Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen
+Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst
+Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht haben.
+---------------------------------------
+^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur
+gereihte Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an
+die Runen erinnert.
+----------------------------------------
+Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von
+sekundaerer Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie
+etwa die Sage von den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz
+verschollen; im grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische
+Schoepfung des Volkes, bei dem wir sie finden.
+Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu
+schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die
+latinische mit lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von
+der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen
+Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie
+gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war
+beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die Titier
+schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn. Ueberall, wo wir
+vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der
+Goetter als Abstraktion des Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden
+Staemmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus
+diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den
+charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen.
+Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns gekommen
+sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine duestere und dennoch
+langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feierliche
+Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet.
+Wir kennen zwar den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher
+Vollstaendigkeit und Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere
+Gruebelei auch manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die
+duesteren und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich
+entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat
+nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik
+und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des etruskischen
+Volkes begruendet.
+Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen
+Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt
+treten unter den etruskischen Goettern die boesen und schadenfrohen in den
+Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der
+Gefangenen einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer,
+in Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe
+friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen "guten Geister", wie die Latiner
+sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die armen Seelen zur
+Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von dem Totenfuehrer;
+einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit Fluegeln und einem grossen
+Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um
+den Mann zu kostuemieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz
+wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein verbunden,
+dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach gewissen geheimnisvollen
+Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Goetter. Es ist merkwuerdig,
+dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker frueh von den Griechen deren
+finstere Vorstellungen entlehnten, wie denn die acherontische Lehre und der
+Charon eine grosse Rolle in der etruskischen Weisheit spielen.
+Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen und
+Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter;
+allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im
+allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im
+Laufe der Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie
+zum Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man
+suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt schleunigst
+getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit nicht. Der
+tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der Opfertiere
+dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne heraus, und je seltsamer die
+Goettersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er
+an, was er verkuende und wie man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden
+die Blitzlehre, die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der
+ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die
+Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, der von einem
+Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, Tages genannt - man sollte
+meinen, dass das zugleich kindische und altersschwache Treiben in ihm sich
+selber habe verspotten wollen -, also Tages hatte sie zuerst den Etruskern
+verraten und war dann sogleich gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten,
+welche Goetter Blitze zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels
+und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen
+dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob
+dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben
+lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte
+oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame Kuenste
+mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies
+Gaukelspiel dem roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter
+in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in
+dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch die einheimischen und die
+griechischen Orakel.
+Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als sie
+von dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten
+Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt mit ihren
+Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische Jupiter selber
+befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie entstanden ist, so auch
+wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die
+Saecula sind. Ueber den geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und
+Philosophie einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch
+ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen
+gewesen zu sein.
+13. Kapitel
+Ackerbau, Gewerbe und Verkehr
+Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der
+aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf
+dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht werden,
+anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, namentlich die
+roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend zu schildern.
+Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der
+Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt. Der
+Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der sabellischen und
+der etruskischen nicht minder als der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat
+es in Italien in geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die
+Staemme ueberall, je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem
+Masse, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es
+empfand, dass jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene
+Sitte, die Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der
+kuenftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete.
+Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich allein mit
+einiger Bestimmtheit sprechen laesst, nicht bloss der Schwerpunkt des Staates
+urspruenglich in der Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die
+Gesamtheit der Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt
+am klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil
+des roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war und
+also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der Ansaessigkeit
+ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung dies Missverhaeltnis und die
+daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer einmal, sondern fuer alle Folgezeit,
+indem sie die Gemeindeglieder ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein
+fuer allemal nach der Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der
+Wehrpflicht auf die Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen
+Lauf der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und
+Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf die
+Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so hatte der Krieg
+den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu vermehren. Die
+ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz in der roemischen
+Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem Aeussersten nicht kam, wurde
+ihr doch nicht Kriegskontribution oder fester Zins auferlegt, sondern die
+Abtretung eines Teils, gewoehnlich eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann
+regelmaessig roemische Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und
+erobert wie die Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften
+Boden also im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die
+Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der Krieg
+gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also die Eroberung, die
+der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten verloren, aber kaum je bei
+dem Frieden roemischen Boden abgetreten haben, so verdanken sie dies dem zaehen
+Festhalten der Bauern an ihrem Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde
+liegt die Kraft des Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die
+ausgedehnteste und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf
+die geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft.
+Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach
+den einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag unter
+die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt ward, ist bereits
+angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und Geschlechtergemeinde innerlich
+zusammenhaengen und auch spaeterhin in Rom noch das Zusammenwohnen und
+Wirtschaften der Mitbesitzer sehr haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische
+Rechtsueberlieferung weiss noch zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in
+Vieh und Bodenbenutzung bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu
+Sondereigentum aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste
+Bezeichnung des Vermoegens als "Viehstand" (pecunia) oder "Sklaven- und
+Viehstand" (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder und Sklaven
+als "Schaefchen" (peculium); ferner die aelteste Form des Eigentumserwerbs durch
+Handangreifen (mancipatio), was nur fuer bewegliche Sachen angemessen ist, und
+vor allem das aelteste Mass des "Eigenlandes" (heredium von herus, Herr) von
+zwei Jugeren oder preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen
+sein kann ^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat,
+laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest, dass die
+aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als Surrogat dafuer die
+Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die Servianische den aufgeteilten Acker
+voraussetzt. Aus derselben Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des
+Grundbesitzes aus mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun
+und zu leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des Pfluges
+gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe ist nicht
+mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt ward, schwerlich geringer
+als zu 20 Morgen angenommen werden.
+------------------------------------------------------------
+^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten
+Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die
+Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie bei den
+Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes in jedem
+wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet worden, so wuerde
+doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von zerstueckelten Hufen ausgehen.
+Allein es ist vielmehr das Gegenteil der Fall; die Individualnamen der
+roemischen Hufen (fundus Cornelianus) zeigen deutlich, dass der aelteste
+roemische Individualgrundbesitz faktisch geschlossen war.
+^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur Zeit
+des Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et
+locupletes vocabantur. - (Numa) primum agros, quos bello Romulus ceperat,
+divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig
+Kuriendistrikte teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest
+einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16).
+^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die
+Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der Kaiserzeit
+rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf roemische Scheffel
+Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines Heredium ist demnach,
+selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es lediglich als Ackerland
+betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht nimmt, 50 oder nach Abzug des
+Saatkorns 40 Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet
+Cato (agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine roemische
+Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber
+beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich darauf, dass der Sklave der
+spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie Bauer der aelteren von Getreide
+gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die Annahme des fuenffachen Kornes
+eine zu niedrige ist; beides ist wohl richtig, aber fuer beides gibt es eine
+Grenze. Ohne Zweifel sind die Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und
+die Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und
+intensive Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders fuer die aeltere
+Zeit in Anschlag zu bringen; aber die aeltere roemische Weidewirtschaft war,
+wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und die
+Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner wegen der
+Intensitaet der aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen Steigerung besonders
+des Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben die Bauern dieser Zeit ihren
+Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen, als die Plantagenbesitzer der
+spaeteren Republik und der Kaiserzeit ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu
+halten sein, da es ja um Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder
+rationell noch mit grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme
+des zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und sie
+genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme Defizit, welches
+auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag des Heredium und dem Bedarf des
+Hauswesens bleibt, durch blosse Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird
+der Gegenbeweis erst dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle
+landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer
+ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag eines
+Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die Ernaehrung
+einer Familie ausreichend herausstellt.
+Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit
+Koloniegruendungen mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige
+Beispiel der Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von
+denjenigen Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt,
+Argumente zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail
+zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden und unterliegt auch noch anderen
+sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, dass bei der nichtkolonialen
+Ackeranweisung an die gesamte Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur
+wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten
+auch keineswegs in den Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in
+der Regel zu den bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt
+werden (vgl. CIL I, p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein
+als eine Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums
+ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger
+bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von
+sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen.
+----------------------------------------------
+Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche
+Korn war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und
+Gemuese fleissig gezogen.
+---------------------------------------------
+^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den
+Nachweis zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes
+hat leben koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust.
+1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen zehn
+Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, woraus denn
+gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, doch einen
+betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. Es ist aber vielmehr
+das Umgekehrte richtig und jene nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu
+erklaeren aus dem Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und
+saeten, den Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier
+durch das Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der
+Spelt auch heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert
+nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen aber
+geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. Hanssen mitteilt,
+rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer den wuerttembergischen Morgen an
+Weizen (bei einer Aussaat von - Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht
+von 275 Pfund (= 825 Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von -1 Scheffel)
+mindestens sieben Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund),
+welche durch die Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert
+der Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei
+gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht nach
+aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung (als Kern")
+weniger als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet worden ist, sondern
+weil es zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und
+gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf
+Weizen gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht
+wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist
+genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der
+Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht
+unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren
+Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend von
+Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der
+Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden
+ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei vorschreitender
+Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige
+Uebergang der italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein
+Fortschritt gewesen.
+--------------------------------------------------------
+Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler
+nach Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende
+Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt und diese dem
+Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen entlehnten Weingott, dem
+Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig
+Mezentius von Caere von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert,
+wenn als die Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu
+ueberschreiten, in einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten
+italischen Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor
+allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der
+Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh und
+allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige Rebenzucht
+hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste Priester der
+Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst damit begonnen hatte;
+in gleicher Weise verbot eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen
+Weines, bevor der Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso
+gehoert hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das
+Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte
+Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen
+Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das
+nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten
+Getreides untersagten.
+Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien
+gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der
+Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; es stimmt dazu, dass der
+Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual eine weit untergeordnetere Rolle
+spielen als der Saft der Rebe. Wie wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume
+hielt, beweisen der Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt
+unweit des Curtischen Teiches gepflanzt wurden.
+---------------------------------------
+^5 Oleum, oliva sind aus elaion, elaia, amurca (PHlhefe) aus amorg/e/
+entstanden.
+---------------------------------------
+Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in
+Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren ebenfalls
+mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die roemische
+Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen.
+---------------------------------------
+^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494)
+umgehauen ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX
+fehlt in allen guten Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21,
+interpoliert.
+-----------------------------------------
+Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und
+ueberhaupt die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den
+gewoehnlichen Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit
+verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, auch
+die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. Eine
+selbstaendige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand
+wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr
+beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die
+gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders
+Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und wieder zu
+pfluegen - der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so
+dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war
+mehr intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene
+Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige
+Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die
+geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener war
+die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle ueberkommene
+Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie
+zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und das Berieselungssystem der
+Wiesen, moegen schon frueh von den Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig
+entwickelt worden sein; begann doch die roemische Literatur selbst mit der
+theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und verstaendigen Arbeit
+folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die Religion ihr Recht
+geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und
+der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also
+durchschnittlich viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen
+und zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe
+bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der Feiermonat nach
+vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); waehrend dieser Fristen rastete
+nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es ruhten in Feiertagsmusse nicht
+bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der Stier.
+In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in
+aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer die
+Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen Verschleuderer
+ererbten Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen
+zu lassen. Den Frauen war ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich
+entzogen, und wenn sie sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen
+Geschlechtsgenossen zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der
+Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch, dass
+es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an der
+verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger verordnete, teils
+durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs fuehrende Exekutivverfahren
+bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere
+Mittel seinen Zweck sehr unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb
+gesetzlich unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die
+Miterben im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das
+aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu jeder Zeit
+jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder friedlich
+zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen Geiste des
+roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch, dass es
+schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern nicht gefehlt hat,
+bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. Die Verhinderung der
+uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der Gewohnheit und dem gesunden
+Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass man sich hierin nicht getaeuscht hat
+und die Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind, beweist schon die
+allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen.
+Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch die Ausfuehrung von Kolonien,
+welche regelmaessig die Gruendung einer Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig wohl
+auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung
+einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem schwieriger ist es, die
+Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu erkennen. Dass es einen solchen in
+nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist nach der fruehen Entwicklung der
+Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert sich auch leicht teils aus der
+Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl
+der in den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand
+von groesseren Grundbesitzern ins Leben rufen musste, teils aus der Menge der in
+Rom zusammenstroemenden kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche
+Grosswirtschaft, gestuetzt auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie
+spaeter in Rom finden, kann fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr
+ist die alte Definition, wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind von den
+Aeckern, die sie an geringe Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher
+zu ziehen und wird urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes,
+den er nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in
+kleinen Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies
+noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder
+Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein Verhaeltnis
+dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des "Bittbesitzes" (precarium)
+erscheint. Der Empfaenger behielt diesen, solange es dem Verleiher beliebte, und
+hatte kein gesetzliches Mittel, um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen;
+vielmehr konnte dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung
+des Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht notwendig;
+ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der Regel in der Abgabe
+eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo dann das Verhaeltnis der
+spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von ihr unterschieden bleibt teils
+durch den Mangel eines festen Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit
+auf beiden Seiten und den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters
+vermittelten Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein
+Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, religioes
+geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch nicht. Das
+durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte ohne Zweifel im letzten
+Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch keineswegs
+erst durch die Aufhebung der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der
+einzelne, konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen
+Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die
+roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der Klient mit
+seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu Schutz und Treue
+anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen Gutswirtschaft erklaert es
+sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern in Rom ein Land-, kein Stadtadel
+hervorging. Da die verderbliche Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd
+blieb, fand sich der roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz
+gefesselt als der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff
+selber ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein guter
+Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er nur ein
+Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend der heissen
+Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde durch diese Ordnungen
+eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der Vornehmen zu den Geringen
+hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert. Die freien
+Bittpaechter, hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten
+Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats aus und
+waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der kleine Zeitpaechter
+dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. Die fuer den Herrn den
+Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem weniger zahlreich als die
+freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde Nation nicht sogleich eine
+Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr
+beschraenktem Umfang vorhanden gewesen zu sein und infolgedessen die freien
+Arbeiter eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir
+spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren Epoche die
+"Tageloehner" (th/e/tes) vielfach an der Stelle der spaeteren Sklaven und hat in
+einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die historische
+Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war doch regelmaessig
+italischer Abkunft; der volskische, sabinische, etruskische Kriegsgefangene
+musste seinem Herrn anders gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und
+der Kelte. Dazu hatte er als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch
+tatsaechlich Land und Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine
+Freilassung gab, lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern.
+Wenn es mit dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so
+war er keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe vom
+wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen
+Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und
+kleine; sondern es erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei
+gestellten Grundherren die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den
+ackerbauenden und eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die
+roemische Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen
+konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht demjenigen,
+der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die Pflugschar zu
+fuehren.
+Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der
+Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der Gemeinweide
+betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu
+anderen Zwecken bestimmten und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem Stande
+gehaltenen Herden benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe
+gegen eine maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am
+Gemeindeanger mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum
+Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der einzelnen
+Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide kann in Rom schon
+deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum auch von dem Insassen
+erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem Insassen wohl nur
+ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. In dieser Epoche indes
+scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine
+untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl
+nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich
+unter die Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt
+ward.
+Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war,
+daneben aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus
+der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner,
+und in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs Numa, das heisst unter
+den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen, acht
+Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, der Goldschmiede, der
+Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Faerber, der Toepfer, der
+Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die
+gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die Wolle
+zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde
+Rechnung arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird.
+Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es
+bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit
+der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum
+Beispiel fuer den heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die
+spaeteste Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das
+staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen
+diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen
+sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die Masse der
+fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersklaven und die
+steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen
+Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen
+Streitgott Mamers, sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach
+dem goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche
+Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse Volcanus
+erscheint bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in dem
+aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und das Schwert
+zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von
+jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst begegnet. Seit
+indes die Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich auf die
+Ansaessigen legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl
+infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom Waffenrecht
+ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den Kupferschmieden und
+gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch organisierte Abteilungen dem
+Heer beigegeben wurden; und es mag dies wohl der Anfang sein zu der spaeteren
+sittlichen Geringschaetzung und politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die
+Einrichtung der Zuenfte hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im
+Namen ihnen gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich
+zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass unkundige Leute
+in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich
+keine Spuren weder von Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte
+Fabrikation - freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens
+die Nachrichten so voellig versiegt wie ueber die Gewerke.
+Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr der
+Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst. Die Messen
+(mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten
+(nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die
+internationalen Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit
+der Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden haben;
+die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten diese
+Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu erledigen und
+ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch groessere
+Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche Landesversammlung am Tempel der
+Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii, welche zugleich
+als Messe diente und auch von roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward.
+Aber die bedeutendste unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte
+im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu
+finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der hohe,
+einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der Natur selbst den
+Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der Grenzscheide der
+etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher letzteren er meistens
+gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium und Umbrien aus mit
+Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen hier die roemischen
+Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten manchen Hader mit den Sabinern
+herbei.
+Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das
+erste griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier
+halfen bei vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus;
+hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen aeltesten
+Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste Tauschmittel waren
+Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen; sowohl die
+Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein stellvertretender oder
+als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen Gross- und Kleinvieh reichen,
+wie die Wiederkehr von beiden besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in
+die graecoitalische, sondern noch darueber hinaus in die Zeit der reinen
+Herdenwirtschaft zurueck ^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die
+Ackerbestellung und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher Menge
+bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle erzeugten,
+sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf, wie denn den
+kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die "Kupferung" (aestimatio) hiess.
+In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen, auf der ganzen Halbinsel
+gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter noch genauer zu erwaegenden
+einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung und in dem italischen
+Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten sich noch selbst ueberlassenen
+Internationalverkehrs der italischen Voelker vorliegen.
+-----------------------------------------------
+^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich
+daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf zu
+zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus p. 237, vgl.
+p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn nach
+islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier, wie auch
+sonst, das deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem
+substituiert hat.
+Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den
+Deutschen (englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt.
+-----------------------------------------------
+In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen
+Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz
+unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen geringen und
+unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen
+zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische
+Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung
+ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser
+Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien
+Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch
+in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die
+aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken
+schliessen, die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus
+Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils
+und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn
+natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie
+nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung
+der Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen
+Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag
+dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber und
+Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder
+selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der
+Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen
+sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter
+den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn
+auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste
+in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen
+Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck gestritten
+werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung ist; im
+ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste in
+aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo
+von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur
+wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch
+griechischen Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass
+die aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen sind.
+In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit
+eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach
+Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen,
+aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster, darunter
+mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder eingeschnitzten
+Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die letzten koennen aus dem
+Norden auf dem Landweg gekommen sein; die uebrigen Gegenstaende aber beweisen
+die Einfuhr von Salben und Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher
+kamen Linnen und Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch
+der linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen
+Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten Lehnnamen
+(linon linum; porph?ra purpura; sk/e/ptron skip/o/n scipio, auch wohl elephas
+ebur; th?os thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer Anzahl auf Ess- und
+Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die Benennung des Oels (vgl. 1,
+200), der Kruege (amphore?s amp[h]ora ampulla; krat/e/r cratera), des Schmausens
+(k/o/maz/o/ comissari), des Leckergerichts (ops/o/nion opsonium), des Teiges
+(maza massa) und verschiedener Kuchennamen (glyko?s lucuns; plako?s placenta;
+tyro?s turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina
+patan/e/) und des Specks (arvina arbin/e/) in das sizilische Griechisch Eingang
+gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, kerkyraeisches und
+kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, beweist eben wie diese
+sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach
+Italien. Dass die griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur
+Eingang fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (sk?tos)
+bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich
+gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten
+Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt:
+Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9;
+ferner die griechische Benennung des Briefes (epistol/e/ epistula), der Marke
+(tessera, von tessara ^10), der Waage (stat/e/r statera) und des Aufgeldes
+(arrab/o/n arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer
+Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende
+Austausch der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der
+barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor
+allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta =
+plako?nta; ampora = amphorea; statera = stat/e/ra), ist der klarste Beweis ihres
+hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes (Mercurius) erscheint von
+Haus aus durch griechische Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum
+auf die Iden des Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten
+als den Sohn der schoenen Maia.
+-----------------------------------------------
+^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer
+phoenikischen und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X.,
+Taf. 32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum
+Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist.
+^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies
+nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch antenna kann
+von ana (anhelare, antestari) und tendere = supertensa herkommen. Dagegen sind
+griechisch gubernare steuern kybernan, ancora Anker agkyra, prora Vorderteil
+pr/o/ra, aplustre Schiffshinterteil aphlaston, anquina der die Rahen
+festhaltende Strick agkoina, nausea Seekrankheit naysia. Die alten vier
+Hauptwinde - aquilo der Adlerwind, die nordoestliche Tramontana; volturnus
+(unsichere Ableitung, vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der
+ausdoerrende Suedwestwind, der Scirocco; favonius, der guenstige, vom
+Tyrrhenischen Meer herwehende Nordwestwind - haben einheimische nicht auf
+Schiffahrt bezuegliche Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind
+griechisch (wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus =
+ap/e/li/o/t/e/s, Africus = lips).
+^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die xyl/e/phia kata
+phylak/e/n brachea tele/o/s echonta charakt/e/ra (Polyb. 6, 35, 7); die vier
+vigiliae des Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die
+Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; die
+Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf
+die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen Lager eingewirkt haben.
+Die Verwendung der nicht dorischen Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete
+Uebernahme des Wortes.
+------------------------------------------
+Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine
+Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst
+zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine
+Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann Sklaven
+und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im Ausland
+Missernte eingetreten war, sein Getreide.
+Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden
+Aequivalente ist schon frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel
+in Latium und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen
+alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen Passivhandel
+fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig
+bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der
+uralte Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward;
+dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua
+wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte
+Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium
+vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in allen
+einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit
+ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden sich in
+Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine Sonderstellung gehabt zu
+haben und mit Falerii und dem suedlichen Etrurien in besonders enger Verbindung
+gewesen zu sein scheint, die latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck
+auslaendischer Herkunft und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer
+Zeit aufweist, vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher
+Rasen die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der Zeit
+nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; Latium hat
+in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst
+die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn nur aeusserst selten haben
+dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In
+Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und
+auf Latium, aber nur dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt
+ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben
+Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; aber in
+der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit zurueck hinter
+den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, dass die nach
+griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren auch in Latium,
+namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend
+Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt hat.
+Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner und
+Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten Handel der
+Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas aussprechen als die
+Vermutung, dass er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist.
+Dass die westlichen Etrusker sich dreist in die oestlichen Meere wagten und
+nicht bloss mit Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland
+verkehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss
+die attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so
+zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt,
+wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt die
+tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein gesuchter Artikel
+wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die Silberstuecke von Populonia
+sind nachgepraegt einem uralten, einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten,
+anderseits bloss mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das
+sich in Athen und an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden
+hat und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss
+geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der
+karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die Etrusker mit
+den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; es ist
+beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser einheimischem
+Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren sich gefunden haben,
+welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herruehren koennen,
+wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt wurden.
+Indes darf diesem phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und
+namentlich nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen
+Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht
+von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind.
+Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir
+auch Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der etruskischen
+Aufnahme hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich
+sind, eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. Am
+deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen
+Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische weicht
+nicht unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide
+Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer
+Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern wiederholt
+sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische Pultuke sind
+jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; der tuskische
+Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische Ulixes gibt genau die
+in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der tuskische Aivas
+der altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax einer wohl auch
+sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der samnitische
+Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us
+Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums ausschliesslich auf den Zug des
+latinischen Handels zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede
+andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene
+Muenze von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern,
+Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei den
+Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen Geldwesens zu
+dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische Bezeichnung der
+Silbermuenze nomos, das sizilische Mass /e/mina als nummus und hemina in
+gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die italischen
+Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung
+des nach dem Gewichte an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen
+sind, in den korrupten und hybriden Formen litra, trias, tetras, ezas, oygkia
+schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen
+Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und
+Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in ein
+festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der
+zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht
+gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent eines
+sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des roemischen
+Pfundes) als Silbermuenze (litra argyrioy, das ist "Kupferpfund in Silber")
+schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus geschlagen ward. Es kann danach
+nicht bezweifelt werden, dass die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an
+Geldes Statt umliefen; und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der
+Handel der Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische
+Geld nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen
+Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen des
+Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den sizilischen Dialekt
+und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. Auch von dem alten Verkehr
+der Latiner mit den chalkidischen Staedten in Unteritalien, Kyme und Neapolis,
+und mit den Phokaeern in Elea und Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder
+bestimmte Spuren. Dass er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den
+Sikelioten, beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach
+Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an Aesculapius, Latona,
+Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen zeigen. Wenn der Verkehr mit den
+urspruenglich ionischen Staedten, wie Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen
+waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur gleichgestanden haette, so
+wuerden ionische Formen wenigstens daneben erscheinen; obwohl allerdings auch in
+diese ionischen Kolonien selbst der Dorismus frueh eingedrungen ist und der
+Dialekt hier sehr geschwankt hat. Waehrend also alles sich vereinigt, um den
+regen Handel der Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem
+mit den sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich
+ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den
+afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke hinreichend belegen, in seiner
+Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter Reihe gestanden
+haben; namentlich ist dafuer beweisend, dass - von einigen Lokalnamen abgesehen
+- es fuer den alten Verkehr der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer
+Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis gebricht ^11.
+----------------------------------------------------------
+^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen oertlichen
+Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar aus dem
+Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in demselben
+vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich arrabo oder arra
+und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst
+Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern
+eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern
+aufzuweisen hat. Dass elephas und ebur von dem gleichen phoenikischen Original
+mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes selbstaendig gebildet seien,
+ist sprachlich unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so
+nicht verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch
+nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus; mag
+dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem
+Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie schon
+die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches Lehnwort.
+----------------------------------------------------------
+Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von
+italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so
+hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle Wahrscheinlichkeit
+fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen Bezeichnungen des
+Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen Sprachgebrauch der
+Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten eindringen koennen, dass
+sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer gegen Schmuck einhandelten.
+Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel in
+Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand
+selbstaendig gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund
+dieser auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang
+an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine Annahme,
+die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren
+schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der
+von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von
+Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische Eigenhandel
+musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er allein die Schiffe und
+in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz
+zwischen Land- und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt;
+die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die
+Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese
+Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung
+zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der
+latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen ward Rom
+keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der
+Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde.
+14. Kapitel
+Mass und Schrift
+Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des
+Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst
+ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und
+Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen
+Bahnen zu folgen.
+Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen,
+raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen,
+das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die
+Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des
+Mondes oder Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der
+leichter misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit
+ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder das
+"Gewicht" (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus gleichen Teilen
+bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fuenf oder die
+Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das Dezimalsystem. Es ist
+schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles Zaehlens und Messens nicht bloss
+ueber die Trennung des griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die
+fernste Urzeit zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem
+Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen
+Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen vorwaerts,
+sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu zaehlen, ist wenigstens
+aelter als die Trennung der Griechen und Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer
+das Alter und die urspruengliche Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den
+Indogermanen gewaehrt die bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen
+Sprachen in den Zahlwoertern bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt,
+so sind hier alle aeltesten Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es
+genuegt, an die so gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten,
+Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an
+die Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende
+Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren,
+den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und Schrift angehoerige
+Anwendungen dieses aeltesten Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen
+italischen Ziffern. Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der
+Griechen und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei
+aeltesten und unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I,
+V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und
+der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phoenikern entlehnt, dagegen
+den Roemern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze
+zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der
+Regsamkeit des aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen
+Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen
+erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen.
+Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es
+gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 Fuss ins
+Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in
+denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen
+und wahrscheinlich von den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt
+worden sind, die Teilung des "Ganzen" (as) in zwoelf "Einheiten" (unciae)
+vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen
+Priesterschaften, die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die
+etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im roemischen
+Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo der Fuss (pes) in
+zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des roemischen
+Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem zusammengesetzte
+"Trieb" (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. Im Koerpermass moegen aehnliche
+Bestimmungen verschollen sein.
+------------------------------------------
+^1 Urspruenglich sind sowohl "actus" Trieb, wie auch das noch haeufiger
+vorkommende Doppelte davon, "iugerum", Joch, wie unser "Morgen" nicht Flaechen-,
+sondern Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk,
+mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe
+des Pfluegers.
+--------------------------------------------
+Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein
+mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein neben der
+Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden
+werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an
+der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf
+Mondkreislaeufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus
+gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff
+eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste
+duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und
+vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen.
+Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische
+Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber wohl das
+Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das heisst diejenigen
+Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich ist, die Folgen des neuen
+internationalen Verkehrs. Der aelteste roemische Fuss ist verschollen; der, den
+wir kennen und der in fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus
+Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in
+Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn
+Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht in ein
+festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien herrschte,
+nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis, dass der latinische Verkehr
+vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier roemische Pfund wurden gleich drei
+attischen Minen oder vielmehr das roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen
+Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber
+bieten die roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den griechischen
+entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach medimnos congius aus choe?s,
+hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von ox?baphon) entstanden
+sind, waehrend umgekehrt xest/e/s Korruption von sextarius ist; teils in den
+Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer
+Fluessigkeiten der Congius oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden
+letzteren auch fuer trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht
+dem attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu
+dem griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1.
+Fuer den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen Namen und Zahlen
+die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes sizilisch-latinischen Verkehrs
+geschrieben.
+Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der
+Roemer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen
+Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die
+Ziffer 100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens
+das Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das
+Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische im
+wesentlichen in Etrurien angenommen ward.
+In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der
+italische Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte,
+spaeter unter griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich
+die Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am
+unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach
+zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, lange
+Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden auf dem
+roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis in spaete Zeit hinab
+verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an jedem der vier Mondphasentage die
+von da bis zum naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch die Priester
+abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei
+den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon
+gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von dem
+naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die bei der
+mittleren Dauer von 7? Tagen zwischen sieben- und achttaegiger Dauer wechselten;
+und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer des synodischen
+Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-, bald
+dreissigtaegig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die
+kleinste, der Mond die groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann
+man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der
+Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der
+Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme
+auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und die
+Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die Griechen
+von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet gewesen, da
+die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und den
+Italikern voellig selbstaendig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon
+in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung,
+doch zur Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit
+fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der Rechnung
+nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer Frist
+von zehn Monaten als eines "Ringes" (annus) oder eines Jahrganzen traegt alle
+Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber auch noch in einer sehr
+fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der griechischen Einwirkung
+liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das Duodezimalsystem in Italien
+entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des Sonnenlaufs als des
+Zwoelffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf
+die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den
+Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit der Monat
+als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in den Namen des
+Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl die Italiker unter
+sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen zugleich dem Mond und der
+Sonne entsprechenden praktischen Kalender herzustellen - diese in gewissem Sinne
+der Quadratur des Zirkels vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen
+und zu beseitigen es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor
+der Epoche, wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter
+beschaeftigt haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind
+verschollen. Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern
+latinischen Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische Zeitmessung
+ist ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf der aeltesten
+griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes
+und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme eines
+Mondumlaufs von 29 Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12 Mondmonaten oder 368_
+Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder dreissigtaegigen und der hohlen
+oder neunundzwanzigtaegigen Monate sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen
+Jahre, daneben aber durch willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger
+Harmonie mit den wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich,
+dass diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern in
+Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die sich
+geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und
+ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl
+aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von
+ihrem Muster ab. Dies roemische Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste
+Monat desselben und der einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst
+nach dem Mars (Martius), die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen
+(maius) und Gedeihen (iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen
+(quinctilis, sextilis, september, october, november, december), der elfte vom
+Anfangen (ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und
+der Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der
+zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu
+dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein
+namenloser "Arbeitsmonat" (mercedonius) am Jahresschluss, also hinter dem
+Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem altnationalen
+heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in der Dauer
+derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und sechs
+neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden,
+abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten
+Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm
+gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften und achten
+- einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner einem in
+drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes
+andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 +
+382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der urspruenglichen
+Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige Wochen; er liess
+die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen Kalenderverhaeltnisse
+durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und setzte auf deren
+Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein fuer allemal das
+erste Viertel in den einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den
+neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den fuenfzehnten,
+in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest geordneten Verlauf der
+Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der zwischen dem Neumond und dem
+ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt zu werden; davon empfing der Tag des
+Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer
+achttaegigen Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den
+Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag (nonae).
+Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das
+dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint
+hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen
+zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen an die aelteste griechische Jahrform sich
+anlehnt, so tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der
+damals in Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich
+bewegenden Lehren des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser
+roemische Kalender, so deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem
+Mond- wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem
+Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches
+Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste griechische, nicht
+anders als mittels haeufiger willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da
+man den Kalender schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet
+hat, hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der
+Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach
+zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes Eingestaendnis
+der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des aeltesten roemischen
+Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser roemische Kalender
+mindestens als allgemein latinisch angesehen werden koennen. Bei der allgemeinen
+Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen
+in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen
+Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das
+tatsaechlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren
+willkuerlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn
+beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen schwanken.
+Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien aus
+fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen
+Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere
+untergeordnete Umgestaltungen erfahren.
+----------------------------------------
+^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in
+jedem Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13.
+oder 15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45
+Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die
+geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das
+Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen
+wird.
+-----------------------------------------
+Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre
+der Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige
+Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen ist. Dagegen
+scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit verbundene Schatzung und
+Suehnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung der Anlage nach
+gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes infolge der bald in
+der Abhaltung der Schatzungen einreissenden Unregelmaessigkeit ihre
+chronologische Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat.
+Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben
+sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den
+italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus
+hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit
+Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden
+koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen
+Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, beweist am besten die
+Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und
+heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu
+Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht;
+und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame
+Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem
+der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, erleichtert
+eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn auch hier das
+erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden ist. Erst die
+Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in hoechst
+abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten aramaeischen
+Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch Hinzufuegung der
+Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier fuer die Griechen als
+Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a e i o und
+durch Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der Silbe in die
+Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides sagt:
+Heilmittel also ordnend der Vergessenheit
+Fuegt ich lautlos' und lautende in Silben ein
+Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen.
+Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht
+worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die
+Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme oder
+Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten Vermittlungsstaetten des
+internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein
+wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste
+hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den
+Zusatz der drei Buchstaben x ph ch und die Abaenderung der Zeichen fuer y g l
+^3. Auch das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische
+Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus dem
+griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach Etrurien und
+nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das etruskische Alphabet
+kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und nur ein einfaches k ^4 und vom r
+nur die aeltere Form P; das latinische kennt, soviel wir wissen, nur ein
+einziges s, dagegen ein doppeltes k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die
+juengere Form R. Die aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und
+windet sich wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten
+Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt, soweit
+unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in
+gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach rechts
+oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den Roemern in jener,
+bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach Etrurien gebrachte
+Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten Charakters dennoch in eine
+sehr alte, wenn auch nicht positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da
+die beiden Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene
+Laute nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, das
+nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige
+Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern der
+griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San nebeneinander im
+Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, wie wir es kennen, im
+ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in
+Latium nicht, wie in Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden hat,
+sondern die Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen
+Nachbarn laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht
+hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass
+die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die juengeren
+AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was sich nur erklaeren
+laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre griechischen Aufzeichnungen wie
+fuer die in der Muttersprache sich des griechischen Alphabets als solchen
+bedienten. Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren
+Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und dem
+aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien
+frueher geschrieben worden ist als in Rom.
+-------------------------------------------
+^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen
+darin, dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem
+vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, die verschiedenartigsten
+Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und
+dass jeder dieser Vorschlaege seine eigene Geschichte gehabt hat. Die
+wichtigsten dieser Vorschlaege, die auch fuer die Geschichte der italischen
+Schrift im Auge zu behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden.
+I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute x ph ch. Dieser Vorschlag ist
+so alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta
+alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten
+Alphabete unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin,
+die Zeichen CH xi, PH phi, PS chi dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in
+dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und
+Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme gefunden.
+Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des Archipels, ferner
+auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte,
+fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des phoenikischen Alphabets
+(Samech) X im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei
+neuen Zeichen zwar das PH auch fuer phi, aber das CH nicht fuer xi sondern fuer
+chi. Das dritte, urspruenglich fuer chi erfundene Zeichen liess man wohl
+meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man es fest, gab ihm
+aber den Wert psi. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte auch Athen, nur dass
+hier nicht bloss das psi, sondern auch das xi nicht angenommen, sondern dafuer
+wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward.
+II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die
+naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn saemtliche
+uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide
+Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit
+muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen
+Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den Sibilanten,
+wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und
+das achtzehnte (S) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren
+vielmehr jenes - und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln,
+in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das
+Zeichen des i durch einfachen Strich ?, was bei weitem das Gewoehnlichere war
+und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das
+gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der
+Form M auch neben dem ? festhielten.
+III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit G g zu verwechselnden l L
+durch V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von
+Korinth abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem g
+statt der haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben.
+IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer r R p p
+und r P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche
+juengere Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen
+Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in
+dem eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist
+die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie die
+aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter.
+Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist
+in aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der
+Inseln des Aegaeischen Meeres.
+Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und
+geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten
+Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen
+Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die
+vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des
+griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle
+Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch fuer
+die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten
+ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets
+unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen
+Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig
+zu grosses Gewicht legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen,
+darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X als x oder als ch in zwei
+Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26
+Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische, aus dem
+das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das gemeingriechische der
+aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es haben aber vielmehr im Alphabet die
+einzelnen Landschaften sich den verschiedenen Modifikationsvorschlaegen
+gegenueber wesentlich eklektisch verhalten und ist der eine hier, der andere
+dort rezipiert worden. Eben insofern ist die Geschichte des griechischen
+Alphabets so lehrreich, als sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne
+Gruppen der griechischen Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in
+keinem solchen Wechselverhaeltnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so
+ist schon auf den merkwuerdigen Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den
+chalkidischen und dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht
+worden; in jenen sind durchgaengig die primitiven Formen festgehalten, in diesen
+die verbesserten Formen angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten
+kommend sich gewissermassen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die
+italischen Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem
+Alphabet der italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her;
+dass aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern
+beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die
+verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben
+bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen
+ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei
+ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner
+ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als
+dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es
+empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei
+den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen
+Tongefaesses ausschliesslich die juengere Form begegnet.
+^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht
+zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur
+desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen
+Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf
+jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein
+gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann zu
+diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am Schluss
+stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen Wert haben als
+den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte ist und das in dem, die
+Abweichungen .des etruskischen Alphabets von seinem Muster darlegenden
+Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem nach
+Etrurien gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem
+chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich eine
+lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet zunaechst
+nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig werdendes Zeichen im
+Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer und Zufall
+gewaltet; so hat das attische Alphabet das achtzehnte phoenikische Zeichen
+eingebuesst, die uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im Alphabet
+festgehalten.
+^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2,
+1887), unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und
+lateinischer Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das
+raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel in den AdI
+52, 1880) die aeltere Form des r.
+-------------------------------------------
+Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die
+Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen
+schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor
+Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische
+Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes
+etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist -
+offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der
+Buchstabenschrift in Etrurien.
+Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die
+Geschichte dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch
+wichtiger; denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen
+Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den
+Kuesten mit den Fremden. In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in
+der man sich im wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente,
+scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen
+Toskana beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria
+und Spina aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu
+den Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits
+derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und
+Steiermark reichen. Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets,
+welche sich hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter
+Zeilenschrift, auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht
+mehr zu unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens f,
+wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese
+Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, waehrend
+sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei saemtlichen
+sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich eingebuergert; im weiteren
+Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am
+Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale
+erfahren, haeufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue
+Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets
+aber ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen Graeber,
+sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in einem
+derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer
+wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das reformierte
+selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so versagt sich
+fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien
+gelangte.
+Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden,
+Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf
+Latium beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich
+behauptet; nur fielen g k und z s allmaehlich lautlich zusammen, wovon die Folge
+war, dass je eins der homophonen Zeichen (k z) aus der Schrift verschwand. In
+Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten Jahrhunderts der
+Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und literarische
+Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer nun erwaegt,
+dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von g c und k k noch
+regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo die Laute in der
+Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem die
+Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege liegt;
+dass endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung eines
+konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist verstrichen
+sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der Schreibkunst
+in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der aegyptischen
+Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor Christi Geburt, naeher
+liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland die Olympiadenchronologie
+beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst
+zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit
+ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den
+ein Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, und
+der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an
+Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel
+des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Buendnisses, das Koenig Servius
+Tullius mit Latium abschloss und das noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im
+Dianatempel auf dem Aventin sah - freilich wohl in einer nach dem Brand mit
+Hilfe eines latinischen Exemplars hergestellten Kopie, denn dass man in der
+Koenigszeit schon in Metall grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den
+Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der
+Kaiserzeit als auf die aelteste derartige roemische Urkunde und das
+gemeinschaftliche Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare,
+scribere verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf
+Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), spaeter auch
+auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der
+Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die aeltesten,
+im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol bewahrten
+Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch noetig sein, zu
+erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat
+"Vaeter und Eingeschriebene" (patres conscripti), an das hohe Alter der
+Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen und des roemischen
+Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten Zeit der Republik von
+Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und Maedchen der Vornehmen lesen
+und schreiben lernten, so kann das, aber muss nicht notwendig erfunden sein.
+Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten
+hat uns die Kunde der aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die
+Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung berufen
+war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, fuer
+die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und Charakteren, Schlachtberichte
+und Revolutionserzaehlungen zu begehren und ueber deren Erfindung zu
+vernachlaessigen, was die vorhandene schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und
+entsagenden Forscher nicht verweigert haben wuerde.
+-------------------------------------------------------------
+^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen
+sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der wir
+Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner Entstehung
+niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber ihren Text nicht auf
+das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine nach dem gallischen Brande
+vorgenommene offizielle Niederschrift, beweist die Erzaehlung von der damals
+erfolgten Wiederherstellung der Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus,
+dass ihr Text keineswegs die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie
+aufwies, auch abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum
+Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue
+Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann.
+^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste.
+Dagegen hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von k.
+^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen
+gilt dieses natuerlich nicht; hier wird g nicht durch c, sondern durch G (GAL
+Galeria), k in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), vor a
+durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man
+den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen Konsonanten durch C ausgedrueckt,
+dagegen vor a durch K, vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q.
+^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen Gedichte,
+wenn auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor
+die Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom
+850); denn die Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der
+Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen
+Zeit an.
+^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben.
+---------------------------------------------
+Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die
+schwache und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im
+Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den
+Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich daraus,
+dass sie das Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den Ruecken des
+Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer
+Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits
+enthaelt diese Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme,
+welche die spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene
+roemische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung
+geduldig wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern
+aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem eine Spur
+sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen
+Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass sie nicht einmal das
+so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja wo
+Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die
+von den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben.
+----------------------------------------------
+^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v
+entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat
+die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit
+zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen
+Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet
+angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav
+Meyer, Griechische Grammatik,  244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein
+aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich naehern.
+---------------------------------------------
+Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die
+Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben
+besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten
+untergegangen, waehrend die Umbrer g d, die Samniten d, die Roemer g einbuessten
+und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den Etruskern
+schon frueh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich Ansaetze
+derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn
+waehrend der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das
+letzte wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich
+der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spaetere
+Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden
+von den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen maechtigen
+Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen Loesung der nationalen Schrift
+von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmaehlich die Mediae und ihre
+Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und Vokale zerruettet, von welchen
+Lautverschiebungen oder vielmehr Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz
+ungriechisch ist. Die Zerstoerung der Flexions- und Derivationsformen geht mit
+dieser Lautzerruettung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also
+im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an jeder
+Sprache fortwaehrend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell ein Damm
+entgegengesetzt wird; nur dass von dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in
+der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese Barbarisierung die Etrusker in
+staerkerem Masse erfasste als irgendeinen der italischen Staemme, stellt sich zu
+den zahlreichen Beweisen ihrer minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es
+scheint, unter den Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am
+wenigsten die suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen
+wurden, so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen
+wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben.
+15. Kapitel
+Die Kunst
+Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise;
+insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch
+vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische nicht; es
+fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche
+zu idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste
+der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen
+vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei
+Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die
+guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komoedie
+und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische
+Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und
+Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation
+gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht ueber
+Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und
+ein echtes Drama erzeugt. Auch die hoechsten in Italien gelungenen literarischen
+Leistungen, goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie
+Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr
+rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter
+wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent weit weniger
+hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich steigert und
+an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und herzvertrocknendes
+Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der
+Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein Aeusserliches unterschieden werden
+kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der
+Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele,
+sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist er denn auch in
+den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause und darin in der
+alten Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der neuen der Meister
+aller Nationen geworden.
+Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich, die
+Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens
+zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie
+reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie
+jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen
+Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich
+durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten
+Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener
+hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische
+Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den Kaempfern
+die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene geordnet in drei
+Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben, alle in roten Roecken mit
+kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Maenner ueberdies
+behelmt, ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der
+Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf den Schurz
+mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die aelteste und
+heiligste von allen Priesterschaften die "Springer" und durften die Taenzer
+(ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem oeffentlichen Aufzug und namentlich bei
+keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein
+gewoehnliches Gewerbe ward. Wo aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die
+Spielleute oder, was in aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich
+ein. Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem
+Begraebnis, und neben der uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer
+steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde
+(collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das
+alte und selbst der strengen roemischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht,
+an ihrem Jahresfest maskiert und suessen Weines voll auf den Strassen sich
+herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als
+untergeordnete, aber notwendige Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche
+Genossenschaften fuer beide bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als
+ein Zufaelliges und gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich
+entstehen oder dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen.
+Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen
+Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der "guenstige Geist"
+(faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das verkuenden die, denen
+es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch gemessener
+Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen weissagenden Gesaengen der vom
+Gott ergriffenen Maenner und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen
+Zaubersprueche, die Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach
+und die boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft
+oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass in diesen wohl
+von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln erscheinen ^1. Fester
+ueberliefert und gleich uralt sind die religioesen Litaneien, wie die Springer
+und andere Priesterschaften sie sangen und tanzten und von denen die einzige bis
+auf uns gekommene, ein wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der
+Ackerbrueder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient:
+-------------------------------------------------
+^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den
+Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich
+seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich
+daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nuechtern
+eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend,
+die Worte spricht: "Ich denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde empfange das
+Unheil, Gesundheit sei mein Teil" (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro
+rust. 1, 2, 27).
+--------------------------------------------------------------------
+Enos, Lases, iuvate!
+Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
+Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber!
+Semunis alternei advocapit conctos!
+Enos, Marmar, invato!
+Triumpe! ^2
+--------------------------------------------------------------------
+^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers,
+sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera
+(limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die
+ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die
+Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile.
+Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat
+deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied - asted noisi ope toitesiai
+pakariuois - duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine
+(wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher verstaendlich sind nur
+einzelne Woerter; bemerkenswert vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als
+umbrische und oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im
+Wert von et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.
+------------------------------------------------------------
+
+an die Goetter Uns, Laren, helfet!
+ Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars,
+ lass einstuermen auf mehrere.
+ Satt sei, grauser Mars!
+
+an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie!
+Brueder
+
+an alle
+Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen
+
+an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf!
+
+an die einzelnen Springe!
+Brueder
+
+Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der Baliarischen
+Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die aeltesten
+Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu dem Latein der Zwoelf
+Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl
+duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den
+indischen Veden vergleichen.
+Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass
+es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, wuerde
+sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die
+sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es ausdruecklich bezeugten.
+Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein Buerger zur Bestattung
+weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau
+und sang ihm unter Begleitung eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia).
+Desgleichen wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte
+die Vaeter auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum
+Lobe der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne
+Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei dem
+Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich den Griechen
+entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es
+versteht sich, dass sie schilderten und erzaehlten und insofern neben und aus
+dem lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten.
+Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel ueber
+die Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz
+oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in
+den Verhaeltnissen, dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den
+Hochzeiten aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht
+mehrere Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der
+Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend
+einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden
+hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der
+fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer
+volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer das
+Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und
+Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war.
+Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und Drama.
+Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum
+Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig von Kindern vorgetragen
+wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit waren dieselben vollstaendig
+verschollen. Die Komoedien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in
+dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte
+von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das
+Mass, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken.
+Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft;
+die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich fixierten
+metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen
+begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnische ^3 oder
+faunische Mass, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit
+der aeltesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer
+weit spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung
+geben.
+------------------------------------------
+^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das "Liedermass", insofern die
+satura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm
+ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Saturnus benannt; sein
+Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist moeglich,
+dass die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden. Aber
+Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich
+gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus saturnius mit dem Gott Saturnus
+und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der spaeteren Zeit
+an.
+------------------------------------------
+Quod re sua difeidens - aspere afleicta
+Parens timens heic vovit - voto hoc souto
+Decuma facta poloucta - leibereis lubentes
+Donu danunt - Hercolei - maxsume - mereto
+Semol te orant se voti - crebro condemnes
+Was, Missgeschick befuerchtend - schwer betroffnem Wohlstand,
+Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des Geloebnis eintraf,
+Zu Weih' und Schmaus den Zehnten - bringen gern die Kinder
+Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten;
+Sie flehn zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest.
+In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig
+gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass
+namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei
+Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die
+saturnische Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum
+vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl
+das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen
+sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das
+der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten
+iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer hoehere
+poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu entwickeln.
+Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die
+ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns
+verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird als einem
+kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie der
+Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen
+Instrument.
+Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen
+Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der
+Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus - Masken, die man so artig
+wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der
+italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass diese Masken bereits der
+aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren, laesst sich natuerlich nicht
+eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die
+Volksbuehne von unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in
+Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da
+jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da endlich
+die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele ohne feste, dem
+Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal zuweisende Masken nicht wohl
+denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfaenge des roemischen
+Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie als diese Anfaenge selbst betrachten
+duerfen.
+Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von
+Latium spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen
+ueber die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil
+wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, namentlich der
+griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche letztere den Latinern
+natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich
+der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade
+selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der
+Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens.
+Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen
+noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen
+wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in
+fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und
+weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine
+Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine
+musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es darf wohl
+ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch
+nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische
+Befruchtung aber blieb nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die
+"Saiten" (fides, von sphid/e/ Darm; auch barbitus barbytos) ist nicht, wie die
+Floete, in Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument
+gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist teils die
+barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre Anwendung selbst
+im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen bereits in dieser Zeit nach
+Latium floss, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke
+mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen;
+und auch die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des
+Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in Alumentus,
+des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele in Stimula lassen
+erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen von Latinern vernommen
+und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem kann das roemische Haupt-
+und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine
+spaetere Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluss erhalten
+haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund eines von
+dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum gewoehnlich bei der
+Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und den mit ihm
+zusammen hausenden Goettern ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem
+zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit einer Arena und
+Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms,
+geordnet nach den Abteilungen der Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die
+Kaempfer und die frueher beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen
+Musik; hierauf die Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen
+heiligen Geraet; endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest
+selbst war das Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf
+zu Wagen, zu Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach
+homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die
+abgesprungenen Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer
+Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen
+die Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich
+miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der
+Wettkaempfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern
+gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in
+Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb,
+auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich
+liessen die Wettkaempfe an diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen
+Karneval, wobei denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen
+entfaltet haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel
+Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die im ernsten
+Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle; der tapfere
+Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der erschlagenen Gegner aus und
+trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde
+ihn geschmueckt hatte.
+-----------------------------------------------------------
+^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie
+spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit dem
+urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso unvereinbar, wie es
+nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben in Etrurien lernten. Dass
+das Studium der etruskischen Sprache damals in Rom die Rolle gespielt habe wie
+etwa jetzt bei uns das Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten
+heutigen Bekenner des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen
+Haruspicin etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten,
+einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. O.
+Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist die Angabe von
+den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der Republik herausgesponnen
+aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren Annalen, welche zum Beispiel den
+Mucius Scaevola seiner Unterhaltung mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch
+lernen lassen (Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es
+gab allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine gewisse
+Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern erforderte.
+^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic.
+Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448,
+vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter
+nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger unschicklich
+(Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik im Jahre 639
+wurden nur der "latinische Floetenspieler samt dem Saengern, nicht der
+Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur zur Floete
+(Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor.
+carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was
+Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf
+Privatgastmaehler uebertragen.
+^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es
+noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag
+circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius.
+Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst spaeter
+hinzugekommen sind. Dass in jeder Kampfgattung urspruenglich nur einmal
+gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu
+fuenfundzwanzig Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18),
+so ist das Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter
+und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in den
+roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte
+Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die weisse und die rote.
+Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die
+sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne
+Zweifel knuepfte es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys
+(7, 72) gedenkt.
+----------------------------------------------------------
+Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen
+oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch in den
+Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen Leichenfeier
+traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch
+Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer
+vorher besonders zu dem Begraebnis eingeladen ward.
+Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene
+Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor
+allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen Feier und eines
+kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Uebungen, die bei dem
+Fest von Olympia nach Pindaros' Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen,
+Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit
+des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein
+Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes
+zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und
+Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese Uebereinstimmung
+nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter Volksgemeinschaft oder eine
+Folge des aeltesten internationalen Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht
+die ueberwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es
+kennen, ist keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst
+erst zu den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie
+die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss erfolgt ist (I, 109),
+kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere Belustigungsweise - der "Sprung"
+(triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem
+Albaner Berg noch lange in Uebung gebliebene Schaukeln - mit den griechischen
+Rennen verbunden und bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt
+worden sein. Es ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in
+Hellas, aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische
+Stadion (dorisch spadion) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher
+Zeit in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt sogar ein
+ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die Pferde- und Wagenrennen
+von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere Angabe sie aus
+Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Roemer ausser den musikalischen und
+poetischen Anregungen auch den fruchtbaren Gedanken des gymnastischen
+Wettstreits den Hellenen zu verdanken.
+Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus
+denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese
+selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der
+Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als der roemische Knabe wie
+jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspiess fuehren lernte und
+als in Rom jeder Gemeindebuerger zugleich Soldat war; sondern es genoss die
+Tanzkunst von jeher oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen
+Wettkaempfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische
+Lyrik und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische
+Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse
+die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht.
+Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht aufgingen
+oder verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb
+und tuechtig, aber fern von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des
+Koerpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen
+Wettkaempfe der Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen,
+aber ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne
+Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und
+Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste
+Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die
+roemischen bald in die Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von
+unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein
+Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das
+Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum die Rede.
+Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und
+die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der
+goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen Boden eben nur wenige
+Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen
+Goetter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter
+persoenlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso
+sind die Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne
+Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in
+sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der
+Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es
+in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und
+herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der Poesie, dass sie die
+Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und aus den Staemmen ein Volk,
+aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch
+unsere Weltliteratur die Gegensaetze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind,
+so hat die griechische Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum
+hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in
+Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben,
+aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch denkbar
+waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die Hesiodischen 'Werke
+und Tage'. Es konnte wohl das latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest
+werden wie die Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall
+ein Sagenkreis anknuepfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede
+Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin
+wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und
+Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst.
+Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen
+Kuenste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt,
+auch fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie
+eignen wohl ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und
+Totenlied gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die
+Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die
+Musen von Hellas weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der
+Dichter die Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium
+hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache
+keine Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier
+unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die Uebung
+musischer Kuenste hat sich hier frueh teils auf Frauen und Kinder, teils auf
+zuenftige und unzuenftige Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den
+Frauen, die Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt
+worden; auch die religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern
+ausgefuehrt. Die Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die
+Klagefrauen (praeficae) unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in
+Hellas stets blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren,
+ehrenvolle und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende
+Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der Buergerschaft mehr
+und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um so entschiedener, je mehr
+die Kunst sich oeffentlich darstellte und je mehr sie von den belebenden
+Anregungen des Auslandes durchdrungen war. Die einheimische Floete liess man
+sich gefallen, aber die Lyra blieb geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel
+zugelassen ward, so schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss
+gleichgueltig, sondern schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in
+Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen
+zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt,
+schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und
+indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier
+nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen
+Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den Schranken der
+engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von der Seite und
+begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel auf das Feld, sondern
+auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste
+oder in den Rat geladen war. Diese haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den
+Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden
+Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des
+werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der
+Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen Tradition, die
+Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst (gravitas) und der
+sittliche und wuerdige Charakter des roemischen Lebens. Wohl war auch diese
+Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum
+bewusster Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber ueber der
+Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur
+durchgefuehrt werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der
+eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so
+reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen.
+-----------------------------------------------
+^7 Vates ist wohl zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der
+Salier zu fassen sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem
+griechischen proph/e/t/e/s: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort
+und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff
+des gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten.
+----------------------------------------------
+Ueber die Entwicklung der musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern
+mangelt uns so gut wie jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass
+auch in Etrurien die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler
+(subulones) frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein
+Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom um geringen
+Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist es, dass
+an dem etruskischen Nationalfest, welches die saemtlichen Zwoelfstaedte durch
+einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des roemischen Stadtfestes
+gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr
+als die Latiner zu einer nationalen, ueber den einzelnen Gemeinden stehenden
+musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande.
+Anderseits mag wohl in Etrurien schon in frueherer Zeit der Grund gelegt sein zu
+der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen
+Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem allgemeinen Verfall die
+Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden, Chaldaeern und Aegyptern die
+Ehre teilten, als Urquell goettlicher Weisheit angestaunt zu werden.
+Womoeglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus
+natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie der der Nachbarstaemme nachgestanden
+hat. Vielmehr laesst sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei
+Hauptstaemme vermuten, dass an kuenstlerischer Begabung die Samniten den
+Hellenen am naechsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen;
+und eine gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die
+bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie Naevius,
+Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehoeren, wogegen
+Etrurien in der roemischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den
+Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und
+worteverkraeuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal
+eines hoffaertigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen.
+Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes
+Gemeingut der Staemme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist
+dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen
+Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher
+durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung (cavum
+aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser "schwarzen
+Decke" (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt; hier werden die
+Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre aufgestellt; hier empfaengt
+der Mann die Gaeste und sitzt die Frau spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus
+hatte keinen Flur, insofern man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustuer
+und der Strasse dafuer nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der
+Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte
+und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung
+mangelte, ausser dass um den Wohnraum herum Schlaf- und Vorratskammern
+angebracht werden konnten; und an Treppen und aufgesetzte Stockwerke ist noch
+weniger zu denken.
+------------------------------------------------
+^8 Dass die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und
+etruskischen, sondern der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt
+werden.
+-----------------------------------------------
+Ob und wieweit aus diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik
+hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der
+fruehesten Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen
+volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste
+italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem
+Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten
+Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das aelteste unter den
+kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von
+Orchomenos und Mykenae durch uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende
+und mit einem grossen Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In
+derselben Weise ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von
+Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus (tullianum)
+am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die Spitze
+abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich voellig
+in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die groesste
+Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen Ringmauern
+kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina
+haeufig vor und gehoeren der Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken
+Italiens, obwohl der groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst
+viel spaeter, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt
+aufgefuehrt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus
+grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen kleineren
+Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus vieleckig
+zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber die Wahl des einen
+oder des anderen dieser Systeme entschied in der Regel wohl das Material, wie
+denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur aus Tuff baute, deswegen der
+Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie der beiden ersten einfacheren Arten
+mag man auf die des Baustoffs und des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann
+schwerlich fuer zufaellig gehalten werden, dass auch der kuenstliche polygone
+Mauerbau und das Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden und die
+unbeschildete rechte Seite des Angreifers den Verteidigern blosslegenden Torweg
+den italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen eignet. Bedeutsame
+Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens, der von den Hellenen
+zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem Verkehr war, der
+eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er in Etrurien nur in Pyrgi
+und in den nicht sehr weit davon entfernten Staedten Cosa und Saturnia begegnet;
+da die Anlage der Mauer von Pyrgi, zumal bei dem bedeutsamen Namen ("Tuerme"),
+wohl ebenso sicher den Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von
+Tirynth, so steht hoechst wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor
+Augen, an denen die Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel endlich, der in
+der Kaiserzeit der tuscanische hiess und als eine den verschiedenen griechischen
+Tempelbauten koordinierte Stilgattung betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben
+wie der griechische ein gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber
+welchem Waende und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im
+einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen Detail,
+voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem diesem
+wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische Baukunst vor der
+Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten, Verhacke und Erd- und
+Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die Steinkonstruktion erst in
+Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum zu
+bezweifeln ist es, dass die Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens
+kennenlernten und von ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von
+chalix), die Maschine (machina m/e/chan/e/), das Richtmass (groma, verdorben aus
+gn/o/m/o/n gn/o/ma) und den kuenstlichen Verschluss (clatri kl/e/thron)
+ueberkamen. Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum
+gesprochen werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses neben den
+durch griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen manches Eigentuemliche
+festgehalten oder auch erst entwickelt worden sein und dies dann wieder auf den
+Bau der italischen Goetterhaeuser zurueckgewirkt haben. Die architektonische
+Entwicklung des Hauses aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner
+und selbst der Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der
+guten alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, sondern
+nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon begonnen hatte, das
+Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem Muster des menschlichen
+Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und dem Geist ein Grabgemach zu
+errichten. Dass man in Latium zu solchen Luxusbauten erst unter etruskischem
+Einfluss vorschritt, beweist die Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des
+aeltesten Hausbaustils als tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser
+Uebertragung anlangt, so ahmt der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen
+Umrisse des Zeltes oder des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern
+gebaut und mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten
+Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der Notwendigkeit
+und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb der scharfe
+griechische Gegensatz zwischen der von Holz hergerichteten Menschen- und der
+steinernen Goetterwohnung fremd; die Eigentuemlichkeiten des tuscanischen
+Tempels: der mehr dem Quadrat sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die
+groessere Weite der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die
+gesteigerte Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber
+die tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des Tempels
+an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues hervor.
+---------------------------------------------------------
+^9 Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus
+einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier Metern starke
+Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am Viminal und Quirinal,
+wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natuerliche Verteidigung
+fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach aussen durch eine aehnliche Futtermauer
+abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben,
+nach zuverlaessigen Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog
+sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die
+Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind in neuerer Zeit
+ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen. Die Tuffbloecke derselben sind im
+laenglichen Rechteck behauen, durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss)
+hoch und breit, waehrend die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern
+wechselt, und ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den
+Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.
+Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen
+Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffbloecke von
+drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf welchem dann aus Bloecken von
+demselben Material und derselben Groesse, wie sie bei der Mauer sonst verwandt
+waren, die Aussenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint
+auf der oberen Flaeche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40
+roem. Fuss, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine
+Breite bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke
+aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei
+spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen.
+Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am
+Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin
+aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd.
+2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer Ueberreste der Burgmauer
+des palatinischen Rom erklaert worden sind.
+^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum.
+-----------------------------------------------------
+Die bildenden und zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das
+Haus muss erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu schmuecken.
+Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon waehrend der
+roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien, wo
+Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird die Kunst oder,
+wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss gefasst haben. Die
+griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, wie ihr Abbild
+beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es moegen wohl die Etrusker in
+nicht viel spaeterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu
+arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von
+etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermuenzen von
+Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden
+Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen von den etruskischen
+Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch stellten, die besten eben
+dieser Urzeit angehoert haben, und auch die etruskischen Terrakotten koennen
+nicht ganz gering gewesen sein, da die aeltesten in den roemischen Tempeln
+aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, die Bildsaeule des kapitolinischen
+Jupiter und das Viergespann auf seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und
+die grossen derartigen Aufsaetze auf den Tempeldaechern ueberhaupt bei den
+spaeteren Roemern als "tuscanische Werke" gingen.
+Dagegen war bei den Italikern, nicht bloss bei den sabellischen Staemmen,
+sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit
+noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande
+gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde
+schon gedacht; dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften
+versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in
+Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der
+Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das
+aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem massaliotischen der
+ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es
+sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zuenfte der Toepfer,
+Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens
+daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich,
+eine konkrete Vorstellung zu gewinnen.
+Versuchen wir aus den Archiven aeltester Kunstueberlieferung und
+Kunstuebung geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunaechst offenbar,
+dass die italische Kunst ebenso wie italisches Mass und italische Schrift nicht
+unter phoenikischem, sondern ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich
+entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen,
+die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und
+insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten
+Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt auf die
+drei griechischen Kuenstler: den "Bildner", "Ordner" und "Zeichner", Eucheir,
+Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass diese Kunst
+zunaechst von Korinth und zunaechst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer
+Nachahmung orientalischer Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer
+selbstaendig entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der
+urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten, so sind doch
+auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit nachgeschnitten worden,
+wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter griechischer Inschrift sich in
+Aegina gefunden hat, und koennen also den Etruskern recht wohl durch die
+Griechen zugekommen sein. Von dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte nur
+von dem Griechen.
+--------------------------------------------------------
+^11 Wenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die
+Roemer mehr als 170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er
+offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen
+Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne
+Zweifel das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden
+Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230.
+------------------------------------------------------
+Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die
+Kunstmuster zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort
+nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen
+und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien
+wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in sehr beschraenkter
+Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die
+Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und
+Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem
+dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten,
+in dem um die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines
+besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische Stil dem
+juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene
+ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen
+griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium mangelt es so gut wie ganz
+an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja
+genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und
+Verkehrsbeziehungen auch fuer die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann
+mit Sicherheit angenommen werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen
+wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und
+die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis widerspricht
+dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die aeltere etruskische Kunst
+auch fuer Latium Muster. Den sabellischen Staemmen ist wie das griechische
+Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur
+durch Vermittlung der westlicheren italischen Staemme nahegetreten.
+Wenn aber endlich ueber die Kunstbegabung der verschiedenen italischen
+Nationen ein Urteil gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was
+freilich in den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher
+hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind und
+massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den
+latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit nicht minder
+wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich dies allerdings fuer
+jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmaessige wie schoene polygone
+Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland haeufig, in Etrurien
+selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken geschichtet.
+Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen Hervorhebung des
+Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge der spaeteren
+roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen zu erkennen. Dagegen haben
+die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, aber auch verdorben, indem
+sie die fuer den Steinbau festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf
+den Holzbau uebertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten
+Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu reden,
+"ein breites, niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen" gegeben haben.
+Die Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen Kunst nur sehr weniges
+ihrem energisch realistischen Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen,
+der Idee nach und innerlich sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen
+Mauerbaus vielleicht ihre Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist
+ein merkwuerdiges Zeugnis handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig
+festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch
+nur genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben mag, so gut wie man
+laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten,
+wird man sich auch noch entschliessen muessen, in der Geschichte der italischen
+Kunst die Etrusker aus der ersten in die letzte Stelle zu versetzen.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1
+by Theodor Mommsen
+
diff --git a/old/1momm10.zip b/old/1momm10.zip
new file mode 100644
index 0000000..1f291f9
--- /dev/null
+++ b/old/1momm10.zip
Binary files differ
diff --git a/old/1momm10h.zip b/old/1momm10h.zip
new file mode 100644
index 0000000..c7e9f99
--- /dev/null
+++ b/old/1momm10h.zip
Binary files differ
diff --git a/old/1momm10u.zip b/old/1momm10u.zip
new file mode 100644
index 0000000..39aa9c2
--- /dev/null
+++ b/old/1momm10u.zip
Binary files differ
diff --git a/old/3060-0.txt b/old/3060-0.txt
new file mode 100644
index 0000000..f274410
--- /dev/null
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diff --git a/old/3060.txt b/old/3060.txt
new file mode 100644
index 0000000..db31577
--- /dev/null
+++ b/old/3060.txt
@@ -0,0 +1,9237 @@
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 by Theodor
+Mommsen (#1 in our series by Theodor Mommsen)
+
+Copyright laws are changing all over the world, be sure to check the
+laws for your country before redistributing these files!!!
+
+Please take a look at the important information in this header. We
+encourage you to keep this file on your own disk, keeping an electronic
+path open for the next readers.
+
+Please do not remove this.
+
+This should be the first thing seen when anyone opens the book. Do not
+change or edit it without written permission. The words are carefully
+chosen to provide users with the information they need about what they
+can legally do with the texts.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**Etexts Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*These Etexts Prepared By Hundreds of Volunteers and Donations*
+
+Information on contacting Project Gutenberg to get Etexts, and further
+information is included below. We need your donations.
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states. These donations should be made to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Ave. Oxford, MS 38655
+
+
+Title: Rmische Geschichte Book 1
+
+Author: Theodor Mommsen
+
+Release Date: February, 2002 [Etext #3060] [Yes, we are about one year
+ahead of schedule]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+The Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte by Theodor Mommsen
+******This file should be named 3060.txt or 3060.zip******
+
+Thanks to KGSchon for preparing this etext.
+
+Project Gutenberg Etexts are usually created from multiple editions,
+all of which are in the Public Domain in the United States, unless a
+copyright notice is included. Therefore, we usually do NOT keep any of
+these books in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our books one year in advance of the
+official release dates, leaving time for better editing. Please be
+encouraged to send us error messages even years after the official
+publication date.
+
+Please note: neither this list nor its contents are final till midnight
+of the last day of the month of any such announcement. The official
+release date of all Project Gutenberg Etexts is at Midnight, Central
+Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may
+often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to
+do so.
+
+Most people start at our sites at: http://gutenberg.net
+http://promo.net/pg
+
+
+Those of you who want to download any Etext before announcement can surf
+to them as follows, and just download by date; this is also a good way
+to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers
+produce obviously take a while after an announcement goes out in the
+Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext02
+
+Or /etext01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want, as it
+appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The time
+it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get
+any etext selected, entered, proofread, edited, copyright searched and
+analyzed, the copyright letters written, etc. This projected audience
+is one hundred million readers. If our value per text is nominally
+estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour this
+year as we release fifty new Etext files per month, or 500 more Etexts
+in 2000 for a total of 3000+ If they reach just 1-2% of the world's
+population then the total should reach over 300 billion Etexts given
+away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away One Trillion Etext Files
+by December 31, 2001. [10,000 x 100,000,000 = 1 Trillion] This is ten
+thousand titles each to one hundred million readers, which is only about
+4% of the present number of computer users.
+
+At our revised rates of production, we will reach only one-third of that
+goal by the end of 2001, or about 3,333 Etexts unless we manage to get
+some real funding.
+
+Something is needed to create a future for Project Gutenberg for the
+next 100 years.
+
+We need your donations more than ever!
+
+Presently, contributions are only being solicited from people in: Texas,
+Nevada, Idaho, Montana, Wyoming, Colorado, South Dakota, Iowa, Indiana,
+and Vermont. As the requirements for other states are met, additions
+to this list will be made and fund raising will begin in the additional
+states.
+
+All donations should be made to the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation and will be tax deductible to the extent permitted by law.
+
+Mail to:
+
+Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University
+Avenue Oxford, MS 38655 [USA]
+
+We are working with the Project Gutenberg Literary Archive Foundation to
+build more stable support and ensure the future of Project Gutenberg.
+
+We need your donations more than ever!
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+You can get up to date donation information at:
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+http://www.gutenberg.net/donation.html
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+***
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+You can always email directly to:
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+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
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+hart@pobox.com forwards to hart@prairienet.org and archive.org if your
+mail bounces from archive.org, I will still see it, if it bounces from
+prairienet.org, better resend later on. . . .
+
+We would prefer to send you this information by email.
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+Example command-line FTP session:
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+ftp ftp.ibiblio.org login: anonymous password: your@login cd
+pub/docs/books/gutenberg cd etext90 through etext99 or etext00 through
+etext02, etc. dir [to see files] get or mget [to get files. . .set bin
+for zip files] GET GUTINDEX.?? [to get a year's listing of books, e.g.,
+GUTINDEX.99] GET GUTINDEX.ALL [to get a listing of ALL books]
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+(Three Pages)
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+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS**START*** Why is
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+might sue us if there is something wrong with your copy of this etext,
+even if you got it for free from someone other than us, and even if
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+you how you can distribute copies of this etext if you want to.
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+(the "Project"). Among other things, this means that no one owns a
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+DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES.
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+it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by
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+it from. If you received it on a physical medium, you must return it
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+choose to alternatively give you a second opportunity to receive it
+electronically.
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+THIS ETEXT IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER WARRANTIES
+OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS TO THE ETEXT OR
+ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF
+MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A PARTICULAR PURPOSE.
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+Some states do not allow disclaimers of implied warranties or the
+exclusion or limitation of consequential damages, so the above
+disclaimers and exclusions may not apply to you, and you may have other
+legal rights.
+
+INDEMNITY You will indemnify and hold the Project, its directors,
+officers, members and agents harmless from all liability, cost and
+expense, including legal fees, that arise directly or indirectly from
+any of the following that you do or cause: [1] distribution of this
+etext, [2] alteration, modification, or addition to the etext, or [3]
+any Defect.
+
+DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm" You may distribute copies of
+this etext electronically, or by disk, book or any other medium if you
+either delete this "Small Print!" and all other references to Project
+Gutenberg, or:
+
+[1] Only give exact copies of it. Among other things, this requires
+that you do not remove, alter or modify the etext or this "small print!"
+statement. You may however, if you wish, distribute this etext in
+machine readable binary, compressed, mark-up, or proprietary form,
+including any form resulting from conversion by word processing or
+hypertext software, but only so long as *EITHER*:
+
+[*] The etext, when displayed, is clearly readable, and does *not*
+contain characters other than those intended by the author of the work,
+although tilde (~), asterisk (*) and underline (_) characters may
+be used to convey punctuation intended by the author, and additional
+characters may be used to indicate hypertext links; OR
+
+[*] The etext may be readily converted by the reader at no expense into
+plain ASCII, EBCDIC or equivalent form by the program that displays the
+etext (as is the case, for instance, with most word processors); OR
+
+[*] You provide, or agree to also provide on request at no additional
+cost, fee or expense, a copy of the etext in its original plain ASCII
+form (or in EBCDIC or other equivalent proprietary form).
+
+[2] Honor the etext refund and replacement provisions of this "Small
+Print!" statement.
+
+[3] Pay a trademark license fee to the Project of 20% of the gross
+profits you derive calculated using the method you already use to
+calculate your applicable taxes. If you don't derive profits, no royalty
+is due. Royalties are payable to "Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation" the 60 days following each date you prepare (or were legally
+required to prepare) your annual (or equivalent periodic) tax return.
+Please contact us beforehand to let us know your plans and to work out
+the details.
+
+WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? The Project
+gratefully accepts contributions of money, time, public domain
+etexts, and royalty free copyright licenses. If you are interested
+in contributing scanning equipment or software or other items, please
+contact Michael Hart at: hart@pobox.com
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS*Ver.04.07.00*END*
+
+
+
+
+The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
+(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations
+is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked
+in Greek words, nor is there any differentiation between the different
+accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.
+
+Theodor Mommsen Roemische Geschichte Erstes Buch Bis zur Abschaffung des
+roemischen Koenigtums
+
+Vorrede zu der zweiten Auflage Die neue Auflage der 'Roemischen
+Geschichte' weicht von der frueheren betraechtlich ab. Am meisten
+gilt dies von den beiden ersten Buechern, welche die ersten fuenf
+Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo die pragmatische
+Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich selbst Inhalt und
+Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die Schwierigkeiten,
+welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit- und
+Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der
+Art, dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt.
+Obwohl der Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten
+der Forschung und der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er
+dasselbe dem Publikum vorlegte, so blieb dennoch notwendig, hier noch
+viel zu tun und viel zu bessern. In diese Auflage ist eine Reihe neu
+angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die staatsrechtliche
+Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der dichtenden und
+bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden. Ueberdies
+wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung
+durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung
+klarer und uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten
+Buche die inneren Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der
+Karthagischen Kriege nicht, wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft,
+sondern mit der durch die Wichtigkeit wie die Schwierigkeit des
+Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt worden. Der billig
+Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu loesen
+unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen
+wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der
+Verfasser es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht
+jene leicht ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont,
+sondern vielmehr wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige
+gerichtet hat, darin es abgeschlossen und fertig war. Im uebrigen hat
+der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich bemueht.
+Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte beibehalten;
+die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor Christi
+Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der
+Stadt dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4
+gleichgesetzt worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge
+des roemischen Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem
+1. Juli beruecksichtigt werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der
+Stadt den letzten zehn Monaten des Jahres 753 und den zwei ersten des
+Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten Monaten von Ol. 6, 3 und
+den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das roemische und
+griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden, dass
+Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und
+fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle
+Summen bis zu 100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden
+Gewichtsquantums zugrunde gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (=
+327,45 Gramm) Geld gleich 4000 Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes
+zum Silber 1:15,5 zu 304 Talern preussisch, der Denar nach Silberwert
+zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird. Die dem ersten Bande
+beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische Konsolidierung
+Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag. Die
+Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern.
+Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben
+werden **, da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich
+machen, das Werk so rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern.
+------------- * Hier in Klammern im Text. ** Karte und Register
+sind hier weggelassen. ------------- Breslau, im November 1856 Die
+Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande
+dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst
+gewesen ist, sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den
+neu aufgefundenen Fragmenten des Licinianus, welche er durch die
+zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, Herrn Karl Pertz, bereits
+vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat einsehen duerfen und die
+zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der Schlacht bei Pydna
+bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige Ergaenzung,
+freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben. Breslau, im Mai
+1857 Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage Die dritte (vierte,
+fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird man im ganzen
+von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden. Kein
+billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes,
+wie das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue
+Auflagen jede inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen,
+das heisst zu wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen,
+seit dem Erscheinen der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich
+dem Verfasser als versehen oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig
+berichtet worden; zu einer Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich
+keine Veranlassung dargeboten. Eine Ausfuehrung ueber die Grundlagen
+der roemischen Chronologie im vierzehnten Kapitel des dritten Buches
+ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe angemessener Weise in einer
+besonderen Schrift ('Die roemische Chronologie bis auf Caesar'. Zweite
+Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze
+Darlegung der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit
+eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert.
+Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868;
+am 4. August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober
+1902. Meinem Freunde Moritz Haupt In Berlin Erstes Buch Bis zur
+Abschaffung des roemischen Koenigtums
+
+
+Ta palaistera saph/o/s men eyrein dia chronoy pl/e/thos ad?nata /e/n. Ek
+de tekm/e/ri/o/n /o/n epi makrotaton skopo?nti moi piste?sai xymbainei
+oy megala nomiz/o/ genesthai, o?te kata to?s polemoys oite es ta alla.
+Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht
+genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung
+im grossen Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht
+erheblich waren, weder in bezug auf die Kriege noch sonst. Thukydides 1.
+Kapitel Einleitung Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das
+tief einschneidend in die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet
+und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald
+wieder sich in betraechtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile
+der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten
+Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich
+betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein Ganzes
+ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die
+Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der
+Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien
+an uns vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen
+Stammes an dem suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen
+Nation, die die Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein
+bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des
+Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europaeischen
+Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl
+knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an andere Gesichts-
+und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren eigenen
+abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten
+Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger
+Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen
+Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach
+sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch
+weder ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt
+Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit
+gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom
+bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf
+eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation
+gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle
+Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet
+und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue
+Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie
+die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer
+ergossen und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der
+noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer
+an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von
+der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die
+neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen
+Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl
+anschliesst an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der
+Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, aber
+auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und
+Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen
+der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende
+Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss
+erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst
+das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des
+erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein;
+das grossartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie
+erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am
+Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in
+hoeherem Sinne neu gestellt wird. Unsere Aufgabe ist die Darstellung
+des letzten Akts jenes grossen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte
+Geschichte der mittleren unter den drei Halbinseln, die vom noerdlichen
+Kontinent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch
+die von den westlichen Alpen aus nach Sueden sich verzweigenden Gebirge.
+Der Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher Richtung zwischen dem
+breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des Mittelmeers,
+an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu
+der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen
+erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher
+Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach
+einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in
+einen flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug
+und schliesst dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln
+ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab
+sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete
+Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland,
+demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im
+siebenten Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia
+bis Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte
+Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin.
+Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit
+durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene
+Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen
+eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von
+dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und
+Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von
+dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen
+Ruecken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in
+einfoermiger Flaeche mit schwach entwickelter Kuesten- und Strombildung
+aus. An der Suedkueste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen
+der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Huegelland eine ausgedehnte
+Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich und fruchtbar
+ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden Stroemen,
+namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst
+zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und
+Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien,
+Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von
+Kampanien das Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette
+fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies
+schliesst, wie an Griechenland der Peloponnes, so an Italien die Insel
+Sizilien sich an, die schoenste und groesste des Mittelmeers, deren
+gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor allem im Osten
+und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, grossenteils
+vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die
+sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen "Riss" (R/e/gion)
+der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch
+geschichtlich Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil
+Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben
+Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung.
+Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemaessigte
+Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen Bergen und im
+ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der Kuestenentwicklung steht
+sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen
+zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn
+ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und
+kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer
+bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit
+des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen
+in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in
+gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach Osten
+gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische
+und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die apulischen und
+messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter Bedeutung;
+und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche
+Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen
+Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng
+benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander
+abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von Otranto aus die
+akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich
+doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt als auf der
+naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den
+Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker vorgezeichnet:
+die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt
+erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der
+andere nach Westen. Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt
+werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem
+Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst
+ueber Italien, dann ueber die Welt gewann, so laesst sich doch dies im
+hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das,
+was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu nennen gewohnt
+ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der
+Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein
+Zweig sind. Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte:
+in die innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der
+Fuehrung des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen
+Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen
+Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefaehrdung seiner
+nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung
+durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch Griechen
+und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren
+Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden italischen
+Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der
+Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor
+Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt
+der beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen
+die Punischen Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des
+Roemerreiches bis an und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen
+Status quo der roemischen Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des
+gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Buechern
+erzaehlt werden. 2. Kapitel Die aeltesten Einwanderungen in Italien
+Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten
+Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im
+Altertum der Glaube allgemein, dass dort wie ueberall die erste
+Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung
+ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische
+Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem
+Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch
+wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines
+Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist. Wohl aber
+liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung in
+dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen
+zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder
+kulturfaehigen oder auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher
+stehende Nationen soweit moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien
+indes ist auffallend arm an Denkmaelern der primitiven Epoche und
+steht in dieser Beziehung in einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen
+Kulturgebieten. Den Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge
+muss in England, Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor
+indogermanische Staemme hier sich ansaessig machten, ein Volk vielleicht
+tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von
+Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton oder Knochen
+verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte,
+des Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In
+aehnlicher Weise ging in Indien der indogermanischen eine minder
+kulturfaehige dunkelfarbige Bevoelkerung vorauf. In Italien
+aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten Nation, wie im
+keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die schwarzen
+Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt die
+Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie
+sie die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten
+der sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren
+scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der
+Annahme berechtigt, dass in Italien die Existenz des Menschengeschlechts
+aelter sei als die Bebauung des Ackers und das Schmelzen der Metalle;
+und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens das Menschengeschlecht
+einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden hat, die wir den
+Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede Spur
+schlechterdings ausgeloescht. Die Elemente der aeltesten Geschichte sind
+die Voelkerindividuen, die Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin
+in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von den Hellenen, die
+Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den Bewohnern der
+sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich bezeugt.
+Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig,
+deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern
+hoechstens auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren
+Nationalitaet nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von
+aussen her erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet
+die Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig
+angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten,
+angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren
+Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger
+Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte
+zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die
+Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer
+uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke,
+aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen
+der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die
+mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief
+eingepraegt, um durch die nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu
+werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollstaendig
+bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste
+erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die Stammverschiedenheit oder
+Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und
+Voelkern einen Anhalt zu gewaehren. So lehrt uns die Sprachforschung
+drei italische Urstaemme unterscheiden, den iapygischen, den
+etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen
+der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und
+dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten
+angehoeren. Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im
+aeussersten Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen
+Halbinsel, sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen
+Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer
+des Idioms der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser
+Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen Staemmen
+unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren
+dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch
+in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt
+wohl, um dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden,
+nicht aber, um positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache
+und diesem Volk in der Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die
+Inschriften sind nicht entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass
+dies dereinst gelingen wird. Dass der Dialekt den indogermanischen
+beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen aihi und ihi entsprechend
+dem sanskritischen asya, dem griechischen oio anzudeuten. Andere
+Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten Konsonanten
+und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen
+iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in
+einer gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die
+Annahme einer vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen
+Nation mit den Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den
+Inschriften mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in
+der auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen
+Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich
+hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos' Zeit (400 Roms, [350]) als
+ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert der
+Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland
+aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft
+geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich
+vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen
+Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber
+doch keineswegs so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen
+rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung
+vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes und
+besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes
+nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich
+uns dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen
+begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere
+Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation passt
+wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich
+gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen
+Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten
+Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien
+gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht
+werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig
+unbekannt war. Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin,
+so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung
+erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die
+am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner
+Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem
+suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation.
+------------------------------------------------------- ^1 Ihren Klang
+moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras artahiaihi
+berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. ^2 Man hat, freilich
+auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache von solcher
+Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine
+Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen
+albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich
+bestaetigen und sollten anderseits die Albanesen - ein ebenfalls
+indogermanischer und dem hellenischen und italischen gleichstehender
+Stamm - wirklich ein Rest jener hellenobarbarischen Nationalitaet sein,
+deren Spuren in ganz Griechenland und namentlich in den noerdlichen
+Landschaften hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet
+damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger
+in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst
+noch nicht folgen.
+----------------------------------------------------------------- Die
+Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung
+zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen
+desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm
+sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der
+iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig das
+italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel
+beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner einerseits,
+anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern, den Marsern
+und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den Samniten
+ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen
+Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied
+sind in der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in
+der sie eine Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im
+Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie
+uebereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen
+hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit
+selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die
+haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den
+Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines
+ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein
+f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit
+moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschaedigt
+erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurueckziehen
+des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der Endungen
+haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den
+Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als
+diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen
+ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern
+spaetere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich
+schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den
+italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab;
+die schliessenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr
+noch im Samnitischen mit Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das
+Umbrische auch diese fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass
+die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren
+zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch Anfuegung von
+r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste Teil
+der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet
+wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung
+den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die
+italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten,
+haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig,
+grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker
+scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in
+den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den
+Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe
+festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist
+die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo
+durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter. Diese aus einer reichen
+Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele genuegen, um
+die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen
+indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich
+sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen;
+der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und
+der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie
+aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss frueh und klar
+den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein; denn wir finden in
+der roemischen Sprache ein uraltes Wort raetselhaften Ursprungs, Graius
+oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet, und ebenso bei den Griechen
+die analoge Benennung Opikos, die von allen, den Griechen in aelterer
+Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht aber von
+Iapygern oder Etruskern gebraucht wird. Innerhalb des italischen
+Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in einen bestimmten
+Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings sind
+von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische
+Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter
+und schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die
+einen, wie der volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern
+auf uns gekommen, um sie in ihrer Individualitaet zu erfassen oder
+auch nur die Mundarten selbst mit Sicherheit und Genauigkeit zu
+klassifizieren, waehrend andere, wie der sabinische, bis auf geringe,
+als dialektische Eigentuemlichkeiten im provinzialen Latein erhaltene
+Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst die Kombination der
+sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen Zweifel, dass
+diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des grossen
+italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem
+lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch
+wieder von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und
+sonst haeufig sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach
+- so pis fuer quis; ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen
+scheiden, zum Beispiel dem Keltischen in der Bretagne und Wales p,
+dem Gaelischen und Irischen k eigen ist. In den Vokalen erscheinen die
+Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt den noerdlichen Dialekten
+sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen Dialekten sie wenig
+gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der Zusammensetzung der
+Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwaecht, was nicht
+geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter
+auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der
+ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis,
+im Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen
+im Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern
+italischen Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural
+auf bus ist nur im Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische
+Infinitiv auf um ist den Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische,
+von der Wurzel es gebildete Futur nach griechischer Art (her-est wie
+leg-s/o/) bei den Roemern fast, vielleicht ganz verschollen und ersetzt
+ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder durch analoge
+Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Faelle, zum Beispiel in
+den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden fuer
+die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge
+zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen
+selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische
+Mundart zu der umbrisch- samnitischen etwa wie die ionische zur
+dorischen, waehrend sich die Verschiedenheiten des Oskischen und des
+Umbrischen und der verwandten Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen
+des Dorismus in Sizilien und in Sparta. Jede dieser Spracherscheinungen
+ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen Ereignisses. Es laesst
+sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, dass aus dem
+gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein Stamm
+ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich
+in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten
+und diese wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche
+noch spaeter in Umbrer und Osker auseinander gingen. Wo und wann diese
+Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht lehren, und
+kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen ahnend
+zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen
+Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die
+Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig
+und vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk
+sich befand, als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und
+damit uns die Anfaenge der Geschichte gewaehren, welche nichts ist
+als die Entwicklung der Zivilisation. Denn es ist namentlich in der
+Bildungsepoche die Sprache das treue Bild und Organ der erreichten
+Kulturstufe; die grossen technischen und sittlichen Revolutionen sind
+darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft
+nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus welchen alle
+unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist. Waehrend die jetzt getrennten
+indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen Stamm bildeten,
+erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem angemessenen
+Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell
+festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der
+gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem
+Wortschatz nicht bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der
+Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den
+urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die
+Brust des Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwoerter
+nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer gewohnheitsmaessig
+ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen Stammes und
+weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung
+erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des
+Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten
+Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gaus ist lateinisch bos,
+griechisch bo?s; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch ois;
+sanskritisch avas, lateinisch equus, griechisch ippos; sanskritisch
+hansas, lateinisch anser, griechisch ch/e/n; sanskritisch atis,
+griechisch n/e/ssa, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus,
+taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in dieser fernsten
+Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf unsere
+Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten
+Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche,
+ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der
+Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen
+dafuer, dass schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache
+spricht eher dagegen als dafuer. Unter den lateinisch-griechischen
+Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von
+zea, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, uebrigens im
+Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muss
+nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen
+Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende
+Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche
+Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in
+primitiven Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung
+der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder,
+der Weizen- und Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und
+Haferbau der Germanen und Kelten koennten an sich wohl alle auf einen
+gemeinschaftlichen urspruenglichen Feldbau zurueckgehen. Aber auf der
+andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche Benennung
+einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, dass man vor der
+Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden Gersten- und
+Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man schon
+Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung
+ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl
+der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch,
+aber durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei
+den Indern ueberhaupt Flur, kurnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder
+und Schiff, venas das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende
+Trank. Die Woerter also sind uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf
+die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf
+das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die Meeresflaeche
+(aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der aeltesten
+Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht
+wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen
+und zum Beispiel von dem sanskritischen kurnu sowohl das zum Zerreiben
+bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus,
+litauisch girnos ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als
+wahrscheinlich annehmen, dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau
+noch nicht kannte, und als gewiss, dass, wenn es ihn kannte, er doch
+noch in der Volkswirtschaft eine durchaus untergeordnete Rolle spielte;
+denn waere er damals schon gewesen, was er spaeter den Griechen und
+Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich eingepraegt, als
+es geschehen ist. Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der
+Indogermanen sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch domos;
+sanskritisch veas, lateinisch vicus, griechisch oikos; sanskritisch
+dvaras, lateinisch fores, griechisch th?ra; ferner fuer den Bau von
+Ruderbooten die Namen des Nachens - sanskritisch naus, griechisch na?s,
+lateinisch navis - und des Ruders - sanskritisch aritram, griechisch
+eretmos, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch der Wagen
+und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas
+(Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch ax/o/n, am- axa;
+sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch zygon. Auch die
+Benennungen des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis,
+griechisch esth/e/s - und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv,
+lateinisch suo; sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch n/e/th/o/
+- sind in allen indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren
+Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in gleicher Weise sich
+sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur
+Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes Erbgut
+der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der
+Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen
+verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum),
+vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese
+Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die
+Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis,
+lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet.
+----------------------------------------------- ^3 Nordwestlich von Anah
+am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste, Weizen und Spelt im
+wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Geographie botanique raisonnee.
+Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen
+in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische
+Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.). ^4 Wenn
+das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben
+und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und
+Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben,
+und kann diese erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten
+unabhaengig voneinander, in die des Webens uebergegangen sein. Auch der
+Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die
+Inder kennen die Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute
+nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist den Italikern wohl noch
+spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens sieht cannabis
+ganz aus wie ein spaetes Lehnwort.
+----------------------------------------------- Nicht minder reichen in
+diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen die Entwicklung
+aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die Stellung von
+Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum des
+Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie
+ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche
+Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond.
+Dagegen die positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen
+Koenigtum und Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der
+Koenigs- und Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der
+Buerger gehoert ueberall einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente
+der Wissenschaft und der Religion zeigen Spuren urspruenglicher
+Gemeinschaft. Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch atam,
+ekaatam, lateinisch centum, griechisch e-katon, gotisch hund); der
+Mond heisst in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst
+(mensis). Wie der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas,
+lateinisch deus, griechisch theos) gehoeren zum gemeinen Gut der Voelker
+auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die
+Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der
+Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen
+auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die
+schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken
+der indischen wie der griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst
+einzelne der Goetter vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber
+verehrten bis auf die Namen ueberein - so ist der Uranos der Griechen
+der Varunas, so der Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djaus pita der
+Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist
+durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere indische Goetterlehre
+ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen
+Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon
+mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche
+Windspiel Sarama, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne
+und Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden
+Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten
+treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn
+der Sarama, dem Sarameyas oder Hermeias geworden, und die raetselhafte,
+ohne Zweifel auch mit der roemischen Cacussage zusammenhaengende
+hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint
+nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen
+Naturphantasie. Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den
+die Indogermanen vor der Scheidung der Staemme erreichten, mehr der
+allgemeinen Geschichte der alten Welt angehoert, so ist es dagegen
+speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es
+moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand,
+als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies
+keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der
+italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte.
+Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich
+ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die
+Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk
+waren. Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst,
+die im ganzen noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft
+rechtfertigt. Ein geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen
+Ackerbaus mit dem der chinesischen, aramaeischen und aegyptischen
+Staemme wird schwerlich in Abrede gestellt werden koennen; und doch sind
+diese Staemme den Indogermanen entweder stammfremd oder doch zu einer
+Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch keinen Feldbau gab.
+Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie heutzutage
+die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn
+die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem
+bestimmten Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung
+von fuenf Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im
+allgemeinen wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche
+ohne Zweifel richtig. Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des
+Alphabets, der Streitwagen, des Purpurs und andern Geraets und Schmuckes
+gestattet weit oefter einen Schluss auf alten Voelkerverkehr als auf
+urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker anlangt,
+so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten Beziehungen dieser
+beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, wie Schrift
+und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als
+voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten
+Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller
+aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager agros, aro aratrum aro/o/
+arotron, ligo neben lachain/o/, hortus chortos, hordeum krith/e/, milium
+melin/e/, rapa raphanis, malva malach/e/, vinum oinos, und ebenso das
+Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form
+des Pfluges, der auf altattischen und roemischen Denkmaelern ganz gleich
+gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten Kornarten: Hirse, Gerste,
+Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu schneiden und
+sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu lassen,
+endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls poltos, pinso ptiss/o/,
+mola m?l/e/, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch
+deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder
+Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste
+griechische Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht die Benennung
+"Weinland" (Oinotria), die bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern
+hinaufzureichen scheint. Danach muss der Uebergang vom Hirtenleben zum
+Ackerbau oder, genauer gesprochen, die Verbindung des Feldbaus mit der
+aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, nachdem die Inder aus dem
+Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen
+und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens scheinen,
+als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter
+sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu
+einem Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache,
+dass die wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern
+der indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und
+Griechen mit den keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen,
+lettischen Staemmen gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen
+Erbgutes von dem wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und
+Sprache ist noch lange nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit
+der Gliederungen und Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung
+der Sprachen in dieser Beziehung hat kaum begonnen, und auch die
+Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre Darstellung der Urzeit
+vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, vielmehr dem
+groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es
+darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der
+Kultur der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein
+und zwischen der Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch
+ungetrennt zusammenlebten; die Unterscheidung der den asiatischen
+Gliedern dieser Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen
+Kulturresultate von denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser
+letzteren, wie die griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede
+fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst
+nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen Untersuchungen
+gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die graecoitalische,
+wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern des Volks-
+und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben.
+Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet anstatt
+der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im
+geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta
+oder Estia, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch
+beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen
+Stammsagen legt dem Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen
+haben muessen, Vitalus oder Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom
+Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft sinnig die urspruengliche
+italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es,
+wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den Ackerstier
+macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk bezeichnen
+als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter (Opsci).
+Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen
+Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk
+auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den
+Italikern wie bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6.
+---------------------------------------------------------- ^5 So finden
+sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen, mundartlich
+eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, arimnas,
+im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben
+hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch
+malunas, keltisch malirr. Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man
+es nicht zugeben koennen, dass es eine Zeit gegeben wo die Griechen in
+allen hellenischen Gauen nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht
+Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und
+Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht dies nicht darauf,
+dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich nach
+dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es
+sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung
+der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der
+Lokalitaet mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer
+Weise verband, als dies spaeter der Fall war. ^6 Nichts ist dafuer
+bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die aelteste
+Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung setzte.
+So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die
+Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach,
+Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in
+Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch
+in alten griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber "Ernte"
+heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio,
+entnimmt ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung
+des Pflugs bei der Stadtgruendung ist bekannt.
+--------------------------------------------------------- Wie der
+Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die
+Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie
+denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben
+nicht gedacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100
+Fuss ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das
+Prinzip der Limitation ist dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach
+einer der Himmelsgegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden
+nach Sueden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum,
+temenos von temn/o/) er steht, alsdann in gewissen festen Abstaenden den
+Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger
+Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle (termini, in
+sizilischen Inschriften termones, gewoehnlich oroi) bezeichnen. Diese
+Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen
+Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber
+auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie
+wahrscheinlich ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese
+sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich
+roemisch und charakteristisch ist erst die eigensinnige Ausbildung
+des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, wo Fluss und Meer eine
+natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess, sondern mit dem
+letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss. Aber
+nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten
+der aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge
+Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische
+Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen,
+das in Italien bestaendig festgehalten ward; das wesentliche Stueck und
+urspruenglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das
+Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett,
+dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das homerische
+Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster Decke. Nicht
+dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist
+altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber
+gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht
+allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und
+Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte
+italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern,
+deren Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft,
+von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin
+trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass
+sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank
+liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch
+Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber
+gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker zusammen in
+den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des "Reibers" (tr?panon,
+terebra) und der "Unterlage" (storeys eschara, tabula, wohl von tendere,
+tetamai). Ebenso ist die Kleidung beider Voelker wesentlich identisch,
+denn die Tunika entspricht voellig dem Chiton, und die Toga ist nichts
+als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem so veraenderlichen
+Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass die beiden
+Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in den
+aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich sich ausspricht
+^7 und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten
+Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern
+in Sprache und Sitte zurueck auf dieselben Elemente alles, was die
+materiellen Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten
+Aufgaben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden
+Voelkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest
+worden. ------------------------------------- ^7 Unter den beiderseits
+aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte aufgezeigt werden
+koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit logch/e/ zusammenhaengend, ist
+als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen oder Spaniern
+entlehnt. ------------------------------------- Anders ist es in dem
+geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit sich selbst, mit
+seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu leben, laesst
+so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters Reich; und
+auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die Charaktere
+der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der graecoitalischen
+Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen
+innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen
+und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich
+offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich
+fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind in Italien wie in
+Griechenland so eigentuemlich, so durchaus national entwickelt worden,
+dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Voelker
+fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen
+ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde
+die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das
+schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang war,
+dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen
+Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen
+Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst
+die Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die
+Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in
+aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn
+gab; und jenes roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters,
+die Buerger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der
+Goetter bannte, das nichts forderte und nichts ehrte als die nuetzliche
+Tat und jeden Buerger zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit
+rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche Verhuellung des Koerpers
+schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als
+die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat alles war
+und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe Gedanke
+- wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren
+auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide
+vorbereitete und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen
+Schleier lueften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht
+werden, die Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung
+an eine aeltere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen
+Lesers nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen. Alles,
+was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in
+Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen
+Dingen gehoert hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des
+gesellschaftlichen Lebens ^8, welche dem Manne die Monogamie gebietet
+und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen Stellung
+der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises die Ebenbuertigkeit beider
+Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. Dagegen ist die
+schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose Entwicklung der
+eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den Griechen fremd
+und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien
+sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde
+die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der
+Sklaverei lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten
+und in allen ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen
+frueh tatsaechliche und rechtliche Milderungen stattfanden und zum
+Beispiel die Sklavenehe als ein gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward.
+----------------------------------------------- ^8 Selbst im einzelnen
+zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der Bezeichnung der rechten
+Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder abgeschlossenen" (gamos epi
+paid/o/n gn/e/si/o/n arot/o/ - matrimonium liberorum quaerendorum
+causa). ----------------------------------------------- Auf dem Hause
+beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen
+desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen
+wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in
+der schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der
+Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenueber sich
+noch weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint
+der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenueber
+die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die
+Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger
+darstellt. Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht
+gegenueber in Griechenland weit frueher und vollstaendiger zur
+innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in
+Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in der bei beiden Voelkern
+durchaus verschiedenartigen Entwicklung der urspruenglich doch
+gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt der
+Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu,
+waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre
+Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten.
+Aber waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh
+verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den
+Roemern, zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das
+Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und
+immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der
+italischen, besonders der roemischen Individualnamen, verglichen mit
+der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde
+zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung
+der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag. Ein Zusammenleben
+in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer die
+graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen
+wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die
+Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten.
+Die "Gesetze des Koenigs Italus", die noch in Aristoteles' Zeiten
+angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen
+Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der
+Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des
+Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen
+Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten
+gewesen sein. Gericht (crimen, krinein), Busse (poena, poin/e/),
+Wiedervergeltung (talio, tala/o/ tl/e/nai) sind graecoitalische
+Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die
+Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den
+Italikern und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die
+Grundgedanken der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur
+zur Bestaetigung oder Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an
+sie gebrachten Antraege befugte Volksversammlung - sind kaum irgendwo
+so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles' Bericht ueber die aeltere
+Verfassung von Kreta. Die Keime zu groesseren Staatenbuenden in der
+staatlichen Verbruederung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher
+selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls
+beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen
+hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als
+dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit
+erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs
+wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht.
+Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in
+Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollstaendig der ganze
+Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als
+Sondergut angehoert ^9, wird die weitere Erzaehlung darzulegen haben.
+--------------------------------------------- ^9 Nur darf man natuerlich
+nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen ueberall zu aehnlichen
+Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass die roemischen
+Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen, und
+doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine
+Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier
+sein neckendes Spiel treibt, versteht sich von selbst.
+--------------------------------------------- Nicht anders ist es in
+der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem Volksglauben der
+gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter Naturanschauungen
+zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der
+roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in
+spaeteren Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in
+zahlreichen Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des
+Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes
+(temenos, templum), in manchen Opfern und Zeremonien, stimmten die
+beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig ueberein. Aber dennoch
+gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so vollstaendig national
+und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur weniges in
+erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder
+missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in
+den Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die
+graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten
+hatte, so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die
+bis dahin nur ein Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern
+mochten, wenn die Wolken am Himmel hin gejagt wurden, sich das so
+ausdruecken, dass die Huendin der Goetter die verscheuchten Kuehe der
+Herde zusammentreibe; der Grieche vergass es, dass die Kuehe eigentlich
+die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer einzelne Zwecke
+gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten bereiten und
+geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er
+den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder
+auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des
+Zeus, Athenaia; und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er
+sich geschaffen, dass er bald in ihnen nichts sah als vom Glanze der
+Naturkraft strahlende und getragene Menschen und sie frei nach den
+Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl anders, aber nicht
+schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des italischen
+Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form
+ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel
+aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet
+ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das
+Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem
+Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm
+vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen
+Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno,
+der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr
+der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in
+den Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit vergeistigt; so wird
+beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann angerufen der Geist
+der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, Zudeckens, Eggens und
+so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Oeffnens der
+Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere
+physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise
+indes die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die
+Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der
+Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende,
+Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei den Samniten, Dea
+cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und koerperlich
+erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, vollkommen durchsichtige
+Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der Urzeit
+deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch
+zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger festhalten,
+weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der
+Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und
+allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst
+den Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen
+Flut uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen
+Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden.
+Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die
+hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und
+bedurften nicht des Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit,
+die nur der platten Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig
+und vielleicht maechtiger fassten als die nach dem Bilde des Menschen
+geschaffenen Goetter von Hellas, davon wuerde, auch wenn die Geschichte
+schwiege, schon die roemische, dem Worte wie dem Begriffe nach
+unhellenische Benennung des Glaubens, die "Religio", das heisst die
+Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und demselben Erbschatz
+jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, dieses die Abstraktionen
+des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen
+Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die Freiheit,
+hier die Notwendigkeit. Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens,
+auch von dessen Nachbild in Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und
+am meisten in der aeltesten Zeit des vollen und einfachen Daseins, den
+Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die einfachsten Elemente
+der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare
+Waffentanz, der "Sprung" (triumpus, thriambos, di- th?rambos); der
+Mummenschanz der "vollen Leute" (satyroi, satura), die, in Schaf- und
+Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest beschliessen; endlich
+das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit
+angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt
+so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen
+und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden
+Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen.
+Die Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken
+der haeuslichen Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach
+mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen Geistes
+und Koerpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut
+gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in
+der Duerftigkeit seiner kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe
+der kulturlosen Voelker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus
+den religioesen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und
+aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen,
+derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium
+gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als
+Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die
+beseligende Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer
+Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen
+Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden.
+So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes
+erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander.
+Die Vorzuege der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer
+Fasslichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des
+Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfaehigkeit
+des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Goetter ist der reiche
+Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich einseitig
+entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit
+wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten
+verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht
+bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben
+das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich
+machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten, ohne
+doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die ideale
+Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen selbst bis
+zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen abging; wo immer
+in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht dieser
+nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und
+Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge,
+nur die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen.
+Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit
+willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen
+verstaende. Mochte der Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und
+der schoenste menschliche Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer
+ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt
+hat, und errang allein unter allen Kulturvoelkern des Altertums bei
+einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale Einheit, die
+ihm endlich ueber den zersplitterten hellenischen Stamm und ueber den
+ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand legte. 3. Kapitel Die
+Ansiedlungen der Latiner Die Heimat des indogermanischen Stammes ist
+der westliche Teil Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in
+suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils in nordwestlicher ueber
+Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen,
+ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und von der See
+entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und
+dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen naeher in
+die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat
+der beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des
+aramaeischen, raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer
+die Annahme einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur-
+und Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine
+engere Lokalisierung ist ebensowenig moeglich, als es moeglich ist,
+die einzelnen Staemme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der
+europaeische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder laengere Zeit in
+Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier
+die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in
+Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom Kaspischen
+Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und andere
+der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist
+es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten,
+Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen
+also wohl vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des
+Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker
+an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch
+mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben moegen, laesst sich
+nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von
+Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland
+gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in
+ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht
+gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren
+Bergruecken Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich
+noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der
+vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den
+die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in aehnlicher
+Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die ersten
+sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen
+erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die
+latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich,
+dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst
+von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker
+draengten. Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge
+ein latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber,
+welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und
+Kampanien offenstanden, verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie
+die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern naeher als
+den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor
+der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner;
+denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua,
+Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind
+nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als
+Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und wahrscheinlich
+latinischer Stamm, die Ausoner, Kampanien innehatten. Auch die
+Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten
+Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden
+von den besten Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem
+italischen Stamm gestellt; es ist nichts im Wege, sie dem latinischen
+Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch vor dem Beginn der staatlichen
+Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung dieser Gegenden und
+deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die Spuren
+der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den
+gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in
+Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber
+Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der
+Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus
+Rom gekommen sei; und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der
+von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer,
+deren es noch zu Thukydides' Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die
+auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen
+Griechisch mit dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der
+alten Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den
+alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen;
+nach allen Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern
+wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das
+eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die
+oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen
+Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen. Die Schicksale dieser
+Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, Grossgriechenland und
+Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Beruehrung in
+einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten nicht
+vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich
+in Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der
+sabinischen Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die
+Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausoner nicht dazu gekommen, eine
+taetige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen. Anders war es
+in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind und es
+den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie
+gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf
+die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt
+einzugreifen bestimmt war. Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von
+Latium der Schauplatz der grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen
+die langsam bildende Kraft des Wassers und die Ausbrueche gewaltiger
+Vulkane Schicht ueber Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem
+entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehoere.
+Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die
+dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe
+ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin
+durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus,
+Nebenfluss des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich
+ziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem
+Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im
+Norden in das weite etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet
+eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem
+"Bergstrom", der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den
+sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Flaeche auf
+teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen
+Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe
+des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene
+Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die bedeutendste
+unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei
+zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt.
+Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem
+Namen der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den
+ausserhalb dieses Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt
+werden, der "alten Latiner" (prisci Latini). Allein das von ihnen
+besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener
+mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des Tiber ist den Latinern
+ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein
+ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die Waffenruhe
+stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die
+Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die
+bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese
+folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen
+Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte
+beginnt, in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler
+und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich
+latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem
+Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und dem Meer,
+ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig groesser als der
+jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die "Ebene" ^1,
+wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die
+Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum
+Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche
+unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und
+tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen
+des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten
+in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen
+Substanzen, die boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter
+wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum,
+dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden
+seien, wie ihn das Missregiment des letzten Jahrhunderts der Republik
+und das der Paepste herbeigefuehrt haben; ihre Ursache liegt vielmehr
+in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt noch heute wie vor
+Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen gewissen Grad die
+boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der Bodenkultur;
+wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil aber
+darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen
+der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer
+dichten ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden
+Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht
+verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris
+und Metapont sind, eine fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich
+erinnern, dass auf einer niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt
+einen schaerferen Blick hat fuer das, was die Natur erheischt, und eine
+groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote, vielleicht auch physisch ein
+elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger anschmiegt. In Sardinien
+wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen der Ackerbau
+noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden, allein
+der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung,
+Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria
+cattiva nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde
+Feuer; woraus sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig
+in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht
+erloeschen liess. Im uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden
+ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke
+und Karst zu bearbeiten und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach
+italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt
+durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser ist kein
+Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung
+jede frische Quelle.
+---------------------------------------------------------- ^1 Wie latus
+(Seite) und plat?s (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz zu
+der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die "Ebene" den Gegensatz
+bildet zu Samnium. Latus, ehemals stlatus gehoert nicht hierher. ^2 Ein
+franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des
+Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die
+Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und
+ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und
+Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens
+2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein
+ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der
+Ackerbau wird fast ganz von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst
+oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafuer der leichte Pflug ein der mit
+zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen
+sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu
+gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und
+Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer einen Arpent
+Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt dessen
+unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden
+Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens
+durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne
+Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die
+Campagna di Roma. ------------------------------------------------------
+Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner
+in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und
+wir sind darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges
+indes laesst sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit
+vermuten. Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl
+Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus
+die aeltesten "Landquartiere" (tribus rusticae) zu bilden. Von dem
+Claudischen Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung
+der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht
+ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung
+hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der spaeter
+hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne
+Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter,
+die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben,
+soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii,
+Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen
+Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii,
+Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter
+all diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst
+spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird
+jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus
+aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter
+Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das
+"Haus" (oikia) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch
+dort sehr haeufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die
+entsprechenden italischen Benennungen "Haus" (vicus) oder "Bezirk"
+(pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der
+Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise
+ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so
+gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die aber,
+wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete
+Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der
+Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium
+selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner
+schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist
+eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu
+bestimmen vermoegen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch
+eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3,
+in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf aeusserlicher
+Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen mit beruhen
+mag. ----------------------------------------------- ^3 In Slawonien, wo
+die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag festgehalten
+wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert Koepfen
+stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit
+gewaehlten Hausvaters (Goszpodar) in demselben Hause beisammen. Das
+Vermoegen des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet
+der Hausvater; der Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt.
+Privaterwerb durch Industrie und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte
+aus dem Hause, auch der Maenner, z. B. durch Einheiraten in eine fremde
+Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, Slawonien und Kroatien. Pest
+1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen Verhaeltnissen, die von den
+aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen moegen, naehert
+das Haus sich der Gemeinde.
+------------------------------------------------- Von Haus aus aber
+galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als selbstaendige
+Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen
+Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu
+gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in
+Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach-
+und sittengleicher Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen
+Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig fehlen wie der
+Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, das heisst die
+Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt des
+Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur
+eine gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die
+gemeinen Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen
+an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich
+zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem
+einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber
+uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz aehnliche
+alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande der
+Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz
+heisst in Italien "Hoehe" (capitolium, wie akra, das Berghaupt) oder
+"Wehr" (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage
+einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen
+und spaeterhin sich umgeben mit dem "Ringe" (urbs mit urvus, curvus,
+vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied
+zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg
+moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein
+einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die
+vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen
+Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst spaet und zum
+Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig gelangt sind, wie
+im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen
+sich erkennen laesst. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der
+Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in unzaehligen offenen Weilern
+wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher Mauerringe, die als "veroedete
+Staedte" mit einzelnen Tempeln das Staunen der roemischen wie der
+heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre "Urbewohner"
+(aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu koennen meinten.
+Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Staedte
+erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, wie sie in
+aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger
+kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo
+die zu staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten
+steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in
+offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer
+Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in
+der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht
+mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten verlassen und bald den
+spaeteren Generationen ein Raetsel. Jene Gaue also, die in einer
+Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse Anzahl
+Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die
+urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen
+Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen
+Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von
+besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das
+den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am
+meisten gesicherte Lage darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne
+Zweifel von den Ankoemmlingen zuerst besetzt worden. Hier lag denn
+auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb Palazzuola zwischen dem
+Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen Berg (Monte Cavo)
+lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des latinischen Stammes
+und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen Gemeinden galt;
+hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften Lanuvium,
+Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten Bauwerken,
+welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und gleichsam
+der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der Tat,
+wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der
+Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen
+Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von
+Norden her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu
+verteidigenden Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei
+laesst; und vor allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss
+maechtige Lavawand mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in
+dem alten Krater des Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine
+jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau auf dem Berge selbst ein
+bedeutender Raum gewonnen worden ist. Natuerliche Festen der latinischen
+Ebene sind auch die Spitzen der letzten Auslaeufer der Sabinergebirge,
+wo aus solchen Gauburgen spaeter die ansehnlichen Staedte Tibur und
+Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der Ebene
+zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber,
+Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte
+Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder
+namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue
+waren in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von
+seinem Fuersten unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung
+der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der
+Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern
+es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und
+staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen
+Gaue. Die Vorstandschaft stand urspruenglich nach allgemeinem italischen
+wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die
+Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie
+gesagt; als der aelteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward.
+Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich dreissig, wie denn diese
+Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in
+Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu den
+dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf
+die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig
+albanischen Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht
+ueberliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen
+Eidgenossenschaften zum Beispiel der Boeoter und der Ionier die
+Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das
+"latinische Fest" (feriae Latinae), an welchem auf dem "Berg von Alba"
+(mons Albanus, Monte Cavo) an einem alljaehrlich von dem Vorstand dafuer
+fest gesetzten Tage dem "latinischen Gott" (Iuppiter Latiaris) von dem
+gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus
+hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh,
+Milch und Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck
+zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und
+sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser
+Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen.
+Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg
+von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf
+der benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei
+Marino); und ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht
+werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die
+ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung
+des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst
+auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch
+die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen
+Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des aeltesten
+Bundesrechts gedacht werden, so dass also der Latiner mit der Latinerin
+rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben
+und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die
+Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht
+angeordnet haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des
+souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den
+Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit
+der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg
+abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei denn ein
+Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber
+wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde
+rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr
+umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein
+Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend
+der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen
+Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich
+in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit
+zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des
+fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine
+Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre
+politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja
+wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte
+als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war
+der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich
+lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat
+verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der
+rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der
+latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfasst
+haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die
+Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in Griechenland ist nicht
+die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische
+Eidgenossenschaft. ----------------------------------------------- ^4
+Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand" (indutiae Macr. Sat.
+1, 16; ekecheriai Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt,
+waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.). ^5 Die oft in
+alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals in den
+Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer
+Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht
+nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus,
+und es ist sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach
+manchem durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung
+Latiums, schon vorher einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist
+es bemerkenswert, dass Rom niemals als Erbin Albas eigentliche
+Herrschaftsansprueche gegen die latinischen Gemeinden geltend gemacht,
+sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt hat, die
+freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die
+hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen
+Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede
+sein; und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241
+und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln.
+----------------------------------------------- Diese allgemeinen
+Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien schaerfer zu
+ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel, wie
+die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und
+geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen,
+und es muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten,
+dass sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre
+Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefuehl der nationalen
+Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und damit den Fortschritt
+vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem jede
+Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit
+der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte. 4. Kapitel
+Die Anfaenge Roms Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des
+Tiberflusses stromaufwaerts erheben sich an beiden Ufern desselben
+maessige Huegel, hoehere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an
+den letzteren haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name
+der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht angeben, wie und wann er
+aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten uns bekannten
+Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; und
+diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in
+frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes
+Zeugnis fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung
+laesst sich nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute
+sind. ----------------------------------------------- ^1 Aehnlichen
+Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich aeltester
+Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii
+Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus.
+----------------------------------------------- Aber sie blieben nicht
+allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung der aeltesten
+roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass dieselbe
+hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich
+ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem
+einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war,
+woraus in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der
+Gemeinde ist ^3, zeigt wohl am deutlichsten, dass die Roemer namentlich
+in staatsrechtlicher Beziehung fuer "teilen" und "Teil" regelmaessig
+sagen "dritteln" (tribuere) und "Drittel" (tribus) und dieser Ausdruck
+schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung
+einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen
+Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen
+Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig
+vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare
+Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen,
+der Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer,
+wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat mit diesen
+drei Elementen, in die die aelteste roemische Buergerschaft zerfiel,
+den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige Meinung, dass die
+roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und bemueht sich
+in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen als
+komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das
+wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und
+volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und
+sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu
+verwandeln. Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen
+Hypothesen laesst sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die
+Nationalitaet der komponierenden Elemente des aeltesten roemischen
+Gemeinwesens gesagt werden kann. Dass die Ramner ein latinischer
+Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da sie dem neuen roemischen
+Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die Nationalitaet der vereinigten
+Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber die Herkunft der
+Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege steht, sie
+gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die zweite
+dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies
+kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft
+bewahrte Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem
+Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen
+Sonderrituals gestiftet worden waere. Es mag also in einer sehr fernen
+Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm sich noch in Sprache
+und Sitte bei weitem weniger scharf gegenueber standen als spaeter der
+Roemer und der Samnite, eine sabellische Gemeinde in einen latinischen
+Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da die Titier in der
+aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den Platz vor
+den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier
+den aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung
+verschiedener Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden;
+aber schwerlich hat sie viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die
+einige Jahrhunderte spaeter erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus
+Clauzus oder Appius Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom.
+So wenig wie diese Aufnahme der Claudier unter die Roemer berechtigt
+die aeltere der Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den
+Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner, im
+Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische
+Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die
+latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen
+Anhalt ^4. Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung
+einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten
+Stamm die latinische Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt
+haette; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit,
+wo die Titier neben den Ramnern sich ansaessig machten, die latinische
+Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue dreiteilige
+roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger urspruenglich sabellischer
+Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner gewesen war,
+ein Teil der latinischen Nation.
+----------------------------------------------------------------------
+^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht
+notwendig verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen,
+aber fuer alle gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2,
+15; Hdt. 1, 170). ^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische
+tritt?s, die umbrische trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die
+Dreiteilung der Gemeinde eine graecoitalische Grundform sei; in
+welchem Falle die Dreiteilung der roemischen Gemeinde gar nicht auf die
+Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen Staemme zurueckgefuehrt
+werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung sich also
+auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im
+graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu
+sein scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die
+Umbrer koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss
+der roemischen Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es
+nicht mit Sicherheit nachzuweisen. ^4 Nachdem die aeltere Meinung,
+dass das Lateinische als eine Mischsprache aus griechischen und
+nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von allen Seiten
+aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A. Schwegler,
+Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch in
+dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer
+Dialekte finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder
+geschichtlichen Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache
+als Mittelglied zwischen zwei anderen erscheint, so weiss jeder
+Sprachforscher, dass dies ebenso wohl und haeufiger auf
+organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher Mischung.
+--------------------------------------------------- Lange bevor eine
+staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner, Titier,
+Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln
+ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker
+bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag
+das "Wolfsfest" sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen
+Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die
+schlichten Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig
+genug noch im christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am
+laengsten behauptet hat. Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere
+Rom hervor. Von einer eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie
+annimmt, kann natuerlich in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht
+an einem Tage gebaut worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche
+Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer hervorragenden
+politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, waehrend man
+nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die
+Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als
+die der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum
+gedeihen in Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an
+ausgiebigen Quellen- denn weder der sonst treffliche Born der Camenen
+vor dem Capenischen Tor noch der spaeter im Tullianum gefasste
+Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das haeufige
+Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in der
+Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug
+dem Meere zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich
+oeffnenden Taeler und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den
+Ansiedler ist die Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in
+alter Zeit ist es ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und
+unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht
+die erste naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt
+haben koenne, sondern dass die Not oder vielmehr irgendein besonderer
+Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die Legende
+hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage
+Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen
+Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch
+der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so
+unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die
+allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die
+Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche
+Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu
+machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch
+einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen
+Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber ueber
+die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und
+seiner Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen.
+Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes.
+Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in
+naechster Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen
+Mauerring entfernt, und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren
+gewesen sein. Gegen Sueden trifft man in einem Abstand von drei
+deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es
+scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben
+als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war
+in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits
+am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische
+Gau ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist,
+erstreckt er sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden
+Ufern des Tiber gegen das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der
+Kueste irgendeine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft,
+irgendeine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die fuer alles
+einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu berichten, dass die
+roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die "sieben Weiler" (septem
+pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig Romulus
+den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am rechten
+Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am
+linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der "Muendung"
+(Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen am etruskischen
+Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert haben
+muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein
+der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin
+(dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der
+Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit
+das Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen
+roemischen, eben hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt
+selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt gewesen. Es kann das
+nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche Handelsstrasse,
+seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige Ankerplatz der
+Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr des
+latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepot fuer
+den latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung
+Latiums eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer
+festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte,
+das ueber beide Ufer des Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den
+Tiber oder den Anio herabkommenden Flussschiffer ebenso bequem gelegen
+war wie bei der damaligen maessigen Groesse der Fahrzeuge dem Seefahrer,
+und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz gewaehrte als die unmittelbar
+an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht seine Entstehung, doch
+seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhaeltnissen
+verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von
+ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten.
+Daher ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien
+war, was fuer Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und
+Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und
+des Brueckenbaues ueberhaupt in dem roemischen Gemeinwesen; daher die
+Galeere als staedtisches Wappen. Daher der uralte roemische Hafenzoll,
+dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht
+was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia
+einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war.
+Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des
+gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in
+Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt,
+mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen
+eher die juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft
+schon einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche
+andere Hoehe der Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische
+Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein Beschluss der latinischen
+Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen
+Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der
+Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist
+uns nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an
+diese Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere
+Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem
+latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt
+gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die
+gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall
+zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher
+beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer
+seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes Heim zu
+betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der Campagna
+musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den
+luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben dem
+Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden
+und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die
+dichte Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5
+Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden
+kann und schon nach der aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von
+3300 freien Maennern stellte, also mindestens 10000 freie Einwohner
+zaehlte, erklaert sich auf diese Art einigermassen. Aber noch mehr.
+Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der weiss es, dass das
+Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf ihrem
+staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz
+gegen die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der
+Gegensatz ist des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt
+wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende
+Landschaft und Rom zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen
+und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen
+latinischen Staedte, muss allerdings zurueckgefuehrt werden auf
+seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten Geist seiner
+Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften
+war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen
+Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch
+entwickelte und damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward.
+Die Verfolgung dieser merkantilen und strategischen Entwicklung
+der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und ausfuehrbarer als das
+unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig verschiedene Gemeinden
+der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene staedtische Entwicklung koennen
+wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen ueber die
+allmaehlich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren
+Anlage mit der Entwicklung des roemischen Gemeinwesens zu staedtischer
+Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein muss. Die urspruengliche
+staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte Rom erwachsen
+ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in
+spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der
+regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und
+Mauern dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit
+sichtbar; zwei von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro
+und die Porta Mugionis am Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach
+bekannt, und den palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus
+nach eigener Anschauung wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius
+zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin, dass hier der
+Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf dem
+Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte
+"Einrichtung" (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen
+das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde
+eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die
+saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen
+und anderen Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war
+das Versammlungshaus der "Springer" (curia saliorum), zugleich der
+Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der
+"Woelfe" (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und
+an diesem Huegel ward die Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich
+lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus des Romulus, die
+Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran
+der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem Speerschaft,
+welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des
+Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene
+Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen
+gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher
+hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen.
+Die Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt und deshalb
+verschollen; nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz um
+den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, die aelteste
+Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber dem
+Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen
+Gemeinde gewesen sein moegen. Dagegen hat sich in dem "Fest der sieben
+Berge" (septimontium) das Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung,
+welche allmaehlich um den Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte,
+eine nach der andern erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch
+schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den urspruenglichen Mauerring
+des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich die Aussendeiche,
+angelehnt. Die "sieben Ringe" sind der Palatin selbst; der Cermalus, der
+Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem
+Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den
+Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen
+Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius
+und der Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucusa oder
+Subura, eine ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen
+schuetzte, unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen
+dem Esquilin und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar
+allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die aelteste Geschichte des
+palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn
+man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete
+Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt. Der Palatin war der
+Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und urspruenglich einzige
+Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie ueberall
+nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten
+Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der
+Servianischen Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden,
+liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des
+Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt
+haben mag an den wohl schon in der palatinischen Stadt lebhaften
+Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und die Niederlassung
+auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt mit dem
+Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile
+des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche
+vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat;
+die auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen
+den Palatin aus laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von
+welcher das ganze Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen
+bilden die anfaengliche Stadt, und der suburanische Bezirk derselben,
+der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro
+in Vincoli und ueber das darunter liegende Tal hin sich erstreckte,
+scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter gewesen zu sein als die
+in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten
+Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht.
+Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile
+hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt,
+das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses:
+bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten
+zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse und
+je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen
+Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem
+Palatin angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier
+in gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren
+also die Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen
+ausschliesst - in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae,
+wie inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der
+spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets
+neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich
+gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und
+Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein;
+vor allem die "Pfahlbruecke" (pons sublicius) ueber den natuerlichen
+Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein
+buergt dafuer hinreichend - schon damals bestanden und man auch den
+Brueckenkopf am etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser
+acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in
+ihren Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in
+die spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen
+lediglich aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen
+praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende
+sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen oder abgebrannt
+werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die
+roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen
+beherrscht hat. Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen
+staedtischen Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die roemische
+staatsrechtlich seit unvordenklich frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu
+ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer urspruenglich selbstaendige
+Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie freilich auch
+urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben
+Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen
+gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist,
+wird der verstaendige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen
+von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr
+werden schon die beiden Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und
+Palatin und ebenso das vorstaedtische jedes in die drei Teile der
+Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhaengen
+kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen
+wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei
+Paare Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische
+Siebenhuegelstadt vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung
+von derselben geblieben als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie
+die Blaetter des Waldes fuer den neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie
+ungesehen von Menschenaugen niederfallen, also hat diese verschollene
+Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die Staette bereitet.
+Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem
+spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor
+alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft
+gegenueber eine zweite auf dem Quirinal. Die "alte Burg" (Capitolium
+vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und
+einem Tempel der Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege
+oeffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des
+spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und Minervatempel und mit
+dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel
+der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass auch der
+Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens
+gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem
+Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und
+der aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit
+haengt weiter zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten
+Genossenschaften der Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in
+dem spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der
+palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, neben
+den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, die ihr
+Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat ^5. Alle
+diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen um so
+hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau bekannte
+Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss
+und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten
+Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal
+nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So
+erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das
+feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal
+angelegt ward - hier beruehrten sich ja die beiderseitigen Marken und
+musste von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen
+hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgefuehrt
+werden. ------------------------------------------------ ^5 Dass die
+Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus
+hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die
+Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die
+Fabier zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer
+auf dem Quirinal (Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den
+Luperkalien zusammenhaengen oder nicht.
+----------------------------------------------- Uebrigens heisst
+der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253) Lupercus
+Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult
+zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S.
+17) findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern;
+die bei den Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius
+und Quinctilianus ist also entstellt und das Kollegium nicht den
+verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, sondern den weit aelteren
+Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, 30) oder
+Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern
+genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das
+Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein. Endlich ist
+auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom Quirinal
+von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische
+Stadt sich die "der sieben Berge", ihre Buerger "die von den Bergen"
+montani) sich nennen, die Bezeichnung "Berg" wie an den uebrigen ihr
+angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so heisst die
+quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas
+hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen
+Sprachgebrauch nie anders als "Huegel" (collis); ja in den sakralen
+Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der "Huegel" ohne weiteren
+Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende
+Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige
+Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der
+vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte
+Servianische das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst
+wohl an der Gegend haftenden Namen der "Roemer" moegen dabei die
+Huegelmaenner ebenso wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa
+Huegelroemer (Romani collini) sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz
+der beiden Nachbarstaedte zugleich eine Stammverschiedenheit obgewaltet
+hat, ist moeglich, aber an Beweisen, welche ausreichten, um eine auf
+latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer stammfremd zu erklaeren,
+fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus ^7.
+------------------------------------------ ^6 Wenn spaeterhin fuer
+die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der Name des
+Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch keineswegs
+der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem
+Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie
+gezeigt ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini;
+andrerseits ist es unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von
+Haus aus wie nachher lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem
+Gegensatz der montani und collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten
+5. Kap.). Die spaetere Benennung des Quirinalis beruht darauf, dass zwar
+urspruenglich der Mars quirinus, der speertragende Todesgott, sowohl
+auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt wurde, wie denn noch
+die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel gefundenen
+Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der
+Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der
+Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch
+wohl collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur
+bezeichnet als der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer. ^7 Was man
+dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, S.
+480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von
+den Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene
+etymologisch-historische Hypothese, dass das lateinische quiris
+quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen Cures verwandt und demnach
+des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden sei. Auch wenn die
+sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, duerfte daraus
+der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die alten
+Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen "latiarischen
+Huegel" gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, aber nicht
+erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus fidius
+sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar
+in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren.
+Wenn an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal
+ein Name wie der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon
+benannte porta sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel
+begegnet, so wird jeder unbefangene Forscher darin nur einen Beweis
+fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht fuer ihre Entlehnung aus dem
+Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, dass alte Stammgegensaetze
+dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet werden; aber wenn
+dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die unseren
+Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element
+im Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das
+Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen.
+-------------------------------------------------------- So standen
+an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die
+Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei
+gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen
+einander gegenueber, einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani
+und die Trasteverini. Dass die Gemeinde der sieben Berge schon frueh
+die quirinalische bei weitem ueberwog, ist mit Sicherheit zu schliessen
+sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstaedte als auch
+aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in der spaeteren
+Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen lassen.
+Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer
+rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile
+der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander jaehrlich
+um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch
+die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab noch keinen
+gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde
+standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander -
+moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom
+eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt
+gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten
+und maechtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der
+Verteidigung faehig, also auch wohl beduerftig. Erst der grossartige
+Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht
+bloss jene beiden Staedte vom Palatin und Quirinal, sondern auch noch
+die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen des Kapitol und des
+Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und somit das neue
+Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses gewaltige
+Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden Landschaft
+ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der
+Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den
+andern latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen
+Zeiten leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen
+Anfang festerer Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und
+tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter
+die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in den "sieben Ringen"
+zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische
+Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem und
+freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl
+auch zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in
+der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer einheitlichen
+Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in der die
+Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft
+zu ringen und endlich sie zu erringen vermochte. 5. Kapitel Die
+urspruengliche Verfassung Roms Vater und Mutter, Soehne und Toechter,
+Hof und Wohnung, Knechte und Geraet - das sind die natuerlichen
+Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter
+als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber gehen die
+Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen
+Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich
+aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen
+gleich an schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der
+Natur selbst vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse. Die Familie, das
+heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie
+Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des
+Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio)
+angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren
+rechten Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern
+nebst allem, einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit,
+von der dagegen die Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie
+entweder, wenn sie ehelich sind, der Familie des Mannes angehoeren,
+oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Eigenes
+Haus und Kindersegen erscheinen dem roemischen Buerger als das Ziel und
+der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Uebel, denn er ist notwendig;
+aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein
+Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in fruehester Zeit dem
+Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme fremder Kinder
+anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein trug
+die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in
+der sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander.
+Familienhaupt kann nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von
+Gut und Geld nicht hinter dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die
+Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit
+den Kindern, aber immer und notwendig gehoert die Frau dem Hause, nicht
+der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig hausuntertaenig, die
+Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die vaterlose unverheiratete
+Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese sind es und nicht
+der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird.
+Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin.
+Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden
+Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische
+Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und
+daneben der Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug
+^2. Ebenso wurde die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder
+von der roemischen Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger
+Frevel, wenn der Vater das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch
+nur zum Nachteil desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich
+wird die Familie unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen
+allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber
+ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, der Stier und der
+Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die
+freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind,
+das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen.
+Es ist nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung
+eingegeben hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung
+und Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief
+und ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige
+Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist
+die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren werden, eine
+Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung dachte,
+zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit
+Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie
+gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung
+derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in
+religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem
+Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen
+nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und
+die Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und sie nach
+Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen
+gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken,
+sein "eigenes Vieh" (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber
+rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit
+oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen Haushalte
+gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater
+lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher
+auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie
+vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher
+Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch
+nicht selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls
+befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch
+den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein
+Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, so wird der
+Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, seinem
+Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche
+Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon
+erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche
+mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden;
+so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn
+verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der
+Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der
+Ehemann den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne vorher
+die naechsten Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der Frau,
+zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung der Gewalt lag in der
+letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht zugezogenen
+Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den richtenden
+Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber nicht bloss
+wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde verantwortlich, sondern
+auch, so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich und unzerstoerlich.
+Nach den griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der erwachsene,
+tatsaechlich selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; die
+Macht des roemischen Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das
+Alter, nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier
+Wille aufzuheben, nur dass die Person des Gewalthabers wechseln kann:
+denn allerdings kann das Kind im Wege der Adoption in eines andern
+Vaters Gewalt kommen, die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des
+Vaters uebergehen in die Hand des Mannes und, aus ihrem Geschlecht
+und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottesschutz des Mannes
+eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es ihrem Vater war.
+Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich von dem
+Herrn, als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des
+ersteren ward frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung
+des letzteren wurde erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich
+gemacht. Ja, wenn der Herr den Knecht und der Vater den Sohn verkauft
+und der Kaeufer beide freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der
+Sohn aber faellt durch die Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere
+vaeterliche Gewalt. So ward durch die unerbittliche Konsequenz, mit
+der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt von den Roemern aufgefasst
+wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. Indes, bei
+aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an die
+Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der
+Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch
+rechtlich aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch
+abgesehen davon, dass sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt,
+ist voruebergehender und gewissermassen stellvertretender Art. Weib und
+Kind sind nicht bloss um des Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur
+fuer den Eigentuemer, wie in dem absoluten Staat die Untertanen nur fuer
+den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl auch Gegenstand des Rechts,
+aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht Sachen, sondern Personen.
+Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die Einheit des Hauses
+im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert; wenn aber der
+Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren ein und
+erlangen nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen
+die bisher vom Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod
+des Herrn die rechtliche Stellung des Knechtes in nichts sich aendert.
+--------------------------------------------------- ^1 Es gilt dies
+nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium confarreatione),
+sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar nicht an
+sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die
+Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung
+(usus) ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der
+Weg geoeffnet, Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er
+sie gewann, also namentlich in der bis zur Vollendung der Verjaehrung
+verfliessenden Zeit, war das Weib, ganz wie bei der spaeteren Ehe mit
+causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, sondern pro uxore; bis in die
+Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt sich dieser Satz,
+dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht Ehefrau sei,
+sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3, 14). ^2
+Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig,
+ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht. Kurz,
+Wandrer ist mein Spruch: halt' an und lies ihn durch. Es deckt der
+schlechte Grabstein eine schoene Frau. Mit Namen nannten Claudia die
+Eltern sie; Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann; Zwei Soehne
+gebar sie; einen liess auf Erden sie Zurueck, den andern barg sie in
+der Erde Schoss. Sie war von artiger Rede und von edlem Gang, Versah ihr
+Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh. Vielleicht noch bezeichnender ist
+die Auffuehrung des Wollspinnens unter lauter sittlichen Eigenschaften,
+die in roemischen Grabschriften nicht ganz selten ist. Orelli 4639:
+optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta domiseda. Orelli
+4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo diligentia fide
+par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der Turia
+1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis,
+lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus
+non conspiciendi, cultus modici. ------------------------------------
+Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod
+des Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben
+selbstaendig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher
+Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in
+vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen aber,
+um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Toechter zu ordnen. Da
+nach aelterer roemischer Ansicht das Weib nicht faehig ist, weder ueber
+andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so bleibt die Gewalt ueber
+sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut (tutela), bei
+dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen Hausherrn
+jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen
+Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne,
+ueber die Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die
+einmal gegruendete Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres
+Urhebers ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation
+faktisch das Band sich lockern und zuletzt selbst die Moeglichkeit
+des Nachweises der urspruenglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und
+hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie und des Geschlechts,
+oder, nach roemischem Ausdruck, der Agnaten und der Gentilen. Beide
+bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfasst nur diejenigen
+Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad
+ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen,
+das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die Abstammung
+selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr
+vollstaendig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen
+vermoegen. Sehr klar spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn
+es heisst: "Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter,
+der Quintier", so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten
+individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt
+ergaenzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen
+Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt
+hat. Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn
+vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen
+Familien- und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar
+nicht die Gaeste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise,
+welche voruebergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig
+die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des Hauses
+angesehen werden, aber wohl die Hoerigen (clientes, von cluere), das
+heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie Buerger irgendeines
+Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschuetzter
+Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen
+Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils
+diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner
+Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit
+geschenkt hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit
+nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein
+unfreier Mann, fuer den Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte.
+Darum bilden die "Hoerigen" (clientes) des Hauses in Verbindung mit den
+eigentlichen Knechten die von dem Willen des "Buergers" (patronus,
+wie patricius) abhaengige "Knechtschaft" (familia); darum ist nach
+urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das Vermoegen des Klienten
+teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls
+in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es
+sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht
+so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schaerfe dieses
+hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite
+die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu
+sorgen und sie zu vertreten, bei dem tatsaechlich freier gestellten
+Klienten groessere Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders
+musste die faktische Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich
+naehern, wo das Verhaeltnis durch mehrere Generationen hindurchgegangen
+war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber gestorben waren,
+konnte das Herrenrecht ueber die Nachkommen des Freigelassenen von den
+Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietaet in
+Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich
+ein Kreis abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso
+unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen. Auf
+diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen
+als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer
+erfolgten Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der
+Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus
+den vereinigten Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer
+einem jener Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in
+den ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und
+begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in unrechter oder
+ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen.
+Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die "Vaterkinder"
+(patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die
+Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien
+dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und
+Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem
+Staate gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der
+Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten
+neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich
+natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines jeden
+Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar
+blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie,
+der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass von dem
+Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen
+der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen werden konnten,
+wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die eigentlichen
+buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so
+mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand
+der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den
+Buergern und den Insassen. Wie die Elemente des Staates die auf
+der Familie ruhenden Geschlechter sind, so ist auch die Form der
+Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie nachgebildet.
+Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und
+vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich bestehen soll,
+findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen nicht,
+die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes
+Gnaden sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr
+Leiter (rex) und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in
+spaeterer Zeit in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und
+die wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und
+die roemischen Penaten zu finden sind - sie alle die sichtbare Einheit
+des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt
+beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist, sofort
+und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem Koenig
+erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfaehigen Freien
+zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat
+er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt,
+und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern der
+Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt
+alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im
+Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze
+Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem
+Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist
+allmaechtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores, von
+licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall voranschreiten, wo er in
+amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, oeffentlich zu
+den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem
+Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht
+und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich
+Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in
+allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt
+ueber Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den
+Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben
+in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung
+an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil stattzugeben, ist
+er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege
+auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muss er bei Feuerlaerm
+persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause
+nicht der Maechtigste ist, sondern der allein Maechtige, so ist auch der
+Koenig nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er
+mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen
+Maennern Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er
+mag, um sich die Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse
+andern uebertragen, die Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im
+Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung
+der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen
+genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt
+eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt neben
+der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch
+den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der aeltesten
+Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer
+(tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei
+(celeres), sind nichts als Beauftragte des Koenigs und keineswegs
+Magistrate im spaeteren Sinn. Eine aeussere rechtliche Schranke hat
+die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht haben; fuer den Herrn der
+Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der Gemeinde wie fuer
+den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt seine Macht.
+Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, auf den im
+Fall der Vakanz das "Zwischenkoenigtum" (interregnum) uebergeht. Eine
+formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst
+nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden
+Kollegium der Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger
+der Gewalt den neuen Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird "der
+hohe Goettersegen, unter dem die beruehmte Roma gegruendet ist", von
+dem ersten koeniglichen Empfaenger in stetiger Folge auf die Nachfolger
+uebertragen und die Einheit des Staats trotz des Personenwechsels der
+Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese Einheit des roemischen Volkes,
+die im religioesen Gebiet der roemische Diovis darstellt, repraesentiert
+rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht die des hoechsten
+Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss geht,
+der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene
+Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in
+gleicher Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen
+Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die
+Begriffe Gott und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise
+ineinander verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig,
+sondern viel eher der Eigentuemer des Staats. Darum weiss man auch
+nichts von besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von
+irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff
+waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit
+frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr
+kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib
+gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also
+eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem
+aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem Hause, zum
+Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber Bauern, den
+Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und
+doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der
+Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen Besseren zu halten.
+Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Koenigsgewalt.
+Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel
+Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute
+schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder sonst durch
+Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber wenn
+er es tat, so vergass er, dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam,
+sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und
+wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm
+geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber der Koenigsgewalt lag
+darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu aendern befugt war,
+jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der Volksversammlung
+und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein musste oder ein nichtiger
+und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen.
+So ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im tiefsten
+Grunde verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im
+modernen Leben so wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen
+Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.
+----------------------------------------------- ^3 Dass Lahmheit vom
+hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das roemische Buergertum
+Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, versteht sich so
+sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien
+ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen.
+----------------------------------------------- Die Einteilung der
+Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit curare =
+coerare, koiranos verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde;
+jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie
+equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei
+kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als
+Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und
+vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile. Diese
+Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den Personalbestand der
+Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit
+diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, sondern auch
+Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter
+den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend
+gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum
+Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser
+aeltesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken,
+von denen schon die Rede war. In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet
+diese Verfassung in dem Schema der spaeterhin unter roemischem Einfluss
+entstandenen latinischen oder Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten
+dieselben hundert Ratmaenner (centumviri). Aber auch in der aeltesten
+Tradition ueber das dreiteilige Rom, welche demselben dreissig Kurien,
+dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; dreitausend Fusssoldaten
+beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen hervor.
+------------------------------------------ ^4 Selbst in Rom, wo die
+einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh verschwunden ist, findet sich
+noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwuerdig genug eben bei
+demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter allen deren
+unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten zuhalten, bei
+der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn
+Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in
+der Dreissigkurienverfassung sind.
+------------------------------------------- Nichts ist gewisser, als
+dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in Rom entstanden, sondern
+uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht sogar ueber
+die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen Dingen sehr
+glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen
+Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die
+Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im
+vollsten Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom,
+sondern tritt in dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen
+Gemeindeordnungen auf als wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts
+ueberhaupt. Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in
+Kurien. Die "Teile" koennen schon deshalb kein wesentliches Moment
+gewesen sein, weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl
+zufaellig ist; wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung
+zu, als dass das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze
+gewesen waren, sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert,
+dass der einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte
+gehabt habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass
+im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es
+zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden
+sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare,
+als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser
+Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder
+einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte
+Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die
+Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf,
+dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen
+hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes
+gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in der
+roemischen Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall
+ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen, dass der
+verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht
+veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter,
+noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich
+fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen
+hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem
+Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger
+genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in dem aeltesten
+Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere
+Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war
+eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens
+zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem
+besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen
+curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und
+geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und
+stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der
+Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die Zahl
+der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde.
+------------------------------------------------------- ^5 Es liegt dies
+schon im Namen. Der "Teil" ist, wie der Jurist weiss, nichts als ein
+ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der Gegenwart ohne
+alle Realitaet. -------------------------------------------------------
+So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen
+war innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es
+kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des
+andern Satzes es den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des
+Gegensatzes zwischen Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern
+tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der
+Behandlung der uralten Institution des Ehrenbuergerrechts, welches
+urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein
+Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger hineingenommen
+ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo er
+dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem
+ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in
+Hellas immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in
+mehreren Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger
+entwickelte Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass man zweien
+Gemeinden zugleich als Buerger angehoeren koenne, und liess fuer
+den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht die Absicht hatte, sein
+bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen Ehrenbuergerrecht
+nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und
+Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher
+vorgekommen war. Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken
+gegen aussen ging Hand in Hand, dass aus dem Kreise der roemischen
+Buergergemeinde jede Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt
+ferngehalten wurde. Dass die innerhalb des Hauses bestehenden
+Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt werden konnten, innerhalb
+der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde bereits erwaehnt;
+derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, konnte also
+als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzuege
+aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den Lucerern
+in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen
+Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht
+vor der Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine
+Eliten- oder Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus
+die wohlhabendste, bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich
+schloss, war natuerlich angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch
+dieser Gegensatz war rein tatsaechlicher Art und der Eintritt in die
+Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und
+allein die verfassungsmaessige Gliederung der Buergerschaft, welche
+rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die rechtliche
+Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen Erscheinung
+durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde vor
+den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem
+noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber durfte der Reiche
+und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene oeffentlich nur erscheinen
+in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weissem Wollenstoff. Diese
+vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel urspruenglich
+begruendet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser
+Schaerfe der Auffassung und Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten
+und der folgenreichsten Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und
+wohl mag man dabei sich erinnern, dass in Italien keine den latinischen
+Einwanderern botmaessig gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und
+geringerer Kulturfaehigkeit begegnet und damit die hauptsaechliche
+Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen, der spartanische
+und thessalische und wohl ueberhaupt der hellenische Adel und
+vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft hat. Dass der
+Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von selbst.
+Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die
+Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen.
+Die Buerger sind zugleich die "Kriegerschaft" (populus, verwandt mit
+populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die "speerbewehrte
+Kriegsmannschaft" (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars
+herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der Koenig sie
+anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des Wehrmanns gefasst.
+In welcher Art das Angriffsheer, die "Lese" (legio) gebildet ward, ist
+schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand sie
+aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen
+oder flexuntes, die Schwenker) unter den drei Abteilungsfuehrern der
+Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei Tausendschaften der Fussgaenger
+(milites) unter den drei Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni
+militum); letzteres war vermutlich von Haus aus der Kern des
+Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und
+Glied fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen
+sein ^8. Der Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser
+dem Kriegsdienst konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger
+treffen, wie die Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im
+Kriege wie im Frieden (I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker
+oder zur Anlage oeffentlicher Bauten; wie schwer namentlich der Bau der
+Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass der Name der
+"Fronden" (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine regelmaessige direkte
+Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte regelmaessige
+Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es derselben
+nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt oeffentliche
+Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine solche
+ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet
+ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von dem, der selber
+nicht dienen konnte oder wollte. Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst
+noetigen Opfertiere wurden durch eine Prozesssteuer beschafft,
+indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag, eine nach dem Werte des
+Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den Staat
+erlegte. Von stehenden Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird
+nichts berichtet. Dagegen flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I,
+62), sowie die Einnahme von den Domaenen, namentlich der Weidezins
+(scriptura) von dem auf die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die
+Fruchtquote (vectigalia), die die Nutzniesser der Staatsaecker an
+Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der Ertrag der Viehbussen und
+Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde eine
+Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe
+betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe
+die Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht
+entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig
+leitete die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes,
+das, nach den Angaben ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten
+roemischen Koenigsgeschlechts der Tarquinier zu schliessen, regelmaessig
+bedeutend gewesen sein muss, fiel das Staatsvermoegen nicht zusammen
+und namentlich der durch die Waffen gewonnene Acker scheint stets als
+Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der Koenig in der
+Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen beschraenkt war,
+ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere Entwicklung, dass
+die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann, wogegen es Sitte
+sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des im
+Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten.
+---------------------------------------- ^6 Quiris quiritis oder
+quirinus wird von den Alten gedeutet als der Lanzentraeger, von quiris
+oder curis = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern zusammen mit
+samnis, samnitis und sabinus, das auch bei den Alten von sa?nion,
+Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an
+arquites, milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die
+im Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen
+Oberwurf gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit der roemischen
+Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden die Juno
+quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als speerschwingende
+Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist quiris der Wehrmann,
+das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der Sprachgebrauch ueberein.
+Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, wird nie von Quiriten
+gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma, populus,
+civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so wenig eine lokale
+Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum koennen auch diese
+Bezeichnungen nicht miteinander verbunden werden: man sagt nicht civis
+quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus,
+denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet die feierliche
+Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass "dieser Wehrmann mit Tode
+abgegangen" (ollus quiris leto datus), und ebenso redet der Koenig die
+versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und spricht, wenn er zu Gericht
+sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften Freien (ex iure quiritium, ganz
+gleich dem juengeren ex iure civili). Populus Romanus, quirites (
+populus Romanus quiritium ist nicht genuegend beglaubigt) heisst also
+"die Gemeinde und die einzelnen Buerger" und werden darum in einer alten
+Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus die prisci Latini, den quirites
+die homines prisci Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd. 2, S.
+20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche
+Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen
+Gemeinde einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und
+nach deren Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den
+der aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt.
+Vgl. 1, 68 A. ^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt
+Dionysios (2, 64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf
+die Fuehrer der Reiter (oi /e/gemones t/o/n Keleri/o/n). Nach dem
+praenestinischen Kalender wird am 19. Maerz ein Fest auf dem Comitium
+begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius
+Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten roemischen
+Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen in der
+Schrift 'De viris illustribus' 1 Celer selbst centurio genannt wird.
+Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen
+sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes
+die Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren
+Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm
+schoepfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer
+des Antias, dem magister equitum des republikanischen Diktators, dem
+Praefectus Praetorio der Kaiserzeit. Von diesen Angaben, den einzigen,
+die ueber die tribuni celerum vorhanden sind, ruehrt die letzte nicht
+bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen Gewaehrsmaennern
+her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, welcher nur
+"Teilfuehrer der Reiter" heissen kann; vor allen Dingen aber kann
+der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte
+Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen
+sein mit der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also
+stehenden Magistratur. Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der
+Nachricht des Pomponius, die offenbar lediglich hervorgegangen ist aus
+der mit immer steigender Unwissenheit historisierten Brutusanekdote,
+so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum den tribuni militum in
+Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die Abteilungsfuehrer der Reiter
+gewesen sind, also voellig verschieden von dem Reiterfeldherrn. ^8
+Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und
+arquites und die spaetere Organisation der Legion.
+------------------------------------------ Indes nicht bloss leistend
+und dienend erscheint die roemische Buergerschaft, sondern auch
+beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten hierzu die
+Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht
+waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die "Lanzenmaenner"
+(quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief,
+um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie
+foermlich auf die dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten
+hiess (comitia), um sie nach Kurien zu befragen. Ordnungsmaessig setzte
+derselbe zweimal im Jahr, zum 24. Maerz und zum 24. Mai, dergleichen
+foermliche Gemeindeversammlungen an und ausserdem, so oft es ihm
+erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger nicht zum Reden,
+sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand
+spricht in der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu
+gestatten fuer gut findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache
+Antwort auf die Frage des Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung,
+ohne Bedingung, ohne Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die roemische
+Buergergemeinde eben wie die deutsche und vermutlich die aelteste
+indogermanische ueberhaupt die eigentliche und letzte Traegerin der Idee
+des souveraenen Staats; allein diese Souveraenitaet ruht im ordentlichen
+Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier nur darin, dass die
+Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig
+verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt
+angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm
+treu und botmaessig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in
+hergebrachter Weise anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel
+ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr ganz aehnliche
+Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war durchaus
+folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der Souveraen,
+ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich nicht
+beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die
+Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich
+souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht
+der Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden
+Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem
+einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der
+roemischen Verfassung ohne Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so
+dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird
+durch das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder
+Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und Regierten
+selbst durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig sanktioniert
+wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande
+gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an die Buerger
+gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem
+Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum
+ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es fassen, der von
+dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl,
+sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates
+durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen
+Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Faellen, die der
+ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf
+kann jeder unbeschraenkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein
+nur in der Art, dass er dasselbe sofort aufgibt; dass das Eigentum
+vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei seinem Tode auf einen andern
+uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es sei denn, dass ihm die Gemeinde
+solches gestatte; was hier nicht bloss die auf dem Markt versammelte,
+sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft bewilligen
+konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen
+Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit
+nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan
+ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn,
+dass ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im
+gewoehnlichen Rechtslauf kann das Buergerrecht nur gewonnen werden durch
+die Geburt und nicht verloren werden - es sei denn, dass die Gemeinde
+das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben gestatte, was beides
+unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss nicht in gueltiger
+Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft den
+todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter
+nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe,
+da der Koenig nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass
+der zum Tode verurteilte Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der
+Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang
+der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem leugnenden
+Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen ist, sondern dem
+gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im gewoehnlichen
+Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag
+nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill
+die Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie
+notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird,
+nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag
+bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch richtete sich
+jene Frage, wie es scheint, nicht an die gewoehnliche Versammlung der
+Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich ueberhaupt, wenn der
+Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden
+gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und insofern
+ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des
+Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen
+und in allen aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der
+Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein
+zum Patrizier erklaerte Mann blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es
+konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern
+war also die Gemeindeversammlung, wie beschraenkt und gebunden sie auch
+auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des roemischen
+Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als neben dem Koenig.
+-------------------------------------------------------- ^9 Lex, die
+Bindung (verwandt mit legare, zu etwas verbinden) bezeichnet bekanntlich
+ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines Vertrages,
+dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach
+annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der
+Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent
+der Koenig, der Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung
+des letzteren ist also auch sprachlich praegnant bezeichnet.
+-------------------------------------------------------- Aber neben
+dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der aeltesten
+Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln
+bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben
+beide und innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies
+ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe
+hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung,
+dass in dem urspruenglichen Rom die saemtlichen Hausvaeter den Senat
+gebildet haetten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der
+nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des spaeteren Rom seinen
+Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der aeltesten Stadt
+als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies wahrscheinlich
+ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, wo wie
+der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst
+jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem,
+sei es durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es
+durch Erbfolge bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben
+Epoche auch der Senat nichts gewesen als die Gesamtheit dieser
+Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom Koenig wie von der
+Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der letzteren,
+unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten gewissermassen
+eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings ist
+jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem
+latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der
+erste und vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung
+die Gemeinde zu entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten,
+moeglicherweise in Latium lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie
+wir das roemische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares
+Haupt und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle
+Geschlechtsmaenner abstammen oder abzustammen behaupten, von den
+lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen,
+so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht
+ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht werden.
+Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates
+der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige
+Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung
+des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein blosser
+Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, deren
+Ratschlaege der Koenig einzuholen zweckmaessig findet, beruht lediglich
+darauf, dass er einst eine Versammlung gewesen war gleich jener, die
+Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum zu Rate sitzenden
+Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die Gesamtheit
+der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder eine
+feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war;
+aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die Zahl
+der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht
+auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert
+festgestellt worden, sodass von der Verschmelzung der drei Urgemeinden
+die Vermehrung der Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl
+von dreihundert die staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit
+ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in
+spaeterer Zeit dies lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich
+als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden
+Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwuerdigen
+oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese
+Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die
+Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht
+mehr gab, bei dem Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in
+aelterer Zeit, solange noch die Individualitaet der Geschlechter im
+Volke lebendig war, als Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig
+einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben
+Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich
+ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der
+Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren
+ganz in das freie Ermessen des Koenigs uebergegangen, so dass nur das
+noch als Missbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess.
+Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass
+die Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von
+Rechts wegen den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn
+sie auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich auspraegenden
+monarchischen Grundanschauung der Roemer, zur Zeit immer nur von einem
+dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt werden kann. Ein
+jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausuebung,
+aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch
+seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben
+gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur
+dass der des Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators.
+Hierauf beruht es ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die
+koenigliche Gewalt in der roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt
+werden kann. Stirbt der Koenig, so treten ohne weiteres die Aeltesten
+an seine Stelle und ueben die Befugnisse der koeniglichen Gewalt. Jedoch
+nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur Zeit Herr sein
+kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es unterscheidet
+sich ein solcher "Zwischenkoenig" (interrex) von dem auf Lebenszeit
+ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der Gewalt. Die
+Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber festgesetzt
+auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren
+in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt ist,
+der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los
+festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage
+uebergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von
+der Gemeinde nicht geleistet. Im uebrigen aber ist der Zwischenkoenig
+berechtigt und verpflichtet, nicht bloss alle dem Koenig sonst
+zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst einen Koenig
+auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von ihnen fehlt
+ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird
+als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger ernannt
+ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin
+der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des
+roemischen Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft gegeben fuer die
+ununterbrochene Dauer desselben und seiner monarchischen, nicht aber
+erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat spaeter den
+Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein duenkte, so ist das nur
+in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat eine solche gewesen.
+Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser
+Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches
+Glied der roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten
+sich nicht in die Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine
+Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst
+das Heer zu fuehren oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von
+jeher aus dem Senat genommen - weshalb auch spaeter noch die hoechsten
+Befehlshaberstellen regelmaessig nur an Senatoren vergeben und ebenso
+als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder
+bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner
+Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom
+nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats
+gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer
+der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der
+Buergerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von
+dieser gefassten Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die bestehenden
+Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestaetigung zu versagen;
+oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo verfassungsmaessig ein
+Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei jeder Verfassungsaenderung,
+bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der Erklaerung eines
+Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf
+man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der
+Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den
+beiden Haeusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war
+nicht sowohl Gesetzgeber als Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur
+dann kassieren, wenn die Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also
+bestehende Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige
+Staaten oder auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren
+Beschluss verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom
+groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die
+Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss
+erhoben hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu
+erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war,
+der roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit
+den Worten schloss: "darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim,
+wie wir zu unsrem Rechte kommen"; erst wenn der Rat der Alten sich
+einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft
+beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss
+war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges
+Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen
+und durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt
+zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des hoechsten Amtes der Senat
+die Dauer der Gemeindeverfassung verbuergte, finden wir auch hier ihn
+als den Hort der gesetzlichen Ordnung gegenueber selbst der hoechsten
+Gewalt, der Gemeinde. Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch
+die allem Anschein nach uralte Uebung an, dass der Koenig die an die
+Volksgemeinde zu bringenden Antraege vorher dem Rat der Alten vorlegte
+und dessen saemtliche Mitglieder eines nach dem anderen darueber ihr
+Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht zustand, den gefassten
+Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich vorher die
+Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu befuerchten
+sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich
+brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer
+Maenner Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen
+Zusammensetzung nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als
+Staatsrat zur Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr
+als aus der bisher bezeichneten Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des
+Senats hervorgegangen; die Anfaenge indes sind unscheinbar und gehen
+eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn
+sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei Angelegenheiten von
+Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also
+zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender
+Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der
+Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das
+eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich,
+rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der
+Koenig beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor;
+ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat
+sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in
+der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkoenige
+festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den Senatoren
+und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens
+zu berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der
+Ratschlag sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu
+folgen, ohne dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht
+praktische Geltung zu schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs
+allgemein anwendbare Kassationsrecht. "Ich habe euch gewaehlt, nicht
+dass ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten": diese Worte, die ein
+spaeterer Schriftsteller dem Koenig Romulus in den Mund legt, bezeichnen
+nach dieser Seite hin die Stellung des Senats gewiss im wesentlichen
+richtig. Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische
+Buergergemeinde, an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber
+allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von
+der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die
+Versammlung der lebenslaenglich bestellten Gemeindeaeltesten, gleichsam
+ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt, berufen im Fall
+der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven
+Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den
+rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche
+Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch
+die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des
+Koenigs Gebot, gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden
+musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht
+von dem wahren Souveraen, dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer
+keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die aelteste roemische
+Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie
+in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des Staates
+gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen,
+den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten
+die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische Volksgemeinde
+ungefaehr, was in England der Koenig ist und das Begnadigungsrecht, wie
+in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der
+Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde
+stand. Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu
+dessen einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich
+weit entfernt von der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der
+modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte
+wohl ueber die Person des Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten
+und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das
+einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpoenter Handlungen mit
+Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht
+gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und Unrecht erschienen.
+Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich der
+Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing,
+der Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen
+Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen
+Kosten gross gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der
+merkwuerdigsten Saetze der aeltesten roemischen Verfassung, dass der
+Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen
+Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender
+Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst die
+Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke
+bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre
+praktische Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der
+gewiss befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht
+zuwiderlaufenden Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war
+innerhalb ihres Kreises so wie die roemische allmaechtig; aber in keiner
+Gemeinde auch lebte der unstraeflich sich fuehrende Buerger in
+gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenueber seinen Mitbuergern wie
+gegenueber dem Staat selbst. So regierte sich die roemische Gemeinde,
+ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem
+mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz
+und unter sich, in scharfer Auspraegung der eigenen Nationalitaet,
+waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt werden - dem
+Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore weit
+aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt,
+sondern erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht
+sich, dass sie auf der aelteren italischen, graecoitalischen
+und indogermanischen Verfassung beruht; aber es liegt doch eine
+unuebersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den
+Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus' Bericht ueber
+Deutschland sie schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen
+Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des
+deutschen Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt
+der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz
+und der geregelten Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag
+ferner sein, dass, wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den
+Elfenbeinstab sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt
+hat, so auch die zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr
+vom Ausland heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die
+Entwicklung des roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium
+gehoert, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist,
+beweist die durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern
+latinischer Praegung. Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des
+roemischen Staats fuer alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn
+trotz der wandelnden Formen steht es fest, solange es eine roemische
+Gemeinde gibt, dass der Beamte unbedingt befiehlt, dass der Rat
+der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist und dass jede
+Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst
+der Volksgemeinde. 6. Kapitel Die Nichtbuerger und die reformierte
+Verfassung Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor
+allen, ist ein grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir
+Kunde haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung
+des Roemerrums endigen die aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von
+jenem aeltesten Verschmelzungsprozess der Ramner, Titier und Lucerer,
+von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der frueheste
+derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die Huegelbuergerschaft
+aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird,
+als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und
+die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht
+werden duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der
+Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der
+uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der
+Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg
+ein. Die roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei
+Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen
+Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester
+des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es
+ist glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten
+altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen,
+Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien
+der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind.
+Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den drei Quartieren der
+palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Huegelstadt auf
+dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem urspruenglichen
+Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung
+wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit
+gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in
+Beziehung auf die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren
+Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung
+zerfiel die roemische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je
+zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen sie nun ihrerseits
+mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die bestehenden Teile und
+Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in der
+Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der
+Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit
+den Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan
+jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die
+Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores,
+posteriores). Eben damit haengt wahrscheinlich die in den organischen
+Institutionen der Gemeinde ueberall hervortretende paarweise Anordnung
+zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen ausdruecklich
+als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter Ordnung
+bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist vermutlich
+aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im Heerwesen:
+nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde
+hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische Buergerreiterei
+auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer wahrscheinlich
+auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des
+Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen
+Gebrauch, dass die Legionen regelmaessig je zwei und zwei einberufen
+wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen, und wahrscheinlich ruehrt von
+dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her, dass nicht, wie
+wohl urspruenglich, drei, sondern sechs Abteilungsfuehrer die Legion
+befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat
+entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert
+Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale
+geblieben; womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der
+angesehensten Maenner der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der
+palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den
+Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig
+vor, und von seinen hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich
+dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, dass die sakralen
+Institutionen der Huegelstadt fortbestanden und in militaerischer
+Hinsicht man nicht unterliess, der verdoppelten Buergerschaft die
+doppelte Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber die Einordnung der
+quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre Unterordnung der
+ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben, dass der
+Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen
+Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten
+Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der
+Quirinalstadt die "zweiten" oder die "minderen" gewesen. Indes war der
+Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den
+Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen
+Ratsherren vor denen der "minderen" gefragt. In gleicher Weise steht das
+collinische Quartier im Range zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen
+der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem
+des palatinischen, die quirinalischen Springer und Woelfe hinter
+denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synoekismus, durch den
+die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine
+Mittelstufe zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner und
+Lucerer miteinander verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen
+Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr
+bilden, wohl aber noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre
+sakralen Institutionen liess man nicht bloss bestehen, was auch nachher
+noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba, geschah, sondern erhob
+sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was spaeterhin in dieser
+Weise nicht wieder vorkam. Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen
+gleichartiger Gemeinwesen war mehr eine quantitative Steigerung als
+eine innerliche Umgestaltung der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten
+Inkorporationsprozess, der weit allmaehlicher durchgefuehrt ward und
+weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten Anfaenge gleichfalls
+bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die Verschmelzung der
+Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der roemischen
+Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die "Hoerigen"
+(clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen
+Buergerhaeuser, oder die "Menge" (plebes, von pleo, plenus), wie sie
+negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1.
+Die Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren,
+wie gezeigt ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der
+Gemeinde musste diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich
+und rechtlich zu groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die
+Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hoerige besitzen;
+besonders mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung ihres
+Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen,
+die Masse der Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen,
+sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten,
+so dass sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den
+Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten.
+Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht ueber die
+einzelnen Buerger die Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen
+missbraeuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts
+zu schuetzen. Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische
+Landrecht der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte
+Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn
+der Herr bei Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament,
+Prozess, Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend
+aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen
+Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner
+Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen
+koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder
+Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung
+von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes
+in einer mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was
+ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei
+rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum scheinen laengere Zeit
+hindurch ihre vermoegensrechtlichen Beziehungen gleich denen der Sklaven
+als Rechtsverhaeltnisse des Patrons gegolten und dieser prozessualisch
+sie notwendig vertreten zu haben, womit denn auch zusammenhaengen wird,
+dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen einheben und sie vor
+sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber allmaehlich
+entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in eigenem
+Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung
+ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen
+und zu erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den
+Buergern zwar weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner
+Gemeinde angehoerigen, eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte
+denselben doch nicht wohl gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise
+Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden Rechtsverhaeltnisse der
+eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und des Geschlechts,
+der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der buergerrechtlichen
+zu gestalten. ----------------------------------------------------
+^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2,
+2). ---------------------------------------------------- Teilweise zu
+aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, insofern auf
+Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen und
+dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit
+uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben.
+Das roemische Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet noch von
+Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils jedem
+dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen unbeschraenkte
+Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel wir wissen, jedem,
+der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern befugt war, selbst
+dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte Recht bewegliches
+und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen konnten,
+in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es
+ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang
+ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch das
+Niederlassungsrecht mit grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde
+ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter
+Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden Fremden gewaehrt hat.
+Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die
+Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die
+Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in
+Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis
+mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen
+des Verkehrs, die durch das latinische Buendnis allen Latinern
+gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss
+selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende
+Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der
+Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil
+der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten
+Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in
+seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel
+wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht vertauschte.
+Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern und lichtete
+bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die
+Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute
+dafuer zu bezahlen. Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich,
+dass das roemische Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand,
+als es in der Tat der Fall war. Dass er noch laengere Zeit eine
+zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen
+in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an einzelne ansehnliche
+auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder
+nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht empfingen -
+denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer
+seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise
+stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der
+Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne
+Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht
+erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens
+wahrscheinlich, dass die schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende,
+aber doch gewiss nicht urspruengliche Zivilehe eben eingefuehrt ward, um
+das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmen ^2. Auch die Massregeln,
+durch welche bereits in aeltester Zeit auf die Erhaltung einer
+zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern hingewirkt
+ward, gehoeren in diesen Zusammenhang.
+------------------------------------------------------- ^2 Die
+Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass
+dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das
+hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die
+religioese Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von
+der religioesen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich,
+dass die religioese Ehe selbst als eigentuemliche und rechtlich
+notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der
+anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Uebergabe von
+seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, hinzutreten musste,
+um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden.
+------------------------------------------------------
+Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in
+bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen,
+waehrend die der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte;
+und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und
+freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene
+Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen
+Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und
+vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des
+Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom
+lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in
+der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder
+und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen
+Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht,
+der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies
+schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln,
+und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr
+zurueck. War in aelterer Zeit der Klient ausschliesslich fuer den
+Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so musste,
+je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der
+Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne
+Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge
+und Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der
+Nichtbuerger, namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen
+Gemeinden, standen ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich
+von Haus aus nicht in der Klientel der koeniglichen und der sonstigen
+grossen Geschlechter und gehorchten dem Koenig ungefaehr in gleicher Art
+wie die Buerger. Dem Koenig, dessen Herrschaft ueber die Buerger denn
+doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, musste es
+willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhaengigen Schutzleuten
+sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu bilden. So erwuchs
+neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den Klienten
+ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch;
+rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer,
+dem Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr
+bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem
+der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel
+der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefuehl der besonderen
+Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der politischen Zuruecksetzung
+den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen gleichmaessig
+waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen des
+politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen
+Gemeinde. Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile
+geschah indes schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener
+Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen
+traegt vom Koenig Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen
+Ursprung nach in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von
+der wir, was wir wissen, nicht durch historische Ueberlieferung, sondern
+nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren Institutionen wissen; aber
+ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben
+koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie
+muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige
+ihren Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf
+Befreiung von der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der
+Nichtbuerger teils zu der Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung,
+dem Staat im Notfall vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden,
+teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung
+zusammengefasst, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen
+ist die Heranziehung der Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen
+Lasten: es wurden diese frueh auch auf die "Begueterten" (locupletes)
+oder die "stetigen Leute" (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich
+Vermoegenslosen, die "Kinderzeuger" (proletarii, capite censi) blieben
+davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der
+Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die
+Buergerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules,
+mochten sie Buerger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde
+aus einer persoenlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung
+folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige Mann vom achtzehnten
+bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der Hauskinder ansaessiger
+Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der entlassene
+Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt
+war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war
+der Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst
+herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der
+Fall war, auf roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der
+Groesse der Grundstuecke wurde die kriegstuechtige Mannschaft
+eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in
+vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und insofern vorzugsweise das
+Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von den vier folgenden Reihen
+der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Haelften,
+Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung
+der Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und
+sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der
+damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen
+Vollhufen, waehrend die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener
+jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansaessigen
+ausmachten; weshalb festgesetzt ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig
+Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten
+Reihe ausgehoben werden sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei:
+die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin
+wich man hier ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den
+alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern
+blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern
+gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen,
+dass man damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und
+nach der Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus
+militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und
+regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen
+Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man
+denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre
+hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu
+machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen,
+soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes
+einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei - zu
+stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein
+Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont.
+---------------------------------------------------- ^3 Aus demselben
+Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt der
+Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft
+aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen.
+----------------------------------------------------- Die nicht
+ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen
+stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen
+sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer
+zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken
+und Gefallenen ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden. Zum Behuf
+der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier "Teile"
+(tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen
+Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches
+Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die
+Strasse dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den
+esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die
+"Huegel" im Gegensatz der "Berge" des Kapitol und Palatin, bildeten. Von
+der Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen und
+gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und
+quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es
+herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem dieser
+Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der
+Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten,
+ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung.
+Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und
+nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen
+Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung
+zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der
+raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig
+zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder
+ein Larenaltar errichtet ward. Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte
+hatte annaehernd den vierten Teil wie der ganzen Mannschaft, so jeder
+einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen, sodass jede Legion und
+jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk zaehlte, um
+alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und
+gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den
+maechtigen Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger
+zu einem Volke zu verschmelzen. Militaerisch wurde die waffenfaehige
+Mannschaft geschieden in ein erstes und zweites Aufgebot, von denen
+jene, die "Juengeren", vom laufenden achtzehnten bis zum vollendeten
+sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden,
+waehrend die "Aelteren" die Mauern daheim schirmten. Die militaerische
+Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine
+vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx
+von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend
+Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400 "Ungeruestete" (velites,
+s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis,
+bildeten die vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und
+sechsten standen die minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten
+Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx
+hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte
+Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind,
+war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann,
+davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden
+Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der
+fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der
+Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum
+Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die
+fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde;
+wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann kam,
+80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten
+Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die
+der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei,
+welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft
+nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des
+roemischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe
+an 20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der roemischen
+Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der Einfuehrung dieser neuen
+Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei
+steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt,
+sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen
+Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die
+roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig
+durch Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke
+umgingen. Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die
+sorgfaeltigere Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats.
+Es wurde entweder jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt,
+dass ein Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer
+ihre Aecker mit dem Zubehoer, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den
+Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veraeusserung, die
+nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde fuer nichtig erklaert
+und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich Aushebungsrolle
+war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der
+servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus
+hervorgegangen. Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus
+militaerischer Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch
+nicht ein einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische
+Bestimmung der Zenturien hinwiese; und dies allein muss fuer jeden, der
+in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, genuegen, um ihre Verwendung
+zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu erklaeren. Wenn,
+wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr
+ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies
+keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und
+neben den Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch
+die Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit
+der Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und
+insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische Ordnung fuer die
+Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise
+die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische
+Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch Offizier
+werden koennen, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten
+in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt
+werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen
+Buergerschaft durch die Zenturieninstitution der Sonderbesitz der
+politischen Rechte nicht geschmaelert werden sollte, so mussten doch
+unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige Buergerschaft
+nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot geuebt hatte,
+uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien. Die Zenturien
+also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines Angriffskrieges
+um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der spaeteren
+Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer Beteiligung der
+Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein
+zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr
+folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden waere, und
+nach wie vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die
+eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem Koenig
+verpflichtete. Neben diesen neuen grundsaessigen Vollbuergern standen
+die angesessenen Auslaender aus dem verbuendeten Latium als teilnehmend
+an den oeffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher
+municipes); waehrend die ausser den Tribus stehenden, nicht
+ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger nur als
+steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen. Hatte man somit bisher
+nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und Schutzverwandte
+unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen Klassen
+fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht
+beherrscht haben. Wann und wie diese neue militaerische Organisation
+der roemischen Gemeinde ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen
+moeglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heisst, die
+Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand.
+Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine urspruengliche Grenze
+betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel
+Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den
+Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird
+nicht moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir
+als Minimum 10000 Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9
+deutschen Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide,
+Haeuserraum und nicht kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz
+bringt, das Gebiet zu der Zeit, wo diese Reform durchgefuehrt ward,
+mindestens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich
+aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben muss. Folgt man der
+Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 ansaessigen und
+waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem
+ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist,
+zeigt ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert,
+sondern vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des
+Normalstandes der Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie
+zu fuenf Koepfen ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu
+ergeben schienen und diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt
+ward. Aber auch nach jenen maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von
+etwa 16000 Hufen mit einer Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen
+und mindestens der dreifachen Zahl von Frauen, Kindern und Greisen,
+nicht grundsaessigen Leuten und Knechten notwendig anzunehmen, dass
+nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio gewonnen, sondern auch
+die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische Verfassung
+festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das
+Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl
+nach urspruenglich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln.
+---------------------------------------------------------- ^4 Schon um
+480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; Colum. 1
+praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. Vict.
+33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu
+berichtigen ist) den Empfaengern klein. Die Vergleichung der deutschen
+Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und Morgen, beide urspruenglich
+mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen werden als
+urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30,
+nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette
+haeufig, wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug,
+so wird bei Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des
+roemischen Heredium von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe
+von 20 Morgen den Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt
+es zu bedauern, dass die Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst.
+------------------------------------------------------- Im allgemeinen
+aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische Institution
+nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den
+Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der
+Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie
+entstanden ist unter griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen
+truegen, wie zum Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, dass
+auch in Korinth die Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen
+wurden; aber die Entlehnung der Ruestung wie der Gliederstellung von dem
+griechischen Hoplitensystem ist sicher kein zufaelliges Zusammentreffen.
+Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten Jahrhundert der Stadt
+die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen
+Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das
+Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden
+wir hierin den Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform
+hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende
+und nur durch die streng monarchische Form des roemischen Staats
+in etwas abweichende Bahnen gelenkte Verfassungsaenderung.
+--------------------------------------------- ^5 Auch die Analogie
+zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der Behandlung der
+attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat eben wie
+Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und dann
+auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger
+hier ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto
+bestimmter zeigt es sich, wie dieselben Ursachen - staedtische
+Zentralisierung und staedtische Entwicklung - ueberall und notwendig
+die gleichen Folgen herbeifuehren.
+--------------------------------------------- 7. Kapitel Roms Hegemonie
+in Latium An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere
+und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen;
+mit dem Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde
+allmaehlich in den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein
+und politische Maechte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von
+jenen fruehesten Raufhaendeln und Beutezuegen, in denen der Charakter
+der Voelker sich bildet und sich aeusserst wie in den Spielen und
+Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns
+ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche
+Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse der
+einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu
+erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und
+seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten
+Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben
+worden; sie waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche
+Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig
+gegen die Kueste zu bis an die etwas ueber drei deutsche Meilen von
+Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). "Groessere und kleinere
+Voelkerschaften", sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten
+Rom, "umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen
+Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren". Auf
+Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten
+Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein. Die am oberen
+Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden
+Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum,
+Cameria, Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom
+und scheinen schon in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer
+ihre Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde
+erscheint in diesem Bezirk spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch
+Buendnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem
+Brueckenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kaempften Latiner
+und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter mit wechselndem Erfolg.
+Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen
+innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die
+spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem
+Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes
+^1. Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9
+Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen
+Kaempfe ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine
+andere uralte Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die
+alte heilige Metropole Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und
+zerstoert. Wie der Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward,
+ist nicht ueberliefert; der Kampf der drei roemischen gegen die drei
+albanischen Drillingsbrueder ist nichts als eine personifizierte
+Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und eng verwandter Gaue, von
+denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war. Wir wissen eben
+nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und Zerstoerung
+Albas durch Rom ^2. ----------------------------------------------------
+^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und
+Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche
+Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in
+der Tat stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und
+hoechst unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare
+auf diese beiden verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren
+Antiquaren fuer geschichtliche Urkunden gehalten. ^2 Aber zu bezweifeln,
+dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom ausgegangen sei wie es
+neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein Grund vorhanden.
+Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung in seinen
+Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Unmoeglichkeiten
+ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen historischen
+Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe
+zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber
+die Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass
+die latinische Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer
+Gemeinden schlechterdings untersagte. Noch weniger widerspricht
+die Aufnahme einer Anzahl albischer Familien in den roemischen
+Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die Roemer; warum soll es
+nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei gegeben haben?
+Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in religioeser
+wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt;
+welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter,
+sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und
+gegruendet ward. ---------------------------------------- Dass in
+der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge
+festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht
+benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische
+Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere
+verhaeltnismaessig ansehnliche Macht begruendet haben moegen, laesst
+sich vollends nur vermuten. Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen
+wir genaue Berichte ueber den rechtlichen Charakter und die rechtlichen
+Folgen dieser aeltesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht
+zu bezweifeln, dass sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt
+wurden, woraus die dreiteilige roemische Gemeinde hervorgegangen war;
+nur dass die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht
+einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten
+Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern
+voellig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die
+Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen
+politischen Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger
+legte er selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die
+Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und
+kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in
+dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die
+faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte
+man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische
+Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbuerger-,
+sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, das allgemeine
+roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch das
+Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch
+durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren untertaenig wurden.
+Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der
+Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in
+dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat gegruendet. Eine
+foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die neue Hauptstadt, wie
+sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird man hierunter
+freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums konnten
+in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der
+Bauern; im ganzen genuegte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an
+den neuen Hauptort. Dass selbst die Tempel oft am alten Platze blieben,
+laesst sich an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen
+Staedten noch nach der Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz
+geblieben sein muss. Selbst wo die Festigkeit des geschleiften Ortes
+eine wirkliche Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man
+mit Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen
+Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch
+die ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem
+neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen
+Erzaehlungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen
+Staatsrechts, dass nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die
+Stadtmauer (das Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde
+den ueberwundenen, uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das
+Schutzverwandtenrecht aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber
+auch wohl mit dem Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt.
+Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die
+roemische Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter
+die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier,
+Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen
+Familienheiligtuemer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier
+in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob.
+------------------------------------------------ ^3 Hieraus entwickelte
+sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder Buergerkolonie (colonia
+civium Romanorum), das heisst einer faktisch gesonderten, aber rechtlich
+unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in der Hauptstadt aufgeht
+wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und als stehende
+Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist. ^4 Darauf geht ohne
+Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i mancipiique] forti
+sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen Verkehr dem
+Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die latinischen
+Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche
+Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das
+Zwoelftafelgesetz ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die
+sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heisst die von
+den Roemern in das Plebejat genoetigten Gemeinden Latiums.
+------------------------------------------ Diese Zentralisierung
+mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war natuerlich nichts
+weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die Entwicklung
+Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze der
+nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern
+es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war
+dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom
+und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche
+der weise Thales dem bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den
+einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist
+es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher
+und gluecklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und
+eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner
+fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Groesse lediglich
+demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System zu
+danken. Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als
+gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet
+werden duerfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere
+Bedeutung zu. Es sind nicht bloss die problematische Groesse und der
+etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme
+Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole
+der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den
+dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas hob natuerlich
+den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die boeotische
+Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter
+des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als
+Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch.
+Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder
+nachfolgten, vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die
+roemische Hegemonie ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu
+haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor
+allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben moegen. Schon damals
+mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften,
+als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenueberstehen, schon damals
+nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten gegen Karthager, Hellenen
+und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn
+sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der materielle
+Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser
+war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte
+Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich,
+dass Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische
+Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch
+gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und
+damit die Grundlage der kuenftigen Hegemonie der roemischen Gemeinde
+ueber die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese
+entscheidenden Verhaeltnisse so bestimmt wie moeglich zu bezeichnen.
+---------------------------------------------------- ^5 Es scheint sogar
+aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae gebildet und
+diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Staedte eingetreten
+zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der
+Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019);
+ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).
+--------------------------------------------------------------- Die Form
+der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines gleichen
+Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen
+Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der
+ganzen Mark und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die
+Verteidigung festgestellt ward. "Friede soll sein zwischen den Roemern
+und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie
+sollen nicht Krieg fuehren untereinander noch Feinde ins Land rufen noch
+Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet
+werden mit gesamter Hand und gleichmaessig verteilt werden, was gewonnen
+ist im gemeinschaftlichen Krieg." Die verbriefte Rechtsgleichheit im
+Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die
+Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte
+verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des
+Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht wie in
+unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings
+blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den
+Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem roemischen nicht
+notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit
+der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den latinischen
+Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstuemliche
+Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die
+Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin,
+dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in
+ganz Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den
+Bestimmungen ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit
+des einzelnen Buergers. Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des
+latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem Staat, wo er frei gewesen
+war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Buergerrecht einbuessen;
+sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, das
+Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem
+Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz
+erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der
+Bundesstaaten sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten
+Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln
+aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn
+der Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden muesse jenseits der
+Tibergrenze, das heisst ausserhalb des Bundesgebietes, und die Klausel
+des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, dass der von den
+Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er
+einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft
+innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch
+Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon
+frueher bemerkt worden ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte
+konnte zunaechst jeder Latiner nur da ausueben, wo er eingebuergert war;
+dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder
+Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, nach
+heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen Buergerrechten
+der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenoessisches
+Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Buerger
+anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle
+Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt
+ausschlug, die allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen
+Erwerb, staedtische Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der
+Insassen in Rom sich reissend schnell vermehrte, seit die latinische
+Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich. In
+Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde
+selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen,
+sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden
+als solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass
+Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als
+die Roms, und dass die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie
+erlangt haetten, so ist dies insofern wohl moeglich, als Alba wesentlich
+Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem Bunde
+gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie die
+Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen
+Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas
+Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms
+Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit
+gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt
+zu haben, waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter
+Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten
+Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit der
+Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit
+der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels
+auf dem Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom
+und Latium, teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward.
+Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem
+Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde
+ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der die ohne
+Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der
+maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten
+zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in
+dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise
+des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken
+Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand
+ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der
+latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste hier
+den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem
+die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus der
+Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der
+getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut
+gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die Bundesglieder
+verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die roemisch-latinische
+Foederation nur durch Rom vertreten worden ist, laesst sich nicht
+mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch
+Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei
+es nach Bundesschluss, sei es infolge eines feindlichen Ueberfalls,
+ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der Fuehrung wie bei der
+Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat rechtlich beteiligt
+gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals schon die Hegemonie
+besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und
+ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das
+Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt. Wie nach Albas
+Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig bedeutenden
+Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der
+latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares
+Gebiet weiter ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den
+Etruskern, zunaechst den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den
+Besitz von Fidenae nicht auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern
+gelang, diesen auf dem latinischen Ufer des Flusses nur eine starke
+Meile von Rom gelegenen etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt
+zu bringen und die Veienter aus dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu
+verdraengen. Dagegen behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten
+im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung. Den
+Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr ueberlegenen
+Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den entfernteren
+Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit
+bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen
+Nachbarn von zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der
+bestaendige Kriegsschauplatz aber war die Suedgrenze, das Gebiet der
+Rutuler und mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die
+latinische Landschaft sich am fruehesten erweitert, und hier begegnen
+wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande
+begruendeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft
+konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von
+denen die aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen.
+Wie weit indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit
+sich erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden
+mit den benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den
+roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede;
+aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme
+von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern
+enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen
+Roms gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat,
+laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenueber
+als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik
+entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon in
+der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin
+stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge
+hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit
+Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein
+fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen. So war der latinische
+Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu einigen und zugleich sein
+Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom selbst aber war durch
+die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus einer regsamen
+Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden
+Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung
+und die darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter
+dem Namen der Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten
+Zusammenhang mit dieser innerlichen Umwandlung des roemischen
+Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich musste mit den reicher stroemenden
+Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten
+politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern. Die
+Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen
+muss bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische
+Reform stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und
+einheitlichen Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft
+nicht dabei beharren, die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander
+mit Gebaeuden sich gefuellt hatten, zu verschanzen und etwa noch
+zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel und die Hoehe am
+entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium
+verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man
+schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende
+Stadtwall begann am Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen
+Huegel, an dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen
+Abhang gegen den Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen,
+die kolossalen Ueberreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein
+gekommen sind, Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen von Alatri
+und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken
+unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer
+gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich
+dastehen und deren geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit
+fortwirken werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den
+ganzen Raum des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst
+vor kurzem (1862) wieder in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau,
+nach aussen von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen
+Graben geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt
+zu abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den
+Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum
+Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des
+Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal
+an den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum
+gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Hoehe
+ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg
+gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau
+ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und
+bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Huegel
+die neue "Burg" (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem Burgbrunnen,
+dem sorgfaeltig gefassten "Quellhaus" (tullianum), der Schatzkammer
+(aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der
+Buergerschaft (area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die
+regelmaessigen Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben.
+Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf
+dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum zwischen den beiden
+Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder,
+wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit
+Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden
+aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb.
+Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein
+selbstaendiges, auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges
+Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen
+hat ^8. In aehnlicher Weise, wenn auch schwaecher, scheint der Aventin
+befestigt und der festen Ansiedelung entzogen worden zu sein. Es haengt
+damit zusammen, dass fuer eigentlich staedtische Zwecke, zum
+Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers, die roemische
+Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner
+(montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen,
+aber doch nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani
+Aventinenses, Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9.
+Der von der neuen Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser
+der bisherigen palatinischen und quirinalischen Stadt noch die beiden
+Bundesfestungen des Kapitol und des Aventin, ferner das Ianiculum ^10;
+der Palatin als die eigentliche und aelteste Stadt ward von den
+uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war, wie im Kranz
+umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen. Aber
+das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem
+auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen
+war, welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd
+fuellte, sodass hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das
+Tal zwischen dem Kapitol und der Velia sowie das zwischen Palatin und
+Aventin versumpfte. Die heute noch stehenden, aus prachtvollen Quadern
+zusammengefuegten unterirdischen Abzugsgraeben, welche die Spaeteren
+als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom anstaunten, duerften eher
+der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei verwendet ist und
+vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit erzaehlt
+wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die Koenigszeit,
+wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des
+Mauerrings und der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den
+entsumpften oder trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen,
+wie die neue Grossstadt sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der
+Gemeinde, bis dahin der kapitolinische Platz auf der Burg selbst, ward
+verlegt auf die Flaeche, die von der Burg gegen die Stadt sich senkte
+(comitium), und dehnte von dort zwischen dem Palatin und den Carinen in
+der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der der Burg zugekehrten
+Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines Altanes ueber die
+Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste
+der Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz;
+und auf dem Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das
+spaeter den Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den
+Richterstuhl (tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft
+gesprochen ward (die spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der
+Dingstaette selbst errichtet. Ihre Verlaengerung gegen die Velia ward
+der neue Markt (forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem Palatin,
+erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia)
+und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels,
+einschloss; nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein
+dazu gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde
+oder der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der
+Kirche Santi Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in
+ganz anderer Art, als die Ansiedelung der "sieben Berge" es gewesen
+war, geeinigte Stadt, dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit
+deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt
+hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche Stadtherd
+trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die
+Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen Aventin und
+Palatin ward fuer die Rennspiele der "Ring" abgesteckt; das ward der
+Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald
+entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere. Auf allen
+Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf dem Aventin
+das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg der
+weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all
+diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die
+umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der
+Besiegten triumphierte. ---------------------------------------- ^6
+Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von
+der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze
+des Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen
+akra und koryph/e/ entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische
+Stadt ihr capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen
+Burghuegels ist mons Tarpeius. ^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in
+arce aut capitolio habitaret, untersagte wohl nur die Umwandlung des
+Bodens in Privateigentum, nicht die Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A.
+Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S.
+386. ^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die "Heilige Strasse", auf
+die Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach
+links macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen.
+Dieses selbst wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus
+stattfanden, untergegangen sein. Das sogenannte Tor an der steilsten
+Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem Namen des janualischen
+oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in Kriegszeiten
+stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese Bedeutung
+und ist nie ein wirkliches Tor gewesen. ^9 Es kommen vier solcher Gilden
+vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, 2) mit eigenen magistri
+(Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL
+I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, Roemische
+Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen
+6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand;
+3. die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die
+pagani pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802).
+Es ist gewiss nicht zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen
+derartigen, die in Rom vorkommen, eben den von den vier oertlichen
+Tribus aus-, aber von der Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden
+Huegeln, dem Kapitol und dem Aventin, und dem zu derselben Befestigung
+gehoerigen Ianiculum angehoeren; und damit steht weiter im Zusammenhang,
+dass als Bezeichnung der gesamten staedtischen Eingesessenen Roms
+montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser der bekannten Stelle Cic.
+dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die staedtischen Wasserleitungen
+bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive si[fis aquam
+dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen
+drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche
+Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind
+sicher die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin
+und Ianiculum und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal.
+^10 Die "Siebenhuegelstadt" im eigentlichen und religioesen Sinn ist
+und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das
+Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit
+(vgl. z. B. Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt
+betrachtet, wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig
+gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu
+gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung gelangt,
+welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen
+zu den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus,
+Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus
+zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der
+traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen Entstehung der Stadt
+(Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S.
+206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil sonst acht
+herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge
+(montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins
+des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin,
+Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal,
+offenbar als colles, fehlen und dafuer zwei "montes" vom rechten
+Tiberufer, darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer
+liegende Vaticanus mit hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen
+geben Servius (Aen. 6, 783), die Berner Scholien zu Vergils Georgiken
+(2, 535) und Lydus (mens. p. 118 Bekker). ^11 Sowohl die Lage der beiden
+Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des Dionysios (2, 25), dass der
+Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag, bezeugen es, dass
+diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der zweiten
+(Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den
+Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt,
+so ist die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu
+legen. ------------------------------------------ Die Namen der Maenner,
+auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten sich erhoben, sind
+nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den aeltesten
+roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die
+verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus
+Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die
+grosse Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den
+Aelteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche
+dieser Angaben moegen richtig sein, und es scheint nicht zufaellig, dass
+der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die
+stetige Verteidigung der Stadtwaelle wesentliche Ruecksicht nahm, auch
+der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird
+man sich begnuegen muessen, aus dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was
+schon an sich einleuchtet, dass diese zweite Schoepfung Roms mit
+der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der Umschaffung des
+Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus
+einem und demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber
+weder eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch
+in diese Umgestaltung des roemischen Gemeindewesens die hellenische
+Anregung maechtig eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es
+unmoeglich ist, die Art und den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es
+wurde schon bemerkt, dass die Servianische Militaerverfassung wesentlich
+hellenischer Art ist, und dass die Circusspiele nach hellenischem Muster
+geordnet wurden, wird spaeter gezeigt werden. Auch das neue Koenigshaus
+mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein griechisches Prytaneion und der
+runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte
+Vestatempel in keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach
+hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich,
+was die Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen
+Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster
+diente und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin
+dem ephesischen Artemision nachgebildet ward. 8. Kapitel Die
+umbrisch-sabellischen Staemme Anfaenge der Samniten Spaeter als die der
+Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme begonnen zu haben,
+die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch mehr in der
+Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. Es
+ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der
+Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der
+Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht
+unwahrscheinlich, dass sie in aeltester Zeit ganz Norditalien
+innehatten, bis wo im Osten die illyrischen Staemme begannen, im Westen
+die Ligurer, von deren Kaempfen mit den Umbrern es Sagen gibt, und auf
+deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden zu einzelne Namen,
+zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen
+Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der
+umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten
+Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie
+die zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars
+alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken.
+Ganz besonders begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen
+voraufgegangenen italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich
+Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem
+Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das
+Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als
+die etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften
+zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit
+dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem
+Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren;
+in denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen
+zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese
+suedlichen Striche bedeutend spaeter als die Landschaft nordwaerts
+vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach der
+tuskischen Eroberung umbrische Bevoelkerung sich hier gehalten. Die
+spaeter nach der roemischen Eroberung im Vergleich mit dem zaehen
+Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im noerdlichen Etrurien so
+auffallend schnell erfolgende Latinisierung der suedlichen Landschaft
+findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass von Norden und
+Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt wurden in
+das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie spaeter
+innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich,
+wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre
+aehnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass
+die Tusker den Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was
+mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir
+noch besitzen, werden nebst anderen Staemmen vor allem die Tusker als
+Landesfeinde verwuenscht. ---------------------------------------- ^1
+In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen
+(R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus
+dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu
+darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci
+Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A.
+Cotena La. f. .... zenatuo sentem .... dedet cuando ... cuncaptum, das
+ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia
+dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit diesen und aehnlichen
+haben sich einige andere Inschriften gefunden von abweichender
+und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.
+--------------------------------------- Vermutlich infolge dieses von
+Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die Umbrer vor gegen Sueden,
+im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon
+von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das
+Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und mit
+ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und
+Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten,
+wie wir spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu
+erzaehlen weiss von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium
+und ihren Kaempfen mit den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich
+laengs der ganzen Westkueste wiederholt haben. Im ganzen behaupten
+die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten
+Landschaft neben Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil
+die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch minder dicht war;
+waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser Widerstand
+zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner
+Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz
+abwehren zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme
+hueben und drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit
+den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich
+sowie die Sabina so frueh und so schnell sich latinisieren konnten. Der
+Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina
+oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich
+anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste
+die bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern
+wich oder sich unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen apulischen
+Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung der Iapyger, zwar unter
+steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im
+ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, laesst sich
+natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in Rom
+die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt
+von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem
+Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren,
+preiszugeben und ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter
+sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze
+bescheren moechten. Den einen Schwarm fuehrte der Stier des Mars: das
+wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den
+Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus die schoene Ebene
+oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetzten und im
+alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei
+Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen
+zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das
+Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten
+der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner.
+In aehnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die
+uebrigen kleinen Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die
+Vestiner am Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der
+apulischen Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am
+Fuciner See, diese mit den Volskern und den Latinern sich beruehrend.
+In ihnen allen blieb das Gefuehl der Verwandtschaft und der Herkunft
+aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich
+ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die
+westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder
+hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen
+Staemme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich
+entrueckt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen.
+Staedtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem
+Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre geographische Lage sie
+beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung genuegten die
+Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen blieben in
+den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden
+gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie
+bei den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur
+Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder
+lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint
+die scharfe Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der
+einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie
+gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese Bergkantone in geringem
+Zusammenhang unter sich und in voelliger Isolierung gegen das uebrige
+Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als
+irgendein anderer Teil der italischen Nation in die Entwicklung der
+Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk der
+Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden
+der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das
+latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung
+an, umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die
+samnitische Nation und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten
+Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das
+Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig als wir die Bundesverfassung
+kennen; das aber ist klar, dass in Samnium keine einzelne Gemeinde
+ueberwog und noch weniger ein staedtischer Mittelpunkt den samnitischen
+Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft
+des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus
+ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die
+erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es
+zusammen, dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die
+roemische aggressiv ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung
+der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die
+Leidenschaft so maechtig, dass die Erweiterung des Gebiets planmaessig
+verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden
+Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden
+Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der Staat; was die
+Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub
+ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben
+waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten
+des Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren
+Periode an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst
+erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden.
+Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische
+Ansiedelung veranlassten Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme
+durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt
+230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr
+romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen
+Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten zu einem
+Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit
+diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten Iapyger.
+Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der
+ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen
+Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt
+abzuschlagen. 9. Kapitel Die Etrusker Im schaerfsten Gegensatz zu den
+latinischen und den sabellischen Italikern wie zu den Griechen steht das
+Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber nannten, der Rasen ^1. Schon
+der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; statt des schlanken
+Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker
+nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir
+wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst
+gleichfalls auf eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den
+griechisch-italischen Staemmen schliessen, so namentlich die Religion,
+die bei den Tuskern einen trueben phantastischen Charakter traegt und im
+geheimnisvollen Zahlenspiel und wuesten und grausamen Anschauungen
+und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit entfernt von dem klaren
+Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren hellenischen
+Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das
+wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns
+gekommene Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer
+die Entzifferung darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass
+es bis jetzt nicht einmal gelungen ist, den Platz des Etruskischen in
+der Klassifizierung der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige
+denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei
+Sprachperioden. In der aelteren ist die Vokalisierung vollstaendig
+durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne
+Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen
+Endungen und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies
+weiche und klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte
+und rauhe Sprache verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramtha aus
+ramuthaf, Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke,
+Elchsentre aus Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die
+Aussprache war, zeigt am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d
+und t den Etruskern schon in sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich
+wurde wie im Lateinischen und in den rauheren griechischen Dialekten der
+Akzent durchaus auf die Anfangssilbe zurueckgezogen. Aehnlich wurden die
+aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend die Italiker sie wegwarfen
+mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die Griechen umgekehrt
+mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen th ph ch beibehielten, liessen
+die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das ph gaenzlich, ausser
+in Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei
+in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum
+Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder
+Uthuze heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren
+Bedeutung ermittelt ist, entfernen die meisten sich weit von allen
+griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle; so die Endung
+al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie zum
+Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi uebersetzt
+wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung
+des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum Beispiel
+die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem
+Kasus clensi Sohn; sech Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms,
+Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen
+fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien
+zwischen dem Etruskischen und den italischen Sprachen. Die Eigennamen
+sind im wesentlichen nach dem allgemeinen italischen Schema gebildet:
+die haeufige gentilizische Endung enas oder ena ^4 kehrt wieder in der
+auch in italischen, besonders sabellischen Geschlechtsnamen haeufigen
+Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas und Spurinna
+den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe von
+Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern
+als etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung
+nach so durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich
+von Haus aus etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen
+sein muessen: so Usil (Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum,
+aurora, sol), Minerva (menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna.
+Indes da diese Analogien erst aus den spaeteren politischen und
+religioesen Beziehungen zwischen Etruskern und Latinern und den dadurch
+veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren koennen,
+so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen
+Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den saemtlichen
+griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die
+Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern;
+"tuskisch und gallisch" sind Barbarensprachen, "oskisch und volskisch"
+Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem griechisch-italischen
+Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt ebensowenig gelungen,
+sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. Auf die
+Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die verschiedenartigsten
+Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen Frage, aber alle
+ohne Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem baskischen, an
+das den geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht
+werden koennte, haben entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt.
+Ebensowenig deuten die geringen Reste, die von der liturgischen Sprache
+in Orts- und Personennamen auf uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit
+den Tuskern. Nicht einmal die verschollene Nation, die auf den Inseln
+des tuskischen Meeres, namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften
+Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu Tausenden aufgefuehrt hat, kann
+fueglich mit der etruskischen in Verbindung gebracht werden, da im
+etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude vorkommt.
+Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige
+Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen
+beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer
+Inschriften sicher emi, eimi und findet die Genetivform konsonantischer
+Staemme veneruf, rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder,
+entsprechend der alten sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name
+des etruskischen Zeus Tina oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina
+= Tag zusammen wie Zan mit dem gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies
+zugegeben erscheint das etruskische Volk darum kaum weniger isoliert.
+"Die Etrusker", sagt schon Dionysios, "stehen keinem Volke gleich
+an Sprache und Sitte"; und weiter haben auch wir nichts zu sagen.
+--------------------------------------- ^1 Ras-ennae mit der 1, 131
+erwaehnten gentilizischen Endung. ^2 Dahin gehoeren z. B.
+Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice
+thumamimathumaramlisiaeipurenaietheeraisieepanaminethunastavhelefu oder:
+mi ramuthas kaiufinaia. ^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon
+kann einen Begriff geben zum Beispiel der Anfang der grossen Perusiner
+Inschrift: eulat tanna larezu amevachr lautn velthinase stlaafunas
+slelethcaru. ^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der
+Vokal in der vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge
+der Zurueckziehung des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt
+und sogar ausgestossen. So finden wir neben Porsena, auch Porsena, neben
+Caecina Ceicne. ---------------------------------------- Ebensowenig
+laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien eingewandert
+sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf jeden
+Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche
+Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage
+eifriger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der
+Archaeologen, vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar
+noch wissenswert ist, "nach der Mutter der Hekabe", wie Kaiser Tiberius
+meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief
+im Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine einzige namhafte
+etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber eben
+sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat;
+da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden
+sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel
+gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst
+finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen
+wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die
+Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen
+Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die aeltere
+Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es
+ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die raetischen
+Alpen nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in Graubuenden und
+Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die historische Zeit
+etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen anklingt; sie
+koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po, aber
+wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener
+Teil des Volks sein. Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung
+aber tritt in grellen Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus
+Asien ausgewanderte Lyder seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot
+findet sie sich und kehrt dann in zahllosen Wandlungen und Steigerungen
+bei den Spaeteren wieder, wenngleich einzelne verstaendige Forscher,
+wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich dagegen erklaerten und
+darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und Sprache zwischen
+Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich zeige. Es
+ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm nach
+Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen;
+wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen
+Quiproquo. Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form
+scheint die urspruengliche und der griechischen Tyr-s/e/noi, Tyrr/e/noi,
+der umbrischen Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu
+liegen - begegneten sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke
+der Torr/e/boi oder auch wohl Tyrr-/e/noi, so genannt von der Stadt
+T?rra; und diese offenbar zufaellige Namensvetterschaft scheint in der
+Tat die einzige Grundlage jener durch ihr hohes Alter reicht besser
+gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen Turmes darauf
+aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem
+lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und
+endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen
+Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren
+pluendernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine
+der heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die
+Tyrrhener bezeichnen bald die lydischen Torrheber - so in den aeltesten
+Quellen, wie in den Homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder
+auch bloss Tyrrhener die pelasgische Nation; bald endlich die italischen
+Etrusker, ohne dass die letzteren mit den Pelasgern oder den Torrhebern
+je sich nachhaltig beruehrt oder gar die Abstammung mit ihnen gemein
+haetten. Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was
+die nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort
+aus sich weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion
+in der Landschaft noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch
+grenzend mit den Venetern illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich
+mit den Ligurern, ist vielfach beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der
+schon erwaehnte rauhe etruskische Dialekt, den noch in Livius' Zeit
+die Bewohner der raetischen Alpen redeten, sowie das bis in spaete Zeit
+tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und an den Muendungen
+dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener als der
+herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten Kaufstaedte
+Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und Ravenna
+tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den
+Padus ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten
+Ufer desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere
+Wurzeln geschlagen hat als auf dem frueh aufgegebenen linken. Doch sind
+ueberhaupt die Landschaften noerdlich vom Apennin zu rasch von einer
+Nation an die andere gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwicklung
+sich hier haette gestalten koennen. Weit wichtiger fuer die Geschichte
+wurde die grosse Ansiedelung der Tusker in dem Lande, das heute noch
+ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer hier einstmals
+gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische Okkupation
+und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem
+Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom
+Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre
+bleibende Staette gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die
+Kaiserzeit hinein sich behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich
+tuskischen Gebietes machte der Arnus; das Gebiet von da nordwaerts bis
+zur Muendung der Macra und dem Apennin war streitiges Grenzland, bald
+ligurisch, bald etruskisch, und groessere Ansiedlungen gediehen deshalb
+daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der
+Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo, spaeterhin der
+Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet zwischen
+dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete,
+Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren
+Distrikte, moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den
+Etruskern eingenommen zu sein scheint und dass die urspruengliche
+italische Bevoelkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch in
+abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben muss. Seitdem der Tiberstrom
+die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium bildete, mag hier im
+ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und eine wesentliche
+Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen die
+Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker
+ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom
+rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu
+haben als zum Beispiel von den Stammesverwandten in Gabii und Alba;
+natuerlich, denn dort schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des
+breiten Stromes, sondern auch der fuer Roms merkantile und politische
+Entwicklung folgenreiche Umstand, dass keine der maechtigeren
+etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen Ufer
+Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren es auch,
+mit denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten,
+namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf
+dem linken Tiberufer, aehnlich wie auf dem rechten den Roemern das
+Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf diente und bald in den Haenden der
+Latiner, bald in denen der Etrusker sich befand. Dagegen mit dem etwas
+entfernteren Caere war das Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und
+freundlicher, als es sonst unter Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen
+pflegt. Es gibt wohl schwankende und in die graueste Fernzeit gerueckte
+Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische
+Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben
+einen Weinzins auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der
+einstmalige Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges
+Verhaeltnis zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des Handels-
+und Seeverkehrs in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem
+Vordringen der Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln
+ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos
+im Jahre 230 (524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die
+Etrusker in erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht
+als bis ins einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die
+Etrusker an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger
+ist es, dass suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete
+etruskische Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer
+ernstlichen Bedraengung der latinischen Nation durch die Etrusker gar
+nichts wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer
+der Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen, unangefochten.
+Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom anlangt, so
+findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener Bericht,
+dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach
+dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt habe,
+von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies zuverlaessig
+sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges von
+diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der
+Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen
+Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung
+solcher Archaeologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf
+etruskische Ansiedlungen in Rom deutet weiter das "Tuskerquartier" unter
+dem Palatin. Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das
+letzte Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der
+Tarquinier, aus Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie
+die Sage will, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas
+vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der in die Sage verflochtene
+Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch, dagegen in Etrurien
+gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach Tarquinius der Sohn
+eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen war und in
+Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die
+geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt,
+sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt
+etwas mehr entnommen werden kann als die nackte und im Grunde
+gleichgueltige Tatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft
+das koenigliche Szepter in Rom gefuehrt hat, so kann darin nur liegen,
+dass diese Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft ueber Rom weder
+als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde ueber Rom,
+noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber Suedetrurien gefasst werden
+darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer die andere Annahme
+irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der Tarquinier
+spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat waehrend
+der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in
+Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige
+Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes
+unterbrochen. Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen
+das latinische Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den
+Kaempfen der Etrusker mit den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst
+nach der Vertreibung der Koenige in Rom ueberschritten, teils in
+der Richtung der etruskischen Nation auf Seefahrt und Meer- und
+Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen Ansiedelungen
+entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter die
+Rede sein wird. Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen
+und latinischen auf der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die
+fruehe Richtung der Nation aber auf Schiffahrt, Handel und Industrie
+scheint rascher, als es sonst in Italien der Fall gewesen ist, hier
+eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen zu haben; zuerst
+von allen italischen Staedten wird in den griechischen Berichten Caere
+genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig
+und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit
+Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung
+der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit
+der roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die
+aehnliche Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie
+die roemischen; Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber;
+fuer die Aehnlichkeit der Geschlechterordnung buergt die Analogie
+des Namensystems, nur dass bei den Etruskern die Abstammung von
+muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als im roemischen Recht.
+Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie umschloss
+nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die
+kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso
+wie die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand
+aus zwoelf Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den
+Goetterdienst, und ein Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester
+anerkannten, aber doch im wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein
+scheinen und zum Teil wenigstens so maechtig, dass weder eine Hegemonie
+sich bilden noch die Zentralgewalt zur Konsolidierung gelangen konnte.
+Im eigentlichen Etrurien war die Metropole Volsinii; von den uebrigen
+Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere Ueberlieferung nur
+Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso selten,
+dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte
+selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt
+regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann
+ins Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen
+wird, so schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es
+scheint den etruskischen Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen
+italischen Stammbuenden von Haus aus an einer festen und gebietenden
+Oberleitung gefehlt zu haben. 10. Kapitel Die Hellenen in Italien
+Seeherrschaft der Tusker und Karthager Nicht auf einmal wird es hell in
+der Voelkergeschichte des Altertums; und auch hier beginnt der Tag
+im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in tiefes Werdegrauen
+eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen Becken des
+Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte Kultur
+ans Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten
+Stadien der Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den
+Meister und Herrn zu finden, ist in hervorragendem Masse auch den
+Voelkern Italiens zuteil geworden. Indes lag es in den geographischen
+Verhaeltnissen der Halbinsel, dass eine solche Einwirkung nicht zu Lande
+stattfinden konnte. Von der Benutzung des schwierigen Landwegs zwischen
+Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet sich nirgends eine
+Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von Italien aus
+schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die aelteste
+Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der
+Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als
+Heimat des Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich
+eine andere quer durch die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa
+fuehrende an; aber Elemente der Zivilisation konnten von dort her den
+Italikern nicht zukommen. Es sind die seefahrenden Nationen des Ostens,
+die nach Italien gebracht haben, was ueberhaupt in frueher Zeit von
+auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist. Das aelteste Kulturvolk am
+Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch nicht ueber Meer und haben
+daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig aber kann dies von
+den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die von ihrer
+engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen
+bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des
+Fisch- und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten,
+die zuerst den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit
+das Mittelmeer bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast
+an allen Gestaden desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische
+Seestationen: wie in Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten,
+Libyen und Spanien, so auch im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien
+herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe die Griechen dorthin kamen,
+oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl sich festsetzten, die
+Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre Faktoreien gegruendet,
+des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu gewinnen.
+Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von
+phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige
+mit einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei
+bei Caere, deren Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der
+kleinen Ortschaft an der caeritischen Kueste Punicum, teils in dem
+zweiten Namen der Stadt Caere selbst, Agylla, welcher nicht, wie man
+fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern phoenikisch ist und
+die "Rundstadt" bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen Caere sich
+darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen es an
+den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall
+weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast
+spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund
+vor, sie fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen
+Ansiedlungen an denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen
+davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen Maenner erst durch
+Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre latinische, der
+griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren alle
+aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens
+entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der
+phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode
+zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen
+des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat
+lag, wenn man sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich
+Kuestenfahrt war und blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am
+Mittelmeer so fern wie der italische Kontinent. Sie konnten ihn
+nur entweder von der griechischen Westkueste oder von Sizilien aus
+erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt
+frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der
+Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen
+unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen,
+ist deshalb kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der
+phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen
+Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen.
+Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die
+zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die
+italischen Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher
+Gegend und zu welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin
+gelangt sind, laesst nur die erstere sich mit einiger Sicherheit und
+Vollstaendigkeit beantworten. Es war das aeolische und ionische Gestade
+Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr sich grossartig
+entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des Schwarzen
+Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des
+Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien
+geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die
+Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken
+an die einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch
+ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in
+Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der
+gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger
+hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen Phokaeer, die
+zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald folgten
+auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach:
+Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier,
+Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung
+Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin
+zu fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der
+europaeischen Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren
+deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch
+die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im Westland kein
+Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes der
+Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu
+Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und
+deutsche Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch
+das griechische Sizilien und "Grossgriechenland" aus den
+verschiedenartigsten hellenischen Stammschaften oft ununterscheidbar
+zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser einigen mehr vereinzelt
+stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren Pflanzstaedten
+Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode gegruendete
+Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei
+Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen
+Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme
+mit den uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion,
+in Sizilien Zankle (spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini,
+Himera zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris und die Mehrzahl der
+grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische, welcher
+Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen
+Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen Pflanzstadt
+Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die
+aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen
+Einwanderung im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben
+sich vorzugsweise nur die Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie
+Korinth und Megara, die rein dorischen Landschaften dagegen nur in
+untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn die Ionier waren ein
+altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme aber sind erst
+verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen Bergen in die
+Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten dem
+Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen
+Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss.
+Die phokaeischen Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden
+babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit
+dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im ganzen europaeischen
+Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen Modifikation
+desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen
+Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige
+Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt hatte,
+nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken vielmehr
+nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der
+der sizilischen Dorer. Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und
+Ansiedlungen wird wohl fuer immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben.
+Zwar eine gewisse Folge darin tritt auch fuer uns noch unverkennbar
+hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen, welche, wie der aelteste
+Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern eignet, in den
+Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das
+oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See
+verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa
+noch von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde
+nach Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen
+Dichtung mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche
+am fruehesten mit dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige
+Kunde von Sizilien und Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter
+des Ostens konnten, wie seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften
+Orient, ungestoert die leeren Raeume des Westens mit ihren luftigen
+Gestalten erfuellen. Bestimmter treten schon in den Hesiodischen
+Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; sie kennen aus
+beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und Staedten;
+doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten
+nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte
+Gestade Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt.
+Ebenso laesst die Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger
+Sicherheit sich bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im
+Westland galt offenbar schon dem Thukydides Kyme; und gewiss hat
+er nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen Schiffer mancher
+Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den Barbaren
+war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt
+urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser
+Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf
+dem Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die
+noch heute den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt
+traegt. Nirgends in Italien sind denn auch die Oertlichkeiten der
+kleinasiatischen Maerchen mit solcher Festigkeit und Lebendigkeit
+lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo die fruehesten
+Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst das
+Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu
+wandeln meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden
+Aornossee zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen
+Nachbarn der Italiker wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb
+der Name desjenigen italischen Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen
+war, der Name der Opiker, von ihnen noch lange Jahrhunderte nachher
+fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist ferner glaublich
+ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung in
+Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch
+einen betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener
+Einwanderung wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und
+Naxos auf Sizilien die aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in
+Italien und Sizilien gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die
+achaeischen und dorischen Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind.
+Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen
+auch nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung
+der achaeischen Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen
+Stadt Taras im Jahre 46 Roms (708) moegen die aeltesten Daten der
+italischen Geschichte sein, deren wenigstens ungefaehre Richtigkeit als
+ausgemacht angesehen werden kann. Um wieviel aber die Ausfuehrung der
+aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser Epoche zurueckliege, ist
+ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der Hesiodischen und
+gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers richtig
+bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der
+Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle
+anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer
+die Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache
+erwaegt, dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der
+hellenische Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung
+der Hellenen von dem in Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder
+Graeci entlehnten ^1, wird geneigt sein, den fruehesten Verkehr der
+Italiker mit den Griechen um ein bedeutendes hoeher hinaufzuruecken.
+------------------------------------------- ^1 Ob der Name der Graeker
+urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland und der Gegend von
+Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das Westmeer
+reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in
+ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des
+eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte
+Nation uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als
+aelterer Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit
+beiseite geschoben und dem hellenischen untergeordnet, welcher
+letztere bei Homer noch nicht, wohl aber, ausser bei Hesiod, schon
+bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704) auftritt und recht wohl noch
+bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L. Duncker, Geschichte des
+Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also bereits vor dieser
+Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt, dass jener in
+Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der griechischen
+Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei
+nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der
+hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen
+ist als diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer
+sich fixierte als dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den
+wohlbekannten naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es
+damit vereinigen will, dass noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms
+Italien den kleinasiatischen Griechen voellig unbekannt war, ist schwer
+abzusehen. Von dem Alphabet wird unten die Rede sein; es ergibt dessen
+Geschichte vollkommen die gleichen Resultate. Man wird es vielleicht
+verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin die Herodotische Angabe
+ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es etwa keine
+Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen?
+---------------------------------------- Die Geschichte der italischen
+und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil der italischen; die
+hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten
+Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten
+und Rechten der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den
+verschiedenen Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu
+bezeichnen und wenigstens gewisse Grundzuege hervorzuheben, durch
+die der verschiedenartige Einfluss der griechischen Kolonisierung
+auf Italien wesentlich bedingt worden ist. Unter allen griechischen
+Ansiedlungen die intensivste und in sich am meisten geschlossene war
+diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund hervorging, welchen die
+Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, Sybaris mit seinen
+Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina
+und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen
+genommen, einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen,
+dem dorischen naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des
+sonst allgemein in Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit
+an der altnationalen hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine
+besondere Nationalitaet den Barbaren wie den andern Griechen gegenueber
+in einer festen buendischen Verfassung bewahrte. Auch auf diese
+italischen Achaeer laesst sich anwenden, was Polybios von der
+achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: "nicht allein in
+eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie, sondern
+sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und
+Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter". Dieser
+Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die Staedte
+waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne
+Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den
+Bruecken seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm
+Milesier und Etrusker. Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss
+die Kuestensaeume, sondern herrschten von Meer zu Meer in dem "Wein-"
+und "Rinderland" (Oinotria, Italia) oder der "grossen Hellas"; die
+eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel oder gar in
+Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit
+die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme
+und fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und
+Poseidonia gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des
+Krathis und Bradanos warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen
+Ertrag ab - vielleicht ist hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut
+worden. Von der hohen Bluete, zu welcher diese Staaten in unglaublich
+kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die einzigen auf uns
+gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre Muenzen von
+strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die fruehesten
+Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung erweislich
+im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen
+zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben
+um diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst,
+sondern in der Technik demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt
+der dicken, oft nur einseitig gepraegten und regelmaessig schriftlosen
+Silberstuecke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie
+bei den italischen Dorern ueblich waren, schlugen die italischen Achaeer
+mit grosser und selbstaendiger Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen,
+teils erhaben teils vertieft geschnittenen Stempeln grosse duenne,
+stets mit Aufschrift versehene Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der
+Falschmuenzerei jener Zeit - Plattierung geringen Metalls mit duennen
+Silberblaettern - sich schuetzende Praegweise den wohlgeordneten
+Kulturstaat verraet. Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht.
+In der muehelosen, weder durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch
+durch eigene schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte
+sogar den Griechen frueh die Spannkraft des Koerpers und des Geistes.
+Keiner der glaenzenden Namen der griechischen Kunst und Literatur
+verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren unzaehlige,
+auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent
+den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der
+Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen
+liess die strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen
+Gemeinden frueh ans Ruder gekommen war und im Notfall an der
+Bundesgewalt einen sicheren Rueckhalt fand: wohl aber drohte die
+Verwandlung der Herrschaft der Besten in eine Herrschaft der Wenigen,
+vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in den verschiedenen
+Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig sich
+aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des
+Pythagoras bezeichnete solidarische Verbindung der "Freunde", sie gebot,
+die herrschende Klasse "gleich den Goettern zu verehren", die dienende
+"gleich den Tieren zu unterwerfen", und rief durch solche Theorie und
+Praxis eine furchtbare Reaktion hervor, welche mit der Vernichtung
+der pythagoreischen "Freunde" und mit der Erneuerung der alten
+Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, Massenerhebungen
+der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische Anwendung
+unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten
+Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten,
+bis ihre politische Macht darueber zusammenbrach. Es ist danach nicht
+zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die daselbst
+angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die uebrigen
+griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus
+ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als
+den Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die
+Eingeborenen und zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne
+doch den Italikern durch vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu
+eroeffnen. So ist in Sybaris und Metapont, in Kroton und Poseidonia das
+griechische Wesen, das sonst allen politischen Missgeschicken zum Trotz
+sich lebenskraeftig zu behaupten wusste, schneller, spur- und ruhmloser
+verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet, und die zwiesprachigen
+Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der eingeborenen Italiker
+und der Achaeer und den juengeren Einwanderern sabellischer Herkunft
+hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig gelangt. Indes, diese
+Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende Periode. Anderer
+Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der
+uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn
+keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu
+ihrer Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art
+an einer befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle
+diese Staedte zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und
+darum denn auch, ganz abweichend von den achaeischen, durchgaengig
+an den besten Haefen und Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft,
+die Veranlassung und die Epoche dieser Gruendungen waren mannigfach
+verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine gewisse Gemeinschaft
+- so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch gewisser moderner
+Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der Sprache, der auch
+in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel Kyme ^3, von
+Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die Entwicklung
+Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade wichtig
+geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend
+in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des
+dorischen Tarent und des ionischen Kyme.
+------------------------------------------------- ^2 So sind die
+drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als leicht
+zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen
+vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder
+ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben,
+waehrend die uebrigen Griechen Italiens und Siziliens ohne Unterschied
+des Stammes sich ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend der juengeren
+Formen bedient haben. ^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen
+Tongefaess Tataies emi leyqthos. Fos d'an me klephsei th?phlos estai.
+--------------------------------- Den Tarentinern ist unter allen
+hellenischen Ansiedlungen in Italien die glaenzendste Rolle zugefallen.
+Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der ganzen Suedkueste,
+machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepot fuer den sueditalienischen
+Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem Adriatischen Meer.
+Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und Verarbeitung
+der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft der
+tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte -
+beide Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos
+-, beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch
+den Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im
+griechischen Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen
+Muenzen sind noch heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften
+tarentinischen Verkehrs. Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit
+Sybaris um den ersten Rang unter den unteritalischen Griechenstaedten
+rang, muessen seine ausgedehnten Handelsverbindungen sich angeknuepft
+haben; indes auf eine wesentliche Erweiterung ihres Gebietes nach Art
+der achaeischen Staedte scheinen die Tarentiner nie mit dauerndem
+Erfolg ausgegangen zu sein. Wenn also die oestlichste der griechischen
+Ansiedlungen in Italien rasch und glaenzend sich emporhob, so gediehen
+die noerdlichsten derselben am Vesuv zu bescheidnerer Bluete. Hier
+waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus die Kymaeer auf das
+Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart am Meere eine
+zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia (spaeter
+Puteoli), und weiter die "Neustadt" Neapolis gegruendet wurden.
+Sie lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und
+Sizilien, nach den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650)
+festgestellt hatte, in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus
+gemaessigten Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den
+Reichsten erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung,
+die sich bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren
+wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren
+Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus
+Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt
+auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und
+unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich
+mit ihnen handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine
+gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den ersten Platz unter den
+Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein. Wenn zu beiden
+Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die ganze
+suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere
+oestliche Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so
+gestalteten dagegen auf der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv
+und auf der ganzen Ostkueste die Verhaeltnisse sich wesentlich anders.
+An dem dem Adriatischen Meer zugewandten italischen Gestade entstanden
+griechische Ansiedlungen nirgends; womit die verhaeltnismaessig
+geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der griechischen
+Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und
+den zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich
+zusammenhaengt. Zwar wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser
+Kueste zwei ansehnliche Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt
+Durazzo; 127 587) und Apollonia (bei Avlona; um 167 627) noch waehrend
+der roemischen Koenigsherrschaft gegruendet; aber weiter noerdlich ist,
+mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden Niederlassung auf Schwarzkerkyra
+(Curzola; um 174? 580) keine alte griechische Ansiedlung nachzuweisen.
+Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die griechische
+Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat, wohin
+doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat
+seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach
+Rom (um 44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein
+Handelszug bestand, dessen Entrepots auf der italischen Kueste die
+Staedte an der Pomuendung, Spina und Atria, waren. Die Stuerme der
+Adriatischen See, die Unwirtlichkeit wenigstens der illyrischen Kuesten,
+die Wildheit der Eingeborenen reichen offenbar allein nicht aus,
+um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist es von den
+wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden Elemente
+der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften
+einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese gelangten.
+Selbst in den Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und Kerkyra die
+oestlichste Kaufstadt Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch
+den Besitz von Hydrus (Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf
+der italischen Seite beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung
+an der ganzen Ostkueste nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht
+bestanden - Ankons Aufbluehen faellt in weit spaetere Zeit und noch
+spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es wohl begreiflich, dass
+die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in Tarent loeschten.
+Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit Apulien;
+auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im
+Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die
+ersten Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer
+spaeteren Epoche. Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich
+vom Vesuv in aeltester Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf
+den Inseln und Landspitzen hellenische Faktoreien bestanden, laesst
+sich nicht bezweifeln. Wohl das aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die
+Lokalisierung der Odysseussage an den Kuesten des Tyrrhenischen Meeres
+^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des Aeolos wiederfand, wenn
+man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am Misenischen die
+der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das ragende
+Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn
+bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne
+des Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos,
+im "innersten Winkel der heiligen Inseln" die Tyrrhener beherrschen oder
+in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke,
+Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das alte
+Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat auf
+der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche Lebendigkeit
+der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den Fahrten des
+Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung
+derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der
+kymaeischen Schiffer. ------------------------------------------- ^4
+Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische
+Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische 'Theogonie' in einem ihrer
+juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor
+Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und
+der sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an,
+wo Italien den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher
+sehr alt; und es kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen
+mit Sicherheit in die roemische Koenigszeit gesetzt werden.
+------------------------------------------- Andere Spuren dieser
+aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva,
+Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von Griechen besetzten
+Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes
+Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der caeritischen
+Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss die
+Namen unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die
+eigentuemliche, von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen
+Stadtmauern sich wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern
+von Pyrgi. Aethalia, "die Feuerinsel", mit ihren reichen Kupfer- und
+besonders Eisengruben mag in diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und
+hier die Altsiedlung der Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen
+seinen Mittelpunkt gehabt haben; um so mehr als das Schmelzen der
+Erze auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem
+Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia
+auf der Elba gegenueberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den
+Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen. Wenn die Fremden,
+wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- und Landraub
+obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit
+sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven
+fortzufuehren, so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das
+Vergeltungsrecht aus; und dass die Latiner und Tyrrhener dies
+mit groesserer Energie und besserem Glueck getan haben als ihre
+sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, sondern vor
+allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich der
+Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte
+und Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch
+Herren ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die
+sueditalischen Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker
+Mittelitaliens, freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, zur
+Seefahrt und zur Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der
+Italiker das Floss und den Nachen mit der phoenikischen und griechischen
+Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst begegnen grosse Kaufstaedte,
+vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am Tiber, die, nach den
+italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung vom Meere
+zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte an der
+Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum, sicher keine
+griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den geschichtlichen
+Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet gegen
+fremden Eingriff darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande;
+wohl aber laesst es noch sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung
+Italiens von der groessten Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium
+und im suedlichen Etrurien einen andern Gang genommen hat als in der
+eigentlichen tuskischen und den sich daran anschliessenden Landschaften.
+Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem "wilden Tyrrhener" den
+Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche
+Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint
+sein, dass man die griechische Kolonisierung in einigen Landschaften
+Mittelitaliens geduldet, in andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts
+vom Vesuv hat ueberhaupt in geschichtlicher Zeit nirgends eine
+unabhaengige griechische Gemeinde bestanden, und wenn Pyrgi dies einmal
+gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn unserer Ueberlieferung
+in die Haende der Italiker, das heisst der Caeriten zurueckgekehrt sein.
+Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium und ebenso an der Ostkueste
+der friedliche Verkehr mit den fremden Kaufleuten geschuetzt und
+gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem merkwuerdig ist die
+Stellung von Caere. "Die Caeriten", sagt Strabon, "galten viel bei den
+Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit, und weil sie, so
+maechtig sie waren, des Raubes sich enthielten." Nicht der Seeraub ist
+gemeint, den der caeritische Kaufmann wie jeder andere sich gestattet
+haben wird; sondern Caere war eine Art von Freihafen fuer die Phoeniker
+wie fuer die Griechen. Wir haben der phoenikischen Station - spaeter
+Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und Alsion bereits gedacht;
+diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich enthielten,
+und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte
+Reede besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher
+Bluete gelangt ist und fuer den aeltesten griechischen Handel noch
+groessere Bedeutung gewonnen hat als die von der Natur zu Emporien
+bestimmten Staedte der Italiker an den Muendungen des Tiber und des
+Po. Die hier genannten Staedte sind es, welche in uraltem religioesen
+Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste unter allen Barbaren,
+der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische Koenig Arimnos,
+vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem Tempel
+des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem
+Verkehr stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der
+aeltesten caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische
+Heiligtum sowohl wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte,
+wo die Italiker friedlich schalteten und mit dem fremden Kaufmann
+freundlich verkehrten, wurden vor allen reich und maechtig und wie
+fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime der hellenischen
+Zivilisation die rechten Stapelplaetze. Anders gestalteten sich die
+Verhaeltnisse bei den "wilden Tyrrhenern". Dieselben Ursachen, die in
+der latinischen und in den vielleicht mehr unter etruskischer Suprematie
+stehenden als eigentlich etruskischen Landschaften am rechten Tiberufer
+und am unteren Po zur Emanzipierung der Eingeborenen von der fremden
+Seegewalt gefuehrt hatten, entwickelten in dem eigentlichen Etrurien,
+sei es aus anderen Ursachen, sei es infolge des verschiedenartigen, zu
+Gewalttat und Pluenderung hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub
+und die eigene Seemacht. Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus
+Aethalia und Populonia zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward,
+wie es scheint, hier nicht geduldet, und bald durchstreiften sogar
+etruskische Kaper weithin die See und machten den Namen der Tyrrhener
+zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache galt diesen der
+Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die Griechen das
+italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem diese
+wilden Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen,
+zeigt am deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und
+kampanischen Kueste. Zwar behaupteten im eigentlichen Latium sich die
+Latiner und am Vesuv sich die Griechen; aber zwischen und neben ihnen
+geboten die Etrusker in Antium wie in Surrentum. Die Volsker traten in
+die Klientel der Etrusker ein; aus ihren Waldungen bezogen diese
+die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der Antiaten erst die
+roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es wohl,
+warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das
+laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch
+steileren, aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der
+Buchten von Neapel und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende
+Korsarenwarte, wurde frueh von den Etruskern in Besitz genommen. Sie
+sollen sogar in Kampanien einen eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet
+haben und etruskisch redende Gemeinden haben hier noch in vollkommen
+historischer Zeit im Binnenlande bestanden; wahrscheinlich sind diese
+Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft der Etrusker im
+kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am Vesuv
+hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf
+Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen
+Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens
+vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders
+Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss geschlagen
+haben; dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern vielmehr
+attischen, ja kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, ist
+uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der
+Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich
+fuer den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit
+vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend
+geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen Freihafen, am
+oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit, ferner ueber
+die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen nach
+Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die
+reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten
+italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische
+und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der
+Ostsee ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie,
+gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel
+emporkommen; und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der
+etruskische und milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener
+Verbindung von Kaperei und Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus
+entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich selber verzehrt hat.
+Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die
+Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden,
+so griff dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in
+diejenige Rivalitaet ein, die damals Handel und Schiffahrt auf dem
+Mittellaendischen Meere vor allem beherrschte: in die Rivalitaet der
+Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht dieses Orts, im einzelnen
+darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit diese beiden
+grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in Griechenland
+und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen,
+spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft
+rangen; unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht
+gekaempft, aber die Folgen derselben doch auch in Italien tief und
+nachhaltig empfunden. Die frische Energie und die universellere Begabung
+des juengeren Nebenbuhlers war anfangs ueberall im Vorteil; die Hellenen
+entledigten sich nicht bloss der phoenikischen Faktoreien in ihrer
+europaeischen und asiatischen Heimat, sondern verdraengten die Phoeniker
+auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten und Kyrene und
+bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen Haelfte
+der sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen
+Handelsplaetze der energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward
+auch im westlichen Sizilien Selinus (126 628) und Akragas (174 580)
+gegruendet, schon von den kuehnen kleinasiatischen Phokaeern die
+entferntere Westsee befahren, an dem keltischen Gestade Massalia erbaut
+(um 150 600) und die spanische Kueste erkundet. Aber ploetzlich, um die
+Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der hellenischen
+Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses Stockens
+der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den
+Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die
+maechtigste ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die
+den Seeverkehr auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch
+den juengeren Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft
+ueber die Westsee, dem Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem
+oestlichen und dem westlichen Becken des Mittelmeeres und dem Monopol
+der Handelsvermittlung zwischen Orient und Okzident, so konnte doch
+wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von Sardinien und Sizilien
+noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren Behauptung setzte
+Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche zaehe und
+umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand
+der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren
+phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides
+schildert, waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich
+ausgedehnte Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen
+Festungen. Hatten bisher die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt
+den Griechen gegenuebergestanden, so zentralisierte jetzt die
+maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze Wehrkraft ihrer
+Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische Geschichte
+nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das
+wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge
+Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu
+erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier
+und Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen
+Ansiedlungen auf Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten,
+wurden sie durch die Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker
+wieder von dort vertrieben. Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia
+(Aleria) auf Korsika Caere gegenueber niederliessen, erschien, um sie
+von dort zu vertreiben, die vereinigte Flotte der Etrusker und
+der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark; und obwohl in dieser
+Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt - die
+nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so
+erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff
+bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber
+an der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich
+nieder. Ein Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss
+die Regeln ueber Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch
+ein Waffenbuendnis (symmachia) ein, von dessen ernstlicher Bedeutung
+eben jene Schlacht von Alalia zeugt. Charakteristisch ist es fuer die
+Stellung der Caeriten, dass sie die phokaeischen Gefangenen auf dem
+Markt von Caere steinigten und alsdann, um den Frevel zu suehnen,
+den delphischen Apoll beschickten. Latium hat dieser Fehde gegen die
+Hellenen sich nicht angeschlossen; vielmehr finden sich in sehr alter
+Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu den Phokaeern in Hyele wie
+in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar gemeinschaftlich mit
+den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere Saguntum
+gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf die
+Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen
+zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den
+Latinern und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern
+durch Vermittlung der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen,
+ihn stets mit dem griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder
+den Namen der Stadt Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den
+Griechen entlehnt haben, dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern
+mit dem ebenfalls die griechische Vermittlung ausschliessenden Namen
+der sarranischen bezeichnet werden ^7, beweist ebenso wie die spaeteren
+Vertraege den alten und unmittelbaren Handelsverkehr zwischen Latium
+und Karthago. ------------------------------------------------ ^5
+Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago. ^6 Der
+Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio
+Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich
+stammverwandt mit dem der Hebraeer. ^7 Sarranisch heissen den Roemern
+seit alter Zeit der tyrische Purpur und die tyrische Floete, und auch
+als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem Hannibalischen Krieg in
+Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende Stadtname Sarra ist
+wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen Namen Sor
+gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern
+nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K.
+Movers, Die Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174.
+-------------------------------------------- Der vereinigten Macht der
+Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die westliche Haelfte des
+Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der nordwestliche Teil
+von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos an
+der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im
+unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des
+Kyros und Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu bestimmen
+suchte, insgesamt aus Kleinasien auswandernd in Sardinien sich
+niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der karthagische Feldherr
+Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der wichtigen Insel mit
+Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das ganze Gestade
+Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen Gemeinde. Korsika
+dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern zu und die
+Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel,
+dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in
+den Gewaessern westlich von Sizilien und Sardinien herrschten die
+verbuendeten Etrusker und Karthager. Zwar gaben die Griechen den Kampf
+nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen Rhodier und Knidier setzten
+auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich fest und gruendeten
+hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh trotz seiner Isolierung
+und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis nach den Pyrenaeen. An
+den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt Rhoda (jetzt
+Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich angesiedelt,
+ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten
+geherrscht haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer
+die Hellenen vorbei; nach Akragas' Gruendung sind ihnen bedeutende
+Gebietserweiterungen am Adriatischen wie am westlichen Meer nicht mehr
+gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben
+ihnen verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den
+tuskischen "Seeraeubern", die Karthager mit den Massalioten, den
+Kyrenaeern, vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner
+Seite hin ward ein dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der
+Jahrhunderte langen Kaempfe war im ganzen die Aufrechterhaltung des
+Status quo. So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern
+es zu danken, dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften
+nicht kolonisiert wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine
+nationale Seemacht ins Leben trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren,
+dass die Phoeniker es schon der Muehe wert fanden, wenn nicht gegen
+die latinischen, doch wenigstens gegen die seemaechtigeren etruskischen
+Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, die aller
+Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den
+Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den
+Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden
+rivalisierenden Interessen. 11. Kapitel Recht und Gericht Das Volksleben
+in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen, vermag
+die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung
+der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und
+Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes
+beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der
+Versuch, diese Zustaende, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen,
+anzudeuten, eben fuer diese aelteste, geschichtlich so gut wie
+verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser
+Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker trennt, sich auf
+diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen laesst.
+Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten
+Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen,
+dass sie einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch
+diese saeuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner
+und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich
+besser schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten
+Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgepraegt,
+wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern
+kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser
+Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der
+Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und
+lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch
+eine Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung,
+um dies gleich hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich
+zusammenfassen, dass bei den Italikern und insbesondere bei den Roemern
+von den urzeitlichen Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt
+worden ist als bei irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und
+Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau,
+primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende
+Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - alle diese und
+unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als Grundlage der
+italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst
+anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden,
+und nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr
+einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte
+bei einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die
+griechische und deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen
+Charakter. Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind
+verschollen: nur von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen
+Ueberlieferung einige Kunde auf uns gekommen. Alle Gerichtsbarkeit
+ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem Koenig, welcher
+Gericht oder "Gebot" (ius) haelt an den Spruchtagen (dies fasti) auf
+der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem Wagenstuhl
+(sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor ihm
+der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber
+die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste
+maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst
+nicht als Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne
+und Enkel konkurrierte die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen
+Gerichtsbarkeit; aber eine eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht,
+sondern lediglich ein Ausfluss des dem Vater an den Kindern zustehenden
+Eigentumsrechts. Von einer eigenen Gerichtsbarkeit der Geschlechter
+oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der koeniglichen abgeleiteten
+Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur. Was die Selbsthilfe
+und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich vielleicht noch ein
+sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die Toetung
+des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die
+Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen
+schon bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach
+die Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der
+Gemeindegewalt unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem
+Einfluss, der den Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach
+aeltestem deutschen Recht zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas
+wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so haeufig ist,
+dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in
+der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig
+behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess,
+je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten
+einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen
+ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der
+Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen
+Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder
+(parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder
+Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte
+durch boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der
+Goetter und des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn
+schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb
+dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess eroeffnet und leitet
+der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen
+Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er den
+Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung
+an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen
+werden; die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner
+fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren
+staendigen Stellvertreter, die "Mordspuerer" (quaestores parricidii),
+denen zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine
+gewisse polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht
+an, moegen aber wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen.
+Untersuchungshaft ist Regel, doch kann auch der Angeklagte
+gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung zur Erzwingung des
+Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer ueberwiesen ist, den
+gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem Leben; die
+Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen
+gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt.
+Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig
+aber kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio)
+gestatten oder verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine
+Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem
+Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an demselben Tag nicht
+mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus betritt, muss der Bande
+entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher geschenkt, welcher
+auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der Vesta
+zufaellig begegnet. ------------------------------------------ ^1 Dieser
+"Wagenstuhl" - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht wohl moeglich
+(vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in der Weise
+erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt
+war, woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche
+Gelegenheiten blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein
+erhoehtes Tribunal gab, auf dem Comitium oder wo er sonst wollte,
+vom Wagenstuhl herab Recht sprach. ^2 Die Erzaehlung von dem Tode des
+Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24) sie gibt: dass Verwandte
+des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten; dass Tatius den
+klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe; dass
+dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder
+des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass
+aber infolge goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener
+Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten Moerder in Rom und
+in Laurentum nachtraeglich zur gerechten Strafe gezogen seien - diese
+Erzaehlung sieht ganz aus wie eine Historisierung der Abschaffung
+der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der Provokation dem
+Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden Fassungen
+dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber
+auch verwirrt oder zurechtgemacht.
+------------------------------------------------ Bussen an den Staat
+wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der Koenig nach
+Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa)
+von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner
+Hand. In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine
+Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des
+Verletzten, welcher den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter
+Gewalt zwingt, sich mit ihm persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind
+beide Parteien erschienen und hat der Klaeger die Forderung muendlich
+vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in gleicher Weise verweigert,
+so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen oder sie in seinem
+Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmaessige
+Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem
+Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein, wenn
+der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne
+(poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder
+seine gerechte Forderung nicht erfuellt ward. Was in dieser Epoche der
+Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und wann der Diebstahl
+als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht bestimmen.
+Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat ergriffenen
+Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die Erbitterung,
+welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen diesen.
+Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht
+imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter
+gebilligte Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen
+als eigener Mann zugesprochen. Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers
+wie der Sachen musste in den leichteren Faellen der Verletzte wohl
+unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren,
+so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn. Das
+Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft
+benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden
+ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem
+"Sklaven- und Viehstand" (familia pecuniaque) entwickelt. Als
+Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern
+man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem einzelnen Buerger von der
+Gemeinde zu ausschliesslichem Haben und Nutzen zugeteilt, weshalb auch
+nur der Buerger und wen die Gemeinde in dieser Beziehung dem Buerger
+gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. Alles Eigentum geht
+frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen wesentlichen
+Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit ueberhaupt
+der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und
+kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten
+auf das vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht
+imstande, die Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er
+weder die vaeterliche Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung
+der ganzen Gemeinde, die auch versagt werden konnte und in solchem
+Falle gewiss oft versagt ward, ein Testament errichten kann. Bei
+seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den Kindern nachteilige
+Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen Beschraenkungen des
+Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem
+erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die
+Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und
+seine Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen
+unter Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit
+zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das
+Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen
+erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden Gegensaetze, unbeschraenktes
+Verfuegungsrecht des Eigentuemers und Zusammenhaltung des Familiengutes,
+soweit moeglich, im roemischen Recht miteinander vereinigt. Dingliche
+Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit Ausnahme der namentlich fuer
+die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht
+zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich unmoeglich;
+anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient
+die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den
+Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein
+Treuwort (fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht
+zu veraeussern und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem
+Schuldner zurueckzustellen. Vertraege, die der Staat mit einem Buerger
+abschliesst, namentlich die Verpflichtung der fuer eine Leistung an
+den Staat eintretenden Garanten (praevides, praedes), sind ohne weitere
+Foermlichkeit gueltig. Dagegen die Vertraege der Privaten untereinander
+geben in der Regel keinen Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des
+Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach kaufmaennischer Art
+hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig hinzutretenden Eide
+die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. Rechtlich klagbar
+sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die
+versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat,
+ferner der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt
+als rechtlich abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die
+gekaufte Sache in die Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer
+dem Verkaeufer den bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet;
+was, seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige
+Wertmesser geworden war, geschah durch Zuwaegen der bedungenen
+Quantitaet Kupfer auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen
+Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer dafuer
+einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der
+Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls
+buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet
+haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug
+um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein
+Eigentum und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen
+eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene
+Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der
+Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher
+unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das Jahr zehn Prozent
+betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die
+Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat gegenueber
+seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit
+allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte
+zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die
+Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder
+erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es
+darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei
+Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was
+bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der
+Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des
+Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei
+fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei
+wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern,
+bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann,
+wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei
+den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht
+gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage
+hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang
+an feststand, also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern er nicht
+Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren
+"durch Handanlegung" (manus iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo
+er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte, lediglich um die anerkannte
+Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der Ergriffene sich selber
+nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten und diese Gewalttat
+als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren eingestellt
+ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persoenlich
+verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der
+Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch
+Vertretung ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so
+zu, dass dieser ihn abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven.
+Waren alsdann sechzig Tage verstrichen, war waehrend derselben der
+Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und dabei ausgerufen worden,
+ob jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg geblieben, so
+hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu toeten und sich in seine Leiche
+zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner Habe als Sklaven
+in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu
+halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der roemischen
+Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave werden.
+So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den
+Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den
+zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.
+------------------------------------------------- ^3 Die Manzipation in
+ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die Servianische
+Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums gerichtete
+Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die Tradition
+angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht.
+Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie
+passt zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand
+erworben werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche
+angehoeren, wo das Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia
+pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die
+manzipiert werden mussten, wird demnach eine Servianische Neuerung sein;
+die Manzipation selbst und also auch der Gebrauch der Waage und des
+Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die Manzipation urspruenglich
+allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen Reform bei allen
+Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete die
+Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um,
+dass nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten. ^4
+Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des
+Kapitals (uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer
+das zwoelfmonatliche zehn vom Hundert.
+--------------------------------------------- Ebenso schirmte man das
+Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung des eigenen
+Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen
+und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut
+desselben berief. Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu,
+wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten
+und die Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen
+wird. Dispensieren von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die
+Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem Erbgang haftenden
+Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist; indes
+scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig geworden zu sein, und
+wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem
+jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel
+dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen
+einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des
+Verstorbenen gemaess verteilte. Die Freilassung war dem aeltesten
+Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte freilich der Ausuebung seines
+Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen dem Herrn und dem
+Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger Verbindlichmachung wurde
+hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren der Gemeinde
+gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die Freilassung
+kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem Herrn
+nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder
+nach Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den
+Faellen, wo sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde
+gegenueber anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit
+zu lassen. Eine eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab
+es jedoch nicht - der beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung
+nicht gegeben haben kann -, sondern es wurden dafuer diejenigen Wege
+benutzt, welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozess, die
+Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens
+in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er
+dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die Freiheit
+anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu
+lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als
+frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach
+anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere
+Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des
+Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und
+darum willkuerlich loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu
+sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen,
+erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser entlassen zu
+werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine Emanzipation
+ueberhaupt noch nicht gegeben haben. Nach diesem Rechte lebten in Rom
+die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen denen, soweit wir sehen,
+von Anfang an vollstaendige privatrechtliche Gleichheit bestand. Der
+Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen Schutzherrn
+ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie
+seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht
+erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur,
+das Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der
+roemische Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als
+dessen Eigentuemer gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken,
+ist der einzelne Buerger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was
+der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie
+unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier
+haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder
+zurueckzunehmen. Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen
+durch besondere Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden
+innerhalb der roemischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das
+ewige Buendnis zwischen Rom und Latium alle Vertraege zwischen Roemern
+und Latinern fuer rechtsgueltig und verordnete zugleich fuer diese
+einen beschleunigten Zivilprozess vor geschworenen "Wiederschaffern"
+(reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen roemischen Gebrauch
+einem Einzelrichter die Entscheidung zu uebertragen, immer in der
+Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern beider
+Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und Messgericht
+zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages
+und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die
+Formen, in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte,
+waren natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer
+miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind
+urspruenglich gar keine Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck
+der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so weit man
+lateinisch sprach. In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr
+mit dem eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit
+muessen mit den Caeriten und anderen befreundeten Voelkern Vertraege
+ueber Verkehr und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des
+internationalen Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in
+Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser
+Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der "Wandel" (von mutare; wie
+dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf
+einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des
+Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer
+Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden
+entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es
+ist darum charakteristisch, dass das Wort als moiton im sizilischen
+Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen
+des lateinischen carcer in dem sizilischen karkaron. Da es sprachlich
+feststeht, dass beide Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr
+Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den
+haeufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie
+veranlasste, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in
+den aelteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist,
+sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen
+Gefaengnisses, "Steinbrueche" oder latomiai, in alter Zeit auf das
+erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen. Werfen
+wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen,
+die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes
+Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten
+Aufzeichnung des roemischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon
+in der Koenigszeit sich wohl fuer einzelne Punkte, aber nicht im
+ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin das Recht einer
+weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- und
+Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum
+Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig
+verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den
+Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer
+sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach
+roemischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd
+erscheinen musste, und vor allem die uralte latinische Formel der
+Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den
+Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das "reine Kraut" (herba pura,
+fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der
+angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen
+Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen
+Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch
+das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das
+roemische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und
+fordert in allen Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und
+reinen Ausdruck des Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung
+zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien
+die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert haben; es ist zwar
+ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu geben, den zum
+Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu verhuellen
+und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzufuehren;
+aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem roemischen
+Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus der
+Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward,
+wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben.
+Ebenso ist hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die
+germanischen Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch
+ringt mit der Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen
+Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es
+gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergaenzung der
+unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine
+ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung des einzelnen
+beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl einmal
+bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen
+des Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige
+Totschlaeger den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben
+verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon fuer die
+aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken erfassen koennen, ist
+dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar vernichtet ist das
+Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; aber die
+ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet
+ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der
+Staat dem Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund
+ist ueberall der Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck
+fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf
+ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde
+auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren
+Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es
+bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des oeffentlichen und
+des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat,
+welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer
+Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder
+den Gast, welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder
+Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst
+werden, sondern hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand
+gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das
+strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in Handelsstaaten
+die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge Wechselprozess zusammen
+auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr
+vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende Rechtsgleichheit
+auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den Maennern
+voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt
+sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste
+Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen
+kann, ist in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der
+Staat. Hoechst charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit
+existiert nicht, sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein,
+womit heutzutage das Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des
+Eigentums vom Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche
+Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten
+Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, den
+zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und
+ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott
+ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den
+Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es
+der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass
+es zugleich unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und
+kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle
+Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige.
+Nimmt man dazu das frueh anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher
+Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene Gueltigkeit der
+Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Hoechste
+von seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des
+einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm,
+dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs
+selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie
+beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt
+auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast
+dem Buerger gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo
+das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass
+dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige
+Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude
+daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die aeussersten
+Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam dem
+bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, die gemuetliche
+Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten,
+sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein
+Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles
+Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der
+Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts,
+den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber
+es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die
+man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis,
+denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die
+Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den
+Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die
+Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein
+Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze
+der Freiheit und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge
+unverfaelscht und ungemildert walteten und heute noch walten. 12.
+Kapitel Religion Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher
+angedeutet ward, hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen
+Rom in einem hoeheren und idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit
+peinlicher Genauigkeit das Kleine wie das Grosse wiederholte. Der Staat
+und das Geschlecht, das einzelne Naturereignis wie die einzelne geistige
+Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung
+innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen
+Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im
+ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis.
+Der Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert
+nicht laenger als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen
+Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt
+auch diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche Handlungen und
+gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer aufs
+neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten
+ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff
+auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott
+entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten
+dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und wenn
+aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden
+auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich
+zu bereiten. Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder
+Beruehrung mit den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen
+aus dem Verzeichnis der oeffentlichen und benannten Festtage (feriae
+publicae) der roemischen Gemeinde, das in dem Kalender derselben
+erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus dem roemischen Altertum
+auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben nehmen die
+Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem
+Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig,
+ausserdem die saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter
+noch zu erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem "boesen Jovis"
+(Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen
+gehoert das Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest
+in diesem, von dem Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch
+das Pferderennen (equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den
+Tagen des Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz),
+des Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der
+Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie, wenn
+ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste begann, so folgte
+nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine Marsfeier, das
+Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten Mars
+endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den
+uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezueglichen
+die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle
+spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse Reihe der Fruehlingsfeste
+im April, wo am 15. der Tellus, das ist der naehrenden Erde (fordicidia,
+Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der Ceres, das ist der Goettin
+des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann am 21. der befruchtenden
+Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter als dem Schuetzer
+der Reben und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden Faesser von der
+vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der Saaten, dem
+Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird nach
+vollendeter Arbeit und gluecklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und
+der Goettin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und
+der Ops ein Doppelfest gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem
+Schnitt (21. August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im
+Mittwinter, wo der Segen der Speicher vor allem offenbar wird (15.
+Dezember, Consualia; 19. Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren
+beiden Feiertagen die sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest
+der Aussaat (Saturnalia von Saturnus oder Saturnus, 17. Dezember),
+einschaltete. Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest
+(meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most
+heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter
+Lese dargebracht, waehrend die urspruengliche Beziehung des dritten
+Weinfestes (Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen
+weiter am Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der
+Hirten zu Ehren des guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest
+(Terminalia, 23. Februar) der Ackerbauer, ferner das zweitaegige
+sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21. Juli) das den Waldgoettern
+(Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober)
+und das Fest des kuerzesten Tages, der die neue Sonne herauffuehrt
+(An-geronalia, Divalia, 21. Dezember). Von nicht geringer Bedeutung sind
+ferner, wie das fuer die Hafenstadt Latiums sich nicht anders erwarten
+laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der See (Neptunalia, 23. Juli),
+des Hafens (Portunalia, 17. August) und des Tiberstromes (Volturnalia,
+27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in diesem Goetterkreis nur
+vertreten durch den Gott des Feuers und der Schmiedekunst, den Vulcanus,
+welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag (Volcanalia, 23.
+August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, 23.
+Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis
+(Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die
+Goettin der Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als
+Schuetzerin der Geburten verehrt ward. Dem haeuslichen und Familienleben
+ueberhaupt galten das Fest der Goettin des Hauses und der Geister der
+Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia, 9. Juni); das Fest
+der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das Fest des Kindersegens,
+dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), das Fest
+der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige
+Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die
+buergerlichen Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht
+klaren Festtage der Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der
+Volksflucht (Poplifugia, 5. Juli), von denen wenigstens der letzte Tag
+dem Jupiter zugeeignet war, und das Fest der sieben Berge (Agonia oder
+Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem Gott des Anfangs, dem
+Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) gewidmet. Einige andere
+Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter und der Acca
+Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest
+(23. Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen.
+----------------------------------------------- ^1 Das ist allem
+Anschein nach das urspruengliche Wesen der "Morgenmutter" oder Mater
+matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass, wie die
+Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die Morgenstunde fuer die
+Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin ist die
+Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus
+geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt
+ward, spricht dagegen, sie urspruenglich als Hafengoettin zu fassen.
+----------------------------------------------- Diese Tafel ist
+vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; und wenn auch
+neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit Wandel- und
+Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, in
+dem, was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in
+eine sonst fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die
+Vereinigung der altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits
+erfolgt, als diese Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den
+Quirinus finden; aber noch stand der kapitolinische Tempel nicht, als
+sie aufgesetzt ward, denn es fehlen Juno und Minerva; noch war das
+Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet; noch war den Griechen
+kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss des roemischen,
+sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen Epoche,
+wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war
+allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2,
+vorwiegend gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende,
+den Feind niederwerfende goettliche Vorfechter der Buergerschaft -
+natuerlich in der Art, dass eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass
+und ihn fuer den staerksten und heiligsten unter allen achtete, demnach
+auch jeder zu neuer Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter
+dem Schutz seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst
+goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den
+saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der erste Monat
+geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls keiner
+Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter
+Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht
+knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige
+Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft,
+und was von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen
+vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen
+Doppelgaenger, den Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings
+der Vater Diovis, eine reinere und mehr buergerliche als kriegerische
+Widerspiegelung des Wesens der roemischen Gemeinde, einen groesseren
+Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des Jupiter an Rang den
+beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr hervorragende
+Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar ganz
+glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis
+neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte
+Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde
+auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war,
+wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte
+"Sorgenbrecher", sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt des
+herzerfreuenden Weines. ----------------------------------- ^2 Aus
+Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich durch
+verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in o
+(aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in
+der Doppelform Mar-Mor (vgl. Ma-murius) neben Mar-Mar und Ma-Mers.
+----------------------------------- Es ist nicht die Aufgabe dieser
+Darstellung, die roemischen Gottheiten im einzelnen zu betrachten; aber
+wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren eigentuemlichen,
+zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben. Abstraktion
+und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der hellenischen
+Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer Naturerscheinung
+oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen jede
+Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen
+als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte
+Gottheit: "bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib"; dafuer der
+tiefhaftende Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der
+Gemeinde unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn
+erfahre und, den Gott bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen
+hinueberlocke. Ein Ueberrest dieser maechtig sinnlichen Auffassung
+haftet namentlich der aeltesten und nationalsten italischen
+Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die Abstraktion, die jeder
+Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer weiteren
+Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen
+der Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen
+Glaubensbilder auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und
+des Begreifens. Wenn dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch
+zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis erweitert, so bleibt
+dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen nackten Starrheit
+stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher Verklaerung, dem
+goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und geheimnisvollen
+chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion nichts auch
+nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich
+waere. Sie weiss wohl auch von einem "schlimmen Gott" (Ve-diovis), von
+Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten
+der boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des
+Diebstahls (laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das
+Menschenherz doch auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht
+sich zu durchdringen mit dem Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen
+in der Natur und dem Menschen, welches der Religion nicht fehlen darf,
+wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen soll. Es gab in der roemischen
+Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen der Stadtgoetter, der
+Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war jedem offenbar. Die
+nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die
+wichtigen Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie
+terminologisch auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch
+dem Privatrecht zu Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen
+- zu klassifizieren, um darnach die Goetter und Goetterreihen selber
+richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung der Menge zu weisen
+(indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen von der
+einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit
+ging die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat
+(saturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein
+(terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen
+Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen
+Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich
+italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und
+doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische
+Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns
+zunaechst der "Geist der Eroeffnung" anzurufen sei, und vor allem das
+tiefe Gefuehl davon, dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen
+Goetterbegriffe in Reihen zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren
+Goetter der Hellenen notwendig jeder fuer sich standen ^3. Vielleicht
+der innigste unter allen roemischen ist der Kult der in und ueber
+dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im oeffentlichen
+Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der der
+Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen
+Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der
+Familienmahlzeit ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu
+verrichten noch zu des aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters
+erstes Geschaeft war. Aber in der Rangordnung der Goetter nahmen diese
+Haus- und Feldgeister eher den letzten als den ersten Platz ein; es war,
+wie es bei einer auf Idealisierung verzichtenden Religion nicht anders
+sein konnte, nicht die weiteste und allgemeinste, sondern die einfachste
+und individuellste Abstraktion, in der das fromme Herz die meiste
+Nahrung fand. ---------------------------------------- ^3 Dass Tor und
+Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und er stets
+vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch vor
+dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn
+unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der
+nach zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten
+hin sich oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf
+man um so weniger aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat
+urspruenglich der elfte, nicht der erste ist; vielmehr scheint dieser
+Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser Zeit nach der Rast
+des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von vorn beginnt.
+Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der Spitze des
+Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich des
+Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst.
+------------------------------------- Hand in Hand mit dieser
+Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die praktische und
+utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der oben
+eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und
+Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel
+- das ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu
+recht wohl, dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls-
+und Gluecksgoettin (fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle
+aus dem taeglichen Verkehr hervorgegangen, zwar noch nicht in jener
+uralten Festtafel, aber doch schon sehr frueh weit und breit von den
+Roemern verehrt auftreten. Strenge Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische
+Spekulation waren zu tief im roemischen Wesen begruendet, um nicht auch
+dessen goettliches Abbild bis in den innersten Kern zu durchdringen.
+Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der
+sterblichen Menschen, die "Guten" (manes) lebten schattenhaft weiter,
+gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von
+den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen
+der Tiefe und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den
+auf der Erde waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der
+griechische Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und
+schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz
+unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa,
+der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in
+Rom nie als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen. Die aeltesten
+Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf
+Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der "Zuender des Mars"
+(flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt ward,
+und die zwoelf "Springer" (salii), eine Schar junger Leute, die im Maerz
+den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass die
+Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung
+des roemischen Mars und damit die Einfuehrung eines zweiten
+Marspriesters - des flamen Quirinalis - und einer zweiten Taenzergilde
+- der salii collini - herbeifuehrte, ist bereits frueher
+auseinandergesetzt worden. Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil
+wohl ihrem Ursprung nach weit ueber Roms Entstehung hinaufreichende
+Verehrungen, fuer welche entweder Einzelpriester angestellt waren
+-solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des Volcanus, des Hafen- und
+des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen Genossenschaften oder
+Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine derartige
+Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf "Ackerbrueder" (fratres
+arvales), welche die "schaffende Goettin" (dea dia) im Mai anriefen fuer
+das Gedeihen der Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe
+bereits in dieser Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches
+wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische
+Bruederschaft sich an, die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu
+bewahren und zu besorgen hatte, sowie die fuer die Herde der dreissig
+Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales). Das
+schon erwaehnte "Wolfsfest" (lupercalia) wurde fuer die Beschirmung der
+Herden dem "guenstigen Gotte" (faunus) von dem Quinctiergeschlecht und
+den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen Fabiern im Monat
+Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die "Woelfe"
+(luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und wen sie
+trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern gentilizischen
+Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten. Zu diesem
+aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich neue
+Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf
+die neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam
+zum zweitenmal gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste
+beste Jovis vom Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes,
+an die Spitze der gesamten roemischen Goetterschaft, und sein
+fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis, bildet mit den beiden
+Marspriestern die heilige oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig
+beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes - der Vesta - und der
+dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche Jungfrauen versahen,
+gleichsam als die Haustoechter des roemischen Volkes, jenen frommen
+Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes den Buergern zum
+Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es war dieser
+haeuslich-oeffentliche Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie
+er denn auch von allem Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen
+Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen
+als der Repraesentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben
+darum eine besondere roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt;
+und zahlreichen anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die
+Gemeinde sich in bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder durch
+besonders zu ihrem Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu
+huldigen, wobei sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der
+Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass
+deren zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied
+man unter ihnen jene drei "grossen Zuender" (flamines maiores), die bis
+in die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern genommen werden
+konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der palatinischen
+und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen
+Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden
+Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften
+oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur
+Deckung der vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den
+einzelnen Tempeln gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen. Dass
+der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der
+sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht
+zu bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und
+Vestalinnen nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische
+Institutionen gewesen und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen
+in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster
+gebildet zu sein. Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis
+des Staats, so auch der einzelne Buerger innerhalb seines individuellen
+Kreises aehnliche Anordnungen treffen und seinen Goettern nicht bloss
+Opfer darbringen, sondern auch Staetten und Diener ihnen weihen. Also
+gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an
+den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott.
+Jeder Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde
+natuerlich durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio
+und die Ritterschaft durch ihre Obristen; und keine priesterliche
+Vermittlung durfte das urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken
+oder verdunkeln. Allein es ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte
+zu verkehren. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem
+kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber recht versteht, der weiss
+den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, sondern auch zu lenken,
+sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. Darum ist es
+natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige Leute
+zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen
+Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus
+national-italische Institution, die auf die politische Entwicklung
+weit bedeutender eingewirkt hat als die Einzelpriester und die
+Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein
+mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten
+Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition
+fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren
+richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren
+treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese
+geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden
+Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten
+und Wissenschaften geworden. In der roemischen und ueberhaupt der
+latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien urspruenglich
+nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die sechs
+"Voegelfuehrer" (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus
+dem Flug der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich
+betrieben und in ein gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward.
+Die sechs "Brueckenbauer" (pontifices) fuehrten ihren Namen von dem
+ebenso heiligen wie politisch wichtigen Geschaeft, den Bau und
+das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es waren die roemischen
+Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen verstanden; woher
+ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu fuehren, dem
+Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu sorgen,
+dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage
+vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den
+ganzen Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe,
+Testament und Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte
+Geschaeft nicht gegen das goettliche Recht irgendwie verstosse, und
+ging von ihnen die Feststellung und Bekanntmachung der allgemeinen
+exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter dem Namen der
+Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller
+Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die
+allgemeine Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was
+damit zusammenhing - und was hing nicht damit zusammen? Sie selbst
+bezeichneten als den Inbegriff ihres Wissens "die Kunde goettlicher und
+menschlicher Dinge". In der Tat sind die Anfaenge der geistlichen und
+weltlichen Rechtswissenschaft wie die der Geschichtsaufzeichnung aus
+dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn wie alle
+Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft,
+musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der
+Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung
+nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell
+werden, das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein
+Gutachten zu geben allein kompetent war.
+------------------------------------------------------- ^4 Am
+deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen
+Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen
+(z. B. Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der
+pater patratus der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen
+Kollegien aber nicht. Jene also stehen auf einer Linie mit der
+Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, Luperkern als aeltestes
+latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris faciundis und die
+anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die Servianischen Tribus
+und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom beschraenkt
+geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices,
+ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische
+Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen,
+oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat,
+pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer.
+Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn
+schwanken. Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt
+Cicero (leg. agr. 2, 35, 96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht
+dies, sondern nur, dass die Zahl der roemischen Augurn durch drei
+teilbar sein und insofern auf eine ungerade Grundzahl zurueckgehen
+muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum Ogulnischen Gesetz
+sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), indem er
+Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die
+Zahl der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20.
+------------------------------------------------------- Gewissermassen
+laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten Genossenschaften
+geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig Staatsboten
+(fetiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als lebendiges
+Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden
+durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des
+vertragenen Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den
+Suehneversuch und die Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus
+fuer das Voelkerrecht, was die Pontifices fuer das Goetterrecht, und
+hatten daher auch wie diese die Befugnis, Recht zwar nicht zu
+sprechen, aber doch zu weisen. Aber wie hochansehnlich immer diese
+Genossenschaften waren und wie wichtige und umfassende Befugnisse
+sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am wenigsten bei den
+am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern
+sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht
+unmittelbar zu erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen
+hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem
+Koenig nach, sondern er darf ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem
+Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und wann er die Voegel beobachten
+will; der Vogelschauer steht nur dabei und verdolmetscht ihm, wenn es
+noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann der Fetialis und
+der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders eingreifen
+als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit unerbittlicher
+Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz,
+dass in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu
+verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen
+Buerger dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische
+Gottesverehrung beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am
+Irdischen und nur in untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden
+Naturkraeften; sie bewegt sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der
+Freude, in Liedern und Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem
+aber in Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden, regelmaessig
+von Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in Italien das
+Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist den
+Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche
+Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit
+des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit
+gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten
+latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie wird durch
+die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit eiserner
+Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von
+solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben.
+Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und
+irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein
+Verbrechen gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im
+innersten Wesen auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum
+Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes
+Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes;
+der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie der
+boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten Geistern.
+Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet
+hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf einen
+bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versoehnen, wer
+sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich
+schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein
+braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde
+stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der heilige Lenz, indem
+den Goettern dargebracht wird, was der bestimmte Zeitraum an Vieh und
+Menschen geboren werden laesst. Will man dies Menschenopfer nennen, so
+gehoert solches freilich zum Kern des latinischen Glaubens; aber
+man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in die Ferne irgend
+zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich
+beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht
+ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt.
+Menschenopfer anderer Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung
+zuwider und beruhen wenigstens bei den indogermanischen Staemmen
+ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer Ausartung und Verwilderung.
+Bei den Roemern haben sie nie Eingang gefunden; kaum dass einmal
+in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung
+ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von
+Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei
+den Roemern verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und
+Prophetentum hat in Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in
+Griechenland und nie vermocht, das private und oeffentliche Leben
+ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist dafuer auch die
+latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und Trockenheit
+verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen
+Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor
+allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer
+Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine
+Richtung auf das Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben
+wird und nicht minder scharf noch in dem heutigen Heiligenkult
+der Italiener hervortritt. Die Goetter stehen dem Menschen voellig
+gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder von ihnen hat ein
+wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und Leistungen, und da
+die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente des irdischen
+Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines jeden
+Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine
+muehsame und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen
+auch nur sich bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen
+Rechtes kundigen und dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu
+ungemeinem Einfluss gelangen. Denn der rechtliche Mann erfuellt
+die Vorschriften des heiligen Rituals mit derselben kaufmaennischen
+Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen Verpflichtungen nachkommt und
+tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es seinerseits getan hat. Auch
+auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein: das Geluebde ist der
+Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen dem Gotte
+und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine
+gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein
+Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht
+der letzte Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der
+Menschen alle Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der
+roemische Kaufmann, seiner konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet,
+den Vertrag bloss dem Buchstaben nach zu erfuellen befugt ist, so ward
+auch, wie die roemischen Theologen lehren, im Verkehr mit den Goettern
+das Abbild statt der Sache gegeben und genommen. Dem Herrn des
+Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren
+statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater
+Tiberis wurden zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer
+jaehrlich dreissig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen
+geworfen ^5. Die Ideen goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind
+hier ununterscheidbar gemischt mit der frommen Schlauigkeit, welche
+es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte Befriedigung zu
+beruecken und abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl von
+gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes
+Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das
+den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde
+liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von
+demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten,
+aber sehr genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist
+einleuchtend, dass eine solche Religion die kuenstlerische und die
+spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet
+war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit menschlichem
+Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss die
+Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten
+auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste
+Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller
+Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu
+kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen
+Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die
+griechische Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen,
+die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit
+dem wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor
+die Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt
+hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der
+Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler
+noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die latinische
+Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der
+Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer
+irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild
+seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von
+Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu
+trueben und zu befangen. Darum war der urspruengliche roemische
+Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und wenngleich auch in
+Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in frueher Zeit der
+Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut ward,
+so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas
+zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit
+Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein
+ihr eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete
+ueber die nach Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller
+zeugenden Kraft in der roemischen Religion ist gleichfalls die letzte
+Ursache, warum die roemische Poesie und noch mehr die
+roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und blieben.
+----------------------------------------------- ^5 Hierin konnte
+nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer finden.
+----------------------------------------------- Aber auch auf dem
+praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der praktische
+Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs,
+war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes,
+formuliertes Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen
+Bevormundung des Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die
+Stelle der Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen
+vor das Gericht der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte.
+Zu den Bestimmungen der ersteren Art gehoerte ausser der religioesen
+Einschaerfung der Heiligung des Feiertags und eines kunstmaessigen
+Acker- und Rebenbaus, die wir unten kennenlernen werden, zum Beispiel
+der auch mit gesundheitspolizeilichen Ruecksichten zusammenhaengende
+Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den Roemern ungemein frueh,
+weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte Leichenverbrennung,
+welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens voraussetzt,
+wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. Man wird
+es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion
+diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger
+aber noch war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der
+Vater den verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur
+den Vater oder den Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen
+den Gast oder den zugewandten Mann die Treupflicht verletzte; wenn der
+ungerechte Nachbar den Grenzstein verrueckte oder der Dieb sich bei
+naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden anvertrauten Halmfrucht
+vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem Haupt des
+Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei
+gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht
+ist nur ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in
+Rom waehrend des staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen
+Buerger oder gar dem voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung
+solchen goettlichen Fluches zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem
+goettlichen Strafgericht anheim gefallen, nicht der menschlichen
+Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch
+fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige Naturen Macht
+gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht; vielmehr
+ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und,
+nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach
+seiner gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den
+Gebannten der verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten
+(supplicium) und also die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu
+reinigen. Ist das Vergehen geringerer Art, so tritt an die Stelle der
+Toetung des Schuldigen die Loesung durch Darbringung eines Opfertiers
+oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze Kriminalrecht in seinem letzten
+Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung. Weitere Leistungen aber
+als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung und Sittlichkeit hat
+die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich viel hat hier
+Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion nicht
+bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale
+Einigung, soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und
+Goetterfeste, um Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die
+Musen, bewegt sich alles, was im hellenischen Leben gross, und alles,
+was darin nationales Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch
+Latiums Vorzuege vor Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt
+wie sie ist auf das Mass der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem
+vollkommen verstaendlich und allen insgemein zugaenglich; und darum
+bewahrte die roemische Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit, waehrend
+Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des Denkens der Besten stand, von
+fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie
+gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere
+urspruenglich hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur
+der oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich
+taeuscht, weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach
+erscheinen. Dieser innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der
+Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne
+und auch die latinische Religion ist also spaeterhin verdorrt; aber
+laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die naive Glaeubigkeit
+sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie die Farben die
+Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind Kunst und
+Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer des
+Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die
+Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz
+auch der naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter
+vergeblich sich bemueht zu erringen. Eben die gewaltige geistige
+Entwicklung der Hellenen, welche jene immer unvollkommene religioese und
+literarische Einheit erschuf, machte es ihnen unmoeglich, zu der echten
+politischen Einigung zu gelangen; sie buessten damit die Einfalt,
+die Lenksamkeit, die Hingebung, die Verschmelzbarkeit ein, welche die
+Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es waere darum wohl an der
+Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung,
+welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die Roemer nur auf
+Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die
+Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen
+Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu
+tadeln, sondern es zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch
+ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der
+Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium
+nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt
+hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich allein war gross genug, weder
+das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen
+Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt,
+wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich
+eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein
+humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der
+nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren
+und von beiden zu lernen. Also war und wirkte die roemische Religion in
+ihrer reinen und ungehemmten durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es
+tut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit aeltester Zeit
+Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande heruebergenommen
+wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts an einzelne Fremde
+den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von alters her
+mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich;
+bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern
+und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist
+bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt
+worden sind, ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere
+Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die Minerva, die Goettin
+des Gedaechtnisses (mens, menervare), welche man wohl als urspruenglich
+etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach sprachlichen Gruenden
+vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, und passt
+auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr wissen, dass
+frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der
+griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass
+gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter
+beschraenkte sich im ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die
+Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es scheint, urspruenglich
+italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit sehr alter Zeit,
+wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen
+Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche
+erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar
+frueh bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin
+Apollons, der kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der
+griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des
+Zauberbuches wurde in fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und
+Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen
+(duoviri sacris faciundis) bestellt, auch fuer dasselbe zwei der
+griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft;
+diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Faellen an, wenn es, um
+ein drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte
+und man doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei.
+Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten schon frueh sich
+ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber diesen
+Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen
+Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte
+italische Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon
+Aperta, der Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen
+Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische
+Herakles ist frueh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien
+einheimisch und dort in eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie
+es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns und der
+ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn
+der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des
+errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt
+dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der
+kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar
+geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit
+dem alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die
+Verehrung des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden;
+er wurde, mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck
+Italiens verehrt und in den Gassen der Staedte wie an den Landstrassen
+standen ueberall seine Altaere. Die Schiffergoetter ferner, Kastor und
+Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes,
+der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius,
+wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren oeffentliche
+Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der "guten Goettin"
+(bona dea) damium, entsprechend dem griechischen damion oder d/e/mion,
+mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter
+Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer
+spaeter als "Vater Befreier" gefasst ward und mit dem Weingott der
+Griechen, dem "Loeser" (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der roemische
+Gott der Tiefe der "Reichtumspender" (Pluton - Dis pater) hiess,
+dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch
+Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst
+Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die
+aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen
+Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war
+das Schnitzbild in dem roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus
+gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die frueh mit orientalischen
+Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen,
+herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramaeische
+Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geuebt.
+Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen Religion
+vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst
+Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht
+haben. --------------------------------------- ^6 Sors, von serere,
+reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte Holztaefelchen,
+die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die Runen
+erinnert. ---------------------------------------- Indessen sind die
+einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer Bedeutung,
+die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage von
+den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im
+grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung
+des Volkes, bei dem wir sie finden. Die sabellische und umbrische
+Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu schliessen, was wir davon
+wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit
+lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von
+der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen
+Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber
+eben sie gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand.
+Die Vogelschau war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der
+Goetterbefragung; aber die Titier schauten nach anderen Voegeln als die
+ramnischen Augurn. Ueberall, wo wir vergleichen koennen, zeigen sich
+aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der Goetter als Abstraktion des
+Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden Staemmen gemein,
+Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus diese
+Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen
+den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu
+erfassen. Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf
+uns gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine
+duestere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei
+und jene feierliche Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen
+Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Kult
+bei weitem nicht in solcher Vollstaendigkeit und Reinheit wie den
+latinischen; aber mag die spaetere Gruebelei auch manches erst
+hineingetragen haben, und moegen auch gerade die duesteren und
+phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich entfernenden
+Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat nicht
+wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik
+und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des
+etruskischen Volkes begruendet. Ein innerlicher Gegensatz des sehr
+ungenuegend bekannten etruskischen Gottheitsbegriffs zu dem italischen
+laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt treten unter den etruskischen
+Goettern die boesen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn
+auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der Gefangenen
+einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, in
+Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der
+Tiefe friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen "guten Geister", wie
+die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die
+die armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen
+abgeholt werden von dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen
+Greisengestalt mit Fluegeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt,
+die man spaeter in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann
+zu kostuemieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz
+wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein
+verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach gewissen
+geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Goetter.
+Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker
+frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie
+denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der
+etruskischen Weisheit spielen. Aber vor allen Dingen beschaeftigt den
+Etrusker die Deutung der Zeichen und Wunder. Die Roemer vernahmen
+wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter; allein ihr Vogelschauer
+verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im allgemeinen, ob
+die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im Laufe der
+Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie zum
+Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und
+man suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt
+schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich
+damit nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den
+Eingeweiden der Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins
+einzelne heraus, und je seltsamer die Goettersprache, je auffallender
+das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkuende und
+wie man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden die Blitzlehre,
+die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen
+Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die
+Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren,
+der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden,
+Tages genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und
+altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -,
+also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich
+gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze
+zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels und an der
+Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen dauernden
+Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe
+ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben lasse
+bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte
+oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame
+Kuenste mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelueste anmerkt.
+Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass,
+selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht
+ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch
+die einheimischen und die griechischen Orakel. Hoeher als die roemische
+Religion steht die etruskische insofern, als sie von dem, was den
+Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten
+Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt
+mit ihren Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische
+Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie
+entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten
+Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Ueber den geistigen
+Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie einmal
+gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch ihnen ein
+geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen
+gewesen zu sein. 13. Kapitel Ackerbau, Gewerbe und Verkehr Ackerbau und
+Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der aeusseren
+Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf
+dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht
+werden, anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische,
+namentlich die roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend
+zu schildern. Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft
+jenseits der Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward
+schon bemerkt. Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen
+Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen nicht minder als
+der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien in
+geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme
+ueberall, je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem
+Masse, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man
+es empfand, dass jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die
+schoene Sitte, die Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man
+dort, wo der kuenftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine
+Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische
+Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit sprechen laesst,
+nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der
+Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit
+der Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am
+klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser
+Teil des roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern
+gelangt war und also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht
+mehr auf der Ansaessigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung
+dies Missverhaeltnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer
+einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder
+ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer allemal nach der
+Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die
+Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf
+der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und
+Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf
+die Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so
+hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu
+vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz
+in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem
+Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder
+fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich
+eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische
+Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die
+Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also
+im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze
+gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der
+Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also die
+Eroberung, die der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten
+verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen Boden abgetreten
+haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern an ihrem
+Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des Mannes
+und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste
+und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die
+geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft. Dass in
+aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den
+einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag
+unter die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt
+ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und
+Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhaengen und auch spaeterhin
+in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr
+haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische Rechtsueberlieferung weiss noch
+zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in Vieh und Bodenbenutzung
+bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu Sondereigentum
+aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste
+Bezeichnung des Vermoegens als "Viehstand" (pecunia) oder "Sklaven- und
+Viehstand" (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder
+und Sklaven als "Schaefchen" (peculium); ferner die aelteste Form
+des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur fuer
+bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass
+des "Eigenlandes" (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder
+preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann
+^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat,
+laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel
+fest, dass die aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern
+als Surrogat dafuer die Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon
+die Servianische den aufgeteilten Acker voraussetzt. Aus derselben
+Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des Grundbesitzes aus
+mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun und zu
+leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des Pfluges
+gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe
+ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt
+ward, schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden.
+------------------------------------------------------------ ^1 Die
+bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten
+Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die
+Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie
+bei den Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes
+in jedem wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet
+worden, so wuerde doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von
+zerstueckelten Hufen ausgehen. Allein es ist vielmehr das Gegenteil
+der Fall; die Individualnamen der roemischen Hufen (fundus Cornelianus)
+zeigen deutlich, dass der aelteste roemische Individualgrundbesitz
+faktisch geschlossen war. ^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom.
+15) berichtet: Tunc (zur Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum
+possessionibus, ex quo pecuniosi et locupletes vocabantur. - (Numa)
+primum agros, quos bello Romulus ceperat, divisit viritim civibus.
+Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig Kuriendistrikte
+teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest
+einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16). ^3 Da dieser Behauptung
+fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die Zahlen reden. Die
+roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der Kaiserzeit rechnen
+durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf roemische Scheffel
+Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines Heredium
+ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es
+lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht
+nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den
+erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer
+das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine roemische Familie von
+dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber
+beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich darauf, dass der
+Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie Bauer der
+aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die
+Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl
+richtig, aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die
+Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an
+Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und intensive
+Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit
+in Anschlag zu bringen; aber die aeltere roemische Weidewirtschaft war,
+wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und
+die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner
+wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen
+Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben
+die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen,
+als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit
+ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um
+Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch
+mit grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des
+zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein,
+und sie genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme
+Defizit, welches auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag
+des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch blosse
+Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst
+dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle
+landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer
+ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag
+eines Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die
+Ernaehrung einer Familie ausreichend herausstellt. Man behauptet
+nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen mit
+Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der
+Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen
+Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente
+zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail
+zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden und unterliegt auch noch
+anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, dass bei der
+nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte Buergerschaft (adsignatio
+viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B.
+Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den Losen neue
+Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den bestehenden
+vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I,
+p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine
+Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums
+ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem
+weniger bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf
+Grundstuecken von sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln
+Ertrag nicht auskommen zu koennen.
+---------------------------------------------- Die Landwirtschaft ging
+wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn war der Spelt
+(far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese fleissig
+gezogen. --------------------------------------------- ^4 Vielleicht der
+juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis zu fuehren,
+dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben
+koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust.
+1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen
+zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt,
+woraus denn gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten,
+doch einen betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau.
+Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene nominell hoehere
+Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus dem Umstand, dass die Roemer
+den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den Spelt aber in den
+Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das Dreschen
+nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch
+heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert
+nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen
+aber geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G.
+Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer den
+wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von - Scheffel)
+drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825 Pfund), an
+Spelt (bei einer Aussaat von -1 Scheffel) mindestens sieben Scheffel
+zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die
+Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der
+Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei
+gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht
+nach aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung
+(als Kern") weniger als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet
+worden ist, sondern weil es zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser
+Art von ueberlieferten und gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die
+oben aufgestellte Berechnung auf Weizen gestellt worden; sie durfte
+es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht wesentlich abweicht und der
+Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist genuegsamer in bezug auf
+Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der Weizen; aber
+der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht
+unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren
+Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend
+von Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden
+3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in
+Sueddeutschland, wo der Boden ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen
+wird, und ueberhaupt bei vorschreitender Kultur dieser den Speltbau
+zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige Uebergang der
+italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar
+ein Fortschritt gewesen.
+-------------------------------------------------------- Dass die Pflege
+des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach
+Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende
+Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt
+und diese dem Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen
+entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer
+recht alten Sage der Koenig Mezentius von Caere von den Latinern oder
+den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die Ursache, welche
+die Kelten veranlasste, die Alpen zu ueberschreiten, in einer weit
+verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen Erzaehlung
+die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor allem mit
+der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der
+Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh
+und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige
+Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste
+Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst
+damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot eine tusculanische
+Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der Priester das Fest
+der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso gehoert hierher nicht bloss die
+allgemeine Aufnahme der Weinspende in das Opferritual, sondern auch die
+als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte Vorschrift der roemischen
+Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein
+zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das nuetzliche Doerren des
+Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten Getreides untersagten.
+Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach
+Italien gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten
+Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein;
+es stimmt dazu, dass der Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual
+eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie wert
+uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, beweisen der Rebstock
+und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des Curtischen
+Teiches gepflanzt wurden. --------------------------------------- ^5
+Oleum, oliva sind aus elaion, elaia, amurca (PHlhefe) aus amorg/e/
+entstanden. --------------------------------------- Von den
+Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in Italien
+einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren ebenfalls
+mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die
+roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen.
+--------------------------------------- ^6 Aber dass der vor dem
+Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen ward (Plin. nat. 15,
+18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in allen guten
+Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert.
+----------------------------------------- Es waren der Bauer und
+dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt die
+landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen
+Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit
+verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier,
+auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere.
+Eine selbstaendige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der
+Milch bestand wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land
+nicht oder nur in sehr beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem
+Kleinvieh, das man auf die gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof
+Schweine und Gefluegel, besonders Gaense gehalten. Im allgemeinen ward
+man nicht muede zu pfluegen und wieder zu pfluegen - der Acker galt als
+mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so dicht gezogen waren,
+dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war mehr
+intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene
+Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das
+hartnaeckige Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu
+wahrscheinlich die geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn
+dem praktischen Italiener war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die
+mit der ererbten Scholle ueberkommene Bestellungsweise fremd, und
+einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der
+Anbau von Futterkraeutern und das Berieselungssystem der Wiesen, moegen
+schon frueh von den Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig
+entwickelt worden sein; begann doch die roemische Literatur selbst
+mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und
+verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier
+machte die Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch
+dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und der freieren menschlichen
+Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also durchschnittlich
+viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und
+zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu besorgen. Eigentliche
+Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der
+Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); waehrend
+dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es
+ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht
+und der Stier. In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische
+Bauernstelle in aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte
+Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht,
+den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten Vermoegens gleichsam als
+einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war
+ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie
+sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen Geschlechtsgenossen
+zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der
+Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils
+dadurch, dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang
+des Eigentums an der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den
+Glaeubiger verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen
+Konkurs fuehrende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch
+erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr
+unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich
+unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die Miterben
+im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das
+aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu jeder
+Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder friedlich
+zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen Geiste des
+roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch,
+dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern
+nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat.
+Die Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der
+Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass
+man sich hierin nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel
+zusammengeblieben sind, beweist schon die allgemeine roemische Sitte,
+sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde
+griff nur indirekt hier ein durch die Ausfuehrung von Kolonien, welche
+regelmaessig die Gruendung einer Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig
+wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte,
+die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem
+schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu
+erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab,
+ist nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu
+bezweifeln und erklaert sich auch leicht teils aus der Aufteilung der
+Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl der in
+den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand
+von groesseren Grundbesitzern ins Leben rufen musste, teils aus der
+Menge der in Rom zusammenstroemenden kaufmaennischen Kapitalien. Aber
+eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt auf einen ansehnlichen
+Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann fuer diese Zeit
+nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition, wonach die
+Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an geringe
+Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird
+urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er
+nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in
+kleinen Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben,
+wie dies noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger
+konnte Hauskind oder Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann
+war, so war sein Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen
+des "Bittbesitzes" (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt diesen,
+solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel,
+um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte
+dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des
+Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht
+notwendig; ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der
+Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo
+dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von
+ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen Endtermins,
+teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und den
+lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten
+Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein
+Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen,
+religioes geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch
+nicht. Das durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte
+ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen.
+Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung der
+Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der einzelne, konnte
+vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen Leuten
+gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die
+roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der
+Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu
+Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen
+Gutswirtschaft erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern
+in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche
+Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd blieb, fand sich der
+roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als
+der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff selber
+ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein guter
+Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er
+nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend
+der heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde
+durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der
+Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit
+wesentlich gemindert. Die freien Bittpaechter, hervorgegangen
+aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten Leuten und
+Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats aus und
+waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der kleine
+Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. Die
+fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem
+weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde
+Nation nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat,
+scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden
+gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere
+Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir spaeter sie finden.
+Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren Epoche die "Tageloehner"
+(th/e/tes) vielfach an der Stelle der spaeteren Sklaven und hat in
+einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die
+historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war
+doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische, sabinische,
+etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders gegenueberstehen
+als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er als
+Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und
+Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab,
+lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit
+dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er
+keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe
+vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis
+ebenso vielen Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz
+wie der mittlere und kleine; sondern es erwuchsen auch in den
+verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren die
+natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und
+eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische
+Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen
+konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht
+demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die
+Pflugschar zu fuehren. Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht
+betroffen. Es ist der Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der
+als Eigentuemer der Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe
+fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten
+und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden
+benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine
+maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger
+mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum
+Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der
+einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide
+kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum
+auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem
+Insassen wohl nur ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward.
+In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft
+ueberhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die
+urspruengliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte
+Land aber wohl groesstenteils sogleich unter die Geschlechter oder
+spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt ward. Dass der
+Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben
+aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus
+der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der
+Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs
+Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden
+Einrichtungen, acht Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser,
+der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der
+Faerber, der Toepfer, der Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo
+man das Brotbacken und die gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte
+und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern selber spannen, der
+Kreis der auf Bestellung fuer fremde Rechnung arbeitenden Gewerke wohl
+im wesentlichen erschoepft sein wird. Merkwuerdig ist es, dass keine
+eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es bestaetigt dies aufs neue,
+dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit der Bearbeitung des
+Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel fuer den
+heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die spaeteste
+Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das
+staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft
+muessen diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser
+Bedeutung gewesen sein, die nicht abgemessen werden darf nach den
+spaeteren, durch die Masse der fuer den Herrn oder auf seine Rechnung
+arbeitenden Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren
+gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen Handwerks. Die aeltesten
+Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen Streitgott Mamers,
+sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem
+goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern
+gleiche Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers
+und der Esse Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen
+Festverzeichnis. Auch in dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die
+Kunst, die Pflugschar und das Schwert zu schmieden und sie zu fuehren,
+Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von jener hoffaertigen
+Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst begegnet. Seit indes die
+Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich auf die Ansaessigen
+legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl
+infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom
+Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den
+Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch
+organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies
+wohl der Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und
+politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte
+hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen
+gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich
+zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass
+unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist
+wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von Monopoltendenzen
+noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation - freilich sind auch
+ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten so voellig
+versiegt wie ueber die Gewerke. Dass der italische Handel sich in der
+aeltesten Epoche auf den Verkehr der Italiker untereinander beschraenkt
+hat, versteht sich von selbst. Die Messen (mercatus), die wohl zu
+unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten (nundinae), sind
+in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die internationalen
+Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit der
+Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden
+haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen,
+mochten diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in
+Rom zu erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und
+vielleicht noch groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche
+Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone)
+im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von
+roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste
+unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der
+Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu
+finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der
+hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der
+Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der
+Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher
+letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium
+und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen
+hier die roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten
+manchen Hader mit den Sabinern herbei. Ohne Zweifel handelte und
+tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste griechische oder
+phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier halfen bei
+vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus;
+hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen
+aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste
+Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe
+gingen; sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich
+allgemein stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz
+zwischen Gross- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden
+besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische,
+sondern noch darueber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft
+zurueck ^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die
+Ackerbestellung und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher
+Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle
+erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf,
+wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die "Kupferung"
+(aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen,
+auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter
+noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung
+und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten
+sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen
+Voelker vorliegen. ----------------------------------------------- ^7
+Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich
+daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf
+zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus
+p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe
+Bestimmung, wenn nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich
+gelten; nur dass hier, wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren
+dezimalen das Duodezimalsystem substituiert hat. Dass die Bezeichnung
+des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen
+(englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt.
+----------------------------------------------- In welcher Art
+der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen Italiker
+einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz
+unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen
+geringen und unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von
+den fremden Nationen zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch
+tuskische oder latinische Vermittlung empfingen; woher denn auch der
+Mangel staedtischer Entwicklung ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den
+Apulern und Messapiern scheint in dieser Epoche noch gering gewesen zu
+sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien Griechen und Italiker
+friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch in Etrurien ein
+ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die aeltesten
+Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken schliessen,
+die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus
+Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt
+sind, teils und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische
+Gewerbe empfing; denn natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden
+Manufakte, ehe man sie nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht
+bestimmen, wie weit die Entwicklung der Handwerke vor der Scheidung der
+Staemme und dann wieder in derjenigen Periode gediehen ist, wo Italien
+sich selbst ueberlassen blieb; es mag dahingestellt werden, inwieweit
+die italischen Walker, Faerber, Gerber und Toepfer von Griechenland
+oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder selbstaendig sich
+entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der Goldschmiede, das seit
+unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen sein, nachdem
+der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter den
+Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn
+auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und
+Praeneste in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten
+Loewen und aehnlichen Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das
+einzelne Fundstueck gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt
+oder einheimische Nachahmung ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel,
+dass die ganze italische Westkueste in aeltester Zeit Metallwaren aus
+dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo von der Kunstuebung die
+Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur wie die Plastik
+in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch griechischen
+Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass die
+aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen
+sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck
+noch mit eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem
+Ton, nach Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu
+schliessen, aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem
+Alabaster, darunter mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten
+oder eingeschnitzten Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen.
+Die letzten koennen aus dem Norden auf dem Landweg gekommen sein;
+die uebrigen Gegenstaende aber beweisen die Einfuhr von Salben und
+Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher kamen Linnen und
+Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch der
+linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen
+Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten
+Lehnnamen (linon linum; porph?ra purpura; sk/e/ptron skip/o/n scipio,
+auch wohl elephas ebur; th?os thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung
+einer Anzahl auf Ess- und Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich
+die Benennung des Oels (vgl. 1, 200), der Kruege (amphore?s amp[h]ora
+ampulla; krat/e/r cratera), des Schmausens (k/o/maz/o/ comissari),
+des Leckergerichts (ops/o/nion opsonium), des Teiges (maza massa) und
+verschiedener Kuchennamen (glyko?s lucuns; plako?s placenta; tyro?s
+turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina
+patan/e/) und des Specks (arvina arbin/e/) in das sizilische Griechisch
+Eingang gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches,
+kerkyraeisches und kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen,
+beweist eben wie diese sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der
+griechischen Toepferwaren nach Italien. Dass die griechische Lederarbeit
+in Latium wenigstens bei der Armatur Eingang fand, zeigt die Verwendung
+des griechischen Wortes fuer Leder (sk?tos) bei den Latinern fuer den
+Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich gehoeren hierher die
+zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten Schifferausdruecke, obwohl
+die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt: Segel, Mast und Rahe
+doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9; ferner die
+griechische Benennung des Briefes (epistol/e/ epistula), der Marke
+(tessera, von tessara ^10), der Waage (stat/e/r statera) und des
+Aufgeldes (arrab/o/n arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die
+Aufnahme italischer Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch,
+sowie der nachher zu erwaehnende Austausch der Muenz-, Mass- und
+Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der barbarische Charakter,
+den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor allem die
+charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta
+= plako?nta; ampora = amphorea; statera = stat/e/ra), ist der klarste
+Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes
+(Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische Vorstellungen
+bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des Mai gelegt
+zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den Sohn der
+schoenen Maia. ----------------------------------------------- ^8 Vor
+kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen
+und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf.
+32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum
+Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist.
+^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies
+nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch
+antenna kann von ana (anhelare, antestari) und tendere = supertensa
+herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern kybernan, ancora
+Anker agkyra, prora Vorderteil pr/o/ra, aplustre Schiffshinterteil
+aphlaston, anquina der die Rahen festhaltende Strick agkoina, nausea
+Seekrankheit naysia. Die alten vier Hauptwinde - aquilo der Adlerwind,
+die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, vielleicht
+der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind, der
+Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende
+Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche
+Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch
+(wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus
+= ap/e/li/o/t/e/s, Africus = lips). ^10 Zunaechst sind die Marken im
+Lagerdienst gemeint, die xyl/e/phia kata phylak/e/n brachea tele/o/s
+echonta charakt/e/ra (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des
+Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die
+Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch;
+die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv.
+35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen
+Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen Form
+spricht fuer verhaeltnismaessig spaete Uebernahme des Wortes.
+------------------------------------------ Sonach bezog das aelteste
+Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine Luxuswaren aus dem Osten,
+bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst zu fabrizieren
+versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine
+Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann
+Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa
+im Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide. Aus diesem Stande
+des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente ist schon
+frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium und
+in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen
+alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen
+Passivhandel fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer,
+dessen sie notwendig bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder
+Sklaven eintauschen, wie denn der uralte Vertrieb der letzteren auf
+das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; dagegen musste die tuskische
+Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua wie in Spina sich
+notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte Wohlstand
+dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium
+vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies
+in allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art,
+nur mit ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber
+finden sich in Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine
+Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem suedlichen
+Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die
+latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck auslaendischer Herkunft
+und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer Zeit aufweist,
+vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen
+die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der
+Zeit nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an;
+Latium hat in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich
+beholfen und selbst die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn
+nur aeusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von
+Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik
+wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur
+dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten
+Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben
+Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte;
+aber in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit
+zurueck hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen,
+dass die nach griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren
+auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst
+Absatz fanden, waehrend Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt
+hat. Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der
+Latiner und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den
+aeltesten Handel der Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum
+etwas aussprechen als die Vermutung, dass er von Spina und Hatria
+vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Dass die westlichen Etrusker
+sich dreist in die oestlichen Meere wagten und nicht bloss mit Sizilien,
+sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten, ward schon
+gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die attischen
+Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so zahlreich
+vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt,
+wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt
+die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein
+gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die
+Silberstuecke von Populonia sind nachgepraegt einem uralten,
+einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloss mit einem
+eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das sich in Athen und
+an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden hat
+und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss
+geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung
+der karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die
+Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt;
+es ist beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser
+einheimischem Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren
+sich gefunden haben, welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten
+herruehren koennen, wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen
+Handelsmaennern eingefuehrt wurden. Indes darf diesem phoenikischen
+Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich nicht
+uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen Anregungen und
+Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht von den
+Phoenikern nach Etrurien gebracht sind. Nach einer anderen Richtung
+weist der latinische Verkehr. So selten wir auch Gelegenheit haben,
+Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme hellenischer
+Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind, eine
+vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander.
+Am deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den
+chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern
+zugebrachte griechische weicht nicht unwesentlich ab von dem den
+Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide Voelker haben also hier
+zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer Zeit und an einem
+anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern wiederholt sich
+dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische Pultuke sind
+jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; der
+tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische
+Ulixes gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso
+entspricht der tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens,
+der roemische Aiax einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische
+Aperta oder Apello, der samnitische Appellun sind entstanden aus dem
+dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache
+und Schrift Latiums ausschliesslich auf den Zug des latinischen Handels
+zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede andere Spur,
+die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Muenze
+von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern,
+Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei
+den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen
+Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische
+Bezeichnung der Silbermuenze nomos, das sizilische Mass /e/mina als
+nummus und hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so
+waren umgekehrt die italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens,
+quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte
+an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den
+korrupten und hybriden Formen litra, trias, tetras, ezas, oygkia
+schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen
+Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht-
+und Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen
+Kupfersystem in ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss
+dem Silber der zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell
+und vielleicht gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene
+Aequivalent eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen
+Talents, 1/3 des roemischen Pfundes) als Silbermuenze (litra argyrioy,
+das ist "Kupferpfund in Silber") schon in fruehester Zeit namentlich in
+Syrakus geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass
+die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen;
+und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der Handel der
+Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld
+nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen
+Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen
+des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den
+sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden.
+Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten
+in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und
+Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass
+er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den Sikelioten,
+beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach
+Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an Aesculapius,
+Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen zeigen. Wenn
+der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie Kyme und die
+phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur
+gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben
+erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst
+der Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt
+hat. Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der
+Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den
+sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich
+ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den
+afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke hinreichend belegen,
+in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter
+Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer beweisend, dass - von
+einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten Verkehr der Latiner
+mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis
+gebricht ^11. ----------------------------------------------------------
+^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen
+oertlichen Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar
+aus dem Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in
+demselben vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich
+arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind
+offenbar zunaechst Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen
+orientalischen Lehnwoertern eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines
+aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern aufzuweisen hat. Dass elephas und
+ebur von dem gleichen phoenikischen Original mit oder ohne Hinzufuegung
+des Artikels, also jedes selbstaendig gebildet seien, ist sprachlich
+unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht
+verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch
+nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus;
+mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem
+Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es,
+wie schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden
+Fall griechisches Lehnwort.
+---------------------------------------------------------- Fragen wir
+weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von italischen
+Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so
+hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle
+Wahrscheinlichkeit fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen
+Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen
+Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten
+eindringen koennen, dass sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und
+Kupfer gegen Schmuck einhandelten. Was endlich die Personen und Staende
+anlangt, durch die dieser Handel in Italien gefuehrt ward, so hat
+sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand selbstaendig
+gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser
+auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang
+an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine
+Annahme, die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von
+mehreren schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse
+Grundbesitzer, der von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird,
+frueh zu dem Besitz von Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt;
+der ueberseeische Eigenhandel musste also um so mehr dem Gutsbesitzer
+zufallen, als er allein die Schiffe und in den Fruechten die
+Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz zwischen Land-
+und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt;
+die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die
+Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese
+Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige
+Darstellung zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern
+der Handel der latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein
+im wesentlichen ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder
+Tarent, sondern war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden
+Gemeinde. 14. Kapitel Mass und Schrift Die Kunst des Messens unterwirft
+dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hoert seine
+Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst ist; sie beide
+geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit.
+Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen
+Bahnen zu folgen. Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die
+Begriffe der zeitlichen, raeumlichen und Gewichtseinheit und des
+aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das
+Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die Natur als naechste
+Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder
+Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der leichter
+misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit
+ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag
+oder das "Gewicht" (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus
+gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit
+ihren fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht
+das Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente
+alles Zaehlens und Messens nicht bloss ueber die Trennung des
+griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit
+zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde
+ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen
+Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen
+vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu
+zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und
+Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche
+Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt
+die bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den
+Zahlwoertern bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind
+hier alle aeltesten Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es
+genuegt, an die so gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten,
+Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn
+Schafen, an die Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt
+die durchstehende Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und
+Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem
+Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses aeltesten
+Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern.
+Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen
+und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei
+aeltesten und unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei
+Zeichen, I, V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten
+Fingers, der offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch
+den Phoenikern entlehnt, dagegen den Roemern, Sabellern und Etruskern
+gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze zur Bildung einer national
+italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des
+aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen Verkehrs
+der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen erfunden
+und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen.
+Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam;
+es gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100
+Fuss ins Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im
+allgemeinen in denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische
+Festsetzungen anknuepfen und wahrscheinlich von den Italikern vor
+Beruehrung mit den Griechen entwickelt worden sind, die Teilung des
+"Ganzen" (as) in zwoelf "Einheiten" (unciae) vorherrschend. Nach der
+Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen Priesterschaften,
+die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die etruskischen
+Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im roemischen
+Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo der Fuss
+(pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des
+roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem
+zusammengesetzte "Trieb" (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1.
+Im Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein.
+------------------------------------------ ^1 Urspruenglich sind sowohl
+"actus" Trieb, wie auch das noch haeufiger vorkommende Doppelte
+davon, "iugerum", Joch, wie unser "Morgen" nicht Flaechen-, sondern
+Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk,
+mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende
+Mittagsruhe des Pfluegers. --------------------------------------------
+Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen
+sein mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein
+neben der Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung
+wohl nur gefunden werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und
+Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an
+dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf Mondkreislaeufen zuerst dem
+Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten
+zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines
+Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste
+duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu
+sein und vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen. Als
+nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische
+Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber
+wohl das Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das
+heisst diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich
+ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste
+roemische Fuss ist verschollen; der, den wir kennen und der in
+fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus Griechenland
+entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in
+Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn
+Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht
+in ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz
+Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis,
+dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier
+roemische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das
+roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen
+gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die
+roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den griechischen
+entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach medimnos congius
+aus choe?s, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von
+ox?baphon) entstanden sind, waehrend umgekehrt xest/e/s Korruption
+von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die
+gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius
+oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer
+trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen
+Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem
+griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 :
+1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen
+Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes
+sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben. Die griechischen Zahlzeichen
+nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer das griechische
+Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen der drei
+Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer 100
+zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das
+Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich
+das Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das
+roemische im wesentlichen in Etrurien angenommen ward. In gleicher Weise
+ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische Kalender,
+nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter unter
+griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die
+Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes
+am unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht
+nach zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung
+bestimmt, lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und
+-untergang wurden auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen
+Ausrufer bis in spaete Zeit hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich
+einstmals an jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum
+naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch die Priester abgerufen.
+Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei den
+Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon
+gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von
+dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die
+bei der mittleren Dauer von 7? Tagen zwischen sieben- und achttaegiger
+Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der
+mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44
+Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse
+Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die
+groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann man Tag und
+Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der Stundenteilung
+sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der Bestimmung
+des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme
+auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller
+und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens
+als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht
+kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der
+Jahresteile bei den Griechen und den Italikern voellig selbstaendig
+gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen
+Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur
+Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit fortgeschritten
+zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der Rechnung nach
+Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer
+Frist von zehn Monaten als eines "Ringes" (annus) oder eines Jahrganzen
+traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber auch
+noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der
+griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde,
+das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus
+der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs
+hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung
+bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den
+Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit
+der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in
+den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl
+die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen
+zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender
+herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels
+vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen
+es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche,
+wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt
+haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen.
+Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen
+Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische Zeitmessung ist
+ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf der aeltesten
+griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des
+Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme
+eines Mondumlaufs von 29 Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12
+Mondmonaten oder 368_ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder
+dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate
+sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber
+durch willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den
+wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass
+diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern
+in Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die sich
+geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis
+und ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen
+Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der
+einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies roemische Jahr beginnt mit
+Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der einzige, der von
+einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius), die drei
+folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen (iunius),
+der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, sextilis,
+september, october, november, december), der elfte vom Anfangen
+(ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der
+Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der
+zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius).
+Zu dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im
+Schaltjahr noch ein namenloser "Arbeitsmonat" (mercedonius) am
+Jahresschluss, also hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den
+wahrscheinlich aus dem altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate
+ist der roemische Kalender in der Dauer derselben selbstaendig: fuer die
+vier aus je sechs dreissig- und sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten
+und einem jedes zweite Jahr eintretenden, abwechselnd dreissig-
+und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des
+griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm
+gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften
+und achten - einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen
+Monaten, ferner einem in drei Jahren acht-, in dem vierten
+neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes andere Jahr eingelegten
+siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + 382 = 1475
+Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der urspruenglichen Einteilung
+des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige Wochen; er liess
+die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen
+Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es
+tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt.
+Er setzte daneben ein fuer allemal das erste Viertel in den
+einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den
+neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den
+fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest
+geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der
+zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt
+zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des
+Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen
+Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den
+Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag
+(nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht
+Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde
+liegende Motiv scheint hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende
+Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen
+an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen
+Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in Unteritalien
+uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren des
+Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender,
+so deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond-
+wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit
+dem Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein
+griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste
+griechische, nicht anders als mittels haeufiger willkuerlicher
+Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender schwerlich
+mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, hoechst
+wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der
+Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach
+zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes
+Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des
+aeltesten roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird
+dieser roemische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen
+werden koennen. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und
+der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den
+Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl
+vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsaechlich von
+dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkuerlichen,
+etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn
+beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen
+schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von
+Unteritalien aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch
+zu anderen italischen Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen
+Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren.
+---------------------------------------- ^2 Aus derselben Ursache sind
+saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem Monat wiederkehrenden
+(kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder 15.) als auch,
+mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45 Jahresfeste.
+Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die geraden
+Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das
+Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai
+begangen wird. ----------------------------------------- Zur Messung
+mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der Koenige
+bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige
+Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen
+ist. Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit
+verbundene Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen
+Olympiadenzaehlung der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren
+angeknuepft zu haben, die indes infolge der bald in der Abhaltung
+der Schatzungen einreissenden Unregelmaessigkeit ihre chronologische
+Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat. Juenger als die Messkunst ist
+die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben sowenig wie die
+Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den italischen
+Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus
+hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit
+Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden
+werden koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in
+so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss,
+beweist am besten die Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische,
+indische, griechisch-roemische und heutige Zivilisation ein einziges,
+von Volk zu Volk und von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanztes
+Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; und auch dieses
+bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame Schoepfung der
+Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem
+der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann,
+erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb
+denn auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet
+erfunden worden ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk
+selbstaendig und in hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel
+ihnen zugefuehrten aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige
+Alphabet erschaffen durch Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte
+durch die Verwendung von vier fuer die Griechen als Konsonantenzeichen
+unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a e i o und durch
+Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der Silbe in die
+Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides
+sagt: Heilmittel also ordnend der Vergessenheit Fuegt ich lautlos'
+und lautende in Silben ein Und fand des Schreibens Wissenschaft den
+Sterblichen. Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den
+Italikern zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen,
+nicht aber durch die Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch
+die Kaufleute etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunaechst nach den
+uralten Vermittlungsstaetten des internationalen Verkehrs in Latium und
+Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die
+Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste hellenische: es hatte
+schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei
+Buchstaben x ph ch und die Abaenderung der Zeichen fuer y g l ^3. Auch
+das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische
+Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus
+dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach
+Etrurien und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das
+etruskische Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und
+nur ein einfaches k ^4 und vom r nur die aeltere Form P; das latinische
+kennt, soviel wir wissen, nur ein einziges s, dagegen ein doppeltes
+k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die juengere Form R. Die
+aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich
+wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten
+Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt,
+soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in
+gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach
+rechts oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den
+Roemern in jener, bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach
+Etrurien gebrachte Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten
+Charakters dennoch in eine sehr alte, wenn auch nicht positiv zu
+bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da die beiden Sibilanten Sigma
+und San von den Etruskern stets als verschiedene Laute nebeneinander
+gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, das nach
+Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige
+Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern
+der griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San
+nebeneinander im Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings,
+wie wir es kennen, im ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es
+nicht unwahrscheinlich, dass in Latium nicht, wie in Etrurien, bloss
+eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, sondern die Latiner infolge
+ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen Nachbarn laengere Zeit
+sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht hielten und den
+Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass die
+Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die
+juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was
+sich nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre
+griechischen Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich
+des griechischen Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch
+bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen
+griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und dem aelteren des
+nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien
+frueher geschrieben worden ist als in Rom.
+------------------------------------------- ^3 Die Geschichte des
+Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, dass
+gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem
+vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, die
+verschiedenartigsten Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung
+desselben gemacht worden sind und dass jeder dieser Vorschlaege seine
+eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschlaege, die
+auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten vor.
+Interesse ist, sind die folgenden. I. Einfuehrung eigener Zeichen
+fuer die Laute x ph ch. Dieser Vorschlag ist so alt, dass mit einziger
+Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta alle griechischen
+und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten Alphabete
+unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin,
+die Zeichen CH xi, PH phi, PS chi dem Alphabet am Schluss anzufuegen,
+und in dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme
+von Athen und Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen
+Griechen Annahme gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und
+die der Inseln des Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther
+scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i
+bereits das fuenfzehnte Zeichen des phoenikischen Alphabets (Samech) X
+im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei neuen
+Zeichen zwar das PH auch fuer phi, aber das CH nicht fuer xi sondern
+fuer chi. Das dritte, urspruenglich fuer chi erfundene Zeichen liess man
+wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man
+es fest, gab ihm aber den Wert psi. Der kleinasiatischen Schreibweise
+folgte auch Athen, nur dass hier nicht bloss das psi, sondern auch das
+xi nicht angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant
+geschrieben ward. II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man
+sich bemueht, die naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu
+verhueten; denn saemtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen
+die Spuren des Bestrebens, beide Zeichen anders und schaerfer
+zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit muessen zwei
+Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen
+Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den
+Sibilanten, wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das
+vierzehnte (M) fuer sch und das achtzehnte (S) fuer s, darbot, statt des
+letzteren, lautlich angemesseneren vielmehr jenes - und so schrieb man
+in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln, in Korinth und Kerkyra und
+bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das Zeichen des i durch
+einfachen Strich ?, was bei weitem das Gewoehnlichere war und in
+nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das
+gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in
+der Form M auch neben dem ? festhielten. III. Juenger ist die Ersetzung
+des leicht mit G g zu verwechselnden l L durch V, der wir in Athen und
+Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth abhaengigen
+Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem g statt der
+haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben. IV. Die ebenfalls der
+Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer r R p p und r P wurden
+unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere
+Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen
+Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen
+sowohl in dem eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit
+aeberwiegt. Doch ist die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so
+voellig verschwunden wie die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt
+daher ohne Zweifel spaeter. Die Differenzierung des langen und kurzen e
+und des langen und kurzen o ist in aelterer Zeit beschraenkt geblieben
+auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln des Aegaeischen Meeres.
+Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und
+geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer
+bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann
+ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung
+gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur
+Geschichte des griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die
+bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht
+geworfen und auch fuer die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und
+Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse
+Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat,
+leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen
+einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt.
+Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man die
+Alphabete nicht nach der Geltung des X als x oder als ch in zwei Klassen
+teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26
+Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische,
+aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das
+gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es
+haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den
+verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch
+verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben
+insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als
+sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen
+Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen
+Wechselverhaeltnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist
+schon auf den merkwuerdigen Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu
+den chalkidischen und dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam
+gemacht worden; in jenen sind durchgaengig die primitiven Formen
+festgehalten, in diesen die verbesserten Formen angenommen, selbst
+solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich gewissermassen
+widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete
+stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der
+italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass
+aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern,
+sondern beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt
+besonders die verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend
+von den vier oben bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die
+italischen Griechen ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien
+beschraenkt), die drei ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor
+dasselbe auf die Etrusker und Latiner ueberging, war die Differenzierung
+von p und r noch nicht geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam,
+dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es empfingen, weshalb fuer
+r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern
+und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefaesses
+ausschliesslich die juengere Form begegnet. ^4 Dass das Koppa den
+Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht zweifelhaft: denn nicht
+bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur desselben, sondern
+es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen Gefaesses. Der
+Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf
+jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein
+gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann
+zu diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am
+Schluss stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen
+Wert haben als den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte
+ist und das in dem, die Abweichungen .des etruskischen Alphabets von
+seinem Muster darlegenden Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend
+bleibt es freilich, dass in dem nach Etrurien gelangten griechischen
+Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem chalkidisch-dorischen
+sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich eine lokale
+Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet
+zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig
+werdendes Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen
+Zeiten Willkuer und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet
+das achtzehnte phoenikische Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der
+Lautschrift verschwundenen im Alphabet festgehalten. ^5 Die vor kurzem
+bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887), unter
+den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer
+Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das
+raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel
+in den AdI 52, 1880) die aeltere Form des r.
+------------------------------------------- Welchen gewaltigen Eindruck
+die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die Empfaenger machte und
+wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht
+ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor Erfindung
+des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische
+Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus
+gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar,
+verzeichnet ist - offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der
+Akklimatisierung der Buchstabenschrift in Etrurien. Nicht minder wichtig
+als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte dessen weitere
+Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn
+hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr,
+der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit
+den Fremden. In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in
+der man sich im wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert
+bediente, scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po
+und in der heutigen Toskana beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist
+alsdann, offenbar von Atria und Spina aus, suedlich an der Ostkueste
+hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den Venetern und spaeter sogar
+zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodass
+die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen.
+Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich
+hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter Zeilenschrift,
+auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu
+unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens f,
+wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte.
+Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und
+hat, waehrend sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen
+bei saemtlichen sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich
+eingebuergert; im weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem
+einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und
+Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz
+oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und Konsonanten
+entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber ist nicht
+bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen Graeber, sondern
+betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in einem
+derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in
+einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da
+das reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ
+jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene
+Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte. Erscheinen sonach die
+Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, Osten und Sueden
+der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium
+beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich
+behauptet; nur fielen g k und z s allmaehlich lautlich zusammen, wovon
+die Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (k z) aus der Schrift
+verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des
+vierten Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte
+monumentale und literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme
+^7 kennt sie nicht. Wer nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen
+der Unterschied von g c und k k noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8,
+dass also der Zeitraum, wo die Laute in der Aussprache zusammenfielen,
+und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem die Abkuerzungen sich
+fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege liegt; dass
+endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung eines
+konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist
+verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den
+Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten
+Eintritt der aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre
+1321 vor Christi Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in
+Griechenland die Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter
+der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche
+Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit ist hinreichend
+beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein Koenig
+Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, und
+der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an
+Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen
+Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Buendnisses, das
+Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch Dionysios auf
+einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah - freilich
+wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars
+hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall
+grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels
+beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die
+aelteste derartige roemische Urkunde und das gemeinschaftliche Muster
+fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit
+scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf Blaetter (folium),
+Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), spaeter auch auf Leder
+und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten
+wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die aeltesten,
+im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol
+bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch
+noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura),
+an die Anrede im Senat "Vaeter und Eingeschriebene" (patres conscripti),
+an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des
+albanischen und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon
+in der fruehesten Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in
+denen die Knaben und Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten,
+so kann das, aber muss nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde
+der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns
+die Kunde der aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die
+Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung
+berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre
+Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und
+Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu begehren
+und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene
+schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher
+nicht verweigert haben wuerde.
+------------------------------------------------------------- ^6 In
+diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen
+sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der
+wir Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner
+Entstehung niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber
+ihren Text nicht auf das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine
+nach dem gallischen Brande vorgenommene offizielle Niederschrift,
+beweist die Erzaehlung von der damals erfolgten Wiederherstellung der
+Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, dass ihr Text keineswegs
+die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie aufwies, auch abgesehen
+davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum Auswendiglernen
+fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue
+Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann. ^7 Dies ist die 1, 227
+angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen hat selbst schon
+auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von k. ^8 So ist C
+Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen gilt
+dieses natuerlich nicht; hier wird g nicht durch c, sondern durch G (GAL
+Galeria), k in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina),
+vor a durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn
+eine Zeitlang hat man den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen
+Konsonanten durch C ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch
+das alte Zeichen des Koppa Q. ^9 Wenn dies richtig ist, so muss die
+Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn auch natuerlich nicht gerade
+die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in
+welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die
+Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der Beginn
+des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen
+Zeit an. ^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann
+schreiben. --------------------------------------------- Die Geschichte
+der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache und
+mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im
+Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den
+Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich
+daraus, dass sie das Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den
+Ruecken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe
+schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze
+mitbrachten. Andererseits enthaelt diese Geschichte der Schrift
+eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die spaetere, der
+etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische Bildung
+aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig
+wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern
+aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem
+eine Spur sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der
+latinischen Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass
+sie nicht einmal das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich
+angeeignet hat ^11. Ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen,
+sind es vielmehr die Etrusker, die von den Roemern wenigstens
+das Zeichen fuer 50 uebernommen haben.
+---------------------------------------------- ^11 Das Raetsel, wie die
+Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v entsprechende Zeichen
+fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat die Spange von
+Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit zugleich die
+Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen Kolonien
+Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet angehoerigen
+boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer,
+Griechische Grammatik,  244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und
+ein aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich
+naehern. --------------------------------------------- Endlich ist es
+charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die Entwicklung des
+griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben
+besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten
+untergegangen, waehrend die Umbrer g d, die Samniten d, die Roemer
+g einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso
+fielen den Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den
+Lateinern finden sich Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte
+zeigt sich bei den Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei
+Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber
+dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich der Samnite und
+der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spaetere Roemer sogar
+auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden von
+den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen maechtigen
+Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen Loesung der nationalen
+Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmaehlich die
+Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und
+Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr
+Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die
+Zerstoerung der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser
+Lautzerruettung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also
+im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an
+jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell
+ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von dem, was sonst spurlos
+voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese
+Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste als irgendeinen
+der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer
+minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den
+Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die
+suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden,
+so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen
+wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben. 15. Kapitel
+Die Kunst Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang
+die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu
+den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die
+italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens,
+die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu
+vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem
+scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die
+Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio
+finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten
+neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere
+Komoedie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit
+die parodische Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der
+Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern
+keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen
+haben sie es nicht leicht ueber Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer
+Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch
+die hoechsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, goettliche
+Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie Sallustius und
+Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen
+als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter
+wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent weit weniger
+hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich
+steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und
+herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche
+Gebiet, insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein
+Aeusserliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene
+Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf
+ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor
+die Augen gerueckt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und
+bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten
+Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der neuen der Meister
+aller Nationen geworden. Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer
+Ueberlieferung nicht moeglich, die Entwicklung der kuenstlerischen Ideen
+bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich
+laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur
+von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere
+ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen
+Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit
+sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten
+Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit
+entschiedener hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug,
+mit dem das roemische Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den
+Goetterbildern und den Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und
+die lustigen Taenzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der
+Juenglinge und der Knaben, alle in roten Roecken mit kupfernem Leibgurt,
+mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Maenner ueberdies behelmt,
+ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der
+Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf
+den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die
+aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die "Springer"
+und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem
+oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen,
+weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe
+ward. Wo aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute
+oder, was in aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein.
+Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem
+Begraebnis, und neben der uralten oeffentlichen Priesterschaft der
+Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die
+Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart
+bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen roemischen Polizei
+zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und suessen
+Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als
+ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige
+Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide
+bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und
+gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder
+dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen. Den Roemern galt als
+das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen Waldeseinsamkeit die
+Blaetter sich selber singen. Was der "guenstige Geist" (faunus, von
+favere) im Haine fluestert und floetet, das verkuenden die, denen
+es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch
+gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen
+weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und
+Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die
+Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die
+boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft
+oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass
+in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln
+erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die religioesen
+Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen
+und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein
+wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der
+Ackerbrueder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient:
+------------------------------------------------- ^1 So gibt der aeltere
+Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat
+hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem
+Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich
+daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man
+nuechtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend
+und ausspuckend, die Worte spricht: "Ich denke dein, hilf meinen
+Fuessen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil"
+(terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).
+--------------------------------------------------------------------
+Enos, Lases, iuvate! Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
+Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber! Semunis alternei
+advocapit conctos! Enos, Marmar, invato! Triumpe! ^2
+-------------------------------------------------------------------- ^2
+Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers,
+sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta!
+verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato!
+Tripudia! Die ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf
+fuenfmal wiederholt. Die Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders
+der dritten Zeile. Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal
+lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied
+- asted noisi ope toitesiai pakariuois - duenos med feked (= onus me
+fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo
+statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter; bemerkenswert
+vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische
+kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von
+et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.
+------------------------------------------------------------
+
+an die Goetter Uns, Laren, helfet! Nicht Sterben und Verderben, Mars,
+Mars, lass einstuermen auf mehrere. Satt sei, grauser Mars!
+
+an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie! Brueder
+
+an alle Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen
+
+an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf!
+
+an die einzelnen Springe! Brueder
+
+Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der
+Baliarischen Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit
+als die aeltesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu
+dem Latein der Zwoelf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der
+Sprache Luthers; und wohl duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach
+diese ehrwuerdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen. Schon
+einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass
+es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab,
+wuerde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen,
+auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es
+ausdruecklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein
+Buerger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm
+anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines
+Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem
+Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter auch
+zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der
+Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne
+Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei
+dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich
+den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen
+Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, dass sie schilderten und
+erzaehlten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie
+das epische entwickelten. Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem
+uralten, ohne Zweifel ueber die Scheidung der Staemme zurueckreichenden
+Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang
+wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhaeltnissen,
+dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten
+aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht mehrere
+Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und
+der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich
+ueberwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter
+trug. So entstanden hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter
+unter dem Namen der fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die
+Elemente einer volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der
+Italiener fuer das Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen
+an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden
+gepflanzt war. Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen
+Epos und Drama. Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht
+sich von selbst und wird zum Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie
+regelmaessig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des aelteren
+Cato Zeit waren dieselben vollstaendig verschollen. Die Komoedien aber,
+wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch
+lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser
+Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Mass,
+die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken. Ob
+es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft;
+die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich
+fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte
+Rezitation. Dagegen begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das
+sogenannte saturnische ^3 oder faunische Mass, welches den Griechen
+fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der aeltesten latinischen
+Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit spaeteren
+Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben.
+------------------------------------------ ^3 Der Name bezeichnet wohl
+nichts als das "Liedermass", insofern die satura urspruenglich das beim
+Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Saeegott
+Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Saturnus benannt; sein Fest, die
+Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist moeglich, dass
+die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden.
+Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und
+vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus saturnius
+mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der
+ersten Silbe erst der spaeteren Zeit an.
+------------------------------------------ Quod re sua difeidens -
+aspere afleicta Parens timens heic vovit - voto hoc souto Decuma facta
+poloucta - leibereis lubentes Donu danunt - Hercolei - maxsume - mereto
+Semol te orant se voti - crebro condemnes Was, Missgeschick befuerchtend
+- schwer betroffnem Wohlstand, Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des
+Geloebnis eintraf, Zu Weih' und Schmaus den Zehnten - bringen gern
+die Kinder Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten; Sie flehn
+zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest. In saturnischer Weise
+scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig gesungen worden
+zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass namentlich der
+Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier
+auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische
+Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum
+vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken
+Versmassen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen
+mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten
+Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem
+diese einander entgegengesetzten iambischen und trochaeischen Halbzeilen
+wenig geeignet sind, einen fuer hoehere poetische Leistungen genuegenden
+rhythmischen Bau zu entwickeln. Die Grundelemente der volkstuemlichen
+Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich
+festgestellt haben muessen, sind fuer uns verschollen; ausser dass uns
+von der latinischen Floete berichtet wird als einem kurzen und duennen,
+nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie der Name zeigt,
+aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen
+Instrument. Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der
+latinischen Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der
+Harlekin, Bucco der Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus
+- Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem
+Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomoedie verglichen
+hat -, dass diese Masken bereits der aeltesten latinischen Volkskunst
+angehoeren, laesst sich natuerlich nicht eigentlich beweisen; da aber
+der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die Volksbuehne von
+unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in Rom erst
+ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da
+jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da
+endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele
+ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal
+zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken
+an die Anfaenge des roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie
+als diese Anfaenge selbst betrachten duerfen. Wenn unsere Kunde ueber
+die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spaerlich
+fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber
+die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil
+wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen,
+namentlich der griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche
+letztere den Latinern natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies
+schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber
+doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und
+dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen
+zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung
+der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf
+elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen
+wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie
+bereits in fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich
+die Hellenen und weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche
+in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends
+begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder
+Caere zurueckwiese, und es darf wohl ueberhaupt die phoenikische wie die
+etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der
+Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische Befruchtung aber blieb
+nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die "Saiten" (fides, von
+sphid/e/ Darm; auch barbitus barbytos) ist nicht, wie die Floete, in
+Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument
+gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist
+teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre
+Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen
+bereits in dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige
+Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem
+poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die
+altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des
+Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in
+Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele
+in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen
+von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor
+allem kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani)
+wo nicht seine Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl
+anders als unter griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als
+ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund eines von dem
+Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum gewoehnlich bei
+der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und
+den mit ihm zusammen hausenden Goettern ausgerichtet. Im Festzuge begab
+man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit
+einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: voran die ganze
+Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Buergerwehr zu
+Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher beschriebenen
+Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener
+der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet;
+endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst
+war das Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf
+zu Wagen, zu Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren
+jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug,
+darauf die abgesprungenen Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder
+nach roemischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien
+(desultor); endlich massen die Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen
+Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und
+im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal und
+zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte
+der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die
+gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu
+legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen
+die Wettkaempfe an diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen
+Karneval, wobei denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre
+Possen entfaltet haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum
+Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die
+im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine
+Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der
+erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel
+den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte.
+----------------------------------------------------------- ^4
+Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie
+spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist
+mit dem urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso
+unvereinbar, wie es nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben
+in Etrurien lernten. Dass das Studium der etruskischen Sprache damals
+in Rom die Rolle gespielt habe wie etwa jetzt bei uns das
+Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten heutigen Bekenner
+des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen Haruspicin
+etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten,
+einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K.
+O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist
+die Angabe von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der
+Republik herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren
+Annalen, welche zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung
+mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5,
+28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine
+Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine gewisse Kenntnis der
+Landessprache bei den vornehmen Roemern erforderte. ^5 Den Gebrauch der
+Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4;
+Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803.
+Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter
+nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger
+unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der
+Musik im Jahre 639 wurden nur der "latinische Floetenspieler samt dem
+Saengern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem
+Mahle sangen nur zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro
+bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das
+Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51)
+von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf Privatgastmaehler
+uebertragen. ^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt
+haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer
+und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu
+Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch
+die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen sind. Dass in jeder
+Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv.
+44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig Wagenpaare
+nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung.
+Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei
+Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in
+den roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es
+sogenannte Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die
+weisse und die rote. Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der
+patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar
+wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knuepfte es an den Aufzug
+der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt.
+---------------------------------------------------------- Solcher
+Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen
+oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch
+in den Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen
+Leichenfeier traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr
+geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch
+den oeffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begraebnis
+eingeladen ward. Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng
+verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich
+zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer
+religioesen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der
+einzelnen Uebungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros' Zeugnis
+von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und
+Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in
+Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und
+dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes
+zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten
+und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese
+Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter
+Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen
+Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht die ueberwiegende
+Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist
+keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu
+den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie
+die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss erfolgt ist (I,
+109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere Belustigungsweise -
+der "Sprung" (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei
+dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Uebung gebliebene Schaukeln
+- mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen
+Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von dem
+ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in
+Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch
+spadion) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit
+in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt sogar ein
+ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die Pferde- und
+Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere
+Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Roemer ausser
+den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren
+Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken. Es
+waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus
+denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch
+diese selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die
+Elemente der Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als
+der roemische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren
+und den Jagdspiess fuehren lernte und als in Rom jeder Gemeindebuerger
+zugleich Soldat war; sondern es genoss die Tanzkunst von jeher
+oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen Wettkaempfen
+eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik
+und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische
+Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die
+Maskenposse die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische
+Einwirkung nicht. Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese
+Samenkoerner nicht aufgingen oder verkuemmerten. Die koerperliche
+Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tuechtig, aber fern
+von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des Koerpers, wie die
+hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen Wettkaempfe der
+Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber
+ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und
+ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe
+von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und
+hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den
+griechischen Festspielen war, so kamen die roemischen bald in die
+Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten.
+Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein
+Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht
+das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum
+die Rede. Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die
+Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden
+Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen
+Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung
+kam es nicht. Die italischen Goetter sind Abstraktionen gewesen und
+geblieben und haben nie zu rechter persoenlicher Gestaltung sich
+gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen,
+auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme
+Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in
+sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der
+Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber
+kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die
+tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der
+Poesie, dass sie die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und
+aus den Staemmen ein Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie
+heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze
+der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische
+Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum hellenischen
+Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium
+trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben,
+aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch
+denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die
+Hesiodischen 'Werke und Tage'. Es konnte wohl das latinische Bundesfest
+ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der
+Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen, wie
+er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle
+Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder
+hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien
+blieb ohne nationale Poesie und Kunst. Was hieraus mit Notwendigkeit
+folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste in Latium mehr ein
+Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch fuer uns noch
+unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen wohl
+ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied
+gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister,
+die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von
+Hellas weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der
+Dichter die Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen
+trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die aeltere
+lateinische Sprache keine Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die
+Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und
+rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat sich hier frueh
+teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und unzuenftige
+Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die
+Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt
+worden; auch die religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern
+ausgefuehrt. Die Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die
+Klagefrauen (praeficae) unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang
+in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen
+waren, ehrenvolle und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier
+gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der
+Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um
+so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte und je
+mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war.
+Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb
+geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so
+schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern
+schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in Griechenland immer mehr
+Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und
+damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie
+in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und indem sie
+zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht
+einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen
+Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den
+Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von
+der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der
+Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den
+Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese
+haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause
+und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft
+zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden
+Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der
+Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen Tradition,
+die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst
+(gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen
+Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen
+schlichter und ihrer selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach
+sind wie tief; aber ueber der Bewunderung, die sie erweckt, darf es
+nicht uebersehen werden, dass sie nur durchgefuehrt werden konnte
+und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der eigentlichen
+individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so
+reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen.
+----------------------------------------------- ^7 Vates ist wohl
+zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der Salier zu fassen
+sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem griechischen
+proph/e/t/e/s: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort
+und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den
+Nebenbegriff des gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten.
+---------------------------------------------- Ueber die Entwicklung der
+musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern mangelt uns so gut wie
+jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass auch in Etrurien
+die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler (subulones)
+frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein
+Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom
+um geringen Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten.
+Bemerkenswerter ist es, dass an dem etruskischen Nationalfest, welches
+die saemtlichen Zwoelfstaedte durch einen Bundespriester ausrichteten,
+Spiele wie die des roemischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die
+dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner
+zu einer nationalen, ueber den einzelnen Gemeinden stehenden musischen
+Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande.
+Anderseits mag wohl in Etrurien schon in frueherer Zeit der Grund gelegt
+sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen
+und astrologischen Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem
+allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden,
+Chaldaeern und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell goettlicher
+Weisheit angestaunt zu werden. Womoeglich noch weniger wissen wir von
+sabellischer Kunst; woraus natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie
+der der Nachbarstaemme nachgestanden hat. Vielmehr laesst sich nach
+dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstaemme vermuten, dass an
+kuenstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am naechsten, die
+Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; und eine
+gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die
+bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie
+Naevius, Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften
+angehoeren, wogegen Etrurien in der roemischen Literatur fast keine
+anderen Vertreter hat als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten
+aller herzvertrockneten und worteverkraeuselnden Hofpoeten, und
+den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffaertigen und
+mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen. Die Elemente der Baukunst
+sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes Gemeingut der Staemme. Den
+Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist dasselbe bei Griechen
+und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen Stroh- oder
+Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher
+durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung
+(cavum aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser
+"schwarzen Decke" (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt;
+hier werden die Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre
+aufgestellt; hier empfaengt der Mann die Gaeste und sitzt die Frau
+spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern
+man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustuer und der Strasse
+dafuer nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der
+Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause im Untergewand zu
+gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine
+Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den Wohnraum herum Schlaf- und
+Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und
+aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.
+------------------------------------------------ ^8 Dass die Atellanen
+und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, sondern
+der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt werden.
+----------------------------------------------- Ob und wieweit aus
+diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik hervorging, ist kaum
+zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der fruehesten
+Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen
+volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste
+italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger
+unter dem Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen
+Zeit. Die uralten Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch
+das aelteste unter den kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind
+ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae durch
+uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende und mit einem grossen
+Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In derselben Weise
+ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von Tusculum
+gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus (tullianum)
+am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die
+Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore
+gleichen sich voellig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des
+Albaner Sees hat die groesste Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die
+sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in
+Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina haeufig vor und gehoeren der
+Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken Italiens, obwohl der
+groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst viel spaeter,
+einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt aufgefuehrt
+worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus
+grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen
+kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus
+vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber
+die Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme entschied in der
+Regel wohl das Material, wie denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur
+aus Tuff baute, deswegen der Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie
+der beiden ersten einfacheren Arten mag man auf die des Baustoffs und
+des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann schwerlich fuer zufaellig
+gehalten werden, dass auch der kuenstliche polygone Mauerbau und das
+Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden und die unbeschildete
+rechte Seite des Angreifers den Verteidigern blosslegenden Torweg den
+italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen eignet. Bedeutsame
+Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens, der von
+den Hellenen zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem
+Verkehr war, der eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er
+in Etrurien nur in Pyrgi und in den nicht sehr weit davon entfernten
+Staedten Cosa und Saturnia begegnet; da die Anlage der Mauer von Pyrgi,
+zumal bei dem bedeutsamen Namen ("Tuerme"), wohl ebenso sicher den
+Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth, so
+steht hoechst wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor
+Augen, an denen die Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel
+endlich, der in der Kaiserzeit der tuscanische hiess und als eine
+den verschiedenen griechischen Tempelbauten koordinierte Stilgattung
+betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben wie der griechische ein
+gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber welchem Waende
+und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im
+einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen
+Detail, voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem
+diesem wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische
+Baukunst vor der Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten,
+Verhacke und Erd- und Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die
+Steinkonstruktion erst in Aufnahme kam durch das Beispiel und die
+besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum zu bezweifeln ist es, dass die
+Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens kennenlernten und von
+ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von chalix), die Maschine
+(machina m/e/chan/e/), das Richtmass (groma, verdorben aus gn/o/m/o/n
+gn/o/ma) und den kuenstlichen Verschluss (clatri kl/e/thron) ueberkamen.
+Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum
+gesprochen werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses
+neben den durch griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen
+manches Eigentuemliche festgehalten oder auch erst entwickelt worden
+sein und dies dann wieder auf den Bau der italischen Goetterhaeuser
+zurueckgewirkt haben. Die architektonische Entwicklung des Hauses
+aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner und selbst der
+Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der guten
+alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung,
+sondern nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon
+begonnen hatte, das Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem
+Muster des menschlichen Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und
+dem Geist ein Grabgemach zu errichten. Dass man in Latium zu solchen
+Luxusbauten erst unter etruskischem Einfluss vorschritt, beweist die
+Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des aeltesten Hausbaustils als
+tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser Uebertragung anlangt, so ahmt
+der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen Umrisse des Zeltes oder
+des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern gebaut und
+mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten
+Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der
+Notwendigkeit und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb
+der scharfe griechische Gegensatz zwischen der von Holz
+hergerichteten Menschen- und der steinernen Goetterwohnung fremd; die
+Eigentuemlichkeiten des tuscanischen Tempels: der mehr dem Quadrat
+sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die groessere Weite
+der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die gesteigerte
+Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber die
+tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des
+Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues
+hervor. --------------------------------------------------------- ^9
+Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils
+aus einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier
+Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am
+Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore
+die natuerliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach
+aussen durch eine aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen
+Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen
+Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog sich vor dem
+Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die
+Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind
+in neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen.
+Die Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen,
+durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, waehrend
+die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und
+ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den
+Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.
+Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des
+Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament
+gewaltiger Tuffbloecke von drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf
+welchem dann aus Bloecken von demselben Material und derselben Groesse,
+wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Aussenmauer sich erhob.
+Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der oberen Flaeche eine
+Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem. Fuss, die
+ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine Breite
+bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke
+aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind,
+sind erst bei spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen. Den
+Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am
+Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des
+Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom
+im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer
+Ueberreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind.
+^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum.
+----------------------------------------------------- Die bildenden und
+zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das Haus muss erst
+gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu schmuecken. Es ist
+nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon waehrend der
+roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien,
+wo Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird die
+Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss
+gefasst haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat,
+stand, wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe
+und es moegen wohl die Etrusker in nicht viel spaeterer Zeit von den
+Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige
+war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von etruskischer
+Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermuenzen von Populonia,
+fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden
+Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen von den
+etruskischen Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch
+stellten, die besten eben dieser Urzeit angehoert haben, und auch die
+etruskischen Terrakotten koennen nicht ganz gering gewesen sein, da die
+aeltesten in den roemischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter
+Erde, die Bildsaeule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf
+seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und die grossen derartigen
+Aufsaetze auf den Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern
+als "tuscanische Werke" gingen. Dagegen war bei den Italikern, nicht
+bloss bei den sabellischen Staemmen, sondern selbst bei den Latinern,
+das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen.
+Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu
+sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht;
+dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene
+Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in
+Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das
+Bild der Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin,
+welches als das aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem
+massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea
+oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter Zeit in Rom
+vorhandenen Zuenfte der Toepfer, Kupfer- und Goldschmiede, welche das
+Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst beweisen; von
+ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich, eine konkrete
+Vorstellung zu gewinnen. Versuchen wir aus den Archiven aeltester
+Kunstueberlieferung und Kunstuebung geschichtliche Resultate zu
+gewinnen, so ist zunaechst offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie
+italisches Mass und italische Schrift nicht unter phoenikischem, sondern
+ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich entwickelt hat. Es ist
+nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in
+der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und
+insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten
+Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt
+auf die drei griechischen Kuenstler: den "Bildner", "Ordner" und
+"Zeichner", Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als
+zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und zunaechst
+nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer
+Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbstaendig
+entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der
+urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten,
+so sind doch auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit
+nachgeschnitten worden, wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter
+griechischer Inschrift sich in Aegina gefunden hat, und koennen also
+den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von
+dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen.
+-------------------------------------------------------- ^11 Wenn Varro
+(bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die Roemer mehr als
+170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er offenbar
+an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen Chronologie
+zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne Zweifel
+das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro
+vorliegenden Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230.
+------------------------------------------------------ Auf die weitere
+Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die Kunstmuster
+zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort
+nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der
+etruskischen und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen,
+die in Etrurien wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in
+sehr beschraenkter Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei,
+die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf
+griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet worden.
+Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch dem
+ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem um
+die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines
+besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische
+Stil dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element
+durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage
+unter allen griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium
+mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen
+Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst
+versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch fuer die
+Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit angenommen
+werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen wie im Alphabet
+so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und
+die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis
+widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die
+aeltere etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen
+Staemmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische
+Bau- und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der
+westlicheren italischen Staemme nahegetreten. Wenn aber endlich ueber
+die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen ein Urteil
+gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in
+den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher
+hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind
+und massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter
+den latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit
+nicht minder wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich
+dies allerdings fuer jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso
+zweckmaessige wie schoene polygone Mauerbau ist in Latium und dem
+dahinterliegenden Binnenland haeufig, in Etrurien selten und nicht
+einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken geschichtet. Selbst
+in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen Hervorhebung
+des Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge
+der spaeteren roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen
+zu erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau
+wiederholt, aber auch verdorben, indem sie die fuer den Steinbau
+festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf den Holzbau
+uebertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten
+Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu
+reden, "ein breites, niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen"
+gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen
+Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial
+gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich
+angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht
+ihre Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein
+merkwuerdiges Zeugnis handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig
+festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein
+Zeugnis auch nur genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben
+mag, so gut wie man laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus
+der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschliessen
+muessen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der
+ersten in die letzte Stelle zu versetzen.
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg Etext of Rmische Geschichte Book 1 by
+Theodor Mommsen
+
+