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+The Project Gutenberg EBook of Fabeln und Erzaehlungen
+by Christian Fuerchtegott Gellert
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+Title: Fabeln und Erzaehlungen
+
+Author: Christian Fuerchtegott Gellert
+
+Release Date: November, 2005 [EBook #9335]
+[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
+[This file was first posted on September 24, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
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+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FABELN UND ERZAEHLUNGEN ***
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+Produced by Delphine Lettau; the book content was graciously
+contributed by the Gutenberg Projekt-DE
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+Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE"
+zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse
+http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar.
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+
+Fabeln und Erzählungen
+
+Christian Fürchtegott Gellert
+
+
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+Inhalt (Alphabetisch sortiert):
+
+Alcest
+Amynt
+Calliste
+Chloris
+Cleant
+Cotill
+Damokles
+Damötas und Phyllis
+Das Füllen
+Das Gespenst
+Das Heupferd, oder der Grashüpfer
+Das Hospital
+Das junge Mädchen
+Das Kartenhaus
+Das Kutschpferd
+Das Land der Hinkenden
+Das neue Ehepaar
+Das Pferd und der Esel
+Das Pferd und die Bremse
+Das Schicksal
+Das Testament
+Das Unglück der Weiber
+Das Vermächtnis
+Der Affe
+Der arme Greis
+Der arme Schiffer
+Der Arme und der Reiche
+Der baronisierte Bürger
+Der Bauer und sein Sohn
+Der beherzte Entschluß
+Der betrübte Witwer
+Der Bettler
+Der Blinde und der Lahme
+Der erhörte Liebhaber
+Der Freier
+Der Freigeist
+Der Fuchs und die Elster
+Der glücklich gewordene Ehemann
+Der glückliche Dichter
+Der Greis
+Der grüne Esel
+Der gute Rat
+Der gütige Besuch
+Der Hund
+Der junge Drescher
+Der junge Gelehrte
+Der junge Prinz
+Der Jüngling
+Der Kandidat
+Der Knabe
+Der Kranke
+Der Kuckuck
+Der Lügner
+Der Maler
+Der Polyhistor
+Der Prozeß
+Der Reisende
+Der Schatz
+Der Selbstmord
+Der sterbende Vater
+Der süße Traum
+Der Tanzbär
+Der Tartarfürst
+Der Tod der Fliege und der Mücke
+Der unsterbliche Autor
+Der Wuchrer
+Der wunderbare Traum
+Der zärtliche Mann
+Der Zeisig
+Die Bauern und der Amtmann
+Die beiden Hunde
+Die beiden Knaben
+Die beiden Mädchen
+Die beiden Schwalben
+Die beiden Wächter
+Die Betschwester
+Die Biene und die Henne
+Die Ente
+Die Fliege
+Die Frau und der Geist
+Die Geschichte von dem Hute
+Die glückliche Ehe
+Die Guttat
+Die junge Ente
+Die kranke Frau
+Die Mißgeburt
+Die Nachtigall und der Kuckuck
+Die Nachtigall und die Lerche
+Die Reise
+Die schlauen Mädchen
+Die Spinne
+Die Verschwiegenheit
+Die Widersprecherin
+Die zärtliche Frau
+Elpin
+Emil
+Epiktet
+Erast
+Herodes und Herodias
+Inkle und Yariko
+Lisette
+Monime
+Philinde
+Selinde
+Semnon und das Orakel
+Till
+
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+
+
+
+Alcest
+
+Alcest, den mancher Kummer drückte,
+Der, weil er sich nicht zu dem Laster schickte,
+Noch sich vor reichen Toren bückte,
+Bei Fleiß und Kunst sich elend sah,
+Stund neulich traurig auf. Freund, geht dir dies nicht nah,
+Daß viele Kluge darben müssen,
+Bloß weil sie mehr als andre wissen,
+Und, zu Betrug und List zu blind,
+Zu groß zu Prahlerei und Wind,
+Nicht knechtisch gnug zu Schmeichlern sind?
+O Freund, bedaure doch Alcesten,
+Ihn, den itzt schwere Sorgen preßten;
+Ihn, der von einem Buch beschämt zum andern schlich,
+Und doch dem Kummer nicht entwich;
+Ihn, der sich laut durch manchen Trostgrund lehrte,
+Und doch sein Herz viel lauter seufzen hörte;
+Der herzhaft zu sich selber sprach:
+Gott lebt, Gott herrscht und hört dein Ach;
+Er hört, so groß er ist, der jungen Raben Flehen;
+Drum ist er nicht zu groß, auch dir mit beizustehen;
+Und der, indem er dieses sprach,
+Doch noch im Herzen rief: Wie wird dirs künftig gehen?
+
+Der beste Trostgrund blieb noch schwach;
+Denn welch bekümmert Herz besiegt man gleich mit Gründen?
+Es fühlt der starken Gründe Kraft,
+Und flieht zurück in seine Leidenschaft,
+Um jener Macht nicht zu empfinden.
+Alcest beschloß zu seinem Freund zu gehn,
+Den er zween Tage nicht gesehn.
+Er, sprach er, ist es wert, und fing schon an zu gehn,
+Daß ich zu ihm mit meinem Kummer eile,
+Und meinen Kummer mit ihm teile;
+In Damons Arm, wenn Damon mit mir spricht,
+Wird die Geduld, die sonst so schwere Pflicht,
+Mir lange so beschwerlich nicht.
+
+Er eilt mit sehnsuchtsvollem Herzen,
+Wie nach dem Arzt ein Siecher, der sonst schleicht,
+In Hoffnung schneller geht, und hoffend seine Schmerzen
+Nicht fühlt, noch merkt, wie sehr er keucht,
+Bis er des Arztes Haus erreicht.
+
+In diesem brennenden Verlangen,
+Den treuen Damon zu umfangen,
+Tritt er ins Haus und eilt die Treppe schnell hinauf.
+Der Vorsaal wimmelte von Leuten,
+Alcest erschrickt. "Gott! was soll das bedeuten?"
+Er tritt herein; und seht, man bahrt den Damon auf.
+
+Er kehrte von dem toten Freunde
+Nach einem letzten Kuß zurück.
+Die Sorgen, seiner Ruhe Feinde,
+Entwichen in dem Augenblick.
+Was, sprach er, will ich mich denn quälen?
+Kann mich der Tod so bald entseelen,
+Was nützt mir alles Glück der Welt?
+Um froh zu sterben, will ich leben.
+Der Herr, der alles Fleisch erhält,
+Wird mir, soviel ich brauche, geben.
+Ihm wert zu sein, der Tugend nachzustreben,
+Dies sei mein Kummer auf der Welt!
+
+
+
+
+
+Amynt
+
+Amynt, der sich in großer Not befand,
+Und, wenn er nicht die Hütte meiden wollte,
+Die hart verpfändet war, zehn Taler schaffen sollte,
+Bat einen reichen Mann, in dessen Dienst er stand,
+Doch dieses Mal sein Herz vor ihm nicht zu verschließen;
+Und ihm zehn Taler vorzuschießen.
+Der Reiche ging des Armen Bitten ein.
+Denn gleich aufs erste Wort? Ach nein!
+Er ließ ihm Zeit, erst Tränen zu vergießen;
+Er ließ ihn lange trostlos stehn,
+Und oft um Gottes Willen flehn,
+Und zweimal nach der Türe gehn.
+Er warf ihm erst mit manchem harten Fluche
+Die Armut vor, und schlug hierauf
+Ihm in dem dicken Rechnungsbuche
+Die Menge böser Schuldner auf,
+Und fuhr ihn, denn dafür war er ein reicher Mann,
+Bei jeder Post gebietrisch schnaubend an.
+Dann fing er an sich zu entschließen,
+Dem redlichen Amynt, der ihm die Handschrift gab,
+Auf sechs Prozent zehn Taler vorzuschießen,
+Und dies Prozent zog er gleich ab.
+Indem daß noch der Reiche zählte:
+So trat sein Handwerksmann herein
+Und bat, weils ihm an Gelde fehlte,
+Er sollte doch so gütig sein
+Und ihm den kleinen Rest bezahlen.
+"Ihr kriegt itzt nichts!" fuhr ihn der Schuldherr an;
+Allein der arme Handwerksmann
+Bat ihn zu wiederholten Malen,
+Ihm die paar Taler auszuzahlen.
+Der Reiche, dem der Mann zu lange stehenblieb,
+Fuhr endlich auf: "Geht fort, Ihr Schelm, Ihr Dieb!"
+"Ein Schelm? Dies wäre mir nicht lieb.
+Ich werde gehn und Sie verklagen;
+Amynt dort hats gehört."--Und eilends ging der Mann.
+
+"Amynt!" fing drauf der Wuchrer an,
+"Wenn sie Euch vor Gerichte fragen:
+So könnt Ihr ja mir zu Gefallen sagen,
+Ihr hättet nichts gehört. Ich will auch dankbar sein;
+Und Euch, statt zehn, gleich zwanzig Taler leihn.
+Denn diesen Schimpf, den er von mir erlitten,
+Ihm auf dem Rathaus abzubitten,
+Dies würde mir ein ewger Vorwurf sein.
+Kurz, wollet Ihr mich nicht, als ein Zeuge, kränken:
+So will ich Euch die zwanzig Taler schenken:
+So kommt Ihr gleich aus aller Eurer Not."
+
+"Herr", sprach Amynt, "ich habe seit zween Tagen
+Für meine Kinder nicht satt Brot.
+Sie werden über Hunger klagen,
+Sobald sie mich nur wiedersehn.
+Es wird mir an die Seele gehn.
+Die Schuldner werden mich aus meiner Hütte jagen;
+Allein ich wills mit Gott ertragen.
+Streicht Euer Geld, das Ihr mir bietet, ein,
+Und lernt von mir die Pflicht, gewissenhaft zu sein."
+
+
+
+
+
+Calliste
+
+O Leser! stelle dir mit zärtlichem Gemüte
+Einmal die größte Schönheit vor,
+Auf deren Stirn der Frühling lächelnd blühte,
+Um deren Herz sich längst ein edelmütig Chor
+Entzückter Jünglinge bemühte,
+Die stell itzt deinem Geiste dar,
+Und fühl es recht, wie schön sie war.
+Die, deren Schicksal ich erzähle,
+Calliste, groß durch ihren Stand,
+Und edler noch durch ihre Seele,
+Ließ, weil sie sich nicht wohl befand,
+Und weil der Doktor ihr den Aderlaß befohlen,
+Des Königs ersten Wundarzt holen.
+
+Er, dieser so berühmte Mann,
+Der schmachtend ingeheim Callistens Reiz verehrte,
+Weil ihm ihr hoher Stand ein größer Glück verwehrte,
+Nahm die Gelegenheit mit tausend Freuden an.
+Er kam. O wär er nie gekommen!
+Er nimmt den weißen Arm, und streift ihn ängstlich auf,
+Und forscht, von Lieb und Ahndung eingenommen,
+Mit Zittern nach der Adern Lauf,
+Und streift in trunkner Angst den Arm noch vielmal auf.
+
+Callistens Freundin sieht ihn zagen,
+Und sagts ihr (heimlich sagt sies ihr).
+"O", spricht sie: "Lassen Sie den Herrn nur ruhig schlagen,
+Und schlüg er zweimal fehl: so werd ich doch nichts sagen,
+Ich weiß, er meint es gut mit mir."
+Der Arzt sprach noch: "Das wollen wir nicht hoffen!"
+Und schlug, und rief: "O unglückselger Schlag!
+Ich habe ja den Puls getroffen!"
+Und taumelte, bis er daniederlag.
+
+Sie, noch für den besorgt (kann man was Edlers denken?),
+Der so gefährlich sie verletzt,
+Verbot ihm oft, sich nicht um sie zu kränken,
+Und blieb zween Tage lang bei allem Schmerz gesetzt.
+Doch dies war nur geringes Leiden.
+Die Ärzte sahn nunmehr die tödliche Gefahr,
+Und wurden grausam eins, den Arm ihr abzuschneiden,
+Weil sonsten keine Rettung war.
+Und ohne sich darüber zu beklagen,
+Reicht sie den Arm, den schönen Arm, schon dar,
+Und bittet nur, den ja um Rat zu fragen,
+Der schuld an diesem Unglück war.
+
+So ward der Schönen denn das Leben
+Für den Verlust des Arms gegeben?
+So war das Leben denn für so viel Schmerz der Lohn?
+Sieh nur den Doktor an, sein Schrecken sagt dirs schon.
+Er sieht den Brand, und spricht mit bangem Ton:
+"Sie können länger nicht, als noch drei Tage leben!"
+
+O Gott, wie kurz ist diese Frist!
+Ihr Ärzte, helft ihr doch, wenn ihr zu helfen ist!
+
+Auch hier blieb noch das große Herz gelassen.
+"So", sprach sie, "sterb ich denn? Wohlan! Er ist nicht schuld,
+Er würde gern für mich erblassen.
+Gott hats verhängt; Gott ehr ich durch Geduld,
+Und bin bereit, den Augenblick zu sterben"
+(Der Wundarzt trat indem herein);
+"Sie aber", fuhr sie fort, "setz ich hiemit zum Erben
+Von allen meinen Gütern ein,
+Sie möchten sonst unglücklich sein."
+Sie sprachs, und schlief großmütig ein.
+
+
+
+
+
+Chloris
+
+Aus Eifersucht des Lebens satt,
+Warf Chloris sich betrübt auf ihre Lagerstatt;
+Und ihren Buhler recht zu kränken,
+Der einen Blick nach Sylvien getan,
+Rief sie die Venus brünstig an,
+Ihr einen leichten Tod zu schenken.
+Vielleicht war dies Gebet so eifrig nicht gemeint.
+Verliebt und jung zu sein, und um den Tod zu flehen,
+Wem dies nicht widersprechend scheint,
+Der muß die Liebe schlecht verstehen.
+
+Doch mitten in der größten Pein
+Sieht Chloris ihren Freund geputzt ins Zimmer treten,
+Und plötzlich hört sie auf zu beten,
+Und wünscht nicht mehr entseelt zu sein.
+Er sagt ihr tausend Schmeicheleien,
+Er seufzt, er fleht, er schwört, er küßt.
+O Chloris! laß dichs nicht gereuen,
+Daß du noch nicht gestorben bist;
+Dein Damon schwört, dich ewig treu zu lieben,
+Wie könntest du ihn doch durch deinen Tod betrüben!
+
+Der meisten Schönen Zorn gleicht ihrer Zärtlichkeit,
+Sie dauern beide kurze Zeit:
+Und Chloris ließ sich bald versöhnt von dem umfangen,
+Den sie vor kurzem noch des Hasses würdig fand.
+Sie klopft ihn auf die braunen Wangen,
+Und streichelt ihn mit buhlerischer Hand.
+
+Doch schnell erstarren ihre Hände.
+Wie, Venus! Nähert sich ihr Ende?
+Sie fällt in sanfter Ohnmacht hin;
+Ein kleiner Schnabel wird aus ihrem kleinen Kinn;
+Zu Flügeln werden ihre Hände;
+Ihr Busen wird mit einem Kropf verbaut;
+Und Federn überziehn die Haut.
+Ists möglich, daß ich dieses glaube?
+Ja! Chloris wird zu einer Taube.
+
+Wie zittert ihr Geliebter nicht!
+Hier sieht er seine Schöne fliegen.
+Sie fliegt ihm dreimal ums Gesicht,
+Als wollte sie sich noch durch einen Kuß vergnügen.
+Worzu sie sonst die Neigung angetrieben,
+Das scheint sie auch, als Taube, noch zu lieben.
+
+Das Putzen war ihr Zeitvertreib.
+O seht, wie putzt sie ihren Leib!
+Sie rupft die Federn aus, um sich recht glatt zu machen;
+Sie fliegt ans Waschfaß hin, tut, was sie sonst getan;
+Fängt Hals und Brust zu baden an.
+Wie schön hör ich die Taube lachen!
+Fragt nicht, was sie zu lachen macht!
+Sie hat, als Chloris, schon oft über nichts gelacht.
+
+Itzt naht sie sich dem großen Spiegel,
+Vor dem sie manchen Tag in Mienen sich geübt,
+Besieht den weißen Hals, bewundert ihre Flügel,
+Und fängt schon an, in sich verliebt,
+Mit jüngferlichem Stolz sich kostbar zu gebärden.
+Ach Götter! ruft ihr Freund betrübt,
+Laßt diese Taube doch zur Chloris wieder werden.
+
+Umsonst, spricht Venus, ist dein Flehn;
+Zur Taube schicket sie sich schön,
+Und niemals werd ich ihr die Menschheit wiedergeben.
+Sie hat geseufzt, gebuhlt, gelacht,
+Sich stets geputzt, und nie gedacht;
+Als Taube kann sie recht nach ihrer Neigung leben.
+
+O wenn sich nur die Göttin nicht entschließt,
+Die Schönen alle zu verwandeln,
+Die ebenso, wie Chloris, handeln!
+Man sagt, daß sie es willens ist.
+Ach, Göttin, ach! wie zahlreich wird auf Erden
+Alsdann das Volk der Tauben werden!
+Mit einer Frau wird man zu Bette gehn,
+Und früh auf seiner Brust ein Täubchen sitzen sehn.
+Mich dauert im voraus manch reizendes Gesicht.
+O liebe Venus, tu es nicht!
+
+
+
+
+
+Cleant
+
+Cleant, ein lieber Advokat,
+Der, wie es ihm nach seinem Eid gebührte,
+Der Unterdrückten Sache führte,
+Und manchen armen Schelm vom Galgen und vom Rad
+Durch seinen Witz losprozessierte,
+Half, weil man ihn um seinen Beistand bat,
+Die Unschuld zweener Diebe retten,
+Und brachte sie, weil er geschickt verfuhr,
+Bald von der Marter zu dem Schwur,
+Und durch den Schwur aus ihren Ketten.
+Das arme Volk! Da sieht mans nun,
+Wie man der Welt kann Unrecht tun!
+Denn wär er nicht so treu die Sache durchgegangen:
+So hätte man das arme Paar,
+Das seiner Tat fast überwiesen war,
+In aller Unschuld aufgehangen.
+Itzt waren sie nun beide frei,
+Und dankten ihrem Advokaten
+Auf ihren Knien für seine Treu,
+Und zahlten ihm, was die Gebühren taten,
+Und gaben ihm, von Dankbarkeit gerührt,
+Ob er gleich nicht zu wenig liquidiert,
+Noch einen Beutel mit Dukaten;
+Und schwuren ihm bei ihrer Ehrlichkeit,
+Wenn beßre Zeiten kommen sollten,
+Daß sie für diesen Dienst, durch den er sie befreit,
+Ihn reichlicher belohnen wollten.
+
+Allein die Nacht war vor der Tür.
+Sie sahn nun, daß sie nicht nach Hause kommen könnten;
+Drum gab der Advokat den redlichen Klienten
+Aus Dankbarkeit ein Nachtquartier,
+Weil sie so gut bezahlet hatten.
+Dies kam den Herren gut zustatten;
+Denn sie bedienten sich der Nacht,
+Und knebelten den lieben Wirt im Bette,
+Und stahlen das, was sie gebracht,
+Und suchten fleißig nach, ob er nichts weiter hätte.
+Drauf gingen sie zu ihm vors Bette,
+Und nahmen höflich gute Nacht.
+
+
+
+
+
+Cotill
+
+Cotill, der, wie es vielen geht,
+Nicht wußte, was er machen sollte,
+Und doch nicht müßig bleiben wollte;
+Denn müßig gehn, wenn mans nicht recht versteht,
+Ist schwerer, als man denken sollte;
+Cotill ging also vor die Stadt,
+Und machte sich etwas zu schaffen.
+Er ging, und schlug im Gehen oft ein Rad.
+"O", schrie man, "seht den jungen Laffen,
+Der den Verstand verloren hat!
+Er macht die Hände gar zu Füßen.
+Ihr Kinder, zischt den Narren aus!"
+Allein Cotill ließ sich dies alles nicht verdrüßen.
+Kurz, es gefiel ihm so, er ging vors Tor hinaus.
+Man mochte, was man wollte, sagen,
+Er fuhr doch fort, im Gehn sein Rad zu schlagen.
+"Der Teufel! Seht, das war ein rechtes Rad!"
+Fing endlich einer an zu fluchen.
+"Ich möcht es doch bald selbst versuchen."
+Er sagt es kaum, als ers schon tat.
+"Nun", sprach er, "seh ich wohl, wieviel man Vorteil hat.
+Es ist ganz hübsch um so ein Rad,
+Denn man erspart sich viele Schritte.
+Der Mann ist nicht so dumm, der es erfunden hat."
+Den Tag darauf kam schon der dritte,
+Und tat es nach. Die Zahl vermehrte sich.
+In kurzem sprach man schon gelinder;
+Man fragte stark nach dem Erfinder,
+Und lobt ihn endlich öffentlich.
+
+----
+
+Nimm alles vor, es sei so toll es will.
+Heiß anfangs närrisch wie Cotill;
+Dein Beifall ist drum nicht verloren.
+Sei nur beherzt, und spare keinen Fleiß,
+Ein Tor findt allemal noch einen größern Toren,
+Der seinen Wert zu schätzen weiß.
+
+
+
+
+Damokles
+
+Gaubt nicht, daß bei dem größten Glücke
+Ein Wütrich jemals glücklich ist.
+Er zittert in dem Augenblicke,
+Da er der Hoheit Frucht genießt.
+Bei aller Herrlichkeit stört ihn des Todes Schrecken,
+Und läßt ihn nichts, als teures Elend, schmecken.
+
+----
+
+Als den Tyrannen Dionys
+Ein Schmeichler einstens glücklich pries,
+Und aus dem Glanz der äußerlichen Ehre,
+Aus reichem Überfluß an Volk und Gold erwies,
+Daß sein Tyrann unendlich glücklich wäre;
+Als dies Damokles einst getan;
+Fing Dionys zu diesem Schmeichler an:
+"So sehr mein Glück dich eingenommen,
+So kennst du es doch unvollkommen;
+Doch schmecktest du es selbst, wie würde dichs erfreun!
+Willst du einmal an meiner Stelle sein?"
+"Von Herzen gern!" fällt ihm Damokles ein.
+Ein goldner Stuhl wird schnell für ihn herbeigebracht.
+Er sitzt, und sieht auf beiden Seiten
+Der Hohen größte Herrlichkeiten,
+Die Stolz und Wollust ausgedacht.
+Von Purpur prangen alle Wände,
+Gold schmückt die Tafel aus, im Golde perlt der Wein.
+Ein Wink! so eilen zwanzig Hände,
+Des hohen Winkes wert zu sein.
+Ein Wort! so fliegt die Menge schöner Knaben,
+Und sucht den Ruhm, dies Wort vollstreckt zu haben.
+
+Von Wollust süß berauscht, von Herrlichkeit entzückt,
+Schätzt sich Damokles für beglückt.
+"O Hoheit!" ruft er aus, "könnt ich dich ewig schmecken!"
+Doch ach! was nimmt er plötzlich wahr?
+Ein scharfes Schwert an einem Pferdehaar,
+Das an der Decke hängt, erfüllt sein Herz mit Schrecken;
+Er sieht die drohende Gefahr
+Nah über seinem Haupte schweben.
+Der Glückliche fängt an zu beben;
+Er sieht nicht mehr auf seines Zimmers Pracht,
+Nicht auf den Wein, der aus dem Golde lacht;
+Er langt nicht mehr nach den schmackhaften Speisen,
+Er hört nicht mehr der Sänger sanfte Weisen.
+"Ach!" fängt er zitternd an zu schrein,
+"Laß mich, o Dionys, nicht länger glücklich sein!"
+
+
+
+
+
+Damötas und Phyllis
+
+Damötas war schon lange Zeit
+Der jungen Phyllis nachgegangen;
+Noch konnte seine Zärtlichkeit
+Nicht einen Kuß von ihr erlangen.
+Er bat, er gab sich alle Müh;
+Doch seine Spröde hört ihn nie.
+Er sprach: "Zwei Bänder geb ich dir.
+Auch soll kein Warten mich verdrüßen,
+Versprich nur, schöne Phyllis, mir,
+Mich diesen Sommer noch zu küssen."
+Sie sieht sie an, er hofft sein Glück,
+Sie lobt sie, und gibt sie zurück.
+
+Er bot ein Lamm, noch zwei darauf,
+Dann zehn, dann alle seine Herden.
+So viel? Dies ist ein teurer Kauf.
+Nun wird sie doch gewonnen werden.
+Doch nichts nahm unsre Phyllis ein;
+Mit finstrer Stirne sprach sie: "Nein!"
+
+"Wie?" rief Damötas ganz erhitzt,
+"So willst du ewig widerstreben?
+Gut, ich verbiete dir anitzt,
+Mir jemals einen Kuß zu geben."
+"O!" rief sie, "fürchte nichts von mir,
+Ich bin dir ewig gut dafür."
+
+Die Spröde lacht; der Schäfer geht,
+Schleicht ungeküßt zu seinen Schafen.
+Am andern Morgen war Damöt
+Bei seinen Herden eingeschlafen;
+Er schlief, und im Vorübergehn
+Blieb Phyllis bei dem Schäfer stehn.
+
+Wie rot, spricht Phyllis, ist sein Mund!
+Bald dürft ich mich zu was entschließen.
+O täte nicht sein böser Hund,
+Ich müßte diesen Schäfer küssen.
+Sie geht, doch da sie gehen will,
+So steht sie vor Verlangen still.
+
+Sie sieht sich dreimal schüchtern um,
+Und sucht die Zeugen, die sie scheute;
+Sie macht den Hund mit Streicheln stumm,
+Und lockt ihn freundlich auf die Seite;
+Sie sinnt, bis daß sie, ganz verzagt,
+Sich noch zween Schritte näher wagt.
+
+Hier steht nunmehr das gute Kind;
+Allein sie kann sich nicht entschließen;
+Doch nein, itzt bückt sie sich geschwind,
+Und wagts, Damöten sanft zu küssen.
+Sie gibt ihm drauf noch einen Blick,
+Und kehrt nach ihrer Flur zurück.
+
+Wie süße muß ein Kuß nicht sein!
+Denn Phyllis kömmt noch einmal wieder,
+Scheint minder sich, als erst, zu scheun,
+Und läßt sich bei dem Schäfer nieder;
+Sie küßt, und nimmt sich nicht in acht;
+Sie küßt ihn, und Damöt erwacht.
+
+"O!" fing Damöt halb schlafend an,
+"Mißgönnst du mir die sanfte Stunde?"
+"Dir", sprach sie, "hab ich nichts getan,
+Ich spielte nur mit deinem Hunde;
+Und überhaupt, es steht nicht fein,
+Ein Schäfer und stets schläfrig sein.
+
+Jedoch, was gibst du mir, Damöt?
+So sollst du mich zum Scherze küssen."
+"Nun", sprach der Schäfer, "ists zu spät,
+Du wirst an mich bezahlen müssen."
+Drauf gab die gute Schäferin
+Um einen Kuß zehn Küsse hin.
+
+
+
+
+
+Das Füllen
+
+Ein Füllen, das die schwere Bürde
+Des stolzen Reuters nie gefühlt,
+Den blanken Zaum für eine Würde
+Der zugerittnen Pferde hielt;
+Dies Füllen lief nach allen Pferden,
+Worauf es einen Mann erblickt,
+Und wünschte, bald ein Roß zu werden,
+Das Sattel, Zaum und Reuter schmückt.
+Wie selten kennt die Ehrbegierde
+Das Glück, das sie zu wünschen pflegt!
+Das Reutzeug, die gewünschte Zierde,
+Wird diesem Füllen aufgelegt.
+Man führt es streichelnd hin und wider,
+Daß es den Zwang gewohnen soll;
+Stolz geht das Füllen auf und nieder,
+Und stolz gefällt sichs selber wohl.
+
+Es kam mit prächtigen Gebärden
+Zurück in den verlaßnen Stand,
+Und machte wiehernd allen Pferden
+Sein neu erhaltnes Glück bekannt.
+Ach! sprach es zu dem nächsten Gaule,
+Mich lobten alle, die mich sahn;
+Ein roter Zaum lief aus dem Maule
+Die schwarzen Mähnen stolz hinan.
+
+Allein wie gings am andern Tage?
+Das Füllen kam betrübt zurück,
+Und schwitzend sprach es: Welche Plage
+Ist nicht mein eingebildet Glück!
+Zwar dient der Zaum mich auszuputzen;
+Doch darum ward er nicht gemacht.
+Er ist zu meines Reuters Nutzen
+Und meiner Sklaverei erdacht.
+
+----
+
+Was wünscht man sich bei jungen Tagen?
+Ein Glück, das in die Augen fällt;
+Das Glück, ein prächtig Amt zu tragen,
+Das keiner doch zu spät erhält.
+Man eilt vergnügt, es zu erreichen,
+Und, seiner Freiheit ungetreu,
+Eilt man nach stolzen Ehrenzeichen,
+Und desto tiefrer Sklaverei.
+
+
+
+
+Das Gespenst
+
+Ein Hauswirt, wie man mir erzählt,
+Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält.
+Er ließ, des Geists sich zu erwehren,
+Sich heimlich das Verbannen lehren;
+Doch kraftlos blieb der Zauberspruch.
+Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren,
+Und gab, in einem weißen Tuch,
+Ihm alle Nächte den Besuch.
+Ein Dichter zog in dieses Haus.
+Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen,
+Bat sich des Dichters Zuspruch aus,
+Und ließ sich seine Verse lesen.
+Der Dichter las ein frostig Trauerspiel,
+Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel.
+
+Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah,
+Erschien, und hörte zu; es fing ihn an zu schauern;
+Er konnt es länger nicht, als einen Auftritt, dauern:
+Denn, eh der andre kam, so war er nicht mehr da.
+Der Wirt, von Hoffnung eingenommen,
+Ließ gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen.
+Der Dichter las, der Geist erschien;
+Doch ohne lange zu verziehn.
+Gut! sprach der Wirt bei sich, dich will ich bald verjagen;
+Kannst du die Verse nicht vertragen?
+
+Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein.
+Sobald es zwölfe schlug, ließ das Gespenst sich blicken.
+Johann! fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein,
+Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Güte sein,
+Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken.
+Der Geist erschrak, und winkte mit der Hand,
+Der Diener sollte ja nicht gehen.
+Und kurz, der weiße Geist verschwand,
+Und ließ sich niemals wieder sehen.
+
+----
+
+Ein jeder, der dies Wunder liest,
+Zieh sich daraus die gute Lehre,
+Daß kein Gedicht so elend ist,
+Daß nicht zu etwas nützlich wäre.
+Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut!
+So kann uns dies zum großen Troste dienen.
+Gesetzt, daß sie zu unsrer Zeit
+Auch legionenweis erschienen:
+So wird, um sich von allen zu befrein,
+An Versen doch kein Mangel sein.
+
+
+
+
+Das Heupferd, oder der Grashüpfer
+
+Ein Wagen Heu, den Veltens Hand
+Zu hoch gebäumt, und schlecht bespannt,
+Konnt endlich von den matten Pferden
+Nicht weiter fortgezogen werden.
+Des Fuhrmanns Macht- und Sittenspruch,
+Ein zehnmals wiederholter Fluch,
+War eben, wie der Peitsche Schlagen,
+Zu schwach bei diesem schweren Wagen.
+
+Ein Heupferd, das bei der Gefahr
+Zuoberst auf dem Wiesbaum war,
+Sprang drauf herab, und sprach mit Lachen:
+"Ich wills dem Viehe leichter machen."
+
+Drauf ward der Wagen fortgerückt.
+"Ei", rief das Heupferd ganz entzückt,
+"Du, Fuhrmann, wirst an mich gedenken;
+Fahr fort! den Dank will ich dir schenken."
+
+
+
+
+
+
+Das Hospital
+
+Elmire war zur Witwe worden,
+Und nahm sich vor, nicht mehr zu frein.
+Allein sie war noch jung; was macht man ganz allein?
+Ich dächte doch, sie könnte wieder frein.
+Der Witwenstand ist ein betrübter Orden.
+Elmire sahs und schritt zur zweiten Wahl.
+Allein sie war das erste Mal
+Nicht gar zu wohl verwahret worden.
+Denn leider sind die Zeiten so betrübt,
+Daß es viel böse Männer gibt.
+Elmire tat daher ein feierlich Gelübd,
+Indem sie sich zur zweiten Ehe schickte:
+Sie wollte, wenn es ihr mit ihrem Manne glückte,
+Ein Hospital für fromme Männer baun;
+Denn sie war reich. Und kurz, sie ließ sich wieder traun.
+O welche Lust erfolgt oft nach dem Leide!
+Das war ein Mann, ein allerliebster Mann!
+Fromm wie ein Kind, gefällig wie die Freude,
+Und der auf nichts, als ihr Vergnügen sann.
+Wie hätte sie sich ihn denn besser wünschen mögen?
+
+Sie ließ geschwind den Grund zum Hospitale legen.
+Vier Wochen strichen hin. Nun war der Grund gelegt.
+Und bald wird man das erste Stockwerk sehen;
+Doch nein, Elmire kömmt, und heißt, vom Zorn bewegt,
+Die Mäurer auseinandergehen.
+Wie! Sollt es nicht mehr gut in ihrer Ehe stehen?
+Das kann nicht möglich sein, sie sind ja kaum getraut.
+Nun kurz und gut, es ward nicht fortgebaut.
+Und ungefähr nach einem halben Jahre
+Lag dieser Mann auch auf der Bahre.
+Der liebe Mann!
+
+Die Frau schwört Stein und Bein,
+Ihr lebelang nicht mehr zu frein;
+Und doch war sie nach zweiundfunfzig Wochen
+(Der Bau muß ja vollendet sein!)
+Bereits das dritte Mal versprochen.
+
+O, das war erst ein würdiger Gemahl!
+Verständig, zärtlich und verbindlich,
+Nicht eigensinnig, nicht empfindlich;
+Er bat da nur, wo jener mild befahl;
+Die Blicke seiner Frau erfüllt er als Befehle.
+Kurz, beide waren recht ein Herz und eine Seele.
+
+Die gute Frau! Ich gönn ihr diesen Mann.
+Allein sie wollte doch nicht trauen.
+Sie fing nicht gleich, wie ehmals, an zu bauen.
+Ich lobe sie darum, und hätt es selbst getan.
+Der Henker mag den Männern trauen,
+Wenn man so leicht zweimal sich irren kann.
+
+Sie fand nunmehr nach einem halben Jahre
+Den Gatten noch so liebenswert,
+Als an dem Tag, da er, gefragt vor dem Altare,
+Ihr durch ein seufzend Ja sein zärtlich Herz erklärt.
+
+Der Bau wird fortgesetzt. Ich seh Elmiren kommen.
+Wie freundlich sieht sie diesmal aus!
+"Ach Meister, fördert doch das Haus!
+Warum habt Ihrs denn angenommen?
+Ich geb Euch ja das Geld voraus.
+Laßt doch noch mehr Gesellen kommen!"
+
+Ei, das geht gut! Ich kann mich nicht genug erfreun.
+Das muß ein rechter Ehmann sein!
+
+Die Mäurer fördern sich, und binnen vierzehn Tagen
+Sieht man das erste Stockwerk stehn.
+Und nun läßt sich Elmire wieder sehn.
+Man siehts ihr an, sie hat etwas zu sagen,
+Vielleicht sah sie die Mäurer müßig stehn;
+Denn leider pflegts so herzugehn.
+Vielleicht hat man am Bau etwas versehn?
+Das sollte mich doch selbst verdrüßen.
+Itzt öffnet sie den Mund. Nun wird sichs zeigen müssen.
+"Ach", fängt sie heftig an zu schrein:
+"Hört auf, und reißt den Plunder ein!
+Ich lasse keinen Stein mehr tragen.
+Wofür verbaut ich denn mein Geld?
+Für Männer, die die Weiber plagen?
+Denn andre gibts nicht auf der Welt."
+
+Die böse Frau! Man sollte sie verklagen.
+
+
+
+
+
+Das junge Mädchen
+
+Ein junger Mensch sprach einen wackern Mann
+Durch einen guten Freund um seine Tochter an.
+Der Alte, der sein Kind noch nicht versprechen wollte,
+War dennoch ungemein erfreut,
+Und bat den Freund mit vieler Höflichkeit,
+Daß er bei ihm zu Tische bleiben sollte.
+Die Tochter, ob sich gleich der Vater sehr verstellt,
+Errät die Sache bald. Was? fängt sie an zu schließen,
+Ein fremder Herr, den man zu Tische gleich behält,
+Was bringt doch der? Ich solls nicht wissen;
+Allein umsonst bückt er sich nicht so tief vor mir.
+Ist auch der gute Freund wohl meinetwegen hier?
+
+Der Fremde hofft, es soll ihm noch gelingen,
+Und wagt es bei dem Glase Wein,
+Das Wort für seinen Freund noch einmal anzubringen.
+"Mein Herr!" fiel ihm der Vater ein,
+"O denken Sie doch nicht, daß ich zu hart verfahre:
+Mein Kind kann wirklich noch nicht frein,
+Sie ist zu jung, sie ist erst vierzehn Jahre."
+
+Indem er dies noch sprach, trat Fickchen selbst herein,
+Und trug ein Essen auf. "Was?" fing sie an zu schrein,
+"Was sagten Sie, Papa? Sie haben sich versprochen.
+Ich sollt erst vierzehn Jahre sein?
+Nein, vierzehn Jahr und sieben Wochen."
+Ließ sie der Vater denn nicht frein?
+Das weiß ich nicht; doch nein, ich wills nur sagen;
+Denn unter denen, die mich fragen,
+Da könnten wohl selbst junge Mädchen sein;
+Die zu beruhigen, will ichs aufrichtig sagen:
+Der Vater schämte sich und ließ die Tochter frein.
+
+
+
+
+
+Das Kartenhaus
+
+Das Kind greift nach den bunten Karten,
+Ein Haus zu bauen, fällt ihm ein.
+Es baut, und kann es kaum erwarten,
+Bis dieses Haus wird fertig sein.
+Nun steht der Bau. O welche Freude!
+Doch ach! ein ungefährer Stoß
+Erschüttert plötzlich das Gebäude,
+Und alle Bänder reißen los.
+
+Die Mutter kann im Lomberspielen,
+Wenn sie den letzten Satz verspielt,
+Kaum so viel banges Schrecken fühlen,
+Als ihr bestürztes Kind itzt fühlt.
+
+Doch wer wird gleich den Mut verlieren?
+Das Kind entschließt sich sehnsuchtsvoll,
+Ein neues Lustschloß aufzuführen,
+Das dem zerstörten gleichen soll.
+
+Die Sehnsucht muß den Schmerz besiegen,
+Das erste Haus steht wieder da.
+Wie lebhaft war des Kinds Vergnügen,
+Als es sein Haus von neuem sah!
+
+Nun will ich mich wohl besser hüten,
+Damit mein Haus nicht mehr zerbricht.
+"Tisch!" ruft das Kind, "laß dir gebieten,
+Und stehe fest, und wackle nicht!"
+
+Das Haus bleibt unerschüttert stehen,
+Das Kind hört auf, sich zu erfreun;
+Es wünscht, es wieder neu zu sehen,
+Und reißt es bald mit Willen ein.
+
+----
+
+Schilt nicht den Unbestand der Güter,
+Du siehst dein eigen Herz nicht ein;
+Veränderlich sind die Gemüter,
+So mußten auch die Dinge sein.
+Bei Gütern, die wir stets genießen,
+Wird das Vergnügen endlich matt;
+Und würden sie uns nicht entrissen,
+Wo fänd ein neu Vergnügen statt?
+
+
+
+
+
+Das Kutschpferd
+
+Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Acker ziehn,
+Und wieherte mit Stolz auf ihn.
+"Wenn", sprach es, und fing an, die Schenkel schön zu heben,
+"Wenn kannst du dir ein solches Ansehn geben?
+Und wenn bewundert dich die Welt?"
+"Schweig", rief der Gaul, "und laß mich ruhig pflügen,
+Denn baute nicht mein Fleiß das Feld,
+Wo würdest du den Haber kriegen,
+Der deiner Schenkel Stolz erhält?"
+
+----
+
+Die ihr die Niedern so verachtet,
+Vornehme Müßiggänger, wißt,
+Daß selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet,
+Daß euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet,
+Auf ihren Fleiß gegründet ist.
+Ist der, der sich und euch durch seine Hand ernährt,
+Nichts Bessers als Verachtung wert?
+Gesetzt, du hättest beßre Sitten:
+So ist der Vorzug doch nicht dein.
+Denn stammtest du aus ihren Hütten:
+So hättest du auch ihre Sitten.
+Und was du bist, und mehr, das würden sie auch sein,
+Wenn sie wie du erzogen wären.
+Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren.
+
+
+
+
+Das Land der Hinkenden
+
+Vorzeiten gabs ein kleines Land,
+Worin man keinen Menschen fand,
+Der nicht gestottert, wenn er redte,
+Nicht, wenn er ging, gehinket hätte;
+Denn beides hielt man für galant.
+Ein Fremder sah den Übelstand;
+Hier, dacht er, wird man dich im Gehn bewundern müssen;
+Und ging einher mit steifen Füßen.
+Er ging, ein jeder sah ihn an,
+Und alle lachten, die ihn sahn,
+Und jeder blieb vor Lachen stehen,
+Und schrie: Lehrt doch den Fremden gehen!
+Der Fremde hielts für seine Pflicht,
+Den Vorwurf von sich abzulehnen.
+Ihr, rief er, hinkt; ich aber nicht;
+Den Gang müßt ihr euch abgewöhnen!
+Der Lärmen wird noch mehr vermehrt,
+Da man den Fremden sprechen hört.
+Er stammelt nicht; genug zur Schande!
+Man spottet sein im ganzen Lande.
+
+----
+
+Gewohnheit macht den Fehler schön,
+Den wir von Jugend auf gesehn.
+Vergebens wirds ein Kluger wagen,
+Und, daß wir töricht sind, uns sagen.
+Wir selber halten ihn dafür,
+Bloß, weil er klüger ist, als wir.
+
+
+
+
+Das neue Ehepaar
+
+Nach so viel bittern Hindernissen,
+Nach so viel ängstlicher Gefahr,
+Als jemals noch ein zärtlich Paar
+Hat dulden und beweinen müssen,
+Ließ endlich doch die Zeit mein Paar das Glück genießen,
+Das, wenns ein Lohn der Tugend ist,
+Sie durch Beständigkeit zehnfach verdienet hatten.
+Sie, die sich, hart bedroht, als Liebende geküßt,
+Die küßten sich nunmehr erlaubt als Ehegatten,
+Nachdem sie neidscher Freunde List
+Und strenger Eltern Zorn liebreich besänftigt hatten.
+Wer war, nach langer Jahre Müh,
+Nun glücklicher als er und sie?
+Denn, was man liebt, geliebt besitzen können;
+In einem treuen Arm sich seines Lebens freun,
+Ist, Menschen, dies kein Glück zu nennen:
+So muß gar keins auf Erden sein.
+Hier wett ich wohl, daß mancher heimlich spricht:
+Der gute Mensch versteht es nicht.
+Denn wär die Lieb ein Glück, was könnte mir denn fehlen,
+Da ein erlesnes Weib in meinen Armen liegt?
+Ist sie nicht reich und schön? Doch bin ich nicht vergnügt,
+Ich glaub es, lieber Freund; allein sich so vermählen,
+Wie viele tun, das heißt nicht lieben, nein.
+Das heißt, mit weit getrennten Seelen
+Ein Leib in einem Hause sein.
+
+Ein unverhofftes Glück begegnet unsern beiden.
+Wie weinen sie vor Zärtlichkeit!
+Der arme Mann soll itzt auf kurze Zeit
+Von seiner teuren Gattin scheiden,
+Weil ihn ein naher Freund in einer fernen Stadt
+Zum Erben eingesetzet hat.
+
+Von heißen Lippen losgerissen,
+Und doch entbrannt, sich länger noch zu küssen,
+Sprach eines, was das andre sprach,
+Dem andern immer stammelnd nach,
+Ein Lebewohl, ein seufzend Ach.
+
+Er stieg nunmehr ins Schiff (wie oft sah er zurücke!),
+Und Doris blieb am Ufer stehn,
+Um ihrem Damon, ihrem Glücke,
+Noch lange schmachtend nachzusehn.
+"O Himmel!" hört ich sie noch an dem Ufer flehn,
+"Bring meinen Mann gesund zurücke!"
+
+Das Schiff bringt ihn an seinen Ort.
+Er schreibt mit jeder Post: "Bald, Doris, werd ich kommen."
+Kaum hat er auch sein Gut noch in Besitz genommen:
+So eilt er schon zu Schiffe wieder fort,
+Und schreibt, damit sie nichts von seiner Ankunft wüßte,
+Daß, wider sein gegebnes Wort,
+Er noch acht Tage warten müßte,
+Eh er sie wiedersah und küßte.
+
+Die junge Frau, die, wenn die Sonn entwich,
+Aus ihrem von der See nicht fernen Hause schlich,
+Und gern am Ufer sich verweilte
+Ging itzund an der Freundin Hand,
+Mit der sie stets ihr Herze teilte,
+An den ihr angenehmen Strand.
+
+Sie redten. Und wovon? Errätst du dies noch nicht,
+Wovon ein treues Weib, die schmachtend wartet, spricht:
+So bist du auch nicht wert, den Inhalt zu erfahren.
+Nein, nein, verschweig es, mein Gedicht,
+Wie zärtlich Doris' Wünsche waren!
+Das Herz wird dem, der liebt, sie selber offenbaren,
+Und für die andern schreib ich nicht.
+
+Indem daß Doris noch mit manchem frohen Ach
+Von ihres Gatten Ankunft redte,
+Und von dem Gastgebote sprach,
+Das sie sich ausgesonnen hätte;
+Indem sie noch von ihrer Erbschaft redte,
+Und, wenn sie den Entwurf von ihrem Glück gemacht,
+Sich oft in dem Entwurfe störte,
+Und den, der sie im Testament bedacht,
+Mit dankerfüllten Tränen ehrte;
+Indem sie zum voraus die Armen speisen ließ,
+Und mütterlich den Waisen sich erwies,
+Der Kranken Herz mit Stärkungen erquickte,
+Und den Gefangnen Hülfe schickte;
+Indem sie dies im Geist von ihrer Erbschaft tat
+Und, in ihr Glück vertieft, ans Ufer näher trat,
+Fing ihre Freundin an: "Was schwimmt dort auf dem Meere?
+Ein Kästchen? Wie? wenns voll Juwelen wäre?
+Ach Doris! wäre das nicht schön?
+Allein ich sag es dir, ich habs zuerst gesehn,
+Und kömmt es an den Strand geschwommen:
+So ist das Glück des Schiffbruchs mein;
+Doch du wirst ja bald niederkommen,
+Und das versteht sich schon, ich muß Gevatter sein,
+Dann bind ich dir drei Schnuren Perlen ein."
+
+Die junge Frau belohnte Scherz mit Scherze.
+"Es nähert sich", fing jene wieder an;
+Doch wie erschraken sie, als sie zu ihrem Schmerze
+Fern einen Leichnam schwimmen sahn.
+"Wer weiß", sprach Doris, welcher schon
+Die Tränen in den Augen stunden,
+"Wer weiß, ist der, der hier sein Grab gefunden,
+Nicht grauer Eltern einzger Sohn?
+Wer weiß, mit welcher trunknen Freude
+Itzt die verlebten Alten beide,
+Ihn zu empfangen, fertig stehn?
+Und sich im Geist erfreun, die Braut ihm anzubieten,
+Die sie für ihn erwählt, und treulich für ihn hüten.
+Gott geb es nicht, daß sie den Anblick sehn.
+Wer weiß, ward nicht durch seinen Tod
+Der treusten Frau ein lieber Mann entrissen,
+Die bald ihr eignes Weh, bald ihrer Kinder Not
+In Armut wird beweinen müssen?
+Wer weiß, wievielmal er betränt,
+Eh er noch starb, das arme Weib erwähnt?
+Doch, Freundin, komm von der betrübten Stelle,
+Damit mein Herz nicht länger zittern darf."
+
+Dies sagte sie sind ging, als eben eine Welle
+Den Toten an das Ufer warf.
+Die Freundin sah ihn an, und schrie mit Ungestüm:
+"Mein Vetter!" und fiel neben ihm.
+
+Auf dies Geschrei kam Doris wieder,
+Der lieben Freundin beizustehn.
+Ach, Doris, ach! was wirst du sehn?
+Sie sieht, und fällt auf ihren Gatten nieder,
+Und stirbt an seiner starren Brust.
+Indes erwacht die Freundin wieder,
+Und zeigt der Nachbarschaft den doppelten Verlust.
+Hier bebte der, den man nie zittern sehn,
+Und dem, der nie geweint, floß Wehmut vom Gesichte,
+Und niemand fragte, was geschehn.
+Der Anblick selbst erzählte die Geschichte.
+
+----
+
+Beweint, ihr mitleidsvollen Seelen,
+Die traurigste Begebenheit
+Elend gewordner Zärtlichkeit,
+Und schmeckt das Glück, um andre sich zu quälen.
+Laßt uns die Unschuld oft im größten Unglück sehn,
+Und leidet mit bei fremden Schmerzen;
+Dies Mitleid heiligt unsre Herzen,
+Und heißt die Menschenlieb in uns ihr Haupt erhöhn.
+Die Tugend bleibt uns noch im Unglück selber schön.
+
+
+
+
+Das Pferd und der Esel
+
+Ein Pferd, dem Geist und Mut recht aus den Augen sahn,
+Ging, stolz auf sich und seinen Mann,
+Und stieß (wie leicht ist nicht ein falscher Schritt getan!)
+Vor großem Feuer einmal an.
+Ein träger Esel sahs und lachte.
+"Wer", sprach er, "würd es mir verzeihn,
+Wenn ich dergleichen Fehler machte?
+Ich geh den ganzen Tag, und stoß an keinen Stein."
+"Schweig", rief das Pferd, "du bist zu meinem Unbedachte,
+Zu meinen Fehlern viel zu klein."
+
+
+
+
+Das Pferd und die Bremse
+
+Ein Gaul, der Schmuck von weißen Pferden,
+Von Schenkeln leicht, schön von Gestalt,
+Und, wie ein Mensch, stolz in Gebärden,
+Trug seinen Herrn durch einen Wald;
+Als mitten in dem stolzen Gange
+Ihm eine Brems entgegenzog,
+Und durstig auf die nasse Stange
+An seinem blanken Zaume flog.
+Sie leckte von dem weißen Schaume,
+Der heficht am Gebisse floß.
+"Geschmeiße!" sprach das wilde Roß,
+"Du scheust dich nicht vor meinem Zaume?
+Wo bleibt die Ehrfurcht gegen mich?
+Wie? Darfst du wohl ein Pferd erbittern?
+Ich schüttle nur: so mußt du zittern."
+Es schüttelte; die Bremse wich.
+Allein sie suchte sich zu rächen;
+Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen,
+Und stach den Schimmel in das Maul.
+Das Pferd erschrak, und blieb vor Schrecken
+In Wurzeln mit dem Eisen stecken.
+Und brach ein Bein; hier lag der stolze Gaul.
+
+----
+
+Auf sich den Haß der Niedern laden,
+Dies stürzet oft den größten Mann.
+Wer dir, als Freund, nicht nützen kann,
+Kann allemal, als Feind, dir schaden.
+
+
+
+
+Das Schicksal
+
+O Mensch! Was strebst du doch, den Ratschluß zu ergründen,
+Nach welchem Gott die Welt regiert?
+Mit endlicher Vernunft willst du die Absicht finden,
+Die der Unendliche bei seiner Schickung führt?
+Du siehst bei Dingen, die geschehen,
+Nie das Vergangne recht, und auch die Folge nicht,
+Und hoffest doch, den Grund zu sehen,
+Warum das, was geschah, geschieht?
+Die Vorsicht ist gerecht in allen ihren Schlüssen.
+Dies siehst du freilich nicht bei allen Fällen ein;
+Doch wolltest du den Grund von jeder Schickung wissen:
+So müßtest du, was Gott ist, sein.
+Begnüge dich, die Absicht zu verehren,
+Die du zu sehn zu blöd am Geiste bist;
+Und laß dich hier ein jüdisch Beispiel lehren,
+Daß das, was Gott verhängt, aus weisen Gründen fließt,
+Und, wenn dirs grausam scheint, gerechtes Schicksal ist.
+
+----
+
+Als Moses einst vor Gott auf einem Berge trat,
+Und ihn von jenem ewgen Rat,
+Der unser Schicksal lenkt, um größre Kenntnis bat:
+So ward ihm ein Befehl, er sollte von den Höhen,
+Worauf er stund, hinab ins Ebne sehen.
+Hier floß ein klarer Quell. Ein reisender Soldat
+Stieg bei dem Quell von seinem Pferde,
+Und trank. Kaum war der Reuter fort.
+So lief ein Knabe von der Herde
+Nach einem Trunk an diesen Ort.
+Er fand den Geldsack bei der Quelle,
+Der jenem hier entfiel, er nahm ihn, und entwich;
+Worauf nach eben dieser Stelle
+Ein Greis gebückt an seinem Stabe schlich.
+Er trank, und setzte sich, um auszuruhen, nieder;
+Sein schweres Haupt sank zitternd in das Gras,
+Bis es im Schlaf des Alters Last vergaß.
+Indessen kam der Reuter wieder,
+Bedrohte diesen Greis mit wildem Ungestüm,
+Und forderte sein Geld von ihm.
+Der Alte schwört, er habe nichts gefunden,
+Der Alte fleht und weint, der Reuter flucht und droht,
+Und sticht zuletzt, mit vielen Wunden,
+Den armen Alten wütend tot.
+Als Moses dieses sah, fiel er betrübt zur Erden;
+Doch eine Stimme rief: "Hier kannst du innewerden,
+Wie in der Welt sich alles billig fügt.
+Denn wiß: Es hat der Greis, der itzt im Blute liegt,
+Des Knabens Vater einst erschlagen,
+Der den verlornen Raub zuvor davongetragen."
+
+
+
+
+
+Das Testament
+
+Philemon, der bei großen Schätzen
+Ein edelmütig Herz besaß,
+Und, andrer Mängel zu ersetzen,
+Den eignen Vorteil gern vergaß:
+Philemon konnte doch dem Neide nicht entgehen,
+So willig er auch war, den Neidern beizustehen.
+Zween Nachbarn haßten ihn, zween Nachbarn ruhten nie,
+Aufs schimpflichste von ihm zu sprechen.
+Warum? Er war beglückt, und glücklicher, als sie.
+Ist dies nicht schon ein groß Verbrechen?
+Die Freunde rieten ihm, sich für den Schimpf zu rächen.
+"Nein", sprach er, "laßt sie neidisch schmähn,
+Sie werden schon nach meinem Tode sehn,
+Wieviel sie recht gehabt, ein Glück mir nicht zu gönnen,
+Das wenig Menschen nützen können."
+Er stirbt. Man findt sein Testament,
+Und liest: "Ich will, daß einst, nach meinem Sterben,
+Mein hinterlaßnes Gut die beiden Nachbarn erben,
+Weil sie dies Gut mir nicht gegönnt."
+So mancher Freund verwünscht dies Testament.
+"Wie? Konnt ich ihn nicht auch beneiden?
+Mir gibt er nichts, und alles diesen beiden?"
+Die beiden Nachbarn sehn vergnügt
+Den Sinn des Testaments vollführen.
+Denn damals wußte man nicht recht zu prozessieren,
+Sonst hätten beide nichts gekriegt.
+So aber kriegten sie das völlige Vermögen.
+Wie rühmten sie den Selgen nicht!
+Er war die Großmut selbst, er war der Zeiten Licht,
+Und alles dies des Testamentes wegen,
+Denn eh er starb, war ers noch nicht.
+Sind unsre Nachbarn nun beglückt?
+Vielleicht. Wir wollen Achtung geben.
+Der eine Nachbar weiht entzückt
+Dem reichen Kasten Ruh und Leben.
+Er hütet ihn mit karger Hand,
+Und wacht, wenn andre schnarchend liegen,
+Und wünscht mit Tränen sich Verstand,
+Die schlauen Diebe zu betrügen;
+Springt oft, durch böse Träum erschreckt,
+Als ob man ihn bestohlen hätte,
+Mit schnellen Füßen aus dem Bette,
+Und sucht den Ort, wo er den Schatz versteckt.
+Er martert sich mit tausend Sorgen,
+Sein vieles Geld vermehrt zu sehn,
+Und nimmt aus Geiz sich vor, die Hälfte zu verborgen,
+Und läßt den, den er rief, doch leer zurücke gehn.
+Arm hatt er sich noch satt gegessen;
+Reich hungert er, bei halbem Essen,
+Und schnitt das Brot, das er den Seinen gab,
+Mit Klagen über Gott, und über Teurung, ab,
+Und ward, mit jedem neuen Tage,
+Der Seinen Last und seine Plage.
+Der andre Nachbar lachte sein.
+"Der Torheit", sprach er, "will ich wehren;
+Was ich geerbt, will ich verzehren,
+Und mich des Segens recht erfreun."
+Er hielt sein Wort und sah, in wenig Jahren,
+Sein vieles Geld in fremder Hand;
+Durch Gassen, wo er sonst stolz auf und ab gefahren,
+Schlich itzt sein Fuß ganz unbekannt.
+"Ach!" sprach er zu dem andern Erben,
+"Philemon hat es wohl gedacht,
+Daß uns der Reichtum wird verderben,
+Drum hat er uns sein Gut vermacht.
+Du hungerst karg, ich hab es durchgebracht.
+Wir waren wert, den Reichtum zu besitzen,
+Denn keiner wußt ihn recht zu nützen."
+
+
+
+
+
+Das Unglück der Weiber
+
+In eine Stadt, mich deucht, sie lag in Griechenland,
+Drang einst der Feind, von Wut entbrannt,
+Und wollte, weil die Stadt mit Sturm erobert worden,
+Die Bürger, in der Raserei,
+Bis auf den letzten Mann ermorden.
+O Himmel! welch ein Angstgeschrei
+Erregten nicht der Weiber blasse Scharen.
+Man stelle sich nur vor, wenn tausend Weiber schrein,
+Was muß das für ein Lärmen sein!
+Ich zittre schon, wenn zwei nur schrein.
+Sie liefen mit zerstreuten Haaren,
+Mit Augen, die von Tränen rot,
+Mit Händen, die zerrungen waren,
+Und warfen schon, vor Angst halbtot,
+Sich vor den Feldherrn der Barbaren,
+Und flehten in gemeiner Not
+Ihn insgesamt um ihrer Männer Leben.
+So hats von Tausenden nicht eine Frau gegeben,
+Die sich gewünscht, des Mannes los zu sein?
+Von Tausenden nicht eine? Nein.
+Nun, das ist viel; da muß, bei meinem Leben!
+Noch gute Zeit gewesen sein.
+
+So hart, als auch der Feldherr war:
+So konnt er doch dem zauberischen Flehen
+Der Weiber nicht ganz widerstehen.
+Denn welchen Mann, er sei auch zehnmal ein Barbar,
+Weiß nicht ein Weib durch Tränen zu bewegen?
+Mein ganzes Herz fängt sich hier an zu regen.
+Ich hätte nicht der General sein mögen,
+Vor dem der Weiber Schar so kläglich sich vereint;
+Ich hätte wie ein Kind geweint,
+Und ohne Geld den Männern gleich das Leben,
+Und jeder Frau zu ihrer Ruh
+Den Mann, und einen noch dazu,
+Wenn sies von mir verlangt, gegeben.
+
+Allein so gar gelind war dieser Feldherr nicht.
+"Ihr Schönen!" fängt er an und spricht.
+Ihr Schönen? Dieses glaub ich nicht.
+Ein harter General wird nicht so liebreich sprechen.
+Was willst du dir den Kopf zerbrechen?
+Genug! Er hats gesagt. Ein alter General
+Hat, dächt ich, doch wohl wissen können,
+Daß man die Weiber allemal,
+Sie sein es oder nicht, kann "meine Schönen" nennen.
+
+"Ihr Schönen", sprach der General,
+"Ich schenk euch eurer Männer Leben;
+Doch jede muß für den Gemahl
+Mir gleich ihr ganz Geschmeide geben.
+Und die ein Stück zurückbehält,
+Verliert den Mann vor diesem Zelt."
+
+Wie? Fingen nicht die Weiber an zu beben?
+Ihr ganz Geschmeide hinzugeben?
+Den ganzen Schmuck für einen Mann?
+Gewiß, der General war dennoch ein Tyrann.
+Was halfs, daß er "Ihr Schönen!" sagte,
+Da er die Schönen doch so plagte?
+Doch weit gefehlt, daß auch nur eine zagte:
+So holten sie vielmehr mit Freuden ihren Schmuck.
+Dem General war dies noch nicht genug.
+Er ließ nicht eh nach ihren Männern schicken,
+Als bis sie einen Eid getan
+(Der General war selbst ein Ehemann),
+Bis, sag ich, sie den Eid getan,
+Den Männern nie die Wohltat vorzurücken,
+Noch einen neuen Schmuck den Männern abzudrücken.
+Drauf kriegte jede Frau den Mann.
+
+O welche Wollust! Welch Entzücken!
+Vergebens wünsch ichs auszudrücken,
+Mit welcher Brünstigkeit die Frau den Mann umfing!
+Mit was für sehnsuchtsvollen Blicken
+Ihr Aug an seinem Auge hing!
+
+Der Feind verließ die Stadt. Die Weiber blieben stehen,
+Um ihren Feinden nachzusehen;
+Alsdann flog jede froh mit ihrem Mann ins Haus.
+Ist die Geschichte denn nun aus?
+Noch nicht, mein Freund. Nach wenig Tagen
+Entfiel den Weibern aller Mut.
+Sie grämten sich, und durftens doch nicht sagen.
+Wer wirds, den Eid zu brechen, wagen?
+Genug, der Kummer trat ins Blut.
+Sie legten sich; drauf starben in zehn Tagen,
+Des Lebens müd und satt, neunhundert an der Zahl.
+Der alte böse General!
+
+
+
+
+
+Das Vermächtnis
+
+Oront, der in der Welt das große Glück erlebt,
+Das Fürsten oft den Hirten lassen müssen,
+Das Glück, von einem Freund sich treu geliebt zu wissen;
+Oront, der sich dies Glück, so arm er war, erstrebt,
+Ward krank. Sein kluger Arzt sah aus verschiednen Fällen,
+Daß keine Rettung möglich war,
+Eröffnete dem Kranken die Gefahr,
+Und hieß ihn bald sein Haus bestellen.
+Oront, der sich nunmehr dem Irdischen entziehn,
+Und frei im Geist den Tod erwarten wollte,
+Bat, daß man seinen Freund ihm eiligst rufen sollte.
+Sein Freund, sein Pylades, erschien.
+"Ach!" sprach Oront, nach zärtlichem Umfassen,
+"Ich sterb, und was mir Gott verliehn,
+Will ich, mein Freund, dir hinterlassen:
+Dir laß ich meinen Sohn, ihn redlich zu erziehn,
+Und meine Frau, sie zu ernähren:
+Denn du verdienst, daß sie dir angehören."
+
+
+
+
+
+Der Affe
+
+Ein Affe sah ein Paar geschickte Knaben
+Im Brett einmal die Dame ziehn,
+Und sah auf jeden Platz, den sie dem Steine gaben,
+Mit einer Achtsamkeit, die stolz zu sagen schien,
+Als könnt er selbst die Dame ziehn.
+Er legte bald sein Mißvergnügen,
+Bald seinen Beifall an den Tag;
+Er schüttelte den Kopf itzt bei des einen Zügen,
+Und billigte darauf des andern seinen Schlag.
+Der eine, der gern siegen wollte,
+Sann einmal lange nach, um recht geschickt zu ziehn;
+Der Affe stieß darauf an ihn
+Und nickte, daß er machen sollte.
+"Doch welchen Stein soll ich denn ziehn,
+Wenn dus so gut verstehst?" sprach der erzürnte Knabe.
+"Den, jenen oder diesen da,
+Auf welchem ich den Finger habe?"
+Der Affe lächelte, daß er sich fragen sah,
+Und sprach zu jedem Stein mit einem Nicken: Ja.
+
+----
+
+Um deren Weisheit zu ergründen,
+Die tun, als ob sie das, was du verstehst, verstanden:
+So frage sie um Rat. Sind sie mit ihrem Ja
+Bei deinen Fragen hurtig da:
+So kannst du mathematisch schließen,
+Daß sie nicht das geringste wissen.
+
+
+
+
+Der arme Greis
+
+Um das Rhinozeros zu sehn
+(Erzählte mir mein Freund), beschloß ich auszugehn.
+Ich ging vors Tor mit meinem halben Gulden,
+Und vor mir ging ein reicher, reicher Mann,
+Der, seiner Miene nach, die eingelaufnen Schulden,
+Nebst dem, was er damit die Messe durch gewann,
+Und was er, wenns ihm glücken sollte,
+Durch den Gewinst nun noch gewinnen wollte,
+In schweren Ziffern übersann.
+Herr Orgon ging vor mir. Ich geb ihm diesen Namen,
+Weil ich den seinen noch nicht weiß.
+Er ging; doch eh wir noch zu unserm Tiere kamen:
+Begegnet uns ein alter schwacher Greis,
+Für den, auch wenn er uns um nichts gebeten hätte,
+Sein zitternd Haupt, das nur halb seine war,
+Sein ehrlich fromm Gesicht, sein heilig graues Haar
+Mit mehr als Rednerkünsten redte.
+"Ach", sprach er, "ach, erbarmt Euch mein!
+Ich habe nichts, um meinen Durst zu stillen.
+Ich will Euch künftig gern nicht mehr beschwerlich sein;
+Denn Gott wird wohl bald meinen Wunsch erfüllen,
+Und mich durch meinen Tod erfreun.
+O lieber Gott! laß ihn nicht ferne sein."
+So sprach der Greis; allein was sprach der Reiche?
+"Ihr seid ein so bejahrter Mann,
+Ihr seid schon eine halbe Leiche,
+Und sprecht mich noch um Geld zum Trinken an?
+Ihr unverschämter alter Mann!
+Müßt Ihr denn noch erst Branntwein trinken,
+Um taumelnd in das Grab zu sinken?
+Wer in der Jugend spart, der darbt im Alter nicht."--
+Drauf ging der Geizhals fort. Ein Strom schamhafter Zähren
+Floß von des Alten Angesicht.
+"O Gott! du weißts." Mehr sprach er nicht.
+Ich konnte mich der Wehmut kaum erwehren,
+Weil ich etwas mitleidig bin.
+Ich gab ihm in der Angst den halben Gulden hin,
+Für welchen ich die Neugier stillen wollte,
+Und ging, damit er mich nicht weinen sehen sollte.
+Allein er rufte mich zurück.
+"Ach!" sprach er mit noch nassem Blick,
+"Ihr werdet Euch vergriffen haben,
+Es ist ein gar zu großes Stück.
+Ich bring Euch nicht darum, gebt mir so viel zurück,
+Als ich bedarf, um mich durch etwas Bier zu laben!"
+"Ihr", sprach ich, "sollt es alles haben,
+Ich seh, daß Ihrs verdient; trinkt etwas Wein dafür.
+Doch, armer Greis, wo wohnet Ihr?"
+Er sagte mir das Haus.--Ich ging am andern Tage
+Nach diesem Greis, der mir so redlich schien,
+Und tat im Gehn schon manche Frag an ihn.
+Allein, indem ich nach ihm frage,
+War er seit einer Stunde tot.
+Die Mien auf seinem Sterbebette
+War noch die redliche, mit der er gestern redte.
+Ein Psalmbuch und ein wenig Brot
+Lag neben ihm auf seinem harten Bette.
+O, wenn der Geizhals doch den Greis gesehen hätte,
+Mit dem er so unchristlich redte!
+Und der vielleicht ihn itzt bei Gott verklagt,
+Daß er vor seinem Tod ihm einen Trunk versagt.
+
+So sprach mein Freund und bat, die Müh auf mich zu nehmen,
+Und öffentlich den Geizhals zu beschämen.
+Wiewohl ein Mann, der sich zu keiner Pflicht
+Als für das Geld versteht, der schämt sich ewig nicht.
+
+
+
+
+
+Der arme Schiffer
+
+Ein armer Schiffer stak in Schulden,
+Und klagte dem Philet sein Leid.
+"Herr", sprach er, "leiht mir hundert Gulden;
+Allein zu Eurer Sicherheit
+Hab ich kein ander Pfand als meine Redlichkeit.
+Indessen leiht mir aus Erbarmen
+Die hundert Gulden auf ein Jahr."
+Philet, ein Retter in Gefahr,
+Ein Vater vieler hundert Armen,
+Zählt ihm das Geld mit Freuden dar.
+"Hier", spricht er, "nimm es hin und brauch es ohne Sorgen;
+Ich freue mich, daß ich dir dienen kann;
+Du bist ein ordentlicher Mann,
+Dem muß man ohne Handschrift borgen."
+
+Ein Jahr, und noch ein Jahr verstreicht;
+Kein Schiffer läßt sich wieder sehen.
+Wie? Sollt er auch Phileten hintergehen;
+Und ein Betrüger sein? Vielleicht.
+
+Doch nein! Hier kömmt der Schiffer gleich.
+"Herr!" fängt er an, "erfreuet Euch,
+Ich bin aus allen meinen Schulden;
+Und seht, hier sind zweihundert Gulden,
+Die ich durch Euer Geld gewann.
+Ich bitt Euch herzlich, nehmt sie an;
+Ihr seid ein gar zu wackrer Mann."
+
+"O", spricht Philet, "ich kann mich nicht besinnen,
+Daß ich dir jemals Geld geliehn.
+Hier ist mein Rechnungsbuch, ich wills zu Rate ziehn;
+Allein ich weiß es schon, du stehest nicht darinnen."
+
+Der Schiffer sieht ihn an, und schweigt betroffen still,
+Und kränkt sich, daß Philet das Geld nicht nehmen will.
+Er läuft, und kömmt mit voller Hand zurücke.
+"Hier", spricht er, "ist der Rest von meinem ganzen Glücke,
+Noch hundert Gulden! Nehmt sie hin,
+Und laßt mir nur das Lob, daß ich erkenntlich bin.
+Ich bin vergnügt, ich habe keine Schulden;
+Dies Glücke dank ich Euch allein;
+Und wollt Ihr ja recht gütig sein.
+So leiht mir wieder funfzig Gulden."
+
+"Hier", spricht Philet, "hier ist dein Geld,
+Behalte deinen ganzen Segen:
+Ein Mann, der Treu und Glauben hält,
+Verdient ihn seiner Treue wegen.
+Sei du mein Freund. Das Geld ist dein;
+Es sind nicht mehr als hundert Gulden mein,
+Die sollen deinen Kindern sein."
+
+----
+
+Mensch! mache dich verdient um andrer Wohlergehen;
+Denn was ist göttlicher, als wenn du liebreich bist!
+Und mit Vergnügen eilst, dem Nächsten beizustehen,
+Der, wenn er Großmut sieht, großmütig dankbar ist!
+
+
+
+
+Der Arme und der Reiche
+
+Aret, ein tugendhafter Mann,
+Dem nichts, als Geld und Güter fehlten,
+Rief, als ihn einst die Schulden quälten,
+Das Glück um seinen Beistand an.
+Das Glück, das seine liebsten Gaben
+Sonst immer für die Leute spart,
+Die von den Gütern beßrer Art
+Nicht gar zuviel bekommen haben,
+Entschloß sich dennoch auf sein Flehn,
+Dem wackern Manne beizustehn,
+Und ließ ihn in verborgnen Gründen
+Aus Geiz verscharrte Schätze finden.
+Er sieht darauf in kurzer Zeit
+Von seinen Schuldnern sich befreit;
+Doch ist ihm wohl die Not benommen,
+Da, statt der Schuldner, Schmeichler kommen?
+Sooft er trinkt, sooft er ißt,
+Kömmt einer, der ihn durstig küßt,
+Nach seinem Wohlsein ängstlich fraget,
+Und ihn mit Höflichkeit und List,
+Mit Loben und Bewundern plaget,
+Und doch durch alles nichts, als daß ihn hungert, saget.
+"O Glücke!" rief Aret, "soll eins von beiden sein;
+Kann alle Klugheit nicht von Schmeichlern mich befrein:
+So will ich mich von Schuldnern lieber hassen,
+Als mich von Schmeichlern lieben lassen.
+Vor jenen kann man doch zuweilen sicher sein;
+Doch diese Brut schleicht sich zu allen Zeiten ein."
+
+
+
+
+
+Der baronisierte Bürger
+
+Des kargen Vaters stolzer Sohn
+Ward, nach des Vaters Tod, Herr einer Million,
+Und für sein Geld in kurzer Zeit Baron.
+Er nahm sich vor, ein großer Mann zu werden,
+Und ahmte, wenn ihm gleich der innre Wert gebrach,
+Doch die gebietrischen Gebärden
+Der Großen zuversichtlich nach.
+Bald wünscht er sich des Staatsmanns Ehre,
+Vertraut mit Fürsten umzugehn;
+Bald wünscht er sich das Glück, dereinst vor einem Heere
+Mit Lorbeern des Eugens zu stehn.
+Kurz, er blieb ungewiß, wo er mehr Ansehn hätte,
+Ob in dem Feld, ob in dem Kabinette.
+Indessen war er doch Baron;
+Und sein Verdienst, die Million,
+Ließ sich zu alles Volks Entzücken,
+In Läufern und Heiducken blicken.
+Er nahm die halbe Stadt in Sold,
+Bedeckte sich und sein Gefolg mit Gold,
+Und brüstete sich mehr in seiner Staatskarosse,
+Als die daran gespannten Rosse.
+Er war der Schmeichler Mäzenat.
+Ein Geck, der ihm gebückt um seine Gnade bat,
+Und alles, was sein Stolz begonnte,
+Recht unverschämt bewundern konnte,
+Der kam sogleich in jener Freunde Zahl,
+In der man mit ihm aß, ihn lobt, und ihn bestahl,
+Und, wenn man ihn betrog, zugleich in überredte,
+Daß er des Argus Augen hätte.
+
+Was braucht es mehr als Stolz und Unverstand,
+Um Millionen durchzubringen?
+Unsichrer ist kein Schatz als in des Jünglings Hand,
+Den Wollust, Pracht und Stolz zu ihren Diensten zwingen.
+Der Herr Baron vergaß bei seinem großen Schatz
+Den Staatsmann und den Held, ward sinnreich im Verschwenden,
+Und sah in kurzer Zeit sein Gut in fremden Händen;
+Starb arm und unberühmt. Kurz, er bewies den Satz,
+Daß Eltern ihre Kinder hassen,
+Wofern sie ihnen nichts als Reichtum hinterlassen.
+
+
+
+
+
+Der Bauer und sein Sohn
+
+Ein guter dummer Bauerknabe,
+Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm,
+Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe,
+Recht dreist zu lügen, wiederkam,
+Ging, kurz nach der vollbrachten Reise,
+Mit seinem Vater über Land.
+Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand,
+Log auf die unverschämtste Weise.
+Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt.
+"Ja, Vater", rief der unverschämte Knabe,
+"Ihr mögt mirs glauben oder nicht:
+So sag ich Euchs, und jedem ins Gesicht,
+Daß ich einst einen Hund bei--Haag gesehen habe,
+Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt,
+Der--ja, ich bin nicht ehrenwert,
+Wenn er nicht größer war als Euer größtes Pferd."
+"Das", sprach der Vater, "nimmt mich wunder;
+Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn.
+Wir, zum Exempel, gehn itzunder,
+Und werden keine Stunde gehn:
+So wirst du eine Brücke sehn
+(Wir müssen selbst darüber gehn),
+Die hat dir manchen schon betrogen
+(Denn überhaupt solls dort nicht gar zu richtig sein);
+Auf dieser Brücke liegt ein Stein,
+An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen,
+Und fällt, und bricht sogleich das Bein."
+
+Der Bub erschrak, sobald er dies vernommen.
+"Ach", sprach er, "lauft doch nicht so sehr.
+Doch wieder auf den Hund zu kommen,
+Wie groß sagt ich, daß er gewesen wär?
+Wie Euer großes Pferd? Dazu will viel gehören.
+Der Hund, itzt fällt mirs ein, war erst ein halbes Jahr;
+Allein das wollt ich wohl beschwören,
+Daß er so groß, als mancher Ochse, war."
+
+Sie gingen noch ein gutes Stücke;
+Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt es anders sein?
+Denn niemand bricht doch gern ein Bein.
+Er sah nunmehr die richterische Brücke,
+Und fühlte schon den Beinbruch halb.
+"Ja, Vater", fing er an, "der Hund, von dem ich redte,
+War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte:
+So war er doch viel größer als ein Kalb."
+
+Die Brücke kömmt. Fritz! Fritz! wie wird dirs gehen!
+Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind.
+"Ach Vater!", spricht er, "seid kein Kind,
+Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen.
+Denn kurz und gut, eh wir darüber gehen,
+Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind."
+
+----
+
+Du mußt es nicht gleich übelnehmen,
+Wenn hie und da ein Geck zu lügen sich erkühnt.
+Lüg auch, und mehr als er, und such ihn zu beschämen:
+So machst du dich um ihn und um die Welt verdient.
+
+
+
+
+Der beherzte Entschluß
+
+Ein guter ehrlicher Soldat,
+Der (denn was tut man nicht, wenn man getrunken hat?)
+Im Trunke seinen Wirt erschlagen,
+Ward itzt hinausgeführt, für seine Missetat
+Den Lohn durchs Schwert davonzutragen.
+Er sah wohl aus, und wer ihn sah,
+Bedauerte sein schmählich Ende,
+Und wünschte, daß er noch beim König Gnade fände.
+Besonders ging sein schweres Ende
+Auch einer alten Jungfer nah.
+Auf einmal fühlte sie die Triebe
+Des Mitleids und der Menschenliebe,
+Und fühlte sie nur mehr, je mehr sie auf ihn sah.
+"Ach Himmel! ists nicht ewig schade?
+Der schöne lange Mensch! Was für ein fein Gesicht,
+Und was für Augen hat er nicht!
+Seht doch den Bart! Ist das nicht eine Wade!
+Die Straf ist in der Tat zu groß.
+Wer kann sich denn im Trunke zähmen?
+Ich bitt ihn frei; ich will ihn nehmen."
+Sie lief, und schrie, und bat ihn los,
+Indem Johann schon niederkniete.
+"Johann", fing drauf der Richter an,
+"Es findet sich ein redliches Gemüte,
+Dies Weibsbild hier verlangst dich zum Mann,
+Und wenn du sie verlangst: so schenk ich dir das Leben."
+
+----
+
+Johann erschrak und sah die Jungfer an;
+Sie trat hinzu, ihn aufzuheben.
+"Ja", sprach er, "Euer Dienst ist groß;
+Allein es wird mir nicht viel fehlen,
+Ihr werdet mich dafür zeitlebens quälen.
+Ich seh Euchs an; was will ich lange wählen?
+Haut zu! So komm ich doch der Qual auf einmal los."
+
+
+
+
+Der betrübte Witwer
+
+In Poitou (ich will mit Fleiß die Gegend nennen,
+Damit sich die befragen können,
+Die, wenn ein kleiner Umstand fehlt,
+Schon zweifeln, ob man wahr erzählt),
+In Poitou ließ einst ein Mann sein Weib begraben;
+Allein man merk es wohl, man ist in Poitou;
+Da geht es, wenn sie Leichen haben,
+So prächtig wie bei uns nicht zu.
+Man kleidet sie geschwind mit leinen Sterberöcken,
+Und trägt den Sarg, ohn ihn erst zuzudecken,
+An den für ihn bestimmten Ort.
+So trug man auch den offnen Sarg itzt fort;
+Doch was geschieht, indem sie ihn so tragen?
+Der Leichenweg ging dicht an einer Hecke hin;
+Hier ritzt ein Dorn die tote Frau ins Kinn.
+Auf einmal fängt sie an, die Augen aufzuschlagen,
+Und ruft: "Wohin wollt ihr mich tragen?"
+Hier, deucht mich, hör ich viele fragen,
+Wie kam die gute Frau zurück?
+Hielt es der Mann auch für ein Glück,
+Die Hälfte wiederzubekommen,
+Die ihm der Tod zuvor genommen?
+Wie mag ihm wohl gewesen sein?
+Das letzte wird man gleich erfahren.
+Nach weniger als sieben Jahren
+Büßt sie das zweite Mal ihr junges Leben ein.
+Der Mann gab ihr vom neuen das Geleite,
+Und ging gesetzt an seiner Gattin Seite,
+Wie alle harte Bauersleute.
+Allein sobald er nur die Hecke wieder sah:
+So wies er erst, wieviel sein Herz empfände.
+Er rung mit Tränen beide Hände.
+"Ach", rief er aus, "da war es, da!
+Kommt ja der Hecke nicht zu nah!"
+
+
+
+
+
+Der Bettler
+
+Ein Bettler kam mit bloßem Degen
+In eines reichen Mannes Haus,
+Und bat sich, wie die Bettler pflegen,
+Nur eine kleine Wohltat aus.
+"Ich", sprach er, "kenn Ihr christlich Herze;
+Sie sorgen gern für andrer Heil,
+Und nehmen mit gerechtem Schmerze
+An Ihres Nächsten Elend teil.
+Ich weiß, mein Flehn wird Sie bewegen!
+Sie sehn, ich fordre nichts mit Unbescheidenheit;
+Nein, ich verlasse mich (hier wies er ihm den Degen)
+Allein auf Ihre Gütigkeit."
+
+----
+
+Dies ist die Art lobgieriger Skribenten,
+Wenn sie um unsern Beifall flehn;
+Sie geben uns mit vielen Komplimenten
+Die harte Fordrung zu verstehn.
+Der Autor will den Beifall nicht erpressen;
+Nein, er verläßt sich bloß auf unsre Billigkeit;
+Doch, daß wir diese nicht vergessen:
+So zeigt er uns zu gleicher Zeit
+In beiden Händen Krieg und Streit.
+
+
+
+
+Der Blinde und der Lahme
+
+Von ungefähr muß einen Blinden,
+Ein Lahmer auf der Straße finden,
+Und jener hofft schon freudenvoll,
+Daß ihn der andre leiten soll.
+"Dir", spricht der Lahme, "beizustehen?
+Ich armer Mann kann selbst nicht gehen;
+Doch scheints, daß du zu einer Last
+Noch sehr gesunde Schultern hast.
+
+Entschließe dich, mich fortzutragen:
+So will ich dir die Stege sagen:
+So wird dein starker Fuß mein Bein,
+Mein helles Auge deines sein."
+
+Der Lahme hängt, mit seinen Krücken,
+Sich auf des Blinden breiten Rücken.
+Vereint wirkt also dieses Paar,
+Was einzeln keinem möglich war.
+
+----
+
+Du hast das nicht, was andre haben,
+Und andern mangeln deine Gaben;
+Aus dieser Unvollkommenheit
+Entspringet die Geselligkeit.
+Wenn jenem nicht die Gabe fehlte,
+Die die Natur für mich erwählte:
+So würd er nur für sich allein,
+Und nicht für mich bekümmert sein.
+
+Beschwer die Götter nicht mit Klagen!
+Der Vorteil, den sie dir versagen,
+Und jenem schenken, wird gemein,
+Wir dürfen nur gesellig sein.
+
+
+
+
+
+Der erhörte Liebhaber
+
+Der größte Fehler in der Liebe,
+O Jüngling, ist die Furchtsamkeit.
+Was helfen dir die süßen Triebe
+Bei einer stummen Schüchternheit?
+Du liebst, und willst es doch nicht wagen.
+Es deiner Schönen zu gestehn;
+Was deine Lippen ihr nicht sagen,
+Soll sie in deinen Augen sehn.
+Im stillen trägst du deinem Kinde
+Das Herz mit Ehrerbietung an,
+Und wünschest, daß sie das empfinde,
+Was doch dein Mund nicht sagen kann.
+Du hörst nicht auf, sie hochzuachten,
+Und ehrst sie durch Bescheidenheit;
+Sie fühlt, und läßt dich dennoch schmachten.
+Und wartet auf Beständigkeit.
+Sie läßt dich in den Augen lesen,
+Wieviel dir dieser Vorzug nützt;
+Erst liebt sie dein bescheidnes Wesen,
+Und endlich den, der es besitzt.
+Ein Jahr verfliegt; o lacht des Blöden,
+Was hat er denn für seine Müh?
+Er darf mit ihr von Liebe reden,
+Und wagt den ersten Kuß auf sie.
+Ein Jahr! Und noch kein größres Glücke?
+In Wahrheit! das ist lächerlich.
+Warum rief er, beim ersten Blicke,
+Nicht gleich! "Mein Kind, ich liebe dich!"
+Da lob ich euch, ihr jungen Helden,
+Ihr wißt von keiner langen Pein;
+Ihr laßt euch bei der Schönen melden,
+Ihr kommt, und seht, und nehmt sie ein.
+Und euren Mut recht zu beseelen,
+Den ihr bei eurer Liebe fühlt:
+So will ich euch den Sieg erzählen,
+Den einst Jesmin sehr schnell erhielt.
+
+----
+
+Ein junger Mensch, der gütigst wollte,
+Daß jedes schöne Kind die Ehre haben sollte,
+Von ihm geliebt, von ihm geküßt zu sein;
+Jesmin, sah Sylvien, das heißt, sie nahm ihn ein.
+Er sah sie in dem Fenster liegen,
+Ward schnell besiegt, und schwor, sie wieder zu besiegen.
+Die halbe Nacht verstrich, daß mein Jesmin nicht schlief;
+Er sann auf einen Liebesbrief,
+Schlug die Romane nach, und trug die hellsten Flammen
+In einen Brief aus zwanzigen zusammen.
+Der Brief ward fortgeschickt, und für sein bares Geld
+Ward auch der Brief getreu bestellt.
+Allein die Antwort will nicht kommen.
+Jesmin, vom Kummer eingenommen,
+Ergreift das Briefpapier, und schreibet noch einmal.
+Er klagt der Schönen seine Qual,
+Er redt von strengen Liebeskerzen,
+Von Augensonnen, heiß an Pein,
+Von Tigermilch, von diamantnen Herzen,
+Und von der Hoffnung Nordlichtschein,
+Und schwört, weil Sylvia durch nichts erweicht geworden,
+Sich, bei Gelegenheit, aus Liebe zu ermorden.
+Getrost, Jesmin! versiegle deinen Brief.
+So wie das Siegelwachs am Lichte niederlief:
+So wird der Schönen Herz, eh Nacht und Tag verfließen,
+Von deines Briefes Glut erweicht, zerschmelzen müssen.
+Der Brief wird fortgeschickt, und richtig überbracht.
+Jesmin tut manch Gebet an Venus' kleinen Knaben;
+Doch folgt die Antwort nicht. Wer hätte das gedacht!
+Das Mädchen muß ein Herz von Stahl und Eisen haben;
+Doch welcher Baum fällt auf den ersten Hieb?
+Ich zweifle nicht, die Schöne hat ihn lieb,
+Und ihre Sprödigkeit ist ein verstelltes Wesen,
+Um nur von ihm mehr Briefe noch zu lesen.
+Wie könnte sie dem heißen Flehn
+Und, da sie ihn unlängst geputzt gesehn,
+Der reichen Weste widerstehn?
+
+Ich weiß noch einen Rat, und dieser Rat wird glücken.
+Durch Verse kann man sehr entzücken,
+In Versen, mein Jesmin, in Versen schreib an sie;
+Siegst du durch Verse nicht, Jesmin! so siegst du nie.
+Er folgt. O wünscht mit mir, daß ihm die Reime fließen!
+Seht, welch ein feurig Lied Jesmin zur Welt gebar!
+Was konnte man auch anders schließen.
+Da seine Prosa schon so hoch und feurig war?
+
+Kaum hatte Sylvia das Heldenlied gelesen:
+So kam auch schon ein Gegenbrief.
+Man stellte sich vor, wie froh Jesmin gewesen,
+Wie froh Jesmin der Magd entgegenlief!
+Die schlaue Magd grüßt ihn galant.
+Er steht und hält den Brief entzückt in seiner Hand,
+Und brennet vor Begier, den Inhalt bald zu wissen,
+Und kann vor Zärtlichkeit sich dennoch nicht entschließen,
+Das kleine Siegel abzuziehn;
+Er drückt den Brief an sich, er drückt und küsset ihn.
+Die Magd kriegt ein Pistol, und schwört, ihm treu zu bleiben.
+Allein was stund in diesem Schreiben,
+Als es Jesmin froh auseinanderschlug?
+Kein Wörtchen mehr als dies: "Mein Herr, Sie sind nicht klug!"
+
+
+
+
+
+Der Freier
+
+Ein Freier bat einst einen Freund,
+Ihm doch ein Mädchen vorzuschlagen.
+"Ich will dir zwei", versetzte jener, "sagen,
+Dann wähle die, die sich für dich zu schicken scheint.
+Die erste hat, nebst einem Rittersitze,
+Ein recht bezauberndes Gesicht,
+Liebt den Geschmack, spricht mit dem feinsten Witze,
+Und schreibt die Sprachen, die sie spricht.
+Sie spielt den Flügel schön, und kann vortrefflich singen
+Und malet so geschickt, als es die Kunst begehrt.
+Und in der Wirtschaft selbst gibt sie gemeinen Dingen
+Durch ihre Sorgfalt einen Wert.
+Allein bei aller Kunst und allen ihren Gaben
+Hat sie kein gutes Herz.
+
+Die andre sieht nicht schön,
+Wird wenig im Vermögen haben,
+Und von den Künsten nichts, die jene kann, verstehn;
+Doch bei Verstand und einem stillen Reize,
+Der, ohne daß sies sieht, gefällt,
+Besitzt sie, frei von Stolz und Geize,
+Das beste Herze von der Welt.
+Was tätst du wohl, wenn dich die erste haben wollte?"
+
+"Ach", fing der Freier an, "wenn dies geschehen sollte:
+So spräch ich zu der ersten nein,
+Um dadurch bald der andern wert zu sein."
+
+
+
+
+
+Der Freigeist
+
+Ihr, die ihr nach der Tugend strebet;
+Ihr, die ihr dem gehorsam seid,
+Was die Vernunft und was die Schrift gebeut,
+Ein Freigeist lacht euch aus, daß ihr so sklavisch lebet.
+Was sucht ihr? fragt er euch; nicht die Zufriedenheit?
+Ists möglich, sich so zu betrügen?
+Um euch vergnügt zu sehn, raubt ihr euch das Vergnügen?
+Ihr sucht die Ruh, und findt sie in der Last,
+Haßt, was ihr liebt, und liebet, war ihr haßt.
+Habt ihr Vernunft? Ich zweifle fast.
+Die Freiheit in der Tugend finden,
+Das heißt, um frei zu sein, sich erst an Ketten binden.
+Dringt durch des Aberglaubens Nacht,
+Die euch zu finstern Köpfen macht;
+Folgt der Natur, genießt, was sie euch schenket;
+Sucht nichts, als was ihr wünscht; flieht nichts, als was euch kränket;
+Denkt frei, und lebet, wie ihr denket,
+Und gebt nicht auf die Toren acht.
+Der Pöbel ist der größte Hauf auf Erden,
+Von diesem reißt euch los. Er weiß nicht, was er glaubt,
+Hält seinen Trieb für unerlaubt,
+Und sieht nicht, daß er sich sein Glück aus Milzsucht raubt;
+Sonst würd er nicht so abergläubisch werden.
+
+Drum faßt den kurzen Unterricht:
+Was viele glauben, glaubet nicht.
+Sie glauben es aus Trägheit, nichts zu prüfen;
+Doch ein Vernünftiger dringt in der Wahrheit Tiefen.
+Was ist die Schrift? Was lehret sie?
+Ein traurig Leben, reich an Müh,
+Und Rätsel, die wir aufzuschließen,
+Erst der Vernunft entsagen müssen.
+Was ist das mächtige Gewissen?
+Ein Ding, das die Erziehung schafft,
+Ein heilig Erbteil aller Blöden;
+Doch die, die wissen, was sie reden,
+Empfinden nichts von seiner Kraft.
+
+Folgt der Natur! Sie ruft; was kann sie anders wollen,
+Als daß wir ihr gehorchen sollen?
+Die Furcht erdachte Recht und Pflicht,
+Und schuf den Himmel und die Hölle.
+Setzt die Vernunft an ihre Stelle,
+Was seht ihr da? Den Himmel und die Hölle?
+O nein, ein weibisches Gedicht.
+Laßt doch der Welt ihr kindisches Geschwätze.
+Was jeden ruhig macht, ist jedes sein Gesetze.
+Mehr glaubt und braucht ein Kluger nicht.
+
+Dies war der Witz, mit dem in seinem Leben
+Ein Freigeist sein System erwies;
+Die Tugend von dem Throne stieß,
+Um nur sein Laster drauf zu heben.
+Sein böses Herz war ihm Vernunft und Gott,
+Und der am Kreuze starb, war oft des Frechen Spott.
+
+Sein Ende kam. Und der, der nie gezittert,
+Ward plötzlich durch den Tod erschüttert.
+Das Schrecken einer Ewigkeit,
+Ein Richter, der als Gott ihm fluchte,
+Ein Abgrund, welcher ihn schon zu verschlingen suchte,
+Zerstörte das System tollkühner Sicherheit.
+Und der, der sonst mit seinen hohen Lehren
+Der ganzen Welt zu widerstehn gewagt,
+Fing an, der Magd geduldig zuzuhören,
+Und ließ von seiner frommen Magd,
+Zu der er tausendmal "du christlich Tier" gesagt,
+Sich widerlegen und bekehren.
+
+So stark sind eines Freigeists Lehren!
+
+
+
+
+
+Der Fuchs und die Elster
+
+Zur Elster sprach der Fuchs: "O, wenn ich fragen mag,
+Was sprichst du doch den ganzen Tag?
+Du sprichst wohl von besondern Dingen?"
+"Die Wahrheit", rief sie, "breit ich aus.
+Was keines weiß herauszubringen,
+Bring ich durch meinen Fleiß heraus,
+Vorn Adler bis zur Fledermaus."
+"Dürft ich", versetzt der Fuchs, "mit Bitten dich beschweren:
+So wünscht ich mir, etwas von deiner Kunst zu hören."
+
+So wie ein weiser Arzt, der auf der Bühne steht,
+Und seine Künste rühmt, bald vor, bald rückwärts geht,
+Ein seidnes Schnupftuch nimmt, sich räuspert, und dann spricht:
+So lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder,
+Und strich an einem Zweig den Schnabel hin und wider,
+Und macht ein sehr gelehrt Gesicht.
+Drauf fängt sie ernsthaft an, und spricht:
+"Ich diene gern mit meinen Gaben,
+Denn ich behalte nichts für mich.
+Nicht wahr, Sie denken doch, daß Sie vier Füße haben?
+Allein, Herr Fuchs, Sie irren sich.
+Nur zugehört! Sie werdens finden,
+Denn ich beweis es gleich mit Gründen.
+
+Ihr Fuß bewegt sich, wenn er geht,
+Und er bewegt sich nicht, solang er stillesteht;
+Doch merken Sie, was ich itzt sagen werde,
+Denn dieses ist es noch nicht ganz.
+Sooft Ihr Fuß nur geht, so geht er auf der Erde.
+Betrachten Sie nun Ihren Schwanz.
+Sie sehen, wenn Ihr Fuß sich reget,
+Daß auch Ihr Schwanz sich mit beweget;
+Itzt ist Ihr Fuß bald hier, bald dort,
+Und so geht auch Ihr Schwanz mit auf der Erde fort,
+Sooft Sie nach den Hühnern reisen.
+Daraus zieh ich nunmehr den Schluß:
+Ihr Schwanz, das sei Ihr fünfter Fuß;
+Und dies, Herr Fuchs, war zu beweisen."
+
+----
+
+Ja, dieses hat uns noch gefehlt!
+Wie freu ich mich, daß es bei Tieren
+Auch große Geister gibt, die alles demonstrieren!
+Mir hats der Fuchs für ganz gewiß erzählt.
+"Je minder sie verstehn", sprach dieses schlaue Vieh,
+"Um desto mehr beweisen sie."
+
+
+
+
+Der glücklich gewordene Ehemann
+
+Frontin liebt Hannchen bis zum Sterben;
+Denn Hannchen war ein schönes Kind.
+Allein je reizender die losen Mädchen sind,
+Um desto weniger kann man ihr Herz erwerben.
+Frontin erfuhr es wohl. Drei Jahre liebt er sie;
+Allein umsonst war alle Müh.
+Was tat er endlich? Er verreiste,
+Und ging (was kann wohl Ärgers sein?),
+Ging, sag ich, mit dem bösen Geiste
+Ein Bündnis an dem Blocksberg ein;
+Ein Bündnis, daß er ihm zwei Jahre dienen wollte,
+Wofern er Hannchen noch zur Frau bekommen sollte.
+Sie werden hurtig eins, und schließen ihren Kauf;
+Der böse Geist gibt ihm die Hand darauf.
+Und ob er gleich die Welt sehr oft belogen,
+Und Doktor Faustus selbst betrogen:
+So hielt er doch sein Wort genau.
+Frontin war Hannchens Mann, und sie ward seine Frau.
+Doch eh vier Wochen sich verlieren:
+So fängt Frontin schon an, den Schwarzen zu zitieren.
+"Ach", spricht er, da der Geist erscheint,
+"Ach, darf ich, lieber böser Feind,
+Noch einer Bitte mich erkühnen?
+Ich habe dir gelobt, für Hannchen, meine Frau,
+Zwei Jahre, wie du weißt, zu dienen,
+Und dies erfüllt ich auch genau;
+Doch willst du mir mein Hannchen wieder nehmen:
+So soll mein Dienst ein Jahr verlängert sein."
+Der Böse will sich nicht bequemen,
+Drauf geht Frontin die Frist noch zweimal ein;
+Denn, sprach er bei sich selbst, so arg du immer bist:
+So weiß ich doch, daß Hannchen ärger ist.
+
+
+
+
+
+Der glückliche Dichter
+
+Ein Dichter, der bei Hofe war--
+Bei Hofe? Was? Bei Hofe gar?
+Wie kam er denn zu dieser Ehre?
+Ich wüßte nicht, was ein Poet,
+Ein Mensch, der nichts vom Recht und Staat versteht,
+Was der bei Hofe nötig wäre?
+Was ein Poet bei Hofe nötig ist?
+Ja, Freund, du hast wohl recht zu fragen.
+Mich ärgerts, daß August zween Dichter gern vertragen,
+Die man doch itzt kaum in den Schulen liest.
+Was ists denn nun mit zehn Racinen
+Und Molièren? Nichts! Gar nichts! Der eine macht,
+Daß man bei Hofe weint, der andre, daß man lacht.
+Das heißt dem Staate trefflich dienen,
+Dadurch wird ja kein Groschen eingebracht.
+Doch auf die Sache selbst zu kommen.
+Ein Dichter, den der Hof in seine Gunst genommen,
+Schlief einst bei Tag im Louvre ein.--
+Wieso? War er berauscht? Das kann wohl möglich sein.
+Man hat in Frankreich guten Wein.
+Und Dichter sollen insgemein
+Von Wahrheit, Liebe, Witz und Wein
+Sehr gute Freund und Kenner sein.
+Ich mag die Welt nicht Lügen strafen,
+Drum sag ich weder ja noch nein.
+
+Gnug, der Poet war eingeschlafen,
+Und war nicht schön, das man wohl merken muß;
+Doch gab die Königin, den Schlaf ihm zu versüßen,
+Ihm im Vorbeigehn einen Kuß.
+"Was", rief ein Prinz, "den blassen Mund zu küssen?"
+"Blaß", sprach die Königin, "blaß ist er, das ist wahr;
+Doch sagt der Mann mit seinem blassen Munde
+Mehr Schönes oft in einer Stunde
+Als Sie, mein Prinz, durchs ganze Jahr."
+
+
+
+
+
+Der Greis
+
+Von einem Greise will ich singen,
+Der neunzig Jahr die Welt gesehn.
+Und wird mir itzt kein Lied gelingen:
+So wird es ewig nicht geschehn.
+Von einem Greise will ich dichten,
+Und melden, was durch ihn geschah,
+Und singen, was ich in Geschichten,
+Von ihm, von diesem Greise, sah.
+
+Singt, Dichter, mit entbranntem Triebe,
+Singt euch berühmt an Lieb und Wein!
+Ich laß euch allen Wein und Liebe,
+Der Greis nur soll mein Loblied sein.
+
+Singt von Beschützern ganzer Staaten,
+Verewigt euch und ihre Müh!
+Ich singe nicht von Heldentaten,
+Der Greis sei meine Poesie.
+
+O Ruhm, dring in der Nachwelt Ohren,
+Du Ruhm, den sich mein Greis erwarb!
+Hört, Zeiten, hörts! Er ward geboren,
+Er lebte, nahm ein Weib, und starb.
+
+
+
+
+
+Der grüne Esel
+
+Wie oft weiß nicht ein Narr durch töricht Unternehmen
+Viel tausend Toren zu beschämen!
+Neran, ein kluger Narr, färbt einen Esel grün,
+Am Leibe grün, rot an den Beinen,
+Fängt an, mit ihm die Gassen durchzuziehn;
+Er zieht, und jung und alt erscheinen.
+Welch Wunder! rief die ganze Stadt,
+Ein Esel, zeisiggrün! der rote Füße hat!
+Das muß die Chronik einst den Enkeln noch erzählen,
+Was es zu unsrer Zeit für Wunderdinge gab!
+Die Gassen wimmelten von Millionen Seelen;
+Man hebt die Fenster aus, man deckt die Dächer ab;
+Denn alles will den grünen Esel sehn,
+Und alle konnten doch nicht mit dem Esel gehn.
+
+Man lief die beiden ersten Tage
+Dem Esel mit Bewundrung nach.
+Der Kranke selbst vergaß der Krankheit Plage,
+Wenn man vom grünen Esel sprach.
+Die Kinder in den Schlaf zu bringen,
+Sang keine Wärterin mehr von dem schwarzen Schaf;
+Vom grünen Esel hört man singen,
+Und so gerät das Kind in Schlaf.
+
+Drei Tage waren kaum vergangen:
+So war es um den Wert des armen Tiers geschehn.
+Das Volk bezeigte kein Verlangen,
+Den grünen Esel mehr zu sehn.
+Und so bewundernswert er anfangs allen schien:
+So dacht itzt doch kein Mensch mit einer Silb an ihn.
+
+----
+
+Ein Ding mag noch so närrisch sein,
+Es sei nur neu: so nimmts den Pöbel ein.
+Er sieht, und er erstaunt. Kein Kluger darf ihm wehren.
+Drauf kömmt die Zeit, und denkt an ihre Pflicht;
+Denn sie versteht die Kunst, die Narren zu bekehren,
+Sie mögen wollen oder nicht.
+
+
+
+
+Der gute Rat
+
+Ein junger Mensch, der sich vermählen wollte,
+Und dem man manchen Vorschlag tat,
+Bat einen Greis um einen guten Rat,
+Was für ein Weib er nehmen sollte?
+"Freund", sprach der Greis, "das weiß ich nicht.
+So gut man wählt, kann man sich doch betrügen.
+Sucht Ihr ein Weib bloß zum Vergnügen:
+So wählet Euch ein schön Gesicht;
+Doch liegt Euch mehr an Renten und am Staate,
+Als am verliebten Zeitvertreib:
+So dien ich Euch mit einem andere Rate,
+Bemüht Euch um ein reiches Weib;
+Doch strebt Ihr durch die Frau nach einem hohen Range,
+Nun so vergeßt, daß beßre Mädchen sind,
+Wählt eines großen Mannes Kind,
+Und untersucht die Wahl nicht lange;
+Doch wollt Ihr mehr für Eure Seele wählen,
+Als für die Sinnen und den Leib:
+So wagts, um Euch nach Wunsche zu vermählen,
+Und wählt Euch ein gelehrtes Weib."
+Hier schwieg der Alte lachend still.
+
+"Ach", sprach der junge Mensch, "das will ich ja nicht wissen:
+Ich frage, welches Weib ich werde wählen müssen,
+Wenn ich zufrieden leben will?
+Und wenn ich, ohne mich zu grämen--"
+
+"O", fiel der Greis ihm ein, "da müßt Ihr keine nehmen!"
+
+
+
+
+
+Der gütige Besuch
+
+Ein offner Kopf, ein muntrer Geist,
+Kurz, einer von den feinen Leuten,
+Die ihr Beruf zu Neuigkeiten
+Nie denken, ewig reden heißt;
+Die mit Gewalt es haben wollen,
+Daß Kluge närrisch werden sollen;
+Ein solcher Schwätzer trat herein,
+Dem Dichter den Besuch zu geben.
+"O", rief er, "welch ein traurig Leben!
+Wie? Schlafen Sie denn nicht bei Ihren Büchern ein?
+So sind Sie denn so ganz allein,
+Und müssen gar vor Langerweile lesen?
+Ich dacht es wohl, drum kam ich so geschwind."
+"Ich bin", sprach der Poet, "noch nie allein gewesen,
+Als seit der Zeit, da Sie zugegen sind."
+
+
+
+
+
+Der Hund
+
+Phylax, der so manche Nacht
+Haus und Hof getreu bewacht,
+Und oft ganzen Diebesbanden
+Durch sein Bellen widerstanden;
+Phylax, dem Lips Tullian,
+Der doch gut zu stehlen wußte,
+Selber zweimal weichen mußte;
+Diesen fiel ein Fieber an.
+Alle Nachbarn gaben Rat.
+Krummholzöl und Mithridat
+Mußte sich der Hund bequemen,
+Wider Willen einzunehmen.
+Selbst des Nachbar Gastwirts Müh,
+Der vordem in fremden Landen,
+Als ein Doktor, ausgestanden,
+War vergebens bei dem Vieh.
+
+Kaum erscholl die schlimme Post,
+Als von ihrer Mittagskost,
+Alle Brüder und Bekannten,
+Phylax zu besuchen, rannten.
+Pantelon, sein bester Freund,
+Leckt ihm an dem heißen Munde.
+O, erseufzt er, bittre Stunde!
+O! wer hätte das gemeint?
+
+"Ach!" rief Phylax, "Pantelon!
+Ists nicht wahr, ich sterbe schon?
+Hätt ich nur nichts eingenommen,
+Wär ich wohl davongekommen.
+Sterb ich Ärmster so geschwind:
+O! so kannst du sicher schreien,
+Daß die vielen Arzeneien
+Meines Todes Quelle sind.
+
+Wie zufrieden schlief ich ein!
+Sollt ich nur so manches Bein,
+Das ich mir verscharren müssen,
+Vor dem Tode noch genießen.
+Dieses macht mich kummervoll,
+Daß ich diesen Schatz vergessen,
+Nicht vor meinem Ende fressen,
+Auch nicht mit mir nehmen soll.
+
+Liebst du mich, und bist du treu:
+O! so hole sie herbei;
+Eines wirst du bei den Linden,
+An dem Gartentore finden;
+Eines, lieber Pantelon,
+Hab ich nur noch gestern morgen
+In dem Winterreis verborgen;
+Aber friß mir nichts davon."
+
+Pantelon war fortgerannt,
+Brachte treulich, was er fand;
+Phylax roch, bei schwachem Mute,
+Noch den Dunst von seinem Gute.
+Endlich, da sein Auge bricht,
+Spricht er: "Laß mir alles liegen!
+Sterb ich, so sollst du es kriegen;
+Aber, Bruder, eher nicht.
+
+Sollt ich nur so glücklich sein,
+Und das schöne Schinkenbein,
+Das ich--doch ich mags nicht sagen,
+Wo ich dieses hingetragen.
+Werd ich wiederum gesund:
+Will ich dir, bei meinem Leben,
+Auch die beste Hälfte geben;
+Ja du sollst--" Hier starb der Hund.
+
+----
+
+Der Geizhals bleibt im Tode karg;
+Zween Blicke wirft er auf den Sarg,
+Und tausend wirft er mit Entsetzen
+Nach den mit Angst verwahrten Schätzen.
+O schwere Last der Eitelkeit!
+Um schlecht zu leben, schwer zu sterben,
+Sucht man sich Güter zu erwerben;
+Verdient ein solches Glück wohl Neid?
+
+
+
+
+Der junge Drescher
+
+Dem Drescher, der im weichen Gras
+Vor seinem Topf, mit Milch und schwarzem Brote, saß,
+Dem wollte seine Milch nicht schmecken.
+Er fing verdrießlich an, sich in das Gras zu strecken,
+Dacht ängstlich seinem Schicksal nach,
+Und dehnte sich dreimal, und sprach:
+Du bist ein schlechter Kerl, du hast kein eignes Dach,
+Und mußt dich Tag vor Tag mit deinem Flegel plagen.
+Du tätst ja gern mit deinem Schatze schön;
+Allein, du Narr, mußt in der Scheune stehn,
+Und kannst nach langen vierzehn Tagen
+Kaum einmal in die Schenke gehn,
+Und einen Krug mit Bier und deine Mieke sehn.
+Du bist noch jung, und kannst hübsch lesen und hübsch schreiben,
+Und wolltest stets ein Drescher bleiben?
+Des Schulzens Tochter ist dir gut,
+Ist reich und kann sich hübsch gebärden:
+So nimm sie doch. Du kannst, mein Blut!
+Wohl mit der Zeit noch Schulze werden.
+Alsdann ißt du dein Stücke Fleisch in Ruh,
+Und trinkst dein gutes Bier dazu,
+Und hast gleich nach dem Pfarr die Ehre--
+O wenn ich doch schon Schulze wäre!
+Indem Hanns noch so sprach, kam seine Schöne her.
+Sie tat, als käme sie nur so von ungefähr;
+Allein sie kam mit Fleiß, weil sie ihn sprechen wollte,
+Und er verwegen sein, und sie recht herzen sollte.
+Denn Mädchen, wenn sie gleich das Dorf erzogen hat,
+Sind wie die Mädchen in der Stadt.
+
+Hanns zieht die Schöne sanft zu sich ins Grüne nieder,
+Lobt ihren neuen Latz, schielt öfters auf ihr Mieder,
+Fast wie ein junger Herr. Nur mit dem Unterscheid,
+Er hatte mehr Schamhaftigkeit.
+Kurz, er fing an, sie recht verliebt zu küssen,
+Bat um ihr Herz, und trug ihr Herz davon,
+Und ward, wie viele noch auf diesem Dorfe wissen,
+Des reichen Schulzen Schwiegersohn.
+Kaum hatt er sie, so ward der Alte schon
+Durch schnellen Tod der Welt und seinem Dorf entrissen.
+Wen wird man nun Herr Schulze grüßen?
+Wen anders, als den Schwiegersohn?
+
+Er eilt ins Amt, kömmt bald und freudig wieder,
+Und wirft sich auf die Bank, als Schulz im Dorfe, nieder.
+
+So wie ein durch den Fleiß vollendeter Student,
+Nach einem glücklichen Examen,
+Sich selbst vor trunkner Lust nicht kennt,
+Wenn ihn die Magd in seiner Schöne Namen,
+Nach einem tiefen Kompliment,
+Das erstemal Herr Doktor nennt:
+So wußt auch Hanns vor großer Freude
+Nicht, wo er Händ und Füße ließ,
+Als ihn Schulmeisters Adelheide
+Das erstemal Herr Schulze hieß.
+
+Wie glücklich pries er sich in seiner Ehrenstelle!
+Er aß sein Fleisch, und tat den Gästen oft Bescheid.
+Allein es kamen mit der Zeit
+Auch viel unangenehme Fälle.
+Denn welches Amt ist wohl davon befreit?
+Nach einer nicht gar langen Zeit
+Warf sich Herr Hanns verdrießlich auf die Stelle,
+Auf der er sich sein Glück erfreit,
+Und oft gewünscht: Wenn ich doch Schulze wäre!
+Ich, fing er zu sich selber an,
+Ich habe Haus, und Hof, und Ehre,
+Und bin mit alledem doch ein geplagter Mann.
+Bald soll ich von der Bauern Leben
+Im Amte Red und Antwort geben,
+Da fährt mich denn der Amtmann an,
+Und heißt mich einen dummen Mann.
+Bald quälen mich die teuflischen Soldaten,
+Und fluchen mir die Ohren voll.
+Bald weiß ich mir bei den Mandaten,
+Bald in Quatembern nicht zu raten,
+Die ich dem Landknecht schaffen soll.
+
+Die Bauern brummen, wenn ich strafe,
+Und straf ich nicht: so lachen sie mich aus.
+Sonst störte mich kein Mensch im Schlafe,
+Itzt pocht mich jeder Narr heraus,
+Und, wenn es niemand tut, so hunzt die Frau mich aus.
+O wäre mirs nur keine Schande,
+Ich griffe nach dem ersten Stande,
+Und stürb als Drescher auf dem Lande.
+
+----
+
+Wer weiß, ob mancher Große nicht
+Im Herzen wie der Schulze spricht?
+Wer weiß, wie viele sonst zu Fuße ruhig waren,
+Die itzund mißvergnügt in stolzen Kutschen fahren?
+Wer weiß, ob manches Herz nicht viel zufriedner schlug,
+Eh es der Fürsten Gunst an einem Bande trug?
+O lernt, ihr unzufriednen Kleinen,
+Daß ihr die Ruh nicht durch den Stand gewinnt!
+Lernt doch, daß die am mindsten glücklich sind,
+Die euch am meisten glücklich scheinen!
+
+
+
+
+Der junge Gelehrte
+
+Ein junger Mensch, der viel studierte,
+Und, wie die Eltern ganz wohl sahn,
+Was Großes schon im Schilde führte,
+Sprach einen Greis um solche Schriften an,
+Die stark und sinnreich denken lehrten,
+Mit einem Wort, die zum Geschmack gehörten.
+Der Alte ward von Herzen froh,
+Und lobt ihm den Homer, den Plato, Cicero,
+Und hundert mehr aus alt und neuer Zeit,
+Die mit den heilgen Lorbeerkränzen
+Der Dichtkunst und Wohlredenheit,
+Umleuchtet von der Ewigkeit,
+Den Jünglingen entgegenglänzen.
+"O", hub der junge Mensch mit stolzem Lächeln an:
+"Ich habe sie fast alle durchgelesen;
+Allein"--"Nun gut", sprach der gelehrte Mann,
+"Sind sie nach Seinem Sinn gewesen:
+So muß Er sie noch zweimal lesen;
+Doch sind sie Ihm nicht gut genug gewesen:
+So sag Ers ja den Klugen nicht,
+Denn sonst erraten sie, woran es Ihm gebricht,
+Und heißen Ihn die Zeitung lesen."
+
+
+
+
+
+Der junge Prinz
+
+Ein junger Prinz, der sich des Oheims Gunst empfohlen,
+Bekam von ihm zweihundert Stück Pistolen
+Mit der Ermunterung, damit wohl umzugehn.
+Er ließ nach einger Zeit sich wieder vor ihm sehn.
+Indem daß nun der Oheim mit ihm redte:
+So fragt er ihn zu gleicher Zeit,
+Ob er das letzte Geld wohl angewendet hätte?
+"Hier", sprach der junge Prinz erfreut,
+"Hier hab ich meine ganze Kasse;
+An den zweihunderten fehlt nicht ein einzig Stück."
+
+Der Oheim nahm den Augenblick
+Das Geld, und warf es auf die Gasse.
+"Lernt, Prinz", fing drauf der Oheim an,
+"Die Kunst, das Geld nutzbarer anzuwenden;
+Ein Prinz hat darum viel in Händen,
+Damit er vielen dienen kann."
+
+
+
+
+
+Der Jüngling
+
+Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört,
+In der der Segen wohnen sollte,
+Entschloß sich, daß er da sich niederlassen wollte.
+Dort, sprach er oft, sei dir dein Glück beschert.
+Er nahm die Reise vor, und sah schon mit Vergnügen
+Die liebe Stadt auf einem Berge liegen.
+Gottlob! fing unser Jüngling an,
+Daß ich die Stadt schon sehen kann;
+Allein der Berg ist steil. O, wär er schon erstiegen!
+Ein fruchtbar Tal stieß an des Berges Fuß.
+Die größte Menge schöner Früchte
+Fiel unserm Jüngling ins Gesichte.
+O, dacht er, weil ich doch sehr lange steigen muß:
+So will ich, meinen Durst zu stillen,
+Den Reisesack mit solchen Früchten fällen.
+Er aß, und fand die Frucht vortrefflich vom Geschmack,
+Und füllte seinen Reisesack.
+
+Er stieg den Berg hinan, und fiel den Augenblick
+Beladen in das Tal zurück.
+"O Freund!" rief einer von den Höhen,
+"Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen.
+Der Berg ist steil, und mühsam jeder Schritt.
+Und du nimmst dir noch eine Bürde mit?
+Vergiß das Obst, das du zu dir genommen,
+Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen.
+Steig leer, und steig beherzt, und gib dir alle Müh;
+Denn unser Glück verdienet sie."
+
+Er stieg, und sah empor, wie weit er steigen müßte.
+Ach Himmel! ach, es war noch weit.
+Er ruht und aß zu gleicher Zeit
+Von seiner Frucht, damit er sich die Müh versüßte.
+Er sah bald in das Tal, und bald den Berg hinan;
+Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen an.
+Er sinnt. Ja ja, er mag es überlegen.
+Steig, sagt ihm sein Verstand, bemüh dich um dein Glück.
+Nein, sprach sein Herz, kehr in das Tal zurück;
+Du steigst sonst über dein Vermögen.
+Ruh etwas aus, und iß dich satt,
+Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte hat.
+Dies tat er auch. Er pflegte sich im Tale,
+Entschloß sich oft zu gehn, und schien sich stets zu matt.
+Das erste Hindernis galt auch die andern Male.
+Kurz, er vergaß sein Glück, und kam nie in die Stadt.
+
+----
+
+Dem Jüngling gleichen viele Christen.
+Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt,
+Und sehn darauf nach ihren Lüsten,
+Und nehmen ihre Lüste mit.
+Beschwert mit diesen Hindernissen,
+Weicht bald ihr träger Geist zurück.
+Und, auf ein sinnlich Glück beflissen,
+Vergessen sie die Müh um ein unendlich Glück.
+
+
+
+
+Der Kandidat
+
+Ein Kandidat, der gern befördert werden wollte,
+Lag einem sehr berühmten Mann,
+Der viel vermocht, inständig an,
+Daß er sein Glück ihm machen sollte,
+Und reichte, weil ein Platz im Ratstuhl offen war,
+Dem Gönner eine Bittschrift dar.
+Der Gönner las sie durch, und las sie mit Vergnügen.
+"Es kränkt mich", fing er an, und nahm ihn bei der Hand,
+"Daß ich Sie eher nicht gekannt.
+Ich lieb und ehre den Verstand.
+Sie sollen dieses Amt vor allen andern kriegen."
+Er sprach darauf mit ihm, und was der Jüngling sprach,
+Verriet den besten Geist, geschaffen zum Studieren,
+Zum größten Amte nicht zu schwach,
+Und wert, die andern zu regieren.
+
+"Ach!" sprach der Gönner ganz erfreut,
+"Nun kenn ich Sie; das Amt ist Ihre",
+Und in der größten Freundlichkeit
+Ging er mit ihm bis vor die Türe.
+Hier bot der Jüngling ihm ein großes Goldstück an,
+Um sichrer noch zu gehn. "Nein", sprach der wackre Mann,
+"Nunmehr soll dieses Amt nicht Ihre;
+Denn wer Geschenke gibt, nimmt sie auch wieder an;
+Ihr Herz ist schlecht." Hier griff er nach der Türe.
+
+
+
+
+
+Der Knabe
+
+Ein Knabe, der den fleißigen Papa,
+Oft nach den Sternen gucken sah,
+Wollt auch den Himmel kennenlernen.
+Er blieb steif vor dem Sehrohr stehn,
+Und sah begierig nach den Sternen;
+Allein er konnte nicht viel sehn.
+"Was heißt es denn", sprach drauf der Knabe,
+"Daß ich fast nichts erkennen kann?
+Ha, ha, nun fällt mirs ein, was ich vergessen habe;
+Mein Vater fängt es anders an,
+Er blinzt zuweilen zu, das hab ich nicht getan.
+O bin ich nicht ein dummer Knabe!
+Schon gut! Nun weiß ich, was ich tu."
+Und hurtig hielt er sich die Augen beide zu,
+Und sah durchs Sehrohr nach den Sternen.
+Der Narr! Was sah er denn? Das alles, was du siehst,
+Wenn du, um durch die Schrift Gott deutlich sehn zu lernen,
+Dir die Vernunft vorher entziehst.
+
+
+
+
+Der Kranke
+
+Ein Mann, den lange schon die Gliederkrankheit plagte,
+Tat alles, was man ihm nur sagte,
+Und konnte doch von seiner Pein
+Auf keine Weise sich befrein.
+Ein altes Weib, der er sein Elend klagte,
+Schlug ihm geheimnisvoll ein magisch Mittel vor.
+"Ihr müßt Euch", zischt sie ihm ins Ohr,
+"Auf eines Frommen Grab bei früher Sonne setzen,
+Und Euch mit dem gefallnen Tau
+Dreimal die Hand, dreimal den Schenkel netzen;
+Es hilft, gedenkt an eine Frau."
+Der Kranke tat, was ihm die Alte sagte;
+Denn sagt, was tut man nicht, ein Übel los zu sein?
+Er ging zum Kirchhof hin, und zwar, sobald es tagte,
+Und trat an einen Leichenstein,
+Und las: "Wer dieser Mann gewesen,
+Läßt, Wandrer, dich sein Grabmal lesen:
+Er war das Wunder seiner Zeit,
+Das Muster wahrer Frömmigkeit;
+Und, daß man viel mit wenig Worten sagt,
+Er ists, den Kirch und Schul, und Stadt und Land beklagt."
+Hier setzt sich der Geplagte nieder,
+Benetzt die halb gelähmten Glieder;
+Doch ohne Wirkung bleibt die Kur,
+Sein Gliederschmerz vermehrt sich nur.
+Er greift betrübt nach seinem Stabe,
+Schleicht von des frommen Mannes Grabe,
+Und setzt sich auf das nächste Grab,
+Dem keine Schrift ein Denkmal gab;
+Hier nahm sein Schmerz allmählich ab.
+Er braucht sogleich sein Mittel wieder;
+Schnell lebten die gelähmten Glieder,
+Und, ohne Schmerz und ohne Stab,
+Verließ er dieses fromme Grab.
+"Ach", rief er, "läßt kein Stein mich lesen,
+Wer dieser fromme Mann gewesen?"
+Der Küster kam von ungefähr herbei;
+Den fragt der Mann, wer hier begraben sei?
+Der Küster läßt sich lange fragen,
+Als könnt ers ohne Scheu nicht sagen.
+"Ach!" hub er endlich seufzend an:
+"Verzeih mirs Gott! es war ein Mann,
+Dem, weil er Ketzereien glaubte,
+Man kaum ein ehrlich Grab erlaubte;
+Ein Mann, der lose Künste trieb,
+Komödien und Verse schrieb;
+Er war, wie ich mit Recht behaupte,
+Ein Neuling und ein Bösewicht."
+"Nein!" sprach der Mann, "das war er nicht,
+So gottlos ihn die Leute schalten;
+Doch jener dort, den ihr für fromm gehalten,
+Von dem sein Grab so rühmlich spricht,
+Der war gewiß ein Bösewicht."
+
+
+
+
+
+Der Kuckuck
+
+Der Kuckuck sprach mit einem Star,
+Der aus der Stadt entflohen war.
+"Was spricht man", fing er an zu schreien,
+"Was spricht man in der Stadt von unsern Melodeien?
+Was spricht man von der Nachtigall?"
+"Die ganze Stadt lobt ihre Lieder."
+"Und von der Lerche?" rief er wieder.
+"Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall."
+"Und von der Amsel?" fuhr er fort.
+"Auch diese lobt man hier und dort."
+"Ich muß dich doch noch etwas fragen:
+Was", rief er, "spricht man denn von mir?"
+"Das", sprach der Star, "das weiß ich nicht zu sagen;
+Denn keine Seele redt von dir."
+"So will ich", fuhr er fort, "mich an dem Undank rächen,
+Und ewig von mir selber sprechen."
+
+
+
+
+Der Lügner
+
+Ihr Meister in der Kunst zu lügen,
+Rühmt euren Witz, schlau zu betrügen,
+Soviel ihr uns davon erzählt:
+So wett ich doch, daß euch die rechte List noch fehlt.
+Ein schlechter Mensch, ihr werdet lachen,
+Wird euch den Vorzug streitig machen.
+
+----
+
+In London saß ein böser Bube
+Nebst einem andern auf den Tod.
+Ein Anatomikus trat in die Kerkerstube,
+Und tat auf seinen Leib dem einen ein Gebot.*
+Doch Niklas schwor, daß ihn der Teufel holen sollte,
+Eh er für diesen Preis dem Arzt sich lassen wollte.
+"Herr", schrie der andre Delinquent,
+"Sagt, wie Ihr um den Kerl so lange handeln könnt?
+Laßt seinen magern Leib den Raben.
+Seht, wie gesund ich bin, wie fett! Ihr sollt mich haben.
+Und wißt Ihr, was Ihr geben sollt?
+Ich will es billig mit Euch machen:
+Drei Gulden. Bin ich tot: so schneidet, wie Ihr wollt,
+Ich will von keinem Schnitt erwachen."
+Kaum hat er noch das Geld empfangen:
+So rief der witzge Delinquent:
+"Gelogen! Herr, seht zu, wie Ihr mich kriegen könnt!
+Ich werd in Ketten aufgehangen."
+
+
+
+
+
+Der Maler
+
+Ein kluger Maler in Athen,
+Der minder, weil man ihn bezahlte,
+Als, weil er Ehre suchte, malte,
+Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn,
+Und bat sich seine Meinung aus.
+Der Kenner sagt ihm frei heraus,
+Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte,
+Und daß es, um recht schön zu sein,
+Weit minder Kunst verraten sollte.
+Der Maler wandte vieles ein:
+Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen,
+Und konnt ihn doch nicht überwinden.
+Gleich trat ein junger Geck herein,
+Und nahm das Bild in Augenschein.
+"O", rief er, bei dem ersten Blicke,
+"Ihr Götter, welch ein Meisterstücke!
+Ach welcher Fuß! O wie geschickt
+Sind nicht die Nägel ausgedrückt!
+Mars lebt durchaus in diesem Bilde.
+Wie viele Kunst, wie viele Pracht,
+Ist in dem Helm, und in dem Schilde,
+Und in der Rüstung angebracht!"
+
+Der Maler ward beschämt gerühret,
+Und sah den Kenner kläglich an.
+"Nun", sprach er, "bin ich überführet!
+Ihr habt mir nicht zuviel getan."
+Der junge Geck war kaum hinaus:
+So strich er seinen Kriegsgott aus.
+
+----
+
+Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt;
+So ist es schon ein böses Zeichen;
+Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält:
+So ist es Zeit, sie auszustreichen.
+
+
+
+
+Der Polyhistor
+
+An jenem Fluß, zu dem wir alle müssen,
+Es mag uns noch so sehr verdrüßen,
+An jenem Fluß kam einst ein hochgelehrter Mann,
+Bestäubt von seinen Büchern, an,
+Und eilte zu des Charons Kahn.
+"Willkommen!" fing der Fährmann an,
+Indem er sich aufs Ruder lehnte,
+Und bei dem Wort Willkommen herzlich gähnte,
+"Wer seid Ihr denn, mein lieber Mann?"
+"Ein Polyhistor", sprach der Schatten,
+"Für den die Schulen Ehrfurcht hatten--"
+Indem er noch vor Charons Kahn
+Von seinen Sprachen sprach, von nichts als Stümpern redte,
+Und von Quartanten schrie, die er geschrieben hätte,
+Kam noch ein andrer Schatten an,
+Mit einer demutsvollen Miene.
+"Und wer seid Ihr, auch ein gelehrter Mann?"
+"Ich zweifle sehr", sprach er, "ob ich den Ruhm verdiene.
+Ich habe nichts als mich studiert.
+Nichts als mein Herz, das mich so oft verführt,
+Des Tiefe sucht ich zu ergründen,
+Um meine Ruh und andrer Ruh zu finden;
+Allein soviel ich immer nachgedacht,
+Und so bekannt ich mich mit der Vernunft gemacht:
+So hab ichs doch nicht weit gebracht,
+Wie mich viel Fehler überzeugen."
+
+Der Polyhistor hörts und lacht,
+Und eilt, um in den Kahn zuallererst zu steigen.
+"Zurück!" rief Charon ziemlich hart,
+"Ich muß zuerst den Klugen überfahren,
+Kaum einer kömmt in hundert Jahren;
+Allein an Leuten Eurer Art,
+Die stolze Polyhistor waren,
+Hab ich mich schon bald lahm gefahren."
+
+
+
+
+
+Der Prozeß
+
+Ja, Prozesse müssen sein!
+Gesetzt, sie wären nicht auf Erden,
+Wie könnt alsdann das Mein und Dein
+Bestimmet und entschieden werden?
+Das Streiten lehrt uns die Natur.
+Drum, Bruder, recht' und streite nur.
+Du siehst, man will dich übertäuben;
+Doch gib nicht nach, setz alles auf,
+Und laß dem Handel seinen Lauf;
+Denn Recht muß doch Recht bleiben.
+"Was sprecht Ihr, Nachbar? Dieser Rain,
+Der sollte, meint Ihr, Euer sein?
+Nein, er gehört zu meinen Hufen."
+
+"Nicht doch, Gevatter, nicht, Ihr irrt;
+Ich will Euch zwanzig Zeugen rufen,
+Von denen jeder sagen wird,
+Daß lange vor der Schwedenzeit--"
+
+"Gevatter, Ihr seid nicht gescheit!
+Versteht Ihr mich? Ich will Euchs lehren,
+Daß Rain und Gras mir zugehören.
+Ich will nicht eher sanfte ruhn;
+Das Recht, das soll den Ausspruch tun."
+
+So saget Kunz, schlägt in die Hand,
+Und rückt den spitzen Hut die Quere.
+"Ja, eh ich diesen Rain entbehre,
+So meid ich lieber Gut und Land."
+Der Zorn bringt ihn zu schnellen Schritten,
+Er eilet nach der nahen Stadt.
+Allein, Herr Glimpf, sein Advokat,
+War kurz zuvor ins Amt geritten.
+Er läuft, und holt Herrn Glimpfen ein.
+Wie, sprecht ihr, kann das möglich sein?
+Kunz war zu Fuß, und Glimpf zu Pferde.
+So glaubt ihr, daß ich lügen werde?
+Ich bitt euch, stellt das Reden ein,
+Sonst werd ich, diesen Schimpf zu rächen,
+Gleich selber mit Herrn Glimpfen sprechen.
+
+Ich sag es noch einmal, Kunz holt Herr Glimpfen ein,
+Greift in den Zaum, und grüßt Herr Glimpfen.
+"Herr!" fängt er ganz erbittert an,
+"Mein Nachbar, der infame Mann,
+Der Schelm, ich will ihn zwar nicht schimpfen;
+Der, denkt nur, spricht, der schmale Rain,
+Der zwischen unsern Feldern lieget,
+Der, spricht der Narr, der wäre sein.
+Allein den will ich sehn, der mich darum betrüget.
+Herr", fuhr er fort, "Herr, meine beste Kuh,
+Sechs Scheffel Haber noch dazu!
+(Hier wieherte das Pferd vor Freuden.)
+O dient mir wider ihn, und helft die Sach entscheiden."
+
+"Kein Mensch", versetzt Herr Glimpf, "dient freudiger als ich.
+Der Nachbar hat nichts einzuwenden,
+Ihr habt das größte Recht in Händen;
+Aus Euren Reden zeigt es sich.
+Genug, verklagt den Ungestümen!
+Ich will mich zwar nicht selber rühmen,
+Dies tut kein ehrlicher Jurist;
+Doch dieses könnt Ihr leicht erfahren,
+Ob ein Prozeß, seit zwanzig Jahren,
+Von mir verloren worden ist?
+Ich will Euch Eure Sache führen,
+Ein Wort, ein Mann! Ihr sollt sie nicht verlieren."
+Glimpf reutet fort. "Herr", ruft ihm Kunz noch nach,
+"Ich halte, was ich Euch versprach."
+
+Wie hitzig wird der Streit getrieben!
+Manch Ries Papier wird vollgeschrieben.
+Das halbe Dorf muß in das Amt;
+Man eilt, die Zeugen abzuhören,
+Und fünfundzwanzig müssen schwören,
+Und diese schwören insgesamt,
+Daß, wie die alte Nachricht lehrte,
+Der Rain ihm gar nicht zugehörte.
+Ei, Kunz, das Ding geht ziemlich schlecht!
+Ich weiß zwar wenig von dem Rechte;
+Doch im Vertraun geredt, ich dächte,
+Du hättest nicht das größte Recht.
+
+Manch widrig Urteil kömmt; doch laßt es widrig klingen!
+Glimpf muntert den Klienten auf:
+"Laßt dem Prozesse seinen Lauf,
+Ich schwör Euch, endlich durchzudringen,
+Doch--
+ "Herr, ich hör es schon; ich will das Geld gleich bringen."
+
+Kunz borgt manch Kapital. Fünf Jahre währt der Streit;
+Allein, warum so lange Zeit?
+Dies, Leser, kann ich dir nicht sagen,
+Du mußt die Rechtsgelehrten fragen.
+
+Ein letztes Urteil kömmt. O seht doch, Kunz gewinnt!
+Er hat zwar viel dabei gelitten;
+Allein was tuts, daß Haus und Hof verstritten,
+Und Haus und Hof schon angeschlagen sind?
+Genug, daß er den Rain gewinnt.
+"O", ruft er, "lernt von mir, den Streit aufs höchste treiben,
+Ihr seht ja, Recht muß doch Recht bleiben!"
+
+
+
+
+
+Der Reisende
+
+Ein Wandrer bat den Gott der Götter,
+Den Zeus, bei ungestümem Wetter,
+Um stille Luft und Sonnenschein.
+Umsonst! Zeus läßt sich nicht bewegen;
+Der Himmel stürmt mit Wind und Regen,
+Denn stürmisch sollt es heute sein.
+Der Wandrer setzt mit bittrer Klage,
+Daß Zeus mit Fleiß die Menschen plage,
+Die saure Reise mühsam fort.
+Sooft ein neuer Sturmwind wütet,
+Und schnell ihm stillzustehn gebietet:
+Sooft ertönt ein Lästerwort.
+
+Ein naher Wald soll ihn beschirmen;
+Er eilt, dem Regen und den Stürmen
+In diesem Holze zu entgehn;
+Doch eh der Wald ihn aufgenommen:
+So sieht er einen Räuber kommen,
+Und bleibt vor Furcht im Regen stehn.
+
+Der Räuber greift nach seinem Bogen,
+Den schon die Nässe schlaff gezogen;
+Er zielt, und faßt den Pilger wohl;
+Doch Wind und Regen sind zuwider;
+Der Pfeil fällt matt vor dem danieder,
+Dem er das Herz durchbohren soll.
+
+"O Tor!" läßt Zeus sich zornig hören,
+"Wird dich der nahe Pfeil nun lehren,
+Ob ich dem Sturm zu viel erlaubt?
+Hätt ich dir Sonnenschein gegeben,
+So hätte dir der Pfeil das Leben,
+Das dir der Sturm erhielt, geraubt."
+
+
+
+
+
+Der Schatz
+
+Ein kranker Vater rief den Sohn.
+"Sohn!" sprach er, "um dich zu versorgen,
+Hab ich vor langer Zeit einst einen Schatz verborgen;
+Er liegt--" Hier starb der Vater schon.
+Wer war bestürzter als der Sohn?
+"Ein Schatz! (So waren seine Worte.)
+Ein Schatz! Allein an welchem Orte?
+Wo find ich ihn?" Er schickt nach Leuten aus,
+Die Schätze sollen graben können,
+Durchbricht der Scheuern harte Tennen,
+Durchgräbt den Garten und das Haus,
+Und gräbt doch keinen Schatz heraus.
+Nach viel vergeblichem Bemühen
+Heißt er die Fremden wieder ziehen,
+Sucht selber in dem Hause nach,
+Durchsucht des Vaters Schlafgemach,
+Und findt mit leichter Müh (wie groß war sein Vergnügen!)
+Ihn unter einer Diele liegen.
+
+----
+
+Vielleicht, daß mancher eh die Wahrheit finden sollte,
+Wenn er mit mindrer Müh die Wahrheit suchen wollte.
+Und mancher hätte sie wohl zeitiger entdeckt,
+Wofern er nicht geglaubt, sie wäre tief versteckt.
+Verborgen ist sie wohl; allein nicht so verborgen,
+Daß du der finstern Schriften Wust,
+Um sie zu sehn, mit tausend Sorgen,
+Bis auf den Grund durchwühlen mußt.
+Verlaß dich nicht auf fremde Müh,
+Such selbst, such aufmerksam, such oft: du findest sie.
+Die Wahrheit, lieber Freund, die alle nötig haben,
+Die uns, als Menschen, glücklich macht,
+Ward von der weisen Hand, die sie uns zugedacht,
+Nur leicht verdeckt; nicht tief vergraben.
+
+
+
+
+Der Selbstmord
+
+O Jüngling, lern aus der Geschichte,
+Die dich vielleicht zu Tränen zwingt,
+Was für bejammernswerte Früchte
+Die Liebe zu den Schönen bringt!
+Ein Beispiel wohlgezogner Jugend,
+Des alten Vaters Trost und Stab,
+Ein Jüngling, der durch frühe Tugend
+Zur größten Hoffnung Anlaß gab;
+
+Den zwang die Macht der schönen Triebe,
+Climenen zärtlich nachzugehn.
+Er seufzt, er bat um Gegenliebe;
+Allein vergebens war sein Flehn.
+
+Fußfällig klagt er ihr sein Leiden.
+Umsonst! Climene heißt ihn fliehn.
+Ja, schreit er, ja, ich will dich meiden,
+Ich will mich ewig dir entziehn.
+
+Er reißt den Degen aus der Scheide,
+Und--o was kann verwegner sein!
+Kurz, er besieht die Spitz und Schneide,
+Und steckt ihn langsam wieder ein.
+
+
+
+
+
+Der sterbende Vater
+
+Ein Vater hinterließ zween Erben,
+Christophen, der war klug, und Görgen, der war dumm.
+Sein Ende kam, und kurz vor seinem Sterben
+Sah er sich ganz betrübt nach seinem Christoph um.
+"Sohn", fing er an, "mich quält ein trauriger Gedanke:
+Du hast Verstand, wie wird dirs künftig gehn?
+Hör an, ich hab in meinem Schranke
+Ein Kästchen mit Juwelen stehn,
+Die sollen dein. Nimm sie, mein Sohn,
+Und gib dem Bruder nichts davon."
+Der Sohn erschrak und stutzte lange.
+"Ach Vater", hub er an, "wenn ich so viel empfange,
+Wie kömmt alsdann mein Bruder fort?"
+"Er?" fiel der Vater ihm ins Wort,
+"Für Görgen ist mir gar nicht bange,
+Der kömmt gewiß durch seine Dummheit fort."
+
+
+
+
+
+Der süße Traum
+
+Mit Träumen, die uns schön betrügen,
+Erfreut den Timon einst die Nacht;
+Im Schlaf erlebt er das Vergnügen,
+An das er wachend kaum gedacht.
+Er sieht, aus seines Bettes Mitte
+Steigt schnell ein großer Schatz herauf.
+Und schnell baut er aus seiner Hütte
+Im Schlafe schon ein Lustschloß auf.
+Sein Vorsaal wimmelt von Klienten,
+Und, unbekleidet am Kamin,
+Läßt er, die ihn vordem kaum nennten,
+In Ehrfurcht itzt auf sich verziehn.
+Die Schöne, die ihn oft im Wachen
+Durch ihre Sprödigkeit betrübt,
+Muß Timons Glück vollkommen machen;
+Denn träumend sieht er sich geliebt.
+Er sieht von Doris sich umfangen,
+Und ruft, als dies ihm träumt, vergnügt;
+Er lallt: "O Doris, mein Verlangen!
+Hat Timon endlich dich besiegt?"
+Sein Schlafgeselle hört ihn lallen;
+Er hört, daß ihn ein Traum verführt,
+Und tut ihm liebreich den Gefallen,
+Und macht, daß sich sein Traum verliert.
+"Freund", ruft er, "laß dich nicht betrügen,
+Es ist ein Traum, ermuntre dich!"
+"O böser Freund, um welch Vergnügen",
+Klagt Timon ängstlich, "bringst du mich!
+Du machest, daß mein Traum verschwindet;
+Warum entziehst du mir die Lust?
+Genug, ich hielt sie für gegründet,
+Weil ich den Irrtum nicht gewußt."
+
+----
+
+Oft quält ihr uns, ihr Wahrheitsfreunde,
+Mit eurer Dienstbeflissenheit;
+Oft seid ihr unsrer Ruhe Feinde,
+Indem ihr unsre Lehrer seid.
+Wer heißt euch uns den Irrtum rauben,
+Den unser Herz mit Lust besitzt?
+Und der, so heftig wir ihn glauben,
+Uns dennoch minder schadt, als nützt?
+Der wird die halbe Welt bekriegen,
+Wer allen Wahn der Welt entzieht.
+Die meisten Arten von Vergnügen
+Entstehen, weil man dunkel sieht.
+Was denkt der Held bei seinen Schlachten?
+Er denkt, er sei der größte Held.
+Gönnt ihm die Lust, sich hochzuachten,
+Damit ihm nicht der Mut entfällt.
+Geht, fragt: Was denkt wohl Adelheide?
+Sie denkt, mein Mann liebt mich getreu.
+Sie irrt; doch gönnt ihr ihre Freude,
+Und laßt das arme Weib dabei.
+Was glaubt der Ehemann von Lisetten?
+Er glaubt, daß sie die Keuschheit ist.
+Er irrt; ich wollte selber wetten;
+Doch schweigt, wenn ihr es besser wißt.
+Was denkt der Philosoph im Schreiben?
+Mich liest der Hof, mich ehrt die Stadt!
+Er irrt; doch laßt ihn irrig bleiben,
+Damit er Lust zum Denken hat.
+Durchsucht der Menschen ganzes Leben:
+Was treibt zu großen Taten an?
+Was pflegt uns Ruh und Trost zu geben?
+Sehr oft ein Traum, ein süßer Wahn.
+Genug, daß wir dabei empfinden!
+Es sei auch tausendmal ein Schein!
+Sollt aller Irrtum ganz verschwinden:
+So wär es schlimm, ein Mensch zu sein.
+
+
+
+
+Der Tanzbär
+
+Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen,
+Entrann, und wählte sich den ersten Aufenthalt.
+Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen,
+Und brummten freudig durch den Wald.
+Und wo ein Bär den andern sah:
+So hieß es: Petz ist wieder da!
+Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen
+Für Abenteuer ausgestanden,
+Was er gesehn, gehört, getan!
+Und fing, da er vom Tanzen redte,
+Als ging er noch an seiner Kette,
+Auf polnisch schön zu tanzen an.
+Die Brüder, die ihn tanzen sahn,
+Bewunderten die Wendung seiner Glieder,
+Und gleich versuchten es die Brüder;
+Allein anstatt, wie er, zu gehn:
+So konnten sie kaum aufrecht stehn,
+Und mancher fiel die Länge lang danieder.
+Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn;
+Doch seine Kunst verdroß den ganzen Haufen.
+Fort, schrien alle, fort mit dir!
+Du Narr willst klüger sein, als wir?
+Man zwang den Petz, davonzulaufen.
+
+----
+
+Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen,
+Weil dir dann jeder ähnlich ist;
+Doch je geschickter du vor vielen andern bist;
+Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen.
+Wahr ists, man wird auf kurze Zeit
+Von deinen Künsten rühmlich sprechen;
+Doch traue nicht, bald folgt der Neid,
+Und macht aus der Geschicklichkeit
+Ein unvergebliches Verbrechen.
+
+
+
+
+Der Tartarfürst
+
+Ein Tartarfürst, von dem man in Geschichten preist,
+Daß er, als Prinz, Europa durchgereist,
+Befahl, weil er sein Volk galanter machen wollte,
+Daß kein vornehmes Weib ihr Kind selbst stillen sollte.
+Die wilden Damen lachten nur;
+Sie nährten nach wie vor ihr Kind mit ihren Brüsten,
+Und glaubten; daß sie der Natur
+Und ihren Müttern folgen müßten.
+Der Chan fing an, sich zu entrüsten,
+Gab ein sehr scharf Mandat, und schwur,
+Daß jede Frau vom Stande sterben sollte,
+Die für ihr Kind nicht Ammen halten wollte.
+Und weil sie sich gezwungen sahn:
+So nahmen sie denn Ammen an.
+Allein sie konnten sich des Triebs nicht lang erwehren,
+Ihr eigen Blut an ihrer Brust zu nähren.
+Die meisten fingen an, dem Chan den Tod zu schwören.
+Einst, als der Tartarfürst sich ganz allein befand,
+Kam, mit dem Degen in der Hand,
+Ein vornehm Weib auf ihn gerannt,
+Und sprach, von edlem Grimm entbrannt:
+"Hör auf, mein Kind mir abzudrängen,
+Sonst bin ich hier, dich umzubringen!
+Ich säug es selbst, und säug es mir zur Lust,
+Deswegen hab ich diese Brust.
+In dieser Pflicht, mein Kind daran zu nehmen,
+Soll mich, o Fürst, kein Tier beschämen."
+
+Der gute Tartarfürst erschrak,
+Und unterließ, um nicht sein Leben zu verlieren,
+Den europäischen Geschmack
+In seinen Horden einzuführen.
+
+
+
+
+
+Der Tod der Fliege und der Mücke
+
+Der Tod der Fliege heißt mich dichten;
+Der Tod der Mücke heischt mein Lied.
+Und kläglich will ich dir berichten,
+Wie jene starb, und die verschied.
+Sie setzte sich, die junge Fliege,
+Voll Mut auf einen Becher Wein;
+Entschloß sich, tat drei gute Züge,
+Und sank vor Lust ins Glas hinein.
+
+Die Mücke sah die Freundin liegen.
+"Dies Grabmal", sprach sie, "will ich scheun.
+Am Lichte will ich mich vergnügen,
+Und nicht an einem Becher Wein."
+
+Allein, verblendet von dem Scheine,
+Ging sie der Lust zu eifrig nach;
+Verbrannte sich die kleinen Beine,
+Und starb nach einem kurzen Ach.
+
+Ihr, die ihr euren Trieb zu nähren,
+In dem Vergnügen selbst verdarbt,
+Ruht wohl, und laßt zu euren Ehren
+Mich sagen, daß ihr menschlich starbt.
+
+
+
+
+
+Der unsterbliche Autor
+
+Ein Autor schrieb sehr viele Bände,
+Und ward das Wunder seiner Zeit;
+Der Journalisten gütge Hände
+Verehrten ihm die Ewigkeit.
+Er sah, vor seinem sanften Ende,
+Fast alle Werke seiner Hände
+Das sechste Mal schon aufgelegt,
+Und sich, mit tiefgelehrtem Blicke,
+In einer spanischen Perücke
+Vor jedes Titelblatt geprägt.
+Er blieb vor Widersprechern sicher,
+Und schrieb bis an den Tag, da ihn der Tod entseelt;
+Und das Verzeichnis seiner Bücher,
+Die kleinen Schriften mitgezählt,
+Nahm an dem Lebenslauf allein
+Drei Bogen und drei Seiten ein.
+Man las nach dieses Mannes Tode
+Die Schriften mit Bedachtsamkeit;
+Und seht, das Wunder seiner Zeit
+Kam in zehn Jahren aus der Mode,
+Und seine göttliche Methode
+Hieß eine bange Trockenheit.
+Der Mann war bloß berühmt gewesen,
+Weil Stümper ihn gelobt, eh Kenner ihn gelesen.
+
+----
+
+Berühmt zu werden, ist nicht schwer,
+Man darf nur viel für kleine Geister schreiben;
+Doch bei der Nachwelt groß zu bleiben,
+Dazu gehört noch etwas mehr,
+Als, seicht am Geist, in strenger Lehrart schreiben.
+
+
+
+
+
+Der Wuchrer
+
+Ein Wuchrer kam in kurzer Zeit
+Zu einem gräflichen Vermögen,
+Nicht durch Betrug und Ungerechtigkeit,
+Nein, er beschwur es oft, allein durch Gottes Segen.
+Und um sein dankbar Herz Gott an den Tag zu legen,
+Und auch vielleicht aus heiligem Vertraun,
+Gott zur Vergeltung zu bewegen,
+Ließ er ein Hospital für arme Fromme baun.
+Indem er nun den Bau zustande brachte,
+Und vor dem Hause stund, und heimlich überdachte,
+Wie sehr verdient er sich um Gott und Arme machte,
+Ging ein verschmitzter Freund vorbei.
+Der Geizhals, der gern haben wollte,
+Daß dieser Freund das Haus bewundern sollte,
+Fragt ihn mit freudigem Geschrei,
+Obs groß genug für Arme sei?
+"Warum nicht?" sprach der Freund. "Hier können viel Personen
+Recht sehr bequem beisammen sein;
+Doch sollen alle die hier wohnen,
+Die Ihr habt arm gemacht: so ist es viel zu klein."
+
+
+
+
+
+Der wunderbare Traum
+
+Aus einem alten Fabelbuche
+(Der Titelbogen fehlt daran,
+Sonst führt ichs meinen Lesern an),
+Aus dem ich mich Rats zu erholen suche,
+Wenn ich selbst nichts erfinden kann;
+Ans diesem alten deutschen Buche,
+Das mir schon manchen Dienst getan,
+Will ich mir einen Traum erwählen.
+Als ich einmal, so fängt mein Autor an,
+Nach seiner Weise zu erzählen,
+In einer Kirche saß, so fiel mir jähling ein:
+Wer mag von so viel tausend Seelen,
+Die diesen Ort zu ihrer Andacht wählen,
+Doch wohl die frömmste Seele sein?
+In den Gedanken schlief ich ein,
+Und sah im Traum vor mir des Tempels Schutzgeist stehen,
+"Du", sprach er, "wünschest dir, das frömmste Herz zu sehen?"
+Und rührte mein Gesicht mit seiner Rechten an.
+Mir kam, sobald er dies getan,
+Ein sanfter kalter Schauer an.
+Und plötzlich sah ich mich in heilgem Glanze stehen.
+"Fang an", sprach er, "die Kirche durchzugehen.
+Der, den dein Glanz so rührt, daß er dich dreimal küßt,
+Der hat das frömmste Herz, das hier zu finden ist."
+
+Ich ging, um es recht bald zu wissen,
+In dem empfangnen Glanz hart vor der Sakristei
+Einmal, und noch einmal, vorbei,
+Weil mir es schien, als wolle man mich küssen.
+Ich wartete noch eine gute Frist,
+Und ward einmal; allein ganz kalt, geküßt.
+
+Ich ging darauf in die Kapellen,
+In denen ich die frömmsten Mienen fand,
+Und alles schien sich aufzuhellen,
+Man lächelte, man tat galant
+Und küßte mir zur Not die Hand.
+
+Drauf ließ ich mich auf einer höhern Bühne
+Gesichtern, voll von Ernst und tiefer Weisheit, sehn.
+Ich blieb ein feines Weilchen stehn.
+Sie sahn mich an, und machten eine Miene,
+Als ob sie sich an mir schon satt gesehn.
+Und ungeküßt mußt ich von dannen gehn.
+
+Ich stellte mich nun vor die niedern Stände.
+Hier warfen mir viel weiße Hände,
+Da einen Kuß, dort einen zu.
+Ich ließ mein Auge lange fragen:
+Ach, gutes Herz! wo wohnest du?
+Allein man wollt es nicht, mich zu umarmen, wagen,
+Und ich ging ganz betrübt auf meinen Schutzgeist zu.
+Mein traurig Schicksal ihm zu klagen.
+Indem, daß ich noch durch die Halle schlich,
+Sah mich, in einem schlechten Kleide,
+Ein liebes Mädchen an, und seht, sie küßte mich
+Mit einer plötzlichen und unschuldsvollen Freude.
+Und eh ich noch von ihr den dritten Kuß erhielt:
+So fühlt ich schon die selgen Triebe
+Der Redlichkeit und Menschenliebe
+So stark in mir, als ich sie nie gefühlt.
+Ein Mädchen, rief ich aus, an das die Welt kaum dachte,
+Besitzt das beste Herz! Ich rief es, und erwachte.
+
+
+
+
+
+Der zärtliche Mann
+
+Die ihr so eifersüchtig seid,
+Und nichts als Unbeständigkeit,
+Den Männern vorzurücken pfleget!
+O Weiber, überwindet euch,
+Lest dies Gedicht und seid zugleich
+Beschämt, und ewig widerleget.
+Wir Männer sind es ganz allein,
+Die einmal nur, doch ewig lieben;
+Uns ist die Treu ins Blut geschrieben.
+Beweist es! hör ich alle schrein.
+Recht gut! Es soll bewiesen sein.
+
+----
+
+Ein liebes Weib ward krank, wovon? Von vieler Galle?
+Die alte Spötterei! Kein Kluger glaubt sie mehr.
+Nein, nein, die Weiber siechten alle,
+Wenn diese Übel schädlich wär.
+Genug, sie ward sehr krank. Der Mann wendt alles an,
+Was man von Männern fordern kann;
+Eilt, ihr zu rechter Zeit die Pulver einzuschütten;
+Er läßt für seine Frau in allen Kirchen bitten,
+Und gibt noch mehr dafür, als sonst gebräuchlich war:
+Und doch vermehrt sich die Gefahr.
+Er ächzt, er weint und schreit, er will mit ihr verderben.
+"Ach Engel", spricht die Frau, "stell deine Klagen ein!
+Ich werde mit Vergnügen sterben,
+Versprich mir nur, nicht noch einmal zu frein."
+Er schwört, sich keine mehr zu wählen.
+"Dein Schatten", ruft er, "soll mich quälen,
+Wenn mich ein zweites Weib besiegt."
+Er schwört. Nun stirbt sein Weib vergnügt.
+Wer kann den Kummer wohl beschreiben,
+Der unsern Witwer überfällt?
+Er weiß vor Jammer kaum zu bleiben;
+Zu eng ist ihm sein Haus, zu klein ist ihm die Welt.
+Er opfert seiner Frau die allertreusten Klagen,
+Bleibt ohne Speis und Trank, sucht keine Lagerstatt;
+Er klagt, und ist des Lebens satt.
+Indes befiehlt die Zeit, sie in das Grab zu tragen.
+Man legt der Seligen ihr schwarzes Brautkleid an;
+Der Witwer tritt betränt an ihren Sarg hinan.
+"Was?" fängt er plötzlich an zu fluchen,
+"Was, Henker, was soll dieses sein?
+Für eine tote Frau ein Brautkleid auszusuchen?
+Gesetzt, ich wollte wieder frein:
+So müßt ich ja ein neues machen lassen."
+
+Ihr Leute kränkt ihn nicht, geht, holt ein ander Kleid,
+Und laßt dem armen Witwer Zeit;
+Er wird sich mit der Zeit schon fassen.
+
+
+
+
+
+Der Zeisig
+
+Ein Zeisig wars und eine Nachtigall,
+Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen.
+Die Nachtigall fing an, ihr göttlich Lied zu singen,
+Und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall.
+"Ach welcher singt von beiden doch so schön?
+Den Vogel möcht ich wirklich sehn!"
+Der Vater macht ihm diese Freude,
+Er nimmt die Vögel gleich herein.
+"Hier", spricht er, "sind sie alle beide;
+Doch welcher wird der schöne Sänger sein?
+Getraust du dich, mir das zu sagen?"
+Der Sohn läßt sich nicht zweimal fragen,
+Schnell weist er auf den Zeisig hin:
+"Der", spricht er, "muß es sein, so wahr ich ehrlich bin.
+Wie schön und gelb ist sein Gefieder!
+Drum singt er auch so schöne Lieder;
+Dem andern sieht mans gleich an seinen Federn an,
+Daß er nichts Kluges singen kann."
+
+----
+
+Sagt, ob man im gemeinen Leben
+Nicht oft wie dieser Knabe schließt?
+Wem Farb und Kleid ein Ansehn geben,
+Der hat Verstand, so dumm er ist.
+Stax kömmt, und kaum ist Stax erschienen:
+So hält man ihn auch schon für klug.
+Warum? Seht nur auf seine Mienen,
+Wie vorteilhaft ist jeder Zug!
+Ein andrer hat zwar viel Geschicke;
+Doch weil die Miene nichts verspricht:
+So schließt man, bei dem ersten Blicke,
+Aus dem Gesicht, aus der Perücke,
+Daß ihm Verstand und Witz gebricht.
+
+
+
+
+Die Bauern und der Amtmann
+
+Ein sehr geschickter Kandidat,
+Der lange schon mit vielem Lobe
+Die Kanzeln in der Stadt betrat,
+Tat auf dem Dorfe seine Probe;
+Allein so gut er sie getan:
+So stund er doch den Bauern gar nicht an.
+Nein, der verstorbne Herr, das war ein andrer Mann,
+Der hatte recht auf seinen Text studieret,
+Und Gottes Wort, wie sichs gebühret,
+Bald griechisch, bald ebräisch angeführet,
+Die Kirchenväter oft zitieret,
+Die Ketzer stattlich ausschändieret,
+Und stets so fein schematisieret,
+Daß er der Bauern Herz gerühret.
+"Herr Amtmann, wie gesagt, erstatt Er nur Bericht,
+Wir mögen diesen Herrn nicht haben."
+"So sagt doch nur, warum denn nicht?"
+"Er hörts ja wohl, er hat nicht solche Gaben
+Wie der verstorbne Herr."
+
+Der Amtmann widerspricht;
+Der Suprintend ermahnt. Umsonst, sie hören nicht.
+Man mag Amphion sein, und Fels und Wald bewegen,
+Deswegen kann man doch nicht Bauern widerlegen.
+Kurz, man erstattete Bericht,
+Weil alle steif auf ihrem Sinn beharrten.
+
+Nunmehr kömmt ein Befehl. Ich kann es kaum erwarten,
+Bis ihn der Amtmann publiziert.
+Ich wette fast, ihr Bauern, ihr verliert!
+
+Man öffnet den Befehl. Und seht, der Landsherr wollte,
+Daß man dem Kandidat das Priestertum vertraun,
+Den Bauern Gegenteils es hart verweisen sollte.
+
+Der Suprintend fing an die Bauern zu erbaun,
+Und sprach, so schwierig sie noch schienen,
+Doch sehr gelind und fromm mit ihnen.
+"Herr Doktor!" fiel ihm drauf der Amtmann in das Wort,
+"Wozu soll diese Sanftmut dienen?
+Ihr Richter, Schöppen und so fort,
+Hört zu! Ich will mein Amt verwalten.
+Ihr Ochsen, die ihr alle seid!
+Euch Flegeln geb ich den Bescheid,
+Ihr sollt den Herrn zu eurem Pfarrn behalten.
+Sagts, wollt ihr oder nicht? denn itzt sind wir noch da."
+
+Die Bauern lächelten: "Ach ja, Herr Amtmann, ja!"
+
+
+
+
+
+Die beiden Hunde
+
+Daß oft die allerbesten Gaben
+Die wenigsten Bewundrer haben,
+Und daß der größte Teil der Welt
+Das Schlechte für das Gute hält;
+Dies Übel sieht man alle Tage;
+Allein wie wehrt man dieser Pest?
+Ich zweifle, daß sich diese Plage
+Aus unsrer Welt verdringen läßt.
+Ein einzig Mittel ist auf Erden;
+Allein es ist unendlich schwer.
+Die Narren müßten weise werden,
+Und seht, sie werdens nimmermehr.
+Nie kennen sie den Wert der Dinge.
+Ihr Auge schließt, nicht ihr Verstand;
+Sie loben ewig das Geringe,
+Weil sie das Gute nie gekannt.
+
+----
+
+Zween Hunde dienten einem Herrn,
+Der eine von den beiden Tieren,
+Joli, verstund die Kunst, sich lustig aufzuführen,
+Und wer ihn sah, vertrug ihn gern.
+Er holte die verlornen Dinge,
+Und spielte voller Ungestüm.
+Man lobte seinen Scherz, belachte seine Sprünge;
+Seht, hieß es, alles lebt an ihm!
+Oft biß er mitten in dem Streicheln:
+So falsch und boshaft war sein Herz;
+Gleich fing er wieder an zu schmeicheln:
+Dann hieß sein Biß ein feiner Scherz.
+Er war verzagt und ungezogen;
+Doch ob er gleich zur Unzeit bellt und schrie:
+So blieb ihm doch das ganze Haus gewogen:
+Er hieß der lustige Joli.
+Mit ihm vergnügte sich Lisette,
+Er sprang mit ihr zu Tisch und Bette;
+Und beide teilten ihre Zeit
+In Schlaf, in Scherz und Lustbarkeit;
+Sie aber übertraf ihn weit.
+Fidel, der andre Hund, war von ganz anderm Wesen.
+Zum Witze nicht ersehn, zum Scherze nicht erlesen,
+Sehr ernsthaft von Natur; doch wachsam um das Haus,
+Ging öfters auf die Jagd mit aus;
+War treu und herzhaft in Gefahr,
+Und bellte nicht, als wenn es nötig war.
+Er stirbt. Man hört ihn kaum erwähnen,
+Man trägt ihn ungerühmt hinaus.
+Joli stirbt auch. Da fließen Tränen!
+Seht, ihn beklagt das ganze Haus.
+Die ganze Nachbarschaft bezeiget ihren Schmerz.
+
+So gilt ein bißchen Witz mehr, als ein gutes Herz!
+
+
+
+
+
+Die beiden Knaben
+
+Ein jüngrer und ein ältrer Bube,
+Die der noch frühe Lenz aus der betrübten Stube
+Vom Buche zu dem Garten rief,
+Vielleicht, weil gleich ihr Informator schlief,
+Gerieten beid an eine Grube,
+In der der Schnee noch nicht zerlief.
+"Ach Bruder", sprach der kleine Bube,
+"Was meinst du, ist das Loch wohl tief?
+Ich hätte Lust"--"Was? Lust, hineinzuspringen?
+Du mußt doch ausgelassen sein.
+Versuch es nicht und spring hinein,
+Du könntest dich ums Leben bringen.
+Wir können uns ja sonst noch wohl erfreun,
+Als daß wir uns und unsern Kleidern schaden,
+Und kindisch Schnee und Eis durchwaden.
+Und kömmst du drauf zum Vater naß hinein:
+So hast dus da erst auszubaden."
+Doch keine Redekunst nahm unsern Knaben ein.
+"Wer wird im Schnee denn gleich ersaufen?"
+Und kurz und gut, er sprang hinein,
+Und ließ sichs wohl in seiner Grube sein;
+Doch kaum war er vor Kälte fortgelaufen:
+So sprang der Philosoph so gut wie er hinein.
+
+----
+
+Dies ist die Kunst der strengen Moralisten.
+Bekannt mit dem System, und von Grundsätzen voll,
+Beweisen sie das, was man lassen soll,
+So froh, als ob sie nichts von den Begierden wüßten.
+Sie sind von besserm Ton als wir.
+Sie bändigen ihr Herz durch die Gewalt der Schlüsse.
+Uns Armen ist die Torheit süße;
+Doch ihnen ekelt nur dafür.
+Wir lassen sie, wenn wir sie unternehmen,
+Aus gutem Herzen andern sehn,
+Und denken nicht daran, daß wir uns so vergehn.
+Sie aber, die gelehrt sich aller Torheit schämen,
+Begehn die Tat, die sie uns übelnehmen,
+Aus Tugend eher nicht, als bis wir es nicht sehn.
+
+
+
+
+Die beiden Mädchen
+
+Zwo junge Mädchen hofften beide,
+Worauf? Gewiß auf einen Mann;
+Denn dies ist doch die größte Freude,
+Auf die ein Mädchen hoffen kann.
+Die jüngste Schwester, Philippine,
+War nicht unordentlich gebaut;
+Sie hatt ein rund Gesicht, und eine zarte Haut;
+Doch eine sehr gezwungne Miene.
+So fest geschnürt sie immer ging,
+So viel sie Schmuck ins Ohr, und vor den Busen hing,
+So schön sie auch ihr Haar zusammenrollte;
+So ward sie doch bei alledem,
+Je mehr man sah, daß sie gefallen wollte,
+Um desto minder angenehm.
+Die andre Schwester, Caroline,
+War im Gesichte nicht so zart;
+Doch frei und reizend in der Miene,
+Und liebreich mit gelaßner Art.
+Und wenn man auf den heitern Wangen
+Gleich kleine Sommerflecken fand:
+Ward ihrem Reiz doch nichts dadurch entwandt,
+Und selbst ihr Reiz schien solche zu verlangen.
+Sie putzte sich nicht mühsam aus,
+Sie prahlte nicht mit teuren Kostbarkeiten.
+Ein artig Band, ein frischer Strauß,
+Die über ihren Ort, den sie erlangt, sich freuten,
+Und eine nach dem Leib wohl abgemeßne Tracht
+War Carolinens ganze Pracht.
+
+Ein Freier kam; man wies ihm Philippinen;
+Er sah sie an, erstaunt, und hieß sie schön;
+Allein sein Herz blieb frei, er wollte wieder gehn.
+Kaum aber sah er Carolinen:
+So blieb er vor Entzückung stehn.
+
+----
+
+Im Bilde dieser Frauenzimmer
+Zeigt sich die Kunst und die Natur;
+Die erste prahlt mit weit gesuchtem Schimmer,
+Sie fesselt nicht; sie blendet nur.
+Die andre sucht durch Einfalt zu gefallen,
+Läßt sich bescheiden sehn; und so gefällt sie allen.
+
+
+
+
+Die beiden Schwalben
+
+Zwo Schwalben sangen um die Wette,
+Und sangen mit dem größten Fleiß;
+Doch wenn die eine schrie, daß sie den Vorzug hätte,
+Gab doch die andre sich den Preis.
+Die Lerche kömmt. Sie soll den Streit entscheiden;
+Und beide stimmen herzhaft an.
+"Nun", hieß es: "sprich, wer von uns beiden
+Am meisterlichsten singen kann?"
+"Das weiß ich nicht", sprach sie bescheiden,
+Und sah sie ganz mitleidig an,
+Und wollte sich nach ihrer Höhe schwingen.
+Doch nein, sie suchten ihr den Ausspruch abzuzwingen.
+"So", sprach sie, "will ichs denn gestehn:
+Die kann so gut wie jene singen;
+Doch singt, solang ihr wollt, es singt doch keine schön.
+Hört man das Lied geistreicher Nachtigallen:
+So kann uns eures nicht gefallen."
+
+----
+
+Ihr mittelmäßigen Skribenten,
+O wenn wir euch doch friedsam machen könnten!
+Ihr zankt, wer besser denkt? Laßt keinen Streit entstehn.
+Wir wollen keinen von euch kränken;
+Der eine kann so gut wie jener denken;
+Doch keiner von euch denket schön.
+Ihr Schwätzer! Zankt nicht um die Gaben
+Der geistlichen Beredsamkeit.
+Solange wir Mosheime haben:
+So sehn wir ohne Schwierigkeit,
+Daß ihr beredte Kinder seid.
+Zankt nicht um eure hohen Gaben,
+Ihr Gründlichen! o bleibt in Ruh.
+Du demonstrierst wie er, und er so fein wie du;
+Allein solange wir Leibnize vor uns haben:
+So hört euch keine Seele zu.
+O zankt nicht um des Phöbus Gaben,
+Reimreiche Sänger unsrer Zeit!
+Ihr alle reimt mit gleicher Fertigkeit;
+Allein solange wir noch Hagedorne haben:
+So denkt man nicht daran, daß ihr zugegen seid.
+
+
+
+
+Die beiden Wächter
+
+Zween Wächter, die schon manche Nacht
+Die liebe Stadt getreu bewacht,
+Verfolgten sich, aus aller Macht,
+Auf allen Bier- und Branntweinbänken,
+Und ruhten nicht, mit pöbelhaften Ränken,
+Einander bis aufs Blut zu kränken;
+Denn keiner brannte von dem Span,
+Woran der andre sich den Tabak angezündet,
+Aus Haß den seinen jemals an.
+Kurz, jeden Schimpf, den nur die Rach erfindet,
+Den Feinde noch den Feinden angetan,
+Den taten sie einander an.
+Und jeder wollte bloß den andern überleben,
+Um noch im Sarg ihm einen Stoß zu geben.
+Man riet und wußte lange nicht,
+Warum sie solche Feinde waren;
+Doch endlich kam die Sache vor Gericht,
+Da mußte sichs denn offenbaren,
+Warum sie, seit so vielen Jahren,
+So heidnisch unversöhnlich waren.
+Was war der Grund? Der Brotneid? War ers nicht?
+Nein. Dieser sang: Verwahrt das Feuer und das Licht!
+Allein so sang der andre nicht.
+Er sang: Bewahrt das Feuer und das Licht!
+Aus dieser so verschiednen Art,
+An die sich beid im Singen zänkisch banden;
+Aus dem verwahrt und dem bewahrt
+War Spott, Verachtung, Haß, und Rach, und Wut entstanden.
+
+----
+
+Die Wächter, hör ich viele schrein,
+Verfolgten sich um solche Kleinigkeiten?
+Das mußten große Narren sein.
+Ihr Herren! stellt die Reden ein,
+Ihr könntet sonst unglücklich sein.
+Wißt ihr denn nichts von so viel großen Leuten,
+Die in gelehrten Streitigkeiten
+Um Silben, die gleich viel bedeuten,
+Sich mit der größten Wut entzweiten?
+
+
+
+
+Die Betschwester
+
+Die frömmste Frau in unsrer Stadt,
+In Kleidern fromm, und fromm in Mienen,
+Die stets den Mund voll Andacht hat,
+Wird diese nicht ein Lied verdienen?
+Wie lehrreich ist ihr Lebenslauf!
+Kaum steht die fromme Frau von ihrem Lager auf;
+Kaum tönt der Klang vom achten Stundenschlage:
+So sucht sie das Gebet zu dem vorhandnen Tage.
+Und ob sie gleich den Schritt in sechzig schon getan:
+So ruft sie doch den Herrn noch heut um Keuschheit an.
+Und ob sie gleich noch nie sich satt gegessen:
+So fleht sie doch um Mäßigkeit im Essen.
+Und ob sie gleich auf alle Pfänder leiht:
+So seufzt sie doch um Trost bei ihrer Dürftigkeit.
+
+Welch redlich Herz! Welch heiliges Vertrauen!
+Sie liest das Jahr hindurch die Bibel zweimal aus,
+Und reißt dadurch ihr ganzes Haus
+Auf ewig aus des Teufels Klauen.
+
+Zwölf Lieder stimmt sie täglich an.
+Wer kömmt? Ists nicht ein armer Mann?
+Geh, Frecher! willst du sie vielleicht im Singen stören?
+Nein, wenn sie singt, kann sie nicht hören.
+Geh nur, und hungre, wie zuvor.
+Sie hebt ihr Herz zu Gott empor;
+Soll sie dies Herz vom Himmel lenken,
+Und itzt an einen Armen denken?
+
+Sie singt, und trägt das Essen singend auf.
+Sie ißt, und schmält auf böser Zeiten Lauf;
+Allein wer klopft schon wieder an die Türe?
+Ein armes Weib, die keinen Bissen Brot--
+"Geht, quält mich nicht mit Eurer Not,
+Wenn ich die Hand zum Munde führe.
+Nicht wahr, Ihr singt und betet nicht?
+Seid fromm, und denkt an Eure Pflicht:
+Der Herr vergißt die Seinen nicht.
+Wenn seht Ihr mich denn betteln gehen?
+Allein man muß zu Gott auch brünstig schrein und flehen."
+
+Doch ist die liebe fromme Frau
+Nicht gar zu hart, nicht zu genau?
+Wohnt nicht in ihr mehr Kaltsinn als Erbarmen?
+Nein, nein! Sie dient und hilft den Armen;
+Sie bessert sie durch Vorwurf und Verweis,
+Und weist sie zu Gebet und Fleiß;
+Ist dieses nicht der Schrift Geheiß?
+Sie dient ja gern mit ihren Gütern,
+Allein nur redlichen Gemütern.
+Ist wohl ein frommes Weib in unsrer ganzen Stadt,
+Das, in der Not, bei ihr nicht Zuflucht hat?
+Sie mag ihr auch die kleinste Zeitung bringen:
+So eilt sie doch, dem Weibe beizuspringen.
+
+Ach ja! Beatens Herz ist willig und bereit,
+Die Welt mag noch soviel an ihr zu tadeln finden.
+Nicht nur den Lebenden nützt ihre Mildigkeit;
+O nein! Sie weiß sich auch die Toten zu verbinden.
+Wenn wird ein Kind zur Gruft gebracht,
+Um dessen Sarg ihr Kranz sich nicht verdient gemacht?
+Wenn sprechen nicht die Leichengäste:
+Beatens Kranz war doch der beste!
+Welch schönes Kruzifix! Von wem wird dieses sein?
+Beate schickts und wills dem Leichnam weihn.
+Das fromme Weib! Erlebt sie mein Erblassen:
+So wird sie meinen Sarg gewiß versilbern lassen.
+
+Sie kleidet Kanzel und Altar,
+Und wird sie künftigs neue Jahr,
+So sehr die andern sie beneiden,
+Zum dritten Male doch bekleiden.
+Man wirft ihr vor, sie solls aus Ehrsucht tun;
+Noch kann ihr mildes Herz nicht ruhn.
+Wer wars, der itzt in die Kollekte
+Mit langsam schlauer Hand ein volles Briefchen steckte?
+Beate wars, sie leiht dem Herrn,
+Und was sie gibt, das gibt sie gern.
+Was kann denn sie dafür, daß es die Leute sehen?
+
+Beate! laß die Lästrer schmähen,
+Und laß sie aus Verleumdung sprechen,
+Du sollst die Allmacht nur bestechen,
+Daß für den Wucher, den du treibst,
+Du einstens ungestrafet bleibst.
+Laß dich von andern spöttisch richten,
+Als pflegtest du der Welt gern Laster anzudichten;
+Als wäre dies für dich die liebste Neuigkeit,
+Wenn andern Not und Unglück dräut;
+Als hättest du nichts als der Tugend Schein.
+Schweigt, Spötter, schweigt! Dies kann nicht sein;
+Denn betend steht sie auf, und singend schläft sie ein.
+
+
+
+
+
+Die Biene und die Henne
+
+"Nun Biene", sprach die träge Henne,
+"Dies muß ich in der Tat gestehn,
+So lange Zeit, als ich dich kenne:
+So seh ich dich auch müßiggehn.
+Du sinnst auf nichts, als dein Vergnügen;
+Im Garten auf die Blumen fliegen,
+Und ihren Blüten Saft entziehn,
+Mag eben nicht so sehr bemühn.
+Bleib immer auf der Nelke sitzen,
+Dann fliege zu dem Rosenstrauch,
+Wär ich wie du, ich tät es auch.
+Was brauchst du andern viel zu nützen?
+Genug, daß wir so manchen Morgen
+Mit Eiern unser Haus versorgen."
+"O!" rief die Biene, "spotte nicht!
+Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht
+Nicht so, wie du bei einem Eie,
+Aus vollem Halse zehnmal schreie:
+So, denkst du, wär ich ohne Fleiß.
+Der Bienenstock sei mein Beweis,
+Wer Kunst und Arbeit besser kenne,
+Ich, oder eine träge Henne?
+Denn wenn wir auf den Blumen liegen:
+So sind wir nicht auf uns bedacht;
+Wir sammeln Saft, der Honig macht,
+Um fremde Zungen zu vergnügen.
+Macht unser Fleiß kein groß Geräusch,
+Und schreien wir bei warmen Tagen,
+Wenn wir den Saft in Zellen tragen,
+Uns nicht, wie du im Neste, heisch:
+So präge dir es itzund ein:
+Wir hassen allen stolzen Schein;
+Und wer uns kennen will, der muß in Rost und Kuchen
+Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen.
+
+Auch hat uns die Natur beschenkt,
+Und einen Stachel eingesenkt,
+Damit wir die bestrafen sollen,
+Die, was sie selber nicht verstehn,
+Doch meistern, und verachten wollen:
+Drum, Henne! rat ich dir, zu gehn."
+
+----
+
+O Spötter, der mit stolzer Miene,
+In sich verliebt, die Dichtkunst schilt;
+Dich unterrichtet dieses Bild.
+Die Dichtkunst ist die stille Biene;
+Und willst du selbst die Henne sein:
+So trifft die Fabel völlig ein.
+Du fragst, was nützt die Poesie?
+Sie lehrt und unterrichtet nie.
+Allein wie kannst du doch so fragen?
+Du siehst an dir, wozu sie nützt:
+Dem, der nicht viel Verstand besitzt,
+Die Wahrheit, durch ein Bild, zu sagen.
+
+
+
+
+Die Ente
+
+Die Ente schwamm auf einer Pfütze,
+Und sah am Rande Gänse gehn,
+Und konnt aus angebornem Witze
+Der Spötterei unmöglich widerstehn.
+Sie hob den Hals empor, und lachte dreimal laut,
+Und sah um sich, so wie ein Witzling um sich schaut,
+Der einen Einfall hat, und mit Geschrei und Lachen
+So glücklich ist, ihm Luft zu machen.
+Die Ente lachte noch, und eine Gans blieb stehn.
+"Was", sprach sie, "hast du uns zu sagen?"
+"Ach nichts! Ich hab euch zugesehn,
+Ihr könnt vortrefflich auswärts gehn.
+Wie lange tanzt ihr schon? Das wollt ich euch nur fragen."
+"Das", sprach die Gans, "will ich dir gerne sagen;
+Allein du mußt mit mir spazierengehn."
+
+----
+
+Ihr Kleinen, die ihr stets so gern auf Größre schmähet,
+An ihnen tausend Fehler sehet,
+Die ihr an euch doch nie entdeckt;
+Glaubt, daß an euch der Sumpf, in dem ihr euch so blähet,
+Dieselben Fehler auch versteckt.
+Und sollen sie der Welt, wie euch, unsichtbar bleiben:
+So laßt euch nicht daraus vertreiben!
+
+
+
+
+Die Fliege
+
+Daß alle Tiere denken können,
+Dies scheint mir ausgemacht zu sein.
+Ein Mann, den auch die Kinder witzig nennen,
+Aesopus hats gesagt, Fontaine stimmt mit ein.
+Wer wird auch so mißgünstig sein,
+Und Tieren nicht dies kleine Glücke gönnen,
+Aus dem die Welt so wenig macht?
+Denk oder denke nicht, darauf gibt niemand acht.
+
+----
+
+In einem Tempel voller Pracht,
+Aus dem die Kunst mit ewgem Stolze blickte,
+Dich schnell zum Beifall zwang, und gleich dafür entzückte,
+Und wenn sie dich durch Schmuck bestürzt gemacht,
+Mit edler Einfalt schon dich wieder zu dir brachte;
+In diesem Bau voll Ordnung und voll Pracht
+Saß eine finstre Flieg auf einem Stein und dachte.
+Denn daß die Fliegen stets aus finstern Augen sehn,
+Und oft den Kopf mit einem Beine halten,
+Und oft die flache Stirne falten,
+Kömmt bloß daher, weil sie soviel verstehn,
+Und auf den Grund der Sachen gehn.
+So saß auch hier die weise Fliege.
+Ein halbes Dutzend ernste Züge
+Verfinsterten ihr Angesicht.
+Sie denkt tiefsinnig nach und spricht:
+"Woher ist dies Gebäud entstanden?
+Ist außer ihm wohl jemand noch vorhanden,
+Der es gemacht? Ich sehs nicht ein.
+Wer sollte dieser Jemand sein?"
+"Die Kunst", sprach die bejahrte Spinne,
+"Hat diesen Tempel aufgebaut.
+Wohin auch nur dein blödes Auge schaut,
+Wird es Gesetz und Ordnung inne,
+Und dies beweist, daß ihn die Kunst gebaut."
+Hier lachte meine Fliege laut.
+"Die Kunst?" sprach sie ganz höhnisch zu der Spinne.
+"Was ist die Kunst? Ich sinn und sinne,
+Und sehe nichts, als ein Gedicht.
+Was ist sie denn? Durch wen ist sie vorhanden?
+Nein, dieses Märchen glaub ich nicht.
+Lern es von mir, wie dieser Bau entstanden:
+Es kamen einst von ungefähr
+Viel Steinchen einer Art hieher,
+Und fingen an, zusammen sich zu schicken.
+Daraus entstand der große hohle Stein,
+In welchem wir uns beid erblicken.
+Kann was begreiflicher als diese Meinung sein?"
+
+----
+
+Der Fliege können wir ein solch System vergeben;
+Allein daß große Geister leben,
+Die einer ordnungsvollen Welt
+Ein Ungefähr zum Ursprung geben,
+Und lieber zufallsweise leben,
+Als einen Gott zum Thron erheben,
+Das kann man ihnen nicht vergeben,
+Wenn man sie nicht für Narren hält.
+
+
+
+
+Die Frau und der Geist
+
+Vordem, da noch um Mitternacht,
+Den armen Sterblichen zu dienen,
+Die Geister dann und wann erschienen,
+Ließ sich ein Geist, in einer weißen Tracht,
+Vor einer Frau im Bette sehen,
+Und hieß sie freundlich mit sich gehen,
+Und ging mit ihr auf einen wüsten Platz.
+"Frau", sprach der Geist, "hier liegt ein großer Schatz;
+Nimm gleich dein Halstuch ab, und wirf es auf den Platz,
+Und morgen, um die zwölfte Stunde,
+Komm her, dann findest du ein Licht,
+Dem grabe nach, doch rede nicht;
+Denn geht ein Wort aus deinem Munde:
+So wird der Schatz verschwunden sein!"
+Die Frau fand, zur gesetzten Stunde,
+Die Nacht darauf sich mit dem Grabscheit ein.
+Nun, die muß recht beherzt gewesen ein!
+Ich fände mich gewiß nicht ein,
+Und sollt ich zwanzig Schätze heben.
+Wer stünde mir denn für mein Leben?
+Die Nacht ist keines Menschen Freund.
+Und wenns der Geist recht ehrlich mit mir meint:
+So kann er mir den Schatz ja auf der Stube geben.
+
+Die Frau verschlug das nichts. Sie eilt, den Schatz zu heben.
+Frau, spricht sie bei sich selbst, beileibe sprich kein Wort,
+Sonst rückt der Schatz auf ewig fort.
+Sie hält, was sie sich vorgenommen.
+Sie schweigt und gräbt getrost.--Ha, ha, nun klingt es hohl,
+Nun wird der rechte Fleck bald kommen.
+Hier liegt der Schatz, das dacht ich wohl.
+O seht, ein großer Topf von lauter Golde voll!
+O wenn sie doch dasmal nicht redte,
+Und zu dem schweren Topf gleich einen Träger hätte!
+Ist denn ihr Geist nicht etwan auf dem Platz?
+Er kömmt und hilft den Topf ihr aus der Erde nehmen.
+"Ach", rief sie schnell, "ich muß mich schämen,
+Sie zu bemühn"--Weg war der Schatz!
+
+
+
+
+
+Die Geschichte von dem Hute
+Das erste Buch
+
+Der erste, der mit kluger Hand,
+Der Männer Schmuck, den Hut, erfand,
+Trug seinen Hut unaufgeschlagen;
+Die Krempen hingen flach herab,
+Und dennoch wußt er ihn zu tragen,
+Daß ihm der Hut ein Ansehn gab.
+Er starb, und ließ bei seinem Sterben
+Den runden Hut dem nächsten Erben.
+
+Der Erbe weiß den runden Hut
+Nicht recht gemächlich anzugreifen;
+Er sinnt, und wagt es kurz und gut,
+Er wagts, zwo Krempen aufzusteifen.
+Drauf läßt er sich dem Volke sehn;
+Das Volk bleibt vor Verwundrung stehn,
+Und schreit: Nun läßt der Hut erst schön!
+
+Er starb, und ließ bei seinem Sterben
+Den aufgesteiften Hut dem Erben.
+
+Der Erbe nimmt den Hut und schmält.
+Ich, spricht er, sehe wohl, was fehlt.
+Er setzt darauf mit weisem Mute
+Die dritte Krempe zu dem Hute.
+O, rief das Volk, der hat Verstand!
+Seht, was ein Sterblicher erfand!
+Er, er erhöht sein Vaterland.
+
+Er starb, und ließ bei seinem Sterben
+Den dreifach spitzen Hut dem Erben.
+
+Der Hut war freilich nicht mehr rein;
+Doch sagt, wie konnt es anders sein?
+Er ging schon durch die vierten Hände.
+Der Erbe färbt ihn schwarz, damit er was erfände.
+Beglückter Einfall! rief die Stadt,
+So weit sah keiner noch, als der gesehen hat.
+Ein weißer Hut ließ lächerlich.
+Schwarz, Brüder, schwarz! so schickt es sich.
+
+Er starb, und ließ bei seinem Sterben
+Den schwarzen Hut dem nächsten Erben.
+
+Der Erbe trägt ihn in sein Haus,
+Und sieht, er ist sehr abgetragen;
+Er sinnt, und sinnt das Kunststück aus,
+Ihn über einen Stock zu schlagen.
+Durch heiße Bürsten wird er rein;
+Er faßt ihn gar mit Schnüren ein.
+Nun geht er aus, und alle schreien:
+Was sehn wir? Sind es Zaubereien?
+Ein neuer Hut! O glücklich Land,
+Wo Wahn und Finsternis verschwinden!
+Mehr kann kein Sterblicher erfinden,
+Als dieser große Geist erfand.
+
+Er starb, und ließ bei seinem Sterben
+Den umgewandten Hut dem Erben.
+Erfindung macht die Künstler groß,
+Und bei der Nachwelt unvergessen;
+Der Erbe reißt die Schnüre los,
+Umzieht den Hut mit goldnen Dressen,
+Verherrlicht ihn durch einen Knopf,
+Und drückt ihn seitwärts auf den Kopf.
+Ihn sieht das Volk, und taumelt vor Vergnügen.
+Nun ist die Kunst erst hoch gestiegen!
+Ihm, schrie es, ihm allein ist Witz und Geist verliehn!
+Nichts sind die andern gegen ihn!
+
+Er starb, und ließ bei seinem Sterben
+Den eingefaßten Hut dem Erben.
+Und jedesmal ward die erfundne Tracht
+Im ganzen Lande nachgemacht.
+
+
+Ende des ersten Buchs.
+
+Was mit dem Hute sich noch ferner zugetragen,
+Will ich im zweiten Buche sagen.
+Der Erbe ließ ihm nie die vorige Gestalt.
+Das Außenwerk ward neu, er selbst, der Hut, blieb alt.
+Und, daß ichs kurz zusammenzieh,
+Es ging dem Hute fast, wie der Philosophie.
+
+
+
+
+Die glückliche Ehe
+
+Gedankt sei es dem Gott der Ehen!
+Was ich gewünscht, hab ich gesehen:
+Ich sah ein recht zufriednes Paar;
+Ein Paar, das ohne Gram und Reue,
+Bei gleicher Lieb und gleicher Treue,
+In kluger Ehe glücklich war.
+Ein Wille lenkte hier zwo Seelen.
+Was sie gewählt, pflegt er zu wählen,
+Was er verwarf, verwarf auch sie.
+Ein Fall, wo andre sich betrübten,
+Stört ihre Ruhe nie. Sie liebten,
+Und fühlten nicht des Lebens Müh.
+
+Da ihn kein Eigensinn verführte,
+Und sie kein eitler Stolz regierte:
+So herrschte weder sie noch er,
+Sie herrschten; aber bloß mit Bitten.
+Sie stritten; aber wenn sie stritten,
+Kam bloß ihr Streit aus Eintracht her.
+
+So wie wir, eh wir uns vermählen,
+Uns unsre Fehler klug verhehlen,
+Uns falsch aus Liebe hintergehn:
+So ließen sie auch in den Zeiten
+Der zärtlichsten Vertraulichkeiten
+Sich nie die kleinsten Fehler sehn.
+
+Der letzte Tag in ihrem Bunde,
+Der letzte Kuß von ihrem Munde
+Nahm, wie der erste, sie noch ein.
+Sie starben. Wenn?--Wie kannst du fragen?
+Acht Tage nach den Hochzeitstagen;
+Sonst würden dies nur Fabeln sein.
+
+
+
+
+
+Die Guttat
+
+Wie rühmlich ists, von seinen Schätzen
+Ein Pfleger der Bedrängten sein!
+Und lieber minder sich ergetzen,
+Als arme Brüder nicht erfreun.
+Beaten fiel heut ein Vermögen.
+Von Tonnen Golds durch Erbschaft zu.
+"Nun", sprach sie, "hab ich einen Segen,
+Von dem ich Armen Gutes tu."
+
+Sie sprachs. Gleich schlich zu seinem Glücke
+Ein siecher Alter vor ihr Haus,
+Und bat, gekrümmt auf seiner Krücke,
+Sich eine kleine Wohltat aus.
+
+Sie ward durchdrungen von Erbarmen,
+Und fühlte recht des Armen Not.
+Sie weinte, ging und gab dem Armen
+Ein großes Stück verschimmelt Brot.
+
+
+
+
+
+Die junge Ente
+
+Die Henne führt der Jungen Schar,
+Worunter auch ein Entchen war,
+Das sie zugleich mit ausgebrütet.
+Der Zug soll in den Garten gehn;
+Die Alte gibts der Brut durch Locken zu verstehn;
+Und jedes folgt, sobald sie nur gebietet,
+Denn sie gebot mit Zärtlichkeit.
+Die Ente wackelt mit; allein nicht gar zu weit.
+Sie sieht den Teich, den sie noch nicht gesehen,
+Sie läuft hinein, sie badet sich.
+Wie, kleines Tier! Du schwimmst? Wer lehrt es dich?
+Wer hieß dich in das Wasser gehen?
+Wirst du so jung das Schwimmen schon verstehen?
+
+Die Henne läuft mit strupfichtem Gefieder
+Das Ufer zehnmal auf und nieder,
+Und will ihr Kind aus der Gefahr befrein;
+Setzt zehnmal an, und fliegt doch nicht hinein;
+Denn die Natur heißt sie das Wasser scheun.
+Doch nichts erschreckt den Mut der Ente;
+Sie schwimmt beherzt in ihrem Elemente,
+Und fragt die Henne ganz erfreut,
+Warum sie denn so ängstlich schreit?
+
+----
+
+Was dir Entsetzen bringt, bringt jenem oft Vergnügen;
+Der kann mit Lust zu Felde liegen,
+Und dich erschreckt der bloße Name, Held.
+Der schwimmt beherzt auf offnen Meeren;
+Du zitterst schon auf angebundnen Fähren,
+Und siehst den Untergang der Welt.
+Befürchte nichts vor dessen Leben,
+Der kühne Taten unternimmt.
+Wen die Natur zu der Gefahr bestimmt,
+Dem hat sie auch den Mut zu der Gefahr gegeben.
+
+
+
+
+Die kranke Frau
+
+Wer kennt die Zahl von so viel bösen Dingen,
+Die uns um die Gesundheit bringen!
+Doch nötig ists, daß man sie kennenlernt.
+Je mehr wir solcher Quellen wissen,
+Woraus Gefahr und Unheil fließen;
+Um desto leichter wird das Übel selbst entfernt
+
+----
+
+Des Mannes teurer Zeitvertreib,
+Sulpitia, ein junges schönes Weib,
+Ging munter zum Besuch, krank aber kam sie wieder,
+Und fiel halbtot aufs Ruhebette nieder.
+Sie röchelt. Wie? Vergißt ihr Blut den Lauf?
+Geschwind löst ihr die Schnürbrust auf!
+Geschwind! Doch läßt sich dies erzwingen?
+Sechs Hände waren zwar bereit;
+Doch eine Frau aus ihrem Staat zu bringen,
+Wieviel erfordert dies nicht Zeit!
+Der arme Mann schwimmt ganz in Tränen;
+Mit Recht bestürzt ihn diese Not.
+Zu früh ists, nach der Gattin Tod
+Im ersten Jahre sich zu sehnen.
+Er schickt nach einem Arzt. Ein junger Äskulap
+Erscheint sogleich in vollem Trab,
+Und setzt sich vor das Krankenbette,
+Vor dem er sich so eine Miene gab,
+Als ob er für den Tod ein sichres Mittel hätte.
+Er fragt den Puls, und da er ihn gefragt,
+Schlägt er im Geiste nach, was sein Rezeptbuch sagt,
+Und läßt, die Krankheit zu verdrängen,
+Sich eilends Dint und Feder bringen.
+
+Er schreibt. Der Diener läuft. Indessen ruft der Mann
+Den so erfahrnen Arzt beiseite,
+Und fragt, was doch der Zufall wohl bedeute?
+Der Doktor sieht ihn lächelnd an:
+"Sie fragen mich, was es bedeuten kann?
+Das brauch ich Ihnen nicht zu sagen;
+Sie wissen schon, es zeigt viel Gutes an,
+Wenn sich die jungen Weiber klagen."
+
+Den Mann erfreut ein solcher Unterricht.
+Die Nacht verstreicht, der Trank ist eingenommen;
+Allein der teure Trank hilft nicht.
+Drum muß der zweite Doktor kommen.
+
+Er kömmt! Geduld! Nun werden wirs erfahren.
+Was ists? Was fehlt der schönen Frau?
+Der Doktor sieht es ganz genau,
+Daß sich die Blattern offenbaren.
+
+Sulpitia! Erst sollst du schwanger sein?
+Nun sollst du gar die Blattern kriegen?
+Ihr Ärzte schweigt, und gebt ihr gar nichts ein,
+Denn einer muß sich doch betrügen.
+Nein, überlaßt sie der Natur,
+Und dem ihr so getreuen Bette;
+Gesetzt, daß sie die schlimmste Krankheit hätte:
+So ist sie nicht so schlimm, als eure Kur.
+
+Geduld! Vielleicht genest sie heute.
+Der Mann kömmt nicht von ihrer Seite,
+Und eh die Stunde halb verfließt,
+Fragt er sie hundertmal, obs noch nicht besser ist?
+Ach ungestümer Mann, du nötigst sie zum Sprechen.
+Wie? Wird sie nicht das Reden schwächen?
+Sie spricht ja mit gebrochnem Ton,
+Und an der Sprache hörst du schon,
+Daß sich die Schmerzen stets vergrößern.
+Bald wird es sich mit deiner Gattin bessern!
+Der Tod, der Tod dringt schon herein,
+Sie von der Marter zu befrein.
+
+Wer pocht? Es wird der Doktor sein;
+Doch nein, der Schneider kömmt, und bringt ein Kleid getragen.
+Sulpitia fängt an, die Augen aufzuschlagen.
+"Er kömmt", so stammelt sie. "Er kömmt zu rechter Zeit;
+Ist dies vielleicht mein Sterbekleid?
+Ja, wie Er sieht, so werd ich bald erblassen;
+Doch hätte mich der Himmel leben lassen:
+So hätt ich mir ein solches Kleid bestellt,
+Von solchem Stoff, als Er, Er wirds schon wissen,
+Für meine Freundin machen müssen;
+Es ist nichts Schöners auf der Welt.
+Als ich zuletzt Besuch gegeben:
+So trug sie dieses neue Kleid;
+Doch geh Er nur. O kurzes Leben!
+Es ist doch alles Eitelkeit!"
+
+O fasse dich, betrübter Mann!
+Du hörst ja, daß dein Weib noch ziemlich reden kann.
+O laß die Hoffnung nicht verschwinden!
+Der Atem wird sich wieder finden.
+
+Der Schneider geht, der Mann begleitet ihn,
+Sie reden heimlich vor der Türe.
+Der Schneider tut die größten Schwüre,
+Und eilt, die Sache zu vollziehn.
+
+Noch vor dem Abend kömmt er wieder.
+Sulpitia liegt noch danieder,
+Und dankt ihm seufzend für den Gruß.
+Allein wer sagt, was doch der Schneider bringen muß?
+Er hat es in ein Tuch geschlagen,
+Er wickelts aus. O welche Seltenheit!
+Dies ist der Stoff, dies ist das reiche Kleid.
+Allein was soll es ihr? Sie kann es ja nicht tragen.
+
+"Ach Engel", spricht der Mann bei sanftem Händedrücken,
+"Mein ganz Vermögen gäb ich hin,
+Könnt ich dich nur gesund in diesem Schmuck erblicken!"
+"O", fängt sie an, "so krank ich bin:
+So kann ich Ihnen doch, mein Liebster, nichts versagen.
+Ich will mich aus dem Bette wagen;
+So können Sie noch heute sehn,
+Wie mir das neue Kleid wird stehn."
+
+Man bringt den Schirm, und sie verläßt das Bette,
+So schwach, als ob sie schon ein Jahr gelegen hätte.
+Man putzt sie an, geputzt trinkt sie Kaffee.
+Kein Finger tut ihr weiter weh.
+Der Krankheit Grund war bloß ein Kleid gewesen,
+Und durch das Kleid muß sie genesen.
+So heilt des Schneiders kluge Hand
+Ein Übel, das kein Arzt gekannt.
+
+
+
+
+
+Die Mißgeburt
+
+"Frau Orgon!" rief die Frau Gevatterin,
+"Ach wüßten Sie, wo ich gewesen bin!
+Ich will es Ihnen wohl entdecken;
+Allein Sie müssen nicht erschrecken.
+Ich komme gleich von einer Wöchnerin.
+Lucinde, daß ichs kurz erzähle,
+Lucinde, die so stolze Seele,
+Die uns durch ihren Staat so oft beschämt gemacht
+Erschrecken Sie nur nicht, hat in vergangner Nacht
+Ein Kind (verzeih mirs Gott!) mit langen Hasenohren,
+Ein recht abscheulich Kind geboren.
+Die stolze Frau! Ich richte nicht;
+Allein ich weiß, daß nichts umsonst geschieht.
+Lucinde wünscht, daß es verschwiegen bliebe;
+Ich wünsch es selbst aus Menschenliebe;
+Allein die Stadt erfährts, gedenken Sie an mich.
+Indes behalten Sie die Heimlichkeit für sich."
+Frau Orgon eilt von ihr erschrocken zu Dorinden.
+Sie fragt nach ihrem Wohlbefinden,
+Und schmäht mit ihr die Weiber, die gern schmähn.
+Wie? Sollte sie Dorinden nichts erzählen?
+Nein, denn sie fängt schon an sich bestens zu empfehlen.
+Warum muß der Besuch so bald zu Ende gehn?
+Vielleicht, weil beide sich von nichts zu reden schämen.
+Deswegen? Nein, das glaub ich nicht.
+Wie sollten dies sich Weiber übelnehmen?
+Da mancher große Mann, gelehrt von Angesicht,
+Oft tagelang von nichts mit großen Männern spricht.
+
+So ist Frau Orgon schon gegangen?
+Noch nicht. Nun aber geht sie fort.
+Doch seht, sie kehrt sich um: "Frau Schwester, noch ein Wort,
+Ein Wort! Es soll mich sehr verlangen,
+Ob Sie--? Lucinde--Wie? Sie hätten nichts gehört?
+Nichts, Gott vergib mir meine Sünde!
+Nichts von der Mißgeburt der kostbaren Lucinde,
+Mit welcher sie die Welt beschwert?
+Hier sieht man recht die göttlichen Gerichte.
+Ein Kind mit härichtem Gesichte,
+Das einem Hasen gleicht, und einem Pferdefuß,
+Bedenken Sie, wie das erschrecklich lassen muß!
+Allein Lucinde wills verhehlen;
+Drum sagen Sie nur weiter nichts davon.
+Das arme Kind! Es ist ein Sohn."
+
+Dorinde sagts ihr zu. Und doch soll mirs nicht fehlen,
+Sie wird die Neuigkeit, sobald sie kann, erzählen,
+Weil jene sie, zu schweigen, bat.
+Sie tut es so getreu, als es Frau Orgon tat.
+Erst hat das Kind nur Hasenohren,
+Frau Orgon schenkt ihm drauf noch einen Pferdefuß;
+Allein Dorinden ists noch viel zu schön geboren.
+Und weil sie was verbessern muß,
+Tut sie dem Kinde den Gefallen
+Und macht ihm noch an beide Hände Krallen.
+
+Eh noch der Nachmittag verstrich,
+Ließ das Geheimnis sich auf allen Gassen hören.
+Die alten Mütter kreuzten sich,
+Und suchten schon recht mütterlich
+Durch dieses Zorngericht die Töchter zu bekehren.
+Da war kein Mensch, der nicht mit einem Ach
+Von diesem Wechselbalge sprach.
+Die Knaben stritten selbst mit blutigem Gesichte
+Schon für die Wahrheit der Geschichte.
+
+Sobald als dies der Magistrat erfuhr,
+Schickt er den Physikus nach dieser Kreatur.
+Er kam neugierig zu Lucinden;
+Allein anstatt den Wechselbalg zu finden,
+Fand er ein wohlgestaltes Kind,
+An dem die Ohren größer waren,
+Als sie bei andern Kindern sind.
+Das war die Mißgeburt, der man so mitgefahren!
+
+----
+
+Der Dörfer und der Städte Plage,
+Verwünscht seist du, gemeine Sage!
+Die schnell mit dem, was sie zu wissen kriegt,
+Geheimnisvoll in alle Häuser fliegt,
+Und, wenn sies dreimal sagt, vom neuen dreimal lügt.
+Ein giftig Weib, was kann die nicht erzählen?
+Zumal, wenn es der armen Freundin gilt.
+Ein giftig Weib--Doch nein, ich mag nicht schmälen;
+Mich schreckt die Redekunst, mit der sie andre schilt.
+
+Die Nachtigall und der Kuckuck
+
+Die Nachtigall sang einst ihr göttliches Gedicht,
+Zu sehn, ob es die Menschen fühlten.
+Die Knaben, die im Tale spielten,
+Die spielten fort und hörten nicht.
+Indem ließ sich der Kuckuck lustig hören,
+Und er erhielt ein freudig Ach.
+Die Knaben lachten laut, und machten ihm zu Ehren
+Das schöne Kuckuck zehnmal nach.
+"Hörst du?" sprach er zu Philomelen,
+"Den Herren fall ich recht ins Ohr.
+Ich denk, es wird mir nicht viel fehlen,
+Sie ziehn mein Lied dem deinen vor."
+Drauf kam Damöt mit seiner Schöne.
+Der Kuckuck schrie sein Lied. Sie gingen stolz vorbei.
+Nun sang die Meisterin der zauberischen Töne
+Vor dem Damöt und seiner Schöne,
+In einer sanften Melodei.
+Sie fühlten die Gewalt der Lieder.
+Damöt steht still, und Phyllis setzt sich nieder,
+Und hört ihr ehrerbietig zu.
+Ihr zärtlich Blut fängt an zu wallen;
+Ihr Auge läßt vergnügte Zähren fallen.
+"O", rief die Nachtigall, "da, Schwätzer, lerne du,
+Was man erhält, wenn man den Klugen singt.
+Der Ausbruch einer stummen Zähre
+Bringt Nachtigallen weit mehr Ehre,
+Als dir der laute Beifall bringt."
+
+
+
+
+Die Nachtigall und die Lerche
+
+Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst;
+Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst,
+Die Blätter in den Gipfeln schwiegen,
+Und fühlten ein geheim Vergnügen.
+Der Vögel Chor vergaß der Ruh,
+Und hörte Philomelen zu.
+Aurora selbst verzog am Horizonte,
+Weil sie die Sängerin nicht gnug bewundern konnte.
+Denn auch die Götter rührt der Schall
+Der angenehmen Nachtigall;
+Und ihr, der Göttin, ihr zu Ehren,
+Ließ Philomele sich noch zweimal schöner hören.
+Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr,
+Und spricht: "Du singst viel reizender als wir;
+Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen:
+Doch eins gefällt uns nicht an dir,
+Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen."
+Doch Philomele lacht und spricht:
+"Dein bittrer Vorwurf kränkt mich nicht,
+Und wird mir ewig Ehre bringen.
+Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schön zu singen.
+Ich folg im Singen der Natur;
+Solange sie gebeut, solange sing ich nur;
+Sobald sie nicht gebeut, so hör ich auf zu singen;
+Denn die Natur läßt sich nicht zwingen."
+
+----
+
+O Dichter, denkt an Philomelen,
+Singt nicht, solang ihr singen wollt.
+Natur und Geist, die euch beseelen,
+Sind euch nur wenig Jahre hold.
+Soll euer Witz die Welt entzücken:
+So singt, solang ihr feurig seid,
+Und öffnet euch mit Meisterstücken
+Den Eingang in die Ewigkeit.
+Singt geistreich der Natur zu Ehren,
+Und scheint euch die nicht mehr geneigt:
+So eilt, um rühmlich aufzuhören,
+Eh ihr zu spät mit Schande schweigt.
+Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen?
+Er bindet sich an keine Zeit.
+So fahrt denn fort, noch alt zu singen,
+Und singt euch um die Ewigkeit.
+
+
+
+
+Die Reise
+
+Einst machte durch sein ganzes Land
+Ein König den Befehl bekannt,
+Daß jeder, der ein Amt erhalten wollte,
+Gewisse Zeit auf Reisen gehen sollte,
+Um sich in Künsten umzusehn.
+Er ließ genaue Karten stehen,
+Und gab dazu noch jedem das Versprechen,
+Ihm, würd er nur, soweit er könnte, gehn,
+Mit dem Vermögen seiner Schätze
+Alsdann auf Reisen beizustehn.
+Es war das deutlichste Gesetze,
+Das jemals noch die Welt gesehn;
+Doch weil die meisten sich vor dieser Reise scheuten:
+So sah man viele Dunkelheit.
+Die Liebe zu sich selbst, und zur Bequemlichkeit,
+Half das Gesetz sehr sinnreich deuten;
+Und jeder gab ihm den Verstand,
+Den er bequem für seine Neigung fand;
+Doch alle waren eins, daß man gehorchen müßte.
+Man machte sich die Karten bald bekannt,
+Damit man doch der Länder Gegend wüßte.
+Sehr viele reisten nur im Geist,
+Und überredten sich, als hätten sie gereist.
+Noch andre schafften das Geräte
+Zu ihrer Reise fleißig an,
+Und glaubten, wenn man nur stets reisefertig täte:
+So hätte man die Reise schon getan.
+Sehr viele fingen an zu eilen,
+Als wollten sie die ganze Welt durchgehn;
+Sie reisten; aber wenig Meilen,
+Und meinten, dem Befehl sei nun genug geschehn.
+Noch andre suchten auf den Reisen
+Noch mehr Gehorsam zu beweisen,
+Als den, den das Gesetz befahl;
+Sie reisten nicht durch grüne Felder,
+O nein, sie suchten finstre Wälder,
+Und reisten unter Furcht und Qual;
+Behängten sich mit schweren Bürden,
+Und glaubten, wenn sie ausgezehrt,
+Und siech und krank zurückekommen würden:
+So wären sie des besten Amtes wert;
+Sie reisten nie auf Kosten des Regenten;
+Doch jene, die zur Zeit noch keinen Schritt getan,
+Die hielten Tag für Tag um Reisekosten an,
+Damit sie weiterkommen könnten.
+
+----
+
+Wie elend, hör ich manchen klagen,
+Ist nicht dies Märchen ausgedacht!
+Schämt sich der Dichter nicht, uns Dinge vorzusagen,
+Die man kaum Kindern glaublich macht?
+Wo gibt es wohl so stumpfe Köpfe,
+Als uns der Dichter vorgestellt?
+Dies sind unsinnige Geschöpfe,
+Und nicht Bewohner unsrer Welt.
+O Freund! was zankst du mit dem Dichter?
+Sieh doch die meisten Christen an;
+Betrachte sie, und dann sei Richter,
+Ob dieses Bild unglaublich heißen kann?
+
+
+
+
+Die schlauen Mädchen
+
+Zwei Mädchen brachten ihre Tage
+Bei einer alten Base zu.
+Die Alte hielt zu ihrer Muhmen Plage
+Sehr wenig von der Morgenruh.
+Kaum krähte noch der Hahn bei frühem Tage:
+So rief sie schon: "Steht auf, ihr Mädchen, es ist spät,
+Der Hahn hat schon zweimal gekräht."
+Die Mädchen, die so gern noch mehr geschlafen hätten,
+Denn überhaupt sagt man, daß es kein Mädchen gibt,
+Die nicht den Schlaf und ihr Gesichte liebt,
+Die wunden sich in ihren weichen Betten,
+Und schwuren dem verdammten Hahn
+Den Tod, und taten ihm, da sie die Zeit ersahn,
+Den ärgsten Tod rachsüchtig an.
+
+Ich habs gedacht, du guter Hahn!
+Erzürnter Schönen ihrer Rache
+Kann kein Geschöpf so leicht entfliehn.
+Und ihren Zorn sich zuzuziehn,
+Ist leider ein leichte Sache.
+
+Der arme Hahn war also aus der Welt.
+Vergebens nur ward von der Alten
+Ein scharf Examen angestellt.
+Die Mädchen taten fremd, und schalten
+Auf den, der diesen Mord getan,
+Und weinten endlich mit der Alten
+Recht bitterlich um ihren Hahn.
+
+Allein was halfs den schlauen Kindern?
+Der Tod des Hahns sollt ihre Plage mindern,
+Und er vermehrte sie noch mehr.
+Die Base, die sie sonst nicht eh im Schlafe störte,
+Als bis sie ihren Haushahn hörte,
+Wußt in der Nacht itzt nicht, um welche Zeit es wär;
+Allein weil es ihr Alter mit sich brachte,
+Daß sie um Mitternacht erwachte:
+So rief sie die auch schon um Mitternacht,
+Die, später aufzustehn, den Haushahn umgebracht.
+
+----
+
+Wärst du so klug, die kleinen Plagen
+Des Lebens willig auszustehn:
+So würdest du dich nicht so oft genötigt sehn,
+Die größern Übel zu ertragen.
+
+
+
+
+Die Spinne
+
+Hochmütig über ihre Künste,
+Warf vom durchsichtigen Gespinste
+Die Spinne manchen finstern Blick
+Auf einen Seidenwurm zurück;
+So aufgebläht, wie ein Pedant,
+Der itzt, von seinem Wert erhitzet,
+In Werken seiner eignen Hand
+Bis an den Bart vergraben sitzet,
+Und auf den Schüler, der ihn grüßt,
+Den Blick mit halben Augen schießt.
+Der Seidenwurm, den erst vor wenig Tagen
+Der Herr zur Lust mit sich ins Haus getragen,
+Sieht dieser Spinne lange zu,
+Und fragt zuletzt: "Was webst denn du?"
+"Unwissender!" läßt sich die Spinn erbittert hören,
+"Du kannst mich noch durch solche Fragen stören?
+Ich webe für die Ewigkeit!"
+
+Doch kaum erteilet sie den trotzigen Bescheid:
+So reißt die Magd, mit Borsten in den Händen,
+Von den noch nicht geputzten Wänden
+Die Spinne nebst der Ewigkeit.
+
+----
+
+Die Kunst sei noch so groß, die dein Verstand besitzet,
+Sie bleibt doch lächerlich, wenn sie der Welt nicht nützet.
+Verdient, ruft ein Pedant, mein Fleiß denn keinen Dank?
+Nein! Denn er hilft nichts mehr, als andrer Müßiggang.
+
+
+
+
+Die Verschwiegenheit
+
+"O Doris, wärst du nur verschwiegen:
+So wollt ich dir etwas gestehn;
+Ein Glück, ein ungemein Vergnügen--
+Doch nein, ich schweige", sprach Tiren.
+"Wie?" rief die schöne Schäferin,
+"Du zweifelst noch, ob ich verschwiegen bin?
+Du kannst mirs sicher offenbaren;
+Ich schwör, es solls kein Mensch erfahren."
+"Du kennst", versetzt Tiren, "die spröde Sylvia,
+Die schüchtern vor mir floh, sooft sie mich sonst sah.
+Ich komme gleich von dieser kleinen Spröden;
+Doch, ach, ich darf nicht weiterreden.
+Nein, Doris, nein, es geht nicht an;
+Es wär um ihre Gunst, und um mein Glück getan,
+Wenn Sylvia dereinst erführe,
+Daß--Dringe nicht in mich, ich halte meine Schwüre."
+
+"So liebt sie dich?" fuhr Doris fort.
+"Jawohl! Doch sage ich kein Wort.
+Ich hab ihr Herz nun völlig eingenommen,
+Und itzt von ihr den ersten Kuß bekommen.
+›Tiren‹, sprach sie zu mir, ›mein Herz sei ewig dein;
+Doch eines bitt ich dich, du mußt verschwiegen sein.
+Daß wir uns günstig sind, uns treu und zärtlich küssen,
+Braucht niemand auf der Flur als ich und du zu wissen.‹
+Drum bitt ich, Doris, schweige ja,
+Sonst flieht und haßt mich Sylvia."
+
+Die kleine Doris geht. Doch wird auch Doris schweigen?
+Ja, die Verschwiegenheit ist allen Schönen eigen.
+Gesetzt, daß Doris auch es dem Damöt vertraut;
+Was ist es denn nun mehr? Sie sagt es ja nicht laut.
+
+Ihr Schäfer, ihr Damöt, kömmt ihr verliebt entgegen,
+Drückt ihre weiche Hand, und fragt,
+Was ihr sein Freund Tiren gesagt?
+
+"Damöt, du weißt ja wohl, was wir zu reden pflegen,
+Du kennst den ehrlichen Tiren;
+Es war nichts Wichtiges, sonst würd ich dirs gestehn.
+Er sagte mir--Verlang es nicht zu wissen;
+Ich hab es ihm versprechen müssen,
+Daß ich zeitlebens schweigen will."
+
+Damöt wird traurig, schweiget still,
+Umarmt sein Kind, doch nur mit halbem Feuer.
+Die Schäferin erschrickt, daß sie Damötens Kuß
+So unvollkommen schmecken muß.
+"Du zürnest", ruft sie, "mein Getreuer?
+O zürne nicht, ich will es dir gestehn:
+Die spröde Sylvia ergibt sich dem Tiren,
+Und hat ihm itzt in ihrem Leben
+Den allerersten Kuß gegeben;
+Allein du mußt verschwiegen sein."
+
+Damöt versprichts. Kaum ist Damöt allein:
+So fühlt er schon die größte Pein,
+Sein neu Geheimnis zu bewahren.
+"Ja!" fängt Damöt zu singen an:
+"Ich will es keinem offenbaren,
+Daß Sylvia Tirenen liebt,
+Ihm Küsse nimmt, und Küsse gibt;
+Du, stummer Busch, nur sollsts erfahren,
+Wen Sylvia verstohlen liebt."
+
+Doch ach! In diesem Busch war unsre Sylvia,
+Die sich durch dieses Lied beschämt verraten sah;
+Und eine Heimlichkeit so laut erfahren mußte,
+Die, ihrer Meinung nach, nur ihr Geliebter wußte.
+Sie läuft, und sucht den Schwätzer, den Tiren.
+Ach, Schäfer, ach, wie wird dirs gehn!
+"Mich", fängt sie an, "so zu betrügen!
+Dich, Plaudrer, sollt ich länger lieben?"
+
+Und kurz: Tiren verliert die schöne Schäferin,
+Und kömmt, Damöten anzuklagen.
+"Ja", spricht Damöt, "ich muß es selber sagen,
+Daß ich nicht wenig strafbar bin;
+Allein wie kannst du mich den größten Schwätzer nennen?
+Du hast ja selbst nicht schweigen können!"
+
+
+
+
+
+Die Widersprecherin
+
+Lene hatte noch, bei vielen andern Gaben,
+Auch diese, daß sie widersprach.
+Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach,
+Daß alle diese Tugend haben;
+Doch wenns auch tausendmal der ganze Weltkreis spricht:
+So halt ichs doch für ein Gedicht,
+Und sag es öffentlich, ich glaub es ewig nicht.
+Ich bin ja auch mit mancher Frau bekannt,
+Ich hab es oft versucht, und manche schön genannt,
+So häßlich sie auch war, bloß, weil ich haben wollte,
+Daß sie mir widersprechen sollte;
+Allein sie widersprach mir nicht.
+Und also ist es falsch, daß jede widerspricht.
+So kränkt man euch, ihr guten Schönen!
+Itzt komm ich wieder zu Ismenen.
+Ismenen sagte mans nicht aus Verleumdung nach,
+Es war gewiß, sie widersprach:
+
+Einst saß sie mit dem Mann bei Tische,
+Sie äßen unter andern Fische,
+Mich deucht, es war ein grüner Hecht.
+"Mein Engel", sprach der Mann, "mein Engel, ist mir recht:
+So ist der Fisch nicht gar zu blau gesotten."
+"Das", rief sie, "habe ich wohl gedacht,
+So gut man auch die Anstalt macht:
+So finden Sie doch Grund, der armen Frau zu spotten.
+Ich sag es Ihnen kurz, der Hecht ist gar zu blau."
+"Gut", sprach er, "meine liebe Frau,
+Wir wollen nicht darüber streiten,
+Was hat die Sache zu bedeuten?"
+
+So wie dem welschen Hahn, dem man was Rotes zeigt,
+Der Zorn den Augenblick in Nas und Lefzen steigt,
+Sie rot und blau durchströmt, lang auseinandertreibet,
+In beiden Augen blitzt, sich in den Flügeln streibet,
+In alle Federn dringt, und sie gen Himmel kehrt,
+Und zitternd, mit Geschrei und Poltern, aus ihm fährt:
+So schießt Ismenen auch, da dies ihr Liebster spricht,
+Das Blut den Augenblick in ihr sonst blaß Gesicht;
+Die Adern liefen auf, die Augen wurden enger,
+Die Lippen dick und blau, und Kinn und Nase länger,
+Ihr Haar bewegte sich, stieg voller Zorn empor,
+Und stieß, indem es stieg, das Nachtzeug von dem Ohr.
+Drauf fing sie zitternd an: "Ich, Mann! ich, deine Frau,
+Ich sag es noch einmal, der Hecht war gar zu blau."
+Sie nimmt das Glas und trinkt. O laßt sie doch nicht trinken!
+
+Ihr Liebster geht, und sagt kein Wort,
+Kaum aber ist ihr Liebster fort:
+So sieht man sie in Ohnmacht sinken.
+Wie konnt es anders sein. Gleich auf den Zorn zu trinken!
+Ein plötzliches Geschrei bewegt das ganze Haus,
+Man bricht der Frau die Daumen aus;
+Man streicht sie kräftig an; kein Balsam will sie stärken.
+Man reibt ihr Schlaf und Puls; kein Leben ist zu merken.
+Man nimmt vermengtes Haar und hälts ihr vors Gesicht.
+Umsonst! Umsonst! Sie riecht es nicht;
+Nichts kann den Geist ihr wiedergeben.
+Man ruft den Mann, er kömmt, und schreit: "Du stirbst, mein Leben!
+Du stirbst? Ich armer Mann! Ach, meine liebe Frau,
+Wer hieß mich dir doch widerstreben!
+Ach, der verdammte Fisch! Gott weiß, er war nicht blau."
+Den Augenblick bekam sie wieder Leben.
+"Blau war er", rief sie aus, "willst du dich noch nicht geben?"
+
+So tat der Geist des Widerspruchs
+Mehr Würkung, als die Kraft des heftigsten Geruchs.
+
+
+
+
+
+Die zärtliche Frau
+
+Wie alt ist nicht der Wahn, wie alt und ungerecht,
+Als ob dir, weibliches Geschlecht!
+Die Liebe nicht von Herzen ginge?
+Das Alter sang in diesem Ton,
+Von seinem Vater hörts der Sohn,
+Und glaubt die ungereimten Dinge.
+Verlaßt, o Männer, diesen Wahn,
+Und daß ihr ihn verlaßt, so hört ein Beispiel an,
+Das ich für alle Männer singe.
+Du aber, die mich dichten heißt,
+Du, Liebe, stärke mich, daß mir ein Lied voll Geist,
+Ein überzeugend Lied gelinge,
+Und gib mir, zu gesetzter Zeit,
+Ein Weib von so viel Zärtlichkeit,
+Als diese war, die ich besinge!
+
+----
+
+Clarine liebt den treusten Mann,
+Den sie nicht besser wünschen kann,
+Sie liebt ihn recht von Herzensgrunde.
+Und wenn dir dies unglaublich scheint:
+So wisse nur, seit der beglückten Stunde,
+Die sie mit ihrem Mann vereint,
+War noch kein Jahr vorbei; nun glaubst dus doch, mein Freund?
+Clarine kannte keine Freude,
+Kein größer Glück, als ihren Mann;
+Sie liebte, was er liebgewann,
+Was eines wollte, wollten beide;
+Was ihm mißfiel, mißfiel auch ihr.
+O, sprichst du, so ein Weib, so eines wünscht ich mir!
+Jawohl! ich wünsch es auch mit dir.
+Sei nur recht zärtlich eingenommen;
+Ihr Mann wird krank; vielleicht kannst du sie noch bekommen.
+Krank, sag ich, wird ihr Mann, und recht gefährlich krank;
+Er quält sich viele Tage lang,
+Von ganzen Strömen Schweiß war sein Gesicht umflossen;
+Doch noch von Tränen mehr, die sie um, ihn vergossen.
+"Tod!" fängt sie ganz erbärmlich an,
+"Tod wenn ich dich erbitten kann,
+Nimm lieber mich, als meinen Mann."
+Wenns nun der Tod gehöret hätte?
+Jawohl! Er hört es auch; er hört Clarinens Not,
+Er kömmt, und fragt: "Wer rief?"--"Hier!" schreit sie, "lieber Tod,
+Hier liegt er, hier in diesem Bette!"
+
+
+
+
+
+Elpin
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+Ein Großer in Athen, der kein Verdienst besaß,
+Als daß er vornehm trank und aß,
+Und sein Geschlecht zu rühmen nie vergaß,
+Verlangte doch den Ruhm zu haben,
+Als hätt er wirklich große Gaben.
+Denn mancher, der, wenn ihn nicht die Geburt erhöht,
+Da stünde, wo sein Christoph steht,
+Und kaum zum Diener tüchtig wäre,
+Hält desto mehr auf Ruhm und Ehre,
+Je dreister sich sein Herz, trotz seinem Stolz, erkühnt;
+Und ihm oft sagt, daß er sie nicht verdient.
+In eben dieser Stadt, in der der Große wohnte,
+War ein Poet, der die Verdienste pries,
+Die Tugend durch sein Lied belohnte,
+Und durch sein Lied unsterblich werden hieß;
+Den bat Elpin, ihn zu besingen.
+"Sie können", sprach der große Mann,
+"Durch meinen Namen sich zugleich in Ansehn bringen."
+
+"Mein Herr,", rief der Poet, "es geht unmöglich an.
+Ich hab aus Eigensinn einst ein Gelübd getan,
+Nur das Verdienst und nie den Namen zu besingen."
+
+
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+
+
+Emil
+
+Emil, der seit geraumer Zeit,
+Den Klugen wohl bekannt, bei seinen Büchern lebte,
+Und mehr nach der Geschicklichkeit
+Zu einem Amt, als nach dem Amte strebte,
+Ward einst von einem Freund gefragt,
+Warum er denn kein Amt noch hätte,
+Da doch die ganze Stadt so rühmlich von ihm redte,
+Und mancher sich vor ihm schon in ein Amt gewagt,
+Der nicht den zehnten Teil von seinen Gaben hätte?
+"Ich", sprach Emil, "will lieber, daß man fragt,
+Warum man mich doch ohn ein Amt läßt leben,
+Als daß man fragt: warum man mir ein Amt gegeben?"
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+
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+Epiktet
+
+Verlangst du ein zufriednes Herz:
+So lern die Kunst, dich stoisch zu besiegen,
+Und glaube fest, daß deine Sinnen trügen.
+Der Schmerz ist in der Tat kein Schmerz,
+Und das Vergnügen kein Vergnügen.
+Sobald du dieses glaubst: so nimmt kein Glück dich ein,
+Und du wirst in der größten Pein
+Noch allemal zufrieden sein.
+Das, sprichst du, kann ich schwer verstehen.
+Ist auch die stolze Weisheit wahr?
+Du sollst es gleich bewiesen sehen;
+Denn Epiktet stellt dir ein Beispiel dar.
+Ihn, als er noch ein Sklave war,
+Schlug einst sein Herr mit einem starken Stabe
+Zweimal sehr heftig auf das Bein.
+"Herr", sprach der Philosoph, "ich bitt Ihn, laß Ers sein,
+Denn sonst zerschlägt Er mir das Bein."
+"Gut, weil ich dirs noch nicht zerschlagen habe:
+So soll es", rief der Herr, "denn gleich zerschlagen sein!"
+Und drauf zerschlug er ihm das Bein;
+Doch Epiktet, anstatt sich zu beklagen,
+Fing ruhig an: "Da sieht Ers nun!
+Hab ichs Ihm nicht gesagt, Er würde mirs zerschlagen?"
+
+----
+
+Dies, Mensch, kann Zenons Weisheit tun!
+Besiege die Natur durch diese starken Gründe.
+Und willst du stets zufrieden sein:
+So bilde dir erhaben ein,
+Lust sei nicht Lust, und Pein nicht Pein.
+Allein, sprichst du, wenn ich das Gegenteil empfinde,
+Wie kann ich dieser Meinung sein?
+Das weiß ich selber nicht; indessen klingts doch fein,
+Trotz der Natur sich stets gelassen sein.
+
+
+
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+Erast
+
+Dorant, ein reicher Mann, der weiter keinen Erben,
+Als einen Vetter hinterließ,
+Der reicher war als er, und keinem Guts erwies,
+Dorant beschloß bei seinem Sterben,
+An seines Vetters Statt Erasten zu erfreun,
+Und setzte diesen Freund, ders würdig war, zum Erben
+Von zwanzigtausend Talern ein.
+Der Vetter, der die Stadt recht giftig überredte,
+Als ob Erast, der so rechtschaffne Mann,
+Das Testament erschlichen hätte,
+Fing einen Streit um dies Vermögen an,
+Und lief, von Neid und Geiz gedrungen,
+Mit schrecklichen Beschuldigungen,
+Und mit Geschenken vor Gericht;
+Allein sooft auch die das Recht erzwungen:
+So siegten sie doch diesmal nicht.
+
+Erast gewann. "Doch dich", spricht er, "zu überführen,
+Ob ich das Testament mit List an mich gebracht:
+So will ich das, was mir mein Freund vermacht,
+Nachdem ich es gewann, verlieren.
+Die Hälfte schenk ich dir, um dich zu widerlegen.
+Zweitausend Taler sollen mein;
+Und das noch übrige Vermögen
+Soll ein Geschenk für arme Waisen sein.
+Verdien ich noch den schrecklichen Verdacht,
+Daß ich das Testament mit List an mich gebracht?"
+
+
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+
+
+Herodes und Herodias
+
+Freund, wer ein Laster liebt, der liebt die Laster alle.
+Wer ein Gesetz der Tugend übertritt,
+Entheiligt in dem einen Falle
+Im Herzen auch die andern mit.
+O sprichst du, welche Sittenlehre
+Gibt euch der Geist der Schwermut ein!
+Gesetzt, daß ich der Wollust dienstbar wäre,
+Werd ich deswegen wohl der Mordsucht eigen sein?
+Ich glaub es, lieber Freund, du wirst es mir verzeihn;
+Schrift und Vernunft behaupten diese Lehre.
+Der Witz, der dich die Wahrheit lehrt,
+Die Hurerei sie kein Verbrechen,
+Wird, wenns dein Vorteil nur begehrt,
+Das Wort zugleich der Mordsucht sprechen.
+Auf einmal wird man nie der größte Bösewicht;
+Allein den Grund dazu kann man auf einmal legen.
+Verletze nur mit Vorsatz eine Pflicht:
+So hast du schon das schreckliche Vermögen,
+Wodurch dein Herz die andern bricht.
+Warum gehorchst du den Gesetzen?
+Weil Gott, der Heilige, der deine Wohlfahrt liebt,
+Sie den Vernünftigen zu ihrer Wohlfahrt gibt.
+Doch darfst du ein Gebot verletzen:
+So schwächst du ja den Grund, auf dem sie alle stehn.
+Was kann sich dir denn widersetzen,
+Dich nicht an allen zu vergehn?
+O merk es doch, noch unschuldsvolle Jugend!
+Ich bitte dich, o merk es dir!
+Es gibt nicht mehr als eine Tugend,
+Und als ein Laster neben ihr.
+Hast du den Vorsatz nicht, nach allen heilgen Pflichten,
+Dich in und außer dir zu richten:
+So prange hier und da mit guter Eigenschaft,
+Dein Herz ist doch nicht tugendhaft.
+Sooft dus wagst, nur eins von den Gesetzen,
+Weil es dein Herz verlangt, mit Vorsatz zu verletzen:
+So schwächst du aller Tugend Kraft,
+Und bist bei hundert guten Taten,
+Die Hoffnung oder Furcht, Ruhm und Natur dir raten,
+Vor Gott und der Vernunft doch völlig lasterhaft.
+
+O Jugend! faß doch diese Lehren,
+Itzt ist dein Herz geschickt dazu.
+Dem kleinsten Laster vorzuwehren,
+Die Tugend ewig zu verehren,
+Sei niemand eifriger als du.
+Durch sie steigst du zum göttlichen Geschlechte,
+Und ohne sie sind Könige nur Knechte.
+Sie macht dir erst des Lebens Anmut schön.
+Sie wird bei widrigem Geschicke
+Dich über dein Geschick erhöhn.
+Sie wird im letzten Augenblicke,
+Wenn alle traurig von dir gehn,
+In himmlischer Gestalt zu deiner Seite stehn,
+Und in die Welt der selgen Herrlichkeiten
+Den Geist, weil sie ihn liebt, begleiten.
+Sie wird dein Schmuck vor jenen Geistern sein,
+Die sich schon auf dein Glück und deinen Umgang freun.
+O Mensch! ist dir dies Glück zu klein,
+Um strenge gegen dich zu sein?
+
+Nunmehr mag uns ein wahres Beispiel lehren,
+Wie alle Laster sich von einem Laster nähren.
+
+----
+
+Herodias, wie uns die Schrift erzählt,
+Brach dem die Treu, mit dem sie sich vermählt,
+Und hing an seines Bruders Seite
+Der Neigung nach, die auch ein Heide scheute;
+Und die der Hof, der gern mit Worten spielt,
+Für Zärtlichkeit und nicht für Unzucht hielt.
+Doch laßt die Schmeichler knechtisch sprechen.
+Johannes kömmt an Hof. Kein Thron verblendet ihn,
+Von dem das Laster strahlt. Er sieht es, und spricht kühn:
+"Du hast des Bruders Weib; dies, Fürst, ist ein Verbrechen."
+So redt ein Mann, aus dem der Geist der Tugend spricht.
+Zur Niederträchtigkeit reizt ihn der Thron zu wenig.
+Er fürchtet Gott mehr als den König,
+Und hält den Mut für seine größte Pflicht,
+Wenn er zu dessen Ehre spricht,
+Von dem mit uns die Könige der Erden
+Aus gleichem Staub gebildet werden.
+
+So dreist sprach Zachariä Sohn;
+Allein der Kerker ward sein Lohn.
+Ein Widerruf könnt ihn daraus erretten;
+Doch nein, ein Tugendfreund liegt lieber frei an Ketten,
+Als sklavisch um der Fürsten Thron.
+So frei indes Johannes auch gesprochen:
+So blieb er doch dem Fürsten wert.
+Denn selber der, der jede Pflicht gebrochen,
+Wird durch ein Herz gereizt, das Gott und Tugend ehrt;
+Ein heimliches Gefühl heißt ihn dies Herz noch lieben,
+Und sich, daß ers nicht hat, noch hassen kann, betrüben.
+
+Und also scheint der Fürst noch tugendhaft zu sein,
+Sosehr ihn auch sein Laster eingenommen.
+Wenn er unzüchtig ist, ist er drum grausam? Nein;
+Doch laßt nur einen Umstand kommen:
+So wird ers doch aus Wollust sein.
+Kein Laster herrscht jemals allein.
+Und du begingst vielleicht, wie er, das größte,
+Wärst du zum größten nicht zu klein.
+
+Der Fürstin Tochter tanzt an einem Freudenfeste.
+Der Hof bewundert sie. Herodes wird entzückt,
+Und fühlt, indem er sie erblickt,
+Der Mutter Blick in ihrer Tochter Blicke.
+Er winkt der Salome: "Gebeut itzt deinem Glücke,
+Und bitte, was du willst! Für meine Lieb und dich
+Ist nichts zu groß, und nichts zu königlich."
+
+Die Tochter eilt mit frohen Schritten
+Zu der Herodias, und fragt: "Was soll ich bitten?"
+"Bitt um des Täufers trotzig Haupt!"
+O Gott! wer hätte das geglaubt?
+Ist für ein weiches Herz, und für verbuhlte Blicke,
+Ein blutig Haupt ein reizungsvolles Glücke?
+Ein Weib, das sonst die kleinsten Schmerzen scheut,
+Findt, da die Wollust ihr gebeut,
+Selbst Wollust in der Grausamkeit?
+Und lehrt zugleich die Tochter ein Verbrechen?
+
+Herodes hört den Wunsch, erschrickt und wird betrübt,
+Weil er den frommen Täufer liebt;
+Allein der Fürstenstolz weist ihn auf sein Versprechen.
+Hats nicht der Hof gehört? Bist du nicht Herr und Fürst?
+Wird sich Herodias nicht gleich durch Kaltsinn rächen,
+Wofern du nicht den Wunsch erfüllen wirst?
+Gebeut, sprach seine Brunst, und eilig willigt er
+In dieses grausame Vergnügen.
+Man bringt des Täufers Haupt auf einer Schüssel her.
+
+Hier siehst du ja, wie bald nach leichter Gegenwehr
+In einem Laster alle siegen!
+
+
+
+
+
+Inkle und Yariko
+
+Die Liebe zum Gewinst, die uns zuerst gelehrt,
+Wie man auf leichtem Holz durch wilde Fluten fährt;
+Die uns beherzt gemacht, das liebste Gut, das Leben,
+Der ungewissen See auf Brettern preiszugeben;
+Die Liebe zum Gewinst, der deutliche Begriff
+Von Vorteil und Verlust, trieb Inklen auf ein Schiff.
+Er opferte der See die Kräfte seiner Jugend;
+Denn Handeln war sein Witz, und Rechnen seine Tugend.
+Ihn lockt das reiche Land, das wir durchs Schwert bekehrt,
+Das wir das Christentum und unsern Geiz gelehrt.
+Er sieht Amerika; doch nah an diesem Lande
+Zerreißt der Sturm sein Schiff. Zwar glückt es ihm, am Strande
+Dem Tode zu entgehn; allein der Wilden Schar
+Fiel auf die Briten los; und wer entkommen war,
+Den fraß ihr hungrig Schwert. Nur Inkle soll noch leben;
+Die Flucht in einen Wald muß ihm Beschirmung geben.
+Vom Laufen atemlos, wirft, mit verwirrtem Sinn,
+Der Brite sich zuletzt bei einem Baume hin;
+Umringt mit naher Furcht und ungewissem Grämen,
+Ob Hunger oder Schwert ihm wird das Leben nehmen?
+
+Ein plötzliches Geräusch erschreckt sein schüchtern Ohr.
+Ein wildes Mädchen springt aus dem Gebüsch hervor,
+Und sieht mit schnellem Blick den Europäer liegen.
+Sie stutzt. Was wird sie tun? Bestürzt zurücke fliegen?
+O nein! so streng und deutsch sind wilde Schönen nicht.
+Sie sieht den Fremdling an; sein rund und weiß Gesicht,
+Sein Kleid, sein lockicht Haar, die Anmut seiner Blicke
+Gefällt der Schönen wohl, hält sie mit Lust zurücke.
+
+Auch Inklen nimmt dies Kind bei wilder Anmut ein.
+Unwissend in der Kunst, durch Zwang verstellt zu sein,
+Verrät sie durch den Blick die Regung ihrer Triebe;
+Ihr Auge sprach von Gunst und bat um Gegenliebe.
+Die Indianerin war liebenswert gebaut.
+Durch Mienen redt dies Paar, durch Mienen wirds vertraut.
+Sie winkt ihm mit der Hand, er folget ihrem Schritte.
+Mit Früchten speist sie ihn in einer kleinen Hütte,
+Und zeigt ihm einen Quell, vom Durst sich zu befrein.
+Durch Lächeln rät sie ihm, getrost und froh zu sein.
+Sie sah ihn zehnmal an, und spielt an seinen Haaren,
+Und schien verwundrungsvoll, daß sie so lockicht waren.
+
+Sooft der Morgen kömmt: so machte Yariko
+Durch neuen Unterhalt den lieben Fremdling froh,
+Und zeigt durch Zärtlichkeit, mit jedem neuen Tage,
+Was für ein treues Herz in einer Wilden schlage!
+Sie bringt ihm manch Geschenk, und schmückt sein kleines Haus
+Mit mancher bunten Haut, mit bunten Federn aus;
+Und eine neue Tracht von schönen Muschelschalen
+Muß, wenn sie ihn besucht, um ihre Schultern prahlen.
+Zur Nachtzeit führt sie ihn zu einem Wasserfall,
+Und unter dem Geräusch und Philomelens Schall
+Schläft unser Fremdling ein. Aus zärtlichem Erbarmen
+Bewacht sie jede Nacht den Freund in ihren Armen.
+Wird in Europa wohl ein Herz so edel sein?
+
+Die Liebe flößt dem Paar bald eine Mundart ein.
+Sie unterreden sich durch selbst erfundne Töne.
+Kurz, er versteht sein Kind, und ihn versteht die Schöne.
+Oft sagt ihr Inkle vor, was seine Vaterstadt
+Für süße Lebensart, für Kostbarkeiten hat.
+Er wünscht, sie neben sich in London einst zu sehen;
+Sie hörts, und zürnet schon, daß es noch nicht geschehen.
+Dort, spricht er, kleid ich dich; und zeiget auf sein Kleid;
+In lauter bunten Zeug, von größrer Kostbarkeit;
+In Häusern, halb von Glas, bespannt mit raschen Pferden,
+Sollst du in dieser Stadt bequem getragen werden.
+
+Vor Freuden weint dies Kind, und sieht, indem sie weint,
+Schon nach der offnen See, ob noch kein Schiff erscheint.
+Es glückt ihr, was sie wünscht, in kurzem zu entdecken.
+Sie sieht ein Schiff am Strand, und läuft mit frohem Schrecken,
+Sucht ihren Fremdling auf, vergißt ihr Vaterland
+Aus Treue gegen ihn, und eilt, an seiner Hand,
+So freudig in die See, als ob das Schiff im Meere,
+In das sie steigen will, ein Haus in London wäre.
+
+Das Schiff setzt seinen Lauf mit gutem Winde fort,
+Und fliegt nach Barbados*; doch dieses war der Ort,
+Wo Inkle ganz bestürzt sein Schicksal überdachte,
+Als schnell in seiner Brust der Kaufmannsgeist erwachte.
+Er kam mit leerer Hand aus Indien zurück;
+Dies war für seinen Geiz ein trauriges Geschick.
+So hab ich, fing er an, um arm zurückzukommen,
+Die fürchterliche See, mit Müh und Angst, durchschwommen?
+Er stillt in kurzer Zeit den Hunger nach Gewinn,
+Und führt Yariko zum Sklavenhändler hin.
+Hier wird die Dankbarkeit in Tyrannei verwandelt,
+Und die, die ihn erhielt, zur Sklaverei verhandelt.
+
+Sie fällt ihm um den Hals, sie fällt vor ihm aufs Knie,
+Sie fleht, sie weint, sie schreit. Nichts! Er verkaufet sie.
+Mich, die ich schwanger bin, mich! fährt sie fort zu klagen.
+Bewegt ihn dies? Ach ja! Sie höher anzuschlagen.
+Noch drei Pfund Sterling mehr! Hier, spricht der Brite froh,
+Hier, Kaufmann, ist das Weib, sie heißt Yariko!
+
+----
+
+O Inkle! du Barbar, dem keiner gleich gewesen;
+O möchte deinen Schimpf ein jeder Weltteil lesen!
+Die größte Redlichkeit, die allergrößte Treu
+Belohnst du, Bösewicht! noch gar mit Sklaverei?
+Ein Mädchen, das für dich ihre eigen Leben wagte,
+Das dich dem Tod entriß, und ihrem Volk entsagte,
+Mit dir das Meer durchstrich, und, bei der Glieder Reiz,
+Das beste Herz besaß, verhandelst du aus Geiz?
+Sei stolz! Kein Bösewicht bringt dich um deinen Namen.
+Nie wird es möglich sein, dein Laster nachzuahmen.
+
+* Barbados ist eine von den caribischen Inseln, welche den Engländern
+zugehöret. Es wird ein großer Sklavenhandel daselbst getrieben.
+
+
+Lisette
+
+Ein junges Weib, sie hieß Lisette,
+Dies Weibchen lag an Blattern blind.
+Nun weiß man wohl, wie junge Weiber sind;
+Drum durft ihr Mann nicht von dem Bette,
+So gern er sie verlassen hätte:
+Denn laßt ein Weib schön wie Cytheren sein,
+Wenn sie die Blattern hat: so nimmt sie nicht mehr ein.
+Hier sitzt der gute Mann, zu seiner größten Pein,
+Und muß des kranken Weibes pflegen,
+Ihr Küssen oft zurechtelegen,
+Und oft durch ein Gebet um ihre Beßrung flehn;
+Und gleichwohl war sie nicht mehr schön.
+Ich hätt ihn mögen beten sehn.
+Der arme Mann! Ich weiß ihm nicht zu raten.
+Vielleicht besinnt er sich, und tut, was andre taten.
+
+Ein krankes Weib braucht eine Wärterin;
+Und Lorchen ward dazu erlesen,
+Weil ihr Lisettens Eigensinn
+Vor andern längst bekannt gewesen.
+Sie trat ihr Amt dienstfertig an,
+Und wußte sich in allen Stücken
+Gut in, die kranke Frau zu schicken,
+Und auch in den gesunden Mann.
+Sie war besorgt, gefällig, jung und schön,
+Und also ganz geschickt, mit beiden umzugehn.
+
+Was tut man nicht, um sich von Gram und Pein,
+Von Langerweile zu befrein?
+Der Mann sieht Lorchen an, und redt mit ihr durch Blicke,
+Weil er nicht anders reden darf;
+Und jeder Blick, den er auf Lorchen warf,
+Kam, wo nicht ganz, doch halb erhört zurücke.
+Ach, arme kranke Frau! Es ist dein großes Glücke,
+Daß du nicht sehen kannst, dein Mann tut recht galant;
+Dein Mann, ich wollte viel drauf wetten,
+Hat Lorchen schon vorher gekannt,
+Und sie mit Fleiß zur Wärterin ernannt.
+Ja, wenn sie bloß durch Blicke redten:
+So möcht es endlich wohl noch gehn;
+Allein bald wird man sie einander küssen sehn.
+Er kömmt, und klopft sie in den Nacken,
+Und kneipt sie in die vollen Backen;
+Sie wehrt sich ganz bequem, bequem wie eine Braut,
+Und findet bald für gut, sich weiter nicht zu wehren.
+Sie küssen sich recht zärtlich und vertraut;
+Allein sie küßten gar zu laut.
+Wie konnt es anders sein? Lisette mußt es hören.
+Sie hörts, und fragt: "Was schallt so hell?"
+"Madam, Madam!" ruft Lorchen schnell,
+"Es ist Ihr Herr, er ächzt vor großem Schmerz,
+Und will sich nicht zufriedengeben."
+"Ach", spricht sie, "lieber Mann, wie redlich meints dein Herz!
+O gräme dich doch nicht! Ich bin ja noch am Leben."
+
+
+
+
+
+Monime
+
+Durch schöner Glieder Reiz, durch Schönheit des Verstands
+Erwarb Monime sich den Beifall Griechenlands;
+So manches Buhlers Herz besiegten ihre Blicke;
+Mit Wollust sah er sie, beschämt wich er zurücke,
+Denn war Monime schön: so war ihr Herz zugleich
+An Unschuld, wie ihr Blick an Geist und Feuer, reich.
+Die Tugend, die dem Wunsch erhitzter Buhler wehrte,
+Trieb selbst den Buhler an, daß er sie mehr verehrte.
+Arm war sie von Geburt, und zart von Leidenschaft,
+Mit Schmeichlern stets umringt; und blieb doch tugendhaft?
+Doch bringt Geschenke her! Der Diamanten Flehen,
+Des Golds Beredsamkeit wird sie nicht widerstehen.
+Ein Prinz aus Pontus ists, der großer Mithridat,
+Der mit entbrannter Brust sich zu Monimen naht;
+Ein König seufzt und fleht. Zu schmeichelnde Gedanken!
+Wird nicht bei diesem Glück Monimens Tugend wanken?
+
+"Prinz", fing sie herzhaft an, "du scheinst durch mich gerührt,
+Und rühmst den kleinen Reiz, der meine Bildung ziert;
+Ich danke der Natur für diesen Schmuck der Jugend;
+Die Schönheit gab sie mir, und ich gab mir die Tugend.
+Nicht jene macht mich stolz, nein, diese macht mich kühn;
+Sei tausendmal ein Prinz: umsonst ist dein Bemühn!
+Ich mehre nie die Zahl erkaufter Buhlerinnen,
+Nur als Gemahl wirst du Monimens Herz gewinnen."
+
+So unbeweglich blieb ihr tugendhafter Sinn.
+Der Prinz, des Prinzen Flehn, der prächtigste Gewinn,
+Des Hofes Kunst und List, nichts konnte sie bezwingen.
+Der Prinz muß für ihr Herz ihr selbst die Krone bringen.
+
+O welch ein seltnes Glück, von niederm Blut entstehn,
+Und aus dem Staube sich bis zu dem Thron erhöhn!
+Wie lange, großes Glück! wirst du ihr Herz vergnügen?
+Wie lange?
+
+Mithridat hofft Rom noch zu besiegen;
+Verläßt Monimens Arm, um in den Krieg zu ziehn.
+Doch der, der siegen will, fängt an, besiegt zu fliehn;
+Rom setzt ihm siegreich nach, sein Land wird eingenommen.
+Doch soll das stolze Rom Monimen nicht bekommen,
+Eh dies der Prinz erlaubt, befielt er ihren Tod.
+Ein Sklav eröffnet ihr, was Mithridat gebot.
+
+"So", ruft sie, "raubt mir auch die Hoheit noch das Leben?
+Die für entrißne Ruh mir einen Thron gegeben,
+Auf dem ich ungeliebt, durch Reue mich gequält,
+Daß ich den Niedrigsten mir nicht zum Mann erwählt?"
+Sie reißt den Hauptschmuck ab, um stolz sich umzubringen,
+Und eilt, ihr Diadem sich um den Hals zu schlingen;
+Allein das schwache Band erfüllt ihr Wünschen nicht,
+Es reißt, und weigert sich der so betrübten Pflicht.
+"O", ruft sie, "Schmuck! den ich zu meiner Pein getragen,
+Sogar den schlimmsten Dienst will du mir noch versagen?"
+Sie wirft ihn vor sich hin, tritt voller Wut darauf,
+Und gibt durch einen Dolch alsbald ihr Leben auf.
+
+
+
+
+
+Philinde
+
+Philinde blieb oft vor dem Spiegel stehn;
+Denn alles kann man fast den Schönen,
+Nur nicht den Trieb, sich selber gern zu sehn,
+Und zu bewundern, abgewöhnen.
+Dies ist der Ton, aus dem die Männer schmähn;
+Doch, Mädchen, bleibet nur vor euren Spiegeln stehn.
+Ich laß es herzlich gern geschehn.
+Was wolltet ihr auch sonst wohl machen?
+Beständig tändeln, ewig lachen?
+Und stets nach den Verehrern sehn?
+Dies wäre ja nicht auszustehn.
+Genug, das schöne Kind, von der ich erst erzählte,
+Bespiegelte sich oft, und musterte das Haar,
+Und besserte, wo nicht das mindste fehlte.
+Ihr Bruder, der ein Autor war,
+Sah sie am Spiegel stehn und schmälte.
+"Habt Ihr Euch noch nicht satt gesehn?
+Ich geh es zu, Ihr seid sehr schön;
+Doch sein Gesicht die ganze Zeit besehn,
+Verrät ein gar zu eitles Wesen."
+"Herr Autor", sprach sie, "der Ihr seid,
+Hebt mit mir auf; denn sich gern selber lesen,
+Und gern im Spiegel sehn, ist beides Eitelkeit."
+
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+
+
+
+Selinde
+
+Das schönste Kind zu ihren Zeiten,
+Selinde, reich an Lieblichkeiten,
+Schön, wenn ich also sagen mag,
+Schön, wie das Morgenrot, und heiter, wie der Tag;
+Selinde soll sich malen lassen.
+Sie weigert sich; der Maler ließ nicht nach;
+Er bat, bis sie es ihm versprach,
+Und schwur, sie recht getreu zu fassen.
+Sie fragt, wieviel man ihm bezahlt?
+Ich hätte sie umsonst gemalt,
+Und hätt ich ja was fordern sollen:
+So hätt ich Küsse fordern wollen.
+So schön Selinde wirklich war,
+So schön, und schöner nicht, stellt sie der Maler dar;
+Die kleinste Miene muß ihm glücken,
+Das Bild war treu, und schön bis zum Entzücken;
+So reizend, daß es selbst der Maler hurtig küßt,
+Sobald sein Weib nicht um ihn ist.
+
+Der Maler bringt sein göttliches Gesicht.
+Selinde sieht es an, erschrickt, und legt es nieder.
+"Hier nehm er sein Gemälde wieder,
+Er irrt, mein Freund, das bin ich nicht.
+Wer hieß ihn so viel Schmeicheleien,
+Uns so viel Reiz auf meine Bildung streuen?
+Erdichtet ist der Mund, verschönert ist das Kinn.
+Kurz, nehm er nur sein Bildnis hin;
+Ich mag nicht schöner sein, als ich in Wahrheit bin.
+Vielleicht wollt er die Venus malen:
+Von dieser laß er sich bezahlen."
+
+So ist sie denn allein das Kind,
+Das schön ist, ohn es sein zu wollen?
+Wie viele kenn ich nicht, die wirklich häßlich sind,
+Und die wir mit Gewalt für englisch halten sollen.
+
+Der Maler nimmt sein Bild, und sagt kein einzig Wort,
+Geht trotzig, wie ein Künstler, fort.
+Was wird er tun? Er wird es doch nicht wagen,
+Und so ein schönes Kind verklagen?
+
+Er klagt. Selinde muß sich stellen.
+Die Väter werden doch ein gütig Urteil fällen!
+O fahrt sie nicht gebietrisch an;
+So sehr sie unrecht hat, so edel ist ihr Wahn.
+
+Hier kömmt sie schon, hier kömmt Selinde!
+Wer hat mehr Anmut noch gesehen?
+Der ganze Rat erstaunt vor diesem schönen Kinde,
+Und sein Erstaunen preist sie schön.
+Und jeder Greis in dem Gerichte
+Verliert die Runzeln vom Gesichte;
+Man sah aufs Bild; doch jedesmal
+Noch längre Zeit auf das Original;
+Und jeder rief: "Sie ist getroffen!"
+"O", sprach sie ganz beschämt, "wie könnt ich dieses hoffen!
+Er hat mich viel zu schön gemalt,
+Und Schmeichler werden nicht bezahlt."
+
+"Selinde", hub der Richter an,
+"Kein Maler konnt Euch treuer malen.
+Er hat nach seiner Pflicht getan,
+Abbittend sollt Ihr ihn bezahlen;
+Doch weil Ihr von Euch selbst nicht eingenommen seid:
+So geht nicht unbelohnt von diesem Richterplatze;
+Empfangt ein Heiratsgut aus dem gemeinen Schatze,
+Zum Lohne der Bescheidenheit."
+
+O weiser Mann, der dieses spricht!
+Gerechter ist kein Spruch zu finden.
+Du, du verdienst ein ewig Lobgedicht,
+Und wärst du jung, verdientest du Selinden.
+Selinde geht. Der Beifall folgt ihr nach;
+Man sprach von ihr gewiß, wenn man von Schönen sprach;
+Je mehr sie zweifelte, ob sie so reizend wäre,
+Um desto mehr erhielt sie Ehre.
+
+----
+
+Je minder sich der Kluge selbst gefällt:
+Um desto mehr schätzt ihn die Welt.
+
+
+
+
+Semnon und das Orakel
+
+Sein künftig Schicksal zu erfahren,
+Eilt Semnon voll Begier zum delphischen Altar.
+Die Gottheit weigert sich, ihm das zu offenbaren,
+Was über ihn verhänget war.
+Sie spricht: "Du wirst ein großes Glück genießen;
+Doch wirds dein Unglück sein, sobald du es wirst wissen."
+Ist Semnons Neugier nun vergnügt?
+Nichts weniger! Nur mehr wächst sein Verlangen.
+"O Gottheit", fährt er fort, "wenn Bitten dich besiegt:
+So laß mich größres Licht von meinem Glück empfangen!"
+So traut der Mensch, und traut zugleich auch nicht.
+Ein Semnon glaubt sein Glück, nicht, weils die Gottheit saget,
+Nein, weil ers schon gewünscht, eh er sie noch gefraget.
+Doch glaubt er auch, wenn sie vom Unglück spricht?
+O nein! Denn dieses wünscht er nicht.
+Durch Klugheit denkt er schon das Unglück abzuwehren.
+Kurz, Semnon läßt nicht nach, er will sein Schicksal hören.
+
+"Du wirst", hub das Orakel an,
+"Durch deines Weibes Gunst den Zepter künftig führen,
+Und Völker, die dich dienen sahn,
+Dereinst durch einen Wink regieren."
+
+Gestärkt durch dieses Götterwort,
+Eilt, der als Pilgrim kam, als Prinz in Hoffnung fort;
+Mißt, ohne Land, im Geist schon seines Reiches Größen;
+Und läßt schon, ohne Volk, sein Heer das Schwert entblößen.
+
+Allein so froh er war: so war ers nicht genug;
+Er weiß noch nicht, was er doch wissen wollte,
+Die Zeit, in der sein Fuß den Thron besteigen sollte;
+Die Ungewißheit wars, die ihn noch niederschlug.
+"Und", sprach er, "wenn ich auch nun bald den Thron bestiegen,
+Wie lange währt alsdann mein königlich Vergnügen?"
+Der kühne Zweifel treibt ihn an.
+Zum delphischen Apoll sich noch einmal zu nahn.
+
+"O Tor", versetzt Apoll, "euch Sterblichen zum Glücke,
+Verbarg der Götter Schluß die Zukunft eurem Blicke.
+So wisse denn: In kurzer Zeit
+Schmückt dich des Purpurs Herrlichkeit;
+Doch raubt die Hand, die dir den Thron gegeben,
+Dir mit dem Throne bald das Leben."
+
+Er tat darauf im Kriege sich hervor,
+Und stieg, aus einem niedern Stande,
+Zur höchsten Würd im Vaterlande,
+Durch seine Tapferkeit empor.
+Das ihm so günstige Geschicke
+Erfüllte des Orakels Sinn;
+Und Semnon ward, bei immer größerm Glücke,
+Der Liebling seiner Königin.
+Sie schenkt ihm Herz und Thron; doch ein verborgnes Schrecken
+Läßt ihn das Glück der Hoheit wenig schmecken.
+Sein reizendes Gemahl, das er halb liebt, halb scheut,
+Erfüllt ihn halb mit Frost, und halb mit Zärtlichkeit.
+Itzt wünscht er tausendmal, sein Schicksal nicht zu kennen,
+Um so für sie, wie sie für ihn, zu brennen.
+Sie merkt des Königs spröden Sinn,
+Sie zieht ihn in Verdacht mit einer Buhlerin,
+Sie gibt ihm heimlich Gift; er stirbt vor ihren Füßen.
+
+Sagt, Menschen, ists kein Glück, sein Schicksal nicht zu wissen?
+
+
+
+
+
+Till
+
+Der Narr, dem oft weit minder Witz gefehlt,
+Als vielen, die ihn gern belachen,
+Und der vielleicht, um andre klug zu machen,
+Das Amt des Albernen gewählt
+(Wer kennt nicht Tills berühmten Namen?);
+Till Eulenspiegel zog einmal
+Mit andern über Berg und Tal.
+Sooft als sie zu einem Berge kamen,
+Ging Till an seinem Wanderstab
+Den Berg ganz sacht und ganz betrübt hinab;
+Allein wenn sie berganwärts stiegen,
+War Eulenspiegel voll Vergnügen.
+"Warum", fing einer an, "gehst du bergan so froh?
+Bergunter so betrübt?"--"Ich bin", sprach Till, "nun so.
+Wenn ich den Berg hinuntergehe:
+So denk ich Narr schon an die Höhe,
+Die folgen wird, und da vergeht mir denn der Scherz;
+Allein wenn ich berganwärts gehe:
+So denk ich an das Tal, das folgt, und faß ein Herz."
+
+----
+
+Willst du dich in dem Glück nicht ausgelassen freun,
+Im Unglück nicht unmäßig kränken:
+So lern so klug wie Eulenspiegel sein,
+Im Unglück gern ans Glück, im Glück ans Unglück denken.
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Fabeln und Erzählungen, von
+Christian Fürchtegott Gellert.
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Fabeln und Erzaehlungen
+by Christian Fuerchtegott Gellert
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FABELN UND ERZAEHLUNGEN ***
+
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+Produced by Delphine Lettau; the book content was graciously
+contributed by the Gutenberg Projekt-DE
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+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our eBooks one year in advance
+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
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+
+Please note neither this listing nor its contents are final til
+midnight of the last day of the month of any such announcement.
+The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
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+preliminary version may often be posted for suggestion, comment
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+Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
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+
+Those of you who want to download any eBook before announcement
+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
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+Just search by the first five letters of the filename you want,
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+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
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+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
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+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
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+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
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+
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+ 100 1994 January
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