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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:33:03 -0700 |
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If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Fabeln und Erzaehlungen + +Author: Christian Fuerchtegott Gellert + +Posting Date: October 3, 2014 [EBook #9335] +Release Date: November, 2005 +First Posted: September 24, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FABELN UND ERZAEHLUNGEN *** + + + + +Produced by Delphine Lettau and Gutenberg Projekt-DE + + + + + + + + + + +Fabeln und Erzählungen + +Christian Fürchtegott Gellert + + + +Inhalt (Alphabetisch sortiert): + +Alcest +Amynt +Calliste +Chloris +Cleant +Cotill +Damokles +Damötas und Phyllis +Das Füllen +Das Gespenst +Das Heupferd, oder der Grashüpfer +Das Hospital +Das junge Mädchen +Das Kartenhaus +Das Kutschpferd +Das Land der Hinkenden +Das neue Ehepaar +Das Pferd und der Esel +Das Pferd und die Bremse +Das Schicksal +Das Testament +Das Unglück der Weiber +Das Vermächtnis +Der Affe +Der arme Greis +Der arme Schiffer +Der Arme und der Reiche +Der baronisierte Bürger +Der Bauer und sein Sohn +Der beherzte Entschluß +Der betrübte Witwer +Der Bettler +Der Blinde und der Lahme +Der erhörte Liebhaber +Der Freier +Der Freigeist +Der Fuchs und die Elster +Der glücklich gewordene Ehemann +Der glückliche Dichter +Der Greis +Der grüne Esel +Der gute Rat +Der gütige Besuch +Der Hund +Der junge Drescher +Der junge Gelehrte +Der junge Prinz +Der Jüngling +Der Kandidat +Der Knabe +Der Kranke +Der Kuckuck +Der Lügner +Der Maler +Der Polyhistor +Der Prozeß +Der Reisende +Der Schatz +Der Selbstmord +Der sterbende Vater +Der süße Traum +Der Tanzbär +Der Tartarfürst +Der Tod der Fliege und der Mücke +Der unsterbliche Autor +Der Wuchrer +Der wunderbare Traum +Der zärtliche Mann +Der Zeisig +Die Bauern und der Amtmann +Die beiden Hunde +Die beiden Knaben +Die beiden Mädchen +Die beiden Schwalben +Die beiden Wächter +Die Betschwester +Die Biene und die Henne +Die Ente +Die Fliege +Die Frau und der Geist +Die Geschichte von dem Hute +Die glückliche Ehe +Die Guttat +Die junge Ente +Die kranke Frau +Die Mißgeburt +Die Nachtigall und der Kuckuck +Die Nachtigall und die Lerche +Die Reise +Die schlauen Mädchen +Die Spinne +Die Verschwiegenheit +Die Widersprecherin +Die zärtliche Frau +Elpin +Emil +Epiktet +Erast +Herodes und Herodias +Inkle und Yariko +Lisette +Monime +Philinde +Selinde +Semnon und das Orakel +Till + + + + + +Alcest + +Alcest, den mancher Kummer drückte, +Der, weil er sich nicht zu dem Laster schickte, +Noch sich vor reichen Toren bückte, +Bei Fleiß und Kunst sich elend sah, +Stund neulich traurig auf. Freund, geht dir dies nicht nah, +Daß viele Kluge darben müssen, +Bloß weil sie mehr als andre wissen, +Und, zu Betrug und List zu blind, +Zu groß zu Prahlerei und Wind, +Nicht knechtisch gnug zu Schmeichlern sind? +O Freund, bedaure doch Alcesten, +Ihn, den itzt schwere Sorgen preßten; +Ihn, der von einem Buch beschämt zum andern schlich, +Und doch dem Kummer nicht entwich; +Ihn, der sich laut durch manchen Trostgrund lehrte, +Und doch sein Herz viel lauter seufzen hörte; +Der herzhaft zu sich selber sprach: +Gott lebt, Gott herrscht und hört dein Ach; +Er hört, so groß er ist, der jungen Raben Flehen; +Drum ist er nicht zu groß, auch dir mit beizustehen; +Und der, indem er dieses sprach, +Doch noch im Herzen rief: Wie wird dirs künftig gehen? + +Der beste Trostgrund blieb noch schwach; +Denn welch bekümmert Herz besiegt man gleich mit Gründen? +Es fühlt der starken Gründe Kraft, +Und flieht zurück in seine Leidenschaft, +Um jener Macht nicht zu empfinden. +Alcest beschloß zu seinem Freund zu gehn, +Den er zween Tage nicht gesehn. +Er, sprach er, ist es wert, und fing schon an zu gehn, +Daß ich zu ihm mit meinem Kummer eile, +Und meinen Kummer mit ihm teile; +In Damons Arm, wenn Damon mit mir spricht, +Wird die Geduld, die sonst so schwere Pflicht, +Mir lange so beschwerlich nicht. + +Er eilt mit sehnsuchtsvollem Herzen, +Wie nach dem Arzt ein Siecher, der sonst schleicht, +In Hoffnung schneller geht, und hoffend seine Schmerzen +Nicht fühlt, noch merkt, wie sehr er keucht, +Bis er des Arztes Haus erreicht. + +In diesem brennenden Verlangen, +Den treuen Damon zu umfangen, +Tritt er ins Haus und eilt die Treppe schnell hinauf. +Der Vorsaal wimmelte von Leuten, +Alcest erschrickt. "Gott! was soll das bedeuten?" +Er tritt herein; und seht, man bahrt den Damon auf. + +Er kehrte von dem toten Freunde +Nach einem letzten Kuß zurück. +Die Sorgen, seiner Ruhe Feinde, +Entwichen in dem Augenblick. +Was, sprach er, will ich mich denn quälen? +Kann mich der Tod so bald entseelen, +Was nützt mir alles Glück der Welt? +Um froh zu sterben, will ich leben. +Der Herr, der alles Fleisch erhält, +Wird mir, soviel ich brauche, geben. +Ihm wert zu sein, der Tugend nachzustreben, +Dies sei mein Kummer auf der Welt! + + + + + +Amynt + +Amynt, der sich in großer Not befand, +Und, wenn er nicht die Hütte meiden wollte, +Die hart verpfändet war, zehn Taler schaffen sollte, +Bat einen reichen Mann, in dessen Dienst er stand, +Doch dieses Mal sein Herz vor ihm nicht zu verschließen; +Und ihm zehn Taler vorzuschießen. +Der Reiche ging des Armen Bitten ein. +Denn gleich aufs erste Wort? Ach nein! +Er ließ ihm Zeit, erst Tränen zu vergießen; +Er ließ ihn lange trostlos stehn, +Und oft um Gottes Willen flehn, +Und zweimal nach der Türe gehn. +Er warf ihm erst mit manchem harten Fluche +Die Armut vor, und schlug hierauf +Ihm in dem dicken Rechnungsbuche +Die Menge böser Schuldner auf, +Und fuhr ihn, denn dafür war er ein reicher Mann, +Bei jeder Post gebietrisch schnaubend an. +Dann fing er an sich zu entschließen, +Dem redlichen Amynt, der ihm die Handschrift gab, +Auf sechs Prozent zehn Taler vorzuschießen, +Und dies Prozent zog er gleich ab. +Indem daß noch der Reiche zählte: +So trat sein Handwerksmann herein +Und bat, weils ihm an Gelde fehlte, +Er sollte doch so gütig sein +Und ihm den kleinen Rest bezahlen. +"Ihr kriegt itzt nichts!" fuhr ihn der Schuldherr an; +Allein der arme Handwerksmann +Bat ihn zu wiederholten Malen, +Ihm die paar Taler auszuzahlen. +Der Reiche, dem der Mann zu lange stehenblieb, +Fuhr endlich auf: "Geht fort, Ihr Schelm, Ihr Dieb!" +"Ein Schelm? Dies wäre mir nicht lieb. +Ich werde gehn und Sie verklagen; +Amynt dort hats gehört."--Und eilends ging der Mann. + +"Amynt!" fing drauf der Wuchrer an, +"Wenn sie Euch vor Gerichte fragen: +So könnt Ihr ja mir zu Gefallen sagen, +Ihr hättet nichts gehört. Ich will auch dankbar sein; +Und Euch, statt zehn, gleich zwanzig Taler leihn. +Denn diesen Schimpf, den er von mir erlitten, +Ihm auf dem Rathaus abzubitten, +Dies würde mir ein ewger Vorwurf sein. +Kurz, wollet Ihr mich nicht, als ein Zeuge, kränken: +So will ich Euch die zwanzig Taler schenken: +So kommt Ihr gleich aus aller Eurer Not." + +"Herr", sprach Amynt, "ich habe seit zween Tagen +Für meine Kinder nicht satt Brot. +Sie werden über Hunger klagen, +Sobald sie mich nur wiedersehn. +Es wird mir an die Seele gehn. +Die Schuldner werden mich aus meiner Hütte jagen; +Allein ich wills mit Gott ertragen. +Streicht Euer Geld, das Ihr mir bietet, ein, +Und lernt von mir die Pflicht, gewissenhaft zu sein." + + + + + +Calliste + +O Leser! stelle dir mit zärtlichem Gemüte +Einmal die größte Schönheit vor, +Auf deren Stirn der Frühling lächelnd blühte, +Um deren Herz sich längst ein edelmütig Chor +Entzückter Jünglinge bemühte, +Die stell itzt deinem Geiste dar, +Und fühl es recht, wie schön sie war. +Die, deren Schicksal ich erzähle, +Calliste, groß durch ihren Stand, +Und edler noch durch ihre Seele, +Ließ, weil sie sich nicht wohl befand, +Und weil der Doktor ihr den Aderlaß befohlen, +Des Königs ersten Wundarzt holen. + +Er, dieser so berühmte Mann, +Der schmachtend ingeheim Callistens Reiz verehrte, +Weil ihm ihr hoher Stand ein größer Glück verwehrte, +Nahm die Gelegenheit mit tausend Freuden an. +Er kam. O wär er nie gekommen! +Er nimmt den weißen Arm, und streift ihn ängstlich auf, +Und forscht, von Lieb und Ahndung eingenommen, +Mit Zittern nach der Adern Lauf, +Und streift in trunkner Angst den Arm noch vielmal auf. + +Callistens Freundin sieht ihn zagen, +Und sagts ihr (heimlich sagt sies ihr). +"O", spricht sie: "Lassen Sie den Herrn nur ruhig schlagen, +Und schlüg er zweimal fehl: so werd ich doch nichts sagen, +Ich weiß, er meint es gut mit mir." +Der Arzt sprach noch: "Das wollen wir nicht hoffen!" +Und schlug, und rief: "O unglückselger Schlag! +Ich habe ja den Puls getroffen!" +Und taumelte, bis er daniederlag. + +Sie, noch für den besorgt (kann man was Edlers denken?), +Der so gefährlich sie verletzt, +Verbot ihm oft, sich nicht um sie zu kränken, +Und blieb zween Tage lang bei allem Schmerz gesetzt. +Doch dies war nur geringes Leiden. +Die Ärzte sahn nunmehr die tödliche Gefahr, +Und wurden grausam eins, den Arm ihr abzuschneiden, +Weil sonsten keine Rettung war. +Und ohne sich darüber zu beklagen, +Reicht sie den Arm, den schönen Arm, schon dar, +Und bittet nur, den ja um Rat zu fragen, +Der schuld an diesem Unglück war. + +So ward der Schönen denn das Leben +Für den Verlust des Arms gegeben? +So war das Leben denn für so viel Schmerz der Lohn? +Sieh nur den Doktor an, sein Schrecken sagt dirs schon. +Er sieht den Brand, und spricht mit bangem Ton: +"Sie können länger nicht, als noch drei Tage leben!" + +O Gott, wie kurz ist diese Frist! +Ihr Ärzte, helft ihr doch, wenn ihr zu helfen ist! + +Auch hier blieb noch das große Herz gelassen. +"So", sprach sie, "sterb ich denn? Wohlan! Er ist nicht schuld, +Er würde gern für mich erblassen. +Gott hats verhängt; Gott ehr ich durch Geduld, +Und bin bereit, den Augenblick zu sterben" +(Der Wundarzt trat indem herein); +"Sie aber", fuhr sie fort, "setz ich hiemit zum Erben +Von allen meinen Gütern ein, +Sie möchten sonst unglücklich sein." +Sie sprachs, und schlief großmütig ein. + + + + + +Chloris + +Aus Eifersucht des Lebens satt, +Warf Chloris sich betrübt auf ihre Lagerstatt; +Und ihren Buhler recht zu kränken, +Der einen Blick nach Sylvien getan, +Rief sie die Venus brünstig an, +Ihr einen leichten Tod zu schenken. +Vielleicht war dies Gebet so eifrig nicht gemeint. +Verliebt und jung zu sein, und um den Tod zu flehen, +Wem dies nicht widersprechend scheint, +Der muß die Liebe schlecht verstehen. + +Doch mitten in der größten Pein +Sieht Chloris ihren Freund geputzt ins Zimmer treten, +Und plötzlich hört sie auf zu beten, +Und wünscht nicht mehr entseelt zu sein. +Er sagt ihr tausend Schmeicheleien, +Er seufzt, er fleht, er schwört, er küßt. +O Chloris! laß dichs nicht gereuen, +Daß du noch nicht gestorben bist; +Dein Damon schwört, dich ewig treu zu lieben, +Wie könntest du ihn doch durch deinen Tod betrüben! + +Der meisten Schönen Zorn gleicht ihrer Zärtlichkeit, +Sie dauern beide kurze Zeit: +Und Chloris ließ sich bald versöhnt von dem umfangen, +Den sie vor kurzem noch des Hasses würdig fand. +Sie klopft ihn auf die braunen Wangen, +Und streichelt ihn mit buhlerischer Hand. + +Doch schnell erstarren ihre Hände. +Wie, Venus! Nähert sich ihr Ende? +Sie fällt in sanfter Ohnmacht hin; +Ein kleiner Schnabel wird aus ihrem kleinen Kinn; +Zu Flügeln werden ihre Hände; +Ihr Busen wird mit einem Kropf verbaut; +Und Federn überziehn die Haut. +Ists möglich, daß ich dieses glaube? +Ja! Chloris wird zu einer Taube. + +Wie zittert ihr Geliebter nicht! +Hier sieht er seine Schöne fliegen. +Sie fliegt ihm dreimal ums Gesicht, +Als wollte sie sich noch durch einen Kuß vergnügen. +Worzu sie sonst die Neigung angetrieben, +Das scheint sie auch, als Taube, noch zu lieben. + +Das Putzen war ihr Zeitvertreib. +O seht, wie putzt sie ihren Leib! +Sie rupft die Federn aus, um sich recht glatt zu machen; +Sie fliegt ans Waschfaß hin, tut, was sie sonst getan; +Fängt Hals und Brust zu baden an. +Wie schön hör ich die Taube lachen! +Fragt nicht, was sie zu lachen macht! +Sie hat, als Chloris, schon oft über nichts gelacht. + +Itzt naht sie sich dem großen Spiegel, +Vor dem sie manchen Tag in Mienen sich geübt, +Besieht den weißen Hals, bewundert ihre Flügel, +Und fängt schon an, in sich verliebt, +Mit jüngferlichem Stolz sich kostbar zu gebärden. +Ach Götter! ruft ihr Freund betrübt, +Laßt diese Taube doch zur Chloris wieder werden. + +Umsonst, spricht Venus, ist dein Flehn; +Zur Taube schicket sie sich schön, +Und niemals werd ich ihr die Menschheit wiedergeben. +Sie hat geseufzt, gebuhlt, gelacht, +Sich stets geputzt, und nie gedacht; +Als Taube kann sie recht nach ihrer Neigung leben. + +O wenn sich nur die Göttin nicht entschließt, +Die Schönen alle zu verwandeln, +Die ebenso, wie Chloris, handeln! +Man sagt, daß sie es willens ist. +Ach, Göttin, ach! wie zahlreich wird auf Erden +Alsdann das Volk der Tauben werden! +Mit einer Frau wird man zu Bette gehn, +Und früh auf seiner Brust ein Täubchen sitzen sehn. +Mich dauert im voraus manch reizendes Gesicht. +O liebe Venus, tu es nicht! + + + + + +Cleant + +Cleant, ein lieber Advokat, +Der, wie es ihm nach seinem Eid gebührte, +Der Unterdrückten Sache führte, +Und manchen armen Schelm vom Galgen und vom Rad +Durch seinen Witz losprozessierte, +Half, weil man ihn um seinen Beistand bat, +Die Unschuld zweener Diebe retten, +Und brachte sie, weil er geschickt verfuhr, +Bald von der Marter zu dem Schwur, +Und durch den Schwur aus ihren Ketten. +Das arme Volk! Da sieht mans nun, +Wie man der Welt kann Unrecht tun! +Denn wär er nicht so treu die Sache durchgegangen: +So hätte man das arme Paar, +Das seiner Tat fast überwiesen war, +In aller Unschuld aufgehangen. +Itzt waren sie nun beide frei, +Und dankten ihrem Advokaten +Auf ihren Knien für seine Treu, +Und zahlten ihm, was die Gebühren taten, +Und gaben ihm, von Dankbarkeit gerührt, +Ob er gleich nicht zu wenig liquidiert, +Noch einen Beutel mit Dukaten; +Und schwuren ihm bei ihrer Ehrlichkeit, +Wenn beßre Zeiten kommen sollten, +Daß sie für diesen Dienst, durch den er sie befreit, +Ihn reichlicher belohnen wollten. + +Allein die Nacht war vor der Tür. +Sie sahn nun, daß sie nicht nach Hause kommen könnten; +Drum gab der Advokat den redlichen Klienten +Aus Dankbarkeit ein Nachtquartier, +Weil sie so gut bezahlet hatten. +Dies kam den Herren gut zustatten; +Denn sie bedienten sich der Nacht, +Und knebelten den lieben Wirt im Bette, +Und stahlen das, was sie gebracht, +Und suchten fleißig nach, ob er nichts weiter hätte. +Drauf gingen sie zu ihm vors Bette, +Und nahmen höflich gute Nacht. + + + + + +Cotill + +Cotill, der, wie es vielen geht, +Nicht wußte, was er machen sollte, +Und doch nicht müßig bleiben wollte; +Denn müßig gehn, wenn mans nicht recht versteht, +Ist schwerer, als man denken sollte; +Cotill ging also vor die Stadt, +Und machte sich etwas zu schaffen. +Er ging, und schlug im Gehen oft ein Rad. +"O", schrie man, "seht den jungen Laffen, +Der den Verstand verloren hat! +Er macht die Hände gar zu Füßen. +Ihr Kinder, zischt den Narren aus!" +Allein Cotill ließ sich dies alles nicht verdrüßen. +Kurz, es gefiel ihm so, er ging vors Tor hinaus. +Man mochte, was man wollte, sagen, +Er fuhr doch fort, im Gehn sein Rad zu schlagen. +"Der Teufel! Seht, das war ein rechtes Rad!" +Fing endlich einer an zu fluchen. +"Ich möcht es doch bald selbst versuchen." +Er sagt es kaum, als ers schon tat. +"Nun", sprach er, "seh ich wohl, wieviel man Vorteil hat. +Es ist ganz hübsch um so ein Rad, +Denn man erspart sich viele Schritte. +Der Mann ist nicht so dumm, der es erfunden hat." +Den Tag darauf kam schon der dritte, +Und tat es nach. Die Zahl vermehrte sich. +In kurzem sprach man schon gelinder; +Man fragte stark nach dem Erfinder, +Und lobt ihn endlich öffentlich. + +---- + +Nimm alles vor, es sei so toll es will. +Heiß anfangs närrisch wie Cotill; +Dein Beifall ist drum nicht verloren. +Sei nur beherzt, und spare keinen Fleiß, +Ein Tor findt allemal noch einen größern Toren, +Der seinen Wert zu schätzen weiß. + + + + +Damokles + +Gaubt nicht, daß bei dem größten Glücke +Ein Wütrich jemals glücklich ist. +Er zittert in dem Augenblicke, +Da er der Hoheit Frucht genießt. +Bei aller Herrlichkeit stört ihn des Todes Schrecken, +Und läßt ihn nichts, als teures Elend, schmecken. + +---- + +Als den Tyrannen Dionys +Ein Schmeichler einstens glücklich pries, +Und aus dem Glanz der äußerlichen Ehre, +Aus reichem Überfluß an Volk und Gold erwies, +Daß sein Tyrann unendlich glücklich wäre; +Als dies Damokles einst getan; +Fing Dionys zu diesem Schmeichler an: +"So sehr mein Glück dich eingenommen, +So kennst du es doch unvollkommen; +Doch schmecktest du es selbst, wie würde dichs erfreun! +Willst du einmal an meiner Stelle sein?" +"Von Herzen gern!" fällt ihm Damokles ein. +Ein goldner Stuhl wird schnell für ihn herbeigebracht. +Er sitzt, und sieht auf beiden Seiten +Der Hohen größte Herrlichkeiten, +Die Stolz und Wollust ausgedacht. +Von Purpur prangen alle Wände, +Gold schmückt die Tafel aus, im Golde perlt der Wein. +Ein Wink! so eilen zwanzig Hände, +Des hohen Winkes wert zu sein. +Ein Wort! so fliegt die Menge schöner Knaben, +Und sucht den Ruhm, dies Wort vollstreckt zu haben. + +Von Wollust süß berauscht, von Herrlichkeit entzückt, +Schätzt sich Damokles für beglückt. +"O Hoheit!" ruft er aus, "könnt ich dich ewig schmecken!" +Doch ach! was nimmt er plötzlich wahr? +Ein scharfes Schwert an einem Pferdehaar, +Das an der Decke hängt, erfüllt sein Herz mit Schrecken; +Er sieht die drohende Gefahr +Nah über seinem Haupte schweben. +Der Glückliche fängt an zu beben; +Er sieht nicht mehr auf seines Zimmers Pracht, +Nicht auf den Wein, der aus dem Golde lacht; +Er langt nicht mehr nach den schmackhaften Speisen, +Er hört nicht mehr der Sänger sanfte Weisen. +"Ach!" fängt er zitternd an zu schrein, +"Laß mich, o Dionys, nicht länger glücklich sein!" + + + + + +Damötas und Phyllis + +Damötas war schon lange Zeit +Der jungen Phyllis nachgegangen; +Noch konnte seine Zärtlichkeit +Nicht einen Kuß von ihr erlangen. +Er bat, er gab sich alle Müh; +Doch seine Spröde hört ihn nie. +Er sprach: "Zwei Bänder geb ich dir. +Auch soll kein Warten mich verdrüßen, +Versprich nur, schöne Phyllis, mir, +Mich diesen Sommer noch zu küssen." +Sie sieht sie an, er hofft sein Glück, +Sie lobt sie, und gibt sie zurück. + +Er bot ein Lamm, noch zwei darauf, +Dann zehn, dann alle seine Herden. +So viel? Dies ist ein teurer Kauf. +Nun wird sie doch gewonnen werden. +Doch nichts nahm unsre Phyllis ein; +Mit finstrer Stirne sprach sie: "Nein!" + +"Wie?" rief Damötas ganz erhitzt, +"So willst du ewig widerstreben? +Gut, ich verbiete dir anitzt, +Mir jemals einen Kuß zu geben." +"O!" rief sie, "fürchte nichts von mir, +Ich bin dir ewig gut dafür." + +Die Spröde lacht; der Schäfer geht, +Schleicht ungeküßt zu seinen Schafen. +Am andern Morgen war Damöt +Bei seinen Herden eingeschlafen; +Er schlief, und im Vorübergehn +Blieb Phyllis bei dem Schäfer stehn. + +Wie rot, spricht Phyllis, ist sein Mund! +Bald dürft ich mich zu was entschließen. +O täte nicht sein böser Hund, +Ich müßte diesen Schäfer küssen. +Sie geht, doch da sie gehen will, +So steht sie vor Verlangen still. + +Sie sieht sich dreimal schüchtern um, +Und sucht die Zeugen, die sie scheute; +Sie macht den Hund mit Streicheln stumm, +Und lockt ihn freundlich auf die Seite; +Sie sinnt, bis daß sie, ganz verzagt, +Sich noch zween Schritte näher wagt. + +Hier steht nunmehr das gute Kind; +Allein sie kann sich nicht entschließen; +Doch nein, itzt bückt sie sich geschwind, +Und wagts, Damöten sanft zu küssen. +Sie gibt ihm drauf noch einen Blick, +Und kehrt nach ihrer Flur zurück. + +Wie süße muß ein Kuß nicht sein! +Denn Phyllis kömmt noch einmal wieder, +Scheint minder sich, als erst, zu scheun, +Und läßt sich bei dem Schäfer nieder; +Sie küßt, und nimmt sich nicht in acht; +Sie küßt ihn, und Damöt erwacht. + +"O!" fing Damöt halb schlafend an, +"Mißgönnst du mir die sanfte Stunde?" +"Dir", sprach sie, "hab ich nichts getan, +Ich spielte nur mit deinem Hunde; +Und überhaupt, es steht nicht fein, +Ein Schäfer und stets schläfrig sein. + +Jedoch, was gibst du mir, Damöt? +So sollst du mich zum Scherze küssen." +"Nun", sprach der Schäfer, "ists zu spät, +Du wirst an mich bezahlen müssen." +Drauf gab die gute Schäferin +Um einen Kuß zehn Küsse hin. + + + + + +Das Füllen + +Ein Füllen, das die schwere Bürde +Des stolzen Reuters nie gefühlt, +Den blanken Zaum für eine Würde +Der zugerittnen Pferde hielt; +Dies Füllen lief nach allen Pferden, +Worauf es einen Mann erblickt, +Und wünschte, bald ein Roß zu werden, +Das Sattel, Zaum und Reuter schmückt. +Wie selten kennt die Ehrbegierde +Das Glück, das sie zu wünschen pflegt! +Das Reutzeug, die gewünschte Zierde, +Wird diesem Füllen aufgelegt. +Man führt es streichelnd hin und wider, +Daß es den Zwang gewohnen soll; +Stolz geht das Füllen auf und nieder, +Und stolz gefällt sichs selber wohl. + +Es kam mit prächtigen Gebärden +Zurück in den verlaßnen Stand, +Und machte wiehernd allen Pferden +Sein neu erhaltnes Glück bekannt. +Ach! sprach es zu dem nächsten Gaule, +Mich lobten alle, die mich sahn; +Ein roter Zaum lief aus dem Maule +Die schwarzen Mähnen stolz hinan. + +Allein wie gings am andern Tage? +Das Füllen kam betrübt zurück, +Und schwitzend sprach es: Welche Plage +Ist nicht mein eingebildet Glück! +Zwar dient der Zaum mich auszuputzen; +Doch darum ward er nicht gemacht. +Er ist zu meines Reuters Nutzen +Und meiner Sklaverei erdacht. + +---- + +Was wünscht man sich bei jungen Tagen? +Ein Glück, das in die Augen fällt; +Das Glück, ein prächtig Amt zu tragen, +Das keiner doch zu spät erhält. +Man eilt vergnügt, es zu erreichen, +Und, seiner Freiheit ungetreu, +Eilt man nach stolzen Ehrenzeichen, +Und desto tiefrer Sklaverei. + + + + +Das Gespenst + +Ein Hauswirt, wie man mir erzählt, +Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält. +Er ließ, des Geists sich zu erwehren, +Sich heimlich das Verbannen lehren; +Doch kraftlos blieb der Zauberspruch. +Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren, +Und gab, in einem weißen Tuch, +Ihm alle Nächte den Besuch. +Ein Dichter zog in dieses Haus. +Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen, +Bat sich des Dichters Zuspruch aus, +Und ließ sich seine Verse lesen. +Der Dichter las ein frostig Trauerspiel, +Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel. + +Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah, +Erschien, und hörte zu; es fing ihn an zu schauern; +Er konnt es länger nicht, als einen Auftritt, dauern: +Denn, eh der andre kam, so war er nicht mehr da. +Der Wirt, von Hoffnung eingenommen, +Ließ gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen. +Der Dichter las, der Geist erschien; +Doch ohne lange zu verziehn. +Gut! sprach der Wirt bei sich, dich will ich bald verjagen; +Kannst du die Verse nicht vertragen? + +Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein. +Sobald es zwölfe schlug, ließ das Gespenst sich blicken. +Johann! fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein, +Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Güte sein, +Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken. +Der Geist erschrak, und winkte mit der Hand, +Der Diener sollte ja nicht gehen. +Und kurz, der weiße Geist verschwand, +Und ließ sich niemals wieder sehen. + +---- + +Ein jeder, der dies Wunder liest, +Zieh sich daraus die gute Lehre, +Daß kein Gedicht so elend ist, +Daß nicht zu etwas nützlich wäre. +Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut! +So kann uns dies zum großen Troste dienen. +Gesetzt, daß sie zu unsrer Zeit +Auch legionenweis erschienen: +So wird, um sich von allen zu befrein, +An Versen doch kein Mangel sein. + + + + +Das Heupferd, oder der Grashüpfer + +Ein Wagen Heu, den Veltens Hand +Zu hoch gebäumt, und schlecht bespannt, +Konnt endlich von den matten Pferden +Nicht weiter fortgezogen werden. +Des Fuhrmanns Macht- und Sittenspruch, +Ein zehnmals wiederholter Fluch, +War eben, wie der Peitsche Schlagen, +Zu schwach bei diesem schweren Wagen. + +Ein Heupferd, das bei der Gefahr +Zuoberst auf dem Wiesbaum war, +Sprang drauf herab, und sprach mit Lachen: +"Ich wills dem Viehe leichter machen." + +Drauf ward der Wagen fortgerückt. +"Ei", rief das Heupferd ganz entzückt, +"Du, Fuhrmann, wirst an mich gedenken; +Fahr fort! den Dank will ich dir schenken." + + + + + + +Das Hospital + +Elmire war zur Witwe worden, +Und nahm sich vor, nicht mehr zu frein. +Allein sie war noch jung; was macht man ganz allein? +Ich dächte doch, sie könnte wieder frein. +Der Witwenstand ist ein betrübter Orden. +Elmire sahs und schritt zur zweiten Wahl. +Allein sie war das erste Mal +Nicht gar zu wohl verwahret worden. +Denn leider sind die Zeiten so betrübt, +Daß es viel böse Männer gibt. +Elmire tat daher ein feierlich Gelübd, +Indem sie sich zur zweiten Ehe schickte: +Sie wollte, wenn es ihr mit ihrem Manne glückte, +Ein Hospital für fromme Männer baun; +Denn sie war reich. Und kurz, sie ließ sich wieder traun. +O welche Lust erfolgt oft nach dem Leide! +Das war ein Mann, ein allerliebster Mann! +Fromm wie ein Kind, gefällig wie die Freude, +Und der auf nichts, als ihr Vergnügen sann. +Wie hätte sie sich ihn denn besser wünschen mögen? + +Sie ließ geschwind den Grund zum Hospitale legen. +Vier Wochen strichen hin. Nun war der Grund gelegt. +Und bald wird man das erste Stockwerk sehen; +Doch nein, Elmire kömmt, und heißt, vom Zorn bewegt, +Die Mäurer auseinandergehen. +Wie! Sollt es nicht mehr gut in ihrer Ehe stehen? +Das kann nicht möglich sein, sie sind ja kaum getraut. +Nun kurz und gut, es ward nicht fortgebaut. +Und ungefähr nach einem halben Jahre +Lag dieser Mann auch auf der Bahre. +Der liebe Mann! + +Die Frau schwört Stein und Bein, +Ihr lebelang nicht mehr zu frein; +Und doch war sie nach zweiundfunfzig Wochen +(Der Bau muß ja vollendet sein!) +Bereits das dritte Mal versprochen. + +O, das war erst ein würdiger Gemahl! +Verständig, zärtlich und verbindlich, +Nicht eigensinnig, nicht empfindlich; +Er bat da nur, wo jener mild befahl; +Die Blicke seiner Frau erfüllt er als Befehle. +Kurz, beide waren recht ein Herz und eine Seele. + +Die gute Frau! Ich gönn ihr diesen Mann. +Allein sie wollte doch nicht trauen. +Sie fing nicht gleich, wie ehmals, an zu bauen. +Ich lobe sie darum, und hätt es selbst getan. +Der Henker mag den Männern trauen, +Wenn man so leicht zweimal sich irren kann. + +Sie fand nunmehr nach einem halben Jahre +Den Gatten noch so liebenswert, +Als an dem Tag, da er, gefragt vor dem Altare, +Ihr durch ein seufzend Ja sein zärtlich Herz erklärt. + +Der Bau wird fortgesetzt. Ich seh Elmiren kommen. +Wie freundlich sieht sie diesmal aus! +"Ach Meister, fördert doch das Haus! +Warum habt Ihrs denn angenommen? +Ich geb Euch ja das Geld voraus. +Laßt doch noch mehr Gesellen kommen!" + +Ei, das geht gut! Ich kann mich nicht genug erfreun. +Das muß ein rechter Ehmann sein! + +Die Mäurer fördern sich, und binnen vierzehn Tagen +Sieht man das erste Stockwerk stehn. +Und nun läßt sich Elmire wieder sehn. +Man siehts ihr an, sie hat etwas zu sagen, +Vielleicht sah sie die Mäurer müßig stehn; +Denn leider pflegts so herzugehn. +Vielleicht hat man am Bau etwas versehn? +Das sollte mich doch selbst verdrüßen. +Itzt öffnet sie den Mund. Nun wird sichs zeigen müssen. +"Ach", fängt sie heftig an zu schrein: +"Hört auf, und reißt den Plunder ein! +Ich lasse keinen Stein mehr tragen. +Wofür verbaut ich denn mein Geld? +Für Männer, die die Weiber plagen? +Denn andre gibts nicht auf der Welt." + +Die böse Frau! Man sollte sie verklagen. + + + + + +Das junge Mädchen + +Ein junger Mensch sprach einen wackern Mann +Durch einen guten Freund um seine Tochter an. +Der Alte, der sein Kind noch nicht versprechen wollte, +War dennoch ungemein erfreut, +Und bat den Freund mit vieler Höflichkeit, +Daß er bei ihm zu Tische bleiben sollte. +Die Tochter, ob sich gleich der Vater sehr verstellt, +Errät die Sache bald. Was? fängt sie an zu schließen, +Ein fremder Herr, den man zu Tische gleich behält, +Was bringt doch der? Ich solls nicht wissen; +Allein umsonst bückt er sich nicht so tief vor mir. +Ist auch der gute Freund wohl meinetwegen hier? + +Der Fremde hofft, es soll ihm noch gelingen, +Und wagt es bei dem Glase Wein, +Das Wort für seinen Freund noch einmal anzubringen. +"Mein Herr!" fiel ihm der Vater ein, +"O denken Sie doch nicht, daß ich zu hart verfahre: +Mein Kind kann wirklich noch nicht frein, +Sie ist zu jung, sie ist erst vierzehn Jahre." + +Indem er dies noch sprach, trat Fickchen selbst herein, +Und trug ein Essen auf. "Was?" fing sie an zu schrein, +"Was sagten Sie, Papa? Sie haben sich versprochen. +Ich sollt erst vierzehn Jahre sein? +Nein, vierzehn Jahr und sieben Wochen." +Ließ sie der Vater denn nicht frein? +Das weiß ich nicht; doch nein, ich wills nur sagen; +Denn unter denen, die mich fragen, +Da könnten wohl selbst junge Mädchen sein; +Die zu beruhigen, will ichs aufrichtig sagen: +Der Vater schämte sich und ließ die Tochter frein. + + + + + +Das Kartenhaus + +Das Kind greift nach den bunten Karten, +Ein Haus zu bauen, fällt ihm ein. +Es baut, und kann es kaum erwarten, +Bis dieses Haus wird fertig sein. +Nun steht der Bau. O welche Freude! +Doch ach! ein ungefährer Stoß +Erschüttert plötzlich das Gebäude, +Und alle Bänder reißen los. + +Die Mutter kann im Lomberspielen, +Wenn sie den letzten Satz verspielt, +Kaum so viel banges Schrecken fühlen, +Als ihr bestürztes Kind itzt fühlt. + +Doch wer wird gleich den Mut verlieren? +Das Kind entschließt sich sehnsuchtsvoll, +Ein neues Lustschloß aufzuführen, +Das dem zerstörten gleichen soll. + +Die Sehnsucht muß den Schmerz besiegen, +Das erste Haus steht wieder da. +Wie lebhaft war des Kinds Vergnügen, +Als es sein Haus von neuem sah! + +Nun will ich mich wohl besser hüten, +Damit mein Haus nicht mehr zerbricht. +"Tisch!" ruft das Kind, "laß dir gebieten, +Und stehe fest, und wackle nicht!" + +Das Haus bleibt unerschüttert stehen, +Das Kind hört auf, sich zu erfreun; +Es wünscht, es wieder neu zu sehen, +Und reißt es bald mit Willen ein. + +---- + +Schilt nicht den Unbestand der Güter, +Du siehst dein eigen Herz nicht ein; +Veränderlich sind die Gemüter, +So mußten auch die Dinge sein. +Bei Gütern, die wir stets genießen, +Wird das Vergnügen endlich matt; +Und würden sie uns nicht entrissen, +Wo fänd ein neu Vergnügen statt? + + + + + +Das Kutschpferd + +Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Acker ziehn, +Und wieherte mit Stolz auf ihn. +"Wenn", sprach es, und fing an, die Schenkel schön zu heben, +"Wenn kannst du dir ein solches Ansehn geben? +Und wenn bewundert dich die Welt?" +"Schweig", rief der Gaul, "und laß mich ruhig pflügen, +Denn baute nicht mein Fleiß das Feld, +Wo würdest du den Haber kriegen, +Der deiner Schenkel Stolz erhält?" + +---- + +Die ihr die Niedern so verachtet, +Vornehme Müßiggänger, wißt, +Daß selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet, +Daß euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet, +Auf ihren Fleiß gegründet ist. +Ist der, der sich und euch durch seine Hand ernährt, +Nichts Bessers als Verachtung wert? +Gesetzt, du hättest beßre Sitten: +So ist der Vorzug doch nicht dein. +Denn stammtest du aus ihren Hütten: +So hättest du auch ihre Sitten. +Und was du bist, und mehr, das würden sie auch sein, +Wenn sie wie du erzogen wären. +Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren. + + + + +Das Land der Hinkenden + +Vorzeiten gabs ein kleines Land, +Worin man keinen Menschen fand, +Der nicht gestottert, wenn er redte, +Nicht, wenn er ging, gehinket hätte; +Denn beides hielt man für galant. +Ein Fremder sah den Übelstand; +Hier, dacht er, wird man dich im Gehn bewundern müssen; +Und ging einher mit steifen Füßen. +Er ging, ein jeder sah ihn an, +Und alle lachten, die ihn sahn, +Und jeder blieb vor Lachen stehen, +Und schrie: Lehrt doch den Fremden gehen! +Der Fremde hielts für seine Pflicht, +Den Vorwurf von sich abzulehnen. +Ihr, rief er, hinkt; ich aber nicht; +Den Gang müßt ihr euch abgewöhnen! +Der Lärmen wird noch mehr vermehrt, +Da man den Fremden sprechen hört. +Er stammelt nicht; genug zur Schande! +Man spottet sein im ganzen Lande. + +---- + +Gewohnheit macht den Fehler schön, +Den wir von Jugend auf gesehn. +Vergebens wirds ein Kluger wagen, +Und, daß wir töricht sind, uns sagen. +Wir selber halten ihn dafür, +Bloß, weil er klüger ist, als wir. + + + + +Das neue Ehepaar + +Nach so viel bittern Hindernissen, +Nach so viel ängstlicher Gefahr, +Als jemals noch ein zärtlich Paar +Hat dulden und beweinen müssen, +Ließ endlich doch die Zeit mein Paar das Glück genießen, +Das, wenns ein Lohn der Tugend ist, +Sie durch Beständigkeit zehnfach verdienet hatten. +Sie, die sich, hart bedroht, als Liebende geküßt, +Die küßten sich nunmehr erlaubt als Ehegatten, +Nachdem sie neidscher Freunde List +Und strenger Eltern Zorn liebreich besänftigt hatten. +Wer war, nach langer Jahre Müh, +Nun glücklicher als er und sie? +Denn, was man liebt, geliebt besitzen können; +In einem treuen Arm sich seines Lebens freun, +Ist, Menschen, dies kein Glück zu nennen: +So muß gar keins auf Erden sein. +Hier wett ich wohl, daß mancher heimlich spricht: +Der gute Mensch versteht es nicht. +Denn wär die Lieb ein Glück, was könnte mir denn fehlen, +Da ein erlesnes Weib in meinen Armen liegt? +Ist sie nicht reich und schön? Doch bin ich nicht vergnügt, +Ich glaub es, lieber Freund; allein sich so vermählen, +Wie viele tun, das heißt nicht lieben, nein. +Das heißt, mit weit getrennten Seelen +Ein Leib in einem Hause sein. + +Ein unverhofftes Glück begegnet unsern beiden. +Wie weinen sie vor Zärtlichkeit! +Der arme Mann soll itzt auf kurze Zeit +Von seiner teuren Gattin scheiden, +Weil ihn ein naher Freund in einer fernen Stadt +Zum Erben eingesetzet hat. + +Von heißen Lippen losgerissen, +Und doch entbrannt, sich länger noch zu küssen, +Sprach eines, was das andre sprach, +Dem andern immer stammelnd nach, +Ein Lebewohl, ein seufzend Ach. + +Er stieg nunmehr ins Schiff (wie oft sah er zurücke!), +Und Doris blieb am Ufer stehn, +Um ihrem Damon, ihrem Glücke, +Noch lange schmachtend nachzusehn. +"O Himmel!" hört ich sie noch an dem Ufer flehn, +"Bring meinen Mann gesund zurücke!" + +Das Schiff bringt ihn an seinen Ort. +Er schreibt mit jeder Post: "Bald, Doris, werd ich kommen." +Kaum hat er auch sein Gut noch in Besitz genommen: +So eilt er schon zu Schiffe wieder fort, +Und schreibt, damit sie nichts von seiner Ankunft wüßte, +Daß, wider sein gegebnes Wort, +Er noch acht Tage warten müßte, +Eh er sie wiedersah und küßte. + +Die junge Frau, die, wenn die Sonn entwich, +Aus ihrem von der See nicht fernen Hause schlich, +Und gern am Ufer sich verweilte +Ging itzund an der Freundin Hand, +Mit der sie stets ihr Herze teilte, +An den ihr angenehmen Strand. + +Sie redten. Und wovon? Errätst du dies noch nicht, +Wovon ein treues Weib, die schmachtend wartet, spricht: +So bist du auch nicht wert, den Inhalt zu erfahren. +Nein, nein, verschweig es, mein Gedicht, +Wie zärtlich Doris' Wünsche waren! +Das Herz wird dem, der liebt, sie selber offenbaren, +Und für die andern schreib ich nicht. + +Indem daß Doris noch mit manchem frohen Ach +Von ihres Gatten Ankunft redte, +Und von dem Gastgebote sprach, +Das sie sich ausgesonnen hätte; +Indem sie noch von ihrer Erbschaft redte, +Und, wenn sie den Entwurf von ihrem Glück gemacht, +Sich oft in dem Entwurfe störte, +Und den, der sie im Testament bedacht, +Mit dankerfüllten Tränen ehrte; +Indem sie zum voraus die Armen speisen ließ, +Und mütterlich den Waisen sich erwies, +Der Kranken Herz mit Stärkungen erquickte, +Und den Gefangnen Hülfe schickte; +Indem sie dies im Geist von ihrer Erbschaft tat +Und, in ihr Glück vertieft, ans Ufer näher trat, +Fing ihre Freundin an: "Was schwimmt dort auf dem Meere? +Ein Kästchen? Wie? wenns voll Juwelen wäre? +Ach Doris! wäre das nicht schön? +Allein ich sag es dir, ich habs zuerst gesehn, +Und kömmt es an den Strand geschwommen: +So ist das Glück des Schiffbruchs mein; +Doch du wirst ja bald niederkommen, +Und das versteht sich schon, ich muß Gevatter sein, +Dann bind ich dir drei Schnuren Perlen ein." + +Die junge Frau belohnte Scherz mit Scherze. +"Es nähert sich", fing jene wieder an; +Doch wie erschraken sie, als sie zu ihrem Schmerze +Fern einen Leichnam schwimmen sahn. +"Wer weiß", sprach Doris, welcher schon +Die Tränen in den Augen stunden, +"Wer weiß, ist der, der hier sein Grab gefunden, +Nicht grauer Eltern einzger Sohn? +Wer weiß, mit welcher trunknen Freude +Itzt die verlebten Alten beide, +Ihn zu empfangen, fertig stehn? +Und sich im Geist erfreun, die Braut ihm anzubieten, +Die sie für ihn erwählt, und treulich für ihn hüten. +Gott geb es nicht, daß sie den Anblick sehn. +Wer weiß, ward nicht durch seinen Tod +Der treusten Frau ein lieber Mann entrissen, +Die bald ihr eignes Weh, bald ihrer Kinder Not +In Armut wird beweinen müssen? +Wer weiß, wievielmal er betränt, +Eh er noch starb, das arme Weib erwähnt? +Doch, Freundin, komm von der betrübten Stelle, +Damit mein Herz nicht länger zittern darf." + +Dies sagte sie sind ging, als eben eine Welle +Den Toten an das Ufer warf. +Die Freundin sah ihn an, und schrie mit Ungestüm: +"Mein Vetter!" und fiel neben ihm. + +Auf dies Geschrei kam Doris wieder, +Der lieben Freundin beizustehn. +Ach, Doris, ach! was wirst du sehn? +Sie sieht, und fällt auf ihren Gatten nieder, +Und stirbt an seiner starren Brust. +Indes erwacht die Freundin wieder, +Und zeigt der Nachbarschaft den doppelten Verlust. +Hier bebte der, den man nie zittern sehn, +Und dem, der nie geweint, floß Wehmut vom Gesichte, +Und niemand fragte, was geschehn. +Der Anblick selbst erzählte die Geschichte. + +---- + +Beweint, ihr mitleidsvollen Seelen, +Die traurigste Begebenheit +Elend gewordner Zärtlichkeit, +Und schmeckt das Glück, um andre sich zu quälen. +Laßt uns die Unschuld oft im größten Unglück sehn, +Und leidet mit bei fremden Schmerzen; +Dies Mitleid heiligt unsre Herzen, +Und heißt die Menschenlieb in uns ihr Haupt erhöhn. +Die Tugend bleibt uns noch im Unglück selber schön. + + + + +Das Pferd und der Esel + +Ein Pferd, dem Geist und Mut recht aus den Augen sahn, +Ging, stolz auf sich und seinen Mann, +Und stieß (wie leicht ist nicht ein falscher Schritt getan!) +Vor großem Feuer einmal an. +Ein träger Esel sahs und lachte. +"Wer", sprach er, "würd es mir verzeihn, +Wenn ich dergleichen Fehler machte? +Ich geh den ganzen Tag, und stoß an keinen Stein." +"Schweig", rief das Pferd, "du bist zu meinem Unbedachte, +Zu meinen Fehlern viel zu klein." + + + + +Das Pferd und die Bremse + +Ein Gaul, der Schmuck von weißen Pferden, +Von Schenkeln leicht, schön von Gestalt, +Und, wie ein Mensch, stolz in Gebärden, +Trug seinen Herrn durch einen Wald; +Als mitten in dem stolzen Gange +Ihm eine Brems entgegenzog, +Und durstig auf die nasse Stange +An seinem blanken Zaume flog. +Sie leckte von dem weißen Schaume, +Der heficht am Gebisse floß. +"Geschmeiße!" sprach das wilde Roß, +"Du scheust dich nicht vor meinem Zaume? +Wo bleibt die Ehrfurcht gegen mich? +Wie? Darfst du wohl ein Pferd erbittern? +Ich schüttle nur: so mußt du zittern." +Es schüttelte; die Bremse wich. +Allein sie suchte sich zu rächen; +Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen, +Und stach den Schimmel in das Maul. +Das Pferd erschrak, und blieb vor Schrecken +In Wurzeln mit dem Eisen stecken. +Und brach ein Bein; hier lag der stolze Gaul. + +---- + +Auf sich den Haß der Niedern laden, +Dies stürzet oft den größten Mann. +Wer dir, als Freund, nicht nützen kann, +Kann allemal, als Feind, dir schaden. + + + + +Das Schicksal + +O Mensch! Was strebst du doch, den Ratschluß zu ergründen, +Nach welchem Gott die Welt regiert? +Mit endlicher Vernunft willst du die Absicht finden, +Die der Unendliche bei seiner Schickung führt? +Du siehst bei Dingen, die geschehen, +Nie das Vergangne recht, und auch die Folge nicht, +Und hoffest doch, den Grund zu sehen, +Warum das, was geschah, geschieht? +Die Vorsicht ist gerecht in allen ihren Schlüssen. +Dies siehst du freilich nicht bei allen Fällen ein; +Doch wolltest du den Grund von jeder Schickung wissen: +So müßtest du, was Gott ist, sein. +Begnüge dich, die Absicht zu verehren, +Die du zu sehn zu blöd am Geiste bist; +Und laß dich hier ein jüdisch Beispiel lehren, +Daß das, was Gott verhängt, aus weisen Gründen fließt, +Und, wenn dirs grausam scheint, gerechtes Schicksal ist. + +---- + +Als Moses einst vor Gott auf einem Berge trat, +Und ihn von jenem ewgen Rat, +Der unser Schicksal lenkt, um größre Kenntnis bat: +So ward ihm ein Befehl, er sollte von den Höhen, +Worauf er stund, hinab ins Ebne sehen. +Hier floß ein klarer Quell. Ein reisender Soldat +Stieg bei dem Quell von seinem Pferde, +Und trank. Kaum war der Reuter fort. +So lief ein Knabe von der Herde +Nach einem Trunk an diesen Ort. +Er fand den Geldsack bei der Quelle, +Der jenem hier entfiel, er nahm ihn, und entwich; +Worauf nach eben dieser Stelle +Ein Greis gebückt an seinem Stabe schlich. +Er trank, und setzte sich, um auszuruhen, nieder; +Sein schweres Haupt sank zitternd in das Gras, +Bis es im Schlaf des Alters Last vergaß. +Indessen kam der Reuter wieder, +Bedrohte diesen Greis mit wildem Ungestüm, +Und forderte sein Geld von ihm. +Der Alte schwört, er habe nichts gefunden, +Der Alte fleht und weint, der Reuter flucht und droht, +Und sticht zuletzt, mit vielen Wunden, +Den armen Alten wütend tot. +Als Moses dieses sah, fiel er betrübt zur Erden; +Doch eine Stimme rief: "Hier kannst du innewerden, +Wie in der Welt sich alles billig fügt. +Denn wiß: Es hat der Greis, der itzt im Blute liegt, +Des Knabens Vater einst erschlagen, +Der den verlornen Raub zuvor davongetragen." + + + + + +Das Testament + +Philemon, der bei großen Schätzen +Ein edelmütig Herz besaß, +Und, andrer Mängel zu ersetzen, +Den eignen Vorteil gern vergaß: +Philemon konnte doch dem Neide nicht entgehen, +So willig er auch war, den Neidern beizustehen. +Zween Nachbarn haßten ihn, zween Nachbarn ruhten nie, +Aufs schimpflichste von ihm zu sprechen. +Warum? Er war beglückt, und glücklicher, als sie. +Ist dies nicht schon ein groß Verbrechen? +Die Freunde rieten ihm, sich für den Schimpf zu rächen. +"Nein", sprach er, "laßt sie neidisch schmähn, +Sie werden schon nach meinem Tode sehn, +Wieviel sie recht gehabt, ein Glück mir nicht zu gönnen, +Das wenig Menschen nützen können." +Er stirbt. Man findt sein Testament, +Und liest: "Ich will, daß einst, nach meinem Sterben, +Mein hinterlaßnes Gut die beiden Nachbarn erben, +Weil sie dies Gut mir nicht gegönnt." +So mancher Freund verwünscht dies Testament. +"Wie? Konnt ich ihn nicht auch beneiden? +Mir gibt er nichts, und alles diesen beiden?" +Die beiden Nachbarn sehn vergnügt +Den Sinn des Testaments vollführen. +Denn damals wußte man nicht recht zu prozessieren, +Sonst hätten beide nichts gekriegt. +So aber kriegten sie das völlige Vermögen. +Wie rühmten sie den Selgen nicht! +Er war die Großmut selbst, er war der Zeiten Licht, +Und alles dies des Testamentes wegen, +Denn eh er starb, war ers noch nicht. +Sind unsre Nachbarn nun beglückt? +Vielleicht. Wir wollen Achtung geben. +Der eine Nachbar weiht entzückt +Dem reichen Kasten Ruh und Leben. +Er hütet ihn mit karger Hand, +Und wacht, wenn andre schnarchend liegen, +Und wünscht mit Tränen sich Verstand, +Die schlauen Diebe zu betrügen; +Springt oft, durch böse Träum erschreckt, +Als ob man ihn bestohlen hätte, +Mit schnellen Füßen aus dem Bette, +Und sucht den Ort, wo er den Schatz versteckt. +Er martert sich mit tausend Sorgen, +Sein vieles Geld vermehrt zu sehn, +Und nimmt aus Geiz sich vor, die Hälfte zu verborgen, +Und läßt den, den er rief, doch leer zurücke gehn. +Arm hatt er sich noch satt gegessen; +Reich hungert er, bei halbem Essen, +Und schnitt das Brot, das er den Seinen gab, +Mit Klagen über Gott, und über Teurung, ab, +Und ward, mit jedem neuen Tage, +Der Seinen Last und seine Plage. +Der andre Nachbar lachte sein. +"Der Torheit", sprach er, "will ich wehren; +Was ich geerbt, will ich verzehren, +Und mich des Segens recht erfreun." +Er hielt sein Wort und sah, in wenig Jahren, +Sein vieles Geld in fremder Hand; +Durch Gassen, wo er sonst stolz auf und ab gefahren, +Schlich itzt sein Fuß ganz unbekannt. +"Ach!" sprach er zu dem andern Erben, +"Philemon hat es wohl gedacht, +Daß uns der Reichtum wird verderben, +Drum hat er uns sein Gut vermacht. +Du hungerst karg, ich hab es durchgebracht. +Wir waren wert, den Reichtum zu besitzen, +Denn keiner wußt ihn recht zu nützen." + + + + + +Das Unglück der Weiber + +In eine Stadt, mich deucht, sie lag in Griechenland, +Drang einst der Feind, von Wut entbrannt, +Und wollte, weil die Stadt mit Sturm erobert worden, +Die Bürger, in der Raserei, +Bis auf den letzten Mann ermorden. +O Himmel! welch ein Angstgeschrei +Erregten nicht der Weiber blasse Scharen. +Man stelle sich nur vor, wenn tausend Weiber schrein, +Was muß das für ein Lärmen sein! +Ich zittre schon, wenn zwei nur schrein. +Sie liefen mit zerstreuten Haaren, +Mit Augen, die von Tränen rot, +Mit Händen, die zerrungen waren, +Und warfen schon, vor Angst halbtot, +Sich vor den Feldherrn der Barbaren, +Und flehten in gemeiner Not +Ihn insgesamt um ihrer Männer Leben. +So hats von Tausenden nicht eine Frau gegeben, +Die sich gewünscht, des Mannes los zu sein? +Von Tausenden nicht eine? Nein. +Nun, das ist viel; da muß, bei meinem Leben! +Noch gute Zeit gewesen sein. + +So hart, als auch der Feldherr war: +So konnt er doch dem zauberischen Flehen +Der Weiber nicht ganz widerstehen. +Denn welchen Mann, er sei auch zehnmal ein Barbar, +Weiß nicht ein Weib durch Tränen zu bewegen? +Mein ganzes Herz fängt sich hier an zu regen. +Ich hätte nicht der General sein mögen, +Vor dem der Weiber Schar so kläglich sich vereint; +Ich hätte wie ein Kind geweint, +Und ohne Geld den Männern gleich das Leben, +Und jeder Frau zu ihrer Ruh +Den Mann, und einen noch dazu, +Wenn sies von mir verlangt, gegeben. + +Allein so gar gelind war dieser Feldherr nicht. +"Ihr Schönen!" fängt er an und spricht. +Ihr Schönen? Dieses glaub ich nicht. +Ein harter General wird nicht so liebreich sprechen. +Was willst du dir den Kopf zerbrechen? +Genug! Er hats gesagt. Ein alter General +Hat, dächt ich, doch wohl wissen können, +Daß man die Weiber allemal, +Sie sein es oder nicht, kann "meine Schönen" nennen. + +"Ihr Schönen", sprach der General, +"Ich schenk euch eurer Männer Leben; +Doch jede muß für den Gemahl +Mir gleich ihr ganz Geschmeide geben. +Und die ein Stück zurückbehält, +Verliert den Mann vor diesem Zelt." + +Wie? Fingen nicht die Weiber an zu beben? +Ihr ganz Geschmeide hinzugeben? +Den ganzen Schmuck für einen Mann? +Gewiß, der General war dennoch ein Tyrann. +Was halfs, daß er "Ihr Schönen!" sagte, +Da er die Schönen doch so plagte? +Doch weit gefehlt, daß auch nur eine zagte: +So holten sie vielmehr mit Freuden ihren Schmuck. +Dem General war dies noch nicht genug. +Er ließ nicht eh nach ihren Männern schicken, +Als bis sie einen Eid getan +(Der General war selbst ein Ehemann), +Bis, sag ich, sie den Eid getan, +Den Männern nie die Wohltat vorzurücken, +Noch einen neuen Schmuck den Männern abzudrücken. +Drauf kriegte jede Frau den Mann. + +O welche Wollust! Welch Entzücken! +Vergebens wünsch ichs auszudrücken, +Mit welcher Brünstigkeit die Frau den Mann umfing! +Mit was für sehnsuchtsvollen Blicken +Ihr Aug an seinem Auge hing! + +Der Feind verließ die Stadt. Die Weiber blieben stehen, +Um ihren Feinden nachzusehen; +Alsdann flog jede froh mit ihrem Mann ins Haus. +Ist die Geschichte denn nun aus? +Noch nicht, mein Freund. Nach wenig Tagen +Entfiel den Weibern aller Mut. +Sie grämten sich, und durftens doch nicht sagen. +Wer wirds, den Eid zu brechen, wagen? +Genug, der Kummer trat ins Blut. +Sie legten sich; drauf starben in zehn Tagen, +Des Lebens müd und satt, neunhundert an der Zahl. +Der alte böse General! + + + + + +Das Vermächtnis + +Oront, der in der Welt das große Glück erlebt, +Das Fürsten oft den Hirten lassen müssen, +Das Glück, von einem Freund sich treu geliebt zu wissen; +Oront, der sich dies Glück, so arm er war, erstrebt, +Ward krank. Sein kluger Arzt sah aus verschiednen Fällen, +Daß keine Rettung möglich war, +Eröffnete dem Kranken die Gefahr, +Und hieß ihn bald sein Haus bestellen. +Oront, der sich nunmehr dem Irdischen entziehn, +Und frei im Geist den Tod erwarten wollte, +Bat, daß man seinen Freund ihm eiligst rufen sollte. +Sein Freund, sein Pylades, erschien. +"Ach!" sprach Oront, nach zärtlichem Umfassen, +"Ich sterb, und was mir Gott verliehn, +Will ich, mein Freund, dir hinterlassen: +Dir laß ich meinen Sohn, ihn redlich zu erziehn, +Und meine Frau, sie zu ernähren: +Denn du verdienst, daß sie dir angehören." + + + + + +Der Affe + +Ein Affe sah ein Paar geschickte Knaben +Im Brett einmal die Dame ziehn, +Und sah auf jeden Platz, den sie dem Steine gaben, +Mit einer Achtsamkeit, die stolz zu sagen schien, +Als könnt er selbst die Dame ziehn. +Er legte bald sein Mißvergnügen, +Bald seinen Beifall an den Tag; +Er schüttelte den Kopf itzt bei des einen Zügen, +Und billigte darauf des andern seinen Schlag. +Der eine, der gern siegen wollte, +Sann einmal lange nach, um recht geschickt zu ziehn; +Der Affe stieß darauf an ihn +Und nickte, daß er machen sollte. +"Doch welchen Stein soll ich denn ziehn, +Wenn dus so gut verstehst?" sprach der erzürnte Knabe. +"Den, jenen oder diesen da, +Auf welchem ich den Finger habe?" +Der Affe lächelte, daß er sich fragen sah, +Und sprach zu jedem Stein mit einem Nicken: Ja. + +---- + +Um deren Weisheit zu ergründen, +Die tun, als ob sie das, was du verstehst, verstanden: +So frage sie um Rat. Sind sie mit ihrem Ja +Bei deinen Fragen hurtig da: +So kannst du mathematisch schließen, +Daß sie nicht das geringste wissen. + + + + +Der arme Greis + +Um das Rhinozeros zu sehn +(Erzählte mir mein Freund), beschloß ich auszugehn. +Ich ging vors Tor mit meinem halben Gulden, +Und vor mir ging ein reicher, reicher Mann, +Der, seiner Miene nach, die eingelaufnen Schulden, +Nebst dem, was er damit die Messe durch gewann, +Und was er, wenns ihm glücken sollte, +Durch den Gewinst nun noch gewinnen wollte, +In schweren Ziffern übersann. +Herr Orgon ging vor mir. Ich geb ihm diesen Namen, +Weil ich den seinen noch nicht weiß. +Er ging; doch eh wir noch zu unserm Tiere kamen: +Begegnet uns ein alter schwacher Greis, +Für den, auch wenn er uns um nichts gebeten hätte, +Sein zitternd Haupt, das nur halb seine war, +Sein ehrlich fromm Gesicht, sein heilig graues Haar +Mit mehr als Rednerkünsten redte. +"Ach", sprach er, "ach, erbarmt Euch mein! +Ich habe nichts, um meinen Durst zu stillen. +Ich will Euch künftig gern nicht mehr beschwerlich sein; +Denn Gott wird wohl bald meinen Wunsch erfüllen, +Und mich durch meinen Tod erfreun. +O lieber Gott! laß ihn nicht ferne sein." +So sprach der Greis; allein was sprach der Reiche? +"Ihr seid ein so bejahrter Mann, +Ihr seid schon eine halbe Leiche, +Und sprecht mich noch um Geld zum Trinken an? +Ihr unverschämter alter Mann! +Müßt Ihr denn noch erst Branntwein trinken, +Um taumelnd in das Grab zu sinken? +Wer in der Jugend spart, der darbt im Alter nicht."-- +Drauf ging der Geizhals fort. Ein Strom schamhafter Zähren +Floß von des Alten Angesicht. +"O Gott! du weißts." Mehr sprach er nicht. +Ich konnte mich der Wehmut kaum erwehren, +Weil ich etwas mitleidig bin. +Ich gab ihm in der Angst den halben Gulden hin, +Für welchen ich die Neugier stillen wollte, +Und ging, damit er mich nicht weinen sehen sollte. +Allein er rufte mich zurück. +"Ach!" sprach er mit noch nassem Blick, +"Ihr werdet Euch vergriffen haben, +Es ist ein gar zu großes Stück. +Ich bring Euch nicht darum, gebt mir so viel zurück, +Als ich bedarf, um mich durch etwas Bier zu laben!" +"Ihr", sprach ich, "sollt es alles haben, +Ich seh, daß Ihrs verdient; trinkt etwas Wein dafür. +Doch, armer Greis, wo wohnet Ihr?" +Er sagte mir das Haus.--Ich ging am andern Tage +Nach diesem Greis, der mir so redlich schien, +Und tat im Gehn schon manche Frag an ihn. +Allein, indem ich nach ihm frage, +War er seit einer Stunde tot. +Die Mien auf seinem Sterbebette +War noch die redliche, mit der er gestern redte. +Ein Psalmbuch und ein wenig Brot +Lag neben ihm auf seinem harten Bette. +O, wenn der Geizhals doch den Greis gesehen hätte, +Mit dem er so unchristlich redte! +Und der vielleicht ihn itzt bei Gott verklagt, +Daß er vor seinem Tod ihm einen Trunk versagt. + +So sprach mein Freund und bat, die Müh auf mich zu nehmen, +Und öffentlich den Geizhals zu beschämen. +Wiewohl ein Mann, der sich zu keiner Pflicht +Als für das Geld versteht, der schämt sich ewig nicht. + + + + + +Der arme Schiffer + +Ein armer Schiffer stak in Schulden, +Und klagte dem Philet sein Leid. +"Herr", sprach er, "leiht mir hundert Gulden; +Allein zu Eurer Sicherheit +Hab ich kein ander Pfand als meine Redlichkeit. +Indessen leiht mir aus Erbarmen +Die hundert Gulden auf ein Jahr." +Philet, ein Retter in Gefahr, +Ein Vater vieler hundert Armen, +Zählt ihm das Geld mit Freuden dar. +"Hier", spricht er, "nimm es hin und brauch es ohne Sorgen; +Ich freue mich, daß ich dir dienen kann; +Du bist ein ordentlicher Mann, +Dem muß man ohne Handschrift borgen." + +Ein Jahr, und noch ein Jahr verstreicht; +Kein Schiffer läßt sich wieder sehen. +Wie? Sollt er auch Phileten hintergehen; +Und ein Betrüger sein? Vielleicht. + +Doch nein! Hier kömmt der Schiffer gleich. +"Herr!" fängt er an, "erfreuet Euch, +Ich bin aus allen meinen Schulden; +Und seht, hier sind zweihundert Gulden, +Die ich durch Euer Geld gewann. +Ich bitt Euch herzlich, nehmt sie an; +Ihr seid ein gar zu wackrer Mann." + +"O", spricht Philet, "ich kann mich nicht besinnen, +Daß ich dir jemals Geld geliehn. +Hier ist mein Rechnungsbuch, ich wills zu Rate ziehn; +Allein ich weiß es schon, du stehest nicht darinnen." + +Der Schiffer sieht ihn an, und schweigt betroffen still, +Und kränkt sich, daß Philet das Geld nicht nehmen will. +Er läuft, und kömmt mit voller Hand zurücke. +"Hier", spricht er, "ist der Rest von meinem ganzen Glücke, +Noch hundert Gulden! Nehmt sie hin, +Und laßt mir nur das Lob, daß ich erkenntlich bin. +Ich bin vergnügt, ich habe keine Schulden; +Dies Glücke dank ich Euch allein; +Und wollt Ihr ja recht gütig sein. +So leiht mir wieder funfzig Gulden." + +"Hier", spricht Philet, "hier ist dein Geld, +Behalte deinen ganzen Segen: +Ein Mann, der Treu und Glauben hält, +Verdient ihn seiner Treue wegen. +Sei du mein Freund. Das Geld ist dein; +Es sind nicht mehr als hundert Gulden mein, +Die sollen deinen Kindern sein." + +---- + +Mensch! mache dich verdient um andrer Wohlergehen; +Denn was ist göttlicher, als wenn du liebreich bist! +Und mit Vergnügen eilst, dem Nächsten beizustehen, +Der, wenn er Großmut sieht, großmütig dankbar ist! + + + + +Der Arme und der Reiche + +Aret, ein tugendhafter Mann, +Dem nichts, als Geld und Güter fehlten, +Rief, als ihn einst die Schulden quälten, +Das Glück um seinen Beistand an. +Das Glück, das seine liebsten Gaben +Sonst immer für die Leute spart, +Die von den Gütern beßrer Art +Nicht gar zuviel bekommen haben, +Entschloß sich dennoch auf sein Flehn, +Dem wackern Manne beizustehn, +Und ließ ihn in verborgnen Gründen +Aus Geiz verscharrte Schätze finden. +Er sieht darauf in kurzer Zeit +Von seinen Schuldnern sich befreit; +Doch ist ihm wohl die Not benommen, +Da, statt der Schuldner, Schmeichler kommen? +Sooft er trinkt, sooft er ißt, +Kömmt einer, der ihn durstig küßt, +Nach seinem Wohlsein ängstlich fraget, +Und ihn mit Höflichkeit und List, +Mit Loben und Bewundern plaget, +Und doch durch alles nichts, als daß ihn hungert, saget. +"O Glücke!" rief Aret, "soll eins von beiden sein; +Kann alle Klugheit nicht von Schmeichlern mich befrein: +So will ich mich von Schuldnern lieber hassen, +Als mich von Schmeichlern lieben lassen. +Vor jenen kann man doch zuweilen sicher sein; +Doch diese Brut schleicht sich zu allen Zeiten ein." + + + + + +Der baronisierte Bürger + +Des kargen Vaters stolzer Sohn +Ward, nach des Vaters Tod, Herr einer Million, +Und für sein Geld in kurzer Zeit Baron. +Er nahm sich vor, ein großer Mann zu werden, +Und ahmte, wenn ihm gleich der innre Wert gebrach, +Doch die gebietrischen Gebärden +Der Großen zuversichtlich nach. +Bald wünscht er sich des Staatsmanns Ehre, +Vertraut mit Fürsten umzugehn; +Bald wünscht er sich das Glück, dereinst vor einem Heere +Mit Lorbeern des Eugens zu stehn. +Kurz, er blieb ungewiß, wo er mehr Ansehn hätte, +Ob in dem Feld, ob in dem Kabinette. +Indessen war er doch Baron; +Und sein Verdienst, die Million, +Ließ sich zu alles Volks Entzücken, +In Läufern und Heiducken blicken. +Er nahm die halbe Stadt in Sold, +Bedeckte sich und sein Gefolg mit Gold, +Und brüstete sich mehr in seiner Staatskarosse, +Als die daran gespannten Rosse. +Er war der Schmeichler Mäzenat. +Ein Geck, der ihm gebückt um seine Gnade bat, +Und alles, was sein Stolz begonnte, +Recht unverschämt bewundern konnte, +Der kam sogleich in jener Freunde Zahl, +In der man mit ihm aß, ihn lobt, und ihn bestahl, +Und, wenn man ihn betrog, zugleich in überredte, +Daß er des Argus Augen hätte. + +Was braucht es mehr als Stolz und Unverstand, +Um Millionen durchzubringen? +Unsichrer ist kein Schatz als in des Jünglings Hand, +Den Wollust, Pracht und Stolz zu ihren Diensten zwingen. +Der Herr Baron vergaß bei seinem großen Schatz +Den Staatsmann und den Held, ward sinnreich im Verschwenden, +Und sah in kurzer Zeit sein Gut in fremden Händen; +Starb arm und unberühmt. Kurz, er bewies den Satz, +Daß Eltern ihre Kinder hassen, +Wofern sie ihnen nichts als Reichtum hinterlassen. + + + + + +Der Bauer und sein Sohn + +Ein guter dummer Bauerknabe, +Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm, +Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe, +Recht dreist zu lügen, wiederkam, +Ging, kurz nach der vollbrachten Reise, +Mit seinem Vater über Land. +Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand, +Log auf die unverschämtste Weise. +Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt. +"Ja, Vater", rief der unverschämte Knabe, +"Ihr mögt mirs glauben oder nicht: +So sag ich Euchs, und jedem ins Gesicht, +Daß ich einst einen Hund bei--Haag gesehen habe, +Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt, +Der--ja, ich bin nicht ehrenwert, +Wenn er nicht größer war als Euer größtes Pferd." +"Das", sprach der Vater, "nimmt mich wunder; +Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn. +Wir, zum Exempel, gehn itzunder, +Und werden keine Stunde gehn: +So wirst du eine Brücke sehn +(Wir müssen selbst darüber gehn), +Die hat dir manchen schon betrogen +(Denn überhaupt solls dort nicht gar zu richtig sein); +Auf dieser Brücke liegt ein Stein, +An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen, +Und fällt, und bricht sogleich das Bein." + +Der Bub erschrak, sobald er dies vernommen. +"Ach", sprach er, "lauft doch nicht so sehr. +Doch wieder auf den Hund zu kommen, +Wie groß sagt ich, daß er gewesen wär? +Wie Euer großes Pferd? Dazu will viel gehören. +Der Hund, itzt fällt mirs ein, war erst ein halbes Jahr; +Allein das wollt ich wohl beschwören, +Daß er so groß, als mancher Ochse, war." + +Sie gingen noch ein gutes Stücke; +Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt es anders sein? +Denn niemand bricht doch gern ein Bein. +Er sah nunmehr die richterische Brücke, +Und fühlte schon den Beinbruch halb. +"Ja, Vater", fing er an, "der Hund, von dem ich redte, +War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte: +So war er doch viel größer als ein Kalb." + +Die Brücke kömmt. Fritz! Fritz! wie wird dirs gehen! +Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind. +"Ach Vater!", spricht er, "seid kein Kind, +Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen. +Denn kurz und gut, eh wir darüber gehen, +Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind." + +---- + +Du mußt es nicht gleich übelnehmen, +Wenn hie und da ein Geck zu lügen sich erkühnt. +Lüg auch, und mehr als er, und such ihn zu beschämen: +So machst du dich um ihn und um die Welt verdient. + + + + +Der beherzte Entschluß + +Ein guter ehrlicher Soldat, +Der (denn was tut man nicht, wenn man getrunken hat?) +Im Trunke seinen Wirt erschlagen, +Ward itzt hinausgeführt, für seine Missetat +Den Lohn durchs Schwert davonzutragen. +Er sah wohl aus, und wer ihn sah, +Bedauerte sein schmählich Ende, +Und wünschte, daß er noch beim König Gnade fände. +Besonders ging sein schweres Ende +Auch einer alten Jungfer nah. +Auf einmal fühlte sie die Triebe +Des Mitleids und der Menschenliebe, +Und fühlte sie nur mehr, je mehr sie auf ihn sah. +"Ach Himmel! ists nicht ewig schade? +Der schöne lange Mensch! Was für ein fein Gesicht, +Und was für Augen hat er nicht! +Seht doch den Bart! Ist das nicht eine Wade! +Die Straf ist in der Tat zu groß. +Wer kann sich denn im Trunke zähmen? +Ich bitt ihn frei; ich will ihn nehmen." +Sie lief, und schrie, und bat ihn los, +Indem Johann schon niederkniete. +"Johann", fing drauf der Richter an, +"Es findet sich ein redliches Gemüte, +Dies Weibsbild hier verlangst dich zum Mann, +Und wenn du sie verlangst: so schenk ich dir das Leben." + +---- + +Johann erschrak und sah die Jungfer an; +Sie trat hinzu, ihn aufzuheben. +"Ja", sprach er, "Euer Dienst ist groß; +Allein es wird mir nicht viel fehlen, +Ihr werdet mich dafür zeitlebens quälen. +Ich seh Euchs an; was will ich lange wählen? +Haut zu! So komm ich doch der Qual auf einmal los." + + + + +Der betrübte Witwer + +In Poitou (ich will mit Fleiß die Gegend nennen, +Damit sich die befragen können, +Die, wenn ein kleiner Umstand fehlt, +Schon zweifeln, ob man wahr erzählt), +In Poitou ließ einst ein Mann sein Weib begraben; +Allein man merk es wohl, man ist in Poitou; +Da geht es, wenn sie Leichen haben, +So prächtig wie bei uns nicht zu. +Man kleidet sie geschwind mit leinen Sterberöcken, +Und trägt den Sarg, ohn ihn erst zuzudecken, +An den für ihn bestimmten Ort. +So trug man auch den offnen Sarg itzt fort; +Doch was geschieht, indem sie ihn so tragen? +Der Leichenweg ging dicht an einer Hecke hin; +Hier ritzt ein Dorn die tote Frau ins Kinn. +Auf einmal fängt sie an, die Augen aufzuschlagen, +Und ruft: "Wohin wollt ihr mich tragen?" +Hier, deucht mich, hör ich viele fragen, +Wie kam die gute Frau zurück? +Hielt es der Mann auch für ein Glück, +Die Hälfte wiederzubekommen, +Die ihm der Tod zuvor genommen? +Wie mag ihm wohl gewesen sein? +Das letzte wird man gleich erfahren. +Nach weniger als sieben Jahren +Büßt sie das zweite Mal ihr junges Leben ein. +Der Mann gab ihr vom neuen das Geleite, +Und ging gesetzt an seiner Gattin Seite, +Wie alle harte Bauersleute. +Allein sobald er nur die Hecke wieder sah: +So wies er erst, wieviel sein Herz empfände. +Er rung mit Tränen beide Hände. +"Ach", rief er aus, "da war es, da! +Kommt ja der Hecke nicht zu nah!" + + + + + +Der Bettler + +Ein Bettler kam mit bloßem Degen +In eines reichen Mannes Haus, +Und bat sich, wie die Bettler pflegen, +Nur eine kleine Wohltat aus. +"Ich", sprach er, "kenn Ihr christlich Herze; +Sie sorgen gern für andrer Heil, +Und nehmen mit gerechtem Schmerze +An Ihres Nächsten Elend teil. +Ich weiß, mein Flehn wird Sie bewegen! +Sie sehn, ich fordre nichts mit Unbescheidenheit; +Nein, ich verlasse mich (hier wies er ihm den Degen) +Allein auf Ihre Gütigkeit." + +---- + +Dies ist die Art lobgieriger Skribenten, +Wenn sie um unsern Beifall flehn; +Sie geben uns mit vielen Komplimenten +Die harte Fordrung zu verstehn. +Der Autor will den Beifall nicht erpressen; +Nein, er verläßt sich bloß auf unsre Billigkeit; +Doch, daß wir diese nicht vergessen: +So zeigt er uns zu gleicher Zeit +In beiden Händen Krieg und Streit. + + + + +Der Blinde und der Lahme + +Von ungefähr muß einen Blinden, +Ein Lahmer auf der Straße finden, +Und jener hofft schon freudenvoll, +Daß ihn der andre leiten soll. +"Dir", spricht der Lahme, "beizustehen? +Ich armer Mann kann selbst nicht gehen; +Doch scheints, daß du zu einer Last +Noch sehr gesunde Schultern hast. + +Entschließe dich, mich fortzutragen: +So will ich dir die Stege sagen: +So wird dein starker Fuß mein Bein, +Mein helles Auge deines sein." + +Der Lahme hängt, mit seinen Krücken, +Sich auf des Blinden breiten Rücken. +Vereint wirkt also dieses Paar, +Was einzeln keinem möglich war. + +---- + +Du hast das nicht, was andre haben, +Und andern mangeln deine Gaben; +Aus dieser Unvollkommenheit +Entspringet die Geselligkeit. +Wenn jenem nicht die Gabe fehlte, +Die die Natur für mich erwählte: +So würd er nur für sich allein, +Und nicht für mich bekümmert sein. + +Beschwer die Götter nicht mit Klagen! +Der Vorteil, den sie dir versagen, +Und jenem schenken, wird gemein, +Wir dürfen nur gesellig sein. + + + + + +Der erhörte Liebhaber + +Der größte Fehler in der Liebe, +O Jüngling, ist die Furchtsamkeit. +Was helfen dir die süßen Triebe +Bei einer stummen Schüchternheit? +Du liebst, und willst es doch nicht wagen. +Es deiner Schönen zu gestehn; +Was deine Lippen ihr nicht sagen, +Soll sie in deinen Augen sehn. +Im stillen trägst du deinem Kinde +Das Herz mit Ehrerbietung an, +Und wünschest, daß sie das empfinde, +Was doch dein Mund nicht sagen kann. +Du hörst nicht auf, sie hochzuachten, +Und ehrst sie durch Bescheidenheit; +Sie fühlt, und läßt dich dennoch schmachten. +Und wartet auf Beständigkeit. +Sie läßt dich in den Augen lesen, +Wieviel dir dieser Vorzug nützt; +Erst liebt sie dein bescheidnes Wesen, +Und endlich den, der es besitzt. +Ein Jahr verfliegt; o lacht des Blöden, +Was hat er denn für seine Müh? +Er darf mit ihr von Liebe reden, +Und wagt den ersten Kuß auf sie. +Ein Jahr! Und noch kein größres Glücke? +In Wahrheit! das ist lächerlich. +Warum rief er, beim ersten Blicke, +Nicht gleich! "Mein Kind, ich liebe dich!" +Da lob ich euch, ihr jungen Helden, +Ihr wißt von keiner langen Pein; +Ihr laßt euch bei der Schönen melden, +Ihr kommt, und seht, und nehmt sie ein. +Und euren Mut recht zu beseelen, +Den ihr bei eurer Liebe fühlt: +So will ich euch den Sieg erzählen, +Den einst Jesmin sehr schnell erhielt. + +---- + +Ein junger Mensch, der gütigst wollte, +Daß jedes schöne Kind die Ehre haben sollte, +Von ihm geliebt, von ihm geküßt zu sein; +Jesmin, sah Sylvien, das heißt, sie nahm ihn ein. +Er sah sie in dem Fenster liegen, +Ward schnell besiegt, und schwor, sie wieder zu besiegen. +Die halbe Nacht verstrich, daß mein Jesmin nicht schlief; +Er sann auf einen Liebesbrief, +Schlug die Romane nach, und trug die hellsten Flammen +In einen Brief aus zwanzigen zusammen. +Der Brief ward fortgeschickt, und für sein bares Geld +Ward auch der Brief getreu bestellt. +Allein die Antwort will nicht kommen. +Jesmin, vom Kummer eingenommen, +Ergreift das Briefpapier, und schreibet noch einmal. +Er klagt der Schönen seine Qual, +Er redt von strengen Liebeskerzen, +Von Augensonnen, heiß an Pein, +Von Tigermilch, von diamantnen Herzen, +Und von der Hoffnung Nordlichtschein, +Und schwört, weil Sylvia durch nichts erweicht geworden, +Sich, bei Gelegenheit, aus Liebe zu ermorden. +Getrost, Jesmin! versiegle deinen Brief. +So wie das Siegelwachs am Lichte niederlief: +So wird der Schönen Herz, eh Nacht und Tag verfließen, +Von deines Briefes Glut erweicht, zerschmelzen müssen. +Der Brief wird fortgeschickt, und richtig überbracht. +Jesmin tut manch Gebet an Venus' kleinen Knaben; +Doch folgt die Antwort nicht. Wer hätte das gedacht! +Das Mädchen muß ein Herz von Stahl und Eisen haben; +Doch welcher Baum fällt auf den ersten Hieb? +Ich zweifle nicht, die Schöne hat ihn lieb, +Und ihre Sprödigkeit ist ein verstelltes Wesen, +Um nur von ihm mehr Briefe noch zu lesen. +Wie könnte sie dem heißen Flehn +Und, da sie ihn unlängst geputzt gesehn, +Der reichen Weste widerstehn? + +Ich weiß noch einen Rat, und dieser Rat wird glücken. +Durch Verse kann man sehr entzücken, +In Versen, mein Jesmin, in Versen schreib an sie; +Siegst du durch Verse nicht, Jesmin! so siegst du nie. +Er folgt. O wünscht mit mir, daß ihm die Reime fließen! +Seht, welch ein feurig Lied Jesmin zur Welt gebar! +Was konnte man auch anders schließen. +Da seine Prosa schon so hoch und feurig war? + +Kaum hatte Sylvia das Heldenlied gelesen: +So kam auch schon ein Gegenbrief. +Man stellte sich vor, wie froh Jesmin gewesen, +Wie froh Jesmin der Magd entgegenlief! +Die schlaue Magd grüßt ihn galant. +Er steht und hält den Brief entzückt in seiner Hand, +Und brennet vor Begier, den Inhalt bald zu wissen, +Und kann vor Zärtlichkeit sich dennoch nicht entschließen, +Das kleine Siegel abzuziehn; +Er drückt den Brief an sich, er drückt und küsset ihn. +Die Magd kriegt ein Pistol, und schwört, ihm treu zu bleiben. +Allein was stund in diesem Schreiben, +Als es Jesmin froh auseinanderschlug? +Kein Wörtchen mehr als dies: "Mein Herr, Sie sind nicht klug!" + + + + + +Der Freier + +Ein Freier bat einst einen Freund, +Ihm doch ein Mädchen vorzuschlagen. +"Ich will dir zwei", versetzte jener, "sagen, +Dann wähle die, die sich für dich zu schicken scheint. +Die erste hat, nebst einem Rittersitze, +Ein recht bezauberndes Gesicht, +Liebt den Geschmack, spricht mit dem feinsten Witze, +Und schreibt die Sprachen, die sie spricht. +Sie spielt den Flügel schön, und kann vortrefflich singen +Und malet so geschickt, als es die Kunst begehrt. +Und in der Wirtschaft selbst gibt sie gemeinen Dingen +Durch ihre Sorgfalt einen Wert. +Allein bei aller Kunst und allen ihren Gaben +Hat sie kein gutes Herz. + +Die andre sieht nicht schön, +Wird wenig im Vermögen haben, +Und von den Künsten nichts, die jene kann, verstehn; +Doch bei Verstand und einem stillen Reize, +Der, ohne daß sies sieht, gefällt, +Besitzt sie, frei von Stolz und Geize, +Das beste Herze von der Welt. +Was tätst du wohl, wenn dich die erste haben wollte?" + +"Ach", fing der Freier an, "wenn dies geschehen sollte: +So spräch ich zu der ersten nein, +Um dadurch bald der andern wert zu sein." + + + + + +Der Freigeist + +Ihr, die ihr nach der Tugend strebet; +Ihr, die ihr dem gehorsam seid, +Was die Vernunft und was die Schrift gebeut, +Ein Freigeist lacht euch aus, daß ihr so sklavisch lebet. +Was sucht ihr? fragt er euch; nicht die Zufriedenheit? +Ists möglich, sich so zu betrügen? +Um euch vergnügt zu sehn, raubt ihr euch das Vergnügen? +Ihr sucht die Ruh, und findt sie in der Last, +Haßt, was ihr liebt, und liebet, war ihr haßt. +Habt ihr Vernunft? Ich zweifle fast. +Die Freiheit in der Tugend finden, +Das heißt, um frei zu sein, sich erst an Ketten binden. +Dringt durch des Aberglaubens Nacht, +Die euch zu finstern Köpfen macht; +Folgt der Natur, genießt, was sie euch schenket; +Sucht nichts, als was ihr wünscht; flieht nichts, als was euch kränket; +Denkt frei, und lebet, wie ihr denket, +Und gebt nicht auf die Toren acht. +Der Pöbel ist der größte Hauf auf Erden, +Von diesem reißt euch los. Er weiß nicht, was er glaubt, +Hält seinen Trieb für unerlaubt, +Und sieht nicht, daß er sich sein Glück aus Milzsucht raubt; +Sonst würd er nicht so abergläubisch werden. + +Drum faßt den kurzen Unterricht: +Was viele glauben, glaubet nicht. +Sie glauben es aus Trägheit, nichts zu prüfen; +Doch ein Vernünftiger dringt in der Wahrheit Tiefen. +Was ist die Schrift? Was lehret sie? +Ein traurig Leben, reich an Müh, +Und Rätsel, die wir aufzuschließen, +Erst der Vernunft entsagen müssen. +Was ist das mächtige Gewissen? +Ein Ding, das die Erziehung schafft, +Ein heilig Erbteil aller Blöden; +Doch die, die wissen, was sie reden, +Empfinden nichts von seiner Kraft. + +Folgt der Natur! Sie ruft; was kann sie anders wollen, +Als daß wir ihr gehorchen sollen? +Die Furcht erdachte Recht und Pflicht, +Und schuf den Himmel und die Hölle. +Setzt die Vernunft an ihre Stelle, +Was seht ihr da? Den Himmel und die Hölle? +O nein, ein weibisches Gedicht. +Laßt doch der Welt ihr kindisches Geschwätze. +Was jeden ruhig macht, ist jedes sein Gesetze. +Mehr glaubt und braucht ein Kluger nicht. + +Dies war der Witz, mit dem in seinem Leben +Ein Freigeist sein System erwies; +Die Tugend von dem Throne stieß, +Um nur sein Laster drauf zu heben. +Sein böses Herz war ihm Vernunft und Gott, +Und der am Kreuze starb, war oft des Frechen Spott. + +Sein Ende kam. Und der, der nie gezittert, +Ward plötzlich durch den Tod erschüttert. +Das Schrecken einer Ewigkeit, +Ein Richter, der als Gott ihm fluchte, +Ein Abgrund, welcher ihn schon zu verschlingen suchte, +Zerstörte das System tollkühner Sicherheit. +Und der, der sonst mit seinen hohen Lehren +Der ganzen Welt zu widerstehn gewagt, +Fing an, der Magd geduldig zuzuhören, +Und ließ von seiner frommen Magd, +Zu der er tausendmal "du christlich Tier" gesagt, +Sich widerlegen und bekehren. + +So stark sind eines Freigeists Lehren! + + + + + +Der Fuchs und die Elster + +Zur Elster sprach der Fuchs: "O, wenn ich fragen mag, +Was sprichst du doch den ganzen Tag? +Du sprichst wohl von besondern Dingen?" +"Die Wahrheit", rief sie, "breit ich aus. +Was keines weiß herauszubringen, +Bring ich durch meinen Fleiß heraus, +Vorn Adler bis zur Fledermaus." +"Dürft ich", versetzt der Fuchs, "mit Bitten dich beschweren: +So wünscht ich mir, etwas von deiner Kunst zu hören." + +So wie ein weiser Arzt, der auf der Bühne steht, +Und seine Künste rühmt, bald vor, bald rückwärts geht, +Ein seidnes Schnupftuch nimmt, sich räuspert, und dann spricht: +So lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder, +Und strich an einem Zweig den Schnabel hin und wider, +Und macht ein sehr gelehrt Gesicht. +Drauf fängt sie ernsthaft an, und spricht: +"Ich diene gern mit meinen Gaben, +Denn ich behalte nichts für mich. +Nicht wahr, Sie denken doch, daß Sie vier Füße haben? +Allein, Herr Fuchs, Sie irren sich. +Nur zugehört! Sie werdens finden, +Denn ich beweis es gleich mit Gründen. + +Ihr Fuß bewegt sich, wenn er geht, +Und er bewegt sich nicht, solang er stillesteht; +Doch merken Sie, was ich itzt sagen werde, +Denn dieses ist es noch nicht ganz. +Sooft Ihr Fuß nur geht, so geht er auf der Erde. +Betrachten Sie nun Ihren Schwanz. +Sie sehen, wenn Ihr Fuß sich reget, +Daß auch Ihr Schwanz sich mit beweget; +Itzt ist Ihr Fuß bald hier, bald dort, +Und so geht auch Ihr Schwanz mit auf der Erde fort, +Sooft Sie nach den Hühnern reisen. +Daraus zieh ich nunmehr den Schluß: +Ihr Schwanz, das sei Ihr fünfter Fuß; +Und dies, Herr Fuchs, war zu beweisen." + +---- + +Ja, dieses hat uns noch gefehlt! +Wie freu ich mich, daß es bei Tieren +Auch große Geister gibt, die alles demonstrieren! +Mir hats der Fuchs für ganz gewiß erzählt. +"Je minder sie verstehn", sprach dieses schlaue Vieh, +"Um desto mehr beweisen sie." + + + + +Der glücklich gewordene Ehemann + +Frontin liebt Hannchen bis zum Sterben; +Denn Hannchen war ein schönes Kind. +Allein je reizender die losen Mädchen sind, +Um desto weniger kann man ihr Herz erwerben. +Frontin erfuhr es wohl. Drei Jahre liebt er sie; +Allein umsonst war alle Müh. +Was tat er endlich? Er verreiste, +Und ging (was kann wohl Ärgers sein?), +Ging, sag ich, mit dem bösen Geiste +Ein Bündnis an dem Blocksberg ein; +Ein Bündnis, daß er ihm zwei Jahre dienen wollte, +Wofern er Hannchen noch zur Frau bekommen sollte. +Sie werden hurtig eins, und schließen ihren Kauf; +Der böse Geist gibt ihm die Hand darauf. +Und ob er gleich die Welt sehr oft belogen, +Und Doktor Faustus selbst betrogen: +So hielt er doch sein Wort genau. +Frontin war Hannchens Mann, und sie ward seine Frau. +Doch eh vier Wochen sich verlieren: +So fängt Frontin schon an, den Schwarzen zu zitieren. +"Ach", spricht er, da der Geist erscheint, +"Ach, darf ich, lieber böser Feind, +Noch einer Bitte mich erkühnen? +Ich habe dir gelobt, für Hannchen, meine Frau, +Zwei Jahre, wie du weißt, zu dienen, +Und dies erfüllt ich auch genau; +Doch willst du mir mein Hannchen wieder nehmen: +So soll mein Dienst ein Jahr verlängert sein." +Der Böse will sich nicht bequemen, +Drauf geht Frontin die Frist noch zweimal ein; +Denn, sprach er bei sich selbst, so arg du immer bist: +So weiß ich doch, daß Hannchen ärger ist. + + + + + +Der glückliche Dichter + +Ein Dichter, der bei Hofe war-- +Bei Hofe? Was? Bei Hofe gar? +Wie kam er denn zu dieser Ehre? +Ich wüßte nicht, was ein Poet, +Ein Mensch, der nichts vom Recht und Staat versteht, +Was der bei Hofe nötig wäre? +Was ein Poet bei Hofe nötig ist? +Ja, Freund, du hast wohl recht zu fragen. +Mich ärgerts, daß August zween Dichter gern vertragen, +Die man doch itzt kaum in den Schulen liest. +Was ists denn nun mit zehn Racinen +Und Molièren? Nichts! Gar nichts! Der eine macht, +Daß man bei Hofe weint, der andre, daß man lacht. +Das heißt dem Staate trefflich dienen, +Dadurch wird ja kein Groschen eingebracht. +Doch auf die Sache selbst zu kommen. +Ein Dichter, den der Hof in seine Gunst genommen, +Schlief einst bei Tag im Louvre ein.-- +Wieso? War er berauscht? Das kann wohl möglich sein. +Man hat in Frankreich guten Wein. +Und Dichter sollen insgemein +Von Wahrheit, Liebe, Witz und Wein +Sehr gute Freund und Kenner sein. +Ich mag die Welt nicht Lügen strafen, +Drum sag ich weder ja noch nein. + +Gnug, der Poet war eingeschlafen, +Und war nicht schön, das man wohl merken muß; +Doch gab die Königin, den Schlaf ihm zu versüßen, +Ihm im Vorbeigehn einen Kuß. +"Was", rief ein Prinz, "den blassen Mund zu küssen?" +"Blaß", sprach die Königin, "blaß ist er, das ist wahr; +Doch sagt der Mann mit seinem blassen Munde +Mehr Schönes oft in einer Stunde +Als Sie, mein Prinz, durchs ganze Jahr." + + + + + +Der Greis + +Von einem Greise will ich singen, +Der neunzig Jahr die Welt gesehn. +Und wird mir itzt kein Lied gelingen: +So wird es ewig nicht geschehn. +Von einem Greise will ich dichten, +Und melden, was durch ihn geschah, +Und singen, was ich in Geschichten, +Von ihm, von diesem Greise, sah. + +Singt, Dichter, mit entbranntem Triebe, +Singt euch berühmt an Lieb und Wein! +Ich laß euch allen Wein und Liebe, +Der Greis nur soll mein Loblied sein. + +Singt von Beschützern ganzer Staaten, +Verewigt euch und ihre Müh! +Ich singe nicht von Heldentaten, +Der Greis sei meine Poesie. + +O Ruhm, dring in der Nachwelt Ohren, +Du Ruhm, den sich mein Greis erwarb! +Hört, Zeiten, hörts! Er ward geboren, +Er lebte, nahm ein Weib, und starb. + + + + + +Der grüne Esel + +Wie oft weiß nicht ein Narr durch töricht Unternehmen +Viel tausend Toren zu beschämen! +Neran, ein kluger Narr, färbt einen Esel grün, +Am Leibe grün, rot an den Beinen, +Fängt an, mit ihm die Gassen durchzuziehn; +Er zieht, und jung und alt erscheinen. +Welch Wunder! rief die ganze Stadt, +Ein Esel, zeisiggrün! der rote Füße hat! +Das muß die Chronik einst den Enkeln noch erzählen, +Was es zu unsrer Zeit für Wunderdinge gab! +Die Gassen wimmelten von Millionen Seelen; +Man hebt die Fenster aus, man deckt die Dächer ab; +Denn alles will den grünen Esel sehn, +Und alle konnten doch nicht mit dem Esel gehn. + +Man lief die beiden ersten Tage +Dem Esel mit Bewundrung nach. +Der Kranke selbst vergaß der Krankheit Plage, +Wenn man vom grünen Esel sprach. +Die Kinder in den Schlaf zu bringen, +Sang keine Wärterin mehr von dem schwarzen Schaf; +Vom grünen Esel hört man singen, +Und so gerät das Kind in Schlaf. + +Drei Tage waren kaum vergangen: +So war es um den Wert des armen Tiers geschehn. +Das Volk bezeigte kein Verlangen, +Den grünen Esel mehr zu sehn. +Und so bewundernswert er anfangs allen schien: +So dacht itzt doch kein Mensch mit einer Silb an ihn. + +---- + +Ein Ding mag noch so närrisch sein, +Es sei nur neu: so nimmts den Pöbel ein. +Er sieht, und er erstaunt. Kein Kluger darf ihm wehren. +Drauf kömmt die Zeit, und denkt an ihre Pflicht; +Denn sie versteht die Kunst, die Narren zu bekehren, +Sie mögen wollen oder nicht. + + + + +Der gute Rat + +Ein junger Mensch, der sich vermählen wollte, +Und dem man manchen Vorschlag tat, +Bat einen Greis um einen guten Rat, +Was für ein Weib er nehmen sollte? +"Freund", sprach der Greis, "das weiß ich nicht. +So gut man wählt, kann man sich doch betrügen. +Sucht Ihr ein Weib bloß zum Vergnügen: +So wählet Euch ein schön Gesicht; +Doch liegt Euch mehr an Renten und am Staate, +Als am verliebten Zeitvertreib: +So dien ich Euch mit einem andere Rate, +Bemüht Euch um ein reiches Weib; +Doch strebt Ihr durch die Frau nach einem hohen Range, +Nun so vergeßt, daß beßre Mädchen sind, +Wählt eines großen Mannes Kind, +Und untersucht die Wahl nicht lange; +Doch wollt Ihr mehr für Eure Seele wählen, +Als für die Sinnen und den Leib: +So wagts, um Euch nach Wunsche zu vermählen, +Und wählt Euch ein gelehrtes Weib." +Hier schwieg der Alte lachend still. + +"Ach", sprach der junge Mensch, "das will ich ja nicht wissen: +Ich frage, welches Weib ich werde wählen müssen, +Wenn ich zufrieden leben will? +Und wenn ich, ohne mich zu grämen--" + +"O", fiel der Greis ihm ein, "da müßt Ihr keine nehmen!" + + + + + +Der gütige Besuch + +Ein offner Kopf, ein muntrer Geist, +Kurz, einer von den feinen Leuten, +Die ihr Beruf zu Neuigkeiten +Nie denken, ewig reden heißt; +Die mit Gewalt es haben wollen, +Daß Kluge närrisch werden sollen; +Ein solcher Schwätzer trat herein, +Dem Dichter den Besuch zu geben. +"O", rief er, "welch ein traurig Leben! +Wie? Schlafen Sie denn nicht bei Ihren Büchern ein? +So sind Sie denn so ganz allein, +Und müssen gar vor Langerweile lesen? +Ich dacht es wohl, drum kam ich so geschwind." +"Ich bin", sprach der Poet, "noch nie allein gewesen, +Als seit der Zeit, da Sie zugegen sind." + + + + + +Der Hund + +Phylax, der so manche Nacht +Haus und Hof getreu bewacht, +Und oft ganzen Diebesbanden +Durch sein Bellen widerstanden; +Phylax, dem Lips Tullian, +Der doch gut zu stehlen wußte, +Selber zweimal weichen mußte; +Diesen fiel ein Fieber an. +Alle Nachbarn gaben Rat. +Krummholzöl und Mithridat +Mußte sich der Hund bequemen, +Wider Willen einzunehmen. +Selbst des Nachbar Gastwirts Müh, +Der vordem in fremden Landen, +Als ein Doktor, ausgestanden, +War vergebens bei dem Vieh. + +Kaum erscholl die schlimme Post, +Als von ihrer Mittagskost, +Alle Brüder und Bekannten, +Phylax zu besuchen, rannten. +Pantelon, sein bester Freund, +Leckt ihm an dem heißen Munde. +O, erseufzt er, bittre Stunde! +O! wer hätte das gemeint? + +"Ach!" rief Phylax, "Pantelon! +Ists nicht wahr, ich sterbe schon? +Hätt ich nur nichts eingenommen, +Wär ich wohl davongekommen. +Sterb ich Ärmster so geschwind: +O! so kannst du sicher schreien, +Daß die vielen Arzeneien +Meines Todes Quelle sind. + +Wie zufrieden schlief ich ein! +Sollt ich nur so manches Bein, +Das ich mir verscharren müssen, +Vor dem Tode noch genießen. +Dieses macht mich kummervoll, +Daß ich diesen Schatz vergessen, +Nicht vor meinem Ende fressen, +Auch nicht mit mir nehmen soll. + +Liebst du mich, und bist du treu: +O! so hole sie herbei; +Eines wirst du bei den Linden, +An dem Gartentore finden; +Eines, lieber Pantelon, +Hab ich nur noch gestern morgen +In dem Winterreis verborgen; +Aber friß mir nichts davon." + +Pantelon war fortgerannt, +Brachte treulich, was er fand; +Phylax roch, bei schwachem Mute, +Noch den Dunst von seinem Gute. +Endlich, da sein Auge bricht, +Spricht er: "Laß mir alles liegen! +Sterb ich, so sollst du es kriegen; +Aber, Bruder, eher nicht. + +Sollt ich nur so glücklich sein, +Und das schöne Schinkenbein, +Das ich--doch ich mags nicht sagen, +Wo ich dieses hingetragen. +Werd ich wiederum gesund: +Will ich dir, bei meinem Leben, +Auch die beste Hälfte geben; +Ja du sollst--" Hier starb der Hund. + +---- + +Der Geizhals bleibt im Tode karg; +Zween Blicke wirft er auf den Sarg, +Und tausend wirft er mit Entsetzen +Nach den mit Angst verwahrten Schätzen. +O schwere Last der Eitelkeit! +Um schlecht zu leben, schwer zu sterben, +Sucht man sich Güter zu erwerben; +Verdient ein solches Glück wohl Neid? + + + + +Der junge Drescher + +Dem Drescher, der im weichen Gras +Vor seinem Topf, mit Milch und schwarzem Brote, saß, +Dem wollte seine Milch nicht schmecken. +Er fing verdrießlich an, sich in das Gras zu strecken, +Dacht ängstlich seinem Schicksal nach, +Und dehnte sich dreimal, und sprach: +Du bist ein schlechter Kerl, du hast kein eignes Dach, +Und mußt dich Tag vor Tag mit deinem Flegel plagen. +Du tätst ja gern mit deinem Schatze schön; +Allein, du Narr, mußt in der Scheune stehn, +Und kannst nach langen vierzehn Tagen +Kaum einmal in die Schenke gehn, +Und einen Krug mit Bier und deine Mieke sehn. +Du bist noch jung, und kannst hübsch lesen und hübsch schreiben, +Und wolltest stets ein Drescher bleiben? +Des Schulzens Tochter ist dir gut, +Ist reich und kann sich hübsch gebärden: +So nimm sie doch. Du kannst, mein Blut! +Wohl mit der Zeit noch Schulze werden. +Alsdann ißt du dein Stücke Fleisch in Ruh, +Und trinkst dein gutes Bier dazu, +Und hast gleich nach dem Pfarr die Ehre-- +O wenn ich doch schon Schulze wäre! +Indem Hanns noch so sprach, kam seine Schöne her. +Sie tat, als käme sie nur so von ungefähr; +Allein sie kam mit Fleiß, weil sie ihn sprechen wollte, +Und er verwegen sein, und sie recht herzen sollte. +Denn Mädchen, wenn sie gleich das Dorf erzogen hat, +Sind wie die Mädchen in der Stadt. + +Hanns zieht die Schöne sanft zu sich ins Grüne nieder, +Lobt ihren neuen Latz, schielt öfters auf ihr Mieder, +Fast wie ein junger Herr. Nur mit dem Unterscheid, +Er hatte mehr Schamhaftigkeit. +Kurz, er fing an, sie recht verliebt zu küssen, +Bat um ihr Herz, und trug ihr Herz davon, +Und ward, wie viele noch auf diesem Dorfe wissen, +Des reichen Schulzen Schwiegersohn. +Kaum hatt er sie, so ward der Alte schon +Durch schnellen Tod der Welt und seinem Dorf entrissen. +Wen wird man nun Herr Schulze grüßen? +Wen anders, als den Schwiegersohn? + +Er eilt ins Amt, kömmt bald und freudig wieder, +Und wirft sich auf die Bank, als Schulz im Dorfe, nieder. + +So wie ein durch den Fleiß vollendeter Student, +Nach einem glücklichen Examen, +Sich selbst vor trunkner Lust nicht kennt, +Wenn ihn die Magd in seiner Schöne Namen, +Nach einem tiefen Kompliment, +Das erstemal Herr Doktor nennt: +So wußt auch Hanns vor großer Freude +Nicht, wo er Händ und Füße ließ, +Als ihn Schulmeisters Adelheide +Das erstemal Herr Schulze hieß. + +Wie glücklich pries er sich in seiner Ehrenstelle! +Er aß sein Fleisch, und tat den Gästen oft Bescheid. +Allein es kamen mit der Zeit +Auch viel unangenehme Fälle. +Denn welches Amt ist wohl davon befreit? +Nach einer nicht gar langen Zeit +Warf sich Herr Hanns verdrießlich auf die Stelle, +Auf der er sich sein Glück erfreit, +Und oft gewünscht: Wenn ich doch Schulze wäre! +Ich, fing er zu sich selber an, +Ich habe Haus, und Hof, und Ehre, +Und bin mit alledem doch ein geplagter Mann. +Bald soll ich von der Bauern Leben +Im Amte Red und Antwort geben, +Da fährt mich denn der Amtmann an, +Und heißt mich einen dummen Mann. +Bald quälen mich die teuflischen Soldaten, +Und fluchen mir die Ohren voll. +Bald weiß ich mir bei den Mandaten, +Bald in Quatembern nicht zu raten, +Die ich dem Landknecht schaffen soll. + +Die Bauern brummen, wenn ich strafe, +Und straf ich nicht: so lachen sie mich aus. +Sonst störte mich kein Mensch im Schlafe, +Itzt pocht mich jeder Narr heraus, +Und, wenn es niemand tut, so hunzt die Frau mich aus. +O wäre mirs nur keine Schande, +Ich griffe nach dem ersten Stande, +Und stürb als Drescher auf dem Lande. + +---- + +Wer weiß, ob mancher Große nicht +Im Herzen wie der Schulze spricht? +Wer weiß, wie viele sonst zu Fuße ruhig waren, +Die itzund mißvergnügt in stolzen Kutschen fahren? +Wer weiß, ob manches Herz nicht viel zufriedner schlug, +Eh es der Fürsten Gunst an einem Bande trug? +O lernt, ihr unzufriednen Kleinen, +Daß ihr die Ruh nicht durch den Stand gewinnt! +Lernt doch, daß die am mindsten glücklich sind, +Die euch am meisten glücklich scheinen! + + + + +Der junge Gelehrte + +Ein junger Mensch, der viel studierte, +Und, wie die Eltern ganz wohl sahn, +Was Großes schon im Schilde führte, +Sprach einen Greis um solche Schriften an, +Die stark und sinnreich denken lehrten, +Mit einem Wort, die zum Geschmack gehörten. +Der Alte ward von Herzen froh, +Und lobt ihm den Homer, den Plato, Cicero, +Und hundert mehr aus alt und neuer Zeit, +Die mit den heilgen Lorbeerkränzen +Der Dichtkunst und Wohlredenheit, +Umleuchtet von der Ewigkeit, +Den Jünglingen entgegenglänzen. +"O", hub der junge Mensch mit stolzem Lächeln an: +"Ich habe sie fast alle durchgelesen; +Allein"--"Nun gut", sprach der gelehrte Mann, +"Sind sie nach Seinem Sinn gewesen: +So muß Er sie noch zweimal lesen; +Doch sind sie Ihm nicht gut genug gewesen: +So sag Ers ja den Klugen nicht, +Denn sonst erraten sie, woran es Ihm gebricht, +Und heißen Ihn die Zeitung lesen." + + + + + +Der junge Prinz + +Ein junger Prinz, der sich des Oheims Gunst empfohlen, +Bekam von ihm zweihundert Stück Pistolen +Mit der Ermunterung, damit wohl umzugehn. +Er ließ nach einger Zeit sich wieder vor ihm sehn. +Indem daß nun der Oheim mit ihm redte: +So fragt er ihn zu gleicher Zeit, +Ob er das letzte Geld wohl angewendet hätte? +"Hier", sprach der junge Prinz erfreut, +"Hier hab ich meine ganze Kasse; +An den zweihunderten fehlt nicht ein einzig Stück." + +Der Oheim nahm den Augenblick +Das Geld, und warf es auf die Gasse. +"Lernt, Prinz", fing drauf der Oheim an, +"Die Kunst, das Geld nutzbarer anzuwenden; +Ein Prinz hat darum viel in Händen, +Damit er vielen dienen kann." + + + + + +Der Jüngling + +Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört, +In der der Segen wohnen sollte, +Entschloß sich, daß er da sich niederlassen wollte. +Dort, sprach er oft, sei dir dein Glück beschert. +Er nahm die Reise vor, und sah schon mit Vergnügen +Die liebe Stadt auf einem Berge liegen. +Gottlob! fing unser Jüngling an, +Daß ich die Stadt schon sehen kann; +Allein der Berg ist steil. O, wär er schon erstiegen! +Ein fruchtbar Tal stieß an des Berges Fuß. +Die größte Menge schöner Früchte +Fiel unserm Jüngling ins Gesichte. +O, dacht er, weil ich doch sehr lange steigen muß: +So will ich, meinen Durst zu stillen, +Den Reisesack mit solchen Früchten fällen. +Er aß, und fand die Frucht vortrefflich vom Geschmack, +Und füllte seinen Reisesack. + +Er stieg den Berg hinan, und fiel den Augenblick +Beladen in das Tal zurück. +"O Freund!" rief einer von den Höhen, +"Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen. +Der Berg ist steil, und mühsam jeder Schritt. +Und du nimmst dir noch eine Bürde mit? +Vergiß das Obst, das du zu dir genommen, +Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen. +Steig leer, und steig beherzt, und gib dir alle Müh; +Denn unser Glück verdienet sie." + +Er stieg, und sah empor, wie weit er steigen müßte. +Ach Himmel! ach, es war noch weit. +Er ruht und aß zu gleicher Zeit +Von seiner Frucht, damit er sich die Müh versüßte. +Er sah bald in das Tal, und bald den Berg hinan; +Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen an. +Er sinnt. Ja ja, er mag es überlegen. +Steig, sagt ihm sein Verstand, bemüh dich um dein Glück. +Nein, sprach sein Herz, kehr in das Tal zurück; +Du steigst sonst über dein Vermögen. +Ruh etwas aus, und iß dich satt, +Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte hat. +Dies tat er auch. Er pflegte sich im Tale, +Entschloß sich oft zu gehn, und schien sich stets zu matt. +Das erste Hindernis galt auch die andern Male. +Kurz, er vergaß sein Glück, und kam nie in die Stadt. + +---- + +Dem Jüngling gleichen viele Christen. +Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt, +Und sehn darauf nach ihren Lüsten, +Und nehmen ihre Lüste mit. +Beschwert mit diesen Hindernissen, +Weicht bald ihr träger Geist zurück. +Und, auf ein sinnlich Glück beflissen, +Vergessen sie die Müh um ein unendlich Glück. + + + + +Der Kandidat + +Ein Kandidat, der gern befördert werden wollte, +Lag einem sehr berühmten Mann, +Der viel vermocht, inständig an, +Daß er sein Glück ihm machen sollte, +Und reichte, weil ein Platz im Ratstuhl offen war, +Dem Gönner eine Bittschrift dar. +Der Gönner las sie durch, und las sie mit Vergnügen. +"Es kränkt mich", fing er an, und nahm ihn bei der Hand, +"Daß ich Sie eher nicht gekannt. +Ich lieb und ehre den Verstand. +Sie sollen dieses Amt vor allen andern kriegen." +Er sprach darauf mit ihm, und was der Jüngling sprach, +Verriet den besten Geist, geschaffen zum Studieren, +Zum größten Amte nicht zu schwach, +Und wert, die andern zu regieren. + +"Ach!" sprach der Gönner ganz erfreut, +"Nun kenn ich Sie; das Amt ist Ihre", +Und in der größten Freundlichkeit +Ging er mit ihm bis vor die Türe. +Hier bot der Jüngling ihm ein großes Goldstück an, +Um sichrer noch zu gehn. "Nein", sprach der wackre Mann, +"Nunmehr soll dieses Amt nicht Ihre; +Denn wer Geschenke gibt, nimmt sie auch wieder an; +Ihr Herz ist schlecht." Hier griff er nach der Türe. + + + + + +Der Knabe + +Ein Knabe, der den fleißigen Papa, +Oft nach den Sternen gucken sah, +Wollt auch den Himmel kennenlernen. +Er blieb steif vor dem Sehrohr stehn, +Und sah begierig nach den Sternen; +Allein er konnte nicht viel sehn. +"Was heißt es denn", sprach drauf der Knabe, +"Daß ich fast nichts erkennen kann? +Ha, ha, nun fällt mirs ein, was ich vergessen habe; +Mein Vater fängt es anders an, +Er blinzt zuweilen zu, das hab ich nicht getan. +O bin ich nicht ein dummer Knabe! +Schon gut! Nun weiß ich, was ich tu." +Und hurtig hielt er sich die Augen beide zu, +Und sah durchs Sehrohr nach den Sternen. +Der Narr! Was sah er denn? Das alles, was du siehst, +Wenn du, um durch die Schrift Gott deutlich sehn zu lernen, +Dir die Vernunft vorher entziehst. + + + + +Der Kranke + +Ein Mann, den lange schon die Gliederkrankheit plagte, +Tat alles, was man ihm nur sagte, +Und konnte doch von seiner Pein +Auf keine Weise sich befrein. +Ein altes Weib, der er sein Elend klagte, +Schlug ihm geheimnisvoll ein magisch Mittel vor. +"Ihr müßt Euch", zischt sie ihm ins Ohr, +"Auf eines Frommen Grab bei früher Sonne setzen, +Und Euch mit dem gefallnen Tau +Dreimal die Hand, dreimal den Schenkel netzen; +Es hilft, gedenkt an eine Frau." +Der Kranke tat, was ihm die Alte sagte; +Denn sagt, was tut man nicht, ein Übel los zu sein? +Er ging zum Kirchhof hin, und zwar, sobald es tagte, +Und trat an einen Leichenstein, +Und las: "Wer dieser Mann gewesen, +Läßt, Wandrer, dich sein Grabmal lesen: +Er war das Wunder seiner Zeit, +Das Muster wahrer Frömmigkeit; +Und, daß man viel mit wenig Worten sagt, +Er ists, den Kirch und Schul, und Stadt und Land beklagt." +Hier setzt sich der Geplagte nieder, +Benetzt die halb gelähmten Glieder; +Doch ohne Wirkung bleibt die Kur, +Sein Gliederschmerz vermehrt sich nur. +Er greift betrübt nach seinem Stabe, +Schleicht von des frommen Mannes Grabe, +Und setzt sich auf das nächste Grab, +Dem keine Schrift ein Denkmal gab; +Hier nahm sein Schmerz allmählich ab. +Er braucht sogleich sein Mittel wieder; +Schnell lebten die gelähmten Glieder, +Und, ohne Schmerz und ohne Stab, +Verließ er dieses fromme Grab. +"Ach", rief er, "läßt kein Stein mich lesen, +Wer dieser fromme Mann gewesen?" +Der Küster kam von ungefähr herbei; +Den fragt der Mann, wer hier begraben sei? +Der Küster läßt sich lange fragen, +Als könnt ers ohne Scheu nicht sagen. +"Ach!" hub er endlich seufzend an: +"Verzeih mirs Gott! es war ein Mann, +Dem, weil er Ketzereien glaubte, +Man kaum ein ehrlich Grab erlaubte; +Ein Mann, der lose Künste trieb, +Komödien und Verse schrieb; +Er war, wie ich mit Recht behaupte, +Ein Neuling und ein Bösewicht." +"Nein!" sprach der Mann, "das war er nicht, +So gottlos ihn die Leute schalten; +Doch jener dort, den ihr für fromm gehalten, +Von dem sein Grab so rühmlich spricht, +Der war gewiß ein Bösewicht." + + + + + +Der Kuckuck + +Der Kuckuck sprach mit einem Star, +Der aus der Stadt entflohen war. +"Was spricht man", fing er an zu schreien, +"Was spricht man in der Stadt von unsern Melodeien? +Was spricht man von der Nachtigall?" +"Die ganze Stadt lobt ihre Lieder." +"Und von der Lerche?" rief er wieder. +"Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall." +"Und von der Amsel?" fuhr er fort. +"Auch diese lobt man hier und dort." +"Ich muß dich doch noch etwas fragen: +Was", rief er, "spricht man denn von mir?" +"Das", sprach der Star, "das weiß ich nicht zu sagen; +Denn keine Seele redt von dir." +"So will ich", fuhr er fort, "mich an dem Undank rächen, +Und ewig von mir selber sprechen." + + + + +Der Lügner + +Ihr Meister in der Kunst zu lügen, +Rühmt euren Witz, schlau zu betrügen, +Soviel ihr uns davon erzählt: +So wett ich doch, daß euch die rechte List noch fehlt. +Ein schlechter Mensch, ihr werdet lachen, +Wird euch den Vorzug streitig machen. + +---- + +In London saß ein böser Bube +Nebst einem andern auf den Tod. +Ein Anatomikus trat in die Kerkerstube, +Und tat auf seinen Leib dem einen ein Gebot.* +Doch Niklas schwor, daß ihn der Teufel holen sollte, +Eh er für diesen Preis dem Arzt sich lassen wollte. +"Herr", schrie der andre Delinquent, +"Sagt, wie Ihr um den Kerl so lange handeln könnt? +Laßt seinen magern Leib den Raben. +Seht, wie gesund ich bin, wie fett! Ihr sollt mich haben. +Und wißt Ihr, was Ihr geben sollt? +Ich will es billig mit Euch machen: +Drei Gulden. Bin ich tot: so schneidet, wie Ihr wollt, +Ich will von keinem Schnitt erwachen." +Kaum hat er noch das Geld empfangen: +So rief der witzge Delinquent: +"Gelogen! Herr, seht zu, wie Ihr mich kriegen könnt! +Ich werd in Ketten aufgehangen." + + + + + +Der Maler + +Ein kluger Maler in Athen, +Der minder, weil man ihn bezahlte, +Als, weil er Ehre suchte, malte, +Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn, +Und bat sich seine Meinung aus. +Der Kenner sagt ihm frei heraus, +Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte, +Und daß es, um recht schön zu sein, +Weit minder Kunst verraten sollte. +Der Maler wandte vieles ein: +Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen, +Und konnt ihn doch nicht überwinden. +Gleich trat ein junger Geck herein, +Und nahm das Bild in Augenschein. +"O", rief er, bei dem ersten Blicke, +"Ihr Götter, welch ein Meisterstücke! +Ach welcher Fuß! O wie geschickt +Sind nicht die Nägel ausgedrückt! +Mars lebt durchaus in diesem Bilde. +Wie viele Kunst, wie viele Pracht, +Ist in dem Helm, und in dem Schilde, +Und in der Rüstung angebracht!" + +Der Maler ward beschämt gerühret, +Und sah den Kenner kläglich an. +"Nun", sprach er, "bin ich überführet! +Ihr habt mir nicht zuviel getan." +Der junge Geck war kaum hinaus: +So strich er seinen Kriegsgott aus. + +---- + +Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt; +So ist es schon ein böses Zeichen; +Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält: +So ist es Zeit, sie auszustreichen. + + + + +Der Polyhistor + +An jenem Fluß, zu dem wir alle müssen, +Es mag uns noch so sehr verdrüßen, +An jenem Fluß kam einst ein hochgelehrter Mann, +Bestäubt von seinen Büchern, an, +Und eilte zu des Charons Kahn. +"Willkommen!" fing der Fährmann an, +Indem er sich aufs Ruder lehnte, +Und bei dem Wort Willkommen herzlich gähnte, +"Wer seid Ihr denn, mein lieber Mann?" +"Ein Polyhistor", sprach der Schatten, +"Für den die Schulen Ehrfurcht hatten--" +Indem er noch vor Charons Kahn +Von seinen Sprachen sprach, von nichts als Stümpern redte, +Und von Quartanten schrie, die er geschrieben hätte, +Kam noch ein andrer Schatten an, +Mit einer demutsvollen Miene. +"Und wer seid Ihr, auch ein gelehrter Mann?" +"Ich zweifle sehr", sprach er, "ob ich den Ruhm verdiene. +Ich habe nichts als mich studiert. +Nichts als mein Herz, das mich so oft verführt, +Des Tiefe sucht ich zu ergründen, +Um meine Ruh und andrer Ruh zu finden; +Allein soviel ich immer nachgedacht, +Und so bekannt ich mich mit der Vernunft gemacht: +So hab ichs doch nicht weit gebracht, +Wie mich viel Fehler überzeugen." + +Der Polyhistor hörts und lacht, +Und eilt, um in den Kahn zuallererst zu steigen. +"Zurück!" rief Charon ziemlich hart, +"Ich muß zuerst den Klugen überfahren, +Kaum einer kömmt in hundert Jahren; +Allein an Leuten Eurer Art, +Die stolze Polyhistor waren, +Hab ich mich schon bald lahm gefahren." + + + + + +Der Prozeß + +Ja, Prozesse müssen sein! +Gesetzt, sie wären nicht auf Erden, +Wie könnt alsdann das Mein und Dein +Bestimmet und entschieden werden? +Das Streiten lehrt uns die Natur. +Drum, Bruder, recht' und streite nur. +Du siehst, man will dich übertäuben; +Doch gib nicht nach, setz alles auf, +Und laß dem Handel seinen Lauf; +Denn Recht muß doch Recht bleiben. +"Was sprecht Ihr, Nachbar? Dieser Rain, +Der sollte, meint Ihr, Euer sein? +Nein, er gehört zu meinen Hufen." + +"Nicht doch, Gevatter, nicht, Ihr irrt; +Ich will Euch zwanzig Zeugen rufen, +Von denen jeder sagen wird, +Daß lange vor der Schwedenzeit--" + +"Gevatter, Ihr seid nicht gescheit! +Versteht Ihr mich? Ich will Euchs lehren, +Daß Rain und Gras mir zugehören. +Ich will nicht eher sanfte ruhn; +Das Recht, das soll den Ausspruch tun." + +So saget Kunz, schlägt in die Hand, +Und rückt den spitzen Hut die Quere. +"Ja, eh ich diesen Rain entbehre, +So meid ich lieber Gut und Land." +Der Zorn bringt ihn zu schnellen Schritten, +Er eilet nach der nahen Stadt. +Allein, Herr Glimpf, sein Advokat, +War kurz zuvor ins Amt geritten. +Er läuft, und holt Herrn Glimpfen ein. +Wie, sprecht ihr, kann das möglich sein? +Kunz war zu Fuß, und Glimpf zu Pferde. +So glaubt ihr, daß ich lügen werde? +Ich bitt euch, stellt das Reden ein, +Sonst werd ich, diesen Schimpf zu rächen, +Gleich selber mit Herrn Glimpfen sprechen. + +Ich sag es noch einmal, Kunz holt Herr Glimpfen ein, +Greift in den Zaum, und grüßt Herr Glimpfen. +"Herr!" fängt er ganz erbittert an, +"Mein Nachbar, der infame Mann, +Der Schelm, ich will ihn zwar nicht schimpfen; +Der, denkt nur, spricht, der schmale Rain, +Der zwischen unsern Feldern lieget, +Der, spricht der Narr, der wäre sein. +Allein den will ich sehn, der mich darum betrüget. +Herr", fuhr er fort, "Herr, meine beste Kuh, +Sechs Scheffel Haber noch dazu! +(Hier wieherte das Pferd vor Freuden.) +O dient mir wider ihn, und helft die Sach entscheiden." + +"Kein Mensch", versetzt Herr Glimpf, "dient freudiger als ich. +Der Nachbar hat nichts einzuwenden, +Ihr habt das größte Recht in Händen; +Aus Euren Reden zeigt es sich. +Genug, verklagt den Ungestümen! +Ich will mich zwar nicht selber rühmen, +Dies tut kein ehrlicher Jurist; +Doch dieses könnt Ihr leicht erfahren, +Ob ein Prozeß, seit zwanzig Jahren, +Von mir verloren worden ist? +Ich will Euch Eure Sache führen, +Ein Wort, ein Mann! Ihr sollt sie nicht verlieren." +Glimpf reutet fort. "Herr", ruft ihm Kunz noch nach, +"Ich halte, was ich Euch versprach." + +Wie hitzig wird der Streit getrieben! +Manch Ries Papier wird vollgeschrieben. +Das halbe Dorf muß in das Amt; +Man eilt, die Zeugen abzuhören, +Und fünfundzwanzig müssen schwören, +Und diese schwören insgesamt, +Daß, wie die alte Nachricht lehrte, +Der Rain ihm gar nicht zugehörte. +Ei, Kunz, das Ding geht ziemlich schlecht! +Ich weiß zwar wenig von dem Rechte; +Doch im Vertraun geredt, ich dächte, +Du hättest nicht das größte Recht. + +Manch widrig Urteil kömmt; doch laßt es widrig klingen! +Glimpf muntert den Klienten auf: +"Laßt dem Prozesse seinen Lauf, +Ich schwör Euch, endlich durchzudringen, +Doch-- + "Herr, ich hör es schon; ich will das Geld gleich bringen." + +Kunz borgt manch Kapital. Fünf Jahre währt der Streit; +Allein, warum so lange Zeit? +Dies, Leser, kann ich dir nicht sagen, +Du mußt die Rechtsgelehrten fragen. + +Ein letztes Urteil kömmt. O seht doch, Kunz gewinnt! +Er hat zwar viel dabei gelitten; +Allein was tuts, daß Haus und Hof verstritten, +Und Haus und Hof schon angeschlagen sind? +Genug, daß er den Rain gewinnt. +"O", ruft er, "lernt von mir, den Streit aufs höchste treiben, +Ihr seht ja, Recht muß doch Recht bleiben!" + + + + + +Der Reisende + +Ein Wandrer bat den Gott der Götter, +Den Zeus, bei ungestümem Wetter, +Um stille Luft und Sonnenschein. +Umsonst! Zeus läßt sich nicht bewegen; +Der Himmel stürmt mit Wind und Regen, +Denn stürmisch sollt es heute sein. +Der Wandrer setzt mit bittrer Klage, +Daß Zeus mit Fleiß die Menschen plage, +Die saure Reise mühsam fort. +Sooft ein neuer Sturmwind wütet, +Und schnell ihm stillzustehn gebietet: +Sooft ertönt ein Lästerwort. + +Ein naher Wald soll ihn beschirmen; +Er eilt, dem Regen und den Stürmen +In diesem Holze zu entgehn; +Doch eh der Wald ihn aufgenommen: +So sieht er einen Räuber kommen, +Und bleibt vor Furcht im Regen stehn. + +Der Räuber greift nach seinem Bogen, +Den schon die Nässe schlaff gezogen; +Er zielt, und faßt den Pilger wohl; +Doch Wind und Regen sind zuwider; +Der Pfeil fällt matt vor dem danieder, +Dem er das Herz durchbohren soll. + +"O Tor!" läßt Zeus sich zornig hören, +"Wird dich der nahe Pfeil nun lehren, +Ob ich dem Sturm zu viel erlaubt? +Hätt ich dir Sonnenschein gegeben, +So hätte dir der Pfeil das Leben, +Das dir der Sturm erhielt, geraubt." + + + + + +Der Schatz + +Ein kranker Vater rief den Sohn. +"Sohn!" sprach er, "um dich zu versorgen, +Hab ich vor langer Zeit einst einen Schatz verborgen; +Er liegt--" Hier starb der Vater schon. +Wer war bestürzter als der Sohn? +"Ein Schatz! (So waren seine Worte.) +Ein Schatz! Allein an welchem Orte? +Wo find ich ihn?" Er schickt nach Leuten aus, +Die Schätze sollen graben können, +Durchbricht der Scheuern harte Tennen, +Durchgräbt den Garten und das Haus, +Und gräbt doch keinen Schatz heraus. +Nach viel vergeblichem Bemühen +Heißt er die Fremden wieder ziehen, +Sucht selber in dem Hause nach, +Durchsucht des Vaters Schlafgemach, +Und findt mit leichter Müh (wie groß war sein Vergnügen!) +Ihn unter einer Diele liegen. + +---- + +Vielleicht, daß mancher eh die Wahrheit finden sollte, +Wenn er mit mindrer Müh die Wahrheit suchen wollte. +Und mancher hätte sie wohl zeitiger entdeckt, +Wofern er nicht geglaubt, sie wäre tief versteckt. +Verborgen ist sie wohl; allein nicht so verborgen, +Daß du der finstern Schriften Wust, +Um sie zu sehn, mit tausend Sorgen, +Bis auf den Grund durchwühlen mußt. +Verlaß dich nicht auf fremde Müh, +Such selbst, such aufmerksam, such oft: du findest sie. +Die Wahrheit, lieber Freund, die alle nötig haben, +Die uns, als Menschen, glücklich macht, +Ward von der weisen Hand, die sie uns zugedacht, +Nur leicht verdeckt; nicht tief vergraben. + + + + +Der Selbstmord + +O Jüngling, lern aus der Geschichte, +Die dich vielleicht zu Tränen zwingt, +Was für bejammernswerte Früchte +Die Liebe zu den Schönen bringt! +Ein Beispiel wohlgezogner Jugend, +Des alten Vaters Trost und Stab, +Ein Jüngling, der durch frühe Tugend +Zur größten Hoffnung Anlaß gab; + +Den zwang die Macht der schönen Triebe, +Climenen zärtlich nachzugehn. +Er seufzt, er bat um Gegenliebe; +Allein vergebens war sein Flehn. + +Fußfällig klagt er ihr sein Leiden. +Umsonst! Climene heißt ihn fliehn. +Ja, schreit er, ja, ich will dich meiden, +Ich will mich ewig dir entziehn. + +Er reißt den Degen aus der Scheide, +Und--o was kann verwegner sein! +Kurz, er besieht die Spitz und Schneide, +Und steckt ihn langsam wieder ein. + + + + + +Der sterbende Vater + +Ein Vater hinterließ zween Erben, +Christophen, der war klug, und Görgen, der war dumm. +Sein Ende kam, und kurz vor seinem Sterben +Sah er sich ganz betrübt nach seinem Christoph um. +"Sohn", fing er an, "mich quält ein trauriger Gedanke: +Du hast Verstand, wie wird dirs künftig gehn? +Hör an, ich hab in meinem Schranke +Ein Kästchen mit Juwelen stehn, +Die sollen dein. Nimm sie, mein Sohn, +Und gib dem Bruder nichts davon." +Der Sohn erschrak und stutzte lange. +"Ach Vater", hub er an, "wenn ich so viel empfange, +Wie kömmt alsdann mein Bruder fort?" +"Er?" fiel der Vater ihm ins Wort, +"Für Görgen ist mir gar nicht bange, +Der kömmt gewiß durch seine Dummheit fort." + + + + + +Der süße Traum + +Mit Träumen, die uns schön betrügen, +Erfreut den Timon einst die Nacht; +Im Schlaf erlebt er das Vergnügen, +An das er wachend kaum gedacht. +Er sieht, aus seines Bettes Mitte +Steigt schnell ein großer Schatz herauf. +Und schnell baut er aus seiner Hütte +Im Schlafe schon ein Lustschloß auf. +Sein Vorsaal wimmelt von Klienten, +Und, unbekleidet am Kamin, +Läßt er, die ihn vordem kaum nennten, +In Ehrfurcht itzt auf sich verziehn. +Die Schöne, die ihn oft im Wachen +Durch ihre Sprödigkeit betrübt, +Muß Timons Glück vollkommen machen; +Denn träumend sieht er sich geliebt. +Er sieht von Doris sich umfangen, +Und ruft, als dies ihm träumt, vergnügt; +Er lallt: "O Doris, mein Verlangen! +Hat Timon endlich dich besiegt?" +Sein Schlafgeselle hört ihn lallen; +Er hört, daß ihn ein Traum verführt, +Und tut ihm liebreich den Gefallen, +Und macht, daß sich sein Traum verliert. +"Freund", ruft er, "laß dich nicht betrügen, +Es ist ein Traum, ermuntre dich!" +"O böser Freund, um welch Vergnügen", +Klagt Timon ängstlich, "bringst du mich! +Du machest, daß mein Traum verschwindet; +Warum entziehst du mir die Lust? +Genug, ich hielt sie für gegründet, +Weil ich den Irrtum nicht gewußt." + +---- + +Oft quält ihr uns, ihr Wahrheitsfreunde, +Mit eurer Dienstbeflissenheit; +Oft seid ihr unsrer Ruhe Feinde, +Indem ihr unsre Lehrer seid. +Wer heißt euch uns den Irrtum rauben, +Den unser Herz mit Lust besitzt? +Und der, so heftig wir ihn glauben, +Uns dennoch minder schadt, als nützt? +Der wird die halbe Welt bekriegen, +Wer allen Wahn der Welt entzieht. +Die meisten Arten von Vergnügen +Entstehen, weil man dunkel sieht. +Was denkt der Held bei seinen Schlachten? +Er denkt, er sei der größte Held. +Gönnt ihm die Lust, sich hochzuachten, +Damit ihm nicht der Mut entfällt. +Geht, fragt: Was denkt wohl Adelheide? +Sie denkt, mein Mann liebt mich getreu. +Sie irrt; doch gönnt ihr ihre Freude, +Und laßt das arme Weib dabei. +Was glaubt der Ehemann von Lisetten? +Er glaubt, daß sie die Keuschheit ist. +Er irrt; ich wollte selber wetten; +Doch schweigt, wenn ihr es besser wißt. +Was denkt der Philosoph im Schreiben? +Mich liest der Hof, mich ehrt die Stadt! +Er irrt; doch laßt ihn irrig bleiben, +Damit er Lust zum Denken hat. +Durchsucht der Menschen ganzes Leben: +Was treibt zu großen Taten an? +Was pflegt uns Ruh und Trost zu geben? +Sehr oft ein Traum, ein süßer Wahn. +Genug, daß wir dabei empfinden! +Es sei auch tausendmal ein Schein! +Sollt aller Irrtum ganz verschwinden: +So wär es schlimm, ein Mensch zu sein. + + + + +Der Tanzbär + +Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen, +Entrann, und wählte sich den ersten Aufenthalt. +Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen, +Und brummten freudig durch den Wald. +Und wo ein Bär den andern sah: +So hieß es: Petz ist wieder da! +Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen +Für Abenteuer ausgestanden, +Was er gesehn, gehört, getan! +Und fing, da er vom Tanzen redte, +Als ging er noch an seiner Kette, +Auf polnisch schön zu tanzen an. +Die Brüder, die ihn tanzen sahn, +Bewunderten die Wendung seiner Glieder, +Und gleich versuchten es die Brüder; +Allein anstatt, wie er, zu gehn: +So konnten sie kaum aufrecht stehn, +Und mancher fiel die Länge lang danieder. +Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn; +Doch seine Kunst verdroß den ganzen Haufen. +Fort, schrien alle, fort mit dir! +Du Narr willst klüger sein, als wir? +Man zwang den Petz, davonzulaufen. + +---- + +Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen, +Weil dir dann jeder ähnlich ist; +Doch je geschickter du vor vielen andern bist; +Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen. +Wahr ists, man wird auf kurze Zeit +Von deinen Künsten rühmlich sprechen; +Doch traue nicht, bald folgt der Neid, +Und macht aus der Geschicklichkeit +Ein unvergebliches Verbrechen. + + + + +Der Tartarfürst + +Ein Tartarfürst, von dem man in Geschichten preist, +Daß er, als Prinz, Europa durchgereist, +Befahl, weil er sein Volk galanter machen wollte, +Daß kein vornehmes Weib ihr Kind selbst stillen sollte. +Die wilden Damen lachten nur; +Sie nährten nach wie vor ihr Kind mit ihren Brüsten, +Und glaubten; daß sie der Natur +Und ihren Müttern folgen müßten. +Der Chan fing an, sich zu entrüsten, +Gab ein sehr scharf Mandat, und schwur, +Daß jede Frau vom Stande sterben sollte, +Die für ihr Kind nicht Ammen halten wollte. +Und weil sie sich gezwungen sahn: +So nahmen sie denn Ammen an. +Allein sie konnten sich des Triebs nicht lang erwehren, +Ihr eigen Blut an ihrer Brust zu nähren. +Die meisten fingen an, dem Chan den Tod zu schwören. +Einst, als der Tartarfürst sich ganz allein befand, +Kam, mit dem Degen in der Hand, +Ein vornehm Weib auf ihn gerannt, +Und sprach, von edlem Grimm entbrannt: +"Hör auf, mein Kind mir abzudrängen, +Sonst bin ich hier, dich umzubringen! +Ich säug es selbst, und säug es mir zur Lust, +Deswegen hab ich diese Brust. +In dieser Pflicht, mein Kind daran zu nehmen, +Soll mich, o Fürst, kein Tier beschämen." + +Der gute Tartarfürst erschrak, +Und unterließ, um nicht sein Leben zu verlieren, +Den europäischen Geschmack +In seinen Horden einzuführen. + + + + + +Der Tod der Fliege und der Mücke + +Der Tod der Fliege heißt mich dichten; +Der Tod der Mücke heischt mein Lied. +Und kläglich will ich dir berichten, +Wie jene starb, und die verschied. +Sie setzte sich, die junge Fliege, +Voll Mut auf einen Becher Wein; +Entschloß sich, tat drei gute Züge, +Und sank vor Lust ins Glas hinein. + +Die Mücke sah die Freundin liegen. +"Dies Grabmal", sprach sie, "will ich scheun. +Am Lichte will ich mich vergnügen, +Und nicht an einem Becher Wein." + +Allein, verblendet von dem Scheine, +Ging sie der Lust zu eifrig nach; +Verbrannte sich die kleinen Beine, +Und starb nach einem kurzen Ach. + +Ihr, die ihr euren Trieb zu nähren, +In dem Vergnügen selbst verdarbt, +Ruht wohl, und laßt zu euren Ehren +Mich sagen, daß ihr menschlich starbt. + + + + + +Der unsterbliche Autor + +Ein Autor schrieb sehr viele Bände, +Und ward das Wunder seiner Zeit; +Der Journalisten gütge Hände +Verehrten ihm die Ewigkeit. +Er sah, vor seinem sanften Ende, +Fast alle Werke seiner Hände +Das sechste Mal schon aufgelegt, +Und sich, mit tiefgelehrtem Blicke, +In einer spanischen Perücke +Vor jedes Titelblatt geprägt. +Er blieb vor Widersprechern sicher, +Und schrieb bis an den Tag, da ihn der Tod entseelt; +Und das Verzeichnis seiner Bücher, +Die kleinen Schriften mitgezählt, +Nahm an dem Lebenslauf allein +Drei Bogen und drei Seiten ein. +Man las nach dieses Mannes Tode +Die Schriften mit Bedachtsamkeit; +Und seht, das Wunder seiner Zeit +Kam in zehn Jahren aus der Mode, +Und seine göttliche Methode +Hieß eine bange Trockenheit. +Der Mann war bloß berühmt gewesen, +Weil Stümper ihn gelobt, eh Kenner ihn gelesen. + +---- + +Berühmt zu werden, ist nicht schwer, +Man darf nur viel für kleine Geister schreiben; +Doch bei der Nachwelt groß zu bleiben, +Dazu gehört noch etwas mehr, +Als, seicht am Geist, in strenger Lehrart schreiben. + + + + + +Der Wuchrer + +Ein Wuchrer kam in kurzer Zeit +Zu einem gräflichen Vermögen, +Nicht durch Betrug und Ungerechtigkeit, +Nein, er beschwur es oft, allein durch Gottes Segen. +Und um sein dankbar Herz Gott an den Tag zu legen, +Und auch vielleicht aus heiligem Vertraun, +Gott zur Vergeltung zu bewegen, +Ließ er ein Hospital für arme Fromme baun. +Indem er nun den Bau zustande brachte, +Und vor dem Hause stund, und heimlich überdachte, +Wie sehr verdient er sich um Gott und Arme machte, +Ging ein verschmitzter Freund vorbei. +Der Geizhals, der gern haben wollte, +Daß dieser Freund das Haus bewundern sollte, +Fragt ihn mit freudigem Geschrei, +Obs groß genug für Arme sei? +"Warum nicht?" sprach der Freund. "Hier können viel Personen +Recht sehr bequem beisammen sein; +Doch sollen alle die hier wohnen, +Die Ihr habt arm gemacht: so ist es viel zu klein." + + + + + +Der wunderbare Traum + +Aus einem alten Fabelbuche +(Der Titelbogen fehlt daran, +Sonst führt ichs meinen Lesern an), +Aus dem ich mich Rats zu erholen suche, +Wenn ich selbst nichts erfinden kann; +Ans diesem alten deutschen Buche, +Das mir schon manchen Dienst getan, +Will ich mir einen Traum erwählen. +Als ich einmal, so fängt mein Autor an, +Nach seiner Weise zu erzählen, +In einer Kirche saß, so fiel mir jähling ein: +Wer mag von so viel tausend Seelen, +Die diesen Ort zu ihrer Andacht wählen, +Doch wohl die frömmste Seele sein? +In den Gedanken schlief ich ein, +Und sah im Traum vor mir des Tempels Schutzgeist stehen, +"Du", sprach er, "wünschest dir, das frömmste Herz zu sehen?" +Und rührte mein Gesicht mit seiner Rechten an. +Mir kam, sobald er dies getan, +Ein sanfter kalter Schauer an. +Und plötzlich sah ich mich in heilgem Glanze stehen. +"Fang an", sprach er, "die Kirche durchzugehen. +Der, den dein Glanz so rührt, daß er dich dreimal küßt, +Der hat das frömmste Herz, das hier zu finden ist." + +Ich ging, um es recht bald zu wissen, +In dem empfangnen Glanz hart vor der Sakristei +Einmal, und noch einmal, vorbei, +Weil mir es schien, als wolle man mich küssen. +Ich wartete noch eine gute Frist, +Und ward einmal; allein ganz kalt, geküßt. + +Ich ging darauf in die Kapellen, +In denen ich die frömmsten Mienen fand, +Und alles schien sich aufzuhellen, +Man lächelte, man tat galant +Und küßte mir zur Not die Hand. + +Drauf ließ ich mich auf einer höhern Bühne +Gesichtern, voll von Ernst und tiefer Weisheit, sehn. +Ich blieb ein feines Weilchen stehn. +Sie sahn mich an, und machten eine Miene, +Als ob sie sich an mir schon satt gesehn. +Und ungeküßt mußt ich von dannen gehn. + +Ich stellte mich nun vor die niedern Stände. +Hier warfen mir viel weiße Hände, +Da einen Kuß, dort einen zu. +Ich ließ mein Auge lange fragen: +Ach, gutes Herz! wo wohnest du? +Allein man wollt es nicht, mich zu umarmen, wagen, +Und ich ging ganz betrübt auf meinen Schutzgeist zu. +Mein traurig Schicksal ihm zu klagen. +Indem, daß ich noch durch die Halle schlich, +Sah mich, in einem schlechten Kleide, +Ein liebes Mädchen an, und seht, sie küßte mich +Mit einer plötzlichen und unschuldsvollen Freude. +Und eh ich noch von ihr den dritten Kuß erhielt: +So fühlt ich schon die selgen Triebe +Der Redlichkeit und Menschenliebe +So stark in mir, als ich sie nie gefühlt. +Ein Mädchen, rief ich aus, an das die Welt kaum dachte, +Besitzt das beste Herz! Ich rief es, und erwachte. + + + + + +Der zärtliche Mann + +Die ihr so eifersüchtig seid, +Und nichts als Unbeständigkeit, +Den Männern vorzurücken pfleget! +O Weiber, überwindet euch, +Lest dies Gedicht und seid zugleich +Beschämt, und ewig widerleget. +Wir Männer sind es ganz allein, +Die einmal nur, doch ewig lieben; +Uns ist die Treu ins Blut geschrieben. +Beweist es! hör ich alle schrein. +Recht gut! Es soll bewiesen sein. + +---- + +Ein liebes Weib ward krank, wovon? Von vieler Galle? +Die alte Spötterei! Kein Kluger glaubt sie mehr. +Nein, nein, die Weiber siechten alle, +Wenn diese Übel schädlich wär. +Genug, sie ward sehr krank. Der Mann wendt alles an, +Was man von Männern fordern kann; +Eilt, ihr zu rechter Zeit die Pulver einzuschütten; +Er läßt für seine Frau in allen Kirchen bitten, +Und gibt noch mehr dafür, als sonst gebräuchlich war: +Und doch vermehrt sich die Gefahr. +Er ächzt, er weint und schreit, er will mit ihr verderben. +"Ach Engel", spricht die Frau, "stell deine Klagen ein! +Ich werde mit Vergnügen sterben, +Versprich mir nur, nicht noch einmal zu frein." +Er schwört, sich keine mehr zu wählen. +"Dein Schatten", ruft er, "soll mich quälen, +Wenn mich ein zweites Weib besiegt." +Er schwört. Nun stirbt sein Weib vergnügt. +Wer kann den Kummer wohl beschreiben, +Der unsern Witwer überfällt? +Er weiß vor Jammer kaum zu bleiben; +Zu eng ist ihm sein Haus, zu klein ist ihm die Welt. +Er opfert seiner Frau die allertreusten Klagen, +Bleibt ohne Speis und Trank, sucht keine Lagerstatt; +Er klagt, und ist des Lebens satt. +Indes befiehlt die Zeit, sie in das Grab zu tragen. +Man legt der Seligen ihr schwarzes Brautkleid an; +Der Witwer tritt betränt an ihren Sarg hinan. +"Was?" fängt er plötzlich an zu fluchen, +"Was, Henker, was soll dieses sein? +Für eine tote Frau ein Brautkleid auszusuchen? +Gesetzt, ich wollte wieder frein: +So müßt ich ja ein neues machen lassen." + +Ihr Leute kränkt ihn nicht, geht, holt ein ander Kleid, +Und laßt dem armen Witwer Zeit; +Er wird sich mit der Zeit schon fassen. + + + + + +Der Zeisig + +Ein Zeisig wars und eine Nachtigall, +Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen. +Die Nachtigall fing an, ihr göttlich Lied zu singen, +Und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall. +"Ach welcher singt von beiden doch so schön? +Den Vogel möcht ich wirklich sehn!" +Der Vater macht ihm diese Freude, +Er nimmt die Vögel gleich herein. +"Hier", spricht er, "sind sie alle beide; +Doch welcher wird der schöne Sänger sein? +Getraust du dich, mir das zu sagen?" +Der Sohn läßt sich nicht zweimal fragen, +Schnell weist er auf den Zeisig hin: +"Der", spricht er, "muß es sein, so wahr ich ehrlich bin. +Wie schön und gelb ist sein Gefieder! +Drum singt er auch so schöne Lieder; +Dem andern sieht mans gleich an seinen Federn an, +Daß er nichts Kluges singen kann." + +---- + +Sagt, ob man im gemeinen Leben +Nicht oft wie dieser Knabe schließt? +Wem Farb und Kleid ein Ansehn geben, +Der hat Verstand, so dumm er ist. +Stax kömmt, und kaum ist Stax erschienen: +So hält man ihn auch schon für klug. +Warum? Seht nur auf seine Mienen, +Wie vorteilhaft ist jeder Zug! +Ein andrer hat zwar viel Geschicke; +Doch weil die Miene nichts verspricht: +So schließt man, bei dem ersten Blicke, +Aus dem Gesicht, aus der Perücke, +Daß ihm Verstand und Witz gebricht. + + + + +Die Bauern und der Amtmann + +Ein sehr geschickter Kandidat, +Der lange schon mit vielem Lobe +Die Kanzeln in der Stadt betrat, +Tat auf dem Dorfe seine Probe; +Allein so gut er sie getan: +So stund er doch den Bauern gar nicht an. +Nein, der verstorbne Herr, das war ein andrer Mann, +Der hatte recht auf seinen Text studieret, +Und Gottes Wort, wie sichs gebühret, +Bald griechisch, bald ebräisch angeführet, +Die Kirchenväter oft zitieret, +Die Ketzer stattlich ausschändieret, +Und stets so fein schematisieret, +Daß er der Bauern Herz gerühret. +"Herr Amtmann, wie gesagt, erstatt Er nur Bericht, +Wir mögen diesen Herrn nicht haben." +"So sagt doch nur, warum denn nicht?" +"Er hörts ja wohl, er hat nicht solche Gaben +Wie der verstorbne Herr." + +Der Amtmann widerspricht; +Der Suprintend ermahnt. Umsonst, sie hören nicht. +Man mag Amphion sein, und Fels und Wald bewegen, +Deswegen kann man doch nicht Bauern widerlegen. +Kurz, man erstattete Bericht, +Weil alle steif auf ihrem Sinn beharrten. + +Nunmehr kömmt ein Befehl. Ich kann es kaum erwarten, +Bis ihn der Amtmann publiziert. +Ich wette fast, ihr Bauern, ihr verliert! + +Man öffnet den Befehl. Und seht, der Landsherr wollte, +Daß man dem Kandidat das Priestertum vertraun, +Den Bauern Gegenteils es hart verweisen sollte. + +Der Suprintend fing an die Bauern zu erbaun, +Und sprach, so schwierig sie noch schienen, +Doch sehr gelind und fromm mit ihnen. +"Herr Doktor!" fiel ihm drauf der Amtmann in das Wort, +"Wozu soll diese Sanftmut dienen? +Ihr Richter, Schöppen und so fort, +Hört zu! Ich will mein Amt verwalten. +Ihr Ochsen, die ihr alle seid! +Euch Flegeln geb ich den Bescheid, +Ihr sollt den Herrn zu eurem Pfarrn behalten. +Sagts, wollt ihr oder nicht? denn itzt sind wir noch da." + +Die Bauern lächelten: "Ach ja, Herr Amtmann, ja!" + + + + + +Die beiden Hunde + +Daß oft die allerbesten Gaben +Die wenigsten Bewundrer haben, +Und daß der größte Teil der Welt +Das Schlechte für das Gute hält; +Dies Übel sieht man alle Tage; +Allein wie wehrt man dieser Pest? +Ich zweifle, daß sich diese Plage +Aus unsrer Welt verdringen läßt. +Ein einzig Mittel ist auf Erden; +Allein es ist unendlich schwer. +Die Narren müßten weise werden, +Und seht, sie werdens nimmermehr. +Nie kennen sie den Wert der Dinge. +Ihr Auge schließt, nicht ihr Verstand; +Sie loben ewig das Geringe, +Weil sie das Gute nie gekannt. + +---- + +Zween Hunde dienten einem Herrn, +Der eine von den beiden Tieren, +Joli, verstund die Kunst, sich lustig aufzuführen, +Und wer ihn sah, vertrug ihn gern. +Er holte die verlornen Dinge, +Und spielte voller Ungestüm. +Man lobte seinen Scherz, belachte seine Sprünge; +Seht, hieß es, alles lebt an ihm! +Oft biß er mitten in dem Streicheln: +So falsch und boshaft war sein Herz; +Gleich fing er wieder an zu schmeicheln: +Dann hieß sein Biß ein feiner Scherz. +Er war verzagt und ungezogen; +Doch ob er gleich zur Unzeit bellt und schrie: +So blieb ihm doch das ganze Haus gewogen: +Er hieß der lustige Joli. +Mit ihm vergnügte sich Lisette, +Er sprang mit ihr zu Tisch und Bette; +Und beide teilten ihre Zeit +In Schlaf, in Scherz und Lustbarkeit; +Sie aber übertraf ihn weit. +Fidel, der andre Hund, war von ganz anderm Wesen. +Zum Witze nicht ersehn, zum Scherze nicht erlesen, +Sehr ernsthaft von Natur; doch wachsam um das Haus, +Ging öfters auf die Jagd mit aus; +War treu und herzhaft in Gefahr, +Und bellte nicht, als wenn es nötig war. +Er stirbt. Man hört ihn kaum erwähnen, +Man trägt ihn ungerühmt hinaus. +Joli stirbt auch. Da fließen Tränen! +Seht, ihn beklagt das ganze Haus. +Die ganze Nachbarschaft bezeiget ihren Schmerz. + +So gilt ein bißchen Witz mehr, als ein gutes Herz! + + + + + +Die beiden Knaben + +Ein jüngrer und ein ältrer Bube, +Die der noch frühe Lenz aus der betrübten Stube +Vom Buche zu dem Garten rief, +Vielleicht, weil gleich ihr Informator schlief, +Gerieten beid an eine Grube, +In der der Schnee noch nicht zerlief. +"Ach Bruder", sprach der kleine Bube, +"Was meinst du, ist das Loch wohl tief? +Ich hätte Lust"--"Was? Lust, hineinzuspringen? +Du mußt doch ausgelassen sein. +Versuch es nicht und spring hinein, +Du könntest dich ums Leben bringen. +Wir können uns ja sonst noch wohl erfreun, +Als daß wir uns und unsern Kleidern schaden, +Und kindisch Schnee und Eis durchwaden. +Und kömmst du drauf zum Vater naß hinein: +So hast dus da erst auszubaden." +Doch keine Redekunst nahm unsern Knaben ein. +"Wer wird im Schnee denn gleich ersaufen?" +Und kurz und gut, er sprang hinein, +Und ließ sichs wohl in seiner Grube sein; +Doch kaum war er vor Kälte fortgelaufen: +So sprang der Philosoph so gut wie er hinein. + +---- + +Dies ist die Kunst der strengen Moralisten. +Bekannt mit dem System, und von Grundsätzen voll, +Beweisen sie das, was man lassen soll, +So froh, als ob sie nichts von den Begierden wüßten. +Sie sind von besserm Ton als wir. +Sie bändigen ihr Herz durch die Gewalt der Schlüsse. +Uns Armen ist die Torheit süße; +Doch ihnen ekelt nur dafür. +Wir lassen sie, wenn wir sie unternehmen, +Aus gutem Herzen andern sehn, +Und denken nicht daran, daß wir uns so vergehn. +Sie aber, die gelehrt sich aller Torheit schämen, +Begehn die Tat, die sie uns übelnehmen, +Aus Tugend eher nicht, als bis wir es nicht sehn. + + + + +Die beiden Mädchen + +Zwo junge Mädchen hofften beide, +Worauf? Gewiß auf einen Mann; +Denn dies ist doch die größte Freude, +Auf die ein Mädchen hoffen kann. +Die jüngste Schwester, Philippine, +War nicht unordentlich gebaut; +Sie hatt ein rund Gesicht, und eine zarte Haut; +Doch eine sehr gezwungne Miene. +So fest geschnürt sie immer ging, +So viel sie Schmuck ins Ohr, und vor den Busen hing, +So schön sie auch ihr Haar zusammenrollte; +So ward sie doch bei alledem, +Je mehr man sah, daß sie gefallen wollte, +Um desto minder angenehm. +Die andre Schwester, Caroline, +War im Gesichte nicht so zart; +Doch frei und reizend in der Miene, +Und liebreich mit gelaßner Art. +Und wenn man auf den heitern Wangen +Gleich kleine Sommerflecken fand: +Ward ihrem Reiz doch nichts dadurch entwandt, +Und selbst ihr Reiz schien solche zu verlangen. +Sie putzte sich nicht mühsam aus, +Sie prahlte nicht mit teuren Kostbarkeiten. +Ein artig Band, ein frischer Strauß, +Die über ihren Ort, den sie erlangt, sich freuten, +Und eine nach dem Leib wohl abgemeßne Tracht +War Carolinens ganze Pracht. + +Ein Freier kam; man wies ihm Philippinen; +Er sah sie an, erstaunt, und hieß sie schön; +Allein sein Herz blieb frei, er wollte wieder gehn. +Kaum aber sah er Carolinen: +So blieb er vor Entzückung stehn. + +---- + +Im Bilde dieser Frauenzimmer +Zeigt sich die Kunst und die Natur; +Die erste prahlt mit weit gesuchtem Schimmer, +Sie fesselt nicht; sie blendet nur. +Die andre sucht durch Einfalt zu gefallen, +Läßt sich bescheiden sehn; und so gefällt sie allen. + + + + +Die beiden Schwalben + +Zwo Schwalben sangen um die Wette, +Und sangen mit dem größten Fleiß; +Doch wenn die eine schrie, daß sie den Vorzug hätte, +Gab doch die andre sich den Preis. +Die Lerche kömmt. Sie soll den Streit entscheiden; +Und beide stimmen herzhaft an. +"Nun", hieß es: "sprich, wer von uns beiden +Am meisterlichsten singen kann?" +"Das weiß ich nicht", sprach sie bescheiden, +Und sah sie ganz mitleidig an, +Und wollte sich nach ihrer Höhe schwingen. +Doch nein, sie suchten ihr den Ausspruch abzuzwingen. +"So", sprach sie, "will ichs denn gestehn: +Die kann so gut wie jene singen; +Doch singt, solang ihr wollt, es singt doch keine schön. +Hört man das Lied geistreicher Nachtigallen: +So kann uns eures nicht gefallen." + +---- + +Ihr mittelmäßigen Skribenten, +O wenn wir euch doch friedsam machen könnten! +Ihr zankt, wer besser denkt? Laßt keinen Streit entstehn. +Wir wollen keinen von euch kränken; +Der eine kann so gut wie jener denken; +Doch keiner von euch denket schön. +Ihr Schwätzer! Zankt nicht um die Gaben +Der geistlichen Beredsamkeit. +Solange wir Mosheime haben: +So sehn wir ohne Schwierigkeit, +Daß ihr beredte Kinder seid. +Zankt nicht um eure hohen Gaben, +Ihr Gründlichen! o bleibt in Ruh. +Du demonstrierst wie er, und er so fein wie du; +Allein solange wir Leibnize vor uns haben: +So hört euch keine Seele zu. +O zankt nicht um des Phöbus Gaben, +Reimreiche Sänger unsrer Zeit! +Ihr alle reimt mit gleicher Fertigkeit; +Allein solange wir noch Hagedorne haben: +So denkt man nicht daran, daß ihr zugegen seid. + + + + +Die beiden Wächter + +Zween Wächter, die schon manche Nacht +Die liebe Stadt getreu bewacht, +Verfolgten sich, aus aller Macht, +Auf allen Bier- und Branntweinbänken, +Und ruhten nicht, mit pöbelhaften Ränken, +Einander bis aufs Blut zu kränken; +Denn keiner brannte von dem Span, +Woran der andre sich den Tabak angezündet, +Aus Haß den seinen jemals an. +Kurz, jeden Schimpf, den nur die Rach erfindet, +Den Feinde noch den Feinden angetan, +Den taten sie einander an. +Und jeder wollte bloß den andern überleben, +Um noch im Sarg ihm einen Stoß zu geben. +Man riet und wußte lange nicht, +Warum sie solche Feinde waren; +Doch endlich kam die Sache vor Gericht, +Da mußte sichs denn offenbaren, +Warum sie, seit so vielen Jahren, +So heidnisch unversöhnlich waren. +Was war der Grund? Der Brotneid? War ers nicht? +Nein. Dieser sang: Verwahrt das Feuer und das Licht! +Allein so sang der andre nicht. +Er sang: Bewahrt das Feuer und das Licht! +Aus dieser so verschiednen Art, +An die sich beid im Singen zänkisch banden; +Aus dem verwahrt und dem bewahrt +War Spott, Verachtung, Haß, und Rach, und Wut entstanden. + +---- + +Die Wächter, hör ich viele schrein, +Verfolgten sich um solche Kleinigkeiten? +Das mußten große Narren sein. +Ihr Herren! stellt die Reden ein, +Ihr könntet sonst unglücklich sein. +Wißt ihr denn nichts von so viel großen Leuten, +Die in gelehrten Streitigkeiten +Um Silben, die gleich viel bedeuten, +Sich mit der größten Wut entzweiten? + + + + +Die Betschwester + +Die frömmste Frau in unsrer Stadt, +In Kleidern fromm, und fromm in Mienen, +Die stets den Mund voll Andacht hat, +Wird diese nicht ein Lied verdienen? +Wie lehrreich ist ihr Lebenslauf! +Kaum steht die fromme Frau von ihrem Lager auf; +Kaum tönt der Klang vom achten Stundenschlage: +So sucht sie das Gebet zu dem vorhandnen Tage. +Und ob sie gleich den Schritt in sechzig schon getan: +So ruft sie doch den Herrn noch heut um Keuschheit an. +Und ob sie gleich noch nie sich satt gegessen: +So fleht sie doch um Mäßigkeit im Essen. +Und ob sie gleich auf alle Pfänder leiht: +So seufzt sie doch um Trost bei ihrer Dürftigkeit. + +Welch redlich Herz! Welch heiliges Vertrauen! +Sie liest das Jahr hindurch die Bibel zweimal aus, +Und reißt dadurch ihr ganzes Haus +Auf ewig aus des Teufels Klauen. + +Zwölf Lieder stimmt sie täglich an. +Wer kömmt? Ists nicht ein armer Mann? +Geh, Frecher! willst du sie vielleicht im Singen stören? +Nein, wenn sie singt, kann sie nicht hören. +Geh nur, und hungre, wie zuvor. +Sie hebt ihr Herz zu Gott empor; +Soll sie dies Herz vom Himmel lenken, +Und itzt an einen Armen denken? + +Sie singt, und trägt das Essen singend auf. +Sie ißt, und schmält auf böser Zeiten Lauf; +Allein wer klopft schon wieder an die Türe? +Ein armes Weib, die keinen Bissen Brot-- +"Geht, quält mich nicht mit Eurer Not, +Wenn ich die Hand zum Munde führe. +Nicht wahr, Ihr singt und betet nicht? +Seid fromm, und denkt an Eure Pflicht: +Der Herr vergißt die Seinen nicht. +Wenn seht Ihr mich denn betteln gehen? +Allein man muß zu Gott auch brünstig schrein und flehen." + +Doch ist die liebe fromme Frau +Nicht gar zu hart, nicht zu genau? +Wohnt nicht in ihr mehr Kaltsinn als Erbarmen? +Nein, nein! Sie dient und hilft den Armen; +Sie bessert sie durch Vorwurf und Verweis, +Und weist sie zu Gebet und Fleiß; +Ist dieses nicht der Schrift Geheiß? +Sie dient ja gern mit ihren Gütern, +Allein nur redlichen Gemütern. +Ist wohl ein frommes Weib in unsrer ganzen Stadt, +Das, in der Not, bei ihr nicht Zuflucht hat? +Sie mag ihr auch die kleinste Zeitung bringen: +So eilt sie doch, dem Weibe beizuspringen. + +Ach ja! Beatens Herz ist willig und bereit, +Die Welt mag noch soviel an ihr zu tadeln finden. +Nicht nur den Lebenden nützt ihre Mildigkeit; +O nein! Sie weiß sich auch die Toten zu verbinden. +Wenn wird ein Kind zur Gruft gebracht, +Um dessen Sarg ihr Kranz sich nicht verdient gemacht? +Wenn sprechen nicht die Leichengäste: +Beatens Kranz war doch der beste! +Welch schönes Kruzifix! Von wem wird dieses sein? +Beate schickts und wills dem Leichnam weihn. +Das fromme Weib! Erlebt sie mein Erblassen: +So wird sie meinen Sarg gewiß versilbern lassen. + +Sie kleidet Kanzel und Altar, +Und wird sie künftigs neue Jahr, +So sehr die andern sie beneiden, +Zum dritten Male doch bekleiden. +Man wirft ihr vor, sie solls aus Ehrsucht tun; +Noch kann ihr mildes Herz nicht ruhn. +Wer wars, der itzt in die Kollekte +Mit langsam schlauer Hand ein volles Briefchen steckte? +Beate wars, sie leiht dem Herrn, +Und was sie gibt, das gibt sie gern. +Was kann denn sie dafür, daß es die Leute sehen? + +Beate! laß die Lästrer schmähen, +Und laß sie aus Verleumdung sprechen, +Du sollst die Allmacht nur bestechen, +Daß für den Wucher, den du treibst, +Du einstens ungestrafet bleibst. +Laß dich von andern spöttisch richten, +Als pflegtest du der Welt gern Laster anzudichten; +Als wäre dies für dich die liebste Neuigkeit, +Wenn andern Not und Unglück dräut; +Als hättest du nichts als der Tugend Schein. +Schweigt, Spötter, schweigt! Dies kann nicht sein; +Denn betend steht sie auf, und singend schläft sie ein. + + + + + +Die Biene und die Henne + +"Nun Biene", sprach die träge Henne, +"Dies muß ich in der Tat gestehn, +So lange Zeit, als ich dich kenne: +So seh ich dich auch müßiggehn. +Du sinnst auf nichts, als dein Vergnügen; +Im Garten auf die Blumen fliegen, +Und ihren Blüten Saft entziehn, +Mag eben nicht so sehr bemühn. +Bleib immer auf der Nelke sitzen, +Dann fliege zu dem Rosenstrauch, +Wär ich wie du, ich tät es auch. +Was brauchst du andern viel zu nützen? +Genug, daß wir so manchen Morgen +Mit Eiern unser Haus versorgen." +"O!" rief die Biene, "spotte nicht! +Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht +Nicht so, wie du bei einem Eie, +Aus vollem Halse zehnmal schreie: +So, denkst du, wär ich ohne Fleiß. +Der Bienenstock sei mein Beweis, +Wer Kunst und Arbeit besser kenne, +Ich, oder eine träge Henne? +Denn wenn wir auf den Blumen liegen: +So sind wir nicht auf uns bedacht; +Wir sammeln Saft, der Honig macht, +Um fremde Zungen zu vergnügen. +Macht unser Fleiß kein groß Geräusch, +Und schreien wir bei warmen Tagen, +Wenn wir den Saft in Zellen tragen, +Uns nicht, wie du im Neste, heisch: +So präge dir es itzund ein: +Wir hassen allen stolzen Schein; +Und wer uns kennen will, der muß in Rost und Kuchen +Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen. + +Auch hat uns die Natur beschenkt, +Und einen Stachel eingesenkt, +Damit wir die bestrafen sollen, +Die, was sie selber nicht verstehn, +Doch meistern, und verachten wollen: +Drum, Henne! rat ich dir, zu gehn." + +---- + +O Spötter, der mit stolzer Miene, +In sich verliebt, die Dichtkunst schilt; +Dich unterrichtet dieses Bild. +Die Dichtkunst ist die stille Biene; +Und willst du selbst die Henne sein: +So trifft die Fabel völlig ein. +Du fragst, was nützt die Poesie? +Sie lehrt und unterrichtet nie. +Allein wie kannst du doch so fragen? +Du siehst an dir, wozu sie nützt: +Dem, der nicht viel Verstand besitzt, +Die Wahrheit, durch ein Bild, zu sagen. + + + + +Die Ente + +Die Ente schwamm auf einer Pfütze, +Und sah am Rande Gänse gehn, +Und konnt aus angebornem Witze +Der Spötterei unmöglich widerstehn. +Sie hob den Hals empor, und lachte dreimal laut, +Und sah um sich, so wie ein Witzling um sich schaut, +Der einen Einfall hat, und mit Geschrei und Lachen +So glücklich ist, ihm Luft zu machen. +Die Ente lachte noch, und eine Gans blieb stehn. +"Was", sprach sie, "hast du uns zu sagen?" +"Ach nichts! Ich hab euch zugesehn, +Ihr könnt vortrefflich auswärts gehn. +Wie lange tanzt ihr schon? Das wollt ich euch nur fragen." +"Das", sprach die Gans, "will ich dir gerne sagen; +Allein du mußt mit mir spazierengehn." + +---- + +Ihr Kleinen, die ihr stets so gern auf Größre schmähet, +An ihnen tausend Fehler sehet, +Die ihr an euch doch nie entdeckt; +Glaubt, daß an euch der Sumpf, in dem ihr euch so blähet, +Dieselben Fehler auch versteckt. +Und sollen sie der Welt, wie euch, unsichtbar bleiben: +So laßt euch nicht daraus vertreiben! + + + + +Die Fliege + +Daß alle Tiere denken können, +Dies scheint mir ausgemacht zu sein. +Ein Mann, den auch die Kinder witzig nennen, +Aesopus hats gesagt, Fontaine stimmt mit ein. +Wer wird auch so mißgünstig sein, +Und Tieren nicht dies kleine Glücke gönnen, +Aus dem die Welt so wenig macht? +Denk oder denke nicht, darauf gibt niemand acht. + +---- + +In einem Tempel voller Pracht, +Aus dem die Kunst mit ewgem Stolze blickte, +Dich schnell zum Beifall zwang, und gleich dafür entzückte, +Und wenn sie dich durch Schmuck bestürzt gemacht, +Mit edler Einfalt schon dich wieder zu dir brachte; +In diesem Bau voll Ordnung und voll Pracht +Saß eine finstre Flieg auf einem Stein und dachte. +Denn daß die Fliegen stets aus finstern Augen sehn, +Und oft den Kopf mit einem Beine halten, +Und oft die flache Stirne falten, +Kömmt bloß daher, weil sie soviel verstehn, +Und auf den Grund der Sachen gehn. +So saß auch hier die weise Fliege. +Ein halbes Dutzend ernste Züge +Verfinsterten ihr Angesicht. +Sie denkt tiefsinnig nach und spricht: +"Woher ist dies Gebäud entstanden? +Ist außer ihm wohl jemand noch vorhanden, +Der es gemacht? Ich sehs nicht ein. +Wer sollte dieser Jemand sein?" +"Die Kunst", sprach die bejahrte Spinne, +"Hat diesen Tempel aufgebaut. +Wohin auch nur dein blödes Auge schaut, +Wird es Gesetz und Ordnung inne, +Und dies beweist, daß ihn die Kunst gebaut." +Hier lachte meine Fliege laut. +"Die Kunst?" sprach sie ganz höhnisch zu der Spinne. +"Was ist die Kunst? Ich sinn und sinne, +Und sehe nichts, als ein Gedicht. +Was ist sie denn? Durch wen ist sie vorhanden? +Nein, dieses Märchen glaub ich nicht. +Lern es von mir, wie dieser Bau entstanden: +Es kamen einst von ungefähr +Viel Steinchen einer Art hieher, +Und fingen an, zusammen sich zu schicken. +Daraus entstand der große hohle Stein, +In welchem wir uns beid erblicken. +Kann was begreiflicher als diese Meinung sein?" + +---- + +Der Fliege können wir ein solch System vergeben; +Allein daß große Geister leben, +Die einer ordnungsvollen Welt +Ein Ungefähr zum Ursprung geben, +Und lieber zufallsweise leben, +Als einen Gott zum Thron erheben, +Das kann man ihnen nicht vergeben, +Wenn man sie nicht für Narren hält. + + + + +Die Frau und der Geist + +Vordem, da noch um Mitternacht, +Den armen Sterblichen zu dienen, +Die Geister dann und wann erschienen, +Ließ sich ein Geist, in einer weißen Tracht, +Vor einer Frau im Bette sehen, +Und hieß sie freundlich mit sich gehen, +Und ging mit ihr auf einen wüsten Platz. +"Frau", sprach der Geist, "hier liegt ein großer Schatz; +Nimm gleich dein Halstuch ab, und wirf es auf den Platz, +Und morgen, um die zwölfte Stunde, +Komm her, dann findest du ein Licht, +Dem grabe nach, doch rede nicht; +Denn geht ein Wort aus deinem Munde: +So wird der Schatz verschwunden sein!" +Die Frau fand, zur gesetzten Stunde, +Die Nacht darauf sich mit dem Grabscheit ein. +Nun, die muß recht beherzt gewesen ein! +Ich fände mich gewiß nicht ein, +Und sollt ich zwanzig Schätze heben. +Wer stünde mir denn für mein Leben? +Die Nacht ist keines Menschen Freund. +Und wenns der Geist recht ehrlich mit mir meint: +So kann er mir den Schatz ja auf der Stube geben. + +Die Frau verschlug das nichts. Sie eilt, den Schatz zu heben. +Frau, spricht sie bei sich selbst, beileibe sprich kein Wort, +Sonst rückt der Schatz auf ewig fort. +Sie hält, was sie sich vorgenommen. +Sie schweigt und gräbt getrost.--Ha, ha, nun klingt es hohl, +Nun wird der rechte Fleck bald kommen. +Hier liegt der Schatz, das dacht ich wohl. +O seht, ein großer Topf von lauter Golde voll! +O wenn sie doch dasmal nicht redte, +Und zu dem schweren Topf gleich einen Träger hätte! +Ist denn ihr Geist nicht etwan auf dem Platz? +Er kömmt und hilft den Topf ihr aus der Erde nehmen. +"Ach", rief sie schnell, "ich muß mich schämen, +Sie zu bemühn"--Weg war der Schatz! + + + + + +Die Geschichte von dem Hute +Das erste Buch + +Der erste, der mit kluger Hand, +Der Männer Schmuck, den Hut, erfand, +Trug seinen Hut unaufgeschlagen; +Die Krempen hingen flach herab, +Und dennoch wußt er ihn zu tragen, +Daß ihm der Hut ein Ansehn gab. +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den runden Hut dem nächsten Erben. + +Der Erbe weiß den runden Hut +Nicht recht gemächlich anzugreifen; +Er sinnt, und wagt es kurz und gut, +Er wagts, zwo Krempen aufzusteifen. +Drauf läßt er sich dem Volke sehn; +Das Volk bleibt vor Verwundrung stehn, +Und schreit: Nun läßt der Hut erst schön! + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den aufgesteiften Hut dem Erben. + +Der Erbe nimmt den Hut und schmält. +Ich, spricht er, sehe wohl, was fehlt. +Er setzt darauf mit weisem Mute +Die dritte Krempe zu dem Hute. +O, rief das Volk, der hat Verstand! +Seht, was ein Sterblicher erfand! +Er, er erhöht sein Vaterland. + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den dreifach spitzen Hut dem Erben. + +Der Hut war freilich nicht mehr rein; +Doch sagt, wie konnt es anders sein? +Er ging schon durch die vierten Hände. +Der Erbe färbt ihn schwarz, damit er was erfände. +Beglückter Einfall! rief die Stadt, +So weit sah keiner noch, als der gesehen hat. +Ein weißer Hut ließ lächerlich. +Schwarz, Brüder, schwarz! so schickt es sich. + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den schwarzen Hut dem nächsten Erben. + +Der Erbe trägt ihn in sein Haus, +Und sieht, er ist sehr abgetragen; +Er sinnt, und sinnt das Kunststück aus, +Ihn über einen Stock zu schlagen. +Durch heiße Bürsten wird er rein; +Er faßt ihn gar mit Schnüren ein. +Nun geht er aus, und alle schreien: +Was sehn wir? Sind es Zaubereien? +Ein neuer Hut! O glücklich Land, +Wo Wahn und Finsternis verschwinden! +Mehr kann kein Sterblicher erfinden, +Als dieser große Geist erfand. + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den umgewandten Hut dem Erben. +Erfindung macht die Künstler groß, +Und bei der Nachwelt unvergessen; +Der Erbe reißt die Schnüre los, +Umzieht den Hut mit goldnen Dressen, +Verherrlicht ihn durch einen Knopf, +Und drückt ihn seitwärts auf den Kopf. +Ihn sieht das Volk, und taumelt vor Vergnügen. +Nun ist die Kunst erst hoch gestiegen! +Ihm, schrie es, ihm allein ist Witz und Geist verliehn! +Nichts sind die andern gegen ihn! + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den eingefaßten Hut dem Erben. +Und jedesmal ward die erfundne Tracht +Im ganzen Lande nachgemacht. + + +Ende des ersten Buchs. + +Was mit dem Hute sich noch ferner zugetragen, +Will ich im zweiten Buche sagen. +Der Erbe ließ ihm nie die vorige Gestalt. +Das Außenwerk ward neu, er selbst, der Hut, blieb alt. +Und, daß ichs kurz zusammenzieh, +Es ging dem Hute fast, wie der Philosophie. + + + + +Die glückliche Ehe + +Gedankt sei es dem Gott der Ehen! +Was ich gewünscht, hab ich gesehen: +Ich sah ein recht zufriednes Paar; +Ein Paar, das ohne Gram und Reue, +Bei gleicher Lieb und gleicher Treue, +In kluger Ehe glücklich war. +Ein Wille lenkte hier zwo Seelen. +Was sie gewählt, pflegt er zu wählen, +Was er verwarf, verwarf auch sie. +Ein Fall, wo andre sich betrübten, +Stört ihre Ruhe nie. Sie liebten, +Und fühlten nicht des Lebens Müh. + +Da ihn kein Eigensinn verführte, +Und sie kein eitler Stolz regierte: +So herrschte weder sie noch er, +Sie herrschten; aber bloß mit Bitten. +Sie stritten; aber wenn sie stritten, +Kam bloß ihr Streit aus Eintracht her. + +So wie wir, eh wir uns vermählen, +Uns unsre Fehler klug verhehlen, +Uns falsch aus Liebe hintergehn: +So ließen sie auch in den Zeiten +Der zärtlichsten Vertraulichkeiten +Sich nie die kleinsten Fehler sehn. + +Der letzte Tag in ihrem Bunde, +Der letzte Kuß von ihrem Munde +Nahm, wie der erste, sie noch ein. +Sie starben. Wenn?--Wie kannst du fragen? +Acht Tage nach den Hochzeitstagen; +Sonst würden dies nur Fabeln sein. + + + + + +Die Guttat + +Wie rühmlich ists, von seinen Schätzen +Ein Pfleger der Bedrängten sein! +Und lieber minder sich ergetzen, +Als arme Brüder nicht erfreun. +Beaten fiel heut ein Vermögen. +Von Tonnen Golds durch Erbschaft zu. +"Nun", sprach sie, "hab ich einen Segen, +Von dem ich Armen Gutes tu." + +Sie sprachs. Gleich schlich zu seinem Glücke +Ein siecher Alter vor ihr Haus, +Und bat, gekrümmt auf seiner Krücke, +Sich eine kleine Wohltat aus. + +Sie ward durchdrungen von Erbarmen, +Und fühlte recht des Armen Not. +Sie weinte, ging und gab dem Armen +Ein großes Stück verschimmelt Brot. + + + + + +Die junge Ente + +Die Henne führt der Jungen Schar, +Worunter auch ein Entchen war, +Das sie zugleich mit ausgebrütet. +Der Zug soll in den Garten gehn; +Die Alte gibts der Brut durch Locken zu verstehn; +Und jedes folgt, sobald sie nur gebietet, +Denn sie gebot mit Zärtlichkeit. +Die Ente wackelt mit; allein nicht gar zu weit. +Sie sieht den Teich, den sie noch nicht gesehen, +Sie läuft hinein, sie badet sich. +Wie, kleines Tier! Du schwimmst? Wer lehrt es dich? +Wer hieß dich in das Wasser gehen? +Wirst du so jung das Schwimmen schon verstehen? + +Die Henne läuft mit strupfichtem Gefieder +Das Ufer zehnmal auf und nieder, +Und will ihr Kind aus der Gefahr befrein; +Setzt zehnmal an, und fliegt doch nicht hinein; +Denn die Natur heißt sie das Wasser scheun. +Doch nichts erschreckt den Mut der Ente; +Sie schwimmt beherzt in ihrem Elemente, +Und fragt die Henne ganz erfreut, +Warum sie denn so ängstlich schreit? + +---- + +Was dir Entsetzen bringt, bringt jenem oft Vergnügen; +Der kann mit Lust zu Felde liegen, +Und dich erschreckt der bloße Name, Held. +Der schwimmt beherzt auf offnen Meeren; +Du zitterst schon auf angebundnen Fähren, +Und siehst den Untergang der Welt. +Befürchte nichts vor dessen Leben, +Der kühne Taten unternimmt. +Wen die Natur zu der Gefahr bestimmt, +Dem hat sie auch den Mut zu der Gefahr gegeben. + + + + +Die kranke Frau + +Wer kennt die Zahl von so viel bösen Dingen, +Die uns um die Gesundheit bringen! +Doch nötig ists, daß man sie kennenlernt. +Je mehr wir solcher Quellen wissen, +Woraus Gefahr und Unheil fließen; +Um desto leichter wird das Übel selbst entfernt + +---- + +Des Mannes teurer Zeitvertreib, +Sulpitia, ein junges schönes Weib, +Ging munter zum Besuch, krank aber kam sie wieder, +Und fiel halbtot aufs Ruhebette nieder. +Sie röchelt. Wie? Vergißt ihr Blut den Lauf? +Geschwind löst ihr die Schnürbrust auf! +Geschwind! Doch läßt sich dies erzwingen? +Sechs Hände waren zwar bereit; +Doch eine Frau aus ihrem Staat zu bringen, +Wieviel erfordert dies nicht Zeit! +Der arme Mann schwimmt ganz in Tränen; +Mit Recht bestürzt ihn diese Not. +Zu früh ists, nach der Gattin Tod +Im ersten Jahre sich zu sehnen. +Er schickt nach einem Arzt. Ein junger Äskulap +Erscheint sogleich in vollem Trab, +Und setzt sich vor das Krankenbette, +Vor dem er sich so eine Miene gab, +Als ob er für den Tod ein sichres Mittel hätte. +Er fragt den Puls, und da er ihn gefragt, +Schlägt er im Geiste nach, was sein Rezeptbuch sagt, +Und läßt, die Krankheit zu verdrängen, +Sich eilends Dint und Feder bringen. + +Er schreibt. Der Diener läuft. Indessen ruft der Mann +Den so erfahrnen Arzt beiseite, +Und fragt, was doch der Zufall wohl bedeute? +Der Doktor sieht ihn lächelnd an: +"Sie fragen mich, was es bedeuten kann? +Das brauch ich Ihnen nicht zu sagen; +Sie wissen schon, es zeigt viel Gutes an, +Wenn sich die jungen Weiber klagen." + +Den Mann erfreut ein solcher Unterricht. +Die Nacht verstreicht, der Trank ist eingenommen; +Allein der teure Trank hilft nicht. +Drum muß der zweite Doktor kommen. + +Er kömmt! Geduld! Nun werden wirs erfahren. +Was ists? Was fehlt der schönen Frau? +Der Doktor sieht es ganz genau, +Daß sich die Blattern offenbaren. + +Sulpitia! Erst sollst du schwanger sein? +Nun sollst du gar die Blattern kriegen? +Ihr Ärzte schweigt, und gebt ihr gar nichts ein, +Denn einer muß sich doch betrügen. +Nein, überlaßt sie der Natur, +Und dem ihr so getreuen Bette; +Gesetzt, daß sie die schlimmste Krankheit hätte: +So ist sie nicht so schlimm, als eure Kur. + +Geduld! Vielleicht genest sie heute. +Der Mann kömmt nicht von ihrer Seite, +Und eh die Stunde halb verfließt, +Fragt er sie hundertmal, obs noch nicht besser ist? +Ach ungestümer Mann, du nötigst sie zum Sprechen. +Wie? Wird sie nicht das Reden schwächen? +Sie spricht ja mit gebrochnem Ton, +Und an der Sprache hörst du schon, +Daß sich die Schmerzen stets vergrößern. +Bald wird es sich mit deiner Gattin bessern! +Der Tod, der Tod dringt schon herein, +Sie von der Marter zu befrein. + +Wer pocht? Es wird der Doktor sein; +Doch nein, der Schneider kömmt, und bringt ein Kleid getragen. +Sulpitia fängt an, die Augen aufzuschlagen. +"Er kömmt", so stammelt sie. "Er kömmt zu rechter Zeit; +Ist dies vielleicht mein Sterbekleid? +Ja, wie Er sieht, so werd ich bald erblassen; +Doch hätte mich der Himmel leben lassen: +So hätt ich mir ein solches Kleid bestellt, +Von solchem Stoff, als Er, Er wirds schon wissen, +Für meine Freundin machen müssen; +Es ist nichts Schöners auf der Welt. +Als ich zuletzt Besuch gegeben: +So trug sie dieses neue Kleid; +Doch geh Er nur. O kurzes Leben! +Es ist doch alles Eitelkeit!" + +O fasse dich, betrübter Mann! +Du hörst ja, daß dein Weib noch ziemlich reden kann. +O laß die Hoffnung nicht verschwinden! +Der Atem wird sich wieder finden. + +Der Schneider geht, der Mann begleitet ihn, +Sie reden heimlich vor der Türe. +Der Schneider tut die größten Schwüre, +Und eilt, die Sache zu vollziehn. + +Noch vor dem Abend kömmt er wieder. +Sulpitia liegt noch danieder, +Und dankt ihm seufzend für den Gruß. +Allein wer sagt, was doch der Schneider bringen muß? +Er hat es in ein Tuch geschlagen, +Er wickelts aus. O welche Seltenheit! +Dies ist der Stoff, dies ist das reiche Kleid. +Allein was soll es ihr? Sie kann es ja nicht tragen. + +"Ach Engel", spricht der Mann bei sanftem Händedrücken, +"Mein ganz Vermögen gäb ich hin, +Könnt ich dich nur gesund in diesem Schmuck erblicken!" +"O", fängt sie an, "so krank ich bin: +So kann ich Ihnen doch, mein Liebster, nichts versagen. +Ich will mich aus dem Bette wagen; +So können Sie noch heute sehn, +Wie mir das neue Kleid wird stehn." + +Man bringt den Schirm, und sie verläßt das Bette, +So schwach, als ob sie schon ein Jahr gelegen hätte. +Man putzt sie an, geputzt trinkt sie Kaffee. +Kein Finger tut ihr weiter weh. +Der Krankheit Grund war bloß ein Kleid gewesen, +Und durch das Kleid muß sie genesen. +So heilt des Schneiders kluge Hand +Ein Übel, das kein Arzt gekannt. + + + + + +Die Mißgeburt + +"Frau Orgon!" rief die Frau Gevatterin, +"Ach wüßten Sie, wo ich gewesen bin! +Ich will es Ihnen wohl entdecken; +Allein Sie müssen nicht erschrecken. +Ich komme gleich von einer Wöchnerin. +Lucinde, daß ichs kurz erzähle, +Lucinde, die so stolze Seele, +Die uns durch ihren Staat so oft beschämt gemacht +Erschrecken Sie nur nicht, hat in vergangner Nacht +Ein Kind (verzeih mirs Gott!) mit langen Hasenohren, +Ein recht abscheulich Kind geboren. +Die stolze Frau! Ich richte nicht; +Allein ich weiß, daß nichts umsonst geschieht. +Lucinde wünscht, daß es verschwiegen bliebe; +Ich wünsch es selbst aus Menschenliebe; +Allein die Stadt erfährts, gedenken Sie an mich. +Indes behalten Sie die Heimlichkeit für sich." +Frau Orgon eilt von ihr erschrocken zu Dorinden. +Sie fragt nach ihrem Wohlbefinden, +Und schmäht mit ihr die Weiber, die gern schmähn. +Wie? Sollte sie Dorinden nichts erzählen? +Nein, denn sie fängt schon an sich bestens zu empfehlen. +Warum muß der Besuch so bald zu Ende gehn? +Vielleicht, weil beide sich von nichts zu reden schämen. +Deswegen? Nein, das glaub ich nicht. +Wie sollten dies sich Weiber übelnehmen? +Da mancher große Mann, gelehrt von Angesicht, +Oft tagelang von nichts mit großen Männern spricht. + +So ist Frau Orgon schon gegangen? +Noch nicht. Nun aber geht sie fort. +Doch seht, sie kehrt sich um: "Frau Schwester, noch ein Wort, +Ein Wort! Es soll mich sehr verlangen, +Ob Sie--? Lucinde--Wie? Sie hätten nichts gehört? +Nichts, Gott vergib mir meine Sünde! +Nichts von der Mißgeburt der kostbaren Lucinde, +Mit welcher sie die Welt beschwert? +Hier sieht man recht die göttlichen Gerichte. +Ein Kind mit härichtem Gesichte, +Das einem Hasen gleicht, und einem Pferdefuß, +Bedenken Sie, wie das erschrecklich lassen muß! +Allein Lucinde wills verhehlen; +Drum sagen Sie nur weiter nichts davon. +Das arme Kind! Es ist ein Sohn." + +Dorinde sagts ihr zu. Und doch soll mirs nicht fehlen, +Sie wird die Neuigkeit, sobald sie kann, erzählen, +Weil jene sie, zu schweigen, bat. +Sie tut es so getreu, als es Frau Orgon tat. +Erst hat das Kind nur Hasenohren, +Frau Orgon schenkt ihm drauf noch einen Pferdefuß; +Allein Dorinden ists noch viel zu schön geboren. +Und weil sie was verbessern muß, +Tut sie dem Kinde den Gefallen +Und macht ihm noch an beide Hände Krallen. + +Eh noch der Nachmittag verstrich, +Ließ das Geheimnis sich auf allen Gassen hören. +Die alten Mütter kreuzten sich, +Und suchten schon recht mütterlich +Durch dieses Zorngericht die Töchter zu bekehren. +Da war kein Mensch, der nicht mit einem Ach +Von diesem Wechselbalge sprach. +Die Knaben stritten selbst mit blutigem Gesichte +Schon für die Wahrheit der Geschichte. + +Sobald als dies der Magistrat erfuhr, +Schickt er den Physikus nach dieser Kreatur. +Er kam neugierig zu Lucinden; +Allein anstatt den Wechselbalg zu finden, +Fand er ein wohlgestaltes Kind, +An dem die Ohren größer waren, +Als sie bei andern Kindern sind. +Das war die Mißgeburt, der man so mitgefahren! + +---- + +Der Dörfer und der Städte Plage, +Verwünscht seist du, gemeine Sage! +Die schnell mit dem, was sie zu wissen kriegt, +Geheimnisvoll in alle Häuser fliegt, +Und, wenn sies dreimal sagt, vom neuen dreimal lügt. +Ein giftig Weib, was kann die nicht erzählen? +Zumal, wenn es der armen Freundin gilt. +Ein giftig Weib--Doch nein, ich mag nicht schmälen; +Mich schreckt die Redekunst, mit der sie andre schilt. + +Die Nachtigall und der Kuckuck + +Die Nachtigall sang einst ihr göttliches Gedicht, +Zu sehn, ob es die Menschen fühlten. +Die Knaben, die im Tale spielten, +Die spielten fort und hörten nicht. +Indem ließ sich der Kuckuck lustig hören, +Und er erhielt ein freudig Ach. +Die Knaben lachten laut, und machten ihm zu Ehren +Das schöne Kuckuck zehnmal nach. +"Hörst du?" sprach er zu Philomelen, +"Den Herren fall ich recht ins Ohr. +Ich denk, es wird mir nicht viel fehlen, +Sie ziehn mein Lied dem deinen vor." +Drauf kam Damöt mit seiner Schöne. +Der Kuckuck schrie sein Lied. Sie gingen stolz vorbei. +Nun sang die Meisterin der zauberischen Töne +Vor dem Damöt und seiner Schöne, +In einer sanften Melodei. +Sie fühlten die Gewalt der Lieder. +Damöt steht still, und Phyllis setzt sich nieder, +Und hört ihr ehrerbietig zu. +Ihr zärtlich Blut fängt an zu wallen; +Ihr Auge läßt vergnügte Zähren fallen. +"O", rief die Nachtigall, "da, Schwätzer, lerne du, +Was man erhält, wenn man den Klugen singt. +Der Ausbruch einer stummen Zähre +Bringt Nachtigallen weit mehr Ehre, +Als dir der laute Beifall bringt." + + + + +Die Nachtigall und die Lerche + +Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst; +Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst, +Die Blätter in den Gipfeln schwiegen, +Und fühlten ein geheim Vergnügen. +Der Vögel Chor vergaß der Ruh, +Und hörte Philomelen zu. +Aurora selbst verzog am Horizonte, +Weil sie die Sängerin nicht gnug bewundern konnte. +Denn auch die Götter rührt der Schall +Der angenehmen Nachtigall; +Und ihr, der Göttin, ihr zu Ehren, +Ließ Philomele sich noch zweimal schöner hören. +Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr, +Und spricht: "Du singst viel reizender als wir; +Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen: +Doch eins gefällt uns nicht an dir, +Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen." +Doch Philomele lacht und spricht: +"Dein bittrer Vorwurf kränkt mich nicht, +Und wird mir ewig Ehre bringen. +Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schön zu singen. +Ich folg im Singen der Natur; +Solange sie gebeut, solange sing ich nur; +Sobald sie nicht gebeut, so hör ich auf zu singen; +Denn die Natur läßt sich nicht zwingen." + +---- + +O Dichter, denkt an Philomelen, +Singt nicht, solang ihr singen wollt. +Natur und Geist, die euch beseelen, +Sind euch nur wenig Jahre hold. +Soll euer Witz die Welt entzücken: +So singt, solang ihr feurig seid, +Und öffnet euch mit Meisterstücken +Den Eingang in die Ewigkeit. +Singt geistreich der Natur zu Ehren, +Und scheint euch die nicht mehr geneigt: +So eilt, um rühmlich aufzuhören, +Eh ihr zu spät mit Schande schweigt. +Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen? +Er bindet sich an keine Zeit. +So fahrt denn fort, noch alt zu singen, +Und singt euch um die Ewigkeit. + + + + +Die Reise + +Einst machte durch sein ganzes Land +Ein König den Befehl bekannt, +Daß jeder, der ein Amt erhalten wollte, +Gewisse Zeit auf Reisen gehen sollte, +Um sich in Künsten umzusehn. +Er ließ genaue Karten stehen, +Und gab dazu noch jedem das Versprechen, +Ihm, würd er nur, soweit er könnte, gehn, +Mit dem Vermögen seiner Schätze +Alsdann auf Reisen beizustehn. +Es war das deutlichste Gesetze, +Das jemals noch die Welt gesehn; +Doch weil die meisten sich vor dieser Reise scheuten: +So sah man viele Dunkelheit. +Die Liebe zu sich selbst, und zur Bequemlichkeit, +Half das Gesetz sehr sinnreich deuten; +Und jeder gab ihm den Verstand, +Den er bequem für seine Neigung fand; +Doch alle waren eins, daß man gehorchen müßte. +Man machte sich die Karten bald bekannt, +Damit man doch der Länder Gegend wüßte. +Sehr viele reisten nur im Geist, +Und überredten sich, als hätten sie gereist. +Noch andre schafften das Geräte +Zu ihrer Reise fleißig an, +Und glaubten, wenn man nur stets reisefertig täte: +So hätte man die Reise schon getan. +Sehr viele fingen an zu eilen, +Als wollten sie die ganze Welt durchgehn; +Sie reisten; aber wenig Meilen, +Und meinten, dem Befehl sei nun genug geschehn. +Noch andre suchten auf den Reisen +Noch mehr Gehorsam zu beweisen, +Als den, den das Gesetz befahl; +Sie reisten nicht durch grüne Felder, +O nein, sie suchten finstre Wälder, +Und reisten unter Furcht und Qual; +Behängten sich mit schweren Bürden, +Und glaubten, wenn sie ausgezehrt, +Und siech und krank zurückekommen würden: +So wären sie des besten Amtes wert; +Sie reisten nie auf Kosten des Regenten; +Doch jene, die zur Zeit noch keinen Schritt getan, +Die hielten Tag für Tag um Reisekosten an, +Damit sie weiterkommen könnten. + +---- + +Wie elend, hör ich manchen klagen, +Ist nicht dies Märchen ausgedacht! +Schämt sich der Dichter nicht, uns Dinge vorzusagen, +Die man kaum Kindern glaublich macht? +Wo gibt es wohl so stumpfe Köpfe, +Als uns der Dichter vorgestellt? +Dies sind unsinnige Geschöpfe, +Und nicht Bewohner unsrer Welt. +O Freund! was zankst du mit dem Dichter? +Sieh doch die meisten Christen an; +Betrachte sie, und dann sei Richter, +Ob dieses Bild unglaublich heißen kann? + + + + +Die schlauen Mädchen + +Zwei Mädchen brachten ihre Tage +Bei einer alten Base zu. +Die Alte hielt zu ihrer Muhmen Plage +Sehr wenig von der Morgenruh. +Kaum krähte noch der Hahn bei frühem Tage: +So rief sie schon: "Steht auf, ihr Mädchen, es ist spät, +Der Hahn hat schon zweimal gekräht." +Die Mädchen, die so gern noch mehr geschlafen hätten, +Denn überhaupt sagt man, daß es kein Mädchen gibt, +Die nicht den Schlaf und ihr Gesichte liebt, +Die wunden sich in ihren weichen Betten, +Und schwuren dem verdammten Hahn +Den Tod, und taten ihm, da sie die Zeit ersahn, +Den ärgsten Tod rachsüchtig an. + +Ich habs gedacht, du guter Hahn! +Erzürnter Schönen ihrer Rache +Kann kein Geschöpf so leicht entfliehn. +Und ihren Zorn sich zuzuziehn, +Ist leider ein leichte Sache. + +Der arme Hahn war also aus der Welt. +Vergebens nur ward von der Alten +Ein scharf Examen angestellt. +Die Mädchen taten fremd, und schalten +Auf den, der diesen Mord getan, +Und weinten endlich mit der Alten +Recht bitterlich um ihren Hahn. + +Allein was halfs den schlauen Kindern? +Der Tod des Hahns sollt ihre Plage mindern, +Und er vermehrte sie noch mehr. +Die Base, die sie sonst nicht eh im Schlafe störte, +Als bis sie ihren Haushahn hörte, +Wußt in der Nacht itzt nicht, um welche Zeit es wär; +Allein weil es ihr Alter mit sich brachte, +Daß sie um Mitternacht erwachte: +So rief sie die auch schon um Mitternacht, +Die, später aufzustehn, den Haushahn umgebracht. + +---- + +Wärst du so klug, die kleinen Plagen +Des Lebens willig auszustehn: +So würdest du dich nicht so oft genötigt sehn, +Die größern Übel zu ertragen. + + + + +Die Spinne + +Hochmütig über ihre Künste, +Warf vom durchsichtigen Gespinste +Die Spinne manchen finstern Blick +Auf einen Seidenwurm zurück; +So aufgebläht, wie ein Pedant, +Der itzt, von seinem Wert erhitzet, +In Werken seiner eignen Hand +Bis an den Bart vergraben sitzet, +Und auf den Schüler, der ihn grüßt, +Den Blick mit halben Augen schießt. +Der Seidenwurm, den erst vor wenig Tagen +Der Herr zur Lust mit sich ins Haus getragen, +Sieht dieser Spinne lange zu, +Und fragt zuletzt: "Was webst denn du?" +"Unwissender!" läßt sich die Spinn erbittert hören, +"Du kannst mich noch durch solche Fragen stören? +Ich webe für die Ewigkeit!" + +Doch kaum erteilet sie den trotzigen Bescheid: +So reißt die Magd, mit Borsten in den Händen, +Von den noch nicht geputzten Wänden +Die Spinne nebst der Ewigkeit. + +---- + +Die Kunst sei noch so groß, die dein Verstand besitzet, +Sie bleibt doch lächerlich, wenn sie der Welt nicht nützet. +Verdient, ruft ein Pedant, mein Fleiß denn keinen Dank? +Nein! Denn er hilft nichts mehr, als andrer Müßiggang. + + + + +Die Verschwiegenheit + +"O Doris, wärst du nur verschwiegen: +So wollt ich dir etwas gestehn; +Ein Glück, ein ungemein Vergnügen-- +Doch nein, ich schweige", sprach Tiren. +"Wie?" rief die schöne Schäferin, +"Du zweifelst noch, ob ich verschwiegen bin? +Du kannst mirs sicher offenbaren; +Ich schwör, es solls kein Mensch erfahren." +"Du kennst", versetzt Tiren, "die spröde Sylvia, +Die schüchtern vor mir floh, sooft sie mich sonst sah. +Ich komme gleich von dieser kleinen Spröden; +Doch, ach, ich darf nicht weiterreden. +Nein, Doris, nein, es geht nicht an; +Es wär um ihre Gunst, und um mein Glück getan, +Wenn Sylvia dereinst erführe, +Daß--Dringe nicht in mich, ich halte meine Schwüre." + +"So liebt sie dich?" fuhr Doris fort. +"Jawohl! Doch sage ich kein Wort. +Ich hab ihr Herz nun völlig eingenommen, +Und itzt von ihr den ersten Kuß bekommen. +›Tiren‹, sprach sie zu mir, ›mein Herz sei ewig dein; +Doch eines bitt ich dich, du mußt verschwiegen sein. +Daß wir uns günstig sind, uns treu und zärtlich küssen, +Braucht niemand auf der Flur als ich und du zu wissen.‹ +Drum bitt ich, Doris, schweige ja, +Sonst flieht und haßt mich Sylvia." + +Die kleine Doris geht. Doch wird auch Doris schweigen? +Ja, die Verschwiegenheit ist allen Schönen eigen. +Gesetzt, daß Doris auch es dem Damöt vertraut; +Was ist es denn nun mehr? Sie sagt es ja nicht laut. + +Ihr Schäfer, ihr Damöt, kömmt ihr verliebt entgegen, +Drückt ihre weiche Hand, und fragt, +Was ihr sein Freund Tiren gesagt? + +"Damöt, du weißt ja wohl, was wir zu reden pflegen, +Du kennst den ehrlichen Tiren; +Es war nichts Wichtiges, sonst würd ich dirs gestehn. +Er sagte mir--Verlang es nicht zu wissen; +Ich hab es ihm versprechen müssen, +Daß ich zeitlebens schweigen will." + +Damöt wird traurig, schweiget still, +Umarmt sein Kind, doch nur mit halbem Feuer. +Die Schäferin erschrickt, daß sie Damötens Kuß +So unvollkommen schmecken muß. +"Du zürnest", ruft sie, "mein Getreuer? +O zürne nicht, ich will es dir gestehn: +Die spröde Sylvia ergibt sich dem Tiren, +Und hat ihm itzt in ihrem Leben +Den allerersten Kuß gegeben; +Allein du mußt verschwiegen sein." + +Damöt versprichts. Kaum ist Damöt allein: +So fühlt er schon die größte Pein, +Sein neu Geheimnis zu bewahren. +"Ja!" fängt Damöt zu singen an: +"Ich will es keinem offenbaren, +Daß Sylvia Tirenen liebt, +Ihm Küsse nimmt, und Küsse gibt; +Du, stummer Busch, nur sollsts erfahren, +Wen Sylvia verstohlen liebt." + +Doch ach! In diesem Busch war unsre Sylvia, +Die sich durch dieses Lied beschämt verraten sah; +Und eine Heimlichkeit so laut erfahren mußte, +Die, ihrer Meinung nach, nur ihr Geliebter wußte. +Sie läuft, und sucht den Schwätzer, den Tiren. +Ach, Schäfer, ach, wie wird dirs gehn! +"Mich", fängt sie an, "so zu betrügen! +Dich, Plaudrer, sollt ich länger lieben?" + +Und kurz: Tiren verliert die schöne Schäferin, +Und kömmt, Damöten anzuklagen. +"Ja", spricht Damöt, "ich muß es selber sagen, +Daß ich nicht wenig strafbar bin; +Allein wie kannst du mich den größten Schwätzer nennen? +Du hast ja selbst nicht schweigen können!" + + + + + +Die Widersprecherin + +Lene hatte noch, bei vielen andern Gaben, +Auch diese, daß sie widersprach. +Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach, +Daß alle diese Tugend haben; +Doch wenns auch tausendmal der ganze Weltkreis spricht: +So halt ichs doch für ein Gedicht, +Und sag es öffentlich, ich glaub es ewig nicht. +Ich bin ja auch mit mancher Frau bekannt, +Ich hab es oft versucht, und manche schön genannt, +So häßlich sie auch war, bloß, weil ich haben wollte, +Daß sie mir widersprechen sollte; +Allein sie widersprach mir nicht. +Und also ist es falsch, daß jede widerspricht. +So kränkt man euch, ihr guten Schönen! +Itzt komm ich wieder zu Ismenen. +Ismenen sagte mans nicht aus Verleumdung nach, +Es war gewiß, sie widersprach: + +Einst saß sie mit dem Mann bei Tische, +Sie äßen unter andern Fische, +Mich deucht, es war ein grüner Hecht. +"Mein Engel", sprach der Mann, "mein Engel, ist mir recht: +So ist der Fisch nicht gar zu blau gesotten." +"Das", rief sie, "habe ich wohl gedacht, +So gut man auch die Anstalt macht: +So finden Sie doch Grund, der armen Frau zu spotten. +Ich sag es Ihnen kurz, der Hecht ist gar zu blau." +"Gut", sprach er, "meine liebe Frau, +Wir wollen nicht darüber streiten, +Was hat die Sache zu bedeuten?" + +So wie dem welschen Hahn, dem man was Rotes zeigt, +Der Zorn den Augenblick in Nas und Lefzen steigt, +Sie rot und blau durchströmt, lang auseinandertreibet, +In beiden Augen blitzt, sich in den Flügeln streibet, +In alle Federn dringt, und sie gen Himmel kehrt, +Und zitternd, mit Geschrei und Poltern, aus ihm fährt: +So schießt Ismenen auch, da dies ihr Liebster spricht, +Das Blut den Augenblick in ihr sonst blaß Gesicht; +Die Adern liefen auf, die Augen wurden enger, +Die Lippen dick und blau, und Kinn und Nase länger, +Ihr Haar bewegte sich, stieg voller Zorn empor, +Und stieß, indem es stieg, das Nachtzeug von dem Ohr. +Drauf fing sie zitternd an: "Ich, Mann! ich, deine Frau, +Ich sag es noch einmal, der Hecht war gar zu blau." +Sie nimmt das Glas und trinkt. O laßt sie doch nicht trinken! + +Ihr Liebster geht, und sagt kein Wort, +Kaum aber ist ihr Liebster fort: +So sieht man sie in Ohnmacht sinken. +Wie konnt es anders sein. Gleich auf den Zorn zu trinken! +Ein plötzliches Geschrei bewegt das ganze Haus, +Man bricht der Frau die Daumen aus; +Man streicht sie kräftig an; kein Balsam will sie stärken. +Man reibt ihr Schlaf und Puls; kein Leben ist zu merken. +Man nimmt vermengtes Haar und hälts ihr vors Gesicht. +Umsonst! Umsonst! Sie riecht es nicht; +Nichts kann den Geist ihr wiedergeben. +Man ruft den Mann, er kömmt, und schreit: "Du stirbst, mein Leben! +Du stirbst? Ich armer Mann! Ach, meine liebe Frau, +Wer hieß mich dir doch widerstreben! +Ach, der verdammte Fisch! Gott weiß, er war nicht blau." +Den Augenblick bekam sie wieder Leben. +"Blau war er", rief sie aus, "willst du dich noch nicht geben?" + +So tat der Geist des Widerspruchs +Mehr Würkung, als die Kraft des heftigsten Geruchs. + + + + + +Die zärtliche Frau + +Wie alt ist nicht der Wahn, wie alt und ungerecht, +Als ob dir, weibliches Geschlecht! +Die Liebe nicht von Herzen ginge? +Das Alter sang in diesem Ton, +Von seinem Vater hörts der Sohn, +Und glaubt die ungereimten Dinge. +Verlaßt, o Männer, diesen Wahn, +Und daß ihr ihn verlaßt, so hört ein Beispiel an, +Das ich für alle Männer singe. +Du aber, die mich dichten heißt, +Du, Liebe, stärke mich, daß mir ein Lied voll Geist, +Ein überzeugend Lied gelinge, +Und gib mir, zu gesetzter Zeit, +Ein Weib von so viel Zärtlichkeit, +Als diese war, die ich besinge! + +---- + +Clarine liebt den treusten Mann, +Den sie nicht besser wünschen kann, +Sie liebt ihn recht von Herzensgrunde. +Und wenn dir dies unglaublich scheint: +So wisse nur, seit der beglückten Stunde, +Die sie mit ihrem Mann vereint, +War noch kein Jahr vorbei; nun glaubst dus doch, mein Freund? +Clarine kannte keine Freude, +Kein größer Glück, als ihren Mann; +Sie liebte, was er liebgewann, +Was eines wollte, wollten beide; +Was ihm mißfiel, mißfiel auch ihr. +O, sprichst du, so ein Weib, so eines wünscht ich mir! +Jawohl! ich wünsch es auch mit dir. +Sei nur recht zärtlich eingenommen; +Ihr Mann wird krank; vielleicht kannst du sie noch bekommen. +Krank, sag ich, wird ihr Mann, und recht gefährlich krank; +Er quält sich viele Tage lang, +Von ganzen Strömen Schweiß war sein Gesicht umflossen; +Doch noch von Tränen mehr, die sie um, ihn vergossen. +"Tod!" fängt sie ganz erbärmlich an, +"Tod wenn ich dich erbitten kann, +Nimm lieber mich, als meinen Mann." +Wenns nun der Tod gehöret hätte? +Jawohl! Er hört es auch; er hört Clarinens Not, +Er kömmt, und fragt: "Wer rief?"--"Hier!" schreit sie, "lieber Tod, +Hier liegt er, hier in diesem Bette!" + + + + + +Elpin + +Ein Großer in Athen, der kein Verdienst besaß, +Als daß er vornehm trank und aß, +Und sein Geschlecht zu rühmen nie vergaß, +Verlangte doch den Ruhm zu haben, +Als hätt er wirklich große Gaben. +Denn mancher, der, wenn ihn nicht die Geburt erhöht, +Da stünde, wo sein Christoph steht, +Und kaum zum Diener tüchtig wäre, +Hält desto mehr auf Ruhm und Ehre, +Je dreister sich sein Herz, trotz seinem Stolz, erkühnt; +Und ihm oft sagt, daß er sie nicht verdient. +In eben dieser Stadt, in der der Große wohnte, +War ein Poet, der die Verdienste pries, +Die Tugend durch sein Lied belohnte, +Und durch sein Lied unsterblich werden hieß; +Den bat Elpin, ihn zu besingen. +"Sie können", sprach der große Mann, +"Durch meinen Namen sich zugleich in Ansehn bringen." + +"Mein Herr,", rief der Poet, "es geht unmöglich an. +Ich hab aus Eigensinn einst ein Gelübd getan, +Nur das Verdienst und nie den Namen zu besingen." + + + + + +Emil + +Emil, der seit geraumer Zeit, +Den Klugen wohl bekannt, bei seinen Büchern lebte, +Und mehr nach der Geschicklichkeit +Zu einem Amt, als nach dem Amte strebte, +Ward einst von einem Freund gefragt, +Warum er denn kein Amt noch hätte, +Da doch die ganze Stadt so rühmlich von ihm redte, +Und mancher sich vor ihm schon in ein Amt gewagt, +Der nicht den zehnten Teil von seinen Gaben hätte? +"Ich", sprach Emil, "will lieber, daß man fragt, +Warum man mich doch ohn ein Amt läßt leben, +Als daß man fragt: warum man mir ein Amt gegeben?" + + + + + +Epiktet + +Verlangst du ein zufriednes Herz: +So lern die Kunst, dich stoisch zu besiegen, +Und glaube fest, daß deine Sinnen trügen. +Der Schmerz ist in der Tat kein Schmerz, +Und das Vergnügen kein Vergnügen. +Sobald du dieses glaubst: so nimmt kein Glück dich ein, +Und du wirst in der größten Pein +Noch allemal zufrieden sein. +Das, sprichst du, kann ich schwer verstehen. +Ist auch die stolze Weisheit wahr? +Du sollst es gleich bewiesen sehen; +Denn Epiktet stellt dir ein Beispiel dar. +Ihn, als er noch ein Sklave war, +Schlug einst sein Herr mit einem starken Stabe +Zweimal sehr heftig auf das Bein. +"Herr", sprach der Philosoph, "ich bitt Ihn, laß Ers sein, +Denn sonst zerschlägt Er mir das Bein." +"Gut, weil ich dirs noch nicht zerschlagen habe: +So soll es", rief der Herr, "denn gleich zerschlagen sein!" +Und drauf zerschlug er ihm das Bein; +Doch Epiktet, anstatt sich zu beklagen, +Fing ruhig an: "Da sieht Ers nun! +Hab ichs Ihm nicht gesagt, Er würde mirs zerschlagen?" + +---- + +Dies, Mensch, kann Zenons Weisheit tun! +Besiege die Natur durch diese starken Gründe. +Und willst du stets zufrieden sein: +So bilde dir erhaben ein, +Lust sei nicht Lust, und Pein nicht Pein. +Allein, sprichst du, wenn ich das Gegenteil empfinde, +Wie kann ich dieser Meinung sein? +Das weiß ich selber nicht; indessen klingts doch fein, +Trotz der Natur sich stets gelassen sein. + + + + +Erast + +Dorant, ein reicher Mann, der weiter keinen Erben, +Als einen Vetter hinterließ, +Der reicher war als er, und keinem Guts erwies, +Dorant beschloß bei seinem Sterben, +An seines Vetters Statt Erasten zu erfreun, +Und setzte diesen Freund, ders würdig war, zum Erben +Von zwanzigtausend Talern ein. +Der Vetter, der die Stadt recht giftig überredte, +Als ob Erast, der so rechtschaffne Mann, +Das Testament erschlichen hätte, +Fing einen Streit um dies Vermögen an, +Und lief, von Neid und Geiz gedrungen, +Mit schrecklichen Beschuldigungen, +Und mit Geschenken vor Gericht; +Allein sooft auch die das Recht erzwungen: +So siegten sie doch diesmal nicht. + +Erast gewann. "Doch dich", spricht er, "zu überführen, +Ob ich das Testament mit List an mich gebracht: +So will ich das, was mir mein Freund vermacht, +Nachdem ich es gewann, verlieren. +Die Hälfte schenk ich dir, um dich zu widerlegen. +Zweitausend Taler sollen mein; +Und das noch übrige Vermögen +Soll ein Geschenk für arme Waisen sein. +Verdien ich noch den schrecklichen Verdacht, +Daß ich das Testament mit List an mich gebracht?" + + + + + +Herodes und Herodias + +Freund, wer ein Laster liebt, der liebt die Laster alle. +Wer ein Gesetz der Tugend übertritt, +Entheiligt in dem einen Falle +Im Herzen auch die andern mit. +O sprichst du, welche Sittenlehre +Gibt euch der Geist der Schwermut ein! +Gesetzt, daß ich der Wollust dienstbar wäre, +Werd ich deswegen wohl der Mordsucht eigen sein? +Ich glaub es, lieber Freund, du wirst es mir verzeihn; +Schrift und Vernunft behaupten diese Lehre. +Der Witz, der dich die Wahrheit lehrt, +Die Hurerei sie kein Verbrechen, +Wird, wenns dein Vorteil nur begehrt, +Das Wort zugleich der Mordsucht sprechen. +Auf einmal wird man nie der größte Bösewicht; +Allein den Grund dazu kann man auf einmal legen. +Verletze nur mit Vorsatz eine Pflicht: +So hast du schon das schreckliche Vermögen, +Wodurch dein Herz die andern bricht. +Warum gehorchst du den Gesetzen? +Weil Gott, der Heilige, der deine Wohlfahrt liebt, +Sie den Vernünftigen zu ihrer Wohlfahrt gibt. +Doch darfst du ein Gebot verletzen: +So schwächst du ja den Grund, auf dem sie alle stehn. +Was kann sich dir denn widersetzen, +Dich nicht an allen zu vergehn? +O merk es doch, noch unschuldsvolle Jugend! +Ich bitte dich, o merk es dir! +Es gibt nicht mehr als eine Tugend, +Und als ein Laster neben ihr. +Hast du den Vorsatz nicht, nach allen heilgen Pflichten, +Dich in und außer dir zu richten: +So prange hier und da mit guter Eigenschaft, +Dein Herz ist doch nicht tugendhaft. +Sooft dus wagst, nur eins von den Gesetzen, +Weil es dein Herz verlangt, mit Vorsatz zu verletzen: +So schwächst du aller Tugend Kraft, +Und bist bei hundert guten Taten, +Die Hoffnung oder Furcht, Ruhm und Natur dir raten, +Vor Gott und der Vernunft doch völlig lasterhaft. + +O Jugend! faß doch diese Lehren, +Itzt ist dein Herz geschickt dazu. +Dem kleinsten Laster vorzuwehren, +Die Tugend ewig zu verehren, +Sei niemand eifriger als du. +Durch sie steigst du zum göttlichen Geschlechte, +Und ohne sie sind Könige nur Knechte. +Sie macht dir erst des Lebens Anmut schön. +Sie wird bei widrigem Geschicke +Dich über dein Geschick erhöhn. +Sie wird im letzten Augenblicke, +Wenn alle traurig von dir gehn, +In himmlischer Gestalt zu deiner Seite stehn, +Und in die Welt der selgen Herrlichkeiten +Den Geist, weil sie ihn liebt, begleiten. +Sie wird dein Schmuck vor jenen Geistern sein, +Die sich schon auf dein Glück und deinen Umgang freun. +O Mensch! ist dir dies Glück zu klein, +Um strenge gegen dich zu sein? + +Nunmehr mag uns ein wahres Beispiel lehren, +Wie alle Laster sich von einem Laster nähren. + +---- + +Herodias, wie uns die Schrift erzählt, +Brach dem die Treu, mit dem sie sich vermählt, +Und hing an seines Bruders Seite +Der Neigung nach, die auch ein Heide scheute; +Und die der Hof, der gern mit Worten spielt, +Für Zärtlichkeit und nicht für Unzucht hielt. +Doch laßt die Schmeichler knechtisch sprechen. +Johannes kömmt an Hof. Kein Thron verblendet ihn, +Von dem das Laster strahlt. Er sieht es, und spricht kühn: +"Du hast des Bruders Weib; dies, Fürst, ist ein Verbrechen." +So redt ein Mann, aus dem der Geist der Tugend spricht. +Zur Niederträchtigkeit reizt ihn der Thron zu wenig. +Er fürchtet Gott mehr als den König, +Und hält den Mut für seine größte Pflicht, +Wenn er zu dessen Ehre spricht, +Von dem mit uns die Könige der Erden +Aus gleichem Staub gebildet werden. + +So dreist sprach Zachariä Sohn; +Allein der Kerker ward sein Lohn. +Ein Widerruf könnt ihn daraus erretten; +Doch nein, ein Tugendfreund liegt lieber frei an Ketten, +Als sklavisch um der Fürsten Thron. +So frei indes Johannes auch gesprochen: +So blieb er doch dem Fürsten wert. +Denn selber der, der jede Pflicht gebrochen, +Wird durch ein Herz gereizt, das Gott und Tugend ehrt; +Ein heimliches Gefühl heißt ihn dies Herz noch lieben, +Und sich, daß ers nicht hat, noch hassen kann, betrüben. + +Und also scheint der Fürst noch tugendhaft zu sein, +Sosehr ihn auch sein Laster eingenommen. +Wenn er unzüchtig ist, ist er drum grausam? Nein; +Doch laßt nur einen Umstand kommen: +So wird ers doch aus Wollust sein. +Kein Laster herrscht jemals allein. +Und du begingst vielleicht, wie er, das größte, +Wärst du zum größten nicht zu klein. + +Der Fürstin Tochter tanzt an einem Freudenfeste. +Der Hof bewundert sie. Herodes wird entzückt, +Und fühlt, indem er sie erblickt, +Der Mutter Blick in ihrer Tochter Blicke. +Er winkt der Salome: "Gebeut itzt deinem Glücke, +Und bitte, was du willst! Für meine Lieb und dich +Ist nichts zu groß, und nichts zu königlich." + +Die Tochter eilt mit frohen Schritten +Zu der Herodias, und fragt: "Was soll ich bitten?" +"Bitt um des Täufers trotzig Haupt!" +O Gott! wer hätte das geglaubt? +Ist für ein weiches Herz, und für verbuhlte Blicke, +Ein blutig Haupt ein reizungsvolles Glücke? +Ein Weib, das sonst die kleinsten Schmerzen scheut, +Findt, da die Wollust ihr gebeut, +Selbst Wollust in der Grausamkeit? +Und lehrt zugleich die Tochter ein Verbrechen? + +Herodes hört den Wunsch, erschrickt und wird betrübt, +Weil er den frommen Täufer liebt; +Allein der Fürstenstolz weist ihn auf sein Versprechen. +Hats nicht der Hof gehört? Bist du nicht Herr und Fürst? +Wird sich Herodias nicht gleich durch Kaltsinn rächen, +Wofern du nicht den Wunsch erfüllen wirst? +Gebeut, sprach seine Brunst, und eilig willigt er +In dieses grausame Vergnügen. +Man bringt des Täufers Haupt auf einer Schüssel her. + +Hier siehst du ja, wie bald nach leichter Gegenwehr +In einem Laster alle siegen! + + + + + +Inkle und Yariko + +Die Liebe zum Gewinst, die uns zuerst gelehrt, +Wie man auf leichtem Holz durch wilde Fluten fährt; +Die uns beherzt gemacht, das liebste Gut, das Leben, +Der ungewissen See auf Brettern preiszugeben; +Die Liebe zum Gewinst, der deutliche Begriff +Von Vorteil und Verlust, trieb Inklen auf ein Schiff. +Er opferte der See die Kräfte seiner Jugend; +Denn Handeln war sein Witz, und Rechnen seine Tugend. +Ihn lockt das reiche Land, das wir durchs Schwert bekehrt, +Das wir das Christentum und unsern Geiz gelehrt. +Er sieht Amerika; doch nah an diesem Lande +Zerreißt der Sturm sein Schiff. Zwar glückt es ihm, am Strande +Dem Tode zu entgehn; allein der Wilden Schar +Fiel auf die Briten los; und wer entkommen war, +Den fraß ihr hungrig Schwert. Nur Inkle soll noch leben; +Die Flucht in einen Wald muß ihm Beschirmung geben. +Vom Laufen atemlos, wirft, mit verwirrtem Sinn, +Der Brite sich zuletzt bei einem Baume hin; +Umringt mit naher Furcht und ungewissem Grämen, +Ob Hunger oder Schwert ihm wird das Leben nehmen? + +Ein plötzliches Geräusch erschreckt sein schüchtern Ohr. +Ein wildes Mädchen springt aus dem Gebüsch hervor, +Und sieht mit schnellem Blick den Europäer liegen. +Sie stutzt. Was wird sie tun? Bestürzt zurücke fliegen? +O nein! so streng und deutsch sind wilde Schönen nicht. +Sie sieht den Fremdling an; sein rund und weiß Gesicht, +Sein Kleid, sein lockicht Haar, die Anmut seiner Blicke +Gefällt der Schönen wohl, hält sie mit Lust zurücke. + +Auch Inklen nimmt dies Kind bei wilder Anmut ein. +Unwissend in der Kunst, durch Zwang verstellt zu sein, +Verrät sie durch den Blick die Regung ihrer Triebe; +Ihr Auge sprach von Gunst und bat um Gegenliebe. +Die Indianerin war liebenswert gebaut. +Durch Mienen redt dies Paar, durch Mienen wirds vertraut. +Sie winkt ihm mit der Hand, er folget ihrem Schritte. +Mit Früchten speist sie ihn in einer kleinen Hütte, +Und zeigt ihm einen Quell, vom Durst sich zu befrein. +Durch Lächeln rät sie ihm, getrost und froh zu sein. +Sie sah ihn zehnmal an, und spielt an seinen Haaren, +Und schien verwundrungsvoll, daß sie so lockicht waren. + +Sooft der Morgen kömmt: so machte Yariko +Durch neuen Unterhalt den lieben Fremdling froh, +Und zeigt durch Zärtlichkeit, mit jedem neuen Tage, +Was für ein treues Herz in einer Wilden schlage! +Sie bringt ihm manch Geschenk, und schmückt sein kleines Haus +Mit mancher bunten Haut, mit bunten Federn aus; +Und eine neue Tracht von schönen Muschelschalen +Muß, wenn sie ihn besucht, um ihre Schultern prahlen. +Zur Nachtzeit führt sie ihn zu einem Wasserfall, +Und unter dem Geräusch und Philomelens Schall +Schläft unser Fremdling ein. Aus zärtlichem Erbarmen +Bewacht sie jede Nacht den Freund in ihren Armen. +Wird in Europa wohl ein Herz so edel sein? + +Die Liebe flößt dem Paar bald eine Mundart ein. +Sie unterreden sich durch selbst erfundne Töne. +Kurz, er versteht sein Kind, und ihn versteht die Schöne. +Oft sagt ihr Inkle vor, was seine Vaterstadt +Für süße Lebensart, für Kostbarkeiten hat. +Er wünscht, sie neben sich in London einst zu sehen; +Sie hörts, und zürnet schon, daß es noch nicht geschehen. +Dort, spricht er, kleid ich dich; und zeiget auf sein Kleid; +In lauter bunten Zeug, von größrer Kostbarkeit; +In Häusern, halb von Glas, bespannt mit raschen Pferden, +Sollst du in dieser Stadt bequem getragen werden. + +Vor Freuden weint dies Kind, und sieht, indem sie weint, +Schon nach der offnen See, ob noch kein Schiff erscheint. +Es glückt ihr, was sie wünscht, in kurzem zu entdecken. +Sie sieht ein Schiff am Strand, und läuft mit frohem Schrecken, +Sucht ihren Fremdling auf, vergißt ihr Vaterland +Aus Treue gegen ihn, und eilt, an seiner Hand, +So freudig in die See, als ob das Schiff im Meere, +In das sie steigen will, ein Haus in London wäre. + +Das Schiff setzt seinen Lauf mit gutem Winde fort, +Und fliegt nach Barbados*; doch dieses war der Ort, +Wo Inkle ganz bestürzt sein Schicksal überdachte, +Als schnell in seiner Brust der Kaufmannsgeist erwachte. +Er kam mit leerer Hand aus Indien zurück; +Dies war für seinen Geiz ein trauriges Geschick. +So hab ich, fing er an, um arm zurückzukommen, +Die fürchterliche See, mit Müh und Angst, durchschwommen? +Er stillt in kurzer Zeit den Hunger nach Gewinn, +Und führt Yariko zum Sklavenhändler hin. +Hier wird die Dankbarkeit in Tyrannei verwandelt, +Und die, die ihn erhielt, zur Sklaverei verhandelt. + +Sie fällt ihm um den Hals, sie fällt vor ihm aufs Knie, +Sie fleht, sie weint, sie schreit. Nichts! Er verkaufet sie. +Mich, die ich schwanger bin, mich! fährt sie fort zu klagen. +Bewegt ihn dies? Ach ja! Sie höher anzuschlagen. +Noch drei Pfund Sterling mehr! Hier, spricht der Brite froh, +Hier, Kaufmann, ist das Weib, sie heißt Yariko! + +---- + +O Inkle! du Barbar, dem keiner gleich gewesen; +O möchte deinen Schimpf ein jeder Weltteil lesen! +Die größte Redlichkeit, die allergrößte Treu +Belohnst du, Bösewicht! noch gar mit Sklaverei? +Ein Mädchen, das für dich ihre eigen Leben wagte, +Das dich dem Tod entriß, und ihrem Volk entsagte, +Mit dir das Meer durchstrich, und, bei der Glieder Reiz, +Das beste Herz besaß, verhandelst du aus Geiz? +Sei stolz! Kein Bösewicht bringt dich um deinen Namen. +Nie wird es möglich sein, dein Laster nachzuahmen. + +* Barbados ist eine von den caribischen Inseln, welche den Engländern +zugehöret. Es wird ein großer Sklavenhandel daselbst getrieben. + + +Lisette + +Ein junges Weib, sie hieß Lisette, +Dies Weibchen lag an Blattern blind. +Nun weiß man wohl, wie junge Weiber sind; +Drum durft ihr Mann nicht von dem Bette, +So gern er sie verlassen hätte: +Denn laßt ein Weib schön wie Cytheren sein, +Wenn sie die Blattern hat: so nimmt sie nicht mehr ein. +Hier sitzt der gute Mann, zu seiner größten Pein, +Und muß des kranken Weibes pflegen, +Ihr Küssen oft zurechtelegen, +Und oft durch ein Gebet um ihre Beßrung flehn; +Und gleichwohl war sie nicht mehr schön. +Ich hätt ihn mögen beten sehn. +Der arme Mann! Ich weiß ihm nicht zu raten. +Vielleicht besinnt er sich, und tut, was andre taten. + +Ein krankes Weib braucht eine Wärterin; +Und Lorchen ward dazu erlesen, +Weil ihr Lisettens Eigensinn +Vor andern längst bekannt gewesen. +Sie trat ihr Amt dienstfertig an, +Und wußte sich in allen Stücken +Gut in, die kranke Frau zu schicken, +Und auch in den gesunden Mann. +Sie war besorgt, gefällig, jung und schön, +Und also ganz geschickt, mit beiden umzugehn. + +Was tut man nicht, um sich von Gram und Pein, +Von Langerweile zu befrein? +Der Mann sieht Lorchen an, und redt mit ihr durch Blicke, +Weil er nicht anders reden darf; +Und jeder Blick, den er auf Lorchen warf, +Kam, wo nicht ganz, doch halb erhört zurücke. +Ach, arme kranke Frau! Es ist dein großes Glücke, +Daß du nicht sehen kannst, dein Mann tut recht galant; +Dein Mann, ich wollte viel drauf wetten, +Hat Lorchen schon vorher gekannt, +Und sie mit Fleiß zur Wärterin ernannt. +Ja, wenn sie bloß durch Blicke redten: +So möcht es endlich wohl noch gehn; +Allein bald wird man sie einander küssen sehn. +Er kömmt, und klopft sie in den Nacken, +Und kneipt sie in die vollen Backen; +Sie wehrt sich ganz bequem, bequem wie eine Braut, +Und findet bald für gut, sich weiter nicht zu wehren. +Sie küssen sich recht zärtlich und vertraut; +Allein sie küßten gar zu laut. +Wie konnt es anders sein? Lisette mußt es hören. +Sie hörts, und fragt: "Was schallt so hell?" +"Madam, Madam!" ruft Lorchen schnell, +"Es ist Ihr Herr, er ächzt vor großem Schmerz, +Und will sich nicht zufriedengeben." +"Ach", spricht sie, "lieber Mann, wie redlich meints dein Herz! +O gräme dich doch nicht! Ich bin ja noch am Leben." + + + + + +Monime + +Durch schöner Glieder Reiz, durch Schönheit des Verstands +Erwarb Monime sich den Beifall Griechenlands; +So manches Buhlers Herz besiegten ihre Blicke; +Mit Wollust sah er sie, beschämt wich er zurücke, +Denn war Monime schön: so war ihr Herz zugleich +An Unschuld, wie ihr Blick an Geist und Feuer, reich. +Die Tugend, die dem Wunsch erhitzter Buhler wehrte, +Trieb selbst den Buhler an, daß er sie mehr verehrte. +Arm war sie von Geburt, und zart von Leidenschaft, +Mit Schmeichlern stets umringt; und blieb doch tugendhaft? +Doch bringt Geschenke her! Der Diamanten Flehen, +Des Golds Beredsamkeit wird sie nicht widerstehen. +Ein Prinz aus Pontus ists, der großer Mithridat, +Der mit entbrannter Brust sich zu Monimen naht; +Ein König seufzt und fleht. Zu schmeichelnde Gedanken! +Wird nicht bei diesem Glück Monimens Tugend wanken? + +"Prinz", fing sie herzhaft an, "du scheinst durch mich gerührt, +Und rühmst den kleinen Reiz, der meine Bildung ziert; +Ich danke der Natur für diesen Schmuck der Jugend; +Die Schönheit gab sie mir, und ich gab mir die Tugend. +Nicht jene macht mich stolz, nein, diese macht mich kühn; +Sei tausendmal ein Prinz: umsonst ist dein Bemühn! +Ich mehre nie die Zahl erkaufter Buhlerinnen, +Nur als Gemahl wirst du Monimens Herz gewinnen." + +So unbeweglich blieb ihr tugendhafter Sinn. +Der Prinz, des Prinzen Flehn, der prächtigste Gewinn, +Des Hofes Kunst und List, nichts konnte sie bezwingen. +Der Prinz muß für ihr Herz ihr selbst die Krone bringen. + +O welch ein seltnes Glück, von niederm Blut entstehn, +Und aus dem Staube sich bis zu dem Thron erhöhn! +Wie lange, großes Glück! wirst du ihr Herz vergnügen? +Wie lange? + +Mithridat hofft Rom noch zu besiegen; +Verläßt Monimens Arm, um in den Krieg zu ziehn. +Doch der, der siegen will, fängt an, besiegt zu fliehn; +Rom setzt ihm siegreich nach, sein Land wird eingenommen. +Doch soll das stolze Rom Monimen nicht bekommen, +Eh dies der Prinz erlaubt, befielt er ihren Tod. +Ein Sklav eröffnet ihr, was Mithridat gebot. + +"So", ruft sie, "raubt mir auch die Hoheit noch das Leben? +Die für entrißne Ruh mir einen Thron gegeben, +Auf dem ich ungeliebt, durch Reue mich gequält, +Daß ich den Niedrigsten mir nicht zum Mann erwählt?" +Sie reißt den Hauptschmuck ab, um stolz sich umzubringen, +Und eilt, ihr Diadem sich um den Hals zu schlingen; +Allein das schwache Band erfüllt ihr Wünschen nicht, +Es reißt, und weigert sich der so betrübten Pflicht. +"O", ruft sie, "Schmuck! den ich zu meiner Pein getragen, +Sogar den schlimmsten Dienst will du mir noch versagen?" +Sie wirft ihn vor sich hin, tritt voller Wut darauf, +Und gibt durch einen Dolch alsbald ihr Leben auf. + + + + + +Philinde + +Philinde blieb oft vor dem Spiegel stehn; +Denn alles kann man fast den Schönen, +Nur nicht den Trieb, sich selber gern zu sehn, +Und zu bewundern, abgewöhnen. +Dies ist der Ton, aus dem die Männer schmähn; +Doch, Mädchen, bleibet nur vor euren Spiegeln stehn. +Ich laß es herzlich gern geschehn. +Was wolltet ihr auch sonst wohl machen? +Beständig tändeln, ewig lachen? +Und stets nach den Verehrern sehn? +Dies wäre ja nicht auszustehn. +Genug, das schöne Kind, von der ich erst erzählte, +Bespiegelte sich oft, und musterte das Haar, +Und besserte, wo nicht das mindste fehlte. +Ihr Bruder, der ein Autor war, +Sah sie am Spiegel stehn und schmälte. +"Habt Ihr Euch noch nicht satt gesehn? +Ich geh es zu, Ihr seid sehr schön; +Doch sein Gesicht die ganze Zeit besehn, +Verrät ein gar zu eitles Wesen." +"Herr Autor", sprach sie, "der Ihr seid, +Hebt mit mir auf; denn sich gern selber lesen, +Und gern im Spiegel sehn, ist beides Eitelkeit." + + + + + +Selinde + +Das schönste Kind zu ihren Zeiten, +Selinde, reich an Lieblichkeiten, +Schön, wenn ich also sagen mag, +Schön, wie das Morgenrot, und heiter, wie der Tag; +Selinde soll sich malen lassen. +Sie weigert sich; der Maler ließ nicht nach; +Er bat, bis sie es ihm versprach, +Und schwur, sie recht getreu zu fassen. +Sie fragt, wieviel man ihm bezahlt? +Ich hätte sie umsonst gemalt, +Und hätt ich ja was fordern sollen: +So hätt ich Küsse fordern wollen. +So schön Selinde wirklich war, +So schön, und schöner nicht, stellt sie der Maler dar; +Die kleinste Miene muß ihm glücken, +Das Bild war treu, und schön bis zum Entzücken; +So reizend, daß es selbst der Maler hurtig küßt, +Sobald sein Weib nicht um ihn ist. + +Der Maler bringt sein göttliches Gesicht. +Selinde sieht es an, erschrickt, und legt es nieder. +"Hier nehm er sein Gemälde wieder, +Er irrt, mein Freund, das bin ich nicht. +Wer hieß ihn so viel Schmeicheleien, +Uns so viel Reiz auf meine Bildung streuen? +Erdichtet ist der Mund, verschönert ist das Kinn. +Kurz, nehm er nur sein Bildnis hin; +Ich mag nicht schöner sein, als ich in Wahrheit bin. +Vielleicht wollt er die Venus malen: +Von dieser laß er sich bezahlen." + +So ist sie denn allein das Kind, +Das schön ist, ohn es sein zu wollen? +Wie viele kenn ich nicht, die wirklich häßlich sind, +Und die wir mit Gewalt für englisch halten sollen. + +Der Maler nimmt sein Bild, und sagt kein einzig Wort, +Geht trotzig, wie ein Künstler, fort. +Was wird er tun? Er wird es doch nicht wagen, +Und so ein schönes Kind verklagen? + +Er klagt. Selinde muß sich stellen. +Die Väter werden doch ein gütig Urteil fällen! +O fahrt sie nicht gebietrisch an; +So sehr sie unrecht hat, so edel ist ihr Wahn. + +Hier kömmt sie schon, hier kömmt Selinde! +Wer hat mehr Anmut noch gesehen? +Der ganze Rat erstaunt vor diesem schönen Kinde, +Und sein Erstaunen preist sie schön. +Und jeder Greis in dem Gerichte +Verliert die Runzeln vom Gesichte; +Man sah aufs Bild; doch jedesmal +Noch längre Zeit auf das Original; +Und jeder rief: "Sie ist getroffen!" +"O", sprach sie ganz beschämt, "wie könnt ich dieses hoffen! +Er hat mich viel zu schön gemalt, +Und Schmeichler werden nicht bezahlt." + +"Selinde", hub der Richter an, +"Kein Maler konnt Euch treuer malen. +Er hat nach seiner Pflicht getan, +Abbittend sollt Ihr ihn bezahlen; +Doch weil Ihr von Euch selbst nicht eingenommen seid: +So geht nicht unbelohnt von diesem Richterplatze; +Empfangt ein Heiratsgut aus dem gemeinen Schatze, +Zum Lohne der Bescheidenheit." + +O weiser Mann, der dieses spricht! +Gerechter ist kein Spruch zu finden. +Du, du verdienst ein ewig Lobgedicht, +Und wärst du jung, verdientest du Selinden. +Selinde geht. Der Beifall folgt ihr nach; +Man sprach von ihr gewiß, wenn man von Schönen sprach; +Je mehr sie zweifelte, ob sie so reizend wäre, +Um desto mehr erhielt sie Ehre. + +---- + +Je minder sich der Kluge selbst gefällt: +Um desto mehr schätzt ihn die Welt. + + + + +Semnon und das Orakel + +Sein künftig Schicksal zu erfahren, +Eilt Semnon voll Begier zum delphischen Altar. +Die Gottheit weigert sich, ihm das zu offenbaren, +Was über ihn verhänget war. +Sie spricht: "Du wirst ein großes Glück genießen; +Doch wirds dein Unglück sein, sobald du es wirst wissen." +Ist Semnons Neugier nun vergnügt? +Nichts weniger! Nur mehr wächst sein Verlangen. +"O Gottheit", fährt er fort, "wenn Bitten dich besiegt: +So laß mich größres Licht von meinem Glück empfangen!" +So traut der Mensch, und traut zugleich auch nicht. +Ein Semnon glaubt sein Glück, nicht, weils die Gottheit saget, +Nein, weil ers schon gewünscht, eh er sie noch gefraget. +Doch glaubt er auch, wenn sie vom Unglück spricht? +O nein! Denn dieses wünscht er nicht. +Durch Klugheit denkt er schon das Unglück abzuwehren. +Kurz, Semnon läßt nicht nach, er will sein Schicksal hören. + +"Du wirst", hub das Orakel an, +"Durch deines Weibes Gunst den Zepter künftig führen, +Und Völker, die dich dienen sahn, +Dereinst durch einen Wink regieren." + +Gestärkt durch dieses Götterwort, +Eilt, der als Pilgrim kam, als Prinz in Hoffnung fort; +Mißt, ohne Land, im Geist schon seines Reiches Größen; +Und läßt schon, ohne Volk, sein Heer das Schwert entblößen. + +Allein so froh er war: so war ers nicht genug; +Er weiß noch nicht, was er doch wissen wollte, +Die Zeit, in der sein Fuß den Thron besteigen sollte; +Die Ungewißheit wars, die ihn noch niederschlug. +"Und", sprach er, "wenn ich auch nun bald den Thron bestiegen, +Wie lange währt alsdann mein königlich Vergnügen?" +Der kühne Zweifel treibt ihn an. +Zum delphischen Apoll sich noch einmal zu nahn. + +"O Tor", versetzt Apoll, "euch Sterblichen zum Glücke, +Verbarg der Götter Schluß die Zukunft eurem Blicke. +So wisse denn: In kurzer Zeit +Schmückt dich des Purpurs Herrlichkeit; +Doch raubt die Hand, die dir den Thron gegeben, +Dir mit dem Throne bald das Leben." + +Er tat darauf im Kriege sich hervor, +Und stieg, aus einem niedern Stande, +Zur höchsten Würd im Vaterlande, +Durch seine Tapferkeit empor. +Das ihm so günstige Geschicke +Erfüllte des Orakels Sinn; +Und Semnon ward, bei immer größerm Glücke, +Der Liebling seiner Königin. +Sie schenkt ihm Herz und Thron; doch ein verborgnes Schrecken +Läßt ihn das Glück der Hoheit wenig schmecken. +Sein reizendes Gemahl, das er halb liebt, halb scheut, +Erfüllt ihn halb mit Frost, und halb mit Zärtlichkeit. +Itzt wünscht er tausendmal, sein Schicksal nicht zu kennen, +Um so für sie, wie sie für ihn, zu brennen. +Sie merkt des Königs spröden Sinn, +Sie zieht ihn in Verdacht mit einer Buhlerin, +Sie gibt ihm heimlich Gift; er stirbt vor ihren Füßen. + +Sagt, Menschen, ists kein Glück, sein Schicksal nicht zu wissen? + + + + + +Till + +Der Narr, dem oft weit minder Witz gefehlt, +Als vielen, die ihn gern belachen, +Und der vielleicht, um andre klug zu machen, +Das Amt des Albernen gewählt +(Wer kennt nicht Tills berühmten Namen?); +Till Eulenspiegel zog einmal +Mit andern über Berg und Tal. +Sooft als sie zu einem Berge kamen, +Ging Till an seinem Wanderstab +Den Berg ganz sacht und ganz betrübt hinab; +Allein wenn sie berganwärts stiegen, +War Eulenspiegel voll Vergnügen. +"Warum", fing einer an, "gehst du bergan so froh? +Bergunter so betrübt?"--"Ich bin", sprach Till, "nun so. +Wenn ich den Berg hinuntergehe: +So denk ich Narr schon an die Höhe, +Die folgen wird, und da vergeht mir denn der Scherz; +Allein wenn ich berganwärts gehe: +So denk ich an das Tal, das folgt, und faß ein Herz." + +---- + +Willst du dich in dem Glück nicht ausgelassen freun, +Im Unglück nicht unmäßig kränken: +So lern so klug wie Eulenspiegel sein, +Im Unglück gern ans Glück, im Glück ans Unglück denken. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Fabeln und Erzählungen, von +Christian Fürchtegott Gellert. + + + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Fabeln und Erzaehlungen, by +Christian Fuerchtegott Gellert + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FABELN UND ERZAEHLUNGEN *** + +***** This file should be named 9335-8.txt or 9335-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/9/3/3/9335/ + +Produced by Delphine Lettau and Gutenberg Projekt-DE +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Fabeln und Erzaehlungen + +Christian Fuerchtegott Gellert + + + +Inhalt (Alphabetisch sortiert): + +Alcest +Amynt +Calliste +Chloris +Cleant +Cotill +Damokles +Damoetas und Phyllis +Das Fuellen +Das Gespenst +Das Heupferd, oder der Grashuepfer +Das Hospital +Das junge Maedchen +Das Kartenhaus +Das Kutschpferd +Das Land der Hinkenden +Das neue Ehepaar +Das Pferd und der Esel +Das Pferd und die Bremse +Das Schicksal +Das Testament +Das Unglueck der Weiber +Das Vermaechtnis +Der Affe +Der arme Greis +Der arme Schiffer +Der Arme und der Reiche +Der baronisierte Buerger +Der Bauer und sein Sohn +Der beherzte Entschluss +Der betruebte Witwer +Der Bettler +Der Blinde und der Lahme +Der erhoerte Liebhaber +Der Freier +Der Freigeist +Der Fuchs und die Elster +Der gluecklich gewordene Ehemann +Der glueckliche Dichter +Der Greis +Der gruene Esel +Der gute Rat +Der guetige Besuch +Der Hund +Der junge Drescher +Der junge Gelehrte +Der junge Prinz +Der Juengling +Der Kandidat +Der Knabe +Der Kranke +Der Kuckuck +Der Luegner +Der Maler +Der Polyhistor +Der Prozess +Der Reisende +Der Schatz +Der Selbstmord +Der sterbende Vater +Der suesse Traum +Der Tanzbaer +Der Tartarfuerst +Der Tod der Fliege und der Muecke +Der unsterbliche Autor +Der Wuchrer +Der wunderbare Traum +Der zaertliche Mann +Der Zeisig +Die Bauern und der Amtmann +Die beiden Hunde +Die beiden Knaben +Die beiden Maedchen +Die beiden Schwalben +Die beiden Waechter +Die Betschwester +Die Biene und die Henne +Die Ente +Die Fliege +Die Frau und der Geist +Die Geschichte von dem Hute +Die glueckliche Ehe +Die Guttat +Die junge Ente +Die kranke Frau +Die Missgeburt +Die Nachtigall und der Kuckuck +Die Nachtigall und die Lerche +Die Reise +Die schlauen Maedchen +Die Spinne +Die Verschwiegenheit +Die Widersprecherin +Die zaertliche Frau +Elpin +Emil +Epiktet +Erast +Herodes und Herodias +Inkle und Yariko +Lisette +Monime +Philinde +Selinde +Semnon und das Orakel +Till + + + + + +Alcest + +Alcest, den mancher Kummer drueckte, +Der, weil er sich nicht zu dem Laster schickte, +Noch sich vor reichen Toren bueckte, +Bei Fleiss und Kunst sich elend sah, +Stund neulich traurig auf. Freund, geht dir dies nicht nah, +Dass viele Kluge darben muessen, +Bloss weil sie mehr als andre wissen, +Und, zu Betrug und List zu blind, +Zu gross zu Prahlerei und Wind, +Nicht knechtisch gnug zu Schmeichlern sind? +O Freund, bedaure doch Alcesten, +Ihn, den itzt schwere Sorgen pressten; +Ihn, der von einem Buch beschaemt zum andern schlich, +Und doch dem Kummer nicht entwich; +Ihn, der sich laut durch manchen Trostgrund lehrte, +Und doch sein Herz viel lauter seufzen hoerte; +Der herzhaft zu sich selber sprach: +Gott lebt, Gott herrscht und hoert dein Ach; +Er hoert, so gross er ist, der jungen Raben Flehen; +Drum ist er nicht zu gross, auch dir mit beizustehen; +Und der, indem er dieses sprach, +Doch noch im Herzen rief: Wie wird dirs kuenftig gehen? + +Der beste Trostgrund blieb noch schwach; +Denn welch bekuemmert Herz besiegt man gleich mit Gruenden? +Es fuehlt der starken Gruende Kraft, +Und flieht zurueck in seine Leidenschaft, +Um jener Macht nicht zu empfinden. +Alcest beschloss zu seinem Freund zu gehn, +Den er zween Tage nicht gesehn. +Er, sprach er, ist es wert, und fing schon an zu gehn, +Dass ich zu ihm mit meinem Kummer eile, +Und meinen Kummer mit ihm teile; +In Damons Arm, wenn Damon mit mir spricht, +Wird die Geduld, die sonst so schwere Pflicht, +Mir lange so beschwerlich nicht. + +Er eilt mit sehnsuchtsvollem Herzen, +Wie nach dem Arzt ein Siecher, der sonst schleicht, +In Hoffnung schneller geht, und hoffend seine Schmerzen +Nicht fuehlt, noch merkt, wie sehr er keucht, +Bis er des Arztes Haus erreicht. + +In diesem brennenden Verlangen, +Den treuen Damon zu umfangen, +Tritt er ins Haus und eilt die Treppe schnell hinauf. +Der Vorsaal wimmelte von Leuten, +Alcest erschrickt. "Gott! was soll das bedeuten?" +Er tritt herein; und seht, man bahrt den Damon auf. + +Er kehrte von dem toten Freunde +Nach einem letzten Kuss zurueck. +Die Sorgen, seiner Ruhe Feinde, +Entwichen in dem Augenblick. +Was, sprach er, will ich mich denn quaelen? +Kann mich der Tod so bald entseelen, +Was nuetzt mir alles Glueck der Welt? +Um froh zu sterben, will ich leben. +Der Herr, der alles Fleisch erhaelt, +Wird mir, soviel ich brauche, geben. +Ihm wert zu sein, der Tugend nachzustreben, +Dies sei mein Kummer auf der Welt! + + + + + +Amynt + +Amynt, der sich in grosser Not befand, +Und, wenn er nicht die Huette meiden wollte, +Die hart verpfaendet war, zehn Taler schaffen sollte, +Bat einen reichen Mann, in dessen Dienst er stand, +Doch dieses Mal sein Herz vor ihm nicht zu verschliessen; +Und ihm zehn Taler vorzuschiessen. +Der Reiche ging des Armen Bitten ein. +Denn gleich aufs erste Wort? Ach nein! +Er liess ihm Zeit, erst Traenen zu vergiessen; +Er liess ihn lange trostlos stehn, +Und oft um Gottes Willen flehn, +Und zweimal nach der Tuere gehn. +Er warf ihm erst mit manchem harten Fluche +Die Armut vor, und schlug hierauf +Ihm in dem dicken Rechnungsbuche +Die Menge boeser Schuldner auf, +Und fuhr ihn, denn dafuer war er ein reicher Mann, +Bei jeder Post gebietrisch schnaubend an. +Dann fing er an sich zu entschliessen, +Dem redlichen Amynt, der ihm die Handschrift gab, +Auf sechs Prozent zehn Taler vorzuschiessen, +Und dies Prozent zog er gleich ab. +Indem dass noch der Reiche zaehlte: +So trat sein Handwerksmann herein +Und bat, weils ihm an Gelde fehlte, +Er sollte doch so guetig sein +Und ihm den kleinen Rest bezahlen. +"Ihr kriegt itzt nichts!" fuhr ihn der Schuldherr an; +Allein der arme Handwerksmann +Bat ihn zu wiederholten Malen, +Ihm die paar Taler auszuzahlen. +Der Reiche, dem der Mann zu lange stehenblieb, +Fuhr endlich auf: "Geht fort, Ihr Schelm, Ihr Dieb!" +"Ein Schelm? Dies waere mir nicht lieb. +Ich werde gehn und Sie verklagen; +Amynt dort hats gehoert."--Und eilends ging der Mann. + +"Amynt!" fing drauf der Wuchrer an, +"Wenn sie Euch vor Gerichte fragen: +So koennt Ihr ja mir zu Gefallen sagen, +Ihr haettet nichts gehoert. Ich will auch dankbar sein; +Und Euch, statt zehn, gleich zwanzig Taler leihn. +Denn diesen Schimpf, den er von mir erlitten, +Ihm auf dem Rathaus abzubitten, +Dies wuerde mir ein ewger Vorwurf sein. +Kurz, wollet Ihr mich nicht, als ein Zeuge, kraenken: +So will ich Euch die zwanzig Taler schenken: +So kommt Ihr gleich aus aller Eurer Not." + +"Herr", sprach Amynt, "ich habe seit zween Tagen +Fuer meine Kinder nicht satt Brot. +Sie werden ueber Hunger klagen, +Sobald sie mich nur wiedersehn. +Es wird mir an die Seele gehn. +Die Schuldner werden mich aus meiner Huette jagen; +Allein ich wills mit Gott ertragen. +Streicht Euer Geld, das Ihr mir bietet, ein, +Und lernt von mir die Pflicht, gewissenhaft zu sein." + + + + + +Calliste + +O Leser! stelle dir mit zaertlichem Gemuete +Einmal die groesste Schoenheit vor, +Auf deren Stirn der Fruehling laechelnd bluehte, +Um deren Herz sich laengst ein edelmuetig Chor +Entzueckter Juenglinge bemuehte, +Die stell itzt deinem Geiste dar, +Und fuehl es recht, wie schoen sie war. +Die, deren Schicksal ich erzaehle, +Calliste, gross durch ihren Stand, +Und edler noch durch ihre Seele, +Liess, weil sie sich nicht wohl befand, +Und weil der Doktor ihr den Aderlass befohlen, +Des Koenigs ersten Wundarzt holen. + +Er, dieser so beruehmte Mann, +Der schmachtend ingeheim Callistens Reiz verehrte, +Weil ihm ihr hoher Stand ein groesser Glueck verwehrte, +Nahm die Gelegenheit mit tausend Freuden an. +Er kam. O waer er nie gekommen! +Er nimmt den weissen Arm, und streift ihn aengstlich auf, +Und forscht, von Lieb und Ahndung eingenommen, +Mit Zittern nach der Adern Lauf, +Und streift in trunkner Angst den Arm noch vielmal auf. + +Callistens Freundin sieht ihn zagen, +Und sagts ihr (heimlich sagt sies ihr). +"O", spricht sie: "Lassen Sie den Herrn nur ruhig schlagen, +Und schlueg er zweimal fehl: so werd ich doch nichts sagen, +Ich weiss, er meint es gut mit mir." +Der Arzt sprach noch: "Das wollen wir nicht hoffen!" +Und schlug, und rief: "O unglueckselger Schlag! +Ich habe ja den Puls getroffen!" +Und taumelte, bis er daniederlag. + +Sie, noch fuer den besorgt (kann man was Edlers denken?), +Der so gefaehrlich sie verletzt, +Verbot ihm oft, sich nicht um sie zu kraenken, +Und blieb zween Tage lang bei allem Schmerz gesetzt. +Doch dies war nur geringes Leiden. +Die Aerzte sahn nunmehr die toedliche Gefahr, +Und wurden grausam eins, den Arm ihr abzuschneiden, +Weil sonsten keine Rettung war. +Und ohne sich darueber zu beklagen, +Reicht sie den Arm, den schoenen Arm, schon dar, +Und bittet nur, den ja um Rat zu fragen, +Der schuld an diesem Unglueck war. + +So ward der Schoenen denn das Leben +Fuer den Verlust des Arms gegeben? +So war das Leben denn fuer so viel Schmerz der Lohn? +Sieh nur den Doktor an, sein Schrecken sagt dirs schon. +Er sieht den Brand, und spricht mit bangem Ton: +"Sie koennen laenger nicht, als noch drei Tage leben!" + +O Gott, wie kurz ist diese Frist! +Ihr Aerzte, helft ihr doch, wenn ihr zu helfen ist! + +Auch hier blieb noch das grosse Herz gelassen. +"So", sprach sie, "sterb ich denn? Wohlan! Er ist nicht schuld, +Er wuerde gern fuer mich erblassen. +Gott hats verhaengt; Gott ehr ich durch Geduld, +Und bin bereit, den Augenblick zu sterben" +(Der Wundarzt trat indem herein); +"Sie aber", fuhr sie fort, "setz ich hiemit zum Erben +Von allen meinen Guetern ein, +Sie moechten sonst ungluecklich sein." +Sie sprachs, und schlief grossmuetig ein. + + + + + +Chloris + +Aus Eifersucht des Lebens satt, +Warf Chloris sich betruebt auf ihre Lagerstatt; +Und ihren Buhler recht zu kraenken, +Der einen Blick nach Sylvien getan, +Rief sie die Venus bruenstig an, +Ihr einen leichten Tod zu schenken. +Vielleicht war dies Gebet so eifrig nicht gemeint. +Verliebt und jung zu sein, und um den Tod zu flehen, +Wem dies nicht widersprechend scheint, +Der muss die Liebe schlecht verstehen. + +Doch mitten in der groessten Pein +Sieht Chloris ihren Freund geputzt ins Zimmer treten, +Und ploetzlich hoert sie auf zu beten, +Und wuenscht nicht mehr entseelt zu sein. +Er sagt ihr tausend Schmeicheleien, +Er seufzt, er fleht, er schwoert, er kuesst. +O Chloris! lass dichs nicht gereuen, +Dass du noch nicht gestorben bist; +Dein Damon schwoert, dich ewig treu zu lieben, +Wie koenntest du ihn doch durch deinen Tod betrueben! + +Der meisten Schoenen Zorn gleicht ihrer Zaertlichkeit, +Sie dauern beide kurze Zeit: +Und Chloris liess sich bald versoehnt von dem umfangen, +Den sie vor kurzem noch des Hasses wuerdig fand. +Sie klopft ihn auf die braunen Wangen, +Und streichelt ihn mit buhlerischer Hand. + +Doch schnell erstarren ihre Haende. +Wie, Venus! Naehert sich ihr Ende? +Sie faellt in sanfter Ohnmacht hin; +Ein kleiner Schnabel wird aus ihrem kleinen Kinn; +Zu Fluegeln werden ihre Haende; +Ihr Busen wird mit einem Kropf verbaut; +Und Federn ueberziehn die Haut. +Ists moeglich, dass ich dieses glaube? +Ja! Chloris wird zu einer Taube. + +Wie zittert ihr Geliebter nicht! +Hier sieht er seine Schoene fliegen. +Sie fliegt ihm dreimal ums Gesicht, +Als wollte sie sich noch durch einen Kuss vergnuegen. +Worzu sie sonst die Neigung angetrieben, +Das scheint sie auch, als Taube, noch zu lieben. + +Das Putzen war ihr Zeitvertreib. +O seht, wie putzt sie ihren Leib! +Sie rupft die Federn aus, um sich recht glatt zu machen; +Sie fliegt ans Waschfass hin, tut, was sie sonst getan; +Faengt Hals und Brust zu baden an. +Wie schoen hoer ich die Taube lachen! +Fragt nicht, was sie zu lachen macht! +Sie hat, als Chloris, schon oft ueber nichts gelacht. + +Itzt naht sie sich dem grossen Spiegel, +Vor dem sie manchen Tag in Mienen sich geuebt, +Besieht den weissen Hals, bewundert ihre Fluegel, +Und faengt schon an, in sich verliebt, +Mit juengferlichem Stolz sich kostbar zu gebaerden. +Ach Goetter! ruft ihr Freund betruebt, +Lasst diese Taube doch zur Chloris wieder werden. + +Umsonst, spricht Venus, ist dein Flehn; +Zur Taube schicket sie sich schoen, +Und niemals werd ich ihr die Menschheit wiedergeben. +Sie hat geseufzt, gebuhlt, gelacht, +Sich stets geputzt, und nie gedacht; +Als Taube kann sie recht nach ihrer Neigung leben. + +O wenn sich nur die Goettin nicht entschliesst, +Die Schoenen alle zu verwandeln, +Die ebenso, wie Chloris, handeln! +Man sagt, dass sie es willens ist. +Ach, Goettin, ach! wie zahlreich wird auf Erden +Alsdann das Volk der Tauben werden! +Mit einer Frau wird man zu Bette gehn, +Und frueh auf seiner Brust ein Taeubchen sitzen sehn. +Mich dauert im voraus manch reizendes Gesicht. +O liebe Venus, tu es nicht! + + + + + +Cleant + +Cleant, ein lieber Advokat, +Der, wie es ihm nach seinem Eid gebuehrte, +Der Unterdrueckten Sache fuehrte, +Und manchen armen Schelm vom Galgen und vom Rad +Durch seinen Witz losprozessierte, +Half, weil man ihn um seinen Beistand bat, +Die Unschuld zweener Diebe retten, +Und brachte sie, weil er geschickt verfuhr, +Bald von der Marter zu dem Schwur, +Und durch den Schwur aus ihren Ketten. +Das arme Volk! Da sieht mans nun, +Wie man der Welt kann Unrecht tun! +Denn waer er nicht so treu die Sache durchgegangen: +So haette man das arme Paar, +Das seiner Tat fast ueberwiesen war, +In aller Unschuld aufgehangen. +Itzt waren sie nun beide frei, +Und dankten ihrem Advokaten +Auf ihren Knien fuer seine Treu, +Und zahlten ihm, was die Gebuehren taten, +Und gaben ihm, von Dankbarkeit geruehrt, +Ob er gleich nicht zu wenig liquidiert, +Noch einen Beutel mit Dukaten; +Und schwuren ihm bei ihrer Ehrlichkeit, +Wenn bessre Zeiten kommen sollten, +Dass sie fuer diesen Dienst, durch den er sie befreit, +Ihn reichlicher belohnen wollten. + +Allein die Nacht war vor der Tuer. +Sie sahn nun, dass sie nicht nach Hause kommen koennten; +Drum gab der Advokat den redlichen Klienten +Aus Dankbarkeit ein Nachtquartier, +Weil sie so gut bezahlet hatten. +Dies kam den Herren gut zustatten; +Denn sie bedienten sich der Nacht, +Und knebelten den lieben Wirt im Bette, +Und stahlen das, was sie gebracht, +Und suchten fleissig nach, ob er nichts weiter haette. +Drauf gingen sie zu ihm vors Bette, +Und nahmen hoeflich gute Nacht. + + + + + +Cotill + +Cotill, der, wie es vielen geht, +Nicht wusste, was er machen sollte, +Und doch nicht muessig bleiben wollte; +Denn muessig gehn, wenn mans nicht recht versteht, +Ist schwerer, als man denken sollte; +Cotill ging also vor die Stadt, +Und machte sich etwas zu schaffen. +Er ging, und schlug im Gehen oft ein Rad. +"O", schrie man, "seht den jungen Laffen, +Der den Verstand verloren hat! +Er macht die Haende gar zu Fuessen. +Ihr Kinder, zischt den Narren aus!" +Allein Cotill liess sich dies alles nicht verdruessen. +Kurz, es gefiel ihm so, er ging vors Tor hinaus. +Man mochte, was man wollte, sagen, +Er fuhr doch fort, im Gehn sein Rad zu schlagen. +"Der Teufel! Seht, das war ein rechtes Rad!" +Fing endlich einer an zu fluchen. +"Ich moecht es doch bald selbst versuchen." +Er sagt es kaum, als ers schon tat. +"Nun", sprach er, "seh ich wohl, wieviel man Vorteil hat. +Es ist ganz huebsch um so ein Rad, +Denn man erspart sich viele Schritte. +Der Mann ist nicht so dumm, der es erfunden hat." +Den Tag darauf kam schon der dritte, +Und tat es nach. Die Zahl vermehrte sich. +In kurzem sprach man schon gelinder; +Man fragte stark nach dem Erfinder, +Und lobt ihn endlich oeffentlich. + +---- + +Nimm alles vor, es sei so toll es will. +Heiss anfangs naerrisch wie Cotill; +Dein Beifall ist drum nicht verloren. +Sei nur beherzt, und spare keinen Fleiss, +Ein Tor findt allemal noch einen groessern Toren, +Der seinen Wert zu schaetzen weiss. + + + + +Damokles + +Gaubt nicht, dass bei dem groessten Gluecke +Ein Wuetrich jemals gluecklich ist. +Er zittert in dem Augenblicke, +Da er der Hoheit Frucht geniesst. +Bei aller Herrlichkeit stoert ihn des Todes Schrecken, +Und laesst ihn nichts, als teures Elend, schmecken. + +---- + +Als den Tyrannen Dionys +Ein Schmeichler einstens gluecklich pries, +Und aus dem Glanz der aeusserlichen Ehre, +Aus reichem Ueberfluss an Volk und Gold erwies, +Dass sein Tyrann unendlich gluecklich waere; +Als dies Damokles einst getan; +Fing Dionys zu diesem Schmeichler an: +"So sehr mein Glueck dich eingenommen, +So kennst du es doch unvollkommen; +Doch schmecktest du es selbst, wie wuerde dichs erfreun! +Willst du einmal an meiner Stelle sein?" +"Von Herzen gern!" faellt ihm Damokles ein. +Ein goldner Stuhl wird schnell fuer ihn herbeigebracht. +Er sitzt, und sieht auf beiden Seiten +Der Hohen groesste Herrlichkeiten, +Die Stolz und Wollust ausgedacht. +Von Purpur prangen alle Waende, +Gold schmueckt die Tafel aus, im Golde perlt der Wein. +Ein Wink! so eilen zwanzig Haende, +Des hohen Winkes wert zu sein. +Ein Wort! so fliegt die Menge schoener Knaben, +Und sucht den Ruhm, dies Wort vollstreckt zu haben. + +Von Wollust suess berauscht, von Herrlichkeit entzueckt, +Schaetzt sich Damokles fuer beglueckt. +"O Hoheit!" ruft er aus, "koennt ich dich ewig schmecken!" +Doch ach! was nimmt er ploetzlich wahr? +Ein scharfes Schwert an einem Pferdehaar, +Das an der Decke haengt, erfuellt sein Herz mit Schrecken; +Er sieht die drohende Gefahr +Nah ueber seinem Haupte schweben. +Der Glueckliche faengt an zu beben; +Er sieht nicht mehr auf seines Zimmers Pracht, +Nicht auf den Wein, der aus dem Golde lacht; +Er langt nicht mehr nach den schmackhaften Speisen, +Er hoert nicht mehr der Saenger sanfte Weisen. +"Ach!" faengt er zitternd an zu schrein, +"Lass mich, o Dionys, nicht laenger gluecklich sein!" + + + + + +Damoetas und Phyllis + +Damoetas war schon lange Zeit +Der jungen Phyllis nachgegangen; +Noch konnte seine Zaertlichkeit +Nicht einen Kuss von ihr erlangen. +Er bat, er gab sich alle Mueh; +Doch seine Sproede hoert ihn nie. +Er sprach: "Zwei Baender geb ich dir. +Auch soll kein Warten mich verdruessen, +Versprich nur, schoene Phyllis, mir, +Mich diesen Sommer noch zu kuessen." +Sie sieht sie an, er hofft sein Glueck, +Sie lobt sie, und gibt sie zurueck. + +Er bot ein Lamm, noch zwei darauf, +Dann zehn, dann alle seine Herden. +So viel? Dies ist ein teurer Kauf. +Nun wird sie doch gewonnen werden. +Doch nichts nahm unsre Phyllis ein; +Mit finstrer Stirne sprach sie: "Nein!" + +"Wie?" rief Damoetas ganz erhitzt, +"So willst du ewig widerstreben? +Gut, ich verbiete dir anitzt, +Mir jemals einen Kuss zu geben." +"O!" rief sie, "fuerchte nichts von mir, +Ich bin dir ewig gut dafuer." + +Die Sproede lacht; der Schaefer geht, +Schleicht ungekuesst zu seinen Schafen. +Am andern Morgen war Damoet +Bei seinen Herden eingeschlafen; +Er schlief, und im Voruebergehn +Blieb Phyllis bei dem Schaefer stehn. + +Wie rot, spricht Phyllis, ist sein Mund! +Bald duerft ich mich zu was entschliessen. +O taete nicht sein boeser Hund, +Ich muesste diesen Schaefer kuessen. +Sie geht, doch da sie gehen will, +So steht sie vor Verlangen still. + +Sie sieht sich dreimal schuechtern um, +Und sucht die Zeugen, die sie scheute; +Sie macht den Hund mit Streicheln stumm, +Und lockt ihn freundlich auf die Seite; +Sie sinnt, bis dass sie, ganz verzagt, +Sich noch zween Schritte naeher wagt. + +Hier steht nunmehr das gute Kind; +Allein sie kann sich nicht entschliessen; +Doch nein, itzt bueckt sie sich geschwind, +Und wagts, Damoeten sanft zu kuessen. +Sie gibt ihm drauf noch einen Blick, +Und kehrt nach ihrer Flur zurueck. + +Wie suesse muss ein Kuss nicht sein! +Denn Phyllis koemmt noch einmal wieder, +Scheint minder sich, als erst, zu scheun, +Und laesst sich bei dem Schaefer nieder; +Sie kuesst, und nimmt sich nicht in acht; +Sie kuesst ihn, und Damoet erwacht. + +"O!" fing Damoet halb schlafend an, +"Missgoennst du mir die sanfte Stunde?" +"Dir", sprach sie, "hab ich nichts getan, +Ich spielte nur mit deinem Hunde; +Und ueberhaupt, es steht nicht fein, +Ein Schaefer und stets schlaefrig sein. + +Jedoch, was gibst du mir, Damoet? +So sollst du mich zum Scherze kuessen." +"Nun", sprach der Schaefer, "ists zu spaet, +Du wirst an mich bezahlen muessen." +Drauf gab die gute Schaeferin +Um einen Kuss zehn Kuesse hin. + + + + + +Das Fuellen + +Ein Fuellen, das die schwere Buerde +Des stolzen Reuters nie gefuehlt, +Den blanken Zaum fuer eine Wuerde +Der zugerittnen Pferde hielt; +Dies Fuellen lief nach allen Pferden, +Worauf es einen Mann erblickt, +Und wuenschte, bald ein Ross zu werden, +Das Sattel, Zaum und Reuter schmueckt. +Wie selten kennt die Ehrbegierde +Das Glueck, das sie zu wuenschen pflegt! +Das Reutzeug, die gewuenschte Zierde, +Wird diesem Fuellen aufgelegt. +Man fuehrt es streichelnd hin und wider, +Dass es den Zwang gewohnen soll; +Stolz geht das Fuellen auf und nieder, +Und stolz gefaellt sichs selber wohl. + +Es kam mit praechtigen Gebaerden +Zurueck in den verlassnen Stand, +Und machte wiehernd allen Pferden +Sein neu erhaltnes Glueck bekannt. +Ach! sprach es zu dem naechsten Gaule, +Mich lobten alle, die mich sahn; +Ein roter Zaum lief aus dem Maule +Die schwarzen Maehnen stolz hinan. + +Allein wie gings am andern Tage? +Das Fuellen kam betruebt zurueck, +Und schwitzend sprach es: Welche Plage +Ist nicht mein eingebildet Glueck! +Zwar dient der Zaum mich auszuputzen; +Doch darum ward er nicht gemacht. +Er ist zu meines Reuters Nutzen +Und meiner Sklaverei erdacht. + +---- + +Was wuenscht man sich bei jungen Tagen? +Ein Glueck, das in die Augen faellt; +Das Glueck, ein praechtig Amt zu tragen, +Das keiner doch zu spaet erhaelt. +Man eilt vergnuegt, es zu erreichen, +Und, seiner Freiheit ungetreu, +Eilt man nach stolzen Ehrenzeichen, +Und desto tiefrer Sklaverei. + + + + +Das Gespenst + +Ein Hauswirt, wie man mir erzaehlt, +Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequaelt. +Er liess, des Geists sich zu erwehren, +Sich heimlich das Verbannen lehren; +Doch kraftlos blieb der Zauberspruch. +Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren, +Und gab, in einem weissen Tuch, +Ihm alle Naechte den Besuch. +Ein Dichter zog in dieses Haus. +Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen, +Bat sich des Dichters Zuspruch aus, +Und liess sich seine Verse lesen. +Der Dichter las ein frostig Trauerspiel, +Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel. + +Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah, +Erschien, und hoerte zu; es fing ihn an zu schauern; +Er konnt es laenger nicht, als einen Auftritt, dauern: +Denn, eh der andre kam, so war er nicht mehr da. +Der Wirt, von Hoffnung eingenommen, +Liess gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen. +Der Dichter las, der Geist erschien; +Doch ohne lange zu verziehn. +Gut! sprach der Wirt bei sich, dich will ich bald verjagen; +Kannst du die Verse nicht vertragen? + +Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein. +Sobald es zwoelfe schlug, liess das Gespenst sich blicken. +Johann! fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein, +Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Guete sein, +Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken. +Der Geist erschrak, und winkte mit der Hand, +Der Diener sollte ja nicht gehen. +Und kurz, der weisse Geist verschwand, +Und liess sich niemals wieder sehen. + +---- + +Ein jeder, der dies Wunder liest, +Zieh sich daraus die gute Lehre, +Dass kein Gedicht so elend ist, +Dass nicht zu etwas nuetzlich waere. +Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut! +So kann uns dies zum grossen Troste dienen. +Gesetzt, dass sie zu unsrer Zeit +Auch legionenweis erschienen: +So wird, um sich von allen zu befrein, +An Versen doch kein Mangel sein. + + + + +Das Heupferd, oder der Grashuepfer + +Ein Wagen Heu, den Veltens Hand +Zu hoch gebaeumt, und schlecht bespannt, +Konnt endlich von den matten Pferden +Nicht weiter fortgezogen werden. +Des Fuhrmanns Macht- und Sittenspruch, +Ein zehnmals wiederholter Fluch, +War eben, wie der Peitsche Schlagen, +Zu schwach bei diesem schweren Wagen. + +Ein Heupferd, das bei der Gefahr +Zuoberst auf dem Wiesbaum war, +Sprang drauf herab, und sprach mit Lachen: +"Ich wills dem Viehe leichter machen." + +Drauf ward der Wagen fortgerueckt. +"Ei", rief das Heupferd ganz entzueckt, +"Du, Fuhrmann, wirst an mich gedenken; +Fahr fort! den Dank will ich dir schenken." + + + + + + +Das Hospital + +Elmire war zur Witwe worden, +Und nahm sich vor, nicht mehr zu frein. +Allein sie war noch jung; was macht man ganz allein? +Ich daechte doch, sie koennte wieder frein. +Der Witwenstand ist ein betruebter Orden. +Elmire sahs und schritt zur zweiten Wahl. +Allein sie war das erste Mal +Nicht gar zu wohl verwahret worden. +Denn leider sind die Zeiten so betruebt, +Dass es viel boese Maenner gibt. +Elmire tat daher ein feierlich Geluebd, +Indem sie sich zur zweiten Ehe schickte: +Sie wollte, wenn es ihr mit ihrem Manne glueckte, +Ein Hospital fuer fromme Maenner baun; +Denn sie war reich. Und kurz, sie liess sich wieder traun. +O welche Lust erfolgt oft nach dem Leide! +Das war ein Mann, ein allerliebster Mann! +Fromm wie ein Kind, gefaellig wie die Freude, +Und der auf nichts, als ihr Vergnuegen sann. +Wie haette sie sich ihn denn besser wuenschen moegen? + +Sie liess geschwind den Grund zum Hospitale legen. +Vier Wochen strichen hin. Nun war der Grund gelegt. +Und bald wird man das erste Stockwerk sehen; +Doch nein, Elmire koemmt, und heisst, vom Zorn bewegt, +Die Maeurer auseinandergehen. +Wie! Sollt es nicht mehr gut in ihrer Ehe stehen? +Das kann nicht moeglich sein, sie sind ja kaum getraut. +Nun kurz und gut, es ward nicht fortgebaut. +Und ungefaehr nach einem halben Jahre +Lag dieser Mann auch auf der Bahre. +Der liebe Mann! + +Die Frau schwoert Stein und Bein, +Ihr lebelang nicht mehr zu frein; +Und doch war sie nach zweiundfunfzig Wochen +(Der Bau muss ja vollendet sein!) +Bereits das dritte Mal versprochen. + +O, das war erst ein wuerdiger Gemahl! +Verstaendig, zaertlich und verbindlich, +Nicht eigensinnig, nicht empfindlich; +Er bat da nur, wo jener mild befahl; +Die Blicke seiner Frau erfuellt er als Befehle. +Kurz, beide waren recht ein Herz und eine Seele. + +Die gute Frau! Ich goenn ihr diesen Mann. +Allein sie wollte doch nicht trauen. +Sie fing nicht gleich, wie ehmals, an zu bauen. +Ich lobe sie darum, und haett es selbst getan. +Der Henker mag den Maennern trauen, +Wenn man so leicht zweimal sich irren kann. + +Sie fand nunmehr nach einem halben Jahre +Den Gatten noch so liebenswert, +Als an dem Tag, da er, gefragt vor dem Altare, +Ihr durch ein seufzend Ja sein zaertlich Herz erklaert. + +Der Bau wird fortgesetzt. Ich seh Elmiren kommen. +Wie freundlich sieht sie diesmal aus! +"Ach Meister, foerdert doch das Haus! +Warum habt Ihrs denn angenommen? +Ich geb Euch ja das Geld voraus. +Lasst doch noch mehr Gesellen kommen!" + +Ei, das geht gut! Ich kann mich nicht genug erfreun. +Das muss ein rechter Ehmann sein! + +Die Maeurer foerdern sich, und binnen vierzehn Tagen +Sieht man das erste Stockwerk stehn. +Und nun laesst sich Elmire wieder sehn. +Man siehts ihr an, sie hat etwas zu sagen, +Vielleicht sah sie die Maeurer muessig stehn; +Denn leider pflegts so herzugehn. +Vielleicht hat man am Bau etwas versehn? +Das sollte mich doch selbst verdruessen. +Itzt oeffnet sie den Mund. Nun wird sichs zeigen muessen. +"Ach", faengt sie heftig an zu schrein: +"Hoert auf, und reisst den Plunder ein! +Ich lasse keinen Stein mehr tragen. +Wofuer verbaut ich denn mein Geld? +Fuer Maenner, die die Weiber plagen? +Denn andre gibts nicht auf der Welt." + +Die boese Frau! Man sollte sie verklagen. + + + + + +Das junge Maedchen + +Ein junger Mensch sprach einen wackern Mann +Durch einen guten Freund um seine Tochter an. +Der Alte, der sein Kind noch nicht versprechen wollte, +War dennoch ungemein erfreut, +Und bat den Freund mit vieler Hoeflichkeit, +Dass er bei ihm zu Tische bleiben sollte. +Die Tochter, ob sich gleich der Vater sehr verstellt, +Erraet die Sache bald. Was? faengt sie an zu schliessen, +Ein fremder Herr, den man zu Tische gleich behaelt, +Was bringt doch der? Ich solls nicht wissen; +Allein umsonst bueckt er sich nicht so tief vor mir. +Ist auch der gute Freund wohl meinetwegen hier? + +Der Fremde hofft, es soll ihm noch gelingen, +Und wagt es bei dem Glase Wein, +Das Wort fuer seinen Freund noch einmal anzubringen. +"Mein Herr!" fiel ihm der Vater ein, +"O denken Sie doch nicht, dass ich zu hart verfahre: +Mein Kind kann wirklich noch nicht frein, +Sie ist zu jung, sie ist erst vierzehn Jahre." + +Indem er dies noch sprach, trat Fickchen selbst herein, +Und trug ein Essen auf. "Was?" fing sie an zu schrein, +"Was sagten Sie, Papa? Sie haben sich versprochen. +Ich sollt erst vierzehn Jahre sein? +Nein, vierzehn Jahr und sieben Wochen." +Liess sie der Vater denn nicht frein? +Das weiss ich nicht; doch nein, ich wills nur sagen; +Denn unter denen, die mich fragen, +Da koennten wohl selbst junge Maedchen sein; +Die zu beruhigen, will ichs aufrichtig sagen: +Der Vater schaemte sich und liess die Tochter frein. + + + + + +Das Kartenhaus + +Das Kind greift nach den bunten Karten, +Ein Haus zu bauen, faellt ihm ein. +Es baut, und kann es kaum erwarten, +Bis dieses Haus wird fertig sein. +Nun steht der Bau. O welche Freude! +Doch ach! ein ungefaehrer Stoss +Erschuettert ploetzlich das Gebaeude, +Und alle Baender reissen los. + +Die Mutter kann im Lomberspielen, +Wenn sie den letzten Satz verspielt, +Kaum so viel banges Schrecken fuehlen, +Als ihr bestuerztes Kind itzt fuehlt. + +Doch wer wird gleich den Mut verlieren? +Das Kind entschliesst sich sehnsuchtsvoll, +Ein neues Lustschloss aufzufuehren, +Das dem zerstoerten gleichen soll. + +Die Sehnsucht muss den Schmerz besiegen, +Das erste Haus steht wieder da. +Wie lebhaft war des Kinds Vergnuegen, +Als es sein Haus von neuem sah! + +Nun will ich mich wohl besser hueten, +Damit mein Haus nicht mehr zerbricht. +"Tisch!" ruft das Kind, "lass dir gebieten, +Und stehe fest, und wackle nicht!" + +Das Haus bleibt unerschuettert stehen, +Das Kind hoert auf, sich zu erfreun; +Es wuenscht, es wieder neu zu sehen, +Und reisst es bald mit Willen ein. + +---- + +Schilt nicht den Unbestand der Gueter, +Du siehst dein eigen Herz nicht ein; +Veraenderlich sind die Gemueter, +So mussten auch die Dinge sein. +Bei Guetern, die wir stets geniessen, +Wird das Vergnuegen endlich matt; +Und wuerden sie uns nicht entrissen, +Wo faend ein neu Vergnuegen statt? + + + + + +Das Kutschpferd + +Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Acker ziehn, +Und wieherte mit Stolz auf ihn. +"Wenn", sprach es, und fing an, die Schenkel schoen zu heben, +"Wenn kannst du dir ein solches Ansehn geben? +Und wenn bewundert dich die Welt?" +"Schweig", rief der Gaul, "und lass mich ruhig pfluegen, +Denn baute nicht mein Fleiss das Feld, +Wo wuerdest du den Haber kriegen, +Der deiner Schenkel Stolz erhaelt?" + +---- + +Die ihr die Niedern so verachtet, +Vornehme Muessiggaenger, wisst, +Dass selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet, +Dass euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet, +Auf ihren Fleiss gegruendet ist. +Ist der, der sich und euch durch seine Hand ernaehrt, +Nichts Bessers als Verachtung wert? +Gesetzt, du haettest bessre Sitten: +So ist der Vorzug doch nicht dein. +Denn stammtest du aus ihren Huetten: +So haettest du auch ihre Sitten. +Und was du bist, und mehr, das wuerden sie auch sein, +Wenn sie wie du erzogen waeren. +Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren. + + + + +Das Land der Hinkenden + +Vorzeiten gabs ein kleines Land, +Worin man keinen Menschen fand, +Der nicht gestottert, wenn er redte, +Nicht, wenn er ging, gehinket haette; +Denn beides hielt man fuer galant. +Ein Fremder sah den Uebelstand; +Hier, dacht er, wird man dich im Gehn bewundern muessen; +Und ging einher mit steifen Fuessen. +Er ging, ein jeder sah ihn an, +Und alle lachten, die ihn sahn, +Und jeder blieb vor Lachen stehen, +Und schrie: Lehrt doch den Fremden gehen! +Der Fremde hielts fuer seine Pflicht, +Den Vorwurf von sich abzulehnen. +Ihr, rief er, hinkt; ich aber nicht; +Den Gang muesst ihr euch abgewoehnen! +Der Laermen wird noch mehr vermehrt, +Da man den Fremden sprechen hoert. +Er stammelt nicht; genug zur Schande! +Man spottet sein im ganzen Lande. + +---- + +Gewohnheit macht den Fehler schoen, +Den wir von Jugend auf gesehn. +Vergebens wirds ein Kluger wagen, +Und, dass wir toericht sind, uns sagen. +Wir selber halten ihn dafuer, +Bloss, weil er klueger ist, als wir. + + + + +Das neue Ehepaar + +Nach so viel bittern Hindernissen, +Nach so viel aengstlicher Gefahr, +Als jemals noch ein zaertlich Paar +Hat dulden und beweinen muessen, +Liess endlich doch die Zeit mein Paar das Glueck geniessen, +Das, wenns ein Lohn der Tugend ist, +Sie durch Bestaendigkeit zehnfach verdienet hatten. +Sie, die sich, hart bedroht, als Liebende gekuesst, +Die kuessten sich nunmehr erlaubt als Ehegatten, +Nachdem sie neidscher Freunde List +Und strenger Eltern Zorn liebreich besaenftigt hatten. +Wer war, nach langer Jahre Mueh, +Nun gluecklicher als er und sie? +Denn, was man liebt, geliebt besitzen koennen; +In einem treuen Arm sich seines Lebens freun, +Ist, Menschen, dies kein Glueck zu nennen: +So muss gar keins auf Erden sein. +Hier wett ich wohl, dass mancher heimlich spricht: +Der gute Mensch versteht es nicht. +Denn waer die Lieb ein Glueck, was koennte mir denn fehlen, +Da ein erlesnes Weib in meinen Armen liegt? +Ist sie nicht reich und schoen? Doch bin ich nicht vergnuegt, +Ich glaub es, lieber Freund; allein sich so vermaehlen, +Wie viele tun, das heisst nicht lieben, nein. +Das heisst, mit weit getrennten Seelen +Ein Leib in einem Hause sein. + +Ein unverhofftes Glueck begegnet unsern beiden. +Wie weinen sie vor Zaertlichkeit! +Der arme Mann soll itzt auf kurze Zeit +Von seiner teuren Gattin scheiden, +Weil ihn ein naher Freund in einer fernen Stadt +Zum Erben eingesetzet hat. + +Von heissen Lippen losgerissen, +Und doch entbrannt, sich laenger noch zu kuessen, +Sprach eines, was das andre sprach, +Dem andern immer stammelnd nach, +Ein Lebewohl, ein seufzend Ach. + +Er stieg nunmehr ins Schiff (wie oft sah er zuruecke!), +Und Doris blieb am Ufer stehn, +Um ihrem Damon, ihrem Gluecke, +Noch lange schmachtend nachzusehn. +"O Himmel!" hoert ich sie noch an dem Ufer flehn, +"Bring meinen Mann gesund zuruecke!" + +Das Schiff bringt ihn an seinen Ort. +Er schreibt mit jeder Post: "Bald, Doris, werd ich kommen." +Kaum hat er auch sein Gut noch in Besitz genommen: +So eilt er schon zu Schiffe wieder fort, +Und schreibt, damit sie nichts von seiner Ankunft wuesste, +Dass, wider sein gegebnes Wort, +Er noch acht Tage warten muesste, +Eh er sie wiedersah und kuesste. + +Die junge Frau, die, wenn die Sonn entwich, +Aus ihrem von der See nicht fernen Hause schlich, +Und gern am Ufer sich verweilte +Ging itzund an der Freundin Hand, +Mit der sie stets ihr Herze teilte, +An den ihr angenehmen Strand. + +Sie redten. Und wovon? Erraetst du dies noch nicht, +Wovon ein treues Weib, die schmachtend wartet, spricht: +So bist du auch nicht wert, den Inhalt zu erfahren. +Nein, nein, verschweig es, mein Gedicht, +Wie zaertlich Doris' Wuensche waren! +Das Herz wird dem, der liebt, sie selber offenbaren, +Und fuer die andern schreib ich nicht. + +Indem dass Doris noch mit manchem frohen Ach +Von ihres Gatten Ankunft redte, +Und von dem Gastgebote sprach, +Das sie sich ausgesonnen haette; +Indem sie noch von ihrer Erbschaft redte, +Und, wenn sie den Entwurf von ihrem Glueck gemacht, +Sich oft in dem Entwurfe stoerte, +Und den, der sie im Testament bedacht, +Mit dankerfuellten Traenen ehrte; +Indem sie zum voraus die Armen speisen liess, +Und muetterlich den Waisen sich erwies, +Der Kranken Herz mit Staerkungen erquickte, +Und den Gefangnen Huelfe schickte; +Indem sie dies im Geist von ihrer Erbschaft tat +Und, in ihr Glueck vertieft, ans Ufer naeher trat, +Fing ihre Freundin an: "Was schwimmt dort auf dem Meere? +Ein Kaestchen? Wie? wenns voll Juwelen waere? +Ach Doris! waere das nicht schoen? +Allein ich sag es dir, ich habs zuerst gesehn, +Und koemmt es an den Strand geschwommen: +So ist das Glueck des Schiffbruchs mein; +Doch du wirst ja bald niederkommen, +Und das versteht sich schon, ich muss Gevatter sein, +Dann bind ich dir drei Schnuren Perlen ein." + +Die junge Frau belohnte Scherz mit Scherze. +"Es naehert sich", fing jene wieder an; +Doch wie erschraken sie, als sie zu ihrem Schmerze +Fern einen Leichnam schwimmen sahn. +"Wer weiss", sprach Doris, welcher schon +Die Traenen in den Augen stunden, +"Wer weiss, ist der, der hier sein Grab gefunden, +Nicht grauer Eltern einzger Sohn? +Wer weiss, mit welcher trunknen Freude +Itzt die verlebten Alten beide, +Ihn zu empfangen, fertig stehn? +Und sich im Geist erfreun, die Braut ihm anzubieten, +Die sie fuer ihn erwaehlt, und treulich fuer ihn hueten. +Gott geb es nicht, dass sie den Anblick sehn. +Wer weiss, ward nicht durch seinen Tod +Der treusten Frau ein lieber Mann entrissen, +Die bald ihr eignes Weh, bald ihrer Kinder Not +In Armut wird beweinen muessen? +Wer weiss, wievielmal er betraent, +Eh er noch starb, das arme Weib erwaehnt? +Doch, Freundin, komm von der betruebten Stelle, +Damit mein Herz nicht laenger zittern darf." + +Dies sagte sie sind ging, als eben eine Welle +Den Toten an das Ufer warf. +Die Freundin sah ihn an, und schrie mit Ungestuem: +"Mein Vetter!" und fiel neben ihm. + +Auf dies Geschrei kam Doris wieder, +Der lieben Freundin beizustehn. +Ach, Doris, ach! was wirst du sehn? +Sie sieht, und faellt auf ihren Gatten nieder, +Und stirbt an seiner starren Brust. +Indes erwacht die Freundin wieder, +Und zeigt der Nachbarschaft den doppelten Verlust. +Hier bebte der, den man nie zittern sehn, +Und dem, der nie geweint, floss Wehmut vom Gesichte, +Und niemand fragte, was geschehn. +Der Anblick selbst erzaehlte die Geschichte. + +---- + +Beweint, ihr mitleidsvollen Seelen, +Die traurigste Begebenheit +Elend gewordner Zaertlichkeit, +Und schmeckt das Glueck, um andre sich zu quaelen. +Lasst uns die Unschuld oft im groessten Unglueck sehn, +Und leidet mit bei fremden Schmerzen; +Dies Mitleid heiligt unsre Herzen, +Und heisst die Menschenlieb in uns ihr Haupt erhoehn. +Die Tugend bleibt uns noch im Unglueck selber schoen. + + + + +Das Pferd und der Esel + +Ein Pferd, dem Geist und Mut recht aus den Augen sahn, +Ging, stolz auf sich und seinen Mann, +Und stiess (wie leicht ist nicht ein falscher Schritt getan!) +Vor grossem Feuer einmal an. +Ein traeger Esel sahs und lachte. +"Wer", sprach er, "wuerd es mir verzeihn, +Wenn ich dergleichen Fehler machte? +Ich geh den ganzen Tag, und stoss an keinen Stein." +"Schweig", rief das Pferd, "du bist zu meinem Unbedachte, +Zu meinen Fehlern viel zu klein." + + + + +Das Pferd und die Bremse + +Ein Gaul, der Schmuck von weissen Pferden, +Von Schenkeln leicht, schoen von Gestalt, +Und, wie ein Mensch, stolz in Gebaerden, +Trug seinen Herrn durch einen Wald; +Als mitten in dem stolzen Gange +Ihm eine Brems entgegenzog, +Und durstig auf die nasse Stange +An seinem blanken Zaume flog. +Sie leckte von dem weissen Schaume, +Der heficht am Gebisse floss. +"Geschmeisse!" sprach das wilde Ross, +"Du scheust dich nicht vor meinem Zaume? +Wo bleibt die Ehrfurcht gegen mich? +Wie? Darfst du wohl ein Pferd erbittern? +Ich schuettle nur: so musst du zittern." +Es schuettelte; die Bremse wich. +Allein sie suchte sich zu raechen; +Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen, +Und stach den Schimmel in das Maul. +Das Pferd erschrak, und blieb vor Schrecken +In Wurzeln mit dem Eisen stecken. +Und brach ein Bein; hier lag der stolze Gaul. + +---- + +Auf sich den Hass der Niedern laden, +Dies stuerzet oft den groessten Mann. +Wer dir, als Freund, nicht nuetzen kann, +Kann allemal, als Feind, dir schaden. + + + + +Das Schicksal + +O Mensch! Was strebst du doch, den Ratschluss zu ergruenden, +Nach welchem Gott die Welt regiert? +Mit endlicher Vernunft willst du die Absicht finden, +Die der Unendliche bei seiner Schickung fuehrt? +Du siehst bei Dingen, die geschehen, +Nie das Vergangne recht, und auch die Folge nicht, +Und hoffest doch, den Grund zu sehen, +Warum das, was geschah, geschieht? +Die Vorsicht ist gerecht in allen ihren Schluessen. +Dies siehst du freilich nicht bei allen Faellen ein; +Doch wolltest du den Grund von jeder Schickung wissen: +So muesstest du, was Gott ist, sein. +Begnuege dich, die Absicht zu verehren, +Die du zu sehn zu bloed am Geiste bist; +Und lass dich hier ein juedisch Beispiel lehren, +Dass das, was Gott verhaengt, aus weisen Gruenden fliesst, +Und, wenn dirs grausam scheint, gerechtes Schicksal ist. + +---- + +Als Moses einst vor Gott auf einem Berge trat, +Und ihn von jenem ewgen Rat, +Der unser Schicksal lenkt, um groessre Kenntnis bat: +So ward ihm ein Befehl, er sollte von den Hoehen, +Worauf er stund, hinab ins Ebne sehen. +Hier floss ein klarer Quell. Ein reisender Soldat +Stieg bei dem Quell von seinem Pferde, +Und trank. Kaum war der Reuter fort. +So lief ein Knabe von der Herde +Nach einem Trunk an diesen Ort. +Er fand den Geldsack bei der Quelle, +Der jenem hier entfiel, er nahm ihn, und entwich; +Worauf nach eben dieser Stelle +Ein Greis gebueckt an seinem Stabe schlich. +Er trank, und setzte sich, um auszuruhen, nieder; +Sein schweres Haupt sank zitternd in das Gras, +Bis es im Schlaf des Alters Last vergass. +Indessen kam der Reuter wieder, +Bedrohte diesen Greis mit wildem Ungestuem, +Und forderte sein Geld von ihm. +Der Alte schwoert, er habe nichts gefunden, +Der Alte fleht und weint, der Reuter flucht und droht, +Und sticht zuletzt, mit vielen Wunden, +Den armen Alten wuetend tot. +Als Moses dieses sah, fiel er betruebt zur Erden; +Doch eine Stimme rief: "Hier kannst du innewerden, +Wie in der Welt sich alles billig fuegt. +Denn wiss: Es hat der Greis, der itzt im Blute liegt, +Des Knabens Vater einst erschlagen, +Der den verlornen Raub zuvor davongetragen." + + + + + +Das Testament + +Philemon, der bei grossen Schaetzen +Ein edelmuetig Herz besass, +Und, andrer Maengel zu ersetzen, +Den eignen Vorteil gern vergass: +Philemon konnte doch dem Neide nicht entgehen, +So willig er auch war, den Neidern beizustehen. +Zween Nachbarn hassten ihn, zween Nachbarn ruhten nie, +Aufs schimpflichste von ihm zu sprechen. +Warum? Er war beglueckt, und gluecklicher, als sie. +Ist dies nicht schon ein gross Verbrechen? +Die Freunde rieten ihm, sich fuer den Schimpf zu raechen. +"Nein", sprach er, "lasst sie neidisch schmaehn, +Sie werden schon nach meinem Tode sehn, +Wieviel sie recht gehabt, ein Glueck mir nicht zu goennen, +Das wenig Menschen nuetzen koennen." +Er stirbt. Man findt sein Testament, +Und liest: "Ich will, dass einst, nach meinem Sterben, +Mein hinterlassnes Gut die beiden Nachbarn erben, +Weil sie dies Gut mir nicht gegoennt." +So mancher Freund verwuenscht dies Testament. +"Wie? Konnt ich ihn nicht auch beneiden? +Mir gibt er nichts, und alles diesen beiden?" +Die beiden Nachbarn sehn vergnuegt +Den Sinn des Testaments vollfuehren. +Denn damals wusste man nicht recht zu prozessieren, +Sonst haetten beide nichts gekriegt. +So aber kriegten sie das voellige Vermoegen. +Wie ruehmten sie den Selgen nicht! +Er war die Grossmut selbst, er war der Zeiten Licht, +Und alles dies des Testamentes wegen, +Denn eh er starb, war ers noch nicht. +Sind unsre Nachbarn nun beglueckt? +Vielleicht. Wir wollen Achtung geben. +Der eine Nachbar weiht entzueckt +Dem reichen Kasten Ruh und Leben. +Er huetet ihn mit karger Hand, +Und wacht, wenn andre schnarchend liegen, +Und wuenscht mit Traenen sich Verstand, +Die schlauen Diebe zu betruegen; +Springt oft, durch boese Traeum erschreckt, +Als ob man ihn bestohlen haette, +Mit schnellen Fuessen aus dem Bette, +Und sucht den Ort, wo er den Schatz versteckt. +Er martert sich mit tausend Sorgen, +Sein vieles Geld vermehrt zu sehn, +Und nimmt aus Geiz sich vor, die Haelfte zu verborgen, +Und laesst den, den er rief, doch leer zuruecke gehn. +Arm hatt er sich noch satt gegessen; +Reich hungert er, bei halbem Essen, +Und schnitt das Brot, das er den Seinen gab, +Mit Klagen ueber Gott, und ueber Teurung, ab, +Und ward, mit jedem neuen Tage, +Der Seinen Last und seine Plage. +Der andre Nachbar lachte sein. +"Der Torheit", sprach er, "will ich wehren; +Was ich geerbt, will ich verzehren, +Und mich des Segens recht erfreun." +Er hielt sein Wort und sah, in wenig Jahren, +Sein vieles Geld in fremder Hand; +Durch Gassen, wo er sonst stolz auf und ab gefahren, +Schlich itzt sein Fuss ganz unbekannt. +"Ach!" sprach er zu dem andern Erben, +"Philemon hat es wohl gedacht, +Dass uns der Reichtum wird verderben, +Drum hat er uns sein Gut vermacht. +Du hungerst karg, ich hab es durchgebracht. +Wir waren wert, den Reichtum zu besitzen, +Denn keiner wusst ihn recht zu nuetzen." + + + + + +Das Unglueck der Weiber + +In eine Stadt, mich deucht, sie lag in Griechenland, +Drang einst der Feind, von Wut entbrannt, +Und wollte, weil die Stadt mit Sturm erobert worden, +Die Buerger, in der Raserei, +Bis auf den letzten Mann ermorden. +O Himmel! welch ein Angstgeschrei +Erregten nicht der Weiber blasse Scharen. +Man stelle sich nur vor, wenn tausend Weiber schrein, +Was muss das fuer ein Laermen sein! +Ich zittre schon, wenn zwei nur schrein. +Sie liefen mit zerstreuten Haaren, +Mit Augen, die von Traenen rot, +Mit Haenden, die zerrungen waren, +Und warfen schon, vor Angst halbtot, +Sich vor den Feldherrn der Barbaren, +Und flehten in gemeiner Not +Ihn insgesamt um ihrer Maenner Leben. +So hats von Tausenden nicht eine Frau gegeben, +Die sich gewuenscht, des Mannes los zu sein? +Von Tausenden nicht eine? Nein. +Nun, das ist viel; da muss, bei meinem Leben! +Noch gute Zeit gewesen sein. + +So hart, als auch der Feldherr war: +So konnt er doch dem zauberischen Flehen +Der Weiber nicht ganz widerstehen. +Denn welchen Mann, er sei auch zehnmal ein Barbar, +Weiss nicht ein Weib durch Traenen zu bewegen? +Mein ganzes Herz faengt sich hier an zu regen. +Ich haette nicht der General sein moegen, +Vor dem der Weiber Schar so klaeglich sich vereint; +Ich haette wie ein Kind geweint, +Und ohne Geld den Maennern gleich das Leben, +Und jeder Frau zu ihrer Ruh +Den Mann, und einen noch dazu, +Wenn sies von mir verlangt, gegeben. + +Allein so gar gelind war dieser Feldherr nicht. +"Ihr Schoenen!" faengt er an und spricht. +Ihr Schoenen? Dieses glaub ich nicht. +Ein harter General wird nicht so liebreich sprechen. +Was willst du dir den Kopf zerbrechen? +Genug! Er hats gesagt. Ein alter General +Hat, daecht ich, doch wohl wissen koennen, +Dass man die Weiber allemal, +Sie sein es oder nicht, kann "meine Schoenen" nennen. + +"Ihr Schoenen", sprach der General, +"Ich schenk euch eurer Maenner Leben; +Doch jede muss fuer den Gemahl +Mir gleich ihr ganz Geschmeide geben. +Und die ein Stueck zurueckbehaelt, +Verliert den Mann vor diesem Zelt." + +Wie? Fingen nicht die Weiber an zu beben? +Ihr ganz Geschmeide hinzugeben? +Den ganzen Schmuck fuer einen Mann? +Gewiss, der General war dennoch ein Tyrann. +Was halfs, dass er "Ihr Schoenen!" sagte, +Da er die Schoenen doch so plagte? +Doch weit gefehlt, dass auch nur eine zagte: +So holten sie vielmehr mit Freuden ihren Schmuck. +Dem General war dies noch nicht genug. +Er liess nicht eh nach ihren Maennern schicken, +Als bis sie einen Eid getan +(Der General war selbst ein Ehemann), +Bis, sag ich, sie den Eid getan, +Den Maennern nie die Wohltat vorzuruecken, +Noch einen neuen Schmuck den Maennern abzudruecken. +Drauf kriegte jede Frau den Mann. + +O welche Wollust! Welch Entzuecken! +Vergebens wuensch ichs auszudruecken, +Mit welcher Bruenstigkeit die Frau den Mann umfing! +Mit was fuer sehnsuchtsvollen Blicken +Ihr Aug an seinem Auge hing! + +Der Feind verliess die Stadt. Die Weiber blieben stehen, +Um ihren Feinden nachzusehen; +Alsdann flog jede froh mit ihrem Mann ins Haus. +Ist die Geschichte denn nun aus? +Noch nicht, mein Freund. Nach wenig Tagen +Entfiel den Weibern aller Mut. +Sie graemten sich, und durftens doch nicht sagen. +Wer wirds, den Eid zu brechen, wagen? +Genug, der Kummer trat ins Blut. +Sie legten sich; drauf starben in zehn Tagen, +Des Lebens mued und satt, neunhundert an der Zahl. +Der alte boese General! + + + + + +Das Vermaechtnis + +Oront, der in der Welt das grosse Glueck erlebt, +Das Fuersten oft den Hirten lassen muessen, +Das Glueck, von einem Freund sich treu geliebt zu wissen; +Oront, der sich dies Glueck, so arm er war, erstrebt, +Ward krank. Sein kluger Arzt sah aus verschiednen Faellen, +Dass keine Rettung moeglich war, +Eroeffnete dem Kranken die Gefahr, +Und hiess ihn bald sein Haus bestellen. +Oront, der sich nunmehr dem Irdischen entziehn, +Und frei im Geist den Tod erwarten wollte, +Bat, dass man seinen Freund ihm eiligst rufen sollte. +Sein Freund, sein Pylades, erschien. +"Ach!" sprach Oront, nach zaertlichem Umfassen, +"Ich sterb, und was mir Gott verliehn, +Will ich, mein Freund, dir hinterlassen: +Dir lass ich meinen Sohn, ihn redlich zu erziehn, +Und meine Frau, sie zu ernaehren: +Denn du verdienst, dass sie dir angehoeren." + + + + + +Der Affe + +Ein Affe sah ein Paar geschickte Knaben +Im Brett einmal die Dame ziehn, +Und sah auf jeden Platz, den sie dem Steine gaben, +Mit einer Achtsamkeit, die stolz zu sagen schien, +Als koennt er selbst die Dame ziehn. +Er legte bald sein Missvergnuegen, +Bald seinen Beifall an den Tag; +Er schuettelte den Kopf itzt bei des einen Zuegen, +Und billigte darauf des andern seinen Schlag. +Der eine, der gern siegen wollte, +Sann einmal lange nach, um recht geschickt zu ziehn; +Der Affe stiess darauf an ihn +Und nickte, dass er machen sollte. +"Doch welchen Stein soll ich denn ziehn, +Wenn dus so gut verstehst?" sprach der erzuernte Knabe. +"Den, jenen oder diesen da, +Auf welchem ich den Finger habe?" +Der Affe laechelte, dass er sich fragen sah, +Und sprach zu jedem Stein mit einem Nicken: Ja. + +---- + +Um deren Weisheit zu ergruenden, +Die tun, als ob sie das, was du verstehst, verstanden: +So frage sie um Rat. Sind sie mit ihrem Ja +Bei deinen Fragen hurtig da: +So kannst du mathematisch schliessen, +Dass sie nicht das geringste wissen. + + + + +Der arme Greis + +Um das Rhinozeros zu sehn +(Erzaehlte mir mein Freund), beschloss ich auszugehn. +Ich ging vors Tor mit meinem halben Gulden, +Und vor mir ging ein reicher, reicher Mann, +Der, seiner Miene nach, die eingelaufnen Schulden, +Nebst dem, was er damit die Messe durch gewann, +Und was er, wenns ihm gluecken sollte, +Durch den Gewinst nun noch gewinnen wollte, +In schweren Ziffern uebersann. +Herr Orgon ging vor mir. Ich geb ihm diesen Namen, +Weil ich den seinen noch nicht weiss. +Er ging; doch eh wir noch zu unserm Tiere kamen: +Begegnet uns ein alter schwacher Greis, +Fuer den, auch wenn er uns um nichts gebeten haette, +Sein zitternd Haupt, das nur halb seine war, +Sein ehrlich fromm Gesicht, sein heilig graues Haar +Mit mehr als Rednerkuensten redte. +"Ach", sprach er, "ach, erbarmt Euch mein! +Ich habe nichts, um meinen Durst zu stillen. +Ich will Euch kuenftig gern nicht mehr beschwerlich sein; +Denn Gott wird wohl bald meinen Wunsch erfuellen, +Und mich durch meinen Tod erfreun. +O lieber Gott! lass ihn nicht ferne sein." +So sprach der Greis; allein was sprach der Reiche? +"Ihr seid ein so bejahrter Mann, +Ihr seid schon eine halbe Leiche, +Und sprecht mich noch um Geld zum Trinken an? +Ihr unverschaemter alter Mann! +Muesst Ihr denn noch erst Branntwein trinken, +Um taumelnd in das Grab zu sinken? +Wer in der Jugend spart, der darbt im Alter nicht."-- +Drauf ging der Geizhals fort. Ein Strom schamhafter Zaehren +Floss von des Alten Angesicht. +"O Gott! du weissts." Mehr sprach er nicht. +Ich konnte mich der Wehmut kaum erwehren, +Weil ich etwas mitleidig bin. +Ich gab ihm in der Angst den halben Gulden hin, +Fuer welchen ich die Neugier stillen wollte, +Und ging, damit er mich nicht weinen sehen sollte. +Allein er rufte mich zurueck. +"Ach!" sprach er mit noch nassem Blick, +"Ihr werdet Euch vergriffen haben, +Es ist ein gar zu grosses Stueck. +Ich bring Euch nicht darum, gebt mir so viel zurueck, +Als ich bedarf, um mich durch etwas Bier zu laben!" +"Ihr", sprach ich, "sollt es alles haben, +Ich seh, dass Ihrs verdient; trinkt etwas Wein dafuer. +Doch, armer Greis, wo wohnet Ihr?" +Er sagte mir das Haus.--Ich ging am andern Tage +Nach diesem Greis, der mir so redlich schien, +Und tat im Gehn schon manche Frag an ihn. +Allein, indem ich nach ihm frage, +War er seit einer Stunde tot. +Die Mien auf seinem Sterbebette +War noch die redliche, mit der er gestern redte. +Ein Psalmbuch und ein wenig Brot +Lag neben ihm auf seinem harten Bette. +O, wenn der Geizhals doch den Greis gesehen haette, +Mit dem er so unchristlich redte! +Und der vielleicht ihn itzt bei Gott verklagt, +Dass er vor seinem Tod ihm einen Trunk versagt. + +So sprach mein Freund und bat, die Mueh auf mich zu nehmen, +Und oeffentlich den Geizhals zu beschaemen. +Wiewohl ein Mann, der sich zu keiner Pflicht +Als fuer das Geld versteht, der schaemt sich ewig nicht. + + + + + +Der arme Schiffer + +Ein armer Schiffer stak in Schulden, +Und klagte dem Philet sein Leid. +"Herr", sprach er, "leiht mir hundert Gulden; +Allein zu Eurer Sicherheit +Hab ich kein ander Pfand als meine Redlichkeit. +Indessen leiht mir aus Erbarmen +Die hundert Gulden auf ein Jahr." +Philet, ein Retter in Gefahr, +Ein Vater vieler hundert Armen, +Zaehlt ihm das Geld mit Freuden dar. +"Hier", spricht er, "nimm es hin und brauch es ohne Sorgen; +Ich freue mich, dass ich dir dienen kann; +Du bist ein ordentlicher Mann, +Dem muss man ohne Handschrift borgen." + +Ein Jahr, und noch ein Jahr verstreicht; +Kein Schiffer laesst sich wieder sehen. +Wie? Sollt er auch Phileten hintergehen; +Und ein Betrueger sein? Vielleicht. + +Doch nein! Hier koemmt der Schiffer gleich. +"Herr!" faengt er an, "erfreuet Euch, +Ich bin aus allen meinen Schulden; +Und seht, hier sind zweihundert Gulden, +Die ich durch Euer Geld gewann. +Ich bitt Euch herzlich, nehmt sie an; +Ihr seid ein gar zu wackrer Mann." + +"O", spricht Philet, "ich kann mich nicht besinnen, +Dass ich dir jemals Geld geliehn. +Hier ist mein Rechnungsbuch, ich wills zu Rate ziehn; +Allein ich weiss es schon, du stehest nicht darinnen." + +Der Schiffer sieht ihn an, und schweigt betroffen still, +Und kraenkt sich, dass Philet das Geld nicht nehmen will. +Er laeuft, und koemmt mit voller Hand zuruecke. +"Hier", spricht er, "ist der Rest von meinem ganzen Gluecke, +Noch hundert Gulden! Nehmt sie hin, +Und lasst mir nur das Lob, dass ich erkenntlich bin. +Ich bin vergnuegt, ich habe keine Schulden; +Dies Gluecke dank ich Euch allein; +Und wollt Ihr ja recht guetig sein. +So leiht mir wieder funfzig Gulden." + +"Hier", spricht Philet, "hier ist dein Geld, +Behalte deinen ganzen Segen: +Ein Mann, der Treu und Glauben haelt, +Verdient ihn seiner Treue wegen. +Sei du mein Freund. Das Geld ist dein; +Es sind nicht mehr als hundert Gulden mein, +Die sollen deinen Kindern sein." + +---- + +Mensch! mache dich verdient um andrer Wohlergehen; +Denn was ist goettlicher, als wenn du liebreich bist! +Und mit Vergnuegen eilst, dem Naechsten beizustehen, +Der, wenn er Grossmut sieht, grossmuetig dankbar ist! + + + + +Der Arme und der Reiche + +Aret, ein tugendhafter Mann, +Dem nichts, als Geld und Gueter fehlten, +Rief, als ihn einst die Schulden quaelten, +Das Glueck um seinen Beistand an. +Das Glueck, das seine liebsten Gaben +Sonst immer fuer die Leute spart, +Die von den Guetern bessrer Art +Nicht gar zuviel bekommen haben, +Entschloss sich dennoch auf sein Flehn, +Dem wackern Manne beizustehn, +Und liess ihn in verborgnen Gruenden +Aus Geiz verscharrte Schaetze finden. +Er sieht darauf in kurzer Zeit +Von seinen Schuldnern sich befreit; +Doch ist ihm wohl die Not benommen, +Da, statt der Schuldner, Schmeichler kommen? +Sooft er trinkt, sooft er isst, +Koemmt einer, der ihn durstig kuesst, +Nach seinem Wohlsein aengstlich fraget, +Und ihn mit Hoeflichkeit und List, +Mit Loben und Bewundern plaget, +Und doch durch alles nichts, als dass ihn hungert, saget. +"O Gluecke!" rief Aret, "soll eins von beiden sein; +Kann alle Klugheit nicht von Schmeichlern mich befrein: +So will ich mich von Schuldnern lieber hassen, +Als mich von Schmeichlern lieben lassen. +Vor jenen kann man doch zuweilen sicher sein; +Doch diese Brut schleicht sich zu allen Zeiten ein." + + + + + +Der baronisierte Buerger + +Des kargen Vaters stolzer Sohn +Ward, nach des Vaters Tod, Herr einer Million, +Und fuer sein Geld in kurzer Zeit Baron. +Er nahm sich vor, ein grosser Mann zu werden, +Und ahmte, wenn ihm gleich der innre Wert gebrach, +Doch die gebietrischen Gebaerden +Der Grossen zuversichtlich nach. +Bald wuenscht er sich des Staatsmanns Ehre, +Vertraut mit Fuersten umzugehn; +Bald wuenscht er sich das Glueck, dereinst vor einem Heere +Mit Lorbeern des Eugens zu stehn. +Kurz, er blieb ungewiss, wo er mehr Ansehn haette, +Ob in dem Feld, ob in dem Kabinette. +Indessen war er doch Baron; +Und sein Verdienst, die Million, +Liess sich zu alles Volks Entzuecken, +In Laeufern und Heiducken blicken. +Er nahm die halbe Stadt in Sold, +Bedeckte sich und sein Gefolg mit Gold, +Und bruestete sich mehr in seiner Staatskarosse, +Als die daran gespannten Rosse. +Er war der Schmeichler Maezenat. +Ein Geck, der ihm gebueckt um seine Gnade bat, +Und alles, was sein Stolz begonnte, +Recht unverschaemt bewundern konnte, +Der kam sogleich in jener Freunde Zahl, +In der man mit ihm ass, ihn lobt, und ihn bestahl, +Und, wenn man ihn betrog, zugleich in ueberredte, +Dass er des Argus Augen haette. + +Was braucht es mehr als Stolz und Unverstand, +Um Millionen durchzubringen? +Unsichrer ist kein Schatz als in des Juenglings Hand, +Den Wollust, Pracht und Stolz zu ihren Diensten zwingen. +Der Herr Baron vergass bei seinem grossen Schatz +Den Staatsmann und den Held, ward sinnreich im Verschwenden, +Und sah in kurzer Zeit sein Gut in fremden Haenden; +Starb arm und unberuehmt. Kurz, er bewies den Satz, +Dass Eltern ihre Kinder hassen, +Wofern sie ihnen nichts als Reichtum hinterlassen. + + + + + +Der Bauer und sein Sohn + +Ein guter dummer Bauerknabe, +Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm, +Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe, +Recht dreist zu luegen, wiederkam, +Ging, kurz nach der vollbrachten Reise, +Mit seinem Vater ueber Land. +Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Luegen fand, +Log auf die unverschaemtste Weise. +Zu seinem Unglueck kam ein grosser Hund gerannt. +"Ja, Vater", rief der unverschaemte Knabe, +"Ihr moegt mirs glauben oder nicht: +So sag ich Euchs, und jedem ins Gesicht, +Dass ich einst einen Hund bei--Haag gesehen habe, +Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich faehrt, +Der--ja, ich bin nicht ehrenwert, +Wenn er nicht groesser war als Euer groesstes Pferd." +"Das", sprach der Vater, "nimmt mich wunder; +Wiewohl ein jeder Ort laesst Wunderdinge sehn. +Wir, zum Exempel, gehn itzunder, +Und werden keine Stunde gehn: +So wirst du eine Bruecke sehn +(Wir muessen selbst darueber gehn), +Die hat dir manchen schon betrogen +(Denn ueberhaupt solls dort nicht gar zu richtig sein); +Auf dieser Bruecke liegt ein Stein, +An den stoesst man, wenn man denselben Tag gelogen, +Und faellt, und bricht sogleich das Bein." + +Der Bub erschrak, sobald er dies vernommen. +"Ach", sprach er, "lauft doch nicht so sehr. +Doch wieder auf den Hund zu kommen, +Wie gross sagt ich, dass er gewesen waer? +Wie Euer grosses Pferd? Dazu will viel gehoeren. +Der Hund, itzt faellt mirs ein, war erst ein halbes Jahr; +Allein das wollt ich wohl beschwoeren, +Dass er so gross, als mancher Ochse, war." + +Sie gingen noch ein gutes Stuecke; +Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt es anders sein? +Denn niemand bricht doch gern ein Bein. +Er sah nunmehr die richterische Bruecke, +Und fuehlte schon den Beinbruch halb. +"Ja, Vater", fing er an, "der Hund, von dem ich redte, +War gross, und wenn ich ihn auch was vergroessert haette: +So war er doch viel groesser als ein Kalb." + +Die Bruecke koemmt. Fritz! Fritz! wie wird dirs gehen! +Der Vater geht voran; doch Fritz haelt ihn geschwind. +"Ach Vater!", spricht er, "seid kein Kind, +Und glaubt, dass ich dergleichen Hund gesehen. +Denn kurz und gut, eh wir darueber gehen, +Der Hund war nur so gross, wie alle Hunde sind." + +---- + +Du musst es nicht gleich uebelnehmen, +Wenn hie und da ein Geck zu luegen sich erkuehnt. +Lueg auch, und mehr als er, und such ihn zu beschaemen: +So machst du dich um ihn und um die Welt verdient. + + + + +Der beherzte Entschluss + +Ein guter ehrlicher Soldat, +Der (denn was tut man nicht, wenn man getrunken hat?) +Im Trunke seinen Wirt erschlagen, +Ward itzt hinausgefuehrt, fuer seine Missetat +Den Lohn durchs Schwert davonzutragen. +Er sah wohl aus, und wer ihn sah, +Bedauerte sein schmaehlich Ende, +Und wuenschte, dass er noch beim Koenig Gnade faende. +Besonders ging sein schweres Ende +Auch einer alten Jungfer nah. +Auf einmal fuehlte sie die Triebe +Des Mitleids und der Menschenliebe, +Und fuehlte sie nur mehr, je mehr sie auf ihn sah. +"Ach Himmel! ists nicht ewig schade? +Der schoene lange Mensch! Was fuer ein fein Gesicht, +Und was fuer Augen hat er nicht! +Seht doch den Bart! Ist das nicht eine Wade! +Die Straf ist in der Tat zu gross. +Wer kann sich denn im Trunke zaehmen? +Ich bitt ihn frei; ich will ihn nehmen." +Sie lief, und schrie, und bat ihn los, +Indem Johann schon niederkniete. +"Johann", fing drauf der Richter an, +"Es findet sich ein redliches Gemuete, +Dies Weibsbild hier verlangst dich zum Mann, +Und wenn du sie verlangst: so schenk ich dir das Leben." + +---- + +Johann erschrak und sah die Jungfer an; +Sie trat hinzu, ihn aufzuheben. +"Ja", sprach er, "Euer Dienst ist gross; +Allein es wird mir nicht viel fehlen, +Ihr werdet mich dafuer zeitlebens quaelen. +Ich seh Euchs an; was will ich lange waehlen? +Haut zu! So komm ich doch der Qual auf einmal los." + + + + +Der betruebte Witwer + +In Poitou (ich will mit Fleiss die Gegend nennen, +Damit sich die befragen koennen, +Die, wenn ein kleiner Umstand fehlt, +Schon zweifeln, ob man wahr erzaehlt), +In Poitou liess einst ein Mann sein Weib begraben; +Allein man merk es wohl, man ist in Poitou; +Da geht es, wenn sie Leichen haben, +So praechtig wie bei uns nicht zu. +Man kleidet sie geschwind mit leinen Sterberoecken, +Und traegt den Sarg, ohn ihn erst zuzudecken, +An den fuer ihn bestimmten Ort. +So trug man auch den offnen Sarg itzt fort; +Doch was geschieht, indem sie ihn so tragen? +Der Leichenweg ging dicht an einer Hecke hin; +Hier ritzt ein Dorn die tote Frau ins Kinn. +Auf einmal faengt sie an, die Augen aufzuschlagen, +Und ruft: "Wohin wollt ihr mich tragen?" +Hier, deucht mich, hoer ich viele fragen, +Wie kam die gute Frau zurueck? +Hielt es der Mann auch fuer ein Glueck, +Die Haelfte wiederzubekommen, +Die ihm der Tod zuvor genommen? +Wie mag ihm wohl gewesen sein? +Das letzte wird man gleich erfahren. +Nach weniger als sieben Jahren +Buesst sie das zweite Mal ihr junges Leben ein. +Der Mann gab ihr vom neuen das Geleite, +Und ging gesetzt an seiner Gattin Seite, +Wie alle harte Bauersleute. +Allein sobald er nur die Hecke wieder sah: +So wies er erst, wieviel sein Herz empfaende. +Er rung mit Traenen beide Haende. +"Ach", rief er aus, "da war es, da! +Kommt ja der Hecke nicht zu nah!" + + + + + +Der Bettler + +Ein Bettler kam mit blossem Degen +In eines reichen Mannes Haus, +Und bat sich, wie die Bettler pflegen, +Nur eine kleine Wohltat aus. +"Ich", sprach er, "kenn Ihr christlich Herze; +Sie sorgen gern fuer andrer Heil, +Und nehmen mit gerechtem Schmerze +An Ihres Naechsten Elend teil. +Ich weiss, mein Flehn wird Sie bewegen! +Sie sehn, ich fordre nichts mit Unbescheidenheit; +Nein, ich verlasse mich (hier wies er ihm den Degen) +Allein auf Ihre Guetigkeit." + +---- + +Dies ist die Art lobgieriger Skribenten, +Wenn sie um unsern Beifall flehn; +Sie geben uns mit vielen Komplimenten +Die harte Fordrung zu verstehn. +Der Autor will den Beifall nicht erpressen; +Nein, er verlaesst sich bloss auf unsre Billigkeit; +Doch, dass wir diese nicht vergessen: +So zeigt er uns zu gleicher Zeit +In beiden Haenden Krieg und Streit. + + + + +Der Blinde und der Lahme + +Von ungefaehr muss einen Blinden, +Ein Lahmer auf der Strasse finden, +Und jener hofft schon freudenvoll, +Dass ihn der andre leiten soll. +"Dir", spricht der Lahme, "beizustehen? +Ich armer Mann kann selbst nicht gehen; +Doch scheints, dass du zu einer Last +Noch sehr gesunde Schultern hast. + +Entschliesse dich, mich fortzutragen: +So will ich dir die Stege sagen: +So wird dein starker Fuss mein Bein, +Mein helles Auge deines sein." + +Der Lahme haengt, mit seinen Kruecken, +Sich auf des Blinden breiten Ruecken. +Vereint wirkt also dieses Paar, +Was einzeln keinem moeglich war. + +---- + +Du hast das nicht, was andre haben, +Und andern mangeln deine Gaben; +Aus dieser Unvollkommenheit +Entspringet die Geselligkeit. +Wenn jenem nicht die Gabe fehlte, +Die die Natur fuer mich erwaehlte: +So wuerd er nur fuer sich allein, +Und nicht fuer mich bekuemmert sein. + +Beschwer die Goetter nicht mit Klagen! +Der Vorteil, den sie dir versagen, +Und jenem schenken, wird gemein, +Wir duerfen nur gesellig sein. + + + + + +Der erhoerte Liebhaber + +Der groesste Fehler in der Liebe, +O Juengling, ist die Furchtsamkeit. +Was helfen dir die suessen Triebe +Bei einer stummen Schuechternheit? +Du liebst, und willst es doch nicht wagen. +Es deiner Schoenen zu gestehn; +Was deine Lippen ihr nicht sagen, +Soll sie in deinen Augen sehn. +Im stillen traegst du deinem Kinde +Das Herz mit Ehrerbietung an, +Und wuenschest, dass sie das empfinde, +Was doch dein Mund nicht sagen kann. +Du hoerst nicht auf, sie hochzuachten, +Und ehrst sie durch Bescheidenheit; +Sie fuehlt, und laesst dich dennoch schmachten. +Und wartet auf Bestaendigkeit. +Sie laesst dich in den Augen lesen, +Wieviel dir dieser Vorzug nuetzt; +Erst liebt sie dein bescheidnes Wesen, +Und endlich den, der es besitzt. +Ein Jahr verfliegt; o lacht des Bloeden, +Was hat er denn fuer seine Mueh? +Er darf mit ihr von Liebe reden, +Und wagt den ersten Kuss auf sie. +Ein Jahr! Und noch kein groessres Gluecke? +In Wahrheit! das ist laecherlich. +Warum rief er, beim ersten Blicke, +Nicht gleich! "Mein Kind, ich liebe dich!" +Da lob ich euch, ihr jungen Helden, +Ihr wisst von keiner langen Pein; +Ihr lasst euch bei der Schoenen melden, +Ihr kommt, und seht, und nehmt sie ein. +Und euren Mut recht zu beseelen, +Den ihr bei eurer Liebe fuehlt: +So will ich euch den Sieg erzaehlen, +Den einst Jesmin sehr schnell erhielt. + +---- + +Ein junger Mensch, der guetigst wollte, +Dass jedes schoene Kind die Ehre haben sollte, +Von ihm geliebt, von ihm gekuesst zu sein; +Jesmin, sah Sylvien, das heisst, sie nahm ihn ein. +Er sah sie in dem Fenster liegen, +Ward schnell besiegt, und schwor, sie wieder zu besiegen. +Die halbe Nacht verstrich, dass mein Jesmin nicht schlief; +Er sann auf einen Liebesbrief, +Schlug die Romane nach, und trug die hellsten Flammen +In einen Brief aus zwanzigen zusammen. +Der Brief ward fortgeschickt, und fuer sein bares Geld +Ward auch der Brief getreu bestellt. +Allein die Antwort will nicht kommen. +Jesmin, vom Kummer eingenommen, +Ergreift das Briefpapier, und schreibet noch einmal. +Er klagt der Schoenen seine Qual, +Er redt von strengen Liebeskerzen, +Von Augensonnen, heiss an Pein, +Von Tigermilch, von diamantnen Herzen, +Und von der Hoffnung Nordlichtschein, +Und schwoert, weil Sylvia durch nichts erweicht geworden, +Sich, bei Gelegenheit, aus Liebe zu ermorden. +Getrost, Jesmin! versiegle deinen Brief. +So wie das Siegelwachs am Lichte niederlief: +So wird der Schoenen Herz, eh Nacht und Tag verfliessen, +Von deines Briefes Glut erweicht, zerschmelzen muessen. +Der Brief wird fortgeschickt, und richtig ueberbracht. +Jesmin tut manch Gebet an Venus' kleinen Knaben; +Doch folgt die Antwort nicht. Wer haette das gedacht! +Das Maedchen muss ein Herz von Stahl und Eisen haben; +Doch welcher Baum faellt auf den ersten Hieb? +Ich zweifle nicht, die Schoene hat ihn lieb, +Und ihre Sproedigkeit ist ein verstelltes Wesen, +Um nur von ihm mehr Briefe noch zu lesen. +Wie koennte sie dem heissen Flehn +Und, da sie ihn unlaengst geputzt gesehn, +Der reichen Weste widerstehn? + +Ich weiss noch einen Rat, und dieser Rat wird gluecken. +Durch Verse kann man sehr entzuecken, +In Versen, mein Jesmin, in Versen schreib an sie; +Siegst du durch Verse nicht, Jesmin! so siegst du nie. +Er folgt. O wuenscht mit mir, dass ihm die Reime fliessen! +Seht, welch ein feurig Lied Jesmin zur Welt gebar! +Was konnte man auch anders schliessen. +Da seine Prosa schon so hoch und feurig war? + +Kaum hatte Sylvia das Heldenlied gelesen: +So kam auch schon ein Gegenbrief. +Man stellte sich vor, wie froh Jesmin gewesen, +Wie froh Jesmin der Magd entgegenlief! +Die schlaue Magd gruesst ihn galant. +Er steht und haelt den Brief entzueckt in seiner Hand, +Und brennet vor Begier, den Inhalt bald zu wissen, +Und kann vor Zaertlichkeit sich dennoch nicht entschliessen, +Das kleine Siegel abzuziehn; +Er drueckt den Brief an sich, er drueckt und kuesset ihn. +Die Magd kriegt ein Pistol, und schwoert, ihm treu zu bleiben. +Allein was stund in diesem Schreiben, +Als es Jesmin froh auseinanderschlug? +Kein Woertchen mehr als dies: "Mein Herr, Sie sind nicht klug!" + + + + + +Der Freier + +Ein Freier bat einst einen Freund, +Ihm doch ein Maedchen vorzuschlagen. +"Ich will dir zwei", versetzte jener, "sagen, +Dann waehle die, die sich fuer dich zu schicken scheint. +Die erste hat, nebst einem Rittersitze, +Ein recht bezauberndes Gesicht, +Liebt den Geschmack, spricht mit dem feinsten Witze, +Und schreibt die Sprachen, die sie spricht. +Sie spielt den Fluegel schoen, und kann vortrefflich singen +Und malet so geschickt, als es die Kunst begehrt. +Und in der Wirtschaft selbst gibt sie gemeinen Dingen +Durch ihre Sorgfalt einen Wert. +Allein bei aller Kunst und allen ihren Gaben +Hat sie kein gutes Herz. + +Die andre sieht nicht schoen, +Wird wenig im Vermoegen haben, +Und von den Kuensten nichts, die jene kann, verstehn; +Doch bei Verstand und einem stillen Reize, +Der, ohne dass sies sieht, gefaellt, +Besitzt sie, frei von Stolz und Geize, +Das beste Herze von der Welt. +Was taetst du wohl, wenn dich die erste haben wollte?" + +"Ach", fing der Freier an, "wenn dies geschehen sollte: +So spraech ich zu der ersten nein, +Um dadurch bald der andern wert zu sein." + + + + + +Der Freigeist + +Ihr, die ihr nach der Tugend strebet; +Ihr, die ihr dem gehorsam seid, +Was die Vernunft und was die Schrift gebeut, +Ein Freigeist lacht euch aus, dass ihr so sklavisch lebet. +Was sucht ihr? fragt er euch; nicht die Zufriedenheit? +Ists moeglich, sich so zu betruegen? +Um euch vergnuegt zu sehn, raubt ihr euch das Vergnuegen? +Ihr sucht die Ruh, und findt sie in der Last, +Hasst, was ihr liebt, und liebet, war ihr hasst. +Habt ihr Vernunft? Ich zweifle fast. +Die Freiheit in der Tugend finden, +Das heisst, um frei zu sein, sich erst an Ketten binden. +Dringt durch des Aberglaubens Nacht, +Die euch zu finstern Koepfen macht; +Folgt der Natur, geniesst, was sie euch schenket; +Sucht nichts, als was ihr wuenscht; flieht nichts, als was euch kraenket; +Denkt frei, und lebet, wie ihr denket, +Und gebt nicht auf die Toren acht. +Der Poebel ist der groesste Hauf auf Erden, +Von diesem reisst euch los. Er weiss nicht, was er glaubt, +Haelt seinen Trieb fuer unerlaubt, +Und sieht nicht, dass er sich sein Glueck aus Milzsucht raubt; +Sonst wuerd er nicht so aberglaeubisch werden. + +Drum fasst den kurzen Unterricht: +Was viele glauben, glaubet nicht. +Sie glauben es aus Traegheit, nichts zu pruefen; +Doch ein Vernuenftiger dringt in der Wahrheit Tiefen. +Was ist die Schrift? Was lehret sie? +Ein traurig Leben, reich an Mueh, +Und Raetsel, die wir aufzuschliessen, +Erst der Vernunft entsagen muessen. +Was ist das maechtige Gewissen? +Ein Ding, das die Erziehung schafft, +Ein heilig Erbteil aller Bloeden; +Doch die, die wissen, was sie reden, +Empfinden nichts von seiner Kraft. + +Folgt der Natur! Sie ruft; was kann sie anders wollen, +Als dass wir ihr gehorchen sollen? +Die Furcht erdachte Recht und Pflicht, +Und schuf den Himmel und die Hoelle. +Setzt die Vernunft an ihre Stelle, +Was seht ihr da? Den Himmel und die Hoelle? +O nein, ein weibisches Gedicht. +Lasst doch der Welt ihr kindisches Geschwaetze. +Was jeden ruhig macht, ist jedes sein Gesetze. +Mehr glaubt und braucht ein Kluger nicht. + +Dies war der Witz, mit dem in seinem Leben +Ein Freigeist sein System erwies; +Die Tugend von dem Throne stiess, +Um nur sein Laster drauf zu heben. +Sein boeses Herz war ihm Vernunft und Gott, +Und der am Kreuze starb, war oft des Frechen Spott. + +Sein Ende kam. Und der, der nie gezittert, +Ward ploetzlich durch den Tod erschuettert. +Das Schrecken einer Ewigkeit, +Ein Richter, der als Gott ihm fluchte, +Ein Abgrund, welcher ihn schon zu verschlingen suchte, +Zerstoerte das System tollkuehner Sicherheit. +Und der, der sonst mit seinen hohen Lehren +Der ganzen Welt zu widerstehn gewagt, +Fing an, der Magd geduldig zuzuhoeren, +Und liess von seiner frommen Magd, +Zu der er tausendmal "du christlich Tier" gesagt, +Sich widerlegen und bekehren. + +So stark sind eines Freigeists Lehren! + + + + + +Der Fuchs und die Elster + +Zur Elster sprach der Fuchs: "O, wenn ich fragen mag, +Was sprichst du doch den ganzen Tag? +Du sprichst wohl von besondern Dingen?" +"Die Wahrheit", rief sie, "breit ich aus. +Was keines weiss herauszubringen, +Bring ich durch meinen Fleiss heraus, +Vorn Adler bis zur Fledermaus." +"Duerft ich", versetzt der Fuchs, "mit Bitten dich beschweren: +So wuenscht ich mir, etwas von deiner Kunst zu hoeren." + +So wie ein weiser Arzt, der auf der Buehne steht, +Und seine Kuenste ruehmt, bald vor, bald rueckwaerts geht, +Ein seidnes Schnupftuch nimmt, sich raeuspert, und dann spricht: +So lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder, +Und strich an einem Zweig den Schnabel hin und wider, +Und macht ein sehr gelehrt Gesicht. +Drauf faengt sie ernsthaft an, und spricht: +"Ich diene gern mit meinen Gaben, +Denn ich behalte nichts fuer mich. +Nicht wahr, Sie denken doch, dass Sie vier Fuesse haben? +Allein, Herr Fuchs, Sie irren sich. +Nur zugehoert! Sie werdens finden, +Denn ich beweis es gleich mit Gruenden. + +Ihr Fuss bewegt sich, wenn er geht, +Und er bewegt sich nicht, solang er stillesteht; +Doch merken Sie, was ich itzt sagen werde, +Denn dieses ist es noch nicht ganz. +Sooft Ihr Fuss nur geht, so geht er auf der Erde. +Betrachten Sie nun Ihren Schwanz. +Sie sehen, wenn Ihr Fuss sich reget, +Dass auch Ihr Schwanz sich mit beweget; +Itzt ist Ihr Fuss bald hier, bald dort, +Und so geht auch Ihr Schwanz mit auf der Erde fort, +Sooft Sie nach den Huehnern reisen. +Daraus zieh ich nunmehr den Schluss: +Ihr Schwanz, das sei Ihr fuenfter Fuss; +Und dies, Herr Fuchs, war zu beweisen." + +---- + +Ja, dieses hat uns noch gefehlt! +Wie freu ich mich, dass es bei Tieren +Auch grosse Geister gibt, die alles demonstrieren! +Mir hats der Fuchs fuer ganz gewiss erzaehlt. +"Je minder sie verstehn", sprach dieses schlaue Vieh, +"Um desto mehr beweisen sie." + + + + +Der gluecklich gewordene Ehemann + +Frontin liebt Hannchen bis zum Sterben; +Denn Hannchen war ein schoenes Kind. +Allein je reizender die losen Maedchen sind, +Um desto weniger kann man ihr Herz erwerben. +Frontin erfuhr es wohl. Drei Jahre liebt er sie; +Allein umsonst war alle Mueh. +Was tat er endlich? Er verreiste, +Und ging (was kann wohl Aergers sein?), +Ging, sag ich, mit dem boesen Geiste +Ein Buendnis an dem Blocksberg ein; +Ein Buendnis, dass er ihm zwei Jahre dienen wollte, +Wofern er Hannchen noch zur Frau bekommen sollte. +Sie werden hurtig eins, und schliessen ihren Kauf; +Der boese Geist gibt ihm die Hand darauf. +Und ob er gleich die Welt sehr oft belogen, +Und Doktor Faustus selbst betrogen: +So hielt er doch sein Wort genau. +Frontin war Hannchens Mann, und sie ward seine Frau. +Doch eh vier Wochen sich verlieren: +So faengt Frontin schon an, den Schwarzen zu zitieren. +"Ach", spricht er, da der Geist erscheint, +"Ach, darf ich, lieber boeser Feind, +Noch einer Bitte mich erkuehnen? +Ich habe dir gelobt, fuer Hannchen, meine Frau, +Zwei Jahre, wie du weisst, zu dienen, +Und dies erfuellt ich auch genau; +Doch willst du mir mein Hannchen wieder nehmen: +So soll mein Dienst ein Jahr verlaengert sein." +Der Boese will sich nicht bequemen, +Drauf geht Frontin die Frist noch zweimal ein; +Denn, sprach er bei sich selbst, so arg du immer bist: +So weiss ich doch, dass Hannchen aerger ist. + + + + + +Der glueckliche Dichter + +Ein Dichter, der bei Hofe war-- +Bei Hofe? Was? Bei Hofe gar? +Wie kam er denn zu dieser Ehre? +Ich wuesste nicht, was ein Poet, +Ein Mensch, der nichts vom Recht und Staat versteht, +Was der bei Hofe noetig waere? +Was ein Poet bei Hofe noetig ist? +Ja, Freund, du hast wohl recht zu fragen. +Mich aergerts, dass August zween Dichter gern vertragen, +Die man doch itzt kaum in den Schulen liest. +Was ists denn nun mit zehn Racinen +Und Molieren? Nichts! Gar nichts! Der eine macht, +Dass man bei Hofe weint, der andre, dass man lacht. +Das heisst dem Staate trefflich dienen, +Dadurch wird ja kein Groschen eingebracht. +Doch auf die Sache selbst zu kommen. +Ein Dichter, den der Hof in seine Gunst genommen, +Schlief einst bei Tag im Louvre ein.-- +Wieso? War er berauscht? Das kann wohl moeglich sein. +Man hat in Frankreich guten Wein. +Und Dichter sollen insgemein +Von Wahrheit, Liebe, Witz und Wein +Sehr gute Freund und Kenner sein. +Ich mag die Welt nicht Luegen strafen, +Drum sag ich weder ja noch nein. + +Gnug, der Poet war eingeschlafen, +Und war nicht schoen, das man wohl merken muss; +Doch gab die Koenigin, den Schlaf ihm zu versuessen, +Ihm im Vorbeigehn einen Kuss. +"Was", rief ein Prinz, "den blassen Mund zu kuessen?" +"Blass", sprach die Koenigin, "blass ist er, das ist wahr; +Doch sagt der Mann mit seinem blassen Munde +Mehr Schoenes oft in einer Stunde +Als Sie, mein Prinz, durchs ganze Jahr." + + + + + +Der Greis + +Von einem Greise will ich singen, +Der neunzig Jahr die Welt gesehn. +Und wird mir itzt kein Lied gelingen: +So wird es ewig nicht geschehn. +Von einem Greise will ich dichten, +Und melden, was durch ihn geschah, +Und singen, was ich in Geschichten, +Von ihm, von diesem Greise, sah. + +Singt, Dichter, mit entbranntem Triebe, +Singt euch beruehmt an Lieb und Wein! +Ich lass euch allen Wein und Liebe, +Der Greis nur soll mein Loblied sein. + +Singt von Beschuetzern ganzer Staaten, +Verewigt euch und ihre Mueh! +Ich singe nicht von Heldentaten, +Der Greis sei meine Poesie. + +O Ruhm, dring in der Nachwelt Ohren, +Du Ruhm, den sich mein Greis erwarb! +Hoert, Zeiten, hoerts! Er ward geboren, +Er lebte, nahm ein Weib, und starb. + + + + + +Der gruene Esel + +Wie oft weiss nicht ein Narr durch toericht Unternehmen +Viel tausend Toren zu beschaemen! +Neran, ein kluger Narr, faerbt einen Esel gruen, +Am Leibe gruen, rot an den Beinen, +Faengt an, mit ihm die Gassen durchzuziehn; +Er zieht, und jung und alt erscheinen. +Welch Wunder! rief die ganze Stadt, +Ein Esel, zeisiggruen! der rote Fuesse hat! +Das muss die Chronik einst den Enkeln noch erzaehlen, +Was es zu unsrer Zeit fuer Wunderdinge gab! +Die Gassen wimmelten von Millionen Seelen; +Man hebt die Fenster aus, man deckt die Daecher ab; +Denn alles will den gruenen Esel sehn, +Und alle konnten doch nicht mit dem Esel gehn. + +Man lief die beiden ersten Tage +Dem Esel mit Bewundrung nach. +Der Kranke selbst vergass der Krankheit Plage, +Wenn man vom gruenen Esel sprach. +Die Kinder in den Schlaf zu bringen, +Sang keine Waerterin mehr von dem schwarzen Schaf; +Vom gruenen Esel hoert man singen, +Und so geraet das Kind in Schlaf. + +Drei Tage waren kaum vergangen: +So war es um den Wert des armen Tiers geschehn. +Das Volk bezeigte kein Verlangen, +Den gruenen Esel mehr zu sehn. +Und so bewundernswert er anfangs allen schien: +So dacht itzt doch kein Mensch mit einer Silb an ihn. + +---- + +Ein Ding mag noch so naerrisch sein, +Es sei nur neu: so nimmts den Poebel ein. +Er sieht, und er erstaunt. Kein Kluger darf ihm wehren. +Drauf koemmt die Zeit, und denkt an ihre Pflicht; +Denn sie versteht die Kunst, die Narren zu bekehren, +Sie moegen wollen oder nicht. + + + + +Der gute Rat + +Ein junger Mensch, der sich vermaehlen wollte, +Und dem man manchen Vorschlag tat, +Bat einen Greis um einen guten Rat, +Was fuer ein Weib er nehmen sollte? +"Freund", sprach der Greis, "das weiss ich nicht. +So gut man waehlt, kann man sich doch betruegen. +Sucht Ihr ein Weib bloss zum Vergnuegen: +So waehlet Euch ein schoen Gesicht; +Doch liegt Euch mehr an Renten und am Staate, +Als am verliebten Zeitvertreib: +So dien ich Euch mit einem andere Rate, +Bemueht Euch um ein reiches Weib; +Doch strebt Ihr durch die Frau nach einem hohen Range, +Nun so vergesst, dass bessre Maedchen sind, +Waehlt eines grossen Mannes Kind, +Und untersucht die Wahl nicht lange; +Doch wollt Ihr mehr fuer Eure Seele waehlen, +Als fuer die Sinnen und den Leib: +So wagts, um Euch nach Wunsche zu vermaehlen, +Und waehlt Euch ein gelehrtes Weib." +Hier schwieg der Alte lachend still. + +"Ach", sprach der junge Mensch, "das will ich ja nicht wissen: +Ich frage, welches Weib ich werde waehlen muessen, +Wenn ich zufrieden leben will? +Und wenn ich, ohne mich zu graemen--" + +"O", fiel der Greis ihm ein, "da muesst Ihr keine nehmen!" + + + + + +Der guetige Besuch + +Ein offner Kopf, ein muntrer Geist, +Kurz, einer von den feinen Leuten, +Die ihr Beruf zu Neuigkeiten +Nie denken, ewig reden heisst; +Die mit Gewalt es haben wollen, +Dass Kluge naerrisch werden sollen; +Ein solcher Schwaetzer trat herein, +Dem Dichter den Besuch zu geben. +"O", rief er, "welch ein traurig Leben! +Wie? Schlafen Sie denn nicht bei Ihren Buechern ein? +So sind Sie denn so ganz allein, +Und muessen gar vor Langerweile lesen? +Ich dacht es wohl, drum kam ich so geschwind." +"Ich bin", sprach der Poet, "noch nie allein gewesen, +Als seit der Zeit, da Sie zugegen sind." + + + + + +Der Hund + +Phylax, der so manche Nacht +Haus und Hof getreu bewacht, +Und oft ganzen Diebesbanden +Durch sein Bellen widerstanden; +Phylax, dem Lips Tullian, +Der doch gut zu stehlen wusste, +Selber zweimal weichen musste; +Diesen fiel ein Fieber an. +Alle Nachbarn gaben Rat. +Krummholzoel und Mithridat +Musste sich der Hund bequemen, +Wider Willen einzunehmen. +Selbst des Nachbar Gastwirts Mueh, +Der vordem in fremden Landen, +Als ein Doktor, ausgestanden, +War vergebens bei dem Vieh. + +Kaum erscholl die schlimme Post, +Als von ihrer Mittagskost, +Alle Brueder und Bekannten, +Phylax zu besuchen, rannten. +Pantelon, sein bester Freund, +Leckt ihm an dem heissen Munde. +O, erseufzt er, bittre Stunde! +O! wer haette das gemeint? + +"Ach!" rief Phylax, "Pantelon! +Ists nicht wahr, ich sterbe schon? +Haett ich nur nichts eingenommen, +Waer ich wohl davongekommen. +Sterb ich Aermster so geschwind: +O! so kannst du sicher schreien, +Dass die vielen Arzeneien +Meines Todes Quelle sind. + +Wie zufrieden schlief ich ein! +Sollt ich nur so manches Bein, +Das ich mir verscharren muessen, +Vor dem Tode noch geniessen. +Dieses macht mich kummervoll, +Dass ich diesen Schatz vergessen, +Nicht vor meinem Ende fressen, +Auch nicht mit mir nehmen soll. + +Liebst du mich, und bist du treu: +O! so hole sie herbei; +Eines wirst du bei den Linden, +An dem Gartentore finden; +Eines, lieber Pantelon, +Hab ich nur noch gestern morgen +In dem Winterreis verborgen; +Aber friss mir nichts davon." + +Pantelon war fortgerannt, +Brachte treulich, was er fand; +Phylax roch, bei schwachem Mute, +Noch den Dunst von seinem Gute. +Endlich, da sein Auge bricht, +Spricht er: "Lass mir alles liegen! +Sterb ich, so sollst du es kriegen; +Aber, Bruder, eher nicht. + +Sollt ich nur so gluecklich sein, +Und das schoene Schinkenbein, +Das ich--doch ich mags nicht sagen, +Wo ich dieses hingetragen. +Werd ich wiederum gesund: +Will ich dir, bei meinem Leben, +Auch die beste Haelfte geben; +Ja du sollst--" Hier starb der Hund. + +---- + +Der Geizhals bleibt im Tode karg; +Zween Blicke wirft er auf den Sarg, +Und tausend wirft er mit Entsetzen +Nach den mit Angst verwahrten Schaetzen. +O schwere Last der Eitelkeit! +Um schlecht zu leben, schwer zu sterben, +Sucht man sich Gueter zu erwerben; +Verdient ein solches Glueck wohl Neid? + + + + +Der junge Drescher + +Dem Drescher, der im weichen Gras +Vor seinem Topf, mit Milch und schwarzem Brote, sass, +Dem wollte seine Milch nicht schmecken. +Er fing verdriesslich an, sich in das Gras zu strecken, +Dacht aengstlich seinem Schicksal nach, +Und dehnte sich dreimal, und sprach: +Du bist ein schlechter Kerl, du hast kein eignes Dach, +Und musst dich Tag vor Tag mit deinem Flegel plagen. +Du taetst ja gern mit deinem Schatze schoen; +Allein, du Narr, musst in der Scheune stehn, +Und kannst nach langen vierzehn Tagen +Kaum einmal in die Schenke gehn, +Und einen Krug mit Bier und deine Mieke sehn. +Du bist noch jung, und kannst huebsch lesen und huebsch schreiben, +Und wolltest stets ein Drescher bleiben? +Des Schulzens Tochter ist dir gut, +Ist reich und kann sich huebsch gebaerden: +So nimm sie doch. Du kannst, mein Blut! +Wohl mit der Zeit noch Schulze werden. +Alsdann isst du dein Stuecke Fleisch in Ruh, +Und trinkst dein gutes Bier dazu, +Und hast gleich nach dem Pfarr die Ehre-- +O wenn ich doch schon Schulze waere! +Indem Hanns noch so sprach, kam seine Schoene her. +Sie tat, als kaeme sie nur so von ungefaehr; +Allein sie kam mit Fleiss, weil sie ihn sprechen wollte, +Und er verwegen sein, und sie recht herzen sollte. +Denn Maedchen, wenn sie gleich das Dorf erzogen hat, +Sind wie die Maedchen in der Stadt. + +Hanns zieht die Schoene sanft zu sich ins Gruene nieder, +Lobt ihren neuen Latz, schielt oefters auf ihr Mieder, +Fast wie ein junger Herr. Nur mit dem Unterscheid, +Er hatte mehr Schamhaftigkeit. +Kurz, er fing an, sie recht verliebt zu kuessen, +Bat um ihr Herz, und trug ihr Herz davon, +Und ward, wie viele noch auf diesem Dorfe wissen, +Des reichen Schulzen Schwiegersohn. +Kaum hatt er sie, so ward der Alte schon +Durch schnellen Tod der Welt und seinem Dorf entrissen. +Wen wird man nun Herr Schulze gruessen? +Wen anders, als den Schwiegersohn? + +Er eilt ins Amt, koemmt bald und freudig wieder, +Und wirft sich auf die Bank, als Schulz im Dorfe, nieder. + +So wie ein durch den Fleiss vollendeter Student, +Nach einem gluecklichen Examen, +Sich selbst vor trunkner Lust nicht kennt, +Wenn ihn die Magd in seiner Schoene Namen, +Nach einem tiefen Kompliment, +Das erstemal Herr Doktor nennt: +So wusst auch Hanns vor grosser Freude +Nicht, wo er Haend und Fuesse liess, +Als ihn Schulmeisters Adelheide +Das erstemal Herr Schulze hiess. + +Wie gluecklich pries er sich in seiner Ehrenstelle! +Er ass sein Fleisch, und tat den Gaesten oft Bescheid. +Allein es kamen mit der Zeit +Auch viel unangenehme Faelle. +Denn welches Amt ist wohl davon befreit? +Nach einer nicht gar langen Zeit +Warf sich Herr Hanns verdriesslich auf die Stelle, +Auf der er sich sein Glueck erfreit, +Und oft gewuenscht: Wenn ich doch Schulze waere! +Ich, fing er zu sich selber an, +Ich habe Haus, und Hof, und Ehre, +Und bin mit alledem doch ein geplagter Mann. +Bald soll ich von der Bauern Leben +Im Amte Red und Antwort geben, +Da faehrt mich denn der Amtmann an, +Und heisst mich einen dummen Mann. +Bald quaelen mich die teuflischen Soldaten, +Und fluchen mir die Ohren voll. +Bald weiss ich mir bei den Mandaten, +Bald in Quatembern nicht zu raten, +Die ich dem Landknecht schaffen soll. + +Die Bauern brummen, wenn ich strafe, +Und straf ich nicht: so lachen sie mich aus. +Sonst stoerte mich kein Mensch im Schlafe, +Itzt pocht mich jeder Narr heraus, +Und, wenn es niemand tut, so hunzt die Frau mich aus. +O waere mirs nur keine Schande, +Ich griffe nach dem ersten Stande, +Und stuerb als Drescher auf dem Lande. + +---- + +Wer weiss, ob mancher Grosse nicht +Im Herzen wie der Schulze spricht? +Wer weiss, wie viele sonst zu Fusse ruhig waren, +Die itzund missvergnuegt in stolzen Kutschen fahren? +Wer weiss, ob manches Herz nicht viel zufriedner schlug, +Eh es der Fuersten Gunst an einem Bande trug? +O lernt, ihr unzufriednen Kleinen, +Dass ihr die Ruh nicht durch den Stand gewinnt! +Lernt doch, dass die am mindsten gluecklich sind, +Die euch am meisten gluecklich scheinen! + + + + +Der junge Gelehrte + +Ein junger Mensch, der viel studierte, +Und, wie die Eltern ganz wohl sahn, +Was Grosses schon im Schilde fuehrte, +Sprach einen Greis um solche Schriften an, +Die stark und sinnreich denken lehrten, +Mit einem Wort, die zum Geschmack gehoerten. +Der Alte ward von Herzen froh, +Und lobt ihm den Homer, den Plato, Cicero, +Und hundert mehr aus alt und neuer Zeit, +Die mit den heilgen Lorbeerkraenzen +Der Dichtkunst und Wohlredenheit, +Umleuchtet von der Ewigkeit, +Den Juenglingen entgegenglaenzen. +"O", hub der junge Mensch mit stolzem Laecheln an: +"Ich habe sie fast alle durchgelesen; +Allein"--"Nun gut", sprach der gelehrte Mann, +"Sind sie nach Seinem Sinn gewesen: +So muss Er sie noch zweimal lesen; +Doch sind sie Ihm nicht gut genug gewesen: +So sag Ers ja den Klugen nicht, +Denn sonst erraten sie, woran es Ihm gebricht, +Und heissen Ihn die Zeitung lesen." + + + + + +Der junge Prinz + +Ein junger Prinz, der sich des Oheims Gunst empfohlen, +Bekam von ihm zweihundert Stueck Pistolen +Mit der Ermunterung, damit wohl umzugehn. +Er liess nach einger Zeit sich wieder vor ihm sehn. +Indem dass nun der Oheim mit ihm redte: +So fragt er ihn zu gleicher Zeit, +Ob er das letzte Geld wohl angewendet haette? +"Hier", sprach der junge Prinz erfreut, +"Hier hab ich meine ganze Kasse; +An den zweihunderten fehlt nicht ein einzig Stueck." + +Der Oheim nahm den Augenblick +Das Geld, und warf es auf die Gasse. +"Lernt, Prinz", fing drauf der Oheim an, +"Die Kunst, das Geld nutzbarer anzuwenden; +Ein Prinz hat darum viel in Haenden, +Damit er vielen dienen kann." + + + + + +Der Juengling + +Ein Juengling, welcher viel von einer Stadt gehoert, +In der der Segen wohnen sollte, +Entschloss sich, dass er da sich niederlassen wollte. +Dort, sprach er oft, sei dir dein Glueck beschert. +Er nahm die Reise vor, und sah schon mit Vergnuegen +Die liebe Stadt auf einem Berge liegen. +Gottlob! fing unser Juengling an, +Dass ich die Stadt schon sehen kann; +Allein der Berg ist steil. O, waer er schon erstiegen! +Ein fruchtbar Tal stiess an des Berges Fuss. +Die groesste Menge schoener Fruechte +Fiel unserm Juengling ins Gesichte. +O, dacht er, weil ich doch sehr lange steigen muss: +So will ich, meinen Durst zu stillen, +Den Reisesack mit solchen Fruechten faellen. +Er ass, und fand die Frucht vortrefflich vom Geschmack, +Und fuellte seinen Reisesack. + +Er stieg den Berg hinan, und fiel den Augenblick +Beladen in das Tal zurueck. +"O Freund!" rief einer von den Hoehen, +"Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen. +Der Berg ist steil, und muehsam jeder Schritt. +Und du nimmst dir noch eine Buerde mit? +Vergiss das Obst, das du zu dir genommen, +Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen. +Steig leer, und steig beherzt, und gib dir alle Mueh; +Denn unser Glueck verdienet sie." + +Er stieg, und sah empor, wie weit er steigen muesste. +Ach Himmel! ach, es war noch weit. +Er ruht und ass zu gleicher Zeit +Von seiner Frucht, damit er sich die Mueh versuesste. +Er sah bald in das Tal, und bald den Berg hinan; +Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnuegen an. +Er sinnt. Ja ja, er mag es ueberlegen. +Steig, sagt ihm sein Verstand, bemueh dich um dein Glueck. +Nein, sprach sein Herz, kehr in das Tal zurueck; +Du steigst sonst ueber dein Vermoegen. +Ruh etwas aus, und iss dich satt, +Und warte, bis dein Fuss die rechten Kraefte hat. +Dies tat er auch. Er pflegte sich im Tale, +Entschloss sich oft zu gehn, und schien sich stets zu matt. +Das erste Hindernis galt auch die andern Male. +Kurz, er vergass sein Glueck, und kam nie in die Stadt. + +---- + +Dem Juengling gleichen viele Christen. +Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt, +Und sehn darauf nach ihren Luesten, +Und nehmen ihre Lueste mit. +Beschwert mit diesen Hindernissen, +Weicht bald ihr traeger Geist zurueck. +Und, auf ein sinnlich Glueck beflissen, +Vergessen sie die Mueh um ein unendlich Glueck. + + + + +Der Kandidat + +Ein Kandidat, der gern befoerdert werden wollte, +Lag einem sehr beruehmten Mann, +Der viel vermocht, instaendig an, +Dass er sein Glueck ihm machen sollte, +Und reichte, weil ein Platz im Ratstuhl offen war, +Dem Goenner eine Bittschrift dar. +Der Goenner las sie durch, und las sie mit Vergnuegen. +"Es kraenkt mich", fing er an, und nahm ihn bei der Hand, +"Dass ich Sie eher nicht gekannt. +Ich lieb und ehre den Verstand. +Sie sollen dieses Amt vor allen andern kriegen." +Er sprach darauf mit ihm, und was der Juengling sprach, +Verriet den besten Geist, geschaffen zum Studieren, +Zum groessten Amte nicht zu schwach, +Und wert, die andern zu regieren. + +"Ach!" sprach der Goenner ganz erfreut, +"Nun kenn ich Sie; das Amt ist Ihre", +Und in der groessten Freundlichkeit +Ging er mit ihm bis vor die Tuere. +Hier bot der Juengling ihm ein grosses Goldstueck an, +Um sichrer noch zu gehn. "Nein", sprach der wackre Mann, +"Nunmehr soll dieses Amt nicht Ihre; +Denn wer Geschenke gibt, nimmt sie auch wieder an; +Ihr Herz ist schlecht." Hier griff er nach der Tuere. + + + + + +Der Knabe + +Ein Knabe, der den fleissigen Papa, +Oft nach den Sternen gucken sah, +Wollt auch den Himmel kennenlernen. +Er blieb steif vor dem Sehrohr stehn, +Und sah begierig nach den Sternen; +Allein er konnte nicht viel sehn. +"Was heisst es denn", sprach drauf der Knabe, +"Dass ich fast nichts erkennen kann? +Ha, ha, nun faellt mirs ein, was ich vergessen habe; +Mein Vater faengt es anders an, +Er blinzt zuweilen zu, das hab ich nicht getan. +O bin ich nicht ein dummer Knabe! +Schon gut! Nun weiss ich, was ich tu." +Und hurtig hielt er sich die Augen beide zu, +Und sah durchs Sehrohr nach den Sternen. +Der Narr! Was sah er denn? Das alles, was du siehst, +Wenn du, um durch die Schrift Gott deutlich sehn zu lernen, +Dir die Vernunft vorher entziehst. + + + + +Der Kranke + +Ein Mann, den lange schon die Gliederkrankheit plagte, +Tat alles, was man ihm nur sagte, +Und konnte doch von seiner Pein +Auf keine Weise sich befrein. +Ein altes Weib, der er sein Elend klagte, +Schlug ihm geheimnisvoll ein magisch Mittel vor. +"Ihr muesst Euch", zischt sie ihm ins Ohr, +"Auf eines Frommen Grab bei frueher Sonne setzen, +Und Euch mit dem gefallnen Tau +Dreimal die Hand, dreimal den Schenkel netzen; +Es hilft, gedenkt an eine Frau." +Der Kranke tat, was ihm die Alte sagte; +Denn sagt, was tut man nicht, ein Uebel los zu sein? +Er ging zum Kirchhof hin, und zwar, sobald es tagte, +Und trat an einen Leichenstein, +Und las: "Wer dieser Mann gewesen, +Laesst, Wandrer, dich sein Grabmal lesen: +Er war das Wunder seiner Zeit, +Das Muster wahrer Froemmigkeit; +Und, dass man viel mit wenig Worten sagt, +Er ists, den Kirch und Schul, und Stadt und Land beklagt." +Hier setzt sich der Geplagte nieder, +Benetzt die halb gelaehmten Glieder; +Doch ohne Wirkung bleibt die Kur, +Sein Gliederschmerz vermehrt sich nur. +Er greift betruebt nach seinem Stabe, +Schleicht von des frommen Mannes Grabe, +Und setzt sich auf das naechste Grab, +Dem keine Schrift ein Denkmal gab; +Hier nahm sein Schmerz allmaehlich ab. +Er braucht sogleich sein Mittel wieder; +Schnell lebten die gelaehmten Glieder, +Und, ohne Schmerz und ohne Stab, +Verliess er dieses fromme Grab. +"Ach", rief er, "laesst kein Stein mich lesen, +Wer dieser fromme Mann gewesen?" +Der Kuester kam von ungefaehr herbei; +Den fragt der Mann, wer hier begraben sei? +Der Kuester laesst sich lange fragen, +Als koennt ers ohne Scheu nicht sagen. +"Ach!" hub er endlich seufzend an: +"Verzeih mirs Gott! es war ein Mann, +Dem, weil er Ketzereien glaubte, +Man kaum ein ehrlich Grab erlaubte; +Ein Mann, der lose Kuenste trieb, +Komoedien und Verse schrieb; +Er war, wie ich mit Recht behaupte, +Ein Neuling und ein Boesewicht." +"Nein!" sprach der Mann, "das war er nicht, +So gottlos ihn die Leute schalten; +Doch jener dort, den ihr fuer fromm gehalten, +Von dem sein Grab so ruehmlich spricht, +Der war gewiss ein Boesewicht." + + + + + +Der Kuckuck + +Der Kuckuck sprach mit einem Star, +Der aus der Stadt entflohen war. +"Was spricht man", fing er an zu schreien, +"Was spricht man in der Stadt von unsern Melodeien? +Was spricht man von der Nachtigall?" +"Die ganze Stadt lobt ihre Lieder." +"Und von der Lerche?" rief er wieder. +"Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall." +"Und von der Amsel?" fuhr er fort. +"Auch diese lobt man hier und dort." +"Ich muss dich doch noch etwas fragen: +Was", rief er, "spricht man denn von mir?" +"Das", sprach der Star, "das weiss ich nicht zu sagen; +Denn keine Seele redt von dir." +"So will ich", fuhr er fort, "mich an dem Undank raechen, +Und ewig von mir selber sprechen." + + + + +Der Luegner + +Ihr Meister in der Kunst zu luegen, +Ruehmt euren Witz, schlau zu betruegen, +Soviel ihr uns davon erzaehlt: +So wett ich doch, dass euch die rechte List noch fehlt. +Ein schlechter Mensch, ihr werdet lachen, +Wird euch den Vorzug streitig machen. + +---- + +In London sass ein boeser Bube +Nebst einem andern auf den Tod. +Ein Anatomikus trat in die Kerkerstube, +Und tat auf seinen Leib dem einen ein Gebot.* +Doch Niklas schwor, dass ihn der Teufel holen sollte, +Eh er fuer diesen Preis dem Arzt sich lassen wollte. +"Herr", schrie der andre Delinquent, +"Sagt, wie Ihr um den Kerl so lange handeln koennt? +Lasst seinen magern Leib den Raben. +Seht, wie gesund ich bin, wie fett! Ihr sollt mich haben. +Und wisst Ihr, was Ihr geben sollt? +Ich will es billig mit Euch machen: +Drei Gulden. Bin ich tot: so schneidet, wie Ihr wollt, +Ich will von keinem Schnitt erwachen." +Kaum hat er noch das Geld empfangen: +So rief der witzge Delinquent: +"Gelogen! Herr, seht zu, wie Ihr mich kriegen koennt! +Ich werd in Ketten aufgehangen." + + + + + +Der Maler + +Ein kluger Maler in Athen, +Der minder, weil man ihn bezahlte, +Als, weil er Ehre suchte, malte, +Liess einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn, +Und bat sich seine Meinung aus. +Der Kenner sagt ihm frei heraus, +Dass ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte, +Und dass es, um recht schoen zu sein, +Weit minder Kunst verraten sollte. +Der Maler wandte vieles ein: +Der Kenner stritt mit ihm aus Gruenden, +Und konnt ihn doch nicht ueberwinden. +Gleich trat ein junger Geck herein, +Und nahm das Bild in Augenschein. +"O", rief er, bei dem ersten Blicke, +"Ihr Goetter, welch ein Meisterstuecke! +Ach welcher Fuss! O wie geschickt +Sind nicht die Naegel ausgedrueckt! +Mars lebt durchaus in diesem Bilde. +Wie viele Kunst, wie viele Pracht, +Ist in dem Helm, und in dem Schilde, +Und in der Ruestung angebracht!" + +Der Maler ward beschaemt geruehret, +Und sah den Kenner klaeglich an. +"Nun", sprach er, "bin ich ueberfuehret! +Ihr habt mir nicht zuviel getan." +Der junge Geck war kaum hinaus: +So strich er seinen Kriegsgott aus. + +---- + +Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefaellt; +So ist es schon ein boeses Zeichen; +Doch wenn sie gar des Narren Lob erhaelt: +So ist es Zeit, sie auszustreichen. + + + + +Der Polyhistor + +An jenem Fluss, zu dem wir alle muessen, +Es mag uns noch so sehr verdruessen, +An jenem Fluss kam einst ein hochgelehrter Mann, +Bestaeubt von seinen Buechern, an, +Und eilte zu des Charons Kahn. +"Willkommen!" fing der Faehrmann an, +Indem er sich aufs Ruder lehnte, +Und bei dem Wort Willkommen herzlich gaehnte, +"Wer seid Ihr denn, mein lieber Mann?" +"Ein Polyhistor", sprach der Schatten, +"Fuer den die Schulen Ehrfurcht hatten--" +Indem er noch vor Charons Kahn +Von seinen Sprachen sprach, von nichts als Stuempern redte, +Und von Quartanten schrie, die er geschrieben haette, +Kam noch ein andrer Schatten an, +Mit einer demutsvollen Miene. +"Und wer seid Ihr, auch ein gelehrter Mann?" +"Ich zweifle sehr", sprach er, "ob ich den Ruhm verdiene. +Ich habe nichts als mich studiert. +Nichts als mein Herz, das mich so oft verfuehrt, +Des Tiefe sucht ich zu ergruenden, +Um meine Ruh und andrer Ruh zu finden; +Allein soviel ich immer nachgedacht, +Und so bekannt ich mich mit der Vernunft gemacht: +So hab ichs doch nicht weit gebracht, +Wie mich viel Fehler ueberzeugen." + +Der Polyhistor hoerts und lacht, +Und eilt, um in den Kahn zuallererst zu steigen. +"Zurueck!" rief Charon ziemlich hart, +"Ich muss zuerst den Klugen ueberfahren, +Kaum einer koemmt in hundert Jahren; +Allein an Leuten Eurer Art, +Die stolze Polyhistor waren, +Hab ich mich schon bald lahm gefahren." + + + + + +Der Prozess + +Ja, Prozesse muessen sein! +Gesetzt, sie waeren nicht auf Erden, +Wie koennt alsdann das Mein und Dein +Bestimmet und entschieden werden? +Das Streiten lehrt uns die Natur. +Drum, Bruder, recht' und streite nur. +Du siehst, man will dich uebertaeuben; +Doch gib nicht nach, setz alles auf, +Und lass dem Handel seinen Lauf; +Denn Recht muss doch Recht bleiben. +"Was sprecht Ihr, Nachbar? Dieser Rain, +Der sollte, meint Ihr, Euer sein? +Nein, er gehoert zu meinen Hufen." + +"Nicht doch, Gevatter, nicht, Ihr irrt; +Ich will Euch zwanzig Zeugen rufen, +Von denen jeder sagen wird, +Dass lange vor der Schwedenzeit--" + +"Gevatter, Ihr seid nicht gescheit! +Versteht Ihr mich? Ich will Euchs lehren, +Dass Rain und Gras mir zugehoeren. +Ich will nicht eher sanfte ruhn; +Das Recht, das soll den Ausspruch tun." + +So saget Kunz, schlaegt in die Hand, +Und rueckt den spitzen Hut die Quere. +"Ja, eh ich diesen Rain entbehre, +So meid ich lieber Gut und Land." +Der Zorn bringt ihn zu schnellen Schritten, +Er eilet nach der nahen Stadt. +Allein, Herr Glimpf, sein Advokat, +War kurz zuvor ins Amt geritten. +Er laeuft, und holt Herrn Glimpfen ein. +Wie, sprecht ihr, kann das moeglich sein? +Kunz war zu Fuss, und Glimpf zu Pferde. +So glaubt ihr, dass ich luegen werde? +Ich bitt euch, stellt das Reden ein, +Sonst werd ich, diesen Schimpf zu raechen, +Gleich selber mit Herrn Glimpfen sprechen. + +Ich sag es noch einmal, Kunz holt Herr Glimpfen ein, +Greift in den Zaum, und gruesst Herr Glimpfen. +"Herr!" faengt er ganz erbittert an, +"Mein Nachbar, der infame Mann, +Der Schelm, ich will ihn zwar nicht schimpfen; +Der, denkt nur, spricht, der schmale Rain, +Der zwischen unsern Feldern lieget, +Der, spricht der Narr, der waere sein. +Allein den will ich sehn, der mich darum betrueget. +Herr", fuhr er fort, "Herr, meine beste Kuh, +Sechs Scheffel Haber noch dazu! +(Hier wieherte das Pferd vor Freuden.) +O dient mir wider ihn, und helft die Sach entscheiden." + +"Kein Mensch", versetzt Herr Glimpf, "dient freudiger als ich. +Der Nachbar hat nichts einzuwenden, +Ihr habt das groesste Recht in Haenden; +Aus Euren Reden zeigt es sich. +Genug, verklagt den Ungestuemen! +Ich will mich zwar nicht selber ruehmen, +Dies tut kein ehrlicher Jurist; +Doch dieses koennt Ihr leicht erfahren, +Ob ein Prozess, seit zwanzig Jahren, +Von mir verloren worden ist? +Ich will Euch Eure Sache fuehren, +Ein Wort, ein Mann! Ihr sollt sie nicht verlieren." +Glimpf reutet fort. "Herr", ruft ihm Kunz noch nach, +"Ich halte, was ich Euch versprach." + +Wie hitzig wird der Streit getrieben! +Manch Ries Papier wird vollgeschrieben. +Das halbe Dorf muss in das Amt; +Man eilt, die Zeugen abzuhoeren, +Und fuenfundzwanzig muessen schwoeren, +Und diese schwoeren insgesamt, +Dass, wie die alte Nachricht lehrte, +Der Rain ihm gar nicht zugehoerte. +Ei, Kunz, das Ding geht ziemlich schlecht! +Ich weiss zwar wenig von dem Rechte; +Doch im Vertraun geredt, ich daechte, +Du haettest nicht das groesste Recht. + +Manch widrig Urteil koemmt; doch lasst es widrig klingen! +Glimpf muntert den Klienten auf: +"Lasst dem Prozesse seinen Lauf, +Ich schwoer Euch, endlich durchzudringen, +Doch-- + "Herr, ich hoer es schon; ich will das Geld gleich bringen." + +Kunz borgt manch Kapital. Fuenf Jahre waehrt der Streit; +Allein, warum so lange Zeit? +Dies, Leser, kann ich dir nicht sagen, +Du musst die Rechtsgelehrten fragen. + +Ein letztes Urteil koemmt. O seht doch, Kunz gewinnt! +Er hat zwar viel dabei gelitten; +Allein was tuts, dass Haus und Hof verstritten, +Und Haus und Hof schon angeschlagen sind? +Genug, dass er den Rain gewinnt. +"O", ruft er, "lernt von mir, den Streit aufs hoechste treiben, +Ihr seht ja, Recht muss doch Recht bleiben!" + + + + + +Der Reisende + +Ein Wandrer bat den Gott der Goetter, +Den Zeus, bei ungestuemem Wetter, +Um stille Luft und Sonnenschein. +Umsonst! Zeus laesst sich nicht bewegen; +Der Himmel stuermt mit Wind und Regen, +Denn stuermisch sollt es heute sein. +Der Wandrer setzt mit bittrer Klage, +Dass Zeus mit Fleiss die Menschen plage, +Die saure Reise muehsam fort. +Sooft ein neuer Sturmwind wuetet, +Und schnell ihm stillzustehn gebietet: +Sooft ertoent ein Laesterwort. + +Ein naher Wald soll ihn beschirmen; +Er eilt, dem Regen und den Stuermen +In diesem Holze zu entgehn; +Doch eh der Wald ihn aufgenommen: +So sieht er einen Raeuber kommen, +Und bleibt vor Furcht im Regen stehn. + +Der Raeuber greift nach seinem Bogen, +Den schon die Naesse schlaff gezogen; +Er zielt, und fasst den Pilger wohl; +Doch Wind und Regen sind zuwider; +Der Pfeil faellt matt vor dem danieder, +Dem er das Herz durchbohren soll. + +"O Tor!" laesst Zeus sich zornig hoeren, +"Wird dich der nahe Pfeil nun lehren, +Ob ich dem Sturm zu viel erlaubt? +Haett ich dir Sonnenschein gegeben, +So haette dir der Pfeil das Leben, +Das dir der Sturm erhielt, geraubt." + + + + + +Der Schatz + +Ein kranker Vater rief den Sohn. +"Sohn!" sprach er, "um dich zu versorgen, +Hab ich vor langer Zeit einst einen Schatz verborgen; +Er liegt--" Hier starb der Vater schon. +Wer war bestuerzter als der Sohn? +"Ein Schatz! (So waren seine Worte.) +Ein Schatz! Allein an welchem Orte? +Wo find ich ihn?" Er schickt nach Leuten aus, +Die Schaetze sollen graben koennen, +Durchbricht der Scheuern harte Tennen, +Durchgraebt den Garten und das Haus, +Und graebt doch keinen Schatz heraus. +Nach viel vergeblichem Bemuehen +Heisst er die Fremden wieder ziehen, +Sucht selber in dem Hause nach, +Durchsucht des Vaters Schlafgemach, +Und findt mit leichter Mueh (wie gross war sein Vergnuegen!) +Ihn unter einer Diele liegen. + +---- + +Vielleicht, dass mancher eh die Wahrheit finden sollte, +Wenn er mit mindrer Mueh die Wahrheit suchen wollte. +Und mancher haette sie wohl zeitiger entdeckt, +Wofern er nicht geglaubt, sie waere tief versteckt. +Verborgen ist sie wohl; allein nicht so verborgen, +Dass du der finstern Schriften Wust, +Um sie zu sehn, mit tausend Sorgen, +Bis auf den Grund durchwuehlen musst. +Verlass dich nicht auf fremde Mueh, +Such selbst, such aufmerksam, such oft: du findest sie. +Die Wahrheit, lieber Freund, die alle noetig haben, +Die uns, als Menschen, gluecklich macht, +Ward von der weisen Hand, die sie uns zugedacht, +Nur leicht verdeckt; nicht tief vergraben. + + + + +Der Selbstmord + +O Juengling, lern aus der Geschichte, +Die dich vielleicht zu Traenen zwingt, +Was fuer bejammernswerte Fruechte +Die Liebe zu den Schoenen bringt! +Ein Beispiel wohlgezogner Jugend, +Des alten Vaters Trost und Stab, +Ein Juengling, der durch fruehe Tugend +Zur groessten Hoffnung Anlass gab; + +Den zwang die Macht der schoenen Triebe, +Climenen zaertlich nachzugehn. +Er seufzt, er bat um Gegenliebe; +Allein vergebens war sein Flehn. + +Fussfaellig klagt er ihr sein Leiden. +Umsonst! Climene heisst ihn fliehn. +Ja, schreit er, ja, ich will dich meiden, +Ich will mich ewig dir entziehn. + +Er reisst den Degen aus der Scheide, +Und--o was kann verwegner sein! +Kurz, er besieht die Spitz und Schneide, +Und steckt ihn langsam wieder ein. + + + + + +Der sterbende Vater + +Ein Vater hinterliess zween Erben, +Christophen, der war klug, und Goergen, der war dumm. +Sein Ende kam, und kurz vor seinem Sterben +Sah er sich ganz betruebt nach seinem Christoph um. +"Sohn", fing er an, "mich quaelt ein trauriger Gedanke: +Du hast Verstand, wie wird dirs kuenftig gehn? +Hoer an, ich hab in meinem Schranke +Ein Kaestchen mit Juwelen stehn, +Die sollen dein. Nimm sie, mein Sohn, +Und gib dem Bruder nichts davon." +Der Sohn erschrak und stutzte lange. +"Ach Vater", hub er an, "wenn ich so viel empfange, +Wie koemmt alsdann mein Bruder fort?" +"Er?" fiel der Vater ihm ins Wort, +"Fuer Goergen ist mir gar nicht bange, +Der koemmt gewiss durch seine Dummheit fort." + + + + + +Der suesse Traum + +Mit Traeumen, die uns schoen betruegen, +Erfreut den Timon einst die Nacht; +Im Schlaf erlebt er das Vergnuegen, +An das er wachend kaum gedacht. +Er sieht, aus seines Bettes Mitte +Steigt schnell ein grosser Schatz herauf. +Und schnell baut er aus seiner Huette +Im Schlafe schon ein Lustschloss auf. +Sein Vorsaal wimmelt von Klienten, +Und, unbekleidet am Kamin, +Laesst er, die ihn vordem kaum nennten, +In Ehrfurcht itzt auf sich verziehn. +Die Schoene, die ihn oft im Wachen +Durch ihre Sproedigkeit betruebt, +Muss Timons Glueck vollkommen machen; +Denn traeumend sieht er sich geliebt. +Er sieht von Doris sich umfangen, +Und ruft, als dies ihm traeumt, vergnuegt; +Er lallt: "O Doris, mein Verlangen! +Hat Timon endlich dich besiegt?" +Sein Schlafgeselle hoert ihn lallen; +Er hoert, dass ihn ein Traum verfuehrt, +Und tut ihm liebreich den Gefallen, +Und macht, dass sich sein Traum verliert. +"Freund", ruft er, "lass dich nicht betruegen, +Es ist ein Traum, ermuntre dich!" +"O boeser Freund, um welch Vergnuegen", +Klagt Timon aengstlich, "bringst du mich! +Du machest, dass mein Traum verschwindet; +Warum entziehst du mir die Lust? +Genug, ich hielt sie fuer gegruendet, +Weil ich den Irrtum nicht gewusst." + +---- + +Oft quaelt ihr uns, ihr Wahrheitsfreunde, +Mit eurer Dienstbeflissenheit; +Oft seid ihr unsrer Ruhe Feinde, +Indem ihr unsre Lehrer seid. +Wer heisst euch uns den Irrtum rauben, +Den unser Herz mit Lust besitzt? +Und der, so heftig wir ihn glauben, +Uns dennoch minder schadt, als nuetzt? +Der wird die halbe Welt bekriegen, +Wer allen Wahn der Welt entzieht. +Die meisten Arten von Vergnuegen +Entstehen, weil man dunkel sieht. +Was denkt der Held bei seinen Schlachten? +Er denkt, er sei der groesste Held. +Goennt ihm die Lust, sich hochzuachten, +Damit ihm nicht der Mut entfaellt. +Geht, fragt: Was denkt wohl Adelheide? +Sie denkt, mein Mann liebt mich getreu. +Sie irrt; doch goennt ihr ihre Freude, +Und lasst das arme Weib dabei. +Was glaubt der Ehemann von Lisetten? +Er glaubt, dass sie die Keuschheit ist. +Er irrt; ich wollte selber wetten; +Doch schweigt, wenn ihr es besser wisst. +Was denkt der Philosoph im Schreiben? +Mich liest der Hof, mich ehrt die Stadt! +Er irrt; doch lasst ihn irrig bleiben, +Damit er Lust zum Denken hat. +Durchsucht der Menschen ganzes Leben: +Was treibt zu grossen Taten an? +Was pflegt uns Ruh und Trost zu geben? +Sehr oft ein Traum, ein suesser Wahn. +Genug, dass wir dabei empfinden! +Es sei auch tausendmal ein Schein! +Sollt aller Irrtum ganz verschwinden: +So waer es schlimm, ein Mensch zu sein. + + + + +Der Tanzbaer + +Ein Baer, der lange Zeit sein Brot ertanzen muessen, +Entrann, und waehlte sich den ersten Aufenthalt. +Die Baeren gruessten ihn mit bruederlichen Kuessen, +Und brummten freudig durch den Wald. +Und wo ein Baer den andern sah: +So hiess es: Petz ist wieder da! +Der Baer erzaehlte drauf, was er in fremden Landen +Fuer Abenteuer ausgestanden, +Was er gesehn, gehoert, getan! +Und fing, da er vom Tanzen redte, +Als ging er noch an seiner Kette, +Auf polnisch schoen zu tanzen an. +Die Brueder, die ihn tanzen sahn, +Bewunderten die Wendung seiner Glieder, +Und gleich versuchten es die Brueder; +Allein anstatt, wie er, zu gehn: +So konnten sie kaum aufrecht stehn, +Und mancher fiel die Laenge lang danieder. +Um desto mehr liess sich der Taenzer sehn; +Doch seine Kunst verdross den ganzen Haufen. +Fort, schrien alle, fort mit dir! +Du Narr willst klueger sein, als wir? +Man zwang den Petz, davonzulaufen. + +---- + +Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen, +Weil dir dann jeder aehnlich ist; +Doch je geschickter du vor vielen andern bist; +Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen. +Wahr ists, man wird auf kurze Zeit +Von deinen Kuensten ruehmlich sprechen; +Doch traue nicht, bald folgt der Neid, +Und macht aus der Geschicklichkeit +Ein unvergebliches Verbrechen. + + + + +Der Tartarfuerst + +Ein Tartarfuerst, von dem man in Geschichten preist, +Dass er, als Prinz, Europa durchgereist, +Befahl, weil er sein Volk galanter machen wollte, +Dass kein vornehmes Weib ihr Kind selbst stillen sollte. +Die wilden Damen lachten nur; +Sie naehrten nach wie vor ihr Kind mit ihren Bruesten, +Und glaubten; dass sie der Natur +Und ihren Muettern folgen muessten. +Der Chan fing an, sich zu entruesten, +Gab ein sehr scharf Mandat, und schwur, +Dass jede Frau vom Stande sterben sollte, +Die fuer ihr Kind nicht Ammen halten wollte. +Und weil sie sich gezwungen sahn: +So nahmen sie denn Ammen an. +Allein sie konnten sich des Triebs nicht lang erwehren, +Ihr eigen Blut an ihrer Brust zu naehren. +Die meisten fingen an, dem Chan den Tod zu schwoeren. +Einst, als der Tartarfuerst sich ganz allein befand, +Kam, mit dem Degen in der Hand, +Ein vornehm Weib auf ihn gerannt, +Und sprach, von edlem Grimm entbrannt: +"Hoer auf, mein Kind mir abzudraengen, +Sonst bin ich hier, dich umzubringen! +Ich saeug es selbst, und saeug es mir zur Lust, +Deswegen hab ich diese Brust. +In dieser Pflicht, mein Kind daran zu nehmen, +Soll mich, o Fuerst, kein Tier beschaemen." + +Der gute Tartarfuerst erschrak, +Und unterliess, um nicht sein Leben zu verlieren, +Den europaeischen Geschmack +In seinen Horden einzufuehren. + + + + + +Der Tod der Fliege und der Muecke + +Der Tod der Fliege heisst mich dichten; +Der Tod der Muecke heischt mein Lied. +Und klaeglich will ich dir berichten, +Wie jene starb, und die verschied. +Sie setzte sich, die junge Fliege, +Voll Mut auf einen Becher Wein; +Entschloss sich, tat drei gute Zuege, +Und sank vor Lust ins Glas hinein. + +Die Muecke sah die Freundin liegen. +"Dies Grabmal", sprach sie, "will ich scheun. +Am Lichte will ich mich vergnuegen, +Und nicht an einem Becher Wein." + +Allein, verblendet von dem Scheine, +Ging sie der Lust zu eifrig nach; +Verbrannte sich die kleinen Beine, +Und starb nach einem kurzen Ach. + +Ihr, die ihr euren Trieb zu naehren, +In dem Vergnuegen selbst verdarbt, +Ruht wohl, und lasst zu euren Ehren +Mich sagen, dass ihr menschlich starbt. + + + + + +Der unsterbliche Autor + +Ein Autor schrieb sehr viele Baende, +Und ward das Wunder seiner Zeit; +Der Journalisten guetge Haende +Verehrten ihm die Ewigkeit. +Er sah, vor seinem sanften Ende, +Fast alle Werke seiner Haende +Das sechste Mal schon aufgelegt, +Und sich, mit tiefgelehrtem Blicke, +In einer spanischen Peruecke +Vor jedes Titelblatt gepraegt. +Er blieb vor Widersprechern sicher, +Und schrieb bis an den Tag, da ihn der Tod entseelt; +Und das Verzeichnis seiner Buecher, +Die kleinen Schriften mitgezaehlt, +Nahm an dem Lebenslauf allein +Drei Bogen und drei Seiten ein. +Man las nach dieses Mannes Tode +Die Schriften mit Bedachtsamkeit; +Und seht, das Wunder seiner Zeit +Kam in zehn Jahren aus der Mode, +Und seine goettliche Methode +Hiess eine bange Trockenheit. +Der Mann war bloss beruehmt gewesen, +Weil Stuemper ihn gelobt, eh Kenner ihn gelesen. + +---- + +Beruehmt zu werden, ist nicht schwer, +Man darf nur viel fuer kleine Geister schreiben; +Doch bei der Nachwelt gross zu bleiben, +Dazu gehoert noch etwas mehr, +Als, seicht am Geist, in strenger Lehrart schreiben. + + + + + +Der Wuchrer + +Ein Wuchrer kam in kurzer Zeit +Zu einem graeflichen Vermoegen, +Nicht durch Betrug und Ungerechtigkeit, +Nein, er beschwur es oft, allein durch Gottes Segen. +Und um sein dankbar Herz Gott an den Tag zu legen, +Und auch vielleicht aus heiligem Vertraun, +Gott zur Vergeltung zu bewegen, +Liess er ein Hospital fuer arme Fromme baun. +Indem er nun den Bau zustande brachte, +Und vor dem Hause stund, und heimlich ueberdachte, +Wie sehr verdient er sich um Gott und Arme machte, +Ging ein verschmitzter Freund vorbei. +Der Geizhals, der gern haben wollte, +Dass dieser Freund das Haus bewundern sollte, +Fragt ihn mit freudigem Geschrei, +Obs gross genug fuer Arme sei? +"Warum nicht?" sprach der Freund. "Hier koennen viel Personen +Recht sehr bequem beisammen sein; +Doch sollen alle die hier wohnen, +Die Ihr habt arm gemacht: so ist es viel zu klein." + + + + + +Der wunderbare Traum + +Aus einem alten Fabelbuche +(Der Titelbogen fehlt daran, +Sonst fuehrt ichs meinen Lesern an), +Aus dem ich mich Rats zu erholen suche, +Wenn ich selbst nichts erfinden kann; +Ans diesem alten deutschen Buche, +Das mir schon manchen Dienst getan, +Will ich mir einen Traum erwaehlen. +Als ich einmal, so faengt mein Autor an, +Nach seiner Weise zu erzaehlen, +In einer Kirche sass, so fiel mir jaehling ein: +Wer mag von so viel tausend Seelen, +Die diesen Ort zu ihrer Andacht waehlen, +Doch wohl die froemmste Seele sein? +In den Gedanken schlief ich ein, +Und sah im Traum vor mir des Tempels Schutzgeist stehen, +"Du", sprach er, "wuenschest dir, das froemmste Herz zu sehen?" +Und ruehrte mein Gesicht mit seiner Rechten an. +Mir kam, sobald er dies getan, +Ein sanfter kalter Schauer an. +Und ploetzlich sah ich mich in heilgem Glanze stehen. +"Fang an", sprach er, "die Kirche durchzugehen. +Der, den dein Glanz so ruehrt, dass er dich dreimal kuesst, +Der hat das froemmste Herz, das hier zu finden ist." + +Ich ging, um es recht bald zu wissen, +In dem empfangnen Glanz hart vor der Sakristei +Einmal, und noch einmal, vorbei, +Weil mir es schien, als wolle man mich kuessen. +Ich wartete noch eine gute Frist, +Und ward einmal; allein ganz kalt, gekuesst. + +Ich ging darauf in die Kapellen, +In denen ich die froemmsten Mienen fand, +Und alles schien sich aufzuhellen, +Man laechelte, man tat galant +Und kuesste mir zur Not die Hand. + +Drauf liess ich mich auf einer hoehern Buehne +Gesichtern, voll von Ernst und tiefer Weisheit, sehn. +Ich blieb ein feines Weilchen stehn. +Sie sahn mich an, und machten eine Miene, +Als ob sie sich an mir schon satt gesehn. +Und ungekuesst musst ich von dannen gehn. + +Ich stellte mich nun vor die niedern Staende. +Hier warfen mir viel weisse Haende, +Da einen Kuss, dort einen zu. +Ich liess mein Auge lange fragen: +Ach, gutes Herz! wo wohnest du? +Allein man wollt es nicht, mich zu umarmen, wagen, +Und ich ging ganz betruebt auf meinen Schutzgeist zu. +Mein traurig Schicksal ihm zu klagen. +Indem, dass ich noch durch die Halle schlich, +Sah mich, in einem schlechten Kleide, +Ein liebes Maedchen an, und seht, sie kuesste mich +Mit einer ploetzlichen und unschuldsvollen Freude. +Und eh ich noch von ihr den dritten Kuss erhielt: +So fuehlt ich schon die selgen Triebe +Der Redlichkeit und Menschenliebe +So stark in mir, als ich sie nie gefuehlt. +Ein Maedchen, rief ich aus, an das die Welt kaum dachte, +Besitzt das beste Herz! Ich rief es, und erwachte. + + + + + +Der zaertliche Mann + +Die ihr so eifersuechtig seid, +Und nichts als Unbestaendigkeit, +Den Maennern vorzuruecken pfleget! +O Weiber, ueberwindet euch, +Lest dies Gedicht und seid zugleich +Beschaemt, und ewig widerleget. +Wir Maenner sind es ganz allein, +Die einmal nur, doch ewig lieben; +Uns ist die Treu ins Blut geschrieben. +Beweist es! hoer ich alle schrein. +Recht gut! Es soll bewiesen sein. + +---- + +Ein liebes Weib ward krank, wovon? Von vieler Galle? +Die alte Spoetterei! Kein Kluger glaubt sie mehr. +Nein, nein, die Weiber siechten alle, +Wenn diese Uebel schaedlich waer. +Genug, sie ward sehr krank. Der Mann wendt alles an, +Was man von Maennern fordern kann; +Eilt, ihr zu rechter Zeit die Pulver einzuschuetten; +Er laesst fuer seine Frau in allen Kirchen bitten, +Und gibt noch mehr dafuer, als sonst gebraeuchlich war: +Und doch vermehrt sich die Gefahr. +Er aechzt, er weint und schreit, er will mit ihr verderben. +"Ach Engel", spricht die Frau, "stell deine Klagen ein! +Ich werde mit Vergnuegen sterben, +Versprich mir nur, nicht noch einmal zu frein." +Er schwoert, sich keine mehr zu waehlen. +"Dein Schatten", ruft er, "soll mich quaelen, +Wenn mich ein zweites Weib besiegt." +Er schwoert. Nun stirbt sein Weib vergnuegt. +Wer kann den Kummer wohl beschreiben, +Der unsern Witwer ueberfaellt? +Er weiss vor Jammer kaum zu bleiben; +Zu eng ist ihm sein Haus, zu klein ist ihm die Welt. +Er opfert seiner Frau die allertreusten Klagen, +Bleibt ohne Speis und Trank, sucht keine Lagerstatt; +Er klagt, und ist des Lebens satt. +Indes befiehlt die Zeit, sie in das Grab zu tragen. +Man legt der Seligen ihr schwarzes Brautkleid an; +Der Witwer tritt betraent an ihren Sarg hinan. +"Was?" faengt er ploetzlich an zu fluchen, +"Was, Henker, was soll dieses sein? +Fuer eine tote Frau ein Brautkleid auszusuchen? +Gesetzt, ich wollte wieder frein: +So muesst ich ja ein neues machen lassen." + +Ihr Leute kraenkt ihn nicht, geht, holt ein ander Kleid, +Und lasst dem armen Witwer Zeit; +Er wird sich mit der Zeit schon fassen. + + + + + +Der Zeisig + +Ein Zeisig wars und eine Nachtigall, +Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen. +Die Nachtigall fing an, ihr goettlich Lied zu singen, +Und Damons kleinem Sohn gefiel der suesse Schall. +"Ach welcher singt von beiden doch so schoen? +Den Vogel moecht ich wirklich sehn!" +Der Vater macht ihm diese Freude, +Er nimmt die Voegel gleich herein. +"Hier", spricht er, "sind sie alle beide; +Doch welcher wird der schoene Saenger sein? +Getraust du dich, mir das zu sagen?" +Der Sohn laesst sich nicht zweimal fragen, +Schnell weist er auf den Zeisig hin: +"Der", spricht er, "muss es sein, so wahr ich ehrlich bin. +Wie schoen und gelb ist sein Gefieder! +Drum singt er auch so schoene Lieder; +Dem andern sieht mans gleich an seinen Federn an, +Dass er nichts Kluges singen kann." + +---- + +Sagt, ob man im gemeinen Leben +Nicht oft wie dieser Knabe schliesst? +Wem Farb und Kleid ein Ansehn geben, +Der hat Verstand, so dumm er ist. +Stax koemmt, und kaum ist Stax erschienen: +So haelt man ihn auch schon fuer klug. +Warum? Seht nur auf seine Mienen, +Wie vorteilhaft ist jeder Zug! +Ein andrer hat zwar viel Geschicke; +Doch weil die Miene nichts verspricht: +So schliesst man, bei dem ersten Blicke, +Aus dem Gesicht, aus der Peruecke, +Dass ihm Verstand und Witz gebricht. + + + + +Die Bauern und der Amtmann + +Ein sehr geschickter Kandidat, +Der lange schon mit vielem Lobe +Die Kanzeln in der Stadt betrat, +Tat auf dem Dorfe seine Probe; +Allein so gut er sie getan: +So stund er doch den Bauern gar nicht an. +Nein, der verstorbne Herr, das war ein andrer Mann, +Der hatte recht auf seinen Text studieret, +Und Gottes Wort, wie sichs gebuehret, +Bald griechisch, bald ebraeisch angefuehret, +Die Kirchenvaeter oft zitieret, +Die Ketzer stattlich ausschaendieret, +Und stets so fein schematisieret, +Dass er der Bauern Herz geruehret. +"Herr Amtmann, wie gesagt, erstatt Er nur Bericht, +Wir moegen diesen Herrn nicht haben." +"So sagt doch nur, warum denn nicht?" +"Er hoerts ja wohl, er hat nicht solche Gaben +Wie der verstorbne Herr." + +Der Amtmann widerspricht; +Der Suprintend ermahnt. Umsonst, sie hoeren nicht. +Man mag Amphion sein, und Fels und Wald bewegen, +Deswegen kann man doch nicht Bauern widerlegen. +Kurz, man erstattete Bericht, +Weil alle steif auf ihrem Sinn beharrten. + +Nunmehr koemmt ein Befehl. Ich kann es kaum erwarten, +Bis ihn der Amtmann publiziert. +Ich wette fast, ihr Bauern, ihr verliert! + +Man oeffnet den Befehl. Und seht, der Landsherr wollte, +Dass man dem Kandidat das Priestertum vertraun, +Den Bauern Gegenteils es hart verweisen sollte. + +Der Suprintend fing an die Bauern zu erbaun, +Und sprach, so schwierig sie noch schienen, +Doch sehr gelind und fromm mit ihnen. +"Herr Doktor!" fiel ihm drauf der Amtmann in das Wort, +"Wozu soll diese Sanftmut dienen? +Ihr Richter, Schoeppen und so fort, +Hoert zu! Ich will mein Amt verwalten. +Ihr Ochsen, die ihr alle seid! +Euch Flegeln geb ich den Bescheid, +Ihr sollt den Herrn zu eurem Pfarrn behalten. +Sagts, wollt ihr oder nicht? denn itzt sind wir noch da." + +Die Bauern laechelten: "Ach ja, Herr Amtmann, ja!" + + + + + +Die beiden Hunde + +Dass oft die allerbesten Gaben +Die wenigsten Bewundrer haben, +Und dass der groesste Teil der Welt +Das Schlechte fuer das Gute haelt; +Dies Uebel sieht man alle Tage; +Allein wie wehrt man dieser Pest? +Ich zweifle, dass sich diese Plage +Aus unsrer Welt verdringen laesst. +Ein einzig Mittel ist auf Erden; +Allein es ist unendlich schwer. +Die Narren muessten weise werden, +Und seht, sie werdens nimmermehr. +Nie kennen sie den Wert der Dinge. +Ihr Auge schliesst, nicht ihr Verstand; +Sie loben ewig das Geringe, +Weil sie das Gute nie gekannt. + +---- + +Zween Hunde dienten einem Herrn, +Der eine von den beiden Tieren, +Joli, verstund die Kunst, sich lustig aufzufuehren, +Und wer ihn sah, vertrug ihn gern. +Er holte die verlornen Dinge, +Und spielte voller Ungestuem. +Man lobte seinen Scherz, belachte seine Spruenge; +Seht, hiess es, alles lebt an ihm! +Oft biss er mitten in dem Streicheln: +So falsch und boshaft war sein Herz; +Gleich fing er wieder an zu schmeicheln: +Dann hiess sein Biss ein feiner Scherz. +Er war verzagt und ungezogen; +Doch ob er gleich zur Unzeit bellt und schrie: +So blieb ihm doch das ganze Haus gewogen: +Er hiess der lustige Joli. +Mit ihm vergnuegte sich Lisette, +Er sprang mit ihr zu Tisch und Bette; +Und beide teilten ihre Zeit +In Schlaf, in Scherz und Lustbarkeit; +Sie aber uebertraf ihn weit. +Fidel, der andre Hund, war von ganz anderm Wesen. +Zum Witze nicht ersehn, zum Scherze nicht erlesen, +Sehr ernsthaft von Natur; doch wachsam um das Haus, +Ging oefters auf die Jagd mit aus; +War treu und herzhaft in Gefahr, +Und bellte nicht, als wenn es noetig war. +Er stirbt. Man hoert ihn kaum erwaehnen, +Man traegt ihn ungeruehmt hinaus. +Joli stirbt auch. Da fliessen Traenen! +Seht, ihn beklagt das ganze Haus. +Die ganze Nachbarschaft bezeiget ihren Schmerz. + +So gilt ein bisschen Witz mehr, als ein gutes Herz! + + + + + +Die beiden Knaben + +Ein juengrer und ein aeltrer Bube, +Die der noch fruehe Lenz aus der betruebten Stube +Vom Buche zu dem Garten rief, +Vielleicht, weil gleich ihr Informator schlief, +Gerieten beid an eine Grube, +In der der Schnee noch nicht zerlief. +"Ach Bruder", sprach der kleine Bube, +"Was meinst du, ist das Loch wohl tief? +Ich haette Lust"--"Was? Lust, hineinzuspringen? +Du musst doch ausgelassen sein. +Versuch es nicht und spring hinein, +Du koenntest dich ums Leben bringen. +Wir koennen uns ja sonst noch wohl erfreun, +Als dass wir uns und unsern Kleidern schaden, +Und kindisch Schnee und Eis durchwaden. +Und koemmst du drauf zum Vater nass hinein: +So hast dus da erst auszubaden." +Doch keine Redekunst nahm unsern Knaben ein. +"Wer wird im Schnee denn gleich ersaufen?" +Und kurz und gut, er sprang hinein, +Und liess sichs wohl in seiner Grube sein; +Doch kaum war er vor Kaelte fortgelaufen: +So sprang der Philosoph so gut wie er hinein. + +---- + +Dies ist die Kunst der strengen Moralisten. +Bekannt mit dem System, und von Grundsaetzen voll, +Beweisen sie das, was man lassen soll, +So froh, als ob sie nichts von den Begierden wuessten. +Sie sind von besserm Ton als wir. +Sie baendigen ihr Herz durch die Gewalt der Schluesse. +Uns Armen ist die Torheit suesse; +Doch ihnen ekelt nur dafuer. +Wir lassen sie, wenn wir sie unternehmen, +Aus gutem Herzen andern sehn, +Und denken nicht daran, dass wir uns so vergehn. +Sie aber, die gelehrt sich aller Torheit schaemen, +Begehn die Tat, die sie uns uebelnehmen, +Aus Tugend eher nicht, als bis wir es nicht sehn. + + + + +Die beiden Maedchen + +Zwo junge Maedchen hofften beide, +Worauf? Gewiss auf einen Mann; +Denn dies ist doch die groesste Freude, +Auf die ein Maedchen hoffen kann. +Die juengste Schwester, Philippine, +War nicht unordentlich gebaut; +Sie hatt ein rund Gesicht, und eine zarte Haut; +Doch eine sehr gezwungne Miene. +So fest geschnuert sie immer ging, +So viel sie Schmuck ins Ohr, und vor den Busen hing, +So schoen sie auch ihr Haar zusammenrollte; +So ward sie doch bei alledem, +Je mehr man sah, dass sie gefallen wollte, +Um desto minder angenehm. +Die andre Schwester, Caroline, +War im Gesichte nicht so zart; +Doch frei und reizend in der Miene, +Und liebreich mit gelassner Art. +Und wenn man auf den heitern Wangen +Gleich kleine Sommerflecken fand: +Ward ihrem Reiz doch nichts dadurch entwandt, +Und selbst ihr Reiz schien solche zu verlangen. +Sie putzte sich nicht muehsam aus, +Sie prahlte nicht mit teuren Kostbarkeiten. +Ein artig Band, ein frischer Strauss, +Die ueber ihren Ort, den sie erlangt, sich freuten, +Und eine nach dem Leib wohl abgemessne Tracht +War Carolinens ganze Pracht. + +Ein Freier kam; man wies ihm Philippinen; +Er sah sie an, erstaunt, und hiess sie schoen; +Allein sein Herz blieb frei, er wollte wieder gehn. +Kaum aber sah er Carolinen: +So blieb er vor Entzueckung stehn. + +---- + +Im Bilde dieser Frauenzimmer +Zeigt sich die Kunst und die Natur; +Die erste prahlt mit weit gesuchtem Schimmer, +Sie fesselt nicht; sie blendet nur. +Die andre sucht durch Einfalt zu gefallen, +Laesst sich bescheiden sehn; und so gefaellt sie allen. + + + + +Die beiden Schwalben + +Zwo Schwalben sangen um die Wette, +Und sangen mit dem groessten Fleiss; +Doch wenn die eine schrie, dass sie den Vorzug haette, +Gab doch die andre sich den Preis. +Die Lerche koemmt. Sie soll den Streit entscheiden; +Und beide stimmen herzhaft an. +"Nun", hiess es: "sprich, wer von uns beiden +Am meisterlichsten singen kann?" +"Das weiss ich nicht", sprach sie bescheiden, +Und sah sie ganz mitleidig an, +Und wollte sich nach ihrer Hoehe schwingen. +Doch nein, sie suchten ihr den Ausspruch abzuzwingen. +"So", sprach sie, "will ichs denn gestehn: +Die kann so gut wie jene singen; +Doch singt, solang ihr wollt, es singt doch keine schoen. +Hoert man das Lied geistreicher Nachtigallen: +So kann uns eures nicht gefallen." + +---- + +Ihr mittelmaessigen Skribenten, +O wenn wir euch doch friedsam machen koennten! +Ihr zankt, wer besser denkt? Lasst keinen Streit entstehn. +Wir wollen keinen von euch kraenken; +Der eine kann so gut wie jener denken; +Doch keiner von euch denket schoen. +Ihr Schwaetzer! Zankt nicht um die Gaben +Der geistlichen Beredsamkeit. +Solange wir Mosheime haben: +So sehn wir ohne Schwierigkeit, +Dass ihr beredte Kinder seid. +Zankt nicht um eure hohen Gaben, +Ihr Gruendlichen! o bleibt in Ruh. +Du demonstrierst wie er, und er so fein wie du; +Allein solange wir Leibnize vor uns haben: +So hoert euch keine Seele zu. +O zankt nicht um des Phoebus Gaben, +Reimreiche Saenger unsrer Zeit! +Ihr alle reimt mit gleicher Fertigkeit; +Allein solange wir noch Hagedorne haben: +So denkt man nicht daran, dass ihr zugegen seid. + + + + +Die beiden Waechter + +Zween Waechter, die schon manche Nacht +Die liebe Stadt getreu bewacht, +Verfolgten sich, aus aller Macht, +Auf allen Bier- und Branntweinbaenken, +Und ruhten nicht, mit poebelhaften Raenken, +Einander bis aufs Blut zu kraenken; +Denn keiner brannte von dem Span, +Woran der andre sich den Tabak angezuendet, +Aus Hass den seinen jemals an. +Kurz, jeden Schimpf, den nur die Rach erfindet, +Den Feinde noch den Feinden angetan, +Den taten sie einander an. +Und jeder wollte bloss den andern ueberleben, +Um noch im Sarg ihm einen Stoss zu geben. +Man riet und wusste lange nicht, +Warum sie solche Feinde waren; +Doch endlich kam die Sache vor Gericht, +Da musste sichs denn offenbaren, +Warum sie, seit so vielen Jahren, +So heidnisch unversoehnlich waren. +Was war der Grund? Der Brotneid? War ers nicht? +Nein. Dieser sang: Verwahrt das Feuer und das Licht! +Allein so sang der andre nicht. +Er sang: Bewahrt das Feuer und das Licht! +Aus dieser so verschiednen Art, +An die sich beid im Singen zaenkisch banden; +Aus dem verwahrt und dem bewahrt +War Spott, Verachtung, Hass, und Rach, und Wut entstanden. + +---- + +Die Waechter, hoer ich viele schrein, +Verfolgten sich um solche Kleinigkeiten? +Das mussten grosse Narren sein. +Ihr Herren! stellt die Reden ein, +Ihr koenntet sonst ungluecklich sein. +Wisst ihr denn nichts von so viel grossen Leuten, +Die in gelehrten Streitigkeiten +Um Silben, die gleich viel bedeuten, +Sich mit der groessten Wut entzweiten? + + + + +Die Betschwester + +Die froemmste Frau in unsrer Stadt, +In Kleidern fromm, und fromm in Mienen, +Die stets den Mund voll Andacht hat, +Wird diese nicht ein Lied verdienen? +Wie lehrreich ist ihr Lebenslauf! +Kaum steht die fromme Frau von ihrem Lager auf; +Kaum toent der Klang vom achten Stundenschlage: +So sucht sie das Gebet zu dem vorhandnen Tage. +Und ob sie gleich den Schritt in sechzig schon getan: +So ruft sie doch den Herrn noch heut um Keuschheit an. +Und ob sie gleich noch nie sich satt gegessen: +So fleht sie doch um Maessigkeit im Essen. +Und ob sie gleich auf alle Pfaender leiht: +So seufzt sie doch um Trost bei ihrer Duerftigkeit. + +Welch redlich Herz! Welch heiliges Vertrauen! +Sie liest das Jahr hindurch die Bibel zweimal aus, +Und reisst dadurch ihr ganzes Haus +Auf ewig aus des Teufels Klauen. + +Zwoelf Lieder stimmt sie taeglich an. +Wer koemmt? Ists nicht ein armer Mann? +Geh, Frecher! willst du sie vielleicht im Singen stoeren? +Nein, wenn sie singt, kann sie nicht hoeren. +Geh nur, und hungre, wie zuvor. +Sie hebt ihr Herz zu Gott empor; +Soll sie dies Herz vom Himmel lenken, +Und itzt an einen Armen denken? + +Sie singt, und traegt das Essen singend auf. +Sie isst, und schmaelt auf boeser Zeiten Lauf; +Allein wer klopft schon wieder an die Tuere? +Ein armes Weib, die keinen Bissen Brot-- +"Geht, quaelt mich nicht mit Eurer Not, +Wenn ich die Hand zum Munde fuehre. +Nicht wahr, Ihr singt und betet nicht? +Seid fromm, und denkt an Eure Pflicht: +Der Herr vergisst die Seinen nicht. +Wenn seht Ihr mich denn betteln gehen? +Allein man muss zu Gott auch bruenstig schrein und flehen." + +Doch ist die liebe fromme Frau +Nicht gar zu hart, nicht zu genau? +Wohnt nicht in ihr mehr Kaltsinn als Erbarmen? +Nein, nein! Sie dient und hilft den Armen; +Sie bessert sie durch Vorwurf und Verweis, +Und weist sie zu Gebet und Fleiss; +Ist dieses nicht der Schrift Geheiss? +Sie dient ja gern mit ihren Guetern, +Allein nur redlichen Gemuetern. +Ist wohl ein frommes Weib in unsrer ganzen Stadt, +Das, in der Not, bei ihr nicht Zuflucht hat? +Sie mag ihr auch die kleinste Zeitung bringen: +So eilt sie doch, dem Weibe beizuspringen. + +Ach ja! Beatens Herz ist willig und bereit, +Die Welt mag noch soviel an ihr zu tadeln finden. +Nicht nur den Lebenden nuetzt ihre Mildigkeit; +O nein! Sie weiss sich auch die Toten zu verbinden. +Wenn wird ein Kind zur Gruft gebracht, +Um dessen Sarg ihr Kranz sich nicht verdient gemacht? +Wenn sprechen nicht die Leichengaeste: +Beatens Kranz war doch der beste! +Welch schoenes Kruzifix! Von wem wird dieses sein? +Beate schickts und wills dem Leichnam weihn. +Das fromme Weib! Erlebt sie mein Erblassen: +So wird sie meinen Sarg gewiss versilbern lassen. + +Sie kleidet Kanzel und Altar, +Und wird sie kuenftigs neue Jahr, +So sehr die andern sie beneiden, +Zum dritten Male doch bekleiden. +Man wirft ihr vor, sie solls aus Ehrsucht tun; +Noch kann ihr mildes Herz nicht ruhn. +Wer wars, der itzt in die Kollekte +Mit langsam schlauer Hand ein volles Briefchen steckte? +Beate wars, sie leiht dem Herrn, +Und was sie gibt, das gibt sie gern. +Was kann denn sie dafuer, dass es die Leute sehen? + +Beate! lass die Laestrer schmaehen, +Und lass sie aus Verleumdung sprechen, +Du sollst die Allmacht nur bestechen, +Dass fuer den Wucher, den du treibst, +Du einstens ungestrafet bleibst. +Lass dich von andern spoettisch richten, +Als pflegtest du der Welt gern Laster anzudichten; +Als waere dies fuer dich die liebste Neuigkeit, +Wenn andern Not und Unglueck draeut; +Als haettest du nichts als der Tugend Schein. +Schweigt, Spoetter, schweigt! Dies kann nicht sein; +Denn betend steht sie auf, und singend schlaeft sie ein. + + + + + +Die Biene und die Henne + +"Nun Biene", sprach die traege Henne, +"Dies muss ich in der Tat gestehn, +So lange Zeit, als ich dich kenne: +So seh ich dich auch muessiggehn. +Du sinnst auf nichts, als dein Vergnuegen; +Im Garten auf die Blumen fliegen, +Und ihren Blueten Saft entziehn, +Mag eben nicht so sehr bemuehn. +Bleib immer auf der Nelke sitzen, +Dann fliege zu dem Rosenstrauch, +Waer ich wie du, ich taet es auch. +Was brauchst du andern viel zu nuetzen? +Genug, dass wir so manchen Morgen +Mit Eiern unser Haus versorgen." +"O!" rief die Biene, "spotte nicht! +Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht +Nicht so, wie du bei einem Eie, +Aus vollem Halse zehnmal schreie: +So, denkst du, waer ich ohne Fleiss. +Der Bienenstock sei mein Beweis, +Wer Kunst und Arbeit besser kenne, +Ich, oder eine traege Henne? +Denn wenn wir auf den Blumen liegen: +So sind wir nicht auf uns bedacht; +Wir sammeln Saft, der Honig macht, +Um fremde Zungen zu vergnuegen. +Macht unser Fleiss kein gross Geraeusch, +Und schreien wir bei warmen Tagen, +Wenn wir den Saft in Zellen tragen, +Uns nicht, wie du im Neste, heisch: +So praege dir es itzund ein: +Wir hassen allen stolzen Schein; +Und wer uns kennen will, der muss in Rost und Kuchen +Fleiss, Kunst und Ordnung untersuchen. + +Auch hat uns die Natur beschenkt, +Und einen Stachel eingesenkt, +Damit wir die bestrafen sollen, +Die, was sie selber nicht verstehn, +Doch meistern, und verachten wollen: +Drum, Henne! rat ich dir, zu gehn." + +---- + +O Spoetter, der mit stolzer Miene, +In sich verliebt, die Dichtkunst schilt; +Dich unterrichtet dieses Bild. +Die Dichtkunst ist die stille Biene; +Und willst du selbst die Henne sein: +So trifft die Fabel voellig ein. +Du fragst, was nuetzt die Poesie? +Sie lehrt und unterrichtet nie. +Allein wie kannst du doch so fragen? +Du siehst an dir, wozu sie nuetzt: +Dem, der nicht viel Verstand besitzt, +Die Wahrheit, durch ein Bild, zu sagen. + + + + +Die Ente + +Die Ente schwamm auf einer Pfuetze, +Und sah am Rande Gaense gehn, +Und konnt aus angebornem Witze +Der Spoetterei unmoeglich widerstehn. +Sie hob den Hals empor, und lachte dreimal laut, +Und sah um sich, so wie ein Witzling um sich schaut, +Der einen Einfall hat, und mit Geschrei und Lachen +So gluecklich ist, ihm Luft zu machen. +Die Ente lachte noch, und eine Gans blieb stehn. +"Was", sprach sie, "hast du uns zu sagen?" +"Ach nichts! Ich hab euch zugesehn, +Ihr koennt vortrefflich auswaerts gehn. +Wie lange tanzt ihr schon? Das wollt ich euch nur fragen." +"Das", sprach die Gans, "will ich dir gerne sagen; +Allein du musst mit mir spazierengehn." + +---- + +Ihr Kleinen, die ihr stets so gern auf Groessre schmaehet, +An ihnen tausend Fehler sehet, +Die ihr an euch doch nie entdeckt; +Glaubt, dass an euch der Sumpf, in dem ihr euch so blaehet, +Dieselben Fehler auch versteckt. +Und sollen sie der Welt, wie euch, unsichtbar bleiben: +So lasst euch nicht daraus vertreiben! + + + + +Die Fliege + +Dass alle Tiere denken koennen, +Dies scheint mir ausgemacht zu sein. +Ein Mann, den auch die Kinder witzig nennen, +Aesopus hats gesagt, Fontaine stimmt mit ein. +Wer wird auch so missguenstig sein, +Und Tieren nicht dies kleine Gluecke goennen, +Aus dem die Welt so wenig macht? +Denk oder denke nicht, darauf gibt niemand acht. + +---- + +In einem Tempel voller Pracht, +Aus dem die Kunst mit ewgem Stolze blickte, +Dich schnell zum Beifall zwang, und gleich dafuer entzueckte, +Und wenn sie dich durch Schmuck bestuerzt gemacht, +Mit edler Einfalt schon dich wieder zu dir brachte; +In diesem Bau voll Ordnung und voll Pracht +Sass eine finstre Flieg auf einem Stein und dachte. +Denn dass die Fliegen stets aus finstern Augen sehn, +Und oft den Kopf mit einem Beine halten, +Und oft die flache Stirne falten, +Koemmt bloss daher, weil sie soviel verstehn, +Und auf den Grund der Sachen gehn. +So sass auch hier die weise Fliege. +Ein halbes Dutzend ernste Zuege +Verfinsterten ihr Angesicht. +Sie denkt tiefsinnig nach und spricht: +"Woher ist dies Gebaeud entstanden? +Ist ausser ihm wohl jemand noch vorhanden, +Der es gemacht? Ich sehs nicht ein. +Wer sollte dieser Jemand sein?" +"Die Kunst", sprach die bejahrte Spinne, +"Hat diesen Tempel aufgebaut. +Wohin auch nur dein bloedes Auge schaut, +Wird es Gesetz und Ordnung inne, +Und dies beweist, dass ihn die Kunst gebaut." +Hier lachte meine Fliege laut. +"Die Kunst?" sprach sie ganz hoehnisch zu der Spinne. +"Was ist die Kunst? Ich sinn und sinne, +Und sehe nichts, als ein Gedicht. +Was ist sie denn? Durch wen ist sie vorhanden? +Nein, dieses Maerchen glaub ich nicht. +Lern es von mir, wie dieser Bau entstanden: +Es kamen einst von ungefaehr +Viel Steinchen einer Art hieher, +Und fingen an, zusammen sich zu schicken. +Daraus entstand der grosse hohle Stein, +In welchem wir uns beid erblicken. +Kann was begreiflicher als diese Meinung sein?" + +---- + +Der Fliege koennen wir ein solch System vergeben; +Allein dass grosse Geister leben, +Die einer ordnungsvollen Welt +Ein Ungefaehr zum Ursprung geben, +Und lieber zufallsweise leben, +Als einen Gott zum Thron erheben, +Das kann man ihnen nicht vergeben, +Wenn man sie nicht fuer Narren haelt. + + + + +Die Frau und der Geist + +Vordem, da noch um Mitternacht, +Den armen Sterblichen zu dienen, +Die Geister dann und wann erschienen, +Liess sich ein Geist, in einer weissen Tracht, +Vor einer Frau im Bette sehen, +Und hiess sie freundlich mit sich gehen, +Und ging mit ihr auf einen wuesten Platz. +"Frau", sprach der Geist, "hier liegt ein grosser Schatz; +Nimm gleich dein Halstuch ab, und wirf es auf den Platz, +Und morgen, um die zwoelfte Stunde, +Komm her, dann findest du ein Licht, +Dem grabe nach, doch rede nicht; +Denn geht ein Wort aus deinem Munde: +So wird der Schatz verschwunden sein!" +Die Frau fand, zur gesetzten Stunde, +Die Nacht darauf sich mit dem Grabscheit ein. +Nun, die muss recht beherzt gewesen ein! +Ich faende mich gewiss nicht ein, +Und sollt ich zwanzig Schaetze heben. +Wer stuende mir denn fuer mein Leben? +Die Nacht ist keines Menschen Freund. +Und wenns der Geist recht ehrlich mit mir meint: +So kann er mir den Schatz ja auf der Stube geben. + +Die Frau verschlug das nichts. Sie eilt, den Schatz zu heben. +Frau, spricht sie bei sich selbst, beileibe sprich kein Wort, +Sonst rueckt der Schatz auf ewig fort. +Sie haelt, was sie sich vorgenommen. +Sie schweigt und graebt getrost.--Ha, ha, nun klingt es hohl, +Nun wird der rechte Fleck bald kommen. +Hier liegt der Schatz, das dacht ich wohl. +O seht, ein grosser Topf von lauter Golde voll! +O wenn sie doch dasmal nicht redte, +Und zu dem schweren Topf gleich einen Traeger haette! +Ist denn ihr Geist nicht etwan auf dem Platz? +Er koemmt und hilft den Topf ihr aus der Erde nehmen. +"Ach", rief sie schnell, "ich muss mich schaemen, +Sie zu bemuehn"--Weg war der Schatz! + + + + + +Die Geschichte von dem Hute +Das erste Buch + +Der erste, der mit kluger Hand, +Der Maenner Schmuck, den Hut, erfand, +Trug seinen Hut unaufgeschlagen; +Die Krempen hingen flach herab, +Und dennoch wusst er ihn zu tragen, +Dass ihm der Hut ein Ansehn gab. +Er starb, und liess bei seinem Sterben +Den runden Hut dem naechsten Erben. + +Der Erbe weiss den runden Hut +Nicht recht gemaechlich anzugreifen; +Er sinnt, und wagt es kurz und gut, +Er wagts, zwo Krempen aufzusteifen. +Drauf laesst er sich dem Volke sehn; +Das Volk bleibt vor Verwundrung stehn, +Und schreit: Nun laesst der Hut erst schoen! + +Er starb, und liess bei seinem Sterben +Den aufgesteiften Hut dem Erben. + +Der Erbe nimmt den Hut und schmaelt. +Ich, spricht er, sehe wohl, was fehlt. +Er setzt darauf mit weisem Mute +Die dritte Krempe zu dem Hute. +O, rief das Volk, der hat Verstand! +Seht, was ein Sterblicher erfand! +Er, er erhoeht sein Vaterland. + +Er starb, und liess bei seinem Sterben +Den dreifach spitzen Hut dem Erben. + +Der Hut war freilich nicht mehr rein; +Doch sagt, wie konnt es anders sein? +Er ging schon durch die vierten Haende. +Der Erbe faerbt ihn schwarz, damit er was erfaende. +Beglueckter Einfall! rief die Stadt, +So weit sah keiner noch, als der gesehen hat. +Ein weisser Hut liess laecherlich. +Schwarz, Brueder, schwarz! so schickt es sich. + +Er starb, und liess bei seinem Sterben +Den schwarzen Hut dem naechsten Erben. + +Der Erbe traegt ihn in sein Haus, +Und sieht, er ist sehr abgetragen; +Er sinnt, und sinnt das Kunststueck aus, +Ihn ueber einen Stock zu schlagen. +Durch heisse Buersten wird er rein; +Er fasst ihn gar mit Schnueren ein. +Nun geht er aus, und alle schreien: +Was sehn wir? Sind es Zaubereien? +Ein neuer Hut! O gluecklich Land, +Wo Wahn und Finsternis verschwinden! +Mehr kann kein Sterblicher erfinden, +Als dieser grosse Geist erfand. + +Er starb, und liess bei seinem Sterben +Den umgewandten Hut dem Erben. +Erfindung macht die Kuenstler gross, +Und bei der Nachwelt unvergessen; +Der Erbe reisst die Schnuere los, +Umzieht den Hut mit goldnen Dressen, +Verherrlicht ihn durch einen Knopf, +Und drueckt ihn seitwaerts auf den Kopf. +Ihn sieht das Volk, und taumelt vor Vergnuegen. +Nun ist die Kunst erst hoch gestiegen! +Ihm, schrie es, ihm allein ist Witz und Geist verliehn! +Nichts sind die andern gegen ihn! + +Er starb, und liess bei seinem Sterben +Den eingefassten Hut dem Erben. +Und jedesmal ward die erfundne Tracht +Im ganzen Lande nachgemacht. + + +Ende des ersten Buchs. + +Was mit dem Hute sich noch ferner zugetragen, +Will ich im zweiten Buche sagen. +Der Erbe liess ihm nie die vorige Gestalt. +Das Aussenwerk ward neu, er selbst, der Hut, blieb alt. +Und, dass ichs kurz zusammenzieh, +Es ging dem Hute fast, wie der Philosophie. + + + + +Die glueckliche Ehe + +Gedankt sei es dem Gott der Ehen! +Was ich gewuenscht, hab ich gesehen: +Ich sah ein recht zufriednes Paar; +Ein Paar, das ohne Gram und Reue, +Bei gleicher Lieb und gleicher Treue, +In kluger Ehe gluecklich war. +Ein Wille lenkte hier zwo Seelen. +Was sie gewaehlt, pflegt er zu waehlen, +Was er verwarf, verwarf auch sie. +Ein Fall, wo andre sich betruebten, +Stoert ihre Ruhe nie. Sie liebten, +Und fuehlten nicht des Lebens Mueh. + +Da ihn kein Eigensinn verfuehrte, +Und sie kein eitler Stolz regierte: +So herrschte weder sie noch er, +Sie herrschten; aber bloss mit Bitten. +Sie stritten; aber wenn sie stritten, +Kam bloss ihr Streit aus Eintracht her. + +So wie wir, eh wir uns vermaehlen, +Uns unsre Fehler klug verhehlen, +Uns falsch aus Liebe hintergehn: +So liessen sie auch in den Zeiten +Der zaertlichsten Vertraulichkeiten +Sich nie die kleinsten Fehler sehn. + +Der letzte Tag in ihrem Bunde, +Der letzte Kuss von ihrem Munde +Nahm, wie der erste, sie noch ein. +Sie starben. Wenn?--Wie kannst du fragen? +Acht Tage nach den Hochzeitstagen; +Sonst wuerden dies nur Fabeln sein. + + + + + +Die Guttat + +Wie ruehmlich ists, von seinen Schaetzen +Ein Pfleger der Bedraengten sein! +Und lieber minder sich ergetzen, +Als arme Brueder nicht erfreun. +Beaten fiel heut ein Vermoegen. +Von Tonnen Golds durch Erbschaft zu. +"Nun", sprach sie, "hab ich einen Segen, +Von dem ich Armen Gutes tu." + +Sie sprachs. Gleich schlich zu seinem Gluecke +Ein siecher Alter vor ihr Haus, +Und bat, gekruemmt auf seiner Kruecke, +Sich eine kleine Wohltat aus. + +Sie ward durchdrungen von Erbarmen, +Und fuehlte recht des Armen Not. +Sie weinte, ging und gab dem Armen +Ein grosses Stueck verschimmelt Brot. + + + + + +Die junge Ente + +Die Henne fuehrt der Jungen Schar, +Worunter auch ein Entchen war, +Das sie zugleich mit ausgebruetet. +Der Zug soll in den Garten gehn; +Die Alte gibts der Brut durch Locken zu verstehn; +Und jedes folgt, sobald sie nur gebietet, +Denn sie gebot mit Zaertlichkeit. +Die Ente wackelt mit; allein nicht gar zu weit. +Sie sieht den Teich, den sie noch nicht gesehen, +Sie laeuft hinein, sie badet sich. +Wie, kleines Tier! Du schwimmst? Wer lehrt es dich? +Wer hiess dich in das Wasser gehen? +Wirst du so jung das Schwimmen schon verstehen? + +Die Henne laeuft mit strupfichtem Gefieder +Das Ufer zehnmal auf und nieder, +Und will ihr Kind aus der Gefahr befrein; +Setzt zehnmal an, und fliegt doch nicht hinein; +Denn die Natur heisst sie das Wasser scheun. +Doch nichts erschreckt den Mut der Ente; +Sie schwimmt beherzt in ihrem Elemente, +Und fragt die Henne ganz erfreut, +Warum sie denn so aengstlich schreit? + +---- + +Was dir Entsetzen bringt, bringt jenem oft Vergnuegen; +Der kann mit Lust zu Felde liegen, +Und dich erschreckt der blosse Name, Held. +Der schwimmt beherzt auf offnen Meeren; +Du zitterst schon auf angebundnen Faehren, +Und siehst den Untergang der Welt. +Befuerchte nichts vor dessen Leben, +Der kuehne Taten unternimmt. +Wen die Natur zu der Gefahr bestimmt, +Dem hat sie auch den Mut zu der Gefahr gegeben. + + + + +Die kranke Frau + +Wer kennt die Zahl von so viel boesen Dingen, +Die uns um die Gesundheit bringen! +Doch noetig ists, dass man sie kennenlernt. +Je mehr wir solcher Quellen wissen, +Woraus Gefahr und Unheil fliessen; +Um desto leichter wird das Uebel selbst entfernt + +---- + +Des Mannes teurer Zeitvertreib, +Sulpitia, ein junges schoenes Weib, +Ging munter zum Besuch, krank aber kam sie wieder, +Und fiel halbtot aufs Ruhebette nieder. +Sie roechelt. Wie? Vergisst ihr Blut den Lauf? +Geschwind loest ihr die Schnuerbrust auf! +Geschwind! Doch laesst sich dies erzwingen? +Sechs Haende waren zwar bereit; +Doch eine Frau aus ihrem Staat zu bringen, +Wieviel erfordert dies nicht Zeit! +Der arme Mann schwimmt ganz in Traenen; +Mit Recht bestuerzt ihn diese Not. +Zu frueh ists, nach der Gattin Tod +Im ersten Jahre sich zu sehnen. +Er schickt nach einem Arzt. Ein junger Aeskulap +Erscheint sogleich in vollem Trab, +Und setzt sich vor das Krankenbette, +Vor dem er sich so eine Miene gab, +Als ob er fuer den Tod ein sichres Mittel haette. +Er fragt den Puls, und da er ihn gefragt, +Schlaegt er im Geiste nach, was sein Rezeptbuch sagt, +Und laesst, die Krankheit zu verdraengen, +Sich eilends Dint und Feder bringen. + +Er schreibt. Der Diener laeuft. Indessen ruft der Mann +Den so erfahrnen Arzt beiseite, +Und fragt, was doch der Zufall wohl bedeute? +Der Doktor sieht ihn laechelnd an: +"Sie fragen mich, was es bedeuten kann? +Das brauch ich Ihnen nicht zu sagen; +Sie wissen schon, es zeigt viel Gutes an, +Wenn sich die jungen Weiber klagen." + +Den Mann erfreut ein solcher Unterricht. +Die Nacht verstreicht, der Trank ist eingenommen; +Allein der teure Trank hilft nicht. +Drum muss der zweite Doktor kommen. + +Er koemmt! Geduld! Nun werden wirs erfahren. +Was ists? Was fehlt der schoenen Frau? +Der Doktor sieht es ganz genau, +Dass sich die Blattern offenbaren. + +Sulpitia! Erst sollst du schwanger sein? +Nun sollst du gar die Blattern kriegen? +Ihr Aerzte schweigt, und gebt ihr gar nichts ein, +Denn einer muss sich doch betruegen. +Nein, ueberlasst sie der Natur, +Und dem ihr so getreuen Bette; +Gesetzt, dass sie die schlimmste Krankheit haette: +So ist sie nicht so schlimm, als eure Kur. + +Geduld! Vielleicht genest sie heute. +Der Mann koemmt nicht von ihrer Seite, +Und eh die Stunde halb verfliesst, +Fragt er sie hundertmal, obs noch nicht besser ist? +Ach ungestuemer Mann, du noetigst sie zum Sprechen. +Wie? Wird sie nicht das Reden schwaechen? +Sie spricht ja mit gebrochnem Ton, +Und an der Sprache hoerst du schon, +Dass sich die Schmerzen stets vergroessern. +Bald wird es sich mit deiner Gattin bessern! +Der Tod, der Tod dringt schon herein, +Sie von der Marter zu befrein. + +Wer pocht? Es wird der Doktor sein; +Doch nein, der Schneider koemmt, und bringt ein Kleid getragen. +Sulpitia faengt an, die Augen aufzuschlagen. +"Er koemmt", so stammelt sie. "Er koemmt zu rechter Zeit; +Ist dies vielleicht mein Sterbekleid? +Ja, wie Er sieht, so werd ich bald erblassen; +Doch haette mich der Himmel leben lassen: +So haett ich mir ein solches Kleid bestellt, +Von solchem Stoff, als Er, Er wirds schon wissen, +Fuer meine Freundin machen muessen; +Es ist nichts Schoeners auf der Welt. +Als ich zuletzt Besuch gegeben: +So trug sie dieses neue Kleid; +Doch geh Er nur. O kurzes Leben! +Es ist doch alles Eitelkeit!" + +O fasse dich, betruebter Mann! +Du hoerst ja, dass dein Weib noch ziemlich reden kann. +O lass die Hoffnung nicht verschwinden! +Der Atem wird sich wieder finden. + +Der Schneider geht, der Mann begleitet ihn, +Sie reden heimlich vor der Tuere. +Der Schneider tut die groessten Schwuere, +Und eilt, die Sache zu vollziehn. + +Noch vor dem Abend koemmt er wieder. +Sulpitia liegt noch danieder, +Und dankt ihm seufzend fuer den Gruss. +Allein wer sagt, was doch der Schneider bringen muss? +Er hat es in ein Tuch geschlagen, +Er wickelts aus. O welche Seltenheit! +Dies ist der Stoff, dies ist das reiche Kleid. +Allein was soll es ihr? Sie kann es ja nicht tragen. + +"Ach Engel", spricht der Mann bei sanftem Haendedruecken, +"Mein ganz Vermoegen gaeb ich hin, +Koennt ich dich nur gesund in diesem Schmuck erblicken!" +"O", faengt sie an, "so krank ich bin: +So kann ich Ihnen doch, mein Liebster, nichts versagen. +Ich will mich aus dem Bette wagen; +So koennen Sie noch heute sehn, +Wie mir das neue Kleid wird stehn." + +Man bringt den Schirm, und sie verlaesst das Bette, +So schwach, als ob sie schon ein Jahr gelegen haette. +Man putzt sie an, geputzt trinkt sie Kaffee. +Kein Finger tut ihr weiter weh. +Der Krankheit Grund war bloss ein Kleid gewesen, +Und durch das Kleid muss sie genesen. +So heilt des Schneiders kluge Hand +Ein Uebel, das kein Arzt gekannt. + + + + + +Die Missgeburt + +"Frau Orgon!" rief die Frau Gevatterin, +"Ach wuessten Sie, wo ich gewesen bin! +Ich will es Ihnen wohl entdecken; +Allein Sie muessen nicht erschrecken. +Ich komme gleich von einer Woechnerin. +Lucinde, dass ichs kurz erzaehle, +Lucinde, die so stolze Seele, +Die uns durch ihren Staat so oft beschaemt gemacht +Erschrecken Sie nur nicht, hat in vergangner Nacht +Ein Kind (verzeih mirs Gott!) mit langen Hasenohren, +Ein recht abscheulich Kind geboren. +Die stolze Frau! Ich richte nicht; +Allein ich weiss, dass nichts umsonst geschieht. +Lucinde wuenscht, dass es verschwiegen bliebe; +Ich wuensch es selbst aus Menschenliebe; +Allein die Stadt erfaehrts, gedenken Sie an mich. +Indes behalten Sie die Heimlichkeit fuer sich." +Frau Orgon eilt von ihr erschrocken zu Dorinden. +Sie fragt nach ihrem Wohlbefinden, +Und schmaeht mit ihr die Weiber, die gern schmaehn. +Wie? Sollte sie Dorinden nichts erzaehlen? +Nein, denn sie faengt schon an sich bestens zu empfehlen. +Warum muss der Besuch so bald zu Ende gehn? +Vielleicht, weil beide sich von nichts zu reden schaemen. +Deswegen? Nein, das glaub ich nicht. +Wie sollten dies sich Weiber uebelnehmen? +Da mancher grosse Mann, gelehrt von Angesicht, +Oft tagelang von nichts mit grossen Maennern spricht. + +So ist Frau Orgon schon gegangen? +Noch nicht. Nun aber geht sie fort. +Doch seht, sie kehrt sich um: "Frau Schwester, noch ein Wort, +Ein Wort! Es soll mich sehr verlangen, +Ob Sie--? Lucinde--Wie? Sie haetten nichts gehoert? +Nichts, Gott vergib mir meine Suende! +Nichts von der Missgeburt der kostbaren Lucinde, +Mit welcher sie die Welt beschwert? +Hier sieht man recht die goettlichen Gerichte. +Ein Kind mit haerichtem Gesichte, +Das einem Hasen gleicht, und einem Pferdefuss, +Bedenken Sie, wie das erschrecklich lassen muss! +Allein Lucinde wills verhehlen; +Drum sagen Sie nur weiter nichts davon. +Das arme Kind! Es ist ein Sohn." + +Dorinde sagts ihr zu. Und doch soll mirs nicht fehlen, +Sie wird die Neuigkeit, sobald sie kann, erzaehlen, +Weil jene sie, zu schweigen, bat. +Sie tut es so getreu, als es Frau Orgon tat. +Erst hat das Kind nur Hasenohren, +Frau Orgon schenkt ihm drauf noch einen Pferdefuss; +Allein Dorinden ists noch viel zu schoen geboren. +Und weil sie was verbessern muss, +Tut sie dem Kinde den Gefallen +Und macht ihm noch an beide Haende Krallen. + +Eh noch der Nachmittag verstrich, +Liess das Geheimnis sich auf allen Gassen hoeren. +Die alten Muetter kreuzten sich, +Und suchten schon recht muetterlich +Durch dieses Zorngericht die Toechter zu bekehren. +Da war kein Mensch, der nicht mit einem Ach +Von diesem Wechselbalge sprach. +Die Knaben stritten selbst mit blutigem Gesichte +Schon fuer die Wahrheit der Geschichte. + +Sobald als dies der Magistrat erfuhr, +Schickt er den Physikus nach dieser Kreatur. +Er kam neugierig zu Lucinden; +Allein anstatt den Wechselbalg zu finden, +Fand er ein wohlgestaltes Kind, +An dem die Ohren groesser waren, +Als sie bei andern Kindern sind. +Das war die Missgeburt, der man so mitgefahren! + +---- + +Der Doerfer und der Staedte Plage, +Verwuenscht seist du, gemeine Sage! +Die schnell mit dem, was sie zu wissen kriegt, +Geheimnisvoll in alle Haeuser fliegt, +Und, wenn sies dreimal sagt, vom neuen dreimal luegt. +Ein giftig Weib, was kann die nicht erzaehlen? +Zumal, wenn es der armen Freundin gilt. +Ein giftig Weib--Doch nein, ich mag nicht schmaelen; +Mich schreckt die Redekunst, mit der sie andre schilt. + +Die Nachtigall und der Kuckuck + +Die Nachtigall sang einst ihr goettliches Gedicht, +Zu sehn, ob es die Menschen fuehlten. +Die Knaben, die im Tale spielten, +Die spielten fort und hoerten nicht. +Indem liess sich der Kuckuck lustig hoeren, +Und er erhielt ein freudig Ach. +Die Knaben lachten laut, und machten ihm zu Ehren +Das schoene Kuckuck zehnmal nach. +"Hoerst du?" sprach er zu Philomelen, +"Den Herren fall ich recht ins Ohr. +Ich denk, es wird mir nicht viel fehlen, +Sie ziehn mein Lied dem deinen vor." +Drauf kam Damoet mit seiner Schoene. +Der Kuckuck schrie sein Lied. Sie gingen stolz vorbei. +Nun sang die Meisterin der zauberischen Toene +Vor dem Damoet und seiner Schoene, +In einer sanften Melodei. +Sie fuehlten die Gewalt der Lieder. +Damoet steht still, und Phyllis setzt sich nieder, +Und hoert ihr ehrerbietig zu. +Ihr zaertlich Blut faengt an zu wallen; +Ihr Auge laesst vergnuegte Zaehren fallen. +"O", rief die Nachtigall, "da, Schwaetzer, lerne du, +Was man erhaelt, wenn man den Klugen singt. +Der Ausbruch einer stummen Zaehre +Bringt Nachtigallen weit mehr Ehre, +Als dir der laute Beifall bringt." + + + + +Die Nachtigall und die Lerche + +Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst; +Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst, +Die Blaetter in den Gipfeln schwiegen, +Und fuehlten ein geheim Vergnuegen. +Der Voegel Chor vergass der Ruh, +Und hoerte Philomelen zu. +Aurora selbst verzog am Horizonte, +Weil sie die Saengerin nicht gnug bewundern konnte. +Denn auch die Goetter ruehrt der Schall +Der angenehmen Nachtigall; +Und ihr, der Goettin, ihr zu Ehren, +Liess Philomele sich noch zweimal schoener hoeren. +Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr, +Und spricht: "Du singst viel reizender als wir; +Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen: +Doch eins gefaellt uns nicht an dir, +Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen." +Doch Philomele lacht und spricht: +"Dein bittrer Vorwurf kraenkt mich nicht, +Und wird mir ewig Ehre bringen. +Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schoen zu singen. +Ich folg im Singen der Natur; +Solange sie gebeut, solange sing ich nur; +Sobald sie nicht gebeut, so hoer ich auf zu singen; +Denn die Natur laesst sich nicht zwingen." + +---- + +O Dichter, denkt an Philomelen, +Singt nicht, solang ihr singen wollt. +Natur und Geist, die euch beseelen, +Sind euch nur wenig Jahre hold. +Soll euer Witz die Welt entzuecken: +So singt, solang ihr feurig seid, +Und oeffnet euch mit Meisterstuecken +Den Eingang in die Ewigkeit. +Singt geistreich der Natur zu Ehren, +Und scheint euch die nicht mehr geneigt: +So eilt, um ruehmlich aufzuhoeren, +Eh ihr zu spaet mit Schande schweigt. +Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen? +Er bindet sich an keine Zeit. +So fahrt denn fort, noch alt zu singen, +Und singt euch um die Ewigkeit. + + + + +Die Reise + +Einst machte durch sein ganzes Land +Ein Koenig den Befehl bekannt, +Dass jeder, der ein Amt erhalten wollte, +Gewisse Zeit auf Reisen gehen sollte, +Um sich in Kuensten umzusehn. +Er liess genaue Karten stehen, +Und gab dazu noch jedem das Versprechen, +Ihm, wuerd er nur, soweit er koennte, gehn, +Mit dem Vermoegen seiner Schaetze +Alsdann auf Reisen beizustehn. +Es war das deutlichste Gesetze, +Das jemals noch die Welt gesehn; +Doch weil die meisten sich vor dieser Reise scheuten: +So sah man viele Dunkelheit. +Die Liebe zu sich selbst, und zur Bequemlichkeit, +Half das Gesetz sehr sinnreich deuten; +Und jeder gab ihm den Verstand, +Den er bequem fuer seine Neigung fand; +Doch alle waren eins, dass man gehorchen muesste. +Man machte sich die Karten bald bekannt, +Damit man doch der Laender Gegend wuesste. +Sehr viele reisten nur im Geist, +Und ueberredten sich, als haetten sie gereist. +Noch andre schafften das Geraete +Zu ihrer Reise fleissig an, +Und glaubten, wenn man nur stets reisefertig taete: +So haette man die Reise schon getan. +Sehr viele fingen an zu eilen, +Als wollten sie die ganze Welt durchgehn; +Sie reisten; aber wenig Meilen, +Und meinten, dem Befehl sei nun genug geschehn. +Noch andre suchten auf den Reisen +Noch mehr Gehorsam zu beweisen, +Als den, den das Gesetz befahl; +Sie reisten nicht durch gruene Felder, +O nein, sie suchten finstre Waelder, +Und reisten unter Furcht und Qual; +Behaengten sich mit schweren Buerden, +Und glaubten, wenn sie ausgezehrt, +Und siech und krank zurueckekommen wuerden: +So waeren sie des besten Amtes wert; +Sie reisten nie auf Kosten des Regenten; +Doch jene, die zur Zeit noch keinen Schritt getan, +Die hielten Tag fuer Tag um Reisekosten an, +Damit sie weiterkommen koennten. + +---- + +Wie elend, hoer ich manchen klagen, +Ist nicht dies Maerchen ausgedacht! +Schaemt sich der Dichter nicht, uns Dinge vorzusagen, +Die man kaum Kindern glaublich macht? +Wo gibt es wohl so stumpfe Koepfe, +Als uns der Dichter vorgestellt? +Dies sind unsinnige Geschoepfe, +Und nicht Bewohner unsrer Welt. +O Freund! was zankst du mit dem Dichter? +Sieh doch die meisten Christen an; +Betrachte sie, und dann sei Richter, +Ob dieses Bild unglaublich heissen kann? + + + + +Die schlauen Maedchen + +Zwei Maedchen brachten ihre Tage +Bei einer alten Base zu. +Die Alte hielt zu ihrer Muhmen Plage +Sehr wenig von der Morgenruh. +Kaum kraehte noch der Hahn bei fruehem Tage: +So rief sie schon: "Steht auf, ihr Maedchen, es ist spaet, +Der Hahn hat schon zweimal gekraeht." +Die Maedchen, die so gern noch mehr geschlafen haetten, +Denn ueberhaupt sagt man, dass es kein Maedchen gibt, +Die nicht den Schlaf und ihr Gesichte liebt, +Die wunden sich in ihren weichen Betten, +Und schwuren dem verdammten Hahn +Den Tod, und taten ihm, da sie die Zeit ersahn, +Den aergsten Tod rachsuechtig an. + +Ich habs gedacht, du guter Hahn! +Erzuernter Schoenen ihrer Rache +Kann kein Geschoepf so leicht entfliehn. +Und ihren Zorn sich zuzuziehn, +Ist leider ein leichte Sache. + +Der arme Hahn war also aus der Welt. +Vergebens nur ward von der Alten +Ein scharf Examen angestellt. +Die Maedchen taten fremd, und schalten +Auf den, der diesen Mord getan, +Und weinten endlich mit der Alten +Recht bitterlich um ihren Hahn. + +Allein was halfs den schlauen Kindern? +Der Tod des Hahns sollt ihre Plage mindern, +Und er vermehrte sie noch mehr. +Die Base, die sie sonst nicht eh im Schlafe stoerte, +Als bis sie ihren Haushahn hoerte, +Wusst in der Nacht itzt nicht, um welche Zeit es waer; +Allein weil es ihr Alter mit sich brachte, +Dass sie um Mitternacht erwachte: +So rief sie die auch schon um Mitternacht, +Die, spaeter aufzustehn, den Haushahn umgebracht. + +---- + +Waerst du so klug, die kleinen Plagen +Des Lebens willig auszustehn: +So wuerdest du dich nicht so oft genoetigt sehn, +Die groessern Uebel zu ertragen. + + + + +Die Spinne + +Hochmuetig ueber ihre Kuenste, +Warf vom durchsichtigen Gespinste +Die Spinne manchen finstern Blick +Auf einen Seidenwurm zurueck; +So aufgeblaeht, wie ein Pedant, +Der itzt, von seinem Wert erhitzet, +In Werken seiner eignen Hand +Bis an den Bart vergraben sitzet, +Und auf den Schueler, der ihn gruesst, +Den Blick mit halben Augen schiesst. +Der Seidenwurm, den erst vor wenig Tagen +Der Herr zur Lust mit sich ins Haus getragen, +Sieht dieser Spinne lange zu, +Und fragt zuletzt: "Was webst denn du?" +"Unwissender!" laesst sich die Spinn erbittert hoeren, +"Du kannst mich noch durch solche Fragen stoeren? +Ich webe fuer die Ewigkeit!" + +Doch kaum erteilet sie den trotzigen Bescheid: +So reisst die Magd, mit Borsten in den Haenden, +Von den noch nicht geputzten Waenden +Die Spinne nebst der Ewigkeit. + +---- + +Die Kunst sei noch so gross, die dein Verstand besitzet, +Sie bleibt doch laecherlich, wenn sie der Welt nicht nuetzet. +Verdient, ruft ein Pedant, mein Fleiss denn keinen Dank? +Nein! Denn er hilft nichts mehr, als andrer Muessiggang. + + + + +Die Verschwiegenheit + +"O Doris, waerst du nur verschwiegen: +So wollt ich dir etwas gestehn; +Ein Glueck, ein ungemein Vergnuegen-- +Doch nein, ich schweige", sprach Tiren. +"Wie?" rief die schoene Schaeferin, +"Du zweifelst noch, ob ich verschwiegen bin? +Du kannst mirs sicher offenbaren; +Ich schwoer, es solls kein Mensch erfahren." +"Du kennst", versetzt Tiren, "die sproede Sylvia, +Die schuechtern vor mir floh, sooft sie mich sonst sah. +Ich komme gleich von dieser kleinen Sproeden; +Doch, ach, ich darf nicht weiterreden. +Nein, Doris, nein, es geht nicht an; +Es waer um ihre Gunst, und um mein Glueck getan, +Wenn Sylvia dereinst erfuehre, +Dass--Dringe nicht in mich, ich halte meine Schwuere." + +"So liebt sie dich?" fuhr Doris fort. +"Jawohl! Doch sage ich kein Wort. +Ich hab ihr Herz nun voellig eingenommen, +Und itzt von ihr den ersten Kuss bekommen. +>Tiren<, sprach sie zu mir, >mein Herz sei ewig dein; +Doch eines bitt ich dich, du musst verschwiegen sein. +Dass wir uns guenstig sind, uns treu und zaertlich kuessen, +Braucht niemand auf der Flur als ich und du zu wissen.< +Drum bitt ich, Doris, schweige ja, +Sonst flieht und hasst mich Sylvia." + +Die kleine Doris geht. Doch wird auch Doris schweigen? +Ja, die Verschwiegenheit ist allen Schoenen eigen. +Gesetzt, dass Doris auch es dem Damoet vertraut; +Was ist es denn nun mehr? Sie sagt es ja nicht laut. + +Ihr Schaefer, ihr Damoet, koemmt ihr verliebt entgegen, +Drueckt ihre weiche Hand, und fragt, +Was ihr sein Freund Tiren gesagt? + +"Damoet, du weisst ja wohl, was wir zu reden pflegen, +Du kennst den ehrlichen Tiren; +Es war nichts Wichtiges, sonst wuerd ich dirs gestehn. +Er sagte mir--Verlang es nicht zu wissen; +Ich hab es ihm versprechen muessen, +Dass ich zeitlebens schweigen will." + +Damoet wird traurig, schweiget still, +Umarmt sein Kind, doch nur mit halbem Feuer. +Die Schaeferin erschrickt, dass sie Damoetens Kuss +So unvollkommen schmecken muss. +"Du zuernest", ruft sie, "mein Getreuer? +O zuerne nicht, ich will es dir gestehn: +Die sproede Sylvia ergibt sich dem Tiren, +Und hat ihm itzt in ihrem Leben +Den allerersten Kuss gegeben; +Allein du musst verschwiegen sein." + +Damoet versprichts. Kaum ist Damoet allein: +So fuehlt er schon die groesste Pein, +Sein neu Geheimnis zu bewahren. +"Ja!" faengt Damoet zu singen an: +"Ich will es keinem offenbaren, +Dass Sylvia Tirenen liebt, +Ihm Kuesse nimmt, und Kuesse gibt; +Du, stummer Busch, nur sollsts erfahren, +Wen Sylvia verstohlen liebt." + +Doch ach! In diesem Busch war unsre Sylvia, +Die sich durch dieses Lied beschaemt verraten sah; +Und eine Heimlichkeit so laut erfahren musste, +Die, ihrer Meinung nach, nur ihr Geliebter wusste. +Sie laeuft, und sucht den Schwaetzer, den Tiren. +Ach, Schaefer, ach, wie wird dirs gehn! +"Mich", faengt sie an, "so zu betruegen! +Dich, Plaudrer, sollt ich laenger lieben?" + +Und kurz: Tiren verliert die schoene Schaeferin, +Und koemmt, Damoeten anzuklagen. +"Ja", spricht Damoet, "ich muss es selber sagen, +Dass ich nicht wenig strafbar bin; +Allein wie kannst du mich den groessten Schwaetzer nennen? +Du hast ja selbst nicht schweigen koennen!" + + + + + +Die Widersprecherin + +Lene hatte noch, bei vielen andern Gaben, +Auch diese, dass sie widersprach. +Man sagt es ueberhaupt den guten Weibern nach, +Dass alle diese Tugend haben; +Doch wenns auch tausendmal der ganze Weltkreis spricht: +So halt ichs doch fuer ein Gedicht, +Und sag es oeffentlich, ich glaub es ewig nicht. +Ich bin ja auch mit mancher Frau bekannt, +Ich hab es oft versucht, und manche schoen genannt, +So haesslich sie auch war, bloss, weil ich haben wollte, +Dass sie mir widersprechen sollte; +Allein sie widersprach mir nicht. +Und also ist es falsch, dass jede widerspricht. +So kraenkt man euch, ihr guten Schoenen! +Itzt komm ich wieder zu Ismenen. +Ismenen sagte mans nicht aus Verleumdung nach, +Es war gewiss, sie widersprach: + +Einst sass sie mit dem Mann bei Tische, +Sie aessen unter andern Fische, +Mich deucht, es war ein gruener Hecht. +"Mein Engel", sprach der Mann, "mein Engel, ist mir recht: +So ist der Fisch nicht gar zu blau gesotten." +"Das", rief sie, "habe ich wohl gedacht, +So gut man auch die Anstalt macht: +So finden Sie doch Grund, der armen Frau zu spotten. +Ich sag es Ihnen kurz, der Hecht ist gar zu blau." +"Gut", sprach er, "meine liebe Frau, +Wir wollen nicht darueber streiten, +Was hat die Sache zu bedeuten?" + +So wie dem welschen Hahn, dem man was Rotes zeigt, +Der Zorn den Augenblick in Nas und Lefzen steigt, +Sie rot und blau durchstroemt, lang auseinandertreibet, +In beiden Augen blitzt, sich in den Fluegeln streibet, +In alle Federn dringt, und sie gen Himmel kehrt, +Und zitternd, mit Geschrei und Poltern, aus ihm faehrt: +So schiesst Ismenen auch, da dies ihr Liebster spricht, +Das Blut den Augenblick in ihr sonst blass Gesicht; +Die Adern liefen auf, die Augen wurden enger, +Die Lippen dick und blau, und Kinn und Nase laenger, +Ihr Haar bewegte sich, stieg voller Zorn empor, +Und stiess, indem es stieg, das Nachtzeug von dem Ohr. +Drauf fing sie zitternd an: "Ich, Mann! ich, deine Frau, +Ich sag es noch einmal, der Hecht war gar zu blau." +Sie nimmt das Glas und trinkt. O lasst sie doch nicht trinken! + +Ihr Liebster geht, und sagt kein Wort, +Kaum aber ist ihr Liebster fort: +So sieht man sie in Ohnmacht sinken. +Wie konnt es anders sein. Gleich auf den Zorn zu trinken! +Ein ploetzliches Geschrei bewegt das ganze Haus, +Man bricht der Frau die Daumen aus; +Man streicht sie kraeftig an; kein Balsam will sie staerken. +Man reibt ihr Schlaf und Puls; kein Leben ist zu merken. +Man nimmt vermengtes Haar und haelts ihr vors Gesicht. +Umsonst! Umsonst! Sie riecht es nicht; +Nichts kann den Geist ihr wiedergeben. +Man ruft den Mann, er koemmt, und schreit: "Du stirbst, mein Leben! +Du stirbst? Ich armer Mann! Ach, meine liebe Frau, +Wer hiess mich dir doch widerstreben! +Ach, der verdammte Fisch! Gott weiss, er war nicht blau." +Den Augenblick bekam sie wieder Leben. +"Blau war er", rief sie aus, "willst du dich noch nicht geben?" + +So tat der Geist des Widerspruchs +Mehr Wuerkung, als die Kraft des heftigsten Geruchs. + + + + + +Die zaertliche Frau + +Wie alt ist nicht der Wahn, wie alt und ungerecht, +Als ob dir, weibliches Geschlecht! +Die Liebe nicht von Herzen ginge? +Das Alter sang in diesem Ton, +Von seinem Vater hoerts der Sohn, +Und glaubt die ungereimten Dinge. +Verlasst, o Maenner, diesen Wahn, +Und dass ihr ihn verlasst, so hoert ein Beispiel an, +Das ich fuer alle Maenner singe. +Du aber, die mich dichten heisst, +Du, Liebe, staerke mich, dass mir ein Lied voll Geist, +Ein ueberzeugend Lied gelinge, +Und gib mir, zu gesetzter Zeit, +Ein Weib von so viel Zaertlichkeit, +Als diese war, die ich besinge! + +---- + +Clarine liebt den treusten Mann, +Den sie nicht besser wuenschen kann, +Sie liebt ihn recht von Herzensgrunde. +Und wenn dir dies unglaublich scheint: +So wisse nur, seit der beglueckten Stunde, +Die sie mit ihrem Mann vereint, +War noch kein Jahr vorbei; nun glaubst dus doch, mein Freund? +Clarine kannte keine Freude, +Kein groesser Glueck, als ihren Mann; +Sie liebte, was er liebgewann, +Was eines wollte, wollten beide; +Was ihm missfiel, missfiel auch ihr. +O, sprichst du, so ein Weib, so eines wuenscht ich mir! +Jawohl! ich wuensch es auch mit dir. +Sei nur recht zaertlich eingenommen; +Ihr Mann wird krank; vielleicht kannst du sie noch bekommen. +Krank, sag ich, wird ihr Mann, und recht gefaehrlich krank; +Er quaelt sich viele Tage lang, +Von ganzen Stroemen Schweiss war sein Gesicht umflossen; +Doch noch von Traenen mehr, die sie um, ihn vergossen. +"Tod!" faengt sie ganz erbaermlich an, +"Tod wenn ich dich erbitten kann, +Nimm lieber mich, als meinen Mann." +Wenns nun der Tod gehoeret haette? +Jawohl! Er hoert es auch; er hoert Clarinens Not, +Er koemmt, und fragt: "Wer rief?"--"Hier!" schreit sie, "lieber Tod, +Hier liegt er, hier in diesem Bette!" + + + + + +Elpin + +Ein Grosser in Athen, der kein Verdienst besass, +Als dass er vornehm trank und ass, +Und sein Geschlecht zu ruehmen nie vergass, +Verlangte doch den Ruhm zu haben, +Als haett er wirklich grosse Gaben. +Denn mancher, der, wenn ihn nicht die Geburt erhoeht, +Da stuende, wo sein Christoph steht, +Und kaum zum Diener tuechtig waere, +Haelt desto mehr auf Ruhm und Ehre, +Je dreister sich sein Herz, trotz seinem Stolz, erkuehnt; +Und ihm oft sagt, dass er sie nicht verdient. +In eben dieser Stadt, in der der Grosse wohnte, +War ein Poet, der die Verdienste pries, +Die Tugend durch sein Lied belohnte, +Und durch sein Lied unsterblich werden hiess; +Den bat Elpin, ihn zu besingen. +"Sie koennen", sprach der grosse Mann, +"Durch meinen Namen sich zugleich in Ansehn bringen." + +"Mein Herr,", rief der Poet, "es geht unmoeglich an. +Ich hab aus Eigensinn einst ein Geluebd getan, +Nur das Verdienst und nie den Namen zu besingen." + + + + + +Emil + +Emil, der seit geraumer Zeit, +Den Klugen wohl bekannt, bei seinen Buechern lebte, +Und mehr nach der Geschicklichkeit +Zu einem Amt, als nach dem Amte strebte, +Ward einst von einem Freund gefragt, +Warum er denn kein Amt noch haette, +Da doch die ganze Stadt so ruehmlich von ihm redte, +Und mancher sich vor ihm schon in ein Amt gewagt, +Der nicht den zehnten Teil von seinen Gaben haette? +"Ich", sprach Emil, "will lieber, dass man fragt, +Warum man mich doch ohn ein Amt laesst leben, +Als dass man fragt: warum man mir ein Amt gegeben?" + + + + + +Epiktet + +Verlangst du ein zufriednes Herz: +So lern die Kunst, dich stoisch zu besiegen, +Und glaube fest, dass deine Sinnen truegen. +Der Schmerz ist in der Tat kein Schmerz, +Und das Vergnuegen kein Vergnuegen. +Sobald du dieses glaubst: so nimmt kein Glueck dich ein, +Und du wirst in der groessten Pein +Noch allemal zufrieden sein. +Das, sprichst du, kann ich schwer verstehen. +Ist auch die stolze Weisheit wahr? +Du sollst es gleich bewiesen sehen; +Denn Epiktet stellt dir ein Beispiel dar. +Ihn, als er noch ein Sklave war, +Schlug einst sein Herr mit einem starken Stabe +Zweimal sehr heftig auf das Bein. +"Herr", sprach der Philosoph, "ich bitt Ihn, lass Ers sein, +Denn sonst zerschlaegt Er mir das Bein." +"Gut, weil ich dirs noch nicht zerschlagen habe: +So soll es", rief der Herr, "denn gleich zerschlagen sein!" +Und drauf zerschlug er ihm das Bein; +Doch Epiktet, anstatt sich zu beklagen, +Fing ruhig an: "Da sieht Ers nun! +Hab ichs Ihm nicht gesagt, Er wuerde mirs zerschlagen?" + +---- + +Dies, Mensch, kann Zenons Weisheit tun! +Besiege die Natur durch diese starken Gruende. +Und willst du stets zufrieden sein: +So bilde dir erhaben ein, +Lust sei nicht Lust, und Pein nicht Pein. +Allein, sprichst du, wenn ich das Gegenteil empfinde, +Wie kann ich dieser Meinung sein? +Das weiss ich selber nicht; indessen klingts doch fein, +Trotz der Natur sich stets gelassen sein. + + + + +Erast + +Dorant, ein reicher Mann, der weiter keinen Erben, +Als einen Vetter hinterliess, +Der reicher war als er, und keinem Guts erwies, +Dorant beschloss bei seinem Sterben, +An seines Vetters Statt Erasten zu erfreun, +Und setzte diesen Freund, ders wuerdig war, zum Erben +Von zwanzigtausend Talern ein. +Der Vetter, der die Stadt recht giftig ueberredte, +Als ob Erast, der so rechtschaffne Mann, +Das Testament erschlichen haette, +Fing einen Streit um dies Vermoegen an, +Und lief, von Neid und Geiz gedrungen, +Mit schrecklichen Beschuldigungen, +Und mit Geschenken vor Gericht; +Allein sooft auch die das Recht erzwungen: +So siegten sie doch diesmal nicht. + +Erast gewann. "Doch dich", spricht er, "zu ueberfuehren, +Ob ich das Testament mit List an mich gebracht: +So will ich das, was mir mein Freund vermacht, +Nachdem ich es gewann, verlieren. +Die Haelfte schenk ich dir, um dich zu widerlegen. +Zweitausend Taler sollen mein; +Und das noch uebrige Vermoegen +Soll ein Geschenk fuer arme Waisen sein. +Verdien ich noch den schrecklichen Verdacht, +Dass ich das Testament mit List an mich gebracht?" + + + + + +Herodes und Herodias + +Freund, wer ein Laster liebt, der liebt die Laster alle. +Wer ein Gesetz der Tugend uebertritt, +Entheiligt in dem einen Falle +Im Herzen auch die andern mit. +O sprichst du, welche Sittenlehre +Gibt euch der Geist der Schwermut ein! +Gesetzt, dass ich der Wollust dienstbar waere, +Werd ich deswegen wohl der Mordsucht eigen sein? +Ich glaub es, lieber Freund, du wirst es mir verzeihn; +Schrift und Vernunft behaupten diese Lehre. +Der Witz, der dich die Wahrheit lehrt, +Die Hurerei sie kein Verbrechen, +Wird, wenns dein Vorteil nur begehrt, +Das Wort zugleich der Mordsucht sprechen. +Auf einmal wird man nie der groesste Boesewicht; +Allein den Grund dazu kann man auf einmal legen. +Verletze nur mit Vorsatz eine Pflicht: +So hast du schon das schreckliche Vermoegen, +Wodurch dein Herz die andern bricht. +Warum gehorchst du den Gesetzen? +Weil Gott, der Heilige, der deine Wohlfahrt liebt, +Sie den Vernuenftigen zu ihrer Wohlfahrt gibt. +Doch darfst du ein Gebot verletzen: +So schwaechst du ja den Grund, auf dem sie alle stehn. +Was kann sich dir denn widersetzen, +Dich nicht an allen zu vergehn? +O merk es doch, noch unschuldsvolle Jugend! +Ich bitte dich, o merk es dir! +Es gibt nicht mehr als eine Tugend, +Und als ein Laster neben ihr. +Hast du den Vorsatz nicht, nach allen heilgen Pflichten, +Dich in und ausser dir zu richten: +So prange hier und da mit guter Eigenschaft, +Dein Herz ist doch nicht tugendhaft. +Sooft dus wagst, nur eins von den Gesetzen, +Weil es dein Herz verlangt, mit Vorsatz zu verletzen: +So schwaechst du aller Tugend Kraft, +Und bist bei hundert guten Taten, +Die Hoffnung oder Furcht, Ruhm und Natur dir raten, +Vor Gott und der Vernunft doch voellig lasterhaft. + +O Jugend! fass doch diese Lehren, +Itzt ist dein Herz geschickt dazu. +Dem kleinsten Laster vorzuwehren, +Die Tugend ewig zu verehren, +Sei niemand eifriger als du. +Durch sie steigst du zum goettlichen Geschlechte, +Und ohne sie sind Koenige nur Knechte. +Sie macht dir erst des Lebens Anmut schoen. +Sie wird bei widrigem Geschicke +Dich ueber dein Geschick erhoehn. +Sie wird im letzten Augenblicke, +Wenn alle traurig von dir gehn, +In himmlischer Gestalt zu deiner Seite stehn, +Und in die Welt der selgen Herrlichkeiten +Den Geist, weil sie ihn liebt, begleiten. +Sie wird dein Schmuck vor jenen Geistern sein, +Die sich schon auf dein Glueck und deinen Umgang freun. +O Mensch! ist dir dies Glueck zu klein, +Um strenge gegen dich zu sein? + +Nunmehr mag uns ein wahres Beispiel lehren, +Wie alle Laster sich von einem Laster naehren. + +---- + +Herodias, wie uns die Schrift erzaehlt, +Brach dem die Treu, mit dem sie sich vermaehlt, +Und hing an seines Bruders Seite +Der Neigung nach, die auch ein Heide scheute; +Und die der Hof, der gern mit Worten spielt, +Fuer Zaertlichkeit und nicht fuer Unzucht hielt. +Doch lasst die Schmeichler knechtisch sprechen. +Johannes koemmt an Hof. Kein Thron verblendet ihn, +Von dem das Laster strahlt. Er sieht es, und spricht kuehn: +"Du hast des Bruders Weib; dies, Fuerst, ist ein Verbrechen." +So redt ein Mann, aus dem der Geist der Tugend spricht. +Zur Niedertraechtigkeit reizt ihn der Thron zu wenig. +Er fuerchtet Gott mehr als den Koenig, +Und haelt den Mut fuer seine groesste Pflicht, +Wenn er zu dessen Ehre spricht, +Von dem mit uns die Koenige der Erden +Aus gleichem Staub gebildet werden. + +So dreist sprach Zachariae Sohn; +Allein der Kerker ward sein Lohn. +Ein Widerruf koennt ihn daraus erretten; +Doch nein, ein Tugendfreund liegt lieber frei an Ketten, +Als sklavisch um der Fuersten Thron. +So frei indes Johannes auch gesprochen: +So blieb er doch dem Fuersten wert. +Denn selber der, der jede Pflicht gebrochen, +Wird durch ein Herz gereizt, das Gott und Tugend ehrt; +Ein heimliches Gefuehl heisst ihn dies Herz noch lieben, +Und sich, dass ers nicht hat, noch hassen kann, betrueben. + +Und also scheint der Fuerst noch tugendhaft zu sein, +Sosehr ihn auch sein Laster eingenommen. +Wenn er unzuechtig ist, ist er drum grausam? Nein; +Doch lasst nur einen Umstand kommen: +So wird ers doch aus Wollust sein. +Kein Laster herrscht jemals allein. +Und du begingst vielleicht, wie er, das groesste, +Waerst du zum groessten nicht zu klein. + +Der Fuerstin Tochter tanzt an einem Freudenfeste. +Der Hof bewundert sie. Herodes wird entzueckt, +Und fuehlt, indem er sie erblickt, +Der Mutter Blick in ihrer Tochter Blicke. +Er winkt der Salome: "Gebeut itzt deinem Gluecke, +Und bitte, was du willst! Fuer meine Lieb und dich +Ist nichts zu gross, und nichts zu koeniglich." + +Die Tochter eilt mit frohen Schritten +Zu der Herodias, und fragt: "Was soll ich bitten?" +"Bitt um des Taeufers trotzig Haupt!" +O Gott! wer haette das geglaubt? +Ist fuer ein weiches Herz, und fuer verbuhlte Blicke, +Ein blutig Haupt ein reizungsvolles Gluecke? +Ein Weib, das sonst die kleinsten Schmerzen scheut, +Findt, da die Wollust ihr gebeut, +Selbst Wollust in der Grausamkeit? +Und lehrt zugleich die Tochter ein Verbrechen? + +Herodes hoert den Wunsch, erschrickt und wird betruebt, +Weil er den frommen Taeufer liebt; +Allein der Fuerstenstolz weist ihn auf sein Versprechen. +Hats nicht der Hof gehoert? Bist du nicht Herr und Fuerst? +Wird sich Herodias nicht gleich durch Kaltsinn raechen, +Wofern du nicht den Wunsch erfuellen wirst? +Gebeut, sprach seine Brunst, und eilig willigt er +In dieses grausame Vergnuegen. +Man bringt des Taeufers Haupt auf einer Schuessel her. + +Hier siehst du ja, wie bald nach leichter Gegenwehr +In einem Laster alle siegen! + + + + + +Inkle und Yariko + +Die Liebe zum Gewinst, die uns zuerst gelehrt, +Wie man auf leichtem Holz durch wilde Fluten faehrt; +Die uns beherzt gemacht, das liebste Gut, das Leben, +Der ungewissen See auf Brettern preiszugeben; +Die Liebe zum Gewinst, der deutliche Begriff +Von Vorteil und Verlust, trieb Inklen auf ein Schiff. +Er opferte der See die Kraefte seiner Jugend; +Denn Handeln war sein Witz, und Rechnen seine Tugend. +Ihn lockt das reiche Land, das wir durchs Schwert bekehrt, +Das wir das Christentum und unsern Geiz gelehrt. +Er sieht Amerika; doch nah an diesem Lande +Zerreisst der Sturm sein Schiff. Zwar glueckt es ihm, am Strande +Dem Tode zu entgehn; allein der Wilden Schar +Fiel auf die Briten los; und wer entkommen war, +Den frass ihr hungrig Schwert. Nur Inkle soll noch leben; +Die Flucht in einen Wald muss ihm Beschirmung geben. +Vom Laufen atemlos, wirft, mit verwirrtem Sinn, +Der Brite sich zuletzt bei einem Baume hin; +Umringt mit naher Furcht und ungewissem Graemen, +Ob Hunger oder Schwert ihm wird das Leben nehmen? + +Ein ploetzliches Geraeusch erschreckt sein schuechtern Ohr. +Ein wildes Maedchen springt aus dem Gebuesch hervor, +Und sieht mit schnellem Blick den Europaeer liegen. +Sie stutzt. Was wird sie tun? Bestuerzt zuruecke fliegen? +O nein! so streng und deutsch sind wilde Schoenen nicht. +Sie sieht den Fremdling an; sein rund und weiss Gesicht, +Sein Kleid, sein lockicht Haar, die Anmut seiner Blicke +Gefaellt der Schoenen wohl, haelt sie mit Lust zuruecke. + +Auch Inklen nimmt dies Kind bei wilder Anmut ein. +Unwissend in der Kunst, durch Zwang verstellt zu sein, +Verraet sie durch den Blick die Regung ihrer Triebe; +Ihr Auge sprach von Gunst und bat um Gegenliebe. +Die Indianerin war liebenswert gebaut. +Durch Mienen redt dies Paar, durch Mienen wirds vertraut. +Sie winkt ihm mit der Hand, er folget ihrem Schritte. +Mit Fruechten speist sie ihn in einer kleinen Huette, +Und zeigt ihm einen Quell, vom Durst sich zu befrein. +Durch Laecheln raet sie ihm, getrost und froh zu sein. +Sie sah ihn zehnmal an, und spielt an seinen Haaren, +Und schien verwundrungsvoll, dass sie so lockicht waren. + +Sooft der Morgen koemmt: so machte Yariko +Durch neuen Unterhalt den lieben Fremdling froh, +Und zeigt durch Zaertlichkeit, mit jedem neuen Tage, +Was fuer ein treues Herz in einer Wilden schlage! +Sie bringt ihm manch Geschenk, und schmueckt sein kleines Haus +Mit mancher bunten Haut, mit bunten Federn aus; +Und eine neue Tracht von schoenen Muschelschalen +Muss, wenn sie ihn besucht, um ihre Schultern prahlen. +Zur Nachtzeit fuehrt sie ihn zu einem Wasserfall, +Und unter dem Geraeusch und Philomelens Schall +Schlaeft unser Fremdling ein. Aus zaertlichem Erbarmen +Bewacht sie jede Nacht den Freund in ihren Armen. +Wird in Europa wohl ein Herz so edel sein? + +Die Liebe floesst dem Paar bald eine Mundart ein. +Sie unterreden sich durch selbst erfundne Toene. +Kurz, er versteht sein Kind, und ihn versteht die Schoene. +Oft sagt ihr Inkle vor, was seine Vaterstadt +Fuer suesse Lebensart, fuer Kostbarkeiten hat. +Er wuenscht, sie neben sich in London einst zu sehen; +Sie hoerts, und zuernet schon, dass es noch nicht geschehen. +Dort, spricht er, kleid ich dich; und zeiget auf sein Kleid; +In lauter bunten Zeug, von groessrer Kostbarkeit; +In Haeusern, halb von Glas, bespannt mit raschen Pferden, +Sollst du in dieser Stadt bequem getragen werden. + +Vor Freuden weint dies Kind, und sieht, indem sie weint, +Schon nach der offnen See, ob noch kein Schiff erscheint. +Es glueckt ihr, was sie wuenscht, in kurzem zu entdecken. +Sie sieht ein Schiff am Strand, und laeuft mit frohem Schrecken, +Sucht ihren Fremdling auf, vergisst ihr Vaterland +Aus Treue gegen ihn, und eilt, an seiner Hand, +So freudig in die See, als ob das Schiff im Meere, +In das sie steigen will, ein Haus in London waere. + +Das Schiff setzt seinen Lauf mit gutem Winde fort, +Und fliegt nach Barbados*; doch dieses war der Ort, +Wo Inkle ganz bestuerzt sein Schicksal ueberdachte, +Als schnell in seiner Brust der Kaufmannsgeist erwachte. +Er kam mit leerer Hand aus Indien zurueck; +Dies war fuer seinen Geiz ein trauriges Geschick. +So hab ich, fing er an, um arm zurueckzukommen, +Die fuerchterliche See, mit Mueh und Angst, durchschwommen? +Er stillt in kurzer Zeit den Hunger nach Gewinn, +Und fuehrt Yariko zum Sklavenhaendler hin. +Hier wird die Dankbarkeit in Tyrannei verwandelt, +Und die, die ihn erhielt, zur Sklaverei verhandelt. + +Sie faellt ihm um den Hals, sie faellt vor ihm aufs Knie, +Sie fleht, sie weint, sie schreit. Nichts! Er verkaufet sie. +Mich, die ich schwanger bin, mich! faehrt sie fort zu klagen. +Bewegt ihn dies? Ach ja! Sie hoeher anzuschlagen. +Noch drei Pfund Sterling mehr! Hier, spricht der Brite froh, +Hier, Kaufmann, ist das Weib, sie heisst Yariko! + +---- + +O Inkle! du Barbar, dem keiner gleich gewesen; +O moechte deinen Schimpf ein jeder Weltteil lesen! +Die groesste Redlichkeit, die allergroesste Treu +Belohnst du, Boesewicht! noch gar mit Sklaverei? +Ein Maedchen, das fuer dich ihre eigen Leben wagte, +Das dich dem Tod entriss, und ihrem Volk entsagte, +Mit dir das Meer durchstrich, und, bei der Glieder Reiz, +Das beste Herz besass, verhandelst du aus Geiz? +Sei stolz! Kein Boesewicht bringt dich um deinen Namen. +Nie wird es moeglich sein, dein Laster nachzuahmen. + +* Barbados ist eine von den caribischen Inseln, welche den Englaendern +zugehoeret. Es wird ein grosser Sklavenhandel daselbst getrieben. + + +Lisette + +Ein junges Weib, sie hiess Lisette, +Dies Weibchen lag an Blattern blind. +Nun weiss man wohl, wie junge Weiber sind; +Drum durft ihr Mann nicht von dem Bette, +So gern er sie verlassen haette: +Denn lasst ein Weib schoen wie Cytheren sein, +Wenn sie die Blattern hat: so nimmt sie nicht mehr ein. +Hier sitzt der gute Mann, zu seiner groessten Pein, +Und muss des kranken Weibes pflegen, +Ihr Kuessen oft zurechtelegen, +Und oft durch ein Gebet um ihre Bessrung flehn; +Und gleichwohl war sie nicht mehr schoen. +Ich haett ihn moegen beten sehn. +Der arme Mann! Ich weiss ihm nicht zu raten. +Vielleicht besinnt er sich, und tut, was andre taten. + +Ein krankes Weib braucht eine Waerterin; +Und Lorchen ward dazu erlesen, +Weil ihr Lisettens Eigensinn +Vor andern laengst bekannt gewesen. +Sie trat ihr Amt dienstfertig an, +Und wusste sich in allen Stuecken +Gut in, die kranke Frau zu schicken, +Und auch in den gesunden Mann. +Sie war besorgt, gefaellig, jung und schoen, +Und also ganz geschickt, mit beiden umzugehn. + +Was tut man nicht, um sich von Gram und Pein, +Von Langerweile zu befrein? +Der Mann sieht Lorchen an, und redt mit ihr durch Blicke, +Weil er nicht anders reden darf; +Und jeder Blick, den er auf Lorchen warf, +Kam, wo nicht ganz, doch halb erhoert zuruecke. +Ach, arme kranke Frau! Es ist dein grosses Gluecke, +Dass du nicht sehen kannst, dein Mann tut recht galant; +Dein Mann, ich wollte viel drauf wetten, +Hat Lorchen schon vorher gekannt, +Und sie mit Fleiss zur Waerterin ernannt. +Ja, wenn sie bloss durch Blicke redten: +So moecht es endlich wohl noch gehn; +Allein bald wird man sie einander kuessen sehn. +Er koemmt, und klopft sie in den Nacken, +Und kneipt sie in die vollen Backen; +Sie wehrt sich ganz bequem, bequem wie eine Braut, +Und findet bald fuer gut, sich weiter nicht zu wehren. +Sie kuessen sich recht zaertlich und vertraut; +Allein sie kuessten gar zu laut. +Wie konnt es anders sein? Lisette musst es hoeren. +Sie hoerts, und fragt: "Was schallt so hell?" +"Madam, Madam!" ruft Lorchen schnell, +"Es ist Ihr Herr, er aechzt vor grossem Schmerz, +Und will sich nicht zufriedengeben." +"Ach", spricht sie, "lieber Mann, wie redlich meints dein Herz! +O graeme dich doch nicht! Ich bin ja noch am Leben." + + + + + +Monime + +Durch schoener Glieder Reiz, durch Schoenheit des Verstands +Erwarb Monime sich den Beifall Griechenlands; +So manches Buhlers Herz besiegten ihre Blicke; +Mit Wollust sah er sie, beschaemt wich er zuruecke, +Denn war Monime schoen: so war ihr Herz zugleich +An Unschuld, wie ihr Blick an Geist und Feuer, reich. +Die Tugend, die dem Wunsch erhitzter Buhler wehrte, +Trieb selbst den Buhler an, dass er sie mehr verehrte. +Arm war sie von Geburt, und zart von Leidenschaft, +Mit Schmeichlern stets umringt; und blieb doch tugendhaft? +Doch bringt Geschenke her! Der Diamanten Flehen, +Des Golds Beredsamkeit wird sie nicht widerstehen. +Ein Prinz aus Pontus ists, der grosser Mithridat, +Der mit entbrannter Brust sich zu Monimen naht; +Ein Koenig seufzt und fleht. Zu schmeichelnde Gedanken! +Wird nicht bei diesem Glueck Monimens Tugend wanken? + +"Prinz", fing sie herzhaft an, "du scheinst durch mich geruehrt, +Und ruehmst den kleinen Reiz, der meine Bildung ziert; +Ich danke der Natur fuer diesen Schmuck der Jugend; +Die Schoenheit gab sie mir, und ich gab mir die Tugend. +Nicht jene macht mich stolz, nein, diese macht mich kuehn; +Sei tausendmal ein Prinz: umsonst ist dein Bemuehn! +Ich mehre nie die Zahl erkaufter Buhlerinnen, +Nur als Gemahl wirst du Monimens Herz gewinnen." + +So unbeweglich blieb ihr tugendhafter Sinn. +Der Prinz, des Prinzen Flehn, der praechtigste Gewinn, +Des Hofes Kunst und List, nichts konnte sie bezwingen. +Der Prinz muss fuer ihr Herz ihr selbst die Krone bringen. + +O welch ein seltnes Glueck, von niederm Blut entstehn, +Und aus dem Staube sich bis zu dem Thron erhoehn! +Wie lange, grosses Glueck! wirst du ihr Herz vergnuegen? +Wie lange? + +Mithridat hofft Rom noch zu besiegen; +Verlaesst Monimens Arm, um in den Krieg zu ziehn. +Doch der, der siegen will, faengt an, besiegt zu fliehn; +Rom setzt ihm siegreich nach, sein Land wird eingenommen. +Doch soll das stolze Rom Monimen nicht bekommen, +Eh dies der Prinz erlaubt, befielt er ihren Tod. +Ein Sklav eroeffnet ihr, was Mithridat gebot. + +"So", ruft sie, "raubt mir auch die Hoheit noch das Leben? +Die fuer entrissne Ruh mir einen Thron gegeben, +Auf dem ich ungeliebt, durch Reue mich gequaelt, +Dass ich den Niedrigsten mir nicht zum Mann erwaehlt?" +Sie reisst den Hauptschmuck ab, um stolz sich umzubringen, +Und eilt, ihr Diadem sich um den Hals zu schlingen; +Allein das schwache Band erfuellt ihr Wuenschen nicht, +Es reisst, und weigert sich der so betruebten Pflicht. +"O", ruft sie, "Schmuck! den ich zu meiner Pein getragen, +Sogar den schlimmsten Dienst will du mir noch versagen?" +Sie wirft ihn vor sich hin, tritt voller Wut darauf, +Und gibt durch einen Dolch alsbald ihr Leben auf. + + + + + +Philinde + +Philinde blieb oft vor dem Spiegel stehn; +Denn alles kann man fast den Schoenen, +Nur nicht den Trieb, sich selber gern zu sehn, +Und zu bewundern, abgewoehnen. +Dies ist der Ton, aus dem die Maenner schmaehn; +Doch, Maedchen, bleibet nur vor euren Spiegeln stehn. +Ich lass es herzlich gern geschehn. +Was wolltet ihr auch sonst wohl machen? +Bestaendig taendeln, ewig lachen? +Und stets nach den Verehrern sehn? +Dies waere ja nicht auszustehn. +Genug, das schoene Kind, von der ich erst erzaehlte, +Bespiegelte sich oft, und musterte das Haar, +Und besserte, wo nicht das mindste fehlte. +Ihr Bruder, der ein Autor war, +Sah sie am Spiegel stehn und schmaelte. +"Habt Ihr Euch noch nicht satt gesehn? +Ich geh es zu, Ihr seid sehr schoen; +Doch sein Gesicht die ganze Zeit besehn, +Verraet ein gar zu eitles Wesen." +"Herr Autor", sprach sie, "der Ihr seid, +Hebt mit mir auf; denn sich gern selber lesen, +Und gern im Spiegel sehn, ist beides Eitelkeit." + + + + + +Selinde + +Das schoenste Kind zu ihren Zeiten, +Selinde, reich an Lieblichkeiten, +Schoen, wenn ich also sagen mag, +Schoen, wie das Morgenrot, und heiter, wie der Tag; +Selinde soll sich malen lassen. +Sie weigert sich; der Maler liess nicht nach; +Er bat, bis sie es ihm versprach, +Und schwur, sie recht getreu zu fassen. +Sie fragt, wieviel man ihm bezahlt? +Ich haette sie umsonst gemalt, +Und haett ich ja was fordern sollen: +So haett ich Kuesse fordern wollen. +So schoen Selinde wirklich war, +So schoen, und schoener nicht, stellt sie der Maler dar; +Die kleinste Miene muss ihm gluecken, +Das Bild war treu, und schoen bis zum Entzuecken; +So reizend, dass es selbst der Maler hurtig kuesst, +Sobald sein Weib nicht um ihn ist. + +Der Maler bringt sein goettliches Gesicht. +Selinde sieht es an, erschrickt, und legt es nieder. +"Hier nehm er sein Gemaelde wieder, +Er irrt, mein Freund, das bin ich nicht. +Wer hiess ihn so viel Schmeicheleien, +Uns so viel Reiz auf meine Bildung streuen? +Erdichtet ist der Mund, verschoenert ist das Kinn. +Kurz, nehm er nur sein Bildnis hin; +Ich mag nicht schoener sein, als ich in Wahrheit bin. +Vielleicht wollt er die Venus malen: +Von dieser lass er sich bezahlen." + +So ist sie denn allein das Kind, +Das schoen ist, ohn es sein zu wollen? +Wie viele kenn ich nicht, die wirklich haesslich sind, +Und die wir mit Gewalt fuer englisch halten sollen. + +Der Maler nimmt sein Bild, und sagt kein einzig Wort, +Geht trotzig, wie ein Kuenstler, fort. +Was wird er tun? Er wird es doch nicht wagen, +Und so ein schoenes Kind verklagen? + +Er klagt. Selinde muss sich stellen. +Die Vaeter werden doch ein guetig Urteil faellen! +O fahrt sie nicht gebietrisch an; +So sehr sie unrecht hat, so edel ist ihr Wahn. + +Hier koemmt sie schon, hier koemmt Selinde! +Wer hat mehr Anmut noch gesehen? +Der ganze Rat erstaunt vor diesem schoenen Kinde, +Und sein Erstaunen preist sie schoen. +Und jeder Greis in dem Gerichte +Verliert die Runzeln vom Gesichte; +Man sah aufs Bild; doch jedesmal +Noch laengre Zeit auf das Original; +Und jeder rief: "Sie ist getroffen!" +"O", sprach sie ganz beschaemt, "wie koennt ich dieses hoffen! +Er hat mich viel zu schoen gemalt, +Und Schmeichler werden nicht bezahlt." + +"Selinde", hub der Richter an, +"Kein Maler konnt Euch treuer malen. +Er hat nach seiner Pflicht getan, +Abbittend sollt Ihr ihn bezahlen; +Doch weil Ihr von Euch selbst nicht eingenommen seid: +So geht nicht unbelohnt von diesem Richterplatze; +Empfangt ein Heiratsgut aus dem gemeinen Schatze, +Zum Lohne der Bescheidenheit." + +O weiser Mann, der dieses spricht! +Gerechter ist kein Spruch zu finden. +Du, du verdienst ein ewig Lobgedicht, +Und waerst du jung, verdientest du Selinden. +Selinde geht. Der Beifall folgt ihr nach; +Man sprach von ihr gewiss, wenn man von Schoenen sprach; +Je mehr sie zweifelte, ob sie so reizend waere, +Um desto mehr erhielt sie Ehre. + +---- + +Je minder sich der Kluge selbst gefaellt: +Um desto mehr schaetzt ihn die Welt. + + + + +Semnon und das Orakel + +Sein kuenftig Schicksal zu erfahren, +Eilt Semnon voll Begier zum delphischen Altar. +Die Gottheit weigert sich, ihm das zu offenbaren, +Was ueber ihn verhaenget war. +Sie spricht: "Du wirst ein grosses Glueck geniessen; +Doch wirds dein Unglueck sein, sobald du es wirst wissen." +Ist Semnons Neugier nun vergnuegt? +Nichts weniger! Nur mehr waechst sein Verlangen. +"O Gottheit", faehrt er fort, "wenn Bitten dich besiegt: +So lass mich groessres Licht von meinem Glueck empfangen!" +So traut der Mensch, und traut zugleich auch nicht. +Ein Semnon glaubt sein Glueck, nicht, weils die Gottheit saget, +Nein, weil ers schon gewuenscht, eh er sie noch gefraget. +Doch glaubt er auch, wenn sie vom Unglueck spricht? +O nein! Denn dieses wuenscht er nicht. +Durch Klugheit denkt er schon das Unglueck abzuwehren. +Kurz, Semnon laesst nicht nach, er will sein Schicksal hoeren. + +"Du wirst", hub das Orakel an, +"Durch deines Weibes Gunst den Zepter kuenftig fuehren, +Und Voelker, die dich dienen sahn, +Dereinst durch einen Wink regieren." + +Gestaerkt durch dieses Goetterwort, +Eilt, der als Pilgrim kam, als Prinz in Hoffnung fort; +Misst, ohne Land, im Geist schon seines Reiches Groessen; +Und laesst schon, ohne Volk, sein Heer das Schwert entbloessen. + +Allein so froh er war: so war ers nicht genug; +Er weiss noch nicht, was er doch wissen wollte, +Die Zeit, in der sein Fuss den Thron besteigen sollte; +Die Ungewissheit wars, die ihn noch niederschlug. +"Und", sprach er, "wenn ich auch nun bald den Thron bestiegen, +Wie lange waehrt alsdann mein koeniglich Vergnuegen?" +Der kuehne Zweifel treibt ihn an. +Zum delphischen Apoll sich noch einmal zu nahn. + +"O Tor", versetzt Apoll, "euch Sterblichen zum Gluecke, +Verbarg der Goetter Schluss die Zukunft eurem Blicke. +So wisse denn: In kurzer Zeit +Schmueckt dich des Purpurs Herrlichkeit; +Doch raubt die Hand, die dir den Thron gegeben, +Dir mit dem Throne bald das Leben." + +Er tat darauf im Kriege sich hervor, +Und stieg, aus einem niedern Stande, +Zur hoechsten Wuerd im Vaterlande, +Durch seine Tapferkeit empor. +Das ihm so guenstige Geschicke +Erfuellte des Orakels Sinn; +Und Semnon ward, bei immer groesserm Gluecke, +Der Liebling seiner Koenigin. +Sie schenkt ihm Herz und Thron; doch ein verborgnes Schrecken +Laesst ihn das Glueck der Hoheit wenig schmecken. +Sein reizendes Gemahl, das er halb liebt, halb scheut, +Erfuellt ihn halb mit Frost, und halb mit Zaertlichkeit. +Itzt wuenscht er tausendmal, sein Schicksal nicht zu kennen, +Um so fuer sie, wie sie fuer ihn, zu brennen. +Sie merkt des Koenigs sproeden Sinn, +Sie zieht ihn in Verdacht mit einer Buhlerin, +Sie gibt ihm heimlich Gift; er stirbt vor ihren Fuessen. + +Sagt, Menschen, ists kein Glueck, sein Schicksal nicht zu wissen? + + + + + +Till + +Der Narr, dem oft weit minder Witz gefehlt, +Als vielen, die ihn gern belachen, +Und der vielleicht, um andre klug zu machen, +Das Amt des Albernen gewaehlt +(Wer kennt nicht Tills beruehmten Namen?); +Till Eulenspiegel zog einmal +Mit andern ueber Berg und Tal. +Sooft als sie zu einem Berge kamen, +Ging Till an seinem Wanderstab +Den Berg ganz sacht und ganz betruebt hinab; +Allein wenn sie berganwaerts stiegen, +War Eulenspiegel voll Vergnuegen. +"Warum", fing einer an, "gehst du bergan so froh? +Bergunter so betruebt?"--"Ich bin", sprach Till, "nun so. +Wenn ich den Berg hinuntergehe: +So denk ich Narr schon an die Hoehe, +Die folgen wird, und da vergeht mir denn der Scherz; +Allein wenn ich berganwaerts gehe: +So denk ich an das Tal, das folgt, und fass ein Herz." + +---- + +Willst du dich in dem Glueck nicht ausgelassen freun, +Im Unglueck nicht unmaessig kraenken: +So lern so klug wie Eulenspiegel sein, +Im Unglueck gern ans Glueck, im Glueck ans Unglueck denken. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Fabeln und Erzaehlungen, von +Christian Fuerchtegott Gellert. + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Fabeln und Erzaehlungen +by Christian Fuerchtegott Gellert + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FABELN UND ERZAEHLUNGEN *** + +This file should be named 7fabl10.txt or 7fabl10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7fabl11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7fabl10a.txt + +Produced by Delphine Lettau; the book content was graciously +contributed by the Gutenberg Projekt-DE + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Fabeln und Erzählungen + +Christian Fürchtegott Gellert + + + +Inhalt (Alphabetisch sortiert): + +Alcest +Amynt +Calliste +Chloris +Cleant +Cotill +Damokles +Damötas und Phyllis +Das Füllen +Das Gespenst +Das Heupferd, oder der Grashüpfer +Das Hospital +Das junge Mädchen +Das Kartenhaus +Das Kutschpferd +Das Land der Hinkenden +Das neue Ehepaar +Das Pferd und der Esel +Das Pferd und die Bremse +Das Schicksal +Das Testament +Das Unglück der Weiber +Das Vermächtnis +Der Affe +Der arme Greis +Der arme Schiffer +Der Arme und der Reiche +Der baronisierte Bürger +Der Bauer und sein Sohn +Der beherzte Entschluß +Der betrübte Witwer +Der Bettler +Der Blinde und der Lahme +Der erhörte Liebhaber +Der Freier +Der Freigeist +Der Fuchs und die Elster +Der glücklich gewordene Ehemann +Der glückliche Dichter +Der Greis +Der grüne Esel +Der gute Rat +Der gütige Besuch +Der Hund +Der junge Drescher +Der junge Gelehrte +Der junge Prinz +Der Jüngling +Der Kandidat +Der Knabe +Der Kranke +Der Kuckuck +Der Lügner +Der Maler +Der Polyhistor +Der Prozeß +Der Reisende +Der Schatz +Der Selbstmord +Der sterbende Vater +Der süße Traum +Der Tanzbär +Der Tartarfürst +Der Tod der Fliege und der Mücke +Der unsterbliche Autor +Der Wuchrer +Der wunderbare Traum +Der zärtliche Mann +Der Zeisig +Die Bauern und der Amtmann +Die beiden Hunde +Die beiden Knaben +Die beiden Mädchen +Die beiden Schwalben +Die beiden Wächter +Die Betschwester +Die Biene und die Henne +Die Ente +Die Fliege +Die Frau und der Geist +Die Geschichte von dem Hute +Die glückliche Ehe +Die Guttat +Die junge Ente +Die kranke Frau +Die Mißgeburt +Die Nachtigall und der Kuckuck +Die Nachtigall und die Lerche +Die Reise +Die schlauen Mädchen +Die Spinne +Die Verschwiegenheit +Die Widersprecherin +Die zärtliche Frau +Elpin +Emil +Epiktet +Erast +Herodes und Herodias +Inkle und Yariko +Lisette +Monime +Philinde +Selinde +Semnon und das Orakel +Till + + + + + +Alcest + +Alcest, den mancher Kummer drückte, +Der, weil er sich nicht zu dem Laster schickte, +Noch sich vor reichen Toren bückte, +Bei Fleiß und Kunst sich elend sah, +Stund neulich traurig auf. Freund, geht dir dies nicht nah, +Daß viele Kluge darben müssen, +Bloß weil sie mehr als andre wissen, +Und, zu Betrug und List zu blind, +Zu groß zu Prahlerei und Wind, +Nicht knechtisch gnug zu Schmeichlern sind? +O Freund, bedaure doch Alcesten, +Ihn, den itzt schwere Sorgen preßten; +Ihn, der von einem Buch beschämt zum andern schlich, +Und doch dem Kummer nicht entwich; +Ihn, der sich laut durch manchen Trostgrund lehrte, +Und doch sein Herz viel lauter seufzen hörte; +Der herzhaft zu sich selber sprach: +Gott lebt, Gott herrscht und hört dein Ach; +Er hört, so groß er ist, der jungen Raben Flehen; +Drum ist er nicht zu groß, auch dir mit beizustehen; +Und der, indem er dieses sprach, +Doch noch im Herzen rief: Wie wird dirs künftig gehen? + +Der beste Trostgrund blieb noch schwach; +Denn welch bekümmert Herz besiegt man gleich mit Gründen? +Es fühlt der starken Gründe Kraft, +Und flieht zurück in seine Leidenschaft, +Um jener Macht nicht zu empfinden. +Alcest beschloß zu seinem Freund zu gehn, +Den er zween Tage nicht gesehn. +Er, sprach er, ist es wert, und fing schon an zu gehn, +Daß ich zu ihm mit meinem Kummer eile, +Und meinen Kummer mit ihm teile; +In Damons Arm, wenn Damon mit mir spricht, +Wird die Geduld, die sonst so schwere Pflicht, +Mir lange so beschwerlich nicht. + +Er eilt mit sehnsuchtsvollem Herzen, +Wie nach dem Arzt ein Siecher, der sonst schleicht, +In Hoffnung schneller geht, und hoffend seine Schmerzen +Nicht fühlt, noch merkt, wie sehr er keucht, +Bis er des Arztes Haus erreicht. + +In diesem brennenden Verlangen, +Den treuen Damon zu umfangen, +Tritt er ins Haus und eilt die Treppe schnell hinauf. +Der Vorsaal wimmelte von Leuten, +Alcest erschrickt. "Gott! was soll das bedeuten?" +Er tritt herein; und seht, man bahrt den Damon auf. + +Er kehrte von dem toten Freunde +Nach einem letzten Kuß zurück. +Die Sorgen, seiner Ruhe Feinde, +Entwichen in dem Augenblick. +Was, sprach er, will ich mich denn quälen? +Kann mich der Tod so bald entseelen, +Was nützt mir alles Glück der Welt? +Um froh zu sterben, will ich leben. +Der Herr, der alles Fleisch erhält, +Wird mir, soviel ich brauche, geben. +Ihm wert zu sein, der Tugend nachzustreben, +Dies sei mein Kummer auf der Welt! + + + + + +Amynt + +Amynt, der sich in großer Not befand, +Und, wenn er nicht die Hütte meiden wollte, +Die hart verpfändet war, zehn Taler schaffen sollte, +Bat einen reichen Mann, in dessen Dienst er stand, +Doch dieses Mal sein Herz vor ihm nicht zu verschließen; +Und ihm zehn Taler vorzuschießen. +Der Reiche ging des Armen Bitten ein. +Denn gleich aufs erste Wort? Ach nein! +Er ließ ihm Zeit, erst Tränen zu vergießen; +Er ließ ihn lange trostlos stehn, +Und oft um Gottes Willen flehn, +Und zweimal nach der Türe gehn. +Er warf ihm erst mit manchem harten Fluche +Die Armut vor, und schlug hierauf +Ihm in dem dicken Rechnungsbuche +Die Menge böser Schuldner auf, +Und fuhr ihn, denn dafür war er ein reicher Mann, +Bei jeder Post gebietrisch schnaubend an. +Dann fing er an sich zu entschließen, +Dem redlichen Amynt, der ihm die Handschrift gab, +Auf sechs Prozent zehn Taler vorzuschießen, +Und dies Prozent zog er gleich ab. +Indem daß noch der Reiche zählte: +So trat sein Handwerksmann herein +Und bat, weils ihm an Gelde fehlte, +Er sollte doch so gütig sein +Und ihm den kleinen Rest bezahlen. +"Ihr kriegt itzt nichts!" fuhr ihn der Schuldherr an; +Allein der arme Handwerksmann +Bat ihn zu wiederholten Malen, +Ihm die paar Taler auszuzahlen. +Der Reiche, dem der Mann zu lange stehenblieb, +Fuhr endlich auf: "Geht fort, Ihr Schelm, Ihr Dieb!" +"Ein Schelm? Dies wäre mir nicht lieb. +Ich werde gehn und Sie verklagen; +Amynt dort hats gehört."--Und eilends ging der Mann. + +"Amynt!" fing drauf der Wuchrer an, +"Wenn sie Euch vor Gerichte fragen: +So könnt Ihr ja mir zu Gefallen sagen, +Ihr hättet nichts gehört. Ich will auch dankbar sein; +Und Euch, statt zehn, gleich zwanzig Taler leihn. +Denn diesen Schimpf, den er von mir erlitten, +Ihm auf dem Rathaus abzubitten, +Dies würde mir ein ewger Vorwurf sein. +Kurz, wollet Ihr mich nicht, als ein Zeuge, kränken: +So will ich Euch die zwanzig Taler schenken: +So kommt Ihr gleich aus aller Eurer Not." + +"Herr", sprach Amynt, "ich habe seit zween Tagen +Für meine Kinder nicht satt Brot. +Sie werden über Hunger klagen, +Sobald sie mich nur wiedersehn. +Es wird mir an die Seele gehn. +Die Schuldner werden mich aus meiner Hütte jagen; +Allein ich wills mit Gott ertragen. +Streicht Euer Geld, das Ihr mir bietet, ein, +Und lernt von mir die Pflicht, gewissenhaft zu sein." + + + + + +Calliste + +O Leser! stelle dir mit zärtlichem Gemüte +Einmal die größte Schönheit vor, +Auf deren Stirn der Frühling lächelnd blühte, +Um deren Herz sich längst ein edelmütig Chor +Entzückter Jünglinge bemühte, +Die stell itzt deinem Geiste dar, +Und fühl es recht, wie schön sie war. +Die, deren Schicksal ich erzähle, +Calliste, groß durch ihren Stand, +Und edler noch durch ihre Seele, +Ließ, weil sie sich nicht wohl befand, +Und weil der Doktor ihr den Aderlaß befohlen, +Des Königs ersten Wundarzt holen. + +Er, dieser so berühmte Mann, +Der schmachtend ingeheim Callistens Reiz verehrte, +Weil ihm ihr hoher Stand ein größer Glück verwehrte, +Nahm die Gelegenheit mit tausend Freuden an. +Er kam. O wär er nie gekommen! +Er nimmt den weißen Arm, und streift ihn ängstlich auf, +Und forscht, von Lieb und Ahndung eingenommen, +Mit Zittern nach der Adern Lauf, +Und streift in trunkner Angst den Arm noch vielmal auf. + +Callistens Freundin sieht ihn zagen, +Und sagts ihr (heimlich sagt sies ihr). +"O", spricht sie: "Lassen Sie den Herrn nur ruhig schlagen, +Und schlüg er zweimal fehl: so werd ich doch nichts sagen, +Ich weiß, er meint es gut mit mir." +Der Arzt sprach noch: "Das wollen wir nicht hoffen!" +Und schlug, und rief: "O unglückselger Schlag! +Ich habe ja den Puls getroffen!" +Und taumelte, bis er daniederlag. + +Sie, noch für den besorgt (kann man was Edlers denken?), +Der so gefährlich sie verletzt, +Verbot ihm oft, sich nicht um sie zu kränken, +Und blieb zween Tage lang bei allem Schmerz gesetzt. +Doch dies war nur geringes Leiden. +Die Ärzte sahn nunmehr die tödliche Gefahr, +Und wurden grausam eins, den Arm ihr abzuschneiden, +Weil sonsten keine Rettung war. +Und ohne sich darüber zu beklagen, +Reicht sie den Arm, den schönen Arm, schon dar, +Und bittet nur, den ja um Rat zu fragen, +Der schuld an diesem Unglück war. + +So ward der Schönen denn das Leben +Für den Verlust des Arms gegeben? +So war das Leben denn für so viel Schmerz der Lohn? +Sieh nur den Doktor an, sein Schrecken sagt dirs schon. +Er sieht den Brand, und spricht mit bangem Ton: +"Sie können länger nicht, als noch drei Tage leben!" + +O Gott, wie kurz ist diese Frist! +Ihr Ärzte, helft ihr doch, wenn ihr zu helfen ist! + +Auch hier blieb noch das große Herz gelassen. +"So", sprach sie, "sterb ich denn? Wohlan! Er ist nicht schuld, +Er würde gern für mich erblassen. +Gott hats verhängt; Gott ehr ich durch Geduld, +Und bin bereit, den Augenblick zu sterben" +(Der Wundarzt trat indem herein); +"Sie aber", fuhr sie fort, "setz ich hiemit zum Erben +Von allen meinen Gütern ein, +Sie möchten sonst unglücklich sein." +Sie sprachs, und schlief großmütig ein. + + + + + +Chloris + +Aus Eifersucht des Lebens satt, +Warf Chloris sich betrübt auf ihre Lagerstatt; +Und ihren Buhler recht zu kränken, +Der einen Blick nach Sylvien getan, +Rief sie die Venus brünstig an, +Ihr einen leichten Tod zu schenken. +Vielleicht war dies Gebet so eifrig nicht gemeint. +Verliebt und jung zu sein, und um den Tod zu flehen, +Wem dies nicht widersprechend scheint, +Der muß die Liebe schlecht verstehen. + +Doch mitten in der größten Pein +Sieht Chloris ihren Freund geputzt ins Zimmer treten, +Und plötzlich hört sie auf zu beten, +Und wünscht nicht mehr entseelt zu sein. +Er sagt ihr tausend Schmeicheleien, +Er seufzt, er fleht, er schwört, er küßt. +O Chloris! laß dichs nicht gereuen, +Daß du noch nicht gestorben bist; +Dein Damon schwört, dich ewig treu zu lieben, +Wie könntest du ihn doch durch deinen Tod betrüben! + +Der meisten Schönen Zorn gleicht ihrer Zärtlichkeit, +Sie dauern beide kurze Zeit: +Und Chloris ließ sich bald versöhnt von dem umfangen, +Den sie vor kurzem noch des Hasses würdig fand. +Sie klopft ihn auf die braunen Wangen, +Und streichelt ihn mit buhlerischer Hand. + +Doch schnell erstarren ihre Hände. +Wie, Venus! Nähert sich ihr Ende? +Sie fällt in sanfter Ohnmacht hin; +Ein kleiner Schnabel wird aus ihrem kleinen Kinn; +Zu Flügeln werden ihre Hände; +Ihr Busen wird mit einem Kropf verbaut; +Und Federn überziehn die Haut. +Ists möglich, daß ich dieses glaube? +Ja! Chloris wird zu einer Taube. + +Wie zittert ihr Geliebter nicht! +Hier sieht er seine Schöne fliegen. +Sie fliegt ihm dreimal ums Gesicht, +Als wollte sie sich noch durch einen Kuß vergnügen. +Worzu sie sonst die Neigung angetrieben, +Das scheint sie auch, als Taube, noch zu lieben. + +Das Putzen war ihr Zeitvertreib. +O seht, wie putzt sie ihren Leib! +Sie rupft die Federn aus, um sich recht glatt zu machen; +Sie fliegt ans Waschfaß hin, tut, was sie sonst getan; +Fängt Hals und Brust zu baden an. +Wie schön hör ich die Taube lachen! +Fragt nicht, was sie zu lachen macht! +Sie hat, als Chloris, schon oft über nichts gelacht. + +Itzt naht sie sich dem großen Spiegel, +Vor dem sie manchen Tag in Mienen sich geübt, +Besieht den weißen Hals, bewundert ihre Flügel, +Und fängt schon an, in sich verliebt, +Mit jüngferlichem Stolz sich kostbar zu gebärden. +Ach Götter! ruft ihr Freund betrübt, +Laßt diese Taube doch zur Chloris wieder werden. + +Umsonst, spricht Venus, ist dein Flehn; +Zur Taube schicket sie sich schön, +Und niemals werd ich ihr die Menschheit wiedergeben. +Sie hat geseufzt, gebuhlt, gelacht, +Sich stets geputzt, und nie gedacht; +Als Taube kann sie recht nach ihrer Neigung leben. + +O wenn sich nur die Göttin nicht entschließt, +Die Schönen alle zu verwandeln, +Die ebenso, wie Chloris, handeln! +Man sagt, daß sie es willens ist. +Ach, Göttin, ach! wie zahlreich wird auf Erden +Alsdann das Volk der Tauben werden! +Mit einer Frau wird man zu Bette gehn, +Und früh auf seiner Brust ein Täubchen sitzen sehn. +Mich dauert im voraus manch reizendes Gesicht. +O liebe Venus, tu es nicht! + + + + + +Cleant + +Cleant, ein lieber Advokat, +Der, wie es ihm nach seinem Eid gebührte, +Der Unterdrückten Sache führte, +Und manchen armen Schelm vom Galgen und vom Rad +Durch seinen Witz losprozessierte, +Half, weil man ihn um seinen Beistand bat, +Die Unschuld zweener Diebe retten, +Und brachte sie, weil er geschickt verfuhr, +Bald von der Marter zu dem Schwur, +Und durch den Schwur aus ihren Ketten. +Das arme Volk! Da sieht mans nun, +Wie man der Welt kann Unrecht tun! +Denn wär er nicht so treu die Sache durchgegangen: +So hätte man das arme Paar, +Das seiner Tat fast überwiesen war, +In aller Unschuld aufgehangen. +Itzt waren sie nun beide frei, +Und dankten ihrem Advokaten +Auf ihren Knien für seine Treu, +Und zahlten ihm, was die Gebühren taten, +Und gaben ihm, von Dankbarkeit gerührt, +Ob er gleich nicht zu wenig liquidiert, +Noch einen Beutel mit Dukaten; +Und schwuren ihm bei ihrer Ehrlichkeit, +Wenn beßre Zeiten kommen sollten, +Daß sie für diesen Dienst, durch den er sie befreit, +Ihn reichlicher belohnen wollten. + +Allein die Nacht war vor der Tür. +Sie sahn nun, daß sie nicht nach Hause kommen könnten; +Drum gab der Advokat den redlichen Klienten +Aus Dankbarkeit ein Nachtquartier, +Weil sie so gut bezahlet hatten. +Dies kam den Herren gut zustatten; +Denn sie bedienten sich der Nacht, +Und knebelten den lieben Wirt im Bette, +Und stahlen das, was sie gebracht, +Und suchten fleißig nach, ob er nichts weiter hätte. +Drauf gingen sie zu ihm vors Bette, +Und nahmen höflich gute Nacht. + + + + + +Cotill + +Cotill, der, wie es vielen geht, +Nicht wußte, was er machen sollte, +Und doch nicht müßig bleiben wollte; +Denn müßig gehn, wenn mans nicht recht versteht, +Ist schwerer, als man denken sollte; +Cotill ging also vor die Stadt, +Und machte sich etwas zu schaffen. +Er ging, und schlug im Gehen oft ein Rad. +"O", schrie man, "seht den jungen Laffen, +Der den Verstand verloren hat! +Er macht die Hände gar zu Füßen. +Ihr Kinder, zischt den Narren aus!" +Allein Cotill ließ sich dies alles nicht verdrüßen. +Kurz, es gefiel ihm so, er ging vors Tor hinaus. +Man mochte, was man wollte, sagen, +Er fuhr doch fort, im Gehn sein Rad zu schlagen. +"Der Teufel! Seht, das war ein rechtes Rad!" +Fing endlich einer an zu fluchen. +"Ich möcht es doch bald selbst versuchen." +Er sagt es kaum, als ers schon tat. +"Nun", sprach er, "seh ich wohl, wieviel man Vorteil hat. +Es ist ganz hübsch um so ein Rad, +Denn man erspart sich viele Schritte. +Der Mann ist nicht so dumm, der es erfunden hat." +Den Tag darauf kam schon der dritte, +Und tat es nach. Die Zahl vermehrte sich. +In kurzem sprach man schon gelinder; +Man fragte stark nach dem Erfinder, +Und lobt ihn endlich öffentlich. + +---- + +Nimm alles vor, es sei so toll es will. +Heiß anfangs närrisch wie Cotill; +Dein Beifall ist drum nicht verloren. +Sei nur beherzt, und spare keinen Fleiß, +Ein Tor findt allemal noch einen größern Toren, +Der seinen Wert zu schätzen weiß. + + + + +Damokles + +Gaubt nicht, daß bei dem größten Glücke +Ein Wütrich jemals glücklich ist. +Er zittert in dem Augenblicke, +Da er der Hoheit Frucht genießt. +Bei aller Herrlichkeit stört ihn des Todes Schrecken, +Und läßt ihn nichts, als teures Elend, schmecken. + +---- + +Als den Tyrannen Dionys +Ein Schmeichler einstens glücklich pries, +Und aus dem Glanz der äußerlichen Ehre, +Aus reichem Überfluß an Volk und Gold erwies, +Daß sein Tyrann unendlich glücklich wäre; +Als dies Damokles einst getan; +Fing Dionys zu diesem Schmeichler an: +"So sehr mein Glück dich eingenommen, +So kennst du es doch unvollkommen; +Doch schmecktest du es selbst, wie würde dichs erfreun! +Willst du einmal an meiner Stelle sein?" +"Von Herzen gern!" fällt ihm Damokles ein. +Ein goldner Stuhl wird schnell für ihn herbeigebracht. +Er sitzt, und sieht auf beiden Seiten +Der Hohen größte Herrlichkeiten, +Die Stolz und Wollust ausgedacht. +Von Purpur prangen alle Wände, +Gold schmückt die Tafel aus, im Golde perlt der Wein. +Ein Wink! so eilen zwanzig Hände, +Des hohen Winkes wert zu sein. +Ein Wort! so fliegt die Menge schöner Knaben, +Und sucht den Ruhm, dies Wort vollstreckt zu haben. + +Von Wollust süß berauscht, von Herrlichkeit entzückt, +Schätzt sich Damokles für beglückt. +"O Hoheit!" ruft er aus, "könnt ich dich ewig schmecken!" +Doch ach! was nimmt er plötzlich wahr? +Ein scharfes Schwert an einem Pferdehaar, +Das an der Decke hängt, erfüllt sein Herz mit Schrecken; +Er sieht die drohende Gefahr +Nah über seinem Haupte schweben. +Der Glückliche fängt an zu beben; +Er sieht nicht mehr auf seines Zimmers Pracht, +Nicht auf den Wein, der aus dem Golde lacht; +Er langt nicht mehr nach den schmackhaften Speisen, +Er hört nicht mehr der Sänger sanfte Weisen. +"Ach!" fängt er zitternd an zu schrein, +"Laß mich, o Dionys, nicht länger glücklich sein!" + + + + + +Damötas und Phyllis + +Damötas war schon lange Zeit +Der jungen Phyllis nachgegangen; +Noch konnte seine Zärtlichkeit +Nicht einen Kuß von ihr erlangen. +Er bat, er gab sich alle Müh; +Doch seine Spröde hört ihn nie. +Er sprach: "Zwei Bänder geb ich dir. +Auch soll kein Warten mich verdrüßen, +Versprich nur, schöne Phyllis, mir, +Mich diesen Sommer noch zu küssen." +Sie sieht sie an, er hofft sein Glück, +Sie lobt sie, und gibt sie zurück. + +Er bot ein Lamm, noch zwei darauf, +Dann zehn, dann alle seine Herden. +So viel? Dies ist ein teurer Kauf. +Nun wird sie doch gewonnen werden. +Doch nichts nahm unsre Phyllis ein; +Mit finstrer Stirne sprach sie: "Nein!" + +"Wie?" rief Damötas ganz erhitzt, +"So willst du ewig widerstreben? +Gut, ich verbiete dir anitzt, +Mir jemals einen Kuß zu geben." +"O!" rief sie, "fürchte nichts von mir, +Ich bin dir ewig gut dafür." + +Die Spröde lacht; der Schäfer geht, +Schleicht ungeküßt zu seinen Schafen. +Am andern Morgen war Damöt +Bei seinen Herden eingeschlafen; +Er schlief, und im Vorübergehn +Blieb Phyllis bei dem Schäfer stehn. + +Wie rot, spricht Phyllis, ist sein Mund! +Bald dürft ich mich zu was entschließen. +O täte nicht sein böser Hund, +Ich müßte diesen Schäfer küssen. +Sie geht, doch da sie gehen will, +So steht sie vor Verlangen still. + +Sie sieht sich dreimal schüchtern um, +Und sucht die Zeugen, die sie scheute; +Sie macht den Hund mit Streicheln stumm, +Und lockt ihn freundlich auf die Seite; +Sie sinnt, bis daß sie, ganz verzagt, +Sich noch zween Schritte näher wagt. + +Hier steht nunmehr das gute Kind; +Allein sie kann sich nicht entschließen; +Doch nein, itzt bückt sie sich geschwind, +Und wagts, Damöten sanft zu küssen. +Sie gibt ihm drauf noch einen Blick, +Und kehrt nach ihrer Flur zurück. + +Wie süße muß ein Kuß nicht sein! +Denn Phyllis kömmt noch einmal wieder, +Scheint minder sich, als erst, zu scheun, +Und läßt sich bei dem Schäfer nieder; +Sie küßt, und nimmt sich nicht in acht; +Sie küßt ihn, und Damöt erwacht. + +"O!" fing Damöt halb schlafend an, +"Mißgönnst du mir die sanfte Stunde?" +"Dir", sprach sie, "hab ich nichts getan, +Ich spielte nur mit deinem Hunde; +Und überhaupt, es steht nicht fein, +Ein Schäfer und stets schläfrig sein. + +Jedoch, was gibst du mir, Damöt? +So sollst du mich zum Scherze küssen." +"Nun", sprach der Schäfer, "ists zu spät, +Du wirst an mich bezahlen müssen." +Drauf gab die gute Schäferin +Um einen Kuß zehn Küsse hin. + + + + + +Das Füllen + +Ein Füllen, das die schwere Bürde +Des stolzen Reuters nie gefühlt, +Den blanken Zaum für eine Würde +Der zugerittnen Pferde hielt; +Dies Füllen lief nach allen Pferden, +Worauf es einen Mann erblickt, +Und wünschte, bald ein Roß zu werden, +Das Sattel, Zaum und Reuter schmückt. +Wie selten kennt die Ehrbegierde +Das Glück, das sie zu wünschen pflegt! +Das Reutzeug, die gewünschte Zierde, +Wird diesem Füllen aufgelegt. +Man führt es streichelnd hin und wider, +Daß es den Zwang gewohnen soll; +Stolz geht das Füllen auf und nieder, +Und stolz gefällt sichs selber wohl. + +Es kam mit prächtigen Gebärden +Zurück in den verlaßnen Stand, +Und machte wiehernd allen Pferden +Sein neu erhaltnes Glück bekannt. +Ach! sprach es zu dem nächsten Gaule, +Mich lobten alle, die mich sahn; +Ein roter Zaum lief aus dem Maule +Die schwarzen Mähnen stolz hinan. + +Allein wie gings am andern Tage? +Das Füllen kam betrübt zurück, +Und schwitzend sprach es: Welche Plage +Ist nicht mein eingebildet Glück! +Zwar dient der Zaum mich auszuputzen; +Doch darum ward er nicht gemacht. +Er ist zu meines Reuters Nutzen +Und meiner Sklaverei erdacht. + +---- + +Was wünscht man sich bei jungen Tagen? +Ein Glück, das in die Augen fällt; +Das Glück, ein prächtig Amt zu tragen, +Das keiner doch zu spät erhält. +Man eilt vergnügt, es zu erreichen, +Und, seiner Freiheit ungetreu, +Eilt man nach stolzen Ehrenzeichen, +Und desto tiefrer Sklaverei. + + + + +Das Gespenst + +Ein Hauswirt, wie man mir erzählt, +Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält. +Er ließ, des Geists sich zu erwehren, +Sich heimlich das Verbannen lehren; +Doch kraftlos blieb der Zauberspruch. +Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren, +Und gab, in einem weißen Tuch, +Ihm alle Nächte den Besuch. +Ein Dichter zog in dieses Haus. +Der Wirt, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen, +Bat sich des Dichters Zuspruch aus, +Und ließ sich seine Verse lesen. +Der Dichter las ein frostig Trauerspiel, +Das, wo nicht seinem Wirt, doch ihm sehr wohl gefiel. + +Der Geist, den nur der Wirt, doch nicht der Dichter sah, +Erschien, und hörte zu; es fing ihn an zu schauern; +Er konnt es länger nicht, als einen Auftritt, dauern: +Denn, eh der andre kam, so war er nicht mehr da. +Der Wirt, von Hoffnung eingenommen, +Ließ gleich die andre Nacht den Dichter wiederkommen. +Der Dichter las, der Geist erschien; +Doch ohne lange zu verziehn. +Gut! sprach der Wirt bei sich, dich will ich bald verjagen; +Kannst du die Verse nicht vertragen? + +Die dritte Nacht blieb unser Wirt allein. +Sobald es zwölfe schlug, ließ das Gespenst sich blicken. +Johann! fing drauf der Wirt gewaltig an zu schrein, +Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Güte sein, +Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken. +Der Geist erschrak, und winkte mit der Hand, +Der Diener sollte ja nicht gehen. +Und kurz, der weiße Geist verschwand, +Und ließ sich niemals wieder sehen. + +---- + +Ein jeder, der dies Wunder liest, +Zieh sich daraus die gute Lehre, +Daß kein Gedicht so elend ist, +Daß nicht zu etwas nützlich wäre. +Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut! +So kann uns dies zum großen Troste dienen. +Gesetzt, daß sie zu unsrer Zeit +Auch legionenweis erschienen: +So wird, um sich von allen zu befrein, +An Versen doch kein Mangel sein. + + + + +Das Heupferd, oder der Grashüpfer + +Ein Wagen Heu, den Veltens Hand +Zu hoch gebäumt, und schlecht bespannt, +Konnt endlich von den matten Pferden +Nicht weiter fortgezogen werden. +Des Fuhrmanns Macht- und Sittenspruch, +Ein zehnmals wiederholter Fluch, +War eben, wie der Peitsche Schlagen, +Zu schwach bei diesem schweren Wagen. + +Ein Heupferd, das bei der Gefahr +Zuoberst auf dem Wiesbaum war, +Sprang drauf herab, und sprach mit Lachen: +"Ich wills dem Viehe leichter machen." + +Drauf ward der Wagen fortgerückt. +"Ei", rief das Heupferd ganz entzückt, +"Du, Fuhrmann, wirst an mich gedenken; +Fahr fort! den Dank will ich dir schenken." + + + + + + +Das Hospital + +Elmire war zur Witwe worden, +Und nahm sich vor, nicht mehr zu frein. +Allein sie war noch jung; was macht man ganz allein? +Ich dächte doch, sie könnte wieder frein. +Der Witwenstand ist ein betrübter Orden. +Elmire sahs und schritt zur zweiten Wahl. +Allein sie war das erste Mal +Nicht gar zu wohl verwahret worden. +Denn leider sind die Zeiten so betrübt, +Daß es viel böse Männer gibt. +Elmire tat daher ein feierlich Gelübd, +Indem sie sich zur zweiten Ehe schickte: +Sie wollte, wenn es ihr mit ihrem Manne glückte, +Ein Hospital für fromme Männer baun; +Denn sie war reich. Und kurz, sie ließ sich wieder traun. +O welche Lust erfolgt oft nach dem Leide! +Das war ein Mann, ein allerliebster Mann! +Fromm wie ein Kind, gefällig wie die Freude, +Und der auf nichts, als ihr Vergnügen sann. +Wie hätte sie sich ihn denn besser wünschen mögen? + +Sie ließ geschwind den Grund zum Hospitale legen. +Vier Wochen strichen hin. Nun war der Grund gelegt. +Und bald wird man das erste Stockwerk sehen; +Doch nein, Elmire kömmt, und heißt, vom Zorn bewegt, +Die Mäurer auseinandergehen. +Wie! Sollt es nicht mehr gut in ihrer Ehe stehen? +Das kann nicht möglich sein, sie sind ja kaum getraut. +Nun kurz und gut, es ward nicht fortgebaut. +Und ungefähr nach einem halben Jahre +Lag dieser Mann auch auf der Bahre. +Der liebe Mann! + +Die Frau schwört Stein und Bein, +Ihr lebelang nicht mehr zu frein; +Und doch war sie nach zweiundfunfzig Wochen +(Der Bau muß ja vollendet sein!) +Bereits das dritte Mal versprochen. + +O, das war erst ein würdiger Gemahl! +Verständig, zärtlich und verbindlich, +Nicht eigensinnig, nicht empfindlich; +Er bat da nur, wo jener mild befahl; +Die Blicke seiner Frau erfüllt er als Befehle. +Kurz, beide waren recht ein Herz und eine Seele. + +Die gute Frau! Ich gönn ihr diesen Mann. +Allein sie wollte doch nicht trauen. +Sie fing nicht gleich, wie ehmals, an zu bauen. +Ich lobe sie darum, und hätt es selbst getan. +Der Henker mag den Männern trauen, +Wenn man so leicht zweimal sich irren kann. + +Sie fand nunmehr nach einem halben Jahre +Den Gatten noch so liebenswert, +Als an dem Tag, da er, gefragt vor dem Altare, +Ihr durch ein seufzend Ja sein zärtlich Herz erklärt. + +Der Bau wird fortgesetzt. Ich seh Elmiren kommen. +Wie freundlich sieht sie diesmal aus! +"Ach Meister, fördert doch das Haus! +Warum habt Ihrs denn angenommen? +Ich geb Euch ja das Geld voraus. +Laßt doch noch mehr Gesellen kommen!" + +Ei, das geht gut! Ich kann mich nicht genug erfreun. +Das muß ein rechter Ehmann sein! + +Die Mäurer fördern sich, und binnen vierzehn Tagen +Sieht man das erste Stockwerk stehn. +Und nun läßt sich Elmire wieder sehn. +Man siehts ihr an, sie hat etwas zu sagen, +Vielleicht sah sie die Mäurer müßig stehn; +Denn leider pflegts so herzugehn. +Vielleicht hat man am Bau etwas versehn? +Das sollte mich doch selbst verdrüßen. +Itzt öffnet sie den Mund. Nun wird sichs zeigen müssen. +"Ach", fängt sie heftig an zu schrein: +"Hört auf, und reißt den Plunder ein! +Ich lasse keinen Stein mehr tragen. +Wofür verbaut ich denn mein Geld? +Für Männer, die die Weiber plagen? +Denn andre gibts nicht auf der Welt." + +Die böse Frau! Man sollte sie verklagen. + + + + + +Das junge Mädchen + +Ein junger Mensch sprach einen wackern Mann +Durch einen guten Freund um seine Tochter an. +Der Alte, der sein Kind noch nicht versprechen wollte, +War dennoch ungemein erfreut, +Und bat den Freund mit vieler Höflichkeit, +Daß er bei ihm zu Tische bleiben sollte. +Die Tochter, ob sich gleich der Vater sehr verstellt, +Errät die Sache bald. Was? fängt sie an zu schließen, +Ein fremder Herr, den man zu Tische gleich behält, +Was bringt doch der? Ich solls nicht wissen; +Allein umsonst bückt er sich nicht so tief vor mir. +Ist auch der gute Freund wohl meinetwegen hier? + +Der Fremde hofft, es soll ihm noch gelingen, +Und wagt es bei dem Glase Wein, +Das Wort für seinen Freund noch einmal anzubringen. +"Mein Herr!" fiel ihm der Vater ein, +"O denken Sie doch nicht, daß ich zu hart verfahre: +Mein Kind kann wirklich noch nicht frein, +Sie ist zu jung, sie ist erst vierzehn Jahre." + +Indem er dies noch sprach, trat Fickchen selbst herein, +Und trug ein Essen auf. "Was?" fing sie an zu schrein, +"Was sagten Sie, Papa? Sie haben sich versprochen. +Ich sollt erst vierzehn Jahre sein? +Nein, vierzehn Jahr und sieben Wochen." +Ließ sie der Vater denn nicht frein? +Das weiß ich nicht; doch nein, ich wills nur sagen; +Denn unter denen, die mich fragen, +Da könnten wohl selbst junge Mädchen sein; +Die zu beruhigen, will ichs aufrichtig sagen: +Der Vater schämte sich und ließ die Tochter frein. + + + + + +Das Kartenhaus + +Das Kind greift nach den bunten Karten, +Ein Haus zu bauen, fällt ihm ein. +Es baut, und kann es kaum erwarten, +Bis dieses Haus wird fertig sein. +Nun steht der Bau. O welche Freude! +Doch ach! ein ungefährer Stoß +Erschüttert plötzlich das Gebäude, +Und alle Bänder reißen los. + +Die Mutter kann im Lomberspielen, +Wenn sie den letzten Satz verspielt, +Kaum so viel banges Schrecken fühlen, +Als ihr bestürztes Kind itzt fühlt. + +Doch wer wird gleich den Mut verlieren? +Das Kind entschließt sich sehnsuchtsvoll, +Ein neues Lustschloß aufzuführen, +Das dem zerstörten gleichen soll. + +Die Sehnsucht muß den Schmerz besiegen, +Das erste Haus steht wieder da. +Wie lebhaft war des Kinds Vergnügen, +Als es sein Haus von neuem sah! + +Nun will ich mich wohl besser hüten, +Damit mein Haus nicht mehr zerbricht. +"Tisch!" ruft das Kind, "laß dir gebieten, +Und stehe fest, und wackle nicht!" + +Das Haus bleibt unerschüttert stehen, +Das Kind hört auf, sich zu erfreun; +Es wünscht, es wieder neu zu sehen, +Und reißt es bald mit Willen ein. + +---- + +Schilt nicht den Unbestand der Güter, +Du siehst dein eigen Herz nicht ein; +Veränderlich sind die Gemüter, +So mußten auch die Dinge sein. +Bei Gütern, die wir stets genießen, +Wird das Vergnügen endlich matt; +Und würden sie uns nicht entrissen, +Wo fänd ein neu Vergnügen statt? + + + + + +Das Kutschpferd + +Ein Kutschpferd sah den Gaul den Pflug im Acker ziehn, +Und wieherte mit Stolz auf ihn. +"Wenn", sprach es, und fing an, die Schenkel schön zu heben, +"Wenn kannst du dir ein solches Ansehn geben? +Und wenn bewundert dich die Welt?" +"Schweig", rief der Gaul, "und laß mich ruhig pflügen, +Denn baute nicht mein Fleiß das Feld, +Wo würdest du den Haber kriegen, +Der deiner Schenkel Stolz erhält?" + +---- + +Die ihr die Niedern so verachtet, +Vornehme Müßiggänger, wißt, +Daß selbst der Stolz, mit dem ihr sie betrachtet, +Daß euer Vorzug selbst, aus dem ihr sie verachtet, +Auf ihren Fleiß gegründet ist. +Ist der, der sich und euch durch seine Hand ernährt, +Nichts Bessers als Verachtung wert? +Gesetzt, du hättest beßre Sitten: +So ist der Vorzug doch nicht dein. +Denn stammtest du aus ihren Hütten: +So hättest du auch ihre Sitten. +Und was du bist, und mehr, das würden sie auch sein, +Wenn sie wie du erzogen wären. +Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren. + + + + +Das Land der Hinkenden + +Vorzeiten gabs ein kleines Land, +Worin man keinen Menschen fand, +Der nicht gestottert, wenn er redte, +Nicht, wenn er ging, gehinket hätte; +Denn beides hielt man für galant. +Ein Fremder sah den Übelstand; +Hier, dacht er, wird man dich im Gehn bewundern müssen; +Und ging einher mit steifen Füßen. +Er ging, ein jeder sah ihn an, +Und alle lachten, die ihn sahn, +Und jeder blieb vor Lachen stehen, +Und schrie: Lehrt doch den Fremden gehen! +Der Fremde hielts für seine Pflicht, +Den Vorwurf von sich abzulehnen. +Ihr, rief er, hinkt; ich aber nicht; +Den Gang müßt ihr euch abgewöhnen! +Der Lärmen wird noch mehr vermehrt, +Da man den Fremden sprechen hört. +Er stammelt nicht; genug zur Schande! +Man spottet sein im ganzen Lande. + +---- + +Gewohnheit macht den Fehler schön, +Den wir von Jugend auf gesehn. +Vergebens wirds ein Kluger wagen, +Und, daß wir töricht sind, uns sagen. +Wir selber halten ihn dafür, +Bloß, weil er klüger ist, als wir. + + + + +Das neue Ehepaar + +Nach so viel bittern Hindernissen, +Nach so viel ängstlicher Gefahr, +Als jemals noch ein zärtlich Paar +Hat dulden und beweinen müssen, +Ließ endlich doch die Zeit mein Paar das Glück genießen, +Das, wenns ein Lohn der Tugend ist, +Sie durch Beständigkeit zehnfach verdienet hatten. +Sie, die sich, hart bedroht, als Liebende geküßt, +Die küßten sich nunmehr erlaubt als Ehegatten, +Nachdem sie neidscher Freunde List +Und strenger Eltern Zorn liebreich besänftigt hatten. +Wer war, nach langer Jahre Müh, +Nun glücklicher als er und sie? +Denn, was man liebt, geliebt besitzen können; +In einem treuen Arm sich seines Lebens freun, +Ist, Menschen, dies kein Glück zu nennen: +So muß gar keins auf Erden sein. +Hier wett ich wohl, daß mancher heimlich spricht: +Der gute Mensch versteht es nicht. +Denn wär die Lieb ein Glück, was könnte mir denn fehlen, +Da ein erlesnes Weib in meinen Armen liegt? +Ist sie nicht reich und schön? Doch bin ich nicht vergnügt, +Ich glaub es, lieber Freund; allein sich so vermählen, +Wie viele tun, das heißt nicht lieben, nein. +Das heißt, mit weit getrennten Seelen +Ein Leib in einem Hause sein. + +Ein unverhofftes Glück begegnet unsern beiden. +Wie weinen sie vor Zärtlichkeit! +Der arme Mann soll itzt auf kurze Zeit +Von seiner teuren Gattin scheiden, +Weil ihn ein naher Freund in einer fernen Stadt +Zum Erben eingesetzet hat. + +Von heißen Lippen losgerissen, +Und doch entbrannt, sich länger noch zu küssen, +Sprach eines, was das andre sprach, +Dem andern immer stammelnd nach, +Ein Lebewohl, ein seufzend Ach. + +Er stieg nunmehr ins Schiff (wie oft sah er zurücke!), +Und Doris blieb am Ufer stehn, +Um ihrem Damon, ihrem Glücke, +Noch lange schmachtend nachzusehn. +"O Himmel!" hört ich sie noch an dem Ufer flehn, +"Bring meinen Mann gesund zurücke!" + +Das Schiff bringt ihn an seinen Ort. +Er schreibt mit jeder Post: "Bald, Doris, werd ich kommen." +Kaum hat er auch sein Gut noch in Besitz genommen: +So eilt er schon zu Schiffe wieder fort, +Und schreibt, damit sie nichts von seiner Ankunft wüßte, +Daß, wider sein gegebnes Wort, +Er noch acht Tage warten müßte, +Eh er sie wiedersah und küßte. + +Die junge Frau, die, wenn die Sonn entwich, +Aus ihrem von der See nicht fernen Hause schlich, +Und gern am Ufer sich verweilte +Ging itzund an der Freundin Hand, +Mit der sie stets ihr Herze teilte, +An den ihr angenehmen Strand. + +Sie redten. Und wovon? Errätst du dies noch nicht, +Wovon ein treues Weib, die schmachtend wartet, spricht: +So bist du auch nicht wert, den Inhalt zu erfahren. +Nein, nein, verschweig es, mein Gedicht, +Wie zärtlich Doris' Wünsche waren! +Das Herz wird dem, der liebt, sie selber offenbaren, +Und für die andern schreib ich nicht. + +Indem daß Doris noch mit manchem frohen Ach +Von ihres Gatten Ankunft redte, +Und von dem Gastgebote sprach, +Das sie sich ausgesonnen hätte; +Indem sie noch von ihrer Erbschaft redte, +Und, wenn sie den Entwurf von ihrem Glück gemacht, +Sich oft in dem Entwurfe störte, +Und den, der sie im Testament bedacht, +Mit dankerfüllten Tränen ehrte; +Indem sie zum voraus die Armen speisen ließ, +Und mütterlich den Waisen sich erwies, +Der Kranken Herz mit Stärkungen erquickte, +Und den Gefangnen Hülfe schickte; +Indem sie dies im Geist von ihrer Erbschaft tat +Und, in ihr Glück vertieft, ans Ufer näher trat, +Fing ihre Freundin an: "Was schwimmt dort auf dem Meere? +Ein Kästchen? Wie? wenns voll Juwelen wäre? +Ach Doris! wäre das nicht schön? +Allein ich sag es dir, ich habs zuerst gesehn, +Und kömmt es an den Strand geschwommen: +So ist das Glück des Schiffbruchs mein; +Doch du wirst ja bald niederkommen, +Und das versteht sich schon, ich muß Gevatter sein, +Dann bind ich dir drei Schnuren Perlen ein." + +Die junge Frau belohnte Scherz mit Scherze. +"Es nähert sich", fing jene wieder an; +Doch wie erschraken sie, als sie zu ihrem Schmerze +Fern einen Leichnam schwimmen sahn. +"Wer weiß", sprach Doris, welcher schon +Die Tränen in den Augen stunden, +"Wer weiß, ist der, der hier sein Grab gefunden, +Nicht grauer Eltern einzger Sohn? +Wer weiß, mit welcher trunknen Freude +Itzt die verlebten Alten beide, +Ihn zu empfangen, fertig stehn? +Und sich im Geist erfreun, die Braut ihm anzubieten, +Die sie für ihn erwählt, und treulich für ihn hüten. +Gott geb es nicht, daß sie den Anblick sehn. +Wer weiß, ward nicht durch seinen Tod +Der treusten Frau ein lieber Mann entrissen, +Die bald ihr eignes Weh, bald ihrer Kinder Not +In Armut wird beweinen müssen? +Wer weiß, wievielmal er betränt, +Eh er noch starb, das arme Weib erwähnt? +Doch, Freundin, komm von der betrübten Stelle, +Damit mein Herz nicht länger zittern darf." + +Dies sagte sie sind ging, als eben eine Welle +Den Toten an das Ufer warf. +Die Freundin sah ihn an, und schrie mit Ungestüm: +"Mein Vetter!" und fiel neben ihm. + +Auf dies Geschrei kam Doris wieder, +Der lieben Freundin beizustehn. +Ach, Doris, ach! was wirst du sehn? +Sie sieht, und fällt auf ihren Gatten nieder, +Und stirbt an seiner starren Brust. +Indes erwacht die Freundin wieder, +Und zeigt der Nachbarschaft den doppelten Verlust. +Hier bebte der, den man nie zittern sehn, +Und dem, der nie geweint, floß Wehmut vom Gesichte, +Und niemand fragte, was geschehn. +Der Anblick selbst erzählte die Geschichte. + +---- + +Beweint, ihr mitleidsvollen Seelen, +Die traurigste Begebenheit +Elend gewordner Zärtlichkeit, +Und schmeckt das Glück, um andre sich zu quälen. +Laßt uns die Unschuld oft im größten Unglück sehn, +Und leidet mit bei fremden Schmerzen; +Dies Mitleid heiligt unsre Herzen, +Und heißt die Menschenlieb in uns ihr Haupt erhöhn. +Die Tugend bleibt uns noch im Unglück selber schön. + + + + +Das Pferd und der Esel + +Ein Pferd, dem Geist und Mut recht aus den Augen sahn, +Ging, stolz auf sich und seinen Mann, +Und stieß (wie leicht ist nicht ein falscher Schritt getan!) +Vor großem Feuer einmal an. +Ein träger Esel sahs und lachte. +"Wer", sprach er, "würd es mir verzeihn, +Wenn ich dergleichen Fehler machte? +Ich geh den ganzen Tag, und stoß an keinen Stein." +"Schweig", rief das Pferd, "du bist zu meinem Unbedachte, +Zu meinen Fehlern viel zu klein." + + + + +Das Pferd und die Bremse + +Ein Gaul, der Schmuck von weißen Pferden, +Von Schenkeln leicht, schön von Gestalt, +Und, wie ein Mensch, stolz in Gebärden, +Trug seinen Herrn durch einen Wald; +Als mitten in dem stolzen Gange +Ihm eine Brems entgegenzog, +Und durstig auf die nasse Stange +An seinem blanken Zaume flog. +Sie leckte von dem weißen Schaume, +Der heficht am Gebisse floß. +"Geschmeiße!" sprach das wilde Roß, +"Du scheust dich nicht vor meinem Zaume? +Wo bleibt die Ehrfurcht gegen mich? +Wie? Darfst du wohl ein Pferd erbittern? +Ich schüttle nur: so mußt du zittern." +Es schüttelte; die Bremse wich. +Allein sie suchte sich zu rächen; +Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen, +Und stach den Schimmel in das Maul. +Das Pferd erschrak, und blieb vor Schrecken +In Wurzeln mit dem Eisen stecken. +Und brach ein Bein; hier lag der stolze Gaul. + +---- + +Auf sich den Haß der Niedern laden, +Dies stürzet oft den größten Mann. +Wer dir, als Freund, nicht nützen kann, +Kann allemal, als Feind, dir schaden. + + + + +Das Schicksal + +O Mensch! Was strebst du doch, den Ratschluß zu ergründen, +Nach welchem Gott die Welt regiert? +Mit endlicher Vernunft willst du die Absicht finden, +Die der Unendliche bei seiner Schickung führt? +Du siehst bei Dingen, die geschehen, +Nie das Vergangne recht, und auch die Folge nicht, +Und hoffest doch, den Grund zu sehen, +Warum das, was geschah, geschieht? +Die Vorsicht ist gerecht in allen ihren Schlüssen. +Dies siehst du freilich nicht bei allen Fällen ein; +Doch wolltest du den Grund von jeder Schickung wissen: +So müßtest du, was Gott ist, sein. +Begnüge dich, die Absicht zu verehren, +Die du zu sehn zu blöd am Geiste bist; +Und laß dich hier ein jüdisch Beispiel lehren, +Daß das, was Gott verhängt, aus weisen Gründen fließt, +Und, wenn dirs grausam scheint, gerechtes Schicksal ist. + +---- + +Als Moses einst vor Gott auf einem Berge trat, +Und ihn von jenem ewgen Rat, +Der unser Schicksal lenkt, um größre Kenntnis bat: +So ward ihm ein Befehl, er sollte von den Höhen, +Worauf er stund, hinab ins Ebne sehen. +Hier floß ein klarer Quell. Ein reisender Soldat +Stieg bei dem Quell von seinem Pferde, +Und trank. Kaum war der Reuter fort. +So lief ein Knabe von der Herde +Nach einem Trunk an diesen Ort. +Er fand den Geldsack bei der Quelle, +Der jenem hier entfiel, er nahm ihn, und entwich; +Worauf nach eben dieser Stelle +Ein Greis gebückt an seinem Stabe schlich. +Er trank, und setzte sich, um auszuruhen, nieder; +Sein schweres Haupt sank zitternd in das Gras, +Bis es im Schlaf des Alters Last vergaß. +Indessen kam der Reuter wieder, +Bedrohte diesen Greis mit wildem Ungestüm, +Und forderte sein Geld von ihm. +Der Alte schwört, er habe nichts gefunden, +Der Alte fleht und weint, der Reuter flucht und droht, +Und sticht zuletzt, mit vielen Wunden, +Den armen Alten wütend tot. +Als Moses dieses sah, fiel er betrübt zur Erden; +Doch eine Stimme rief: "Hier kannst du innewerden, +Wie in der Welt sich alles billig fügt. +Denn wiß: Es hat der Greis, der itzt im Blute liegt, +Des Knabens Vater einst erschlagen, +Der den verlornen Raub zuvor davongetragen." + + + + + +Das Testament + +Philemon, der bei großen Schätzen +Ein edelmütig Herz besaß, +Und, andrer Mängel zu ersetzen, +Den eignen Vorteil gern vergaß: +Philemon konnte doch dem Neide nicht entgehen, +So willig er auch war, den Neidern beizustehen. +Zween Nachbarn haßten ihn, zween Nachbarn ruhten nie, +Aufs schimpflichste von ihm zu sprechen. +Warum? Er war beglückt, und glücklicher, als sie. +Ist dies nicht schon ein groß Verbrechen? +Die Freunde rieten ihm, sich für den Schimpf zu rächen. +"Nein", sprach er, "laßt sie neidisch schmähn, +Sie werden schon nach meinem Tode sehn, +Wieviel sie recht gehabt, ein Glück mir nicht zu gönnen, +Das wenig Menschen nützen können." +Er stirbt. Man findt sein Testament, +Und liest: "Ich will, daß einst, nach meinem Sterben, +Mein hinterlaßnes Gut die beiden Nachbarn erben, +Weil sie dies Gut mir nicht gegönnt." +So mancher Freund verwünscht dies Testament. +"Wie? Konnt ich ihn nicht auch beneiden? +Mir gibt er nichts, und alles diesen beiden?" +Die beiden Nachbarn sehn vergnügt +Den Sinn des Testaments vollführen. +Denn damals wußte man nicht recht zu prozessieren, +Sonst hätten beide nichts gekriegt. +So aber kriegten sie das völlige Vermögen. +Wie rühmten sie den Selgen nicht! +Er war die Großmut selbst, er war der Zeiten Licht, +Und alles dies des Testamentes wegen, +Denn eh er starb, war ers noch nicht. +Sind unsre Nachbarn nun beglückt? +Vielleicht. Wir wollen Achtung geben. +Der eine Nachbar weiht entzückt +Dem reichen Kasten Ruh und Leben. +Er hütet ihn mit karger Hand, +Und wacht, wenn andre schnarchend liegen, +Und wünscht mit Tränen sich Verstand, +Die schlauen Diebe zu betrügen; +Springt oft, durch böse Träum erschreckt, +Als ob man ihn bestohlen hätte, +Mit schnellen Füßen aus dem Bette, +Und sucht den Ort, wo er den Schatz versteckt. +Er martert sich mit tausend Sorgen, +Sein vieles Geld vermehrt zu sehn, +Und nimmt aus Geiz sich vor, die Hälfte zu verborgen, +Und läßt den, den er rief, doch leer zurücke gehn. +Arm hatt er sich noch satt gegessen; +Reich hungert er, bei halbem Essen, +Und schnitt das Brot, das er den Seinen gab, +Mit Klagen über Gott, und über Teurung, ab, +Und ward, mit jedem neuen Tage, +Der Seinen Last und seine Plage. +Der andre Nachbar lachte sein. +"Der Torheit", sprach er, "will ich wehren; +Was ich geerbt, will ich verzehren, +Und mich des Segens recht erfreun." +Er hielt sein Wort und sah, in wenig Jahren, +Sein vieles Geld in fremder Hand; +Durch Gassen, wo er sonst stolz auf und ab gefahren, +Schlich itzt sein Fuß ganz unbekannt. +"Ach!" sprach er zu dem andern Erben, +"Philemon hat es wohl gedacht, +Daß uns der Reichtum wird verderben, +Drum hat er uns sein Gut vermacht. +Du hungerst karg, ich hab es durchgebracht. +Wir waren wert, den Reichtum zu besitzen, +Denn keiner wußt ihn recht zu nützen." + + + + + +Das Unglück der Weiber + +In eine Stadt, mich deucht, sie lag in Griechenland, +Drang einst der Feind, von Wut entbrannt, +Und wollte, weil die Stadt mit Sturm erobert worden, +Die Bürger, in der Raserei, +Bis auf den letzten Mann ermorden. +O Himmel! welch ein Angstgeschrei +Erregten nicht der Weiber blasse Scharen. +Man stelle sich nur vor, wenn tausend Weiber schrein, +Was muß das für ein Lärmen sein! +Ich zittre schon, wenn zwei nur schrein. +Sie liefen mit zerstreuten Haaren, +Mit Augen, die von Tränen rot, +Mit Händen, die zerrungen waren, +Und warfen schon, vor Angst halbtot, +Sich vor den Feldherrn der Barbaren, +Und flehten in gemeiner Not +Ihn insgesamt um ihrer Männer Leben. +So hats von Tausenden nicht eine Frau gegeben, +Die sich gewünscht, des Mannes los zu sein? +Von Tausenden nicht eine? Nein. +Nun, das ist viel; da muß, bei meinem Leben! +Noch gute Zeit gewesen sein. + +So hart, als auch der Feldherr war: +So konnt er doch dem zauberischen Flehen +Der Weiber nicht ganz widerstehen. +Denn welchen Mann, er sei auch zehnmal ein Barbar, +Weiß nicht ein Weib durch Tränen zu bewegen? +Mein ganzes Herz fängt sich hier an zu regen. +Ich hätte nicht der General sein mögen, +Vor dem der Weiber Schar so kläglich sich vereint; +Ich hätte wie ein Kind geweint, +Und ohne Geld den Männern gleich das Leben, +Und jeder Frau zu ihrer Ruh +Den Mann, und einen noch dazu, +Wenn sies von mir verlangt, gegeben. + +Allein so gar gelind war dieser Feldherr nicht. +"Ihr Schönen!" fängt er an und spricht. +Ihr Schönen? Dieses glaub ich nicht. +Ein harter General wird nicht so liebreich sprechen. +Was willst du dir den Kopf zerbrechen? +Genug! Er hats gesagt. Ein alter General +Hat, dächt ich, doch wohl wissen können, +Daß man die Weiber allemal, +Sie sein es oder nicht, kann "meine Schönen" nennen. + +"Ihr Schönen", sprach der General, +"Ich schenk euch eurer Männer Leben; +Doch jede muß für den Gemahl +Mir gleich ihr ganz Geschmeide geben. +Und die ein Stück zurückbehält, +Verliert den Mann vor diesem Zelt." + +Wie? Fingen nicht die Weiber an zu beben? +Ihr ganz Geschmeide hinzugeben? +Den ganzen Schmuck für einen Mann? +Gewiß, der General war dennoch ein Tyrann. +Was halfs, daß er "Ihr Schönen!" sagte, +Da er die Schönen doch so plagte? +Doch weit gefehlt, daß auch nur eine zagte: +So holten sie vielmehr mit Freuden ihren Schmuck. +Dem General war dies noch nicht genug. +Er ließ nicht eh nach ihren Männern schicken, +Als bis sie einen Eid getan +(Der General war selbst ein Ehemann), +Bis, sag ich, sie den Eid getan, +Den Männern nie die Wohltat vorzurücken, +Noch einen neuen Schmuck den Männern abzudrücken. +Drauf kriegte jede Frau den Mann. + +O welche Wollust! Welch Entzücken! +Vergebens wünsch ichs auszudrücken, +Mit welcher Brünstigkeit die Frau den Mann umfing! +Mit was für sehnsuchtsvollen Blicken +Ihr Aug an seinem Auge hing! + +Der Feind verließ die Stadt. Die Weiber blieben stehen, +Um ihren Feinden nachzusehen; +Alsdann flog jede froh mit ihrem Mann ins Haus. +Ist die Geschichte denn nun aus? +Noch nicht, mein Freund. Nach wenig Tagen +Entfiel den Weibern aller Mut. +Sie grämten sich, und durftens doch nicht sagen. +Wer wirds, den Eid zu brechen, wagen? +Genug, der Kummer trat ins Blut. +Sie legten sich; drauf starben in zehn Tagen, +Des Lebens müd und satt, neunhundert an der Zahl. +Der alte böse General! + + + + + +Das Vermächtnis + +Oront, der in der Welt das große Glück erlebt, +Das Fürsten oft den Hirten lassen müssen, +Das Glück, von einem Freund sich treu geliebt zu wissen; +Oront, der sich dies Glück, so arm er war, erstrebt, +Ward krank. Sein kluger Arzt sah aus verschiednen Fällen, +Daß keine Rettung möglich war, +Eröffnete dem Kranken die Gefahr, +Und hieß ihn bald sein Haus bestellen. +Oront, der sich nunmehr dem Irdischen entziehn, +Und frei im Geist den Tod erwarten wollte, +Bat, daß man seinen Freund ihm eiligst rufen sollte. +Sein Freund, sein Pylades, erschien. +"Ach!" sprach Oront, nach zärtlichem Umfassen, +"Ich sterb, und was mir Gott verliehn, +Will ich, mein Freund, dir hinterlassen: +Dir laß ich meinen Sohn, ihn redlich zu erziehn, +Und meine Frau, sie zu ernähren: +Denn du verdienst, daß sie dir angehören." + + + + + +Der Affe + +Ein Affe sah ein Paar geschickte Knaben +Im Brett einmal die Dame ziehn, +Und sah auf jeden Platz, den sie dem Steine gaben, +Mit einer Achtsamkeit, die stolz zu sagen schien, +Als könnt er selbst die Dame ziehn. +Er legte bald sein Mißvergnügen, +Bald seinen Beifall an den Tag; +Er schüttelte den Kopf itzt bei des einen Zügen, +Und billigte darauf des andern seinen Schlag. +Der eine, der gern siegen wollte, +Sann einmal lange nach, um recht geschickt zu ziehn; +Der Affe stieß darauf an ihn +Und nickte, daß er machen sollte. +"Doch welchen Stein soll ich denn ziehn, +Wenn dus so gut verstehst?" sprach der erzürnte Knabe. +"Den, jenen oder diesen da, +Auf welchem ich den Finger habe?" +Der Affe lächelte, daß er sich fragen sah, +Und sprach zu jedem Stein mit einem Nicken: Ja. + +---- + +Um deren Weisheit zu ergründen, +Die tun, als ob sie das, was du verstehst, verstanden: +So frage sie um Rat. Sind sie mit ihrem Ja +Bei deinen Fragen hurtig da: +So kannst du mathematisch schließen, +Daß sie nicht das geringste wissen. + + + + +Der arme Greis + +Um das Rhinozeros zu sehn +(Erzählte mir mein Freund), beschloß ich auszugehn. +Ich ging vors Tor mit meinem halben Gulden, +Und vor mir ging ein reicher, reicher Mann, +Der, seiner Miene nach, die eingelaufnen Schulden, +Nebst dem, was er damit die Messe durch gewann, +Und was er, wenns ihm glücken sollte, +Durch den Gewinst nun noch gewinnen wollte, +In schweren Ziffern übersann. +Herr Orgon ging vor mir. Ich geb ihm diesen Namen, +Weil ich den seinen noch nicht weiß. +Er ging; doch eh wir noch zu unserm Tiere kamen: +Begegnet uns ein alter schwacher Greis, +Für den, auch wenn er uns um nichts gebeten hätte, +Sein zitternd Haupt, das nur halb seine war, +Sein ehrlich fromm Gesicht, sein heilig graues Haar +Mit mehr als Rednerkünsten redte. +"Ach", sprach er, "ach, erbarmt Euch mein! +Ich habe nichts, um meinen Durst zu stillen. +Ich will Euch künftig gern nicht mehr beschwerlich sein; +Denn Gott wird wohl bald meinen Wunsch erfüllen, +Und mich durch meinen Tod erfreun. +O lieber Gott! laß ihn nicht ferne sein." +So sprach der Greis; allein was sprach der Reiche? +"Ihr seid ein so bejahrter Mann, +Ihr seid schon eine halbe Leiche, +Und sprecht mich noch um Geld zum Trinken an? +Ihr unverschämter alter Mann! +Müßt Ihr denn noch erst Branntwein trinken, +Um taumelnd in das Grab zu sinken? +Wer in der Jugend spart, der darbt im Alter nicht."-- +Drauf ging der Geizhals fort. Ein Strom schamhafter Zähren +Floß von des Alten Angesicht. +"O Gott! du weißts." Mehr sprach er nicht. +Ich konnte mich der Wehmut kaum erwehren, +Weil ich etwas mitleidig bin. +Ich gab ihm in der Angst den halben Gulden hin, +Für welchen ich die Neugier stillen wollte, +Und ging, damit er mich nicht weinen sehen sollte. +Allein er rufte mich zurück. +"Ach!" sprach er mit noch nassem Blick, +"Ihr werdet Euch vergriffen haben, +Es ist ein gar zu großes Stück. +Ich bring Euch nicht darum, gebt mir so viel zurück, +Als ich bedarf, um mich durch etwas Bier zu laben!" +"Ihr", sprach ich, "sollt es alles haben, +Ich seh, daß Ihrs verdient; trinkt etwas Wein dafür. +Doch, armer Greis, wo wohnet Ihr?" +Er sagte mir das Haus.--Ich ging am andern Tage +Nach diesem Greis, der mir so redlich schien, +Und tat im Gehn schon manche Frag an ihn. +Allein, indem ich nach ihm frage, +War er seit einer Stunde tot. +Die Mien auf seinem Sterbebette +War noch die redliche, mit der er gestern redte. +Ein Psalmbuch und ein wenig Brot +Lag neben ihm auf seinem harten Bette. +O, wenn der Geizhals doch den Greis gesehen hätte, +Mit dem er so unchristlich redte! +Und der vielleicht ihn itzt bei Gott verklagt, +Daß er vor seinem Tod ihm einen Trunk versagt. + +So sprach mein Freund und bat, die Müh auf mich zu nehmen, +Und öffentlich den Geizhals zu beschämen. +Wiewohl ein Mann, der sich zu keiner Pflicht +Als für das Geld versteht, der schämt sich ewig nicht. + + + + + +Der arme Schiffer + +Ein armer Schiffer stak in Schulden, +Und klagte dem Philet sein Leid. +"Herr", sprach er, "leiht mir hundert Gulden; +Allein zu Eurer Sicherheit +Hab ich kein ander Pfand als meine Redlichkeit. +Indessen leiht mir aus Erbarmen +Die hundert Gulden auf ein Jahr." +Philet, ein Retter in Gefahr, +Ein Vater vieler hundert Armen, +Zählt ihm das Geld mit Freuden dar. +"Hier", spricht er, "nimm es hin und brauch es ohne Sorgen; +Ich freue mich, daß ich dir dienen kann; +Du bist ein ordentlicher Mann, +Dem muß man ohne Handschrift borgen." + +Ein Jahr, und noch ein Jahr verstreicht; +Kein Schiffer läßt sich wieder sehen. +Wie? Sollt er auch Phileten hintergehen; +Und ein Betrüger sein? Vielleicht. + +Doch nein! Hier kömmt der Schiffer gleich. +"Herr!" fängt er an, "erfreuet Euch, +Ich bin aus allen meinen Schulden; +Und seht, hier sind zweihundert Gulden, +Die ich durch Euer Geld gewann. +Ich bitt Euch herzlich, nehmt sie an; +Ihr seid ein gar zu wackrer Mann." + +"O", spricht Philet, "ich kann mich nicht besinnen, +Daß ich dir jemals Geld geliehn. +Hier ist mein Rechnungsbuch, ich wills zu Rate ziehn; +Allein ich weiß es schon, du stehest nicht darinnen." + +Der Schiffer sieht ihn an, und schweigt betroffen still, +Und kränkt sich, daß Philet das Geld nicht nehmen will. +Er läuft, und kömmt mit voller Hand zurücke. +"Hier", spricht er, "ist der Rest von meinem ganzen Glücke, +Noch hundert Gulden! Nehmt sie hin, +Und laßt mir nur das Lob, daß ich erkenntlich bin. +Ich bin vergnügt, ich habe keine Schulden; +Dies Glücke dank ich Euch allein; +Und wollt Ihr ja recht gütig sein. +So leiht mir wieder funfzig Gulden." + +"Hier", spricht Philet, "hier ist dein Geld, +Behalte deinen ganzen Segen: +Ein Mann, der Treu und Glauben hält, +Verdient ihn seiner Treue wegen. +Sei du mein Freund. Das Geld ist dein; +Es sind nicht mehr als hundert Gulden mein, +Die sollen deinen Kindern sein." + +---- + +Mensch! mache dich verdient um andrer Wohlergehen; +Denn was ist göttlicher, als wenn du liebreich bist! +Und mit Vergnügen eilst, dem Nächsten beizustehen, +Der, wenn er Großmut sieht, großmütig dankbar ist! + + + + +Der Arme und der Reiche + +Aret, ein tugendhafter Mann, +Dem nichts, als Geld und Güter fehlten, +Rief, als ihn einst die Schulden quälten, +Das Glück um seinen Beistand an. +Das Glück, das seine liebsten Gaben +Sonst immer für die Leute spart, +Die von den Gütern beßrer Art +Nicht gar zuviel bekommen haben, +Entschloß sich dennoch auf sein Flehn, +Dem wackern Manne beizustehn, +Und ließ ihn in verborgnen Gründen +Aus Geiz verscharrte Schätze finden. +Er sieht darauf in kurzer Zeit +Von seinen Schuldnern sich befreit; +Doch ist ihm wohl die Not benommen, +Da, statt der Schuldner, Schmeichler kommen? +Sooft er trinkt, sooft er ißt, +Kömmt einer, der ihn durstig küßt, +Nach seinem Wohlsein ängstlich fraget, +Und ihn mit Höflichkeit und List, +Mit Loben und Bewundern plaget, +Und doch durch alles nichts, als daß ihn hungert, saget. +"O Glücke!" rief Aret, "soll eins von beiden sein; +Kann alle Klugheit nicht von Schmeichlern mich befrein: +So will ich mich von Schuldnern lieber hassen, +Als mich von Schmeichlern lieben lassen. +Vor jenen kann man doch zuweilen sicher sein; +Doch diese Brut schleicht sich zu allen Zeiten ein." + + + + + +Der baronisierte Bürger + +Des kargen Vaters stolzer Sohn +Ward, nach des Vaters Tod, Herr einer Million, +Und für sein Geld in kurzer Zeit Baron. +Er nahm sich vor, ein großer Mann zu werden, +Und ahmte, wenn ihm gleich der innre Wert gebrach, +Doch die gebietrischen Gebärden +Der Großen zuversichtlich nach. +Bald wünscht er sich des Staatsmanns Ehre, +Vertraut mit Fürsten umzugehn; +Bald wünscht er sich das Glück, dereinst vor einem Heere +Mit Lorbeern des Eugens zu stehn. +Kurz, er blieb ungewiß, wo er mehr Ansehn hätte, +Ob in dem Feld, ob in dem Kabinette. +Indessen war er doch Baron; +Und sein Verdienst, die Million, +Ließ sich zu alles Volks Entzücken, +In Läufern und Heiducken blicken. +Er nahm die halbe Stadt in Sold, +Bedeckte sich und sein Gefolg mit Gold, +Und brüstete sich mehr in seiner Staatskarosse, +Als die daran gespannten Rosse. +Er war der Schmeichler Mäzenat. +Ein Geck, der ihm gebückt um seine Gnade bat, +Und alles, was sein Stolz begonnte, +Recht unverschämt bewundern konnte, +Der kam sogleich in jener Freunde Zahl, +In der man mit ihm aß, ihn lobt, und ihn bestahl, +Und, wenn man ihn betrog, zugleich in überredte, +Daß er des Argus Augen hätte. + +Was braucht es mehr als Stolz und Unverstand, +Um Millionen durchzubringen? +Unsichrer ist kein Schatz als in des Jünglings Hand, +Den Wollust, Pracht und Stolz zu ihren Diensten zwingen. +Der Herr Baron vergaß bei seinem großen Schatz +Den Staatsmann und den Held, ward sinnreich im Verschwenden, +Und sah in kurzer Zeit sein Gut in fremden Händen; +Starb arm und unberühmt. Kurz, er bewies den Satz, +Daß Eltern ihre Kinder hassen, +Wofern sie ihnen nichts als Reichtum hinterlassen. + + + + + +Der Bauer und sein Sohn + +Ein guter dummer Bauerknabe, +Den Junker Hans einst mit auf Reisen nahm, +Und der, trotz seinem Herrn, mit einer guten Gabe, +Recht dreist zu lügen, wiederkam, +Ging, kurz nach der vollbrachten Reise, +Mit seinem Vater über Land. +Fritz, der im Gehn recht Zeit zum Lügen fand, +Log auf die unverschämtste Weise. +Zu seinem Unglück kam ein großer Hund gerannt. +"Ja, Vater", rief der unverschämte Knabe, +"Ihr mögt mirs glauben oder nicht: +So sag ich Euchs, und jedem ins Gesicht, +Daß ich einst einen Hund bei--Haag gesehen habe, +Hart an dem Weg, wo man nach Frankreich fährt, +Der--ja, ich bin nicht ehrenwert, +Wenn er nicht größer war als Euer größtes Pferd." +"Das", sprach der Vater, "nimmt mich wunder; +Wiewohl ein jeder Ort läßt Wunderdinge sehn. +Wir, zum Exempel, gehn itzunder, +Und werden keine Stunde gehn: +So wirst du eine Brücke sehn +(Wir müssen selbst darüber gehn), +Die hat dir manchen schon betrogen +(Denn überhaupt solls dort nicht gar zu richtig sein); +Auf dieser Brücke liegt ein Stein, +An den stößt man, wenn man denselben Tag gelogen, +Und fällt, und bricht sogleich das Bein." + +Der Bub erschrak, sobald er dies vernommen. +"Ach", sprach er, "lauft doch nicht so sehr. +Doch wieder auf den Hund zu kommen, +Wie groß sagt ich, daß er gewesen wär? +Wie Euer großes Pferd? Dazu will viel gehören. +Der Hund, itzt fällt mirs ein, war erst ein halbes Jahr; +Allein das wollt ich wohl beschwören, +Daß er so groß, als mancher Ochse, war." + +Sie gingen noch ein gutes Stücke; +Doch Fritzen schlug das Herz. Wie konnt es anders sein? +Denn niemand bricht doch gern ein Bein. +Er sah nunmehr die richterische Brücke, +Und fühlte schon den Beinbruch halb. +"Ja, Vater", fing er an, "der Hund, von dem ich redte, +War groß, und wenn ich ihn auch was vergrößert hätte: +So war er doch viel größer als ein Kalb." + +Die Brücke kömmt. Fritz! Fritz! wie wird dirs gehen! +Der Vater geht voran; doch Fritz hält ihn geschwind. +"Ach Vater!", spricht er, "seid kein Kind, +Und glaubt, daß ich dergleichen Hund gesehen. +Denn kurz und gut, eh wir darüber gehen, +Der Hund war nur so groß, wie alle Hunde sind." + +---- + +Du mußt es nicht gleich übelnehmen, +Wenn hie und da ein Geck zu lügen sich erkühnt. +Lüg auch, und mehr als er, und such ihn zu beschämen: +So machst du dich um ihn und um die Welt verdient. + + + + +Der beherzte Entschluß + +Ein guter ehrlicher Soldat, +Der (denn was tut man nicht, wenn man getrunken hat?) +Im Trunke seinen Wirt erschlagen, +Ward itzt hinausgeführt, für seine Missetat +Den Lohn durchs Schwert davonzutragen. +Er sah wohl aus, und wer ihn sah, +Bedauerte sein schmählich Ende, +Und wünschte, daß er noch beim König Gnade fände. +Besonders ging sein schweres Ende +Auch einer alten Jungfer nah. +Auf einmal fühlte sie die Triebe +Des Mitleids und der Menschenliebe, +Und fühlte sie nur mehr, je mehr sie auf ihn sah. +"Ach Himmel! ists nicht ewig schade? +Der schöne lange Mensch! Was für ein fein Gesicht, +Und was für Augen hat er nicht! +Seht doch den Bart! Ist das nicht eine Wade! +Die Straf ist in der Tat zu groß. +Wer kann sich denn im Trunke zähmen? +Ich bitt ihn frei; ich will ihn nehmen." +Sie lief, und schrie, und bat ihn los, +Indem Johann schon niederkniete. +"Johann", fing drauf der Richter an, +"Es findet sich ein redliches Gemüte, +Dies Weibsbild hier verlangst dich zum Mann, +Und wenn du sie verlangst: so schenk ich dir das Leben." + +---- + +Johann erschrak und sah die Jungfer an; +Sie trat hinzu, ihn aufzuheben. +"Ja", sprach er, "Euer Dienst ist groß; +Allein es wird mir nicht viel fehlen, +Ihr werdet mich dafür zeitlebens quälen. +Ich seh Euchs an; was will ich lange wählen? +Haut zu! So komm ich doch der Qual auf einmal los." + + + + +Der betrübte Witwer + +In Poitou (ich will mit Fleiß die Gegend nennen, +Damit sich die befragen können, +Die, wenn ein kleiner Umstand fehlt, +Schon zweifeln, ob man wahr erzählt), +In Poitou ließ einst ein Mann sein Weib begraben; +Allein man merk es wohl, man ist in Poitou; +Da geht es, wenn sie Leichen haben, +So prächtig wie bei uns nicht zu. +Man kleidet sie geschwind mit leinen Sterberöcken, +Und trägt den Sarg, ohn ihn erst zuzudecken, +An den für ihn bestimmten Ort. +So trug man auch den offnen Sarg itzt fort; +Doch was geschieht, indem sie ihn so tragen? +Der Leichenweg ging dicht an einer Hecke hin; +Hier ritzt ein Dorn die tote Frau ins Kinn. +Auf einmal fängt sie an, die Augen aufzuschlagen, +Und ruft: "Wohin wollt ihr mich tragen?" +Hier, deucht mich, hör ich viele fragen, +Wie kam die gute Frau zurück? +Hielt es der Mann auch für ein Glück, +Die Hälfte wiederzubekommen, +Die ihm der Tod zuvor genommen? +Wie mag ihm wohl gewesen sein? +Das letzte wird man gleich erfahren. +Nach weniger als sieben Jahren +Büßt sie das zweite Mal ihr junges Leben ein. +Der Mann gab ihr vom neuen das Geleite, +Und ging gesetzt an seiner Gattin Seite, +Wie alle harte Bauersleute. +Allein sobald er nur die Hecke wieder sah: +So wies er erst, wieviel sein Herz empfände. +Er rung mit Tränen beide Hände. +"Ach", rief er aus, "da war es, da! +Kommt ja der Hecke nicht zu nah!" + + + + + +Der Bettler + +Ein Bettler kam mit bloßem Degen +In eines reichen Mannes Haus, +Und bat sich, wie die Bettler pflegen, +Nur eine kleine Wohltat aus. +"Ich", sprach er, "kenn Ihr christlich Herze; +Sie sorgen gern für andrer Heil, +Und nehmen mit gerechtem Schmerze +An Ihres Nächsten Elend teil. +Ich weiß, mein Flehn wird Sie bewegen! +Sie sehn, ich fordre nichts mit Unbescheidenheit; +Nein, ich verlasse mich (hier wies er ihm den Degen) +Allein auf Ihre Gütigkeit." + +---- + +Dies ist die Art lobgieriger Skribenten, +Wenn sie um unsern Beifall flehn; +Sie geben uns mit vielen Komplimenten +Die harte Fordrung zu verstehn. +Der Autor will den Beifall nicht erpressen; +Nein, er verläßt sich bloß auf unsre Billigkeit; +Doch, daß wir diese nicht vergessen: +So zeigt er uns zu gleicher Zeit +In beiden Händen Krieg und Streit. + + + + +Der Blinde und der Lahme + +Von ungefähr muß einen Blinden, +Ein Lahmer auf der Straße finden, +Und jener hofft schon freudenvoll, +Daß ihn der andre leiten soll. +"Dir", spricht der Lahme, "beizustehen? +Ich armer Mann kann selbst nicht gehen; +Doch scheints, daß du zu einer Last +Noch sehr gesunde Schultern hast. + +Entschließe dich, mich fortzutragen: +So will ich dir die Stege sagen: +So wird dein starker Fuß mein Bein, +Mein helles Auge deines sein." + +Der Lahme hängt, mit seinen Krücken, +Sich auf des Blinden breiten Rücken. +Vereint wirkt also dieses Paar, +Was einzeln keinem möglich war. + +---- + +Du hast das nicht, was andre haben, +Und andern mangeln deine Gaben; +Aus dieser Unvollkommenheit +Entspringet die Geselligkeit. +Wenn jenem nicht die Gabe fehlte, +Die die Natur für mich erwählte: +So würd er nur für sich allein, +Und nicht für mich bekümmert sein. + +Beschwer die Götter nicht mit Klagen! +Der Vorteil, den sie dir versagen, +Und jenem schenken, wird gemein, +Wir dürfen nur gesellig sein. + + + + + +Der erhörte Liebhaber + +Der größte Fehler in der Liebe, +O Jüngling, ist die Furchtsamkeit. +Was helfen dir die süßen Triebe +Bei einer stummen Schüchternheit? +Du liebst, und willst es doch nicht wagen. +Es deiner Schönen zu gestehn; +Was deine Lippen ihr nicht sagen, +Soll sie in deinen Augen sehn. +Im stillen trägst du deinem Kinde +Das Herz mit Ehrerbietung an, +Und wünschest, daß sie das empfinde, +Was doch dein Mund nicht sagen kann. +Du hörst nicht auf, sie hochzuachten, +Und ehrst sie durch Bescheidenheit; +Sie fühlt, und läßt dich dennoch schmachten. +Und wartet auf Beständigkeit. +Sie läßt dich in den Augen lesen, +Wieviel dir dieser Vorzug nützt; +Erst liebt sie dein bescheidnes Wesen, +Und endlich den, der es besitzt. +Ein Jahr verfliegt; o lacht des Blöden, +Was hat er denn für seine Müh? +Er darf mit ihr von Liebe reden, +Und wagt den ersten Kuß auf sie. +Ein Jahr! Und noch kein größres Glücke? +In Wahrheit! das ist lächerlich. +Warum rief er, beim ersten Blicke, +Nicht gleich! "Mein Kind, ich liebe dich!" +Da lob ich euch, ihr jungen Helden, +Ihr wißt von keiner langen Pein; +Ihr laßt euch bei der Schönen melden, +Ihr kommt, und seht, und nehmt sie ein. +Und euren Mut recht zu beseelen, +Den ihr bei eurer Liebe fühlt: +So will ich euch den Sieg erzählen, +Den einst Jesmin sehr schnell erhielt. + +---- + +Ein junger Mensch, der gütigst wollte, +Daß jedes schöne Kind die Ehre haben sollte, +Von ihm geliebt, von ihm geküßt zu sein; +Jesmin, sah Sylvien, das heißt, sie nahm ihn ein. +Er sah sie in dem Fenster liegen, +Ward schnell besiegt, und schwor, sie wieder zu besiegen. +Die halbe Nacht verstrich, daß mein Jesmin nicht schlief; +Er sann auf einen Liebesbrief, +Schlug die Romane nach, und trug die hellsten Flammen +In einen Brief aus zwanzigen zusammen. +Der Brief ward fortgeschickt, und für sein bares Geld +Ward auch der Brief getreu bestellt. +Allein die Antwort will nicht kommen. +Jesmin, vom Kummer eingenommen, +Ergreift das Briefpapier, und schreibet noch einmal. +Er klagt der Schönen seine Qual, +Er redt von strengen Liebeskerzen, +Von Augensonnen, heiß an Pein, +Von Tigermilch, von diamantnen Herzen, +Und von der Hoffnung Nordlichtschein, +Und schwört, weil Sylvia durch nichts erweicht geworden, +Sich, bei Gelegenheit, aus Liebe zu ermorden. +Getrost, Jesmin! versiegle deinen Brief. +So wie das Siegelwachs am Lichte niederlief: +So wird der Schönen Herz, eh Nacht und Tag verfließen, +Von deines Briefes Glut erweicht, zerschmelzen müssen. +Der Brief wird fortgeschickt, und richtig überbracht. +Jesmin tut manch Gebet an Venus' kleinen Knaben; +Doch folgt die Antwort nicht. Wer hätte das gedacht! +Das Mädchen muß ein Herz von Stahl und Eisen haben; +Doch welcher Baum fällt auf den ersten Hieb? +Ich zweifle nicht, die Schöne hat ihn lieb, +Und ihre Sprödigkeit ist ein verstelltes Wesen, +Um nur von ihm mehr Briefe noch zu lesen. +Wie könnte sie dem heißen Flehn +Und, da sie ihn unlängst geputzt gesehn, +Der reichen Weste widerstehn? + +Ich weiß noch einen Rat, und dieser Rat wird glücken. +Durch Verse kann man sehr entzücken, +In Versen, mein Jesmin, in Versen schreib an sie; +Siegst du durch Verse nicht, Jesmin! so siegst du nie. +Er folgt. O wünscht mit mir, daß ihm die Reime fließen! +Seht, welch ein feurig Lied Jesmin zur Welt gebar! +Was konnte man auch anders schließen. +Da seine Prosa schon so hoch und feurig war? + +Kaum hatte Sylvia das Heldenlied gelesen: +So kam auch schon ein Gegenbrief. +Man stellte sich vor, wie froh Jesmin gewesen, +Wie froh Jesmin der Magd entgegenlief! +Die schlaue Magd grüßt ihn galant. +Er steht und hält den Brief entzückt in seiner Hand, +Und brennet vor Begier, den Inhalt bald zu wissen, +Und kann vor Zärtlichkeit sich dennoch nicht entschließen, +Das kleine Siegel abzuziehn; +Er drückt den Brief an sich, er drückt und küsset ihn. +Die Magd kriegt ein Pistol, und schwört, ihm treu zu bleiben. +Allein was stund in diesem Schreiben, +Als es Jesmin froh auseinanderschlug? +Kein Wörtchen mehr als dies: "Mein Herr, Sie sind nicht klug!" + + + + + +Der Freier + +Ein Freier bat einst einen Freund, +Ihm doch ein Mädchen vorzuschlagen. +"Ich will dir zwei", versetzte jener, "sagen, +Dann wähle die, die sich für dich zu schicken scheint. +Die erste hat, nebst einem Rittersitze, +Ein recht bezauberndes Gesicht, +Liebt den Geschmack, spricht mit dem feinsten Witze, +Und schreibt die Sprachen, die sie spricht. +Sie spielt den Flügel schön, und kann vortrefflich singen +Und malet so geschickt, als es die Kunst begehrt. +Und in der Wirtschaft selbst gibt sie gemeinen Dingen +Durch ihre Sorgfalt einen Wert. +Allein bei aller Kunst und allen ihren Gaben +Hat sie kein gutes Herz. + +Die andre sieht nicht schön, +Wird wenig im Vermögen haben, +Und von den Künsten nichts, die jene kann, verstehn; +Doch bei Verstand und einem stillen Reize, +Der, ohne daß sies sieht, gefällt, +Besitzt sie, frei von Stolz und Geize, +Das beste Herze von der Welt. +Was tätst du wohl, wenn dich die erste haben wollte?" + +"Ach", fing der Freier an, "wenn dies geschehen sollte: +So spräch ich zu der ersten nein, +Um dadurch bald der andern wert zu sein." + + + + + +Der Freigeist + +Ihr, die ihr nach der Tugend strebet; +Ihr, die ihr dem gehorsam seid, +Was die Vernunft und was die Schrift gebeut, +Ein Freigeist lacht euch aus, daß ihr so sklavisch lebet. +Was sucht ihr? fragt er euch; nicht die Zufriedenheit? +Ists möglich, sich so zu betrügen? +Um euch vergnügt zu sehn, raubt ihr euch das Vergnügen? +Ihr sucht die Ruh, und findt sie in der Last, +Haßt, was ihr liebt, und liebet, war ihr haßt. +Habt ihr Vernunft? Ich zweifle fast. +Die Freiheit in der Tugend finden, +Das heißt, um frei zu sein, sich erst an Ketten binden. +Dringt durch des Aberglaubens Nacht, +Die euch zu finstern Köpfen macht; +Folgt der Natur, genießt, was sie euch schenket; +Sucht nichts, als was ihr wünscht; flieht nichts, als was euch kränket; +Denkt frei, und lebet, wie ihr denket, +Und gebt nicht auf die Toren acht. +Der Pöbel ist der größte Hauf auf Erden, +Von diesem reißt euch los. Er weiß nicht, was er glaubt, +Hält seinen Trieb für unerlaubt, +Und sieht nicht, daß er sich sein Glück aus Milzsucht raubt; +Sonst würd er nicht so abergläubisch werden. + +Drum faßt den kurzen Unterricht: +Was viele glauben, glaubet nicht. +Sie glauben es aus Trägheit, nichts zu prüfen; +Doch ein Vernünftiger dringt in der Wahrheit Tiefen. +Was ist die Schrift? Was lehret sie? +Ein traurig Leben, reich an Müh, +Und Rätsel, die wir aufzuschließen, +Erst der Vernunft entsagen müssen. +Was ist das mächtige Gewissen? +Ein Ding, das die Erziehung schafft, +Ein heilig Erbteil aller Blöden; +Doch die, die wissen, was sie reden, +Empfinden nichts von seiner Kraft. + +Folgt der Natur! Sie ruft; was kann sie anders wollen, +Als daß wir ihr gehorchen sollen? +Die Furcht erdachte Recht und Pflicht, +Und schuf den Himmel und die Hölle. +Setzt die Vernunft an ihre Stelle, +Was seht ihr da? Den Himmel und die Hölle? +O nein, ein weibisches Gedicht. +Laßt doch der Welt ihr kindisches Geschwätze. +Was jeden ruhig macht, ist jedes sein Gesetze. +Mehr glaubt und braucht ein Kluger nicht. + +Dies war der Witz, mit dem in seinem Leben +Ein Freigeist sein System erwies; +Die Tugend von dem Throne stieß, +Um nur sein Laster drauf zu heben. +Sein böses Herz war ihm Vernunft und Gott, +Und der am Kreuze starb, war oft des Frechen Spott. + +Sein Ende kam. Und der, der nie gezittert, +Ward plötzlich durch den Tod erschüttert. +Das Schrecken einer Ewigkeit, +Ein Richter, der als Gott ihm fluchte, +Ein Abgrund, welcher ihn schon zu verschlingen suchte, +Zerstörte das System tollkühner Sicherheit. +Und der, der sonst mit seinen hohen Lehren +Der ganzen Welt zu widerstehn gewagt, +Fing an, der Magd geduldig zuzuhören, +Und ließ von seiner frommen Magd, +Zu der er tausendmal "du christlich Tier" gesagt, +Sich widerlegen und bekehren. + +So stark sind eines Freigeists Lehren! + + + + + +Der Fuchs und die Elster + +Zur Elster sprach der Fuchs: "O, wenn ich fragen mag, +Was sprichst du doch den ganzen Tag? +Du sprichst wohl von besondern Dingen?" +"Die Wahrheit", rief sie, "breit ich aus. +Was keines weiß herauszubringen, +Bring ich durch meinen Fleiß heraus, +Vorn Adler bis zur Fledermaus." +"Dürft ich", versetzt der Fuchs, "mit Bitten dich beschweren: +So wünscht ich mir, etwas von deiner Kunst zu hören." + +So wie ein weiser Arzt, der auf der Bühne steht, +Und seine Künste rühmt, bald vor, bald rückwärts geht, +Ein seidnes Schnupftuch nimmt, sich räuspert, und dann spricht: +So lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder, +Und strich an einem Zweig den Schnabel hin und wider, +Und macht ein sehr gelehrt Gesicht. +Drauf fängt sie ernsthaft an, und spricht: +"Ich diene gern mit meinen Gaben, +Denn ich behalte nichts für mich. +Nicht wahr, Sie denken doch, daß Sie vier Füße haben? +Allein, Herr Fuchs, Sie irren sich. +Nur zugehört! Sie werdens finden, +Denn ich beweis es gleich mit Gründen. + +Ihr Fuß bewegt sich, wenn er geht, +Und er bewegt sich nicht, solang er stillesteht; +Doch merken Sie, was ich itzt sagen werde, +Denn dieses ist es noch nicht ganz. +Sooft Ihr Fuß nur geht, so geht er auf der Erde. +Betrachten Sie nun Ihren Schwanz. +Sie sehen, wenn Ihr Fuß sich reget, +Daß auch Ihr Schwanz sich mit beweget; +Itzt ist Ihr Fuß bald hier, bald dort, +Und so geht auch Ihr Schwanz mit auf der Erde fort, +Sooft Sie nach den Hühnern reisen. +Daraus zieh ich nunmehr den Schluß: +Ihr Schwanz, das sei Ihr fünfter Fuß; +Und dies, Herr Fuchs, war zu beweisen." + +---- + +Ja, dieses hat uns noch gefehlt! +Wie freu ich mich, daß es bei Tieren +Auch große Geister gibt, die alles demonstrieren! +Mir hats der Fuchs für ganz gewiß erzählt. +"Je minder sie verstehn", sprach dieses schlaue Vieh, +"Um desto mehr beweisen sie." + + + + +Der glücklich gewordene Ehemann + +Frontin liebt Hannchen bis zum Sterben; +Denn Hannchen war ein schönes Kind. +Allein je reizender die losen Mädchen sind, +Um desto weniger kann man ihr Herz erwerben. +Frontin erfuhr es wohl. Drei Jahre liebt er sie; +Allein umsonst war alle Müh. +Was tat er endlich? Er verreiste, +Und ging (was kann wohl Ärgers sein?), +Ging, sag ich, mit dem bösen Geiste +Ein Bündnis an dem Blocksberg ein; +Ein Bündnis, daß er ihm zwei Jahre dienen wollte, +Wofern er Hannchen noch zur Frau bekommen sollte. +Sie werden hurtig eins, und schließen ihren Kauf; +Der böse Geist gibt ihm die Hand darauf. +Und ob er gleich die Welt sehr oft belogen, +Und Doktor Faustus selbst betrogen: +So hielt er doch sein Wort genau. +Frontin war Hannchens Mann, und sie ward seine Frau. +Doch eh vier Wochen sich verlieren: +So fängt Frontin schon an, den Schwarzen zu zitieren. +"Ach", spricht er, da der Geist erscheint, +"Ach, darf ich, lieber böser Feind, +Noch einer Bitte mich erkühnen? +Ich habe dir gelobt, für Hannchen, meine Frau, +Zwei Jahre, wie du weißt, zu dienen, +Und dies erfüllt ich auch genau; +Doch willst du mir mein Hannchen wieder nehmen: +So soll mein Dienst ein Jahr verlängert sein." +Der Böse will sich nicht bequemen, +Drauf geht Frontin die Frist noch zweimal ein; +Denn, sprach er bei sich selbst, so arg du immer bist: +So weiß ich doch, daß Hannchen ärger ist. + + + + + +Der glückliche Dichter + +Ein Dichter, der bei Hofe war-- +Bei Hofe? Was? Bei Hofe gar? +Wie kam er denn zu dieser Ehre? +Ich wüßte nicht, was ein Poet, +Ein Mensch, der nichts vom Recht und Staat versteht, +Was der bei Hofe nötig wäre? +Was ein Poet bei Hofe nötig ist? +Ja, Freund, du hast wohl recht zu fragen. +Mich ärgerts, daß August zween Dichter gern vertragen, +Die man doch itzt kaum in den Schulen liest. +Was ists denn nun mit zehn Racinen +Und Molièren? Nichts! Gar nichts! Der eine macht, +Daß man bei Hofe weint, der andre, daß man lacht. +Das heißt dem Staate trefflich dienen, +Dadurch wird ja kein Groschen eingebracht. +Doch auf die Sache selbst zu kommen. +Ein Dichter, den der Hof in seine Gunst genommen, +Schlief einst bei Tag im Louvre ein.-- +Wieso? War er berauscht? Das kann wohl möglich sein. +Man hat in Frankreich guten Wein. +Und Dichter sollen insgemein +Von Wahrheit, Liebe, Witz und Wein +Sehr gute Freund und Kenner sein. +Ich mag die Welt nicht Lügen strafen, +Drum sag ich weder ja noch nein. + +Gnug, der Poet war eingeschlafen, +Und war nicht schön, das man wohl merken muß; +Doch gab die Königin, den Schlaf ihm zu versüßen, +Ihm im Vorbeigehn einen Kuß. +"Was", rief ein Prinz, "den blassen Mund zu küssen?" +"Blaß", sprach die Königin, "blaß ist er, das ist wahr; +Doch sagt der Mann mit seinem blassen Munde +Mehr Schönes oft in einer Stunde +Als Sie, mein Prinz, durchs ganze Jahr." + + + + + +Der Greis + +Von einem Greise will ich singen, +Der neunzig Jahr die Welt gesehn. +Und wird mir itzt kein Lied gelingen: +So wird es ewig nicht geschehn. +Von einem Greise will ich dichten, +Und melden, was durch ihn geschah, +Und singen, was ich in Geschichten, +Von ihm, von diesem Greise, sah. + +Singt, Dichter, mit entbranntem Triebe, +Singt euch berühmt an Lieb und Wein! +Ich laß euch allen Wein und Liebe, +Der Greis nur soll mein Loblied sein. + +Singt von Beschützern ganzer Staaten, +Verewigt euch und ihre Müh! +Ich singe nicht von Heldentaten, +Der Greis sei meine Poesie. + +O Ruhm, dring in der Nachwelt Ohren, +Du Ruhm, den sich mein Greis erwarb! +Hört, Zeiten, hörts! Er ward geboren, +Er lebte, nahm ein Weib, und starb. + + + + + +Der grüne Esel + +Wie oft weiß nicht ein Narr durch töricht Unternehmen +Viel tausend Toren zu beschämen! +Neran, ein kluger Narr, färbt einen Esel grün, +Am Leibe grün, rot an den Beinen, +Fängt an, mit ihm die Gassen durchzuziehn; +Er zieht, und jung und alt erscheinen. +Welch Wunder! rief die ganze Stadt, +Ein Esel, zeisiggrün! der rote Füße hat! +Das muß die Chronik einst den Enkeln noch erzählen, +Was es zu unsrer Zeit für Wunderdinge gab! +Die Gassen wimmelten von Millionen Seelen; +Man hebt die Fenster aus, man deckt die Dächer ab; +Denn alles will den grünen Esel sehn, +Und alle konnten doch nicht mit dem Esel gehn. + +Man lief die beiden ersten Tage +Dem Esel mit Bewundrung nach. +Der Kranke selbst vergaß der Krankheit Plage, +Wenn man vom grünen Esel sprach. +Die Kinder in den Schlaf zu bringen, +Sang keine Wärterin mehr von dem schwarzen Schaf; +Vom grünen Esel hört man singen, +Und so gerät das Kind in Schlaf. + +Drei Tage waren kaum vergangen: +So war es um den Wert des armen Tiers geschehn. +Das Volk bezeigte kein Verlangen, +Den grünen Esel mehr zu sehn. +Und so bewundernswert er anfangs allen schien: +So dacht itzt doch kein Mensch mit einer Silb an ihn. + +---- + +Ein Ding mag noch so närrisch sein, +Es sei nur neu: so nimmts den Pöbel ein. +Er sieht, und er erstaunt. Kein Kluger darf ihm wehren. +Drauf kömmt die Zeit, und denkt an ihre Pflicht; +Denn sie versteht die Kunst, die Narren zu bekehren, +Sie mögen wollen oder nicht. + + + + +Der gute Rat + +Ein junger Mensch, der sich vermählen wollte, +Und dem man manchen Vorschlag tat, +Bat einen Greis um einen guten Rat, +Was für ein Weib er nehmen sollte? +"Freund", sprach der Greis, "das weiß ich nicht. +So gut man wählt, kann man sich doch betrügen. +Sucht Ihr ein Weib bloß zum Vergnügen: +So wählet Euch ein schön Gesicht; +Doch liegt Euch mehr an Renten und am Staate, +Als am verliebten Zeitvertreib: +So dien ich Euch mit einem andere Rate, +Bemüht Euch um ein reiches Weib; +Doch strebt Ihr durch die Frau nach einem hohen Range, +Nun so vergeßt, daß beßre Mädchen sind, +Wählt eines großen Mannes Kind, +Und untersucht die Wahl nicht lange; +Doch wollt Ihr mehr für Eure Seele wählen, +Als für die Sinnen und den Leib: +So wagts, um Euch nach Wunsche zu vermählen, +Und wählt Euch ein gelehrtes Weib." +Hier schwieg der Alte lachend still. + +"Ach", sprach der junge Mensch, "das will ich ja nicht wissen: +Ich frage, welches Weib ich werde wählen müssen, +Wenn ich zufrieden leben will? +Und wenn ich, ohne mich zu grämen--" + +"O", fiel der Greis ihm ein, "da müßt Ihr keine nehmen!" + + + + + +Der gütige Besuch + +Ein offner Kopf, ein muntrer Geist, +Kurz, einer von den feinen Leuten, +Die ihr Beruf zu Neuigkeiten +Nie denken, ewig reden heißt; +Die mit Gewalt es haben wollen, +Daß Kluge närrisch werden sollen; +Ein solcher Schwätzer trat herein, +Dem Dichter den Besuch zu geben. +"O", rief er, "welch ein traurig Leben! +Wie? Schlafen Sie denn nicht bei Ihren Büchern ein? +So sind Sie denn so ganz allein, +Und müssen gar vor Langerweile lesen? +Ich dacht es wohl, drum kam ich so geschwind." +"Ich bin", sprach der Poet, "noch nie allein gewesen, +Als seit der Zeit, da Sie zugegen sind." + + + + + +Der Hund + +Phylax, der so manche Nacht +Haus und Hof getreu bewacht, +Und oft ganzen Diebesbanden +Durch sein Bellen widerstanden; +Phylax, dem Lips Tullian, +Der doch gut zu stehlen wußte, +Selber zweimal weichen mußte; +Diesen fiel ein Fieber an. +Alle Nachbarn gaben Rat. +Krummholzöl und Mithridat +Mußte sich der Hund bequemen, +Wider Willen einzunehmen. +Selbst des Nachbar Gastwirts Müh, +Der vordem in fremden Landen, +Als ein Doktor, ausgestanden, +War vergebens bei dem Vieh. + +Kaum erscholl die schlimme Post, +Als von ihrer Mittagskost, +Alle Brüder und Bekannten, +Phylax zu besuchen, rannten. +Pantelon, sein bester Freund, +Leckt ihm an dem heißen Munde. +O, erseufzt er, bittre Stunde! +O! wer hätte das gemeint? + +"Ach!" rief Phylax, "Pantelon! +Ists nicht wahr, ich sterbe schon? +Hätt ich nur nichts eingenommen, +Wär ich wohl davongekommen. +Sterb ich Ärmster so geschwind: +O! so kannst du sicher schreien, +Daß die vielen Arzeneien +Meines Todes Quelle sind. + +Wie zufrieden schlief ich ein! +Sollt ich nur so manches Bein, +Das ich mir verscharren müssen, +Vor dem Tode noch genießen. +Dieses macht mich kummervoll, +Daß ich diesen Schatz vergessen, +Nicht vor meinem Ende fressen, +Auch nicht mit mir nehmen soll. + +Liebst du mich, und bist du treu: +O! so hole sie herbei; +Eines wirst du bei den Linden, +An dem Gartentore finden; +Eines, lieber Pantelon, +Hab ich nur noch gestern morgen +In dem Winterreis verborgen; +Aber friß mir nichts davon." + +Pantelon war fortgerannt, +Brachte treulich, was er fand; +Phylax roch, bei schwachem Mute, +Noch den Dunst von seinem Gute. +Endlich, da sein Auge bricht, +Spricht er: "Laß mir alles liegen! +Sterb ich, so sollst du es kriegen; +Aber, Bruder, eher nicht. + +Sollt ich nur so glücklich sein, +Und das schöne Schinkenbein, +Das ich--doch ich mags nicht sagen, +Wo ich dieses hingetragen. +Werd ich wiederum gesund: +Will ich dir, bei meinem Leben, +Auch die beste Hälfte geben; +Ja du sollst--" Hier starb der Hund. + +---- + +Der Geizhals bleibt im Tode karg; +Zween Blicke wirft er auf den Sarg, +Und tausend wirft er mit Entsetzen +Nach den mit Angst verwahrten Schätzen. +O schwere Last der Eitelkeit! +Um schlecht zu leben, schwer zu sterben, +Sucht man sich Güter zu erwerben; +Verdient ein solches Glück wohl Neid? + + + + +Der junge Drescher + +Dem Drescher, der im weichen Gras +Vor seinem Topf, mit Milch und schwarzem Brote, saß, +Dem wollte seine Milch nicht schmecken. +Er fing verdrießlich an, sich in das Gras zu strecken, +Dacht ängstlich seinem Schicksal nach, +Und dehnte sich dreimal, und sprach: +Du bist ein schlechter Kerl, du hast kein eignes Dach, +Und mußt dich Tag vor Tag mit deinem Flegel plagen. +Du tätst ja gern mit deinem Schatze schön; +Allein, du Narr, mußt in der Scheune stehn, +Und kannst nach langen vierzehn Tagen +Kaum einmal in die Schenke gehn, +Und einen Krug mit Bier und deine Mieke sehn. +Du bist noch jung, und kannst hübsch lesen und hübsch schreiben, +Und wolltest stets ein Drescher bleiben? +Des Schulzens Tochter ist dir gut, +Ist reich und kann sich hübsch gebärden: +So nimm sie doch. Du kannst, mein Blut! +Wohl mit der Zeit noch Schulze werden. +Alsdann ißt du dein Stücke Fleisch in Ruh, +Und trinkst dein gutes Bier dazu, +Und hast gleich nach dem Pfarr die Ehre-- +O wenn ich doch schon Schulze wäre! +Indem Hanns noch so sprach, kam seine Schöne her. +Sie tat, als käme sie nur so von ungefähr; +Allein sie kam mit Fleiß, weil sie ihn sprechen wollte, +Und er verwegen sein, und sie recht herzen sollte. +Denn Mädchen, wenn sie gleich das Dorf erzogen hat, +Sind wie die Mädchen in der Stadt. + +Hanns zieht die Schöne sanft zu sich ins Grüne nieder, +Lobt ihren neuen Latz, schielt öfters auf ihr Mieder, +Fast wie ein junger Herr. Nur mit dem Unterscheid, +Er hatte mehr Schamhaftigkeit. +Kurz, er fing an, sie recht verliebt zu küssen, +Bat um ihr Herz, und trug ihr Herz davon, +Und ward, wie viele noch auf diesem Dorfe wissen, +Des reichen Schulzen Schwiegersohn. +Kaum hatt er sie, so ward der Alte schon +Durch schnellen Tod der Welt und seinem Dorf entrissen. +Wen wird man nun Herr Schulze grüßen? +Wen anders, als den Schwiegersohn? + +Er eilt ins Amt, kömmt bald und freudig wieder, +Und wirft sich auf die Bank, als Schulz im Dorfe, nieder. + +So wie ein durch den Fleiß vollendeter Student, +Nach einem glücklichen Examen, +Sich selbst vor trunkner Lust nicht kennt, +Wenn ihn die Magd in seiner Schöne Namen, +Nach einem tiefen Kompliment, +Das erstemal Herr Doktor nennt: +So wußt auch Hanns vor großer Freude +Nicht, wo er Händ und Füße ließ, +Als ihn Schulmeisters Adelheide +Das erstemal Herr Schulze hieß. + +Wie glücklich pries er sich in seiner Ehrenstelle! +Er aß sein Fleisch, und tat den Gästen oft Bescheid. +Allein es kamen mit der Zeit +Auch viel unangenehme Fälle. +Denn welches Amt ist wohl davon befreit? +Nach einer nicht gar langen Zeit +Warf sich Herr Hanns verdrießlich auf die Stelle, +Auf der er sich sein Glück erfreit, +Und oft gewünscht: Wenn ich doch Schulze wäre! +Ich, fing er zu sich selber an, +Ich habe Haus, und Hof, und Ehre, +Und bin mit alledem doch ein geplagter Mann. +Bald soll ich von der Bauern Leben +Im Amte Red und Antwort geben, +Da fährt mich denn der Amtmann an, +Und heißt mich einen dummen Mann. +Bald quälen mich die teuflischen Soldaten, +Und fluchen mir die Ohren voll. +Bald weiß ich mir bei den Mandaten, +Bald in Quatembern nicht zu raten, +Die ich dem Landknecht schaffen soll. + +Die Bauern brummen, wenn ich strafe, +Und straf ich nicht: so lachen sie mich aus. +Sonst störte mich kein Mensch im Schlafe, +Itzt pocht mich jeder Narr heraus, +Und, wenn es niemand tut, so hunzt die Frau mich aus. +O wäre mirs nur keine Schande, +Ich griffe nach dem ersten Stande, +Und stürb als Drescher auf dem Lande. + +---- + +Wer weiß, ob mancher Große nicht +Im Herzen wie der Schulze spricht? +Wer weiß, wie viele sonst zu Fuße ruhig waren, +Die itzund mißvergnügt in stolzen Kutschen fahren? +Wer weiß, ob manches Herz nicht viel zufriedner schlug, +Eh es der Fürsten Gunst an einem Bande trug? +O lernt, ihr unzufriednen Kleinen, +Daß ihr die Ruh nicht durch den Stand gewinnt! +Lernt doch, daß die am mindsten glücklich sind, +Die euch am meisten glücklich scheinen! + + + + +Der junge Gelehrte + +Ein junger Mensch, der viel studierte, +Und, wie die Eltern ganz wohl sahn, +Was Großes schon im Schilde führte, +Sprach einen Greis um solche Schriften an, +Die stark und sinnreich denken lehrten, +Mit einem Wort, die zum Geschmack gehörten. +Der Alte ward von Herzen froh, +Und lobt ihm den Homer, den Plato, Cicero, +Und hundert mehr aus alt und neuer Zeit, +Die mit den heilgen Lorbeerkränzen +Der Dichtkunst und Wohlredenheit, +Umleuchtet von der Ewigkeit, +Den Jünglingen entgegenglänzen. +"O", hub der junge Mensch mit stolzem Lächeln an: +"Ich habe sie fast alle durchgelesen; +Allein"--"Nun gut", sprach der gelehrte Mann, +"Sind sie nach Seinem Sinn gewesen: +So muß Er sie noch zweimal lesen; +Doch sind sie Ihm nicht gut genug gewesen: +So sag Ers ja den Klugen nicht, +Denn sonst erraten sie, woran es Ihm gebricht, +Und heißen Ihn die Zeitung lesen." + + + + + +Der junge Prinz + +Ein junger Prinz, der sich des Oheims Gunst empfohlen, +Bekam von ihm zweihundert Stück Pistolen +Mit der Ermunterung, damit wohl umzugehn. +Er ließ nach einger Zeit sich wieder vor ihm sehn. +Indem daß nun der Oheim mit ihm redte: +So fragt er ihn zu gleicher Zeit, +Ob er das letzte Geld wohl angewendet hätte? +"Hier", sprach der junge Prinz erfreut, +"Hier hab ich meine ganze Kasse; +An den zweihunderten fehlt nicht ein einzig Stück." + +Der Oheim nahm den Augenblick +Das Geld, und warf es auf die Gasse. +"Lernt, Prinz", fing drauf der Oheim an, +"Die Kunst, das Geld nutzbarer anzuwenden; +Ein Prinz hat darum viel in Händen, +Damit er vielen dienen kann." + + + + + +Der Jüngling + +Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört, +In der der Segen wohnen sollte, +Entschloß sich, daß er da sich niederlassen wollte. +Dort, sprach er oft, sei dir dein Glück beschert. +Er nahm die Reise vor, und sah schon mit Vergnügen +Die liebe Stadt auf einem Berge liegen. +Gottlob! fing unser Jüngling an, +Daß ich die Stadt schon sehen kann; +Allein der Berg ist steil. O, wär er schon erstiegen! +Ein fruchtbar Tal stieß an des Berges Fuß. +Die größte Menge schöner Früchte +Fiel unserm Jüngling ins Gesichte. +O, dacht er, weil ich doch sehr lange steigen muß: +So will ich, meinen Durst zu stillen, +Den Reisesack mit solchen Früchten fällen. +Er aß, und fand die Frucht vortrefflich vom Geschmack, +Und füllte seinen Reisesack. + +Er stieg den Berg hinan, und fiel den Augenblick +Beladen in das Tal zurück. +"O Freund!" rief einer von den Höhen, +"Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen. +Der Berg ist steil, und mühsam jeder Schritt. +Und du nimmst dir noch eine Bürde mit? +Vergiß das Obst, das du zu dir genommen, +Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen. +Steig leer, und steig beherzt, und gib dir alle Müh; +Denn unser Glück verdienet sie." + +Er stieg, und sah empor, wie weit er steigen müßte. +Ach Himmel! ach, es war noch weit. +Er ruht und aß zu gleicher Zeit +Von seiner Frucht, damit er sich die Müh versüßte. +Er sah bald in das Tal, und bald den Berg hinan; +Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen an. +Er sinnt. Ja ja, er mag es überlegen. +Steig, sagt ihm sein Verstand, bemüh dich um dein Glück. +Nein, sprach sein Herz, kehr in das Tal zurück; +Du steigst sonst über dein Vermögen. +Ruh etwas aus, und iß dich satt, +Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte hat. +Dies tat er auch. Er pflegte sich im Tale, +Entschloß sich oft zu gehn, und schien sich stets zu matt. +Das erste Hindernis galt auch die andern Male. +Kurz, er vergaß sein Glück, und kam nie in die Stadt. + +---- + +Dem Jüngling gleichen viele Christen. +Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt, +Und sehn darauf nach ihren Lüsten, +Und nehmen ihre Lüste mit. +Beschwert mit diesen Hindernissen, +Weicht bald ihr träger Geist zurück. +Und, auf ein sinnlich Glück beflissen, +Vergessen sie die Müh um ein unendlich Glück. + + + + +Der Kandidat + +Ein Kandidat, der gern befördert werden wollte, +Lag einem sehr berühmten Mann, +Der viel vermocht, inständig an, +Daß er sein Glück ihm machen sollte, +Und reichte, weil ein Platz im Ratstuhl offen war, +Dem Gönner eine Bittschrift dar. +Der Gönner las sie durch, und las sie mit Vergnügen. +"Es kränkt mich", fing er an, und nahm ihn bei der Hand, +"Daß ich Sie eher nicht gekannt. +Ich lieb und ehre den Verstand. +Sie sollen dieses Amt vor allen andern kriegen." +Er sprach darauf mit ihm, und was der Jüngling sprach, +Verriet den besten Geist, geschaffen zum Studieren, +Zum größten Amte nicht zu schwach, +Und wert, die andern zu regieren. + +"Ach!" sprach der Gönner ganz erfreut, +"Nun kenn ich Sie; das Amt ist Ihre", +Und in der größten Freundlichkeit +Ging er mit ihm bis vor die Türe. +Hier bot der Jüngling ihm ein großes Goldstück an, +Um sichrer noch zu gehn. "Nein", sprach der wackre Mann, +"Nunmehr soll dieses Amt nicht Ihre; +Denn wer Geschenke gibt, nimmt sie auch wieder an; +Ihr Herz ist schlecht." Hier griff er nach der Türe. + + + + + +Der Knabe + +Ein Knabe, der den fleißigen Papa, +Oft nach den Sternen gucken sah, +Wollt auch den Himmel kennenlernen. +Er blieb steif vor dem Sehrohr stehn, +Und sah begierig nach den Sternen; +Allein er konnte nicht viel sehn. +"Was heißt es denn", sprach drauf der Knabe, +"Daß ich fast nichts erkennen kann? +Ha, ha, nun fällt mirs ein, was ich vergessen habe; +Mein Vater fängt es anders an, +Er blinzt zuweilen zu, das hab ich nicht getan. +O bin ich nicht ein dummer Knabe! +Schon gut! Nun weiß ich, was ich tu." +Und hurtig hielt er sich die Augen beide zu, +Und sah durchs Sehrohr nach den Sternen. +Der Narr! Was sah er denn? Das alles, was du siehst, +Wenn du, um durch die Schrift Gott deutlich sehn zu lernen, +Dir die Vernunft vorher entziehst. + + + + +Der Kranke + +Ein Mann, den lange schon die Gliederkrankheit plagte, +Tat alles, was man ihm nur sagte, +Und konnte doch von seiner Pein +Auf keine Weise sich befrein. +Ein altes Weib, der er sein Elend klagte, +Schlug ihm geheimnisvoll ein magisch Mittel vor. +"Ihr müßt Euch", zischt sie ihm ins Ohr, +"Auf eines Frommen Grab bei früher Sonne setzen, +Und Euch mit dem gefallnen Tau +Dreimal die Hand, dreimal den Schenkel netzen; +Es hilft, gedenkt an eine Frau." +Der Kranke tat, was ihm die Alte sagte; +Denn sagt, was tut man nicht, ein Übel los zu sein? +Er ging zum Kirchhof hin, und zwar, sobald es tagte, +Und trat an einen Leichenstein, +Und las: "Wer dieser Mann gewesen, +Läßt, Wandrer, dich sein Grabmal lesen: +Er war das Wunder seiner Zeit, +Das Muster wahrer Frömmigkeit; +Und, daß man viel mit wenig Worten sagt, +Er ists, den Kirch und Schul, und Stadt und Land beklagt." +Hier setzt sich der Geplagte nieder, +Benetzt die halb gelähmten Glieder; +Doch ohne Wirkung bleibt die Kur, +Sein Gliederschmerz vermehrt sich nur. +Er greift betrübt nach seinem Stabe, +Schleicht von des frommen Mannes Grabe, +Und setzt sich auf das nächste Grab, +Dem keine Schrift ein Denkmal gab; +Hier nahm sein Schmerz allmählich ab. +Er braucht sogleich sein Mittel wieder; +Schnell lebten die gelähmten Glieder, +Und, ohne Schmerz und ohne Stab, +Verließ er dieses fromme Grab. +"Ach", rief er, "läßt kein Stein mich lesen, +Wer dieser fromme Mann gewesen?" +Der Küster kam von ungefähr herbei; +Den fragt der Mann, wer hier begraben sei? +Der Küster läßt sich lange fragen, +Als könnt ers ohne Scheu nicht sagen. +"Ach!" hub er endlich seufzend an: +"Verzeih mirs Gott! es war ein Mann, +Dem, weil er Ketzereien glaubte, +Man kaum ein ehrlich Grab erlaubte; +Ein Mann, der lose Künste trieb, +Komödien und Verse schrieb; +Er war, wie ich mit Recht behaupte, +Ein Neuling und ein Bösewicht." +"Nein!" sprach der Mann, "das war er nicht, +So gottlos ihn die Leute schalten; +Doch jener dort, den ihr für fromm gehalten, +Von dem sein Grab so rühmlich spricht, +Der war gewiß ein Bösewicht." + + + + + +Der Kuckuck + +Der Kuckuck sprach mit einem Star, +Der aus der Stadt entflohen war. +"Was spricht man", fing er an zu schreien, +"Was spricht man in der Stadt von unsern Melodeien? +Was spricht man von der Nachtigall?" +"Die ganze Stadt lobt ihre Lieder." +"Und von der Lerche?" rief er wieder. +"Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall." +"Und von der Amsel?" fuhr er fort. +"Auch diese lobt man hier und dort." +"Ich muß dich doch noch etwas fragen: +Was", rief er, "spricht man denn von mir?" +"Das", sprach der Star, "das weiß ich nicht zu sagen; +Denn keine Seele redt von dir." +"So will ich", fuhr er fort, "mich an dem Undank rächen, +Und ewig von mir selber sprechen." + + + + +Der Lügner + +Ihr Meister in der Kunst zu lügen, +Rühmt euren Witz, schlau zu betrügen, +Soviel ihr uns davon erzählt: +So wett ich doch, daß euch die rechte List noch fehlt. +Ein schlechter Mensch, ihr werdet lachen, +Wird euch den Vorzug streitig machen. + +---- + +In London saß ein böser Bube +Nebst einem andern auf den Tod. +Ein Anatomikus trat in die Kerkerstube, +Und tat auf seinen Leib dem einen ein Gebot.* +Doch Niklas schwor, daß ihn der Teufel holen sollte, +Eh er für diesen Preis dem Arzt sich lassen wollte. +"Herr", schrie der andre Delinquent, +"Sagt, wie Ihr um den Kerl so lange handeln könnt? +Laßt seinen magern Leib den Raben. +Seht, wie gesund ich bin, wie fett! Ihr sollt mich haben. +Und wißt Ihr, was Ihr geben sollt? +Ich will es billig mit Euch machen: +Drei Gulden. Bin ich tot: so schneidet, wie Ihr wollt, +Ich will von keinem Schnitt erwachen." +Kaum hat er noch das Geld empfangen: +So rief der witzge Delinquent: +"Gelogen! Herr, seht zu, wie Ihr mich kriegen könnt! +Ich werd in Ketten aufgehangen." + + + + + +Der Maler + +Ein kluger Maler in Athen, +Der minder, weil man ihn bezahlte, +Als, weil er Ehre suchte, malte, +Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn, +Und bat sich seine Meinung aus. +Der Kenner sagt ihm frei heraus, +Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte, +Und daß es, um recht schön zu sein, +Weit minder Kunst verraten sollte. +Der Maler wandte vieles ein: +Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen, +Und konnt ihn doch nicht überwinden. +Gleich trat ein junger Geck herein, +Und nahm das Bild in Augenschein. +"O", rief er, bei dem ersten Blicke, +"Ihr Götter, welch ein Meisterstücke! +Ach welcher Fuß! O wie geschickt +Sind nicht die Nägel ausgedrückt! +Mars lebt durchaus in diesem Bilde. +Wie viele Kunst, wie viele Pracht, +Ist in dem Helm, und in dem Schilde, +Und in der Rüstung angebracht!" + +Der Maler ward beschämt gerühret, +Und sah den Kenner kläglich an. +"Nun", sprach er, "bin ich überführet! +Ihr habt mir nicht zuviel getan." +Der junge Geck war kaum hinaus: +So strich er seinen Kriegsgott aus. + +---- + +Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt; +So ist es schon ein böses Zeichen; +Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält: +So ist es Zeit, sie auszustreichen. + + + + +Der Polyhistor + +An jenem Fluß, zu dem wir alle müssen, +Es mag uns noch so sehr verdrüßen, +An jenem Fluß kam einst ein hochgelehrter Mann, +Bestäubt von seinen Büchern, an, +Und eilte zu des Charons Kahn. +"Willkommen!" fing der Fährmann an, +Indem er sich aufs Ruder lehnte, +Und bei dem Wort Willkommen herzlich gähnte, +"Wer seid Ihr denn, mein lieber Mann?" +"Ein Polyhistor", sprach der Schatten, +"Für den die Schulen Ehrfurcht hatten--" +Indem er noch vor Charons Kahn +Von seinen Sprachen sprach, von nichts als Stümpern redte, +Und von Quartanten schrie, die er geschrieben hätte, +Kam noch ein andrer Schatten an, +Mit einer demutsvollen Miene. +"Und wer seid Ihr, auch ein gelehrter Mann?" +"Ich zweifle sehr", sprach er, "ob ich den Ruhm verdiene. +Ich habe nichts als mich studiert. +Nichts als mein Herz, das mich so oft verführt, +Des Tiefe sucht ich zu ergründen, +Um meine Ruh und andrer Ruh zu finden; +Allein soviel ich immer nachgedacht, +Und so bekannt ich mich mit der Vernunft gemacht: +So hab ichs doch nicht weit gebracht, +Wie mich viel Fehler überzeugen." + +Der Polyhistor hörts und lacht, +Und eilt, um in den Kahn zuallererst zu steigen. +"Zurück!" rief Charon ziemlich hart, +"Ich muß zuerst den Klugen überfahren, +Kaum einer kömmt in hundert Jahren; +Allein an Leuten Eurer Art, +Die stolze Polyhistor waren, +Hab ich mich schon bald lahm gefahren." + + + + + +Der Prozeß + +Ja, Prozesse müssen sein! +Gesetzt, sie wären nicht auf Erden, +Wie könnt alsdann das Mein und Dein +Bestimmet und entschieden werden? +Das Streiten lehrt uns die Natur. +Drum, Bruder, recht' und streite nur. +Du siehst, man will dich übertäuben; +Doch gib nicht nach, setz alles auf, +Und laß dem Handel seinen Lauf; +Denn Recht muß doch Recht bleiben. +"Was sprecht Ihr, Nachbar? Dieser Rain, +Der sollte, meint Ihr, Euer sein? +Nein, er gehört zu meinen Hufen." + +"Nicht doch, Gevatter, nicht, Ihr irrt; +Ich will Euch zwanzig Zeugen rufen, +Von denen jeder sagen wird, +Daß lange vor der Schwedenzeit--" + +"Gevatter, Ihr seid nicht gescheit! +Versteht Ihr mich? Ich will Euchs lehren, +Daß Rain und Gras mir zugehören. +Ich will nicht eher sanfte ruhn; +Das Recht, das soll den Ausspruch tun." + +So saget Kunz, schlägt in die Hand, +Und rückt den spitzen Hut die Quere. +"Ja, eh ich diesen Rain entbehre, +So meid ich lieber Gut und Land." +Der Zorn bringt ihn zu schnellen Schritten, +Er eilet nach der nahen Stadt. +Allein, Herr Glimpf, sein Advokat, +War kurz zuvor ins Amt geritten. +Er läuft, und holt Herrn Glimpfen ein. +Wie, sprecht ihr, kann das möglich sein? +Kunz war zu Fuß, und Glimpf zu Pferde. +So glaubt ihr, daß ich lügen werde? +Ich bitt euch, stellt das Reden ein, +Sonst werd ich, diesen Schimpf zu rächen, +Gleich selber mit Herrn Glimpfen sprechen. + +Ich sag es noch einmal, Kunz holt Herr Glimpfen ein, +Greift in den Zaum, und grüßt Herr Glimpfen. +"Herr!" fängt er ganz erbittert an, +"Mein Nachbar, der infame Mann, +Der Schelm, ich will ihn zwar nicht schimpfen; +Der, denkt nur, spricht, der schmale Rain, +Der zwischen unsern Feldern lieget, +Der, spricht der Narr, der wäre sein. +Allein den will ich sehn, der mich darum betrüget. +Herr", fuhr er fort, "Herr, meine beste Kuh, +Sechs Scheffel Haber noch dazu! +(Hier wieherte das Pferd vor Freuden.) +O dient mir wider ihn, und helft die Sach entscheiden." + +"Kein Mensch", versetzt Herr Glimpf, "dient freudiger als ich. +Der Nachbar hat nichts einzuwenden, +Ihr habt das größte Recht in Händen; +Aus Euren Reden zeigt es sich. +Genug, verklagt den Ungestümen! +Ich will mich zwar nicht selber rühmen, +Dies tut kein ehrlicher Jurist; +Doch dieses könnt Ihr leicht erfahren, +Ob ein Prozeß, seit zwanzig Jahren, +Von mir verloren worden ist? +Ich will Euch Eure Sache führen, +Ein Wort, ein Mann! Ihr sollt sie nicht verlieren." +Glimpf reutet fort. "Herr", ruft ihm Kunz noch nach, +"Ich halte, was ich Euch versprach." + +Wie hitzig wird der Streit getrieben! +Manch Ries Papier wird vollgeschrieben. +Das halbe Dorf muß in das Amt; +Man eilt, die Zeugen abzuhören, +Und fünfundzwanzig müssen schwören, +Und diese schwören insgesamt, +Daß, wie die alte Nachricht lehrte, +Der Rain ihm gar nicht zugehörte. +Ei, Kunz, das Ding geht ziemlich schlecht! +Ich weiß zwar wenig von dem Rechte; +Doch im Vertraun geredt, ich dächte, +Du hättest nicht das größte Recht. + +Manch widrig Urteil kömmt; doch laßt es widrig klingen! +Glimpf muntert den Klienten auf: +"Laßt dem Prozesse seinen Lauf, +Ich schwör Euch, endlich durchzudringen, +Doch-- + "Herr, ich hör es schon; ich will das Geld gleich bringen." + +Kunz borgt manch Kapital. Fünf Jahre währt der Streit; +Allein, warum so lange Zeit? +Dies, Leser, kann ich dir nicht sagen, +Du mußt die Rechtsgelehrten fragen. + +Ein letztes Urteil kömmt. O seht doch, Kunz gewinnt! +Er hat zwar viel dabei gelitten; +Allein was tuts, daß Haus und Hof verstritten, +Und Haus und Hof schon angeschlagen sind? +Genug, daß er den Rain gewinnt. +"O", ruft er, "lernt von mir, den Streit aufs höchste treiben, +Ihr seht ja, Recht muß doch Recht bleiben!" + + + + + +Der Reisende + +Ein Wandrer bat den Gott der Götter, +Den Zeus, bei ungestümem Wetter, +Um stille Luft und Sonnenschein. +Umsonst! Zeus läßt sich nicht bewegen; +Der Himmel stürmt mit Wind und Regen, +Denn stürmisch sollt es heute sein. +Der Wandrer setzt mit bittrer Klage, +Daß Zeus mit Fleiß die Menschen plage, +Die saure Reise mühsam fort. +Sooft ein neuer Sturmwind wütet, +Und schnell ihm stillzustehn gebietet: +Sooft ertönt ein Lästerwort. + +Ein naher Wald soll ihn beschirmen; +Er eilt, dem Regen und den Stürmen +In diesem Holze zu entgehn; +Doch eh der Wald ihn aufgenommen: +So sieht er einen Räuber kommen, +Und bleibt vor Furcht im Regen stehn. + +Der Räuber greift nach seinem Bogen, +Den schon die Nässe schlaff gezogen; +Er zielt, und faßt den Pilger wohl; +Doch Wind und Regen sind zuwider; +Der Pfeil fällt matt vor dem danieder, +Dem er das Herz durchbohren soll. + +"O Tor!" läßt Zeus sich zornig hören, +"Wird dich der nahe Pfeil nun lehren, +Ob ich dem Sturm zu viel erlaubt? +Hätt ich dir Sonnenschein gegeben, +So hätte dir der Pfeil das Leben, +Das dir der Sturm erhielt, geraubt." + + + + + +Der Schatz + +Ein kranker Vater rief den Sohn. +"Sohn!" sprach er, "um dich zu versorgen, +Hab ich vor langer Zeit einst einen Schatz verborgen; +Er liegt--" Hier starb der Vater schon. +Wer war bestürzter als der Sohn? +"Ein Schatz! (So waren seine Worte.) +Ein Schatz! Allein an welchem Orte? +Wo find ich ihn?" Er schickt nach Leuten aus, +Die Schätze sollen graben können, +Durchbricht der Scheuern harte Tennen, +Durchgräbt den Garten und das Haus, +Und gräbt doch keinen Schatz heraus. +Nach viel vergeblichem Bemühen +Heißt er die Fremden wieder ziehen, +Sucht selber in dem Hause nach, +Durchsucht des Vaters Schlafgemach, +Und findt mit leichter Müh (wie groß war sein Vergnügen!) +Ihn unter einer Diele liegen. + +---- + +Vielleicht, daß mancher eh die Wahrheit finden sollte, +Wenn er mit mindrer Müh die Wahrheit suchen wollte. +Und mancher hätte sie wohl zeitiger entdeckt, +Wofern er nicht geglaubt, sie wäre tief versteckt. +Verborgen ist sie wohl; allein nicht so verborgen, +Daß du der finstern Schriften Wust, +Um sie zu sehn, mit tausend Sorgen, +Bis auf den Grund durchwühlen mußt. +Verlaß dich nicht auf fremde Müh, +Such selbst, such aufmerksam, such oft: du findest sie. +Die Wahrheit, lieber Freund, die alle nötig haben, +Die uns, als Menschen, glücklich macht, +Ward von der weisen Hand, die sie uns zugedacht, +Nur leicht verdeckt; nicht tief vergraben. + + + + +Der Selbstmord + +O Jüngling, lern aus der Geschichte, +Die dich vielleicht zu Tränen zwingt, +Was für bejammernswerte Früchte +Die Liebe zu den Schönen bringt! +Ein Beispiel wohlgezogner Jugend, +Des alten Vaters Trost und Stab, +Ein Jüngling, der durch frühe Tugend +Zur größten Hoffnung Anlaß gab; + +Den zwang die Macht der schönen Triebe, +Climenen zärtlich nachzugehn. +Er seufzt, er bat um Gegenliebe; +Allein vergebens war sein Flehn. + +Fußfällig klagt er ihr sein Leiden. +Umsonst! Climene heißt ihn fliehn. +Ja, schreit er, ja, ich will dich meiden, +Ich will mich ewig dir entziehn. + +Er reißt den Degen aus der Scheide, +Und--o was kann verwegner sein! +Kurz, er besieht die Spitz und Schneide, +Und steckt ihn langsam wieder ein. + + + + + +Der sterbende Vater + +Ein Vater hinterließ zween Erben, +Christophen, der war klug, und Görgen, der war dumm. +Sein Ende kam, und kurz vor seinem Sterben +Sah er sich ganz betrübt nach seinem Christoph um. +"Sohn", fing er an, "mich quält ein trauriger Gedanke: +Du hast Verstand, wie wird dirs künftig gehn? +Hör an, ich hab in meinem Schranke +Ein Kästchen mit Juwelen stehn, +Die sollen dein. Nimm sie, mein Sohn, +Und gib dem Bruder nichts davon." +Der Sohn erschrak und stutzte lange. +"Ach Vater", hub er an, "wenn ich so viel empfange, +Wie kömmt alsdann mein Bruder fort?" +"Er?" fiel der Vater ihm ins Wort, +"Für Görgen ist mir gar nicht bange, +Der kömmt gewiß durch seine Dummheit fort." + + + + + +Der süße Traum + +Mit Träumen, die uns schön betrügen, +Erfreut den Timon einst die Nacht; +Im Schlaf erlebt er das Vergnügen, +An das er wachend kaum gedacht. +Er sieht, aus seines Bettes Mitte +Steigt schnell ein großer Schatz herauf. +Und schnell baut er aus seiner Hütte +Im Schlafe schon ein Lustschloß auf. +Sein Vorsaal wimmelt von Klienten, +Und, unbekleidet am Kamin, +Läßt er, die ihn vordem kaum nennten, +In Ehrfurcht itzt auf sich verziehn. +Die Schöne, die ihn oft im Wachen +Durch ihre Sprödigkeit betrübt, +Muß Timons Glück vollkommen machen; +Denn träumend sieht er sich geliebt. +Er sieht von Doris sich umfangen, +Und ruft, als dies ihm träumt, vergnügt; +Er lallt: "O Doris, mein Verlangen! +Hat Timon endlich dich besiegt?" +Sein Schlafgeselle hört ihn lallen; +Er hört, daß ihn ein Traum verführt, +Und tut ihm liebreich den Gefallen, +Und macht, daß sich sein Traum verliert. +"Freund", ruft er, "laß dich nicht betrügen, +Es ist ein Traum, ermuntre dich!" +"O böser Freund, um welch Vergnügen", +Klagt Timon ängstlich, "bringst du mich! +Du machest, daß mein Traum verschwindet; +Warum entziehst du mir die Lust? +Genug, ich hielt sie für gegründet, +Weil ich den Irrtum nicht gewußt." + +---- + +Oft quält ihr uns, ihr Wahrheitsfreunde, +Mit eurer Dienstbeflissenheit; +Oft seid ihr unsrer Ruhe Feinde, +Indem ihr unsre Lehrer seid. +Wer heißt euch uns den Irrtum rauben, +Den unser Herz mit Lust besitzt? +Und der, so heftig wir ihn glauben, +Uns dennoch minder schadt, als nützt? +Der wird die halbe Welt bekriegen, +Wer allen Wahn der Welt entzieht. +Die meisten Arten von Vergnügen +Entstehen, weil man dunkel sieht. +Was denkt der Held bei seinen Schlachten? +Er denkt, er sei der größte Held. +Gönnt ihm die Lust, sich hochzuachten, +Damit ihm nicht der Mut entfällt. +Geht, fragt: Was denkt wohl Adelheide? +Sie denkt, mein Mann liebt mich getreu. +Sie irrt; doch gönnt ihr ihre Freude, +Und laßt das arme Weib dabei. +Was glaubt der Ehemann von Lisetten? +Er glaubt, daß sie die Keuschheit ist. +Er irrt; ich wollte selber wetten; +Doch schweigt, wenn ihr es besser wißt. +Was denkt der Philosoph im Schreiben? +Mich liest der Hof, mich ehrt die Stadt! +Er irrt; doch laßt ihn irrig bleiben, +Damit er Lust zum Denken hat. +Durchsucht der Menschen ganzes Leben: +Was treibt zu großen Taten an? +Was pflegt uns Ruh und Trost zu geben? +Sehr oft ein Traum, ein süßer Wahn. +Genug, daß wir dabei empfinden! +Es sei auch tausendmal ein Schein! +Sollt aller Irrtum ganz verschwinden: +So wär es schlimm, ein Mensch zu sein. + + + + +Der Tanzbär + +Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen, +Entrann, und wählte sich den ersten Aufenthalt. +Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen, +Und brummten freudig durch den Wald. +Und wo ein Bär den andern sah: +So hieß es: Petz ist wieder da! +Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen +Für Abenteuer ausgestanden, +Was er gesehn, gehört, getan! +Und fing, da er vom Tanzen redte, +Als ging er noch an seiner Kette, +Auf polnisch schön zu tanzen an. +Die Brüder, die ihn tanzen sahn, +Bewunderten die Wendung seiner Glieder, +Und gleich versuchten es die Brüder; +Allein anstatt, wie er, zu gehn: +So konnten sie kaum aufrecht stehn, +Und mancher fiel die Länge lang danieder. +Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn; +Doch seine Kunst verdroß den ganzen Haufen. +Fort, schrien alle, fort mit dir! +Du Narr willst klüger sein, als wir? +Man zwang den Petz, davonzulaufen. + +---- + +Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen, +Weil dir dann jeder ähnlich ist; +Doch je geschickter du vor vielen andern bist; +Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen. +Wahr ists, man wird auf kurze Zeit +Von deinen Künsten rühmlich sprechen; +Doch traue nicht, bald folgt der Neid, +Und macht aus der Geschicklichkeit +Ein unvergebliches Verbrechen. + + + + +Der Tartarfürst + +Ein Tartarfürst, von dem man in Geschichten preist, +Daß er, als Prinz, Europa durchgereist, +Befahl, weil er sein Volk galanter machen wollte, +Daß kein vornehmes Weib ihr Kind selbst stillen sollte. +Die wilden Damen lachten nur; +Sie nährten nach wie vor ihr Kind mit ihren Brüsten, +Und glaubten; daß sie der Natur +Und ihren Müttern folgen müßten. +Der Chan fing an, sich zu entrüsten, +Gab ein sehr scharf Mandat, und schwur, +Daß jede Frau vom Stande sterben sollte, +Die für ihr Kind nicht Ammen halten wollte. +Und weil sie sich gezwungen sahn: +So nahmen sie denn Ammen an. +Allein sie konnten sich des Triebs nicht lang erwehren, +Ihr eigen Blut an ihrer Brust zu nähren. +Die meisten fingen an, dem Chan den Tod zu schwören. +Einst, als der Tartarfürst sich ganz allein befand, +Kam, mit dem Degen in der Hand, +Ein vornehm Weib auf ihn gerannt, +Und sprach, von edlem Grimm entbrannt: +"Hör auf, mein Kind mir abzudrängen, +Sonst bin ich hier, dich umzubringen! +Ich säug es selbst, und säug es mir zur Lust, +Deswegen hab ich diese Brust. +In dieser Pflicht, mein Kind daran zu nehmen, +Soll mich, o Fürst, kein Tier beschämen." + +Der gute Tartarfürst erschrak, +Und unterließ, um nicht sein Leben zu verlieren, +Den europäischen Geschmack +In seinen Horden einzuführen. + + + + + +Der Tod der Fliege und der Mücke + +Der Tod der Fliege heißt mich dichten; +Der Tod der Mücke heischt mein Lied. +Und kläglich will ich dir berichten, +Wie jene starb, und die verschied. +Sie setzte sich, die junge Fliege, +Voll Mut auf einen Becher Wein; +Entschloß sich, tat drei gute Züge, +Und sank vor Lust ins Glas hinein. + +Die Mücke sah die Freundin liegen. +"Dies Grabmal", sprach sie, "will ich scheun. +Am Lichte will ich mich vergnügen, +Und nicht an einem Becher Wein." + +Allein, verblendet von dem Scheine, +Ging sie der Lust zu eifrig nach; +Verbrannte sich die kleinen Beine, +Und starb nach einem kurzen Ach. + +Ihr, die ihr euren Trieb zu nähren, +In dem Vergnügen selbst verdarbt, +Ruht wohl, und laßt zu euren Ehren +Mich sagen, daß ihr menschlich starbt. + + + + + +Der unsterbliche Autor + +Ein Autor schrieb sehr viele Bände, +Und ward das Wunder seiner Zeit; +Der Journalisten gütge Hände +Verehrten ihm die Ewigkeit. +Er sah, vor seinem sanften Ende, +Fast alle Werke seiner Hände +Das sechste Mal schon aufgelegt, +Und sich, mit tiefgelehrtem Blicke, +In einer spanischen Perücke +Vor jedes Titelblatt geprägt. +Er blieb vor Widersprechern sicher, +Und schrieb bis an den Tag, da ihn der Tod entseelt; +Und das Verzeichnis seiner Bücher, +Die kleinen Schriften mitgezählt, +Nahm an dem Lebenslauf allein +Drei Bogen und drei Seiten ein. +Man las nach dieses Mannes Tode +Die Schriften mit Bedachtsamkeit; +Und seht, das Wunder seiner Zeit +Kam in zehn Jahren aus der Mode, +Und seine göttliche Methode +Hieß eine bange Trockenheit. +Der Mann war bloß berühmt gewesen, +Weil Stümper ihn gelobt, eh Kenner ihn gelesen. + +---- + +Berühmt zu werden, ist nicht schwer, +Man darf nur viel für kleine Geister schreiben; +Doch bei der Nachwelt groß zu bleiben, +Dazu gehört noch etwas mehr, +Als, seicht am Geist, in strenger Lehrart schreiben. + + + + + +Der Wuchrer + +Ein Wuchrer kam in kurzer Zeit +Zu einem gräflichen Vermögen, +Nicht durch Betrug und Ungerechtigkeit, +Nein, er beschwur es oft, allein durch Gottes Segen. +Und um sein dankbar Herz Gott an den Tag zu legen, +Und auch vielleicht aus heiligem Vertraun, +Gott zur Vergeltung zu bewegen, +Ließ er ein Hospital für arme Fromme baun. +Indem er nun den Bau zustande brachte, +Und vor dem Hause stund, und heimlich überdachte, +Wie sehr verdient er sich um Gott und Arme machte, +Ging ein verschmitzter Freund vorbei. +Der Geizhals, der gern haben wollte, +Daß dieser Freund das Haus bewundern sollte, +Fragt ihn mit freudigem Geschrei, +Obs groß genug für Arme sei? +"Warum nicht?" sprach der Freund. "Hier können viel Personen +Recht sehr bequem beisammen sein; +Doch sollen alle die hier wohnen, +Die Ihr habt arm gemacht: so ist es viel zu klein." + + + + + +Der wunderbare Traum + +Aus einem alten Fabelbuche +(Der Titelbogen fehlt daran, +Sonst führt ichs meinen Lesern an), +Aus dem ich mich Rats zu erholen suche, +Wenn ich selbst nichts erfinden kann; +Ans diesem alten deutschen Buche, +Das mir schon manchen Dienst getan, +Will ich mir einen Traum erwählen. +Als ich einmal, so fängt mein Autor an, +Nach seiner Weise zu erzählen, +In einer Kirche saß, so fiel mir jähling ein: +Wer mag von so viel tausend Seelen, +Die diesen Ort zu ihrer Andacht wählen, +Doch wohl die frömmste Seele sein? +In den Gedanken schlief ich ein, +Und sah im Traum vor mir des Tempels Schutzgeist stehen, +"Du", sprach er, "wünschest dir, das frömmste Herz zu sehen?" +Und rührte mein Gesicht mit seiner Rechten an. +Mir kam, sobald er dies getan, +Ein sanfter kalter Schauer an. +Und plötzlich sah ich mich in heilgem Glanze stehen. +"Fang an", sprach er, "die Kirche durchzugehen. +Der, den dein Glanz so rührt, daß er dich dreimal küßt, +Der hat das frömmste Herz, das hier zu finden ist." + +Ich ging, um es recht bald zu wissen, +In dem empfangnen Glanz hart vor der Sakristei +Einmal, und noch einmal, vorbei, +Weil mir es schien, als wolle man mich küssen. +Ich wartete noch eine gute Frist, +Und ward einmal; allein ganz kalt, geküßt. + +Ich ging darauf in die Kapellen, +In denen ich die frömmsten Mienen fand, +Und alles schien sich aufzuhellen, +Man lächelte, man tat galant +Und küßte mir zur Not die Hand. + +Drauf ließ ich mich auf einer höhern Bühne +Gesichtern, voll von Ernst und tiefer Weisheit, sehn. +Ich blieb ein feines Weilchen stehn. +Sie sahn mich an, und machten eine Miene, +Als ob sie sich an mir schon satt gesehn. +Und ungeküßt mußt ich von dannen gehn. + +Ich stellte mich nun vor die niedern Stände. +Hier warfen mir viel weiße Hände, +Da einen Kuß, dort einen zu. +Ich ließ mein Auge lange fragen: +Ach, gutes Herz! wo wohnest du? +Allein man wollt es nicht, mich zu umarmen, wagen, +Und ich ging ganz betrübt auf meinen Schutzgeist zu. +Mein traurig Schicksal ihm zu klagen. +Indem, daß ich noch durch die Halle schlich, +Sah mich, in einem schlechten Kleide, +Ein liebes Mädchen an, und seht, sie küßte mich +Mit einer plötzlichen und unschuldsvollen Freude. +Und eh ich noch von ihr den dritten Kuß erhielt: +So fühlt ich schon die selgen Triebe +Der Redlichkeit und Menschenliebe +So stark in mir, als ich sie nie gefühlt. +Ein Mädchen, rief ich aus, an das die Welt kaum dachte, +Besitzt das beste Herz! Ich rief es, und erwachte. + + + + + +Der zärtliche Mann + +Die ihr so eifersüchtig seid, +Und nichts als Unbeständigkeit, +Den Männern vorzurücken pfleget! +O Weiber, überwindet euch, +Lest dies Gedicht und seid zugleich +Beschämt, und ewig widerleget. +Wir Männer sind es ganz allein, +Die einmal nur, doch ewig lieben; +Uns ist die Treu ins Blut geschrieben. +Beweist es! hör ich alle schrein. +Recht gut! Es soll bewiesen sein. + +---- + +Ein liebes Weib ward krank, wovon? Von vieler Galle? +Die alte Spötterei! Kein Kluger glaubt sie mehr. +Nein, nein, die Weiber siechten alle, +Wenn diese Übel schädlich wär. +Genug, sie ward sehr krank. Der Mann wendt alles an, +Was man von Männern fordern kann; +Eilt, ihr zu rechter Zeit die Pulver einzuschütten; +Er läßt für seine Frau in allen Kirchen bitten, +Und gibt noch mehr dafür, als sonst gebräuchlich war: +Und doch vermehrt sich die Gefahr. +Er ächzt, er weint und schreit, er will mit ihr verderben. +"Ach Engel", spricht die Frau, "stell deine Klagen ein! +Ich werde mit Vergnügen sterben, +Versprich mir nur, nicht noch einmal zu frein." +Er schwört, sich keine mehr zu wählen. +"Dein Schatten", ruft er, "soll mich quälen, +Wenn mich ein zweites Weib besiegt." +Er schwört. Nun stirbt sein Weib vergnügt. +Wer kann den Kummer wohl beschreiben, +Der unsern Witwer überfällt? +Er weiß vor Jammer kaum zu bleiben; +Zu eng ist ihm sein Haus, zu klein ist ihm die Welt. +Er opfert seiner Frau die allertreusten Klagen, +Bleibt ohne Speis und Trank, sucht keine Lagerstatt; +Er klagt, und ist des Lebens satt. +Indes befiehlt die Zeit, sie in das Grab zu tragen. +Man legt der Seligen ihr schwarzes Brautkleid an; +Der Witwer tritt betränt an ihren Sarg hinan. +"Was?" fängt er plötzlich an zu fluchen, +"Was, Henker, was soll dieses sein? +Für eine tote Frau ein Brautkleid auszusuchen? +Gesetzt, ich wollte wieder frein: +So müßt ich ja ein neues machen lassen." + +Ihr Leute kränkt ihn nicht, geht, holt ein ander Kleid, +Und laßt dem armen Witwer Zeit; +Er wird sich mit der Zeit schon fassen. + + + + + +Der Zeisig + +Ein Zeisig wars und eine Nachtigall, +Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen. +Die Nachtigall fing an, ihr göttlich Lied zu singen, +Und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall. +"Ach welcher singt von beiden doch so schön? +Den Vogel möcht ich wirklich sehn!" +Der Vater macht ihm diese Freude, +Er nimmt die Vögel gleich herein. +"Hier", spricht er, "sind sie alle beide; +Doch welcher wird der schöne Sänger sein? +Getraust du dich, mir das zu sagen?" +Der Sohn läßt sich nicht zweimal fragen, +Schnell weist er auf den Zeisig hin: +"Der", spricht er, "muß es sein, so wahr ich ehrlich bin. +Wie schön und gelb ist sein Gefieder! +Drum singt er auch so schöne Lieder; +Dem andern sieht mans gleich an seinen Federn an, +Daß er nichts Kluges singen kann." + +---- + +Sagt, ob man im gemeinen Leben +Nicht oft wie dieser Knabe schließt? +Wem Farb und Kleid ein Ansehn geben, +Der hat Verstand, so dumm er ist. +Stax kömmt, und kaum ist Stax erschienen: +So hält man ihn auch schon für klug. +Warum? Seht nur auf seine Mienen, +Wie vorteilhaft ist jeder Zug! +Ein andrer hat zwar viel Geschicke; +Doch weil die Miene nichts verspricht: +So schließt man, bei dem ersten Blicke, +Aus dem Gesicht, aus der Perücke, +Daß ihm Verstand und Witz gebricht. + + + + +Die Bauern und der Amtmann + +Ein sehr geschickter Kandidat, +Der lange schon mit vielem Lobe +Die Kanzeln in der Stadt betrat, +Tat auf dem Dorfe seine Probe; +Allein so gut er sie getan: +So stund er doch den Bauern gar nicht an. +Nein, der verstorbne Herr, das war ein andrer Mann, +Der hatte recht auf seinen Text studieret, +Und Gottes Wort, wie sichs gebühret, +Bald griechisch, bald ebräisch angeführet, +Die Kirchenväter oft zitieret, +Die Ketzer stattlich ausschändieret, +Und stets so fein schematisieret, +Daß er der Bauern Herz gerühret. +"Herr Amtmann, wie gesagt, erstatt Er nur Bericht, +Wir mögen diesen Herrn nicht haben." +"So sagt doch nur, warum denn nicht?" +"Er hörts ja wohl, er hat nicht solche Gaben +Wie der verstorbne Herr." + +Der Amtmann widerspricht; +Der Suprintend ermahnt. Umsonst, sie hören nicht. +Man mag Amphion sein, und Fels und Wald bewegen, +Deswegen kann man doch nicht Bauern widerlegen. +Kurz, man erstattete Bericht, +Weil alle steif auf ihrem Sinn beharrten. + +Nunmehr kömmt ein Befehl. Ich kann es kaum erwarten, +Bis ihn der Amtmann publiziert. +Ich wette fast, ihr Bauern, ihr verliert! + +Man öffnet den Befehl. Und seht, der Landsherr wollte, +Daß man dem Kandidat das Priestertum vertraun, +Den Bauern Gegenteils es hart verweisen sollte. + +Der Suprintend fing an die Bauern zu erbaun, +Und sprach, so schwierig sie noch schienen, +Doch sehr gelind und fromm mit ihnen. +"Herr Doktor!" fiel ihm drauf der Amtmann in das Wort, +"Wozu soll diese Sanftmut dienen? +Ihr Richter, Schöppen und so fort, +Hört zu! Ich will mein Amt verwalten. +Ihr Ochsen, die ihr alle seid! +Euch Flegeln geb ich den Bescheid, +Ihr sollt den Herrn zu eurem Pfarrn behalten. +Sagts, wollt ihr oder nicht? denn itzt sind wir noch da." + +Die Bauern lächelten: "Ach ja, Herr Amtmann, ja!" + + + + + +Die beiden Hunde + +Daß oft die allerbesten Gaben +Die wenigsten Bewundrer haben, +Und daß der größte Teil der Welt +Das Schlechte für das Gute hält; +Dies Übel sieht man alle Tage; +Allein wie wehrt man dieser Pest? +Ich zweifle, daß sich diese Plage +Aus unsrer Welt verdringen läßt. +Ein einzig Mittel ist auf Erden; +Allein es ist unendlich schwer. +Die Narren müßten weise werden, +Und seht, sie werdens nimmermehr. +Nie kennen sie den Wert der Dinge. +Ihr Auge schließt, nicht ihr Verstand; +Sie loben ewig das Geringe, +Weil sie das Gute nie gekannt. + +---- + +Zween Hunde dienten einem Herrn, +Der eine von den beiden Tieren, +Joli, verstund die Kunst, sich lustig aufzuführen, +Und wer ihn sah, vertrug ihn gern. +Er holte die verlornen Dinge, +Und spielte voller Ungestüm. +Man lobte seinen Scherz, belachte seine Sprünge; +Seht, hieß es, alles lebt an ihm! +Oft biß er mitten in dem Streicheln: +So falsch und boshaft war sein Herz; +Gleich fing er wieder an zu schmeicheln: +Dann hieß sein Biß ein feiner Scherz. +Er war verzagt und ungezogen; +Doch ob er gleich zur Unzeit bellt und schrie: +So blieb ihm doch das ganze Haus gewogen: +Er hieß der lustige Joli. +Mit ihm vergnügte sich Lisette, +Er sprang mit ihr zu Tisch und Bette; +Und beide teilten ihre Zeit +In Schlaf, in Scherz und Lustbarkeit; +Sie aber übertraf ihn weit. +Fidel, der andre Hund, war von ganz anderm Wesen. +Zum Witze nicht ersehn, zum Scherze nicht erlesen, +Sehr ernsthaft von Natur; doch wachsam um das Haus, +Ging öfters auf die Jagd mit aus; +War treu und herzhaft in Gefahr, +Und bellte nicht, als wenn es nötig war. +Er stirbt. Man hört ihn kaum erwähnen, +Man trägt ihn ungerühmt hinaus. +Joli stirbt auch. Da fließen Tränen! +Seht, ihn beklagt das ganze Haus. +Die ganze Nachbarschaft bezeiget ihren Schmerz. + +So gilt ein bißchen Witz mehr, als ein gutes Herz! + + + + + +Die beiden Knaben + +Ein jüngrer und ein ältrer Bube, +Die der noch frühe Lenz aus der betrübten Stube +Vom Buche zu dem Garten rief, +Vielleicht, weil gleich ihr Informator schlief, +Gerieten beid an eine Grube, +In der der Schnee noch nicht zerlief. +"Ach Bruder", sprach der kleine Bube, +"Was meinst du, ist das Loch wohl tief? +Ich hätte Lust"--"Was? Lust, hineinzuspringen? +Du mußt doch ausgelassen sein. +Versuch es nicht und spring hinein, +Du könntest dich ums Leben bringen. +Wir können uns ja sonst noch wohl erfreun, +Als daß wir uns und unsern Kleidern schaden, +Und kindisch Schnee und Eis durchwaden. +Und kömmst du drauf zum Vater naß hinein: +So hast dus da erst auszubaden." +Doch keine Redekunst nahm unsern Knaben ein. +"Wer wird im Schnee denn gleich ersaufen?" +Und kurz und gut, er sprang hinein, +Und ließ sichs wohl in seiner Grube sein; +Doch kaum war er vor Kälte fortgelaufen: +So sprang der Philosoph so gut wie er hinein. + +---- + +Dies ist die Kunst der strengen Moralisten. +Bekannt mit dem System, und von Grundsätzen voll, +Beweisen sie das, was man lassen soll, +So froh, als ob sie nichts von den Begierden wüßten. +Sie sind von besserm Ton als wir. +Sie bändigen ihr Herz durch die Gewalt der Schlüsse. +Uns Armen ist die Torheit süße; +Doch ihnen ekelt nur dafür. +Wir lassen sie, wenn wir sie unternehmen, +Aus gutem Herzen andern sehn, +Und denken nicht daran, daß wir uns so vergehn. +Sie aber, die gelehrt sich aller Torheit schämen, +Begehn die Tat, die sie uns übelnehmen, +Aus Tugend eher nicht, als bis wir es nicht sehn. + + + + +Die beiden Mädchen + +Zwo junge Mädchen hofften beide, +Worauf? Gewiß auf einen Mann; +Denn dies ist doch die größte Freude, +Auf die ein Mädchen hoffen kann. +Die jüngste Schwester, Philippine, +War nicht unordentlich gebaut; +Sie hatt ein rund Gesicht, und eine zarte Haut; +Doch eine sehr gezwungne Miene. +So fest geschnürt sie immer ging, +So viel sie Schmuck ins Ohr, und vor den Busen hing, +So schön sie auch ihr Haar zusammenrollte; +So ward sie doch bei alledem, +Je mehr man sah, daß sie gefallen wollte, +Um desto minder angenehm. +Die andre Schwester, Caroline, +War im Gesichte nicht so zart; +Doch frei und reizend in der Miene, +Und liebreich mit gelaßner Art. +Und wenn man auf den heitern Wangen +Gleich kleine Sommerflecken fand: +Ward ihrem Reiz doch nichts dadurch entwandt, +Und selbst ihr Reiz schien solche zu verlangen. +Sie putzte sich nicht mühsam aus, +Sie prahlte nicht mit teuren Kostbarkeiten. +Ein artig Band, ein frischer Strauß, +Die über ihren Ort, den sie erlangt, sich freuten, +Und eine nach dem Leib wohl abgemeßne Tracht +War Carolinens ganze Pracht. + +Ein Freier kam; man wies ihm Philippinen; +Er sah sie an, erstaunt, und hieß sie schön; +Allein sein Herz blieb frei, er wollte wieder gehn. +Kaum aber sah er Carolinen: +So blieb er vor Entzückung stehn. + +---- + +Im Bilde dieser Frauenzimmer +Zeigt sich die Kunst und die Natur; +Die erste prahlt mit weit gesuchtem Schimmer, +Sie fesselt nicht; sie blendet nur. +Die andre sucht durch Einfalt zu gefallen, +Läßt sich bescheiden sehn; und so gefällt sie allen. + + + + +Die beiden Schwalben + +Zwo Schwalben sangen um die Wette, +Und sangen mit dem größten Fleiß; +Doch wenn die eine schrie, daß sie den Vorzug hätte, +Gab doch die andre sich den Preis. +Die Lerche kömmt. Sie soll den Streit entscheiden; +Und beide stimmen herzhaft an. +"Nun", hieß es: "sprich, wer von uns beiden +Am meisterlichsten singen kann?" +"Das weiß ich nicht", sprach sie bescheiden, +Und sah sie ganz mitleidig an, +Und wollte sich nach ihrer Höhe schwingen. +Doch nein, sie suchten ihr den Ausspruch abzuzwingen. +"So", sprach sie, "will ichs denn gestehn: +Die kann so gut wie jene singen; +Doch singt, solang ihr wollt, es singt doch keine schön. +Hört man das Lied geistreicher Nachtigallen: +So kann uns eures nicht gefallen." + +---- + +Ihr mittelmäßigen Skribenten, +O wenn wir euch doch friedsam machen könnten! +Ihr zankt, wer besser denkt? Laßt keinen Streit entstehn. +Wir wollen keinen von euch kränken; +Der eine kann so gut wie jener denken; +Doch keiner von euch denket schön. +Ihr Schwätzer! Zankt nicht um die Gaben +Der geistlichen Beredsamkeit. +Solange wir Mosheime haben: +So sehn wir ohne Schwierigkeit, +Daß ihr beredte Kinder seid. +Zankt nicht um eure hohen Gaben, +Ihr Gründlichen! o bleibt in Ruh. +Du demonstrierst wie er, und er so fein wie du; +Allein solange wir Leibnize vor uns haben: +So hört euch keine Seele zu. +O zankt nicht um des Phöbus Gaben, +Reimreiche Sänger unsrer Zeit! +Ihr alle reimt mit gleicher Fertigkeit; +Allein solange wir noch Hagedorne haben: +So denkt man nicht daran, daß ihr zugegen seid. + + + + +Die beiden Wächter + +Zween Wächter, die schon manche Nacht +Die liebe Stadt getreu bewacht, +Verfolgten sich, aus aller Macht, +Auf allen Bier- und Branntweinbänken, +Und ruhten nicht, mit pöbelhaften Ränken, +Einander bis aufs Blut zu kränken; +Denn keiner brannte von dem Span, +Woran der andre sich den Tabak angezündet, +Aus Haß den seinen jemals an. +Kurz, jeden Schimpf, den nur die Rach erfindet, +Den Feinde noch den Feinden angetan, +Den taten sie einander an. +Und jeder wollte bloß den andern überleben, +Um noch im Sarg ihm einen Stoß zu geben. +Man riet und wußte lange nicht, +Warum sie solche Feinde waren; +Doch endlich kam die Sache vor Gericht, +Da mußte sichs denn offenbaren, +Warum sie, seit so vielen Jahren, +So heidnisch unversöhnlich waren. +Was war der Grund? Der Brotneid? War ers nicht? +Nein. Dieser sang: Verwahrt das Feuer und das Licht! +Allein so sang der andre nicht. +Er sang: Bewahrt das Feuer und das Licht! +Aus dieser so verschiednen Art, +An die sich beid im Singen zänkisch banden; +Aus dem verwahrt und dem bewahrt +War Spott, Verachtung, Haß, und Rach, und Wut entstanden. + +---- + +Die Wächter, hör ich viele schrein, +Verfolgten sich um solche Kleinigkeiten? +Das mußten große Narren sein. +Ihr Herren! stellt die Reden ein, +Ihr könntet sonst unglücklich sein. +Wißt ihr denn nichts von so viel großen Leuten, +Die in gelehrten Streitigkeiten +Um Silben, die gleich viel bedeuten, +Sich mit der größten Wut entzweiten? + + + + +Die Betschwester + +Die frömmste Frau in unsrer Stadt, +In Kleidern fromm, und fromm in Mienen, +Die stets den Mund voll Andacht hat, +Wird diese nicht ein Lied verdienen? +Wie lehrreich ist ihr Lebenslauf! +Kaum steht die fromme Frau von ihrem Lager auf; +Kaum tönt der Klang vom achten Stundenschlage: +So sucht sie das Gebet zu dem vorhandnen Tage. +Und ob sie gleich den Schritt in sechzig schon getan: +So ruft sie doch den Herrn noch heut um Keuschheit an. +Und ob sie gleich noch nie sich satt gegessen: +So fleht sie doch um Mäßigkeit im Essen. +Und ob sie gleich auf alle Pfänder leiht: +So seufzt sie doch um Trost bei ihrer Dürftigkeit. + +Welch redlich Herz! Welch heiliges Vertrauen! +Sie liest das Jahr hindurch die Bibel zweimal aus, +Und reißt dadurch ihr ganzes Haus +Auf ewig aus des Teufels Klauen. + +Zwölf Lieder stimmt sie täglich an. +Wer kömmt? Ists nicht ein armer Mann? +Geh, Frecher! willst du sie vielleicht im Singen stören? +Nein, wenn sie singt, kann sie nicht hören. +Geh nur, und hungre, wie zuvor. +Sie hebt ihr Herz zu Gott empor; +Soll sie dies Herz vom Himmel lenken, +Und itzt an einen Armen denken? + +Sie singt, und trägt das Essen singend auf. +Sie ißt, und schmält auf böser Zeiten Lauf; +Allein wer klopft schon wieder an die Türe? +Ein armes Weib, die keinen Bissen Brot-- +"Geht, quält mich nicht mit Eurer Not, +Wenn ich die Hand zum Munde führe. +Nicht wahr, Ihr singt und betet nicht? +Seid fromm, und denkt an Eure Pflicht: +Der Herr vergißt die Seinen nicht. +Wenn seht Ihr mich denn betteln gehen? +Allein man muß zu Gott auch brünstig schrein und flehen." + +Doch ist die liebe fromme Frau +Nicht gar zu hart, nicht zu genau? +Wohnt nicht in ihr mehr Kaltsinn als Erbarmen? +Nein, nein! Sie dient und hilft den Armen; +Sie bessert sie durch Vorwurf und Verweis, +Und weist sie zu Gebet und Fleiß; +Ist dieses nicht der Schrift Geheiß? +Sie dient ja gern mit ihren Gütern, +Allein nur redlichen Gemütern. +Ist wohl ein frommes Weib in unsrer ganzen Stadt, +Das, in der Not, bei ihr nicht Zuflucht hat? +Sie mag ihr auch die kleinste Zeitung bringen: +So eilt sie doch, dem Weibe beizuspringen. + +Ach ja! Beatens Herz ist willig und bereit, +Die Welt mag noch soviel an ihr zu tadeln finden. +Nicht nur den Lebenden nützt ihre Mildigkeit; +O nein! Sie weiß sich auch die Toten zu verbinden. +Wenn wird ein Kind zur Gruft gebracht, +Um dessen Sarg ihr Kranz sich nicht verdient gemacht? +Wenn sprechen nicht die Leichengäste: +Beatens Kranz war doch der beste! +Welch schönes Kruzifix! Von wem wird dieses sein? +Beate schickts und wills dem Leichnam weihn. +Das fromme Weib! Erlebt sie mein Erblassen: +So wird sie meinen Sarg gewiß versilbern lassen. + +Sie kleidet Kanzel und Altar, +Und wird sie künftigs neue Jahr, +So sehr die andern sie beneiden, +Zum dritten Male doch bekleiden. +Man wirft ihr vor, sie solls aus Ehrsucht tun; +Noch kann ihr mildes Herz nicht ruhn. +Wer wars, der itzt in die Kollekte +Mit langsam schlauer Hand ein volles Briefchen steckte? +Beate wars, sie leiht dem Herrn, +Und was sie gibt, das gibt sie gern. +Was kann denn sie dafür, daß es die Leute sehen? + +Beate! laß die Lästrer schmähen, +Und laß sie aus Verleumdung sprechen, +Du sollst die Allmacht nur bestechen, +Daß für den Wucher, den du treibst, +Du einstens ungestrafet bleibst. +Laß dich von andern spöttisch richten, +Als pflegtest du der Welt gern Laster anzudichten; +Als wäre dies für dich die liebste Neuigkeit, +Wenn andern Not und Unglück dräut; +Als hättest du nichts als der Tugend Schein. +Schweigt, Spötter, schweigt! Dies kann nicht sein; +Denn betend steht sie auf, und singend schläft sie ein. + + + + + +Die Biene und die Henne + +"Nun Biene", sprach die träge Henne, +"Dies muß ich in der Tat gestehn, +So lange Zeit, als ich dich kenne: +So seh ich dich auch müßiggehn. +Du sinnst auf nichts, als dein Vergnügen; +Im Garten auf die Blumen fliegen, +Und ihren Blüten Saft entziehn, +Mag eben nicht so sehr bemühn. +Bleib immer auf der Nelke sitzen, +Dann fliege zu dem Rosenstrauch, +Wär ich wie du, ich tät es auch. +Was brauchst du andern viel zu nützen? +Genug, daß wir so manchen Morgen +Mit Eiern unser Haus versorgen." +"O!" rief die Biene, "spotte nicht! +Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht +Nicht so, wie du bei einem Eie, +Aus vollem Halse zehnmal schreie: +So, denkst du, wär ich ohne Fleiß. +Der Bienenstock sei mein Beweis, +Wer Kunst und Arbeit besser kenne, +Ich, oder eine träge Henne? +Denn wenn wir auf den Blumen liegen: +So sind wir nicht auf uns bedacht; +Wir sammeln Saft, der Honig macht, +Um fremde Zungen zu vergnügen. +Macht unser Fleiß kein groß Geräusch, +Und schreien wir bei warmen Tagen, +Wenn wir den Saft in Zellen tragen, +Uns nicht, wie du im Neste, heisch: +So präge dir es itzund ein: +Wir hassen allen stolzen Schein; +Und wer uns kennen will, der muß in Rost und Kuchen +Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen. + +Auch hat uns die Natur beschenkt, +Und einen Stachel eingesenkt, +Damit wir die bestrafen sollen, +Die, was sie selber nicht verstehn, +Doch meistern, und verachten wollen: +Drum, Henne! rat ich dir, zu gehn." + +---- + +O Spötter, der mit stolzer Miene, +In sich verliebt, die Dichtkunst schilt; +Dich unterrichtet dieses Bild. +Die Dichtkunst ist die stille Biene; +Und willst du selbst die Henne sein: +So trifft die Fabel völlig ein. +Du fragst, was nützt die Poesie? +Sie lehrt und unterrichtet nie. +Allein wie kannst du doch so fragen? +Du siehst an dir, wozu sie nützt: +Dem, der nicht viel Verstand besitzt, +Die Wahrheit, durch ein Bild, zu sagen. + + + + +Die Ente + +Die Ente schwamm auf einer Pfütze, +Und sah am Rande Gänse gehn, +Und konnt aus angebornem Witze +Der Spötterei unmöglich widerstehn. +Sie hob den Hals empor, und lachte dreimal laut, +Und sah um sich, so wie ein Witzling um sich schaut, +Der einen Einfall hat, und mit Geschrei und Lachen +So glücklich ist, ihm Luft zu machen. +Die Ente lachte noch, und eine Gans blieb stehn. +"Was", sprach sie, "hast du uns zu sagen?" +"Ach nichts! Ich hab euch zugesehn, +Ihr könnt vortrefflich auswärts gehn. +Wie lange tanzt ihr schon? Das wollt ich euch nur fragen." +"Das", sprach die Gans, "will ich dir gerne sagen; +Allein du mußt mit mir spazierengehn." + +---- + +Ihr Kleinen, die ihr stets so gern auf Größre schmähet, +An ihnen tausend Fehler sehet, +Die ihr an euch doch nie entdeckt; +Glaubt, daß an euch der Sumpf, in dem ihr euch so blähet, +Dieselben Fehler auch versteckt. +Und sollen sie der Welt, wie euch, unsichtbar bleiben: +So laßt euch nicht daraus vertreiben! + + + + +Die Fliege + +Daß alle Tiere denken können, +Dies scheint mir ausgemacht zu sein. +Ein Mann, den auch die Kinder witzig nennen, +Aesopus hats gesagt, Fontaine stimmt mit ein. +Wer wird auch so mißgünstig sein, +Und Tieren nicht dies kleine Glücke gönnen, +Aus dem die Welt so wenig macht? +Denk oder denke nicht, darauf gibt niemand acht. + +---- + +In einem Tempel voller Pracht, +Aus dem die Kunst mit ewgem Stolze blickte, +Dich schnell zum Beifall zwang, und gleich dafür entzückte, +Und wenn sie dich durch Schmuck bestürzt gemacht, +Mit edler Einfalt schon dich wieder zu dir brachte; +In diesem Bau voll Ordnung und voll Pracht +Saß eine finstre Flieg auf einem Stein und dachte. +Denn daß die Fliegen stets aus finstern Augen sehn, +Und oft den Kopf mit einem Beine halten, +Und oft die flache Stirne falten, +Kömmt bloß daher, weil sie soviel verstehn, +Und auf den Grund der Sachen gehn. +So saß auch hier die weise Fliege. +Ein halbes Dutzend ernste Züge +Verfinsterten ihr Angesicht. +Sie denkt tiefsinnig nach und spricht: +"Woher ist dies Gebäud entstanden? +Ist außer ihm wohl jemand noch vorhanden, +Der es gemacht? Ich sehs nicht ein. +Wer sollte dieser Jemand sein?" +"Die Kunst", sprach die bejahrte Spinne, +"Hat diesen Tempel aufgebaut. +Wohin auch nur dein blödes Auge schaut, +Wird es Gesetz und Ordnung inne, +Und dies beweist, daß ihn die Kunst gebaut." +Hier lachte meine Fliege laut. +"Die Kunst?" sprach sie ganz höhnisch zu der Spinne. +"Was ist die Kunst? Ich sinn und sinne, +Und sehe nichts, als ein Gedicht. +Was ist sie denn? Durch wen ist sie vorhanden? +Nein, dieses Märchen glaub ich nicht. +Lern es von mir, wie dieser Bau entstanden: +Es kamen einst von ungefähr +Viel Steinchen einer Art hieher, +Und fingen an, zusammen sich zu schicken. +Daraus entstand der große hohle Stein, +In welchem wir uns beid erblicken. +Kann was begreiflicher als diese Meinung sein?" + +---- + +Der Fliege können wir ein solch System vergeben; +Allein daß große Geister leben, +Die einer ordnungsvollen Welt +Ein Ungefähr zum Ursprung geben, +Und lieber zufallsweise leben, +Als einen Gott zum Thron erheben, +Das kann man ihnen nicht vergeben, +Wenn man sie nicht für Narren hält. + + + + +Die Frau und der Geist + +Vordem, da noch um Mitternacht, +Den armen Sterblichen zu dienen, +Die Geister dann und wann erschienen, +Ließ sich ein Geist, in einer weißen Tracht, +Vor einer Frau im Bette sehen, +Und hieß sie freundlich mit sich gehen, +Und ging mit ihr auf einen wüsten Platz. +"Frau", sprach der Geist, "hier liegt ein großer Schatz; +Nimm gleich dein Halstuch ab, und wirf es auf den Platz, +Und morgen, um die zwölfte Stunde, +Komm her, dann findest du ein Licht, +Dem grabe nach, doch rede nicht; +Denn geht ein Wort aus deinem Munde: +So wird der Schatz verschwunden sein!" +Die Frau fand, zur gesetzten Stunde, +Die Nacht darauf sich mit dem Grabscheit ein. +Nun, die muß recht beherzt gewesen ein! +Ich fände mich gewiß nicht ein, +Und sollt ich zwanzig Schätze heben. +Wer stünde mir denn für mein Leben? +Die Nacht ist keines Menschen Freund. +Und wenns der Geist recht ehrlich mit mir meint: +So kann er mir den Schatz ja auf der Stube geben. + +Die Frau verschlug das nichts. Sie eilt, den Schatz zu heben. +Frau, spricht sie bei sich selbst, beileibe sprich kein Wort, +Sonst rückt der Schatz auf ewig fort. +Sie hält, was sie sich vorgenommen. +Sie schweigt und gräbt getrost.--Ha, ha, nun klingt es hohl, +Nun wird der rechte Fleck bald kommen. +Hier liegt der Schatz, das dacht ich wohl. +O seht, ein großer Topf von lauter Golde voll! +O wenn sie doch dasmal nicht redte, +Und zu dem schweren Topf gleich einen Träger hätte! +Ist denn ihr Geist nicht etwan auf dem Platz? +Er kömmt und hilft den Topf ihr aus der Erde nehmen. +"Ach", rief sie schnell, "ich muß mich schämen, +Sie zu bemühn"--Weg war der Schatz! + + + + + +Die Geschichte von dem Hute +Das erste Buch + +Der erste, der mit kluger Hand, +Der Männer Schmuck, den Hut, erfand, +Trug seinen Hut unaufgeschlagen; +Die Krempen hingen flach herab, +Und dennoch wußt er ihn zu tragen, +Daß ihm der Hut ein Ansehn gab. +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den runden Hut dem nächsten Erben. + +Der Erbe weiß den runden Hut +Nicht recht gemächlich anzugreifen; +Er sinnt, und wagt es kurz und gut, +Er wagts, zwo Krempen aufzusteifen. +Drauf läßt er sich dem Volke sehn; +Das Volk bleibt vor Verwundrung stehn, +Und schreit: Nun läßt der Hut erst schön! + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den aufgesteiften Hut dem Erben. + +Der Erbe nimmt den Hut und schmält. +Ich, spricht er, sehe wohl, was fehlt. +Er setzt darauf mit weisem Mute +Die dritte Krempe zu dem Hute. +O, rief das Volk, der hat Verstand! +Seht, was ein Sterblicher erfand! +Er, er erhöht sein Vaterland. + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den dreifach spitzen Hut dem Erben. + +Der Hut war freilich nicht mehr rein; +Doch sagt, wie konnt es anders sein? +Er ging schon durch die vierten Hände. +Der Erbe färbt ihn schwarz, damit er was erfände. +Beglückter Einfall! rief die Stadt, +So weit sah keiner noch, als der gesehen hat. +Ein weißer Hut ließ lächerlich. +Schwarz, Brüder, schwarz! so schickt es sich. + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den schwarzen Hut dem nächsten Erben. + +Der Erbe trägt ihn in sein Haus, +Und sieht, er ist sehr abgetragen; +Er sinnt, und sinnt das Kunststück aus, +Ihn über einen Stock zu schlagen. +Durch heiße Bürsten wird er rein; +Er faßt ihn gar mit Schnüren ein. +Nun geht er aus, und alle schreien: +Was sehn wir? Sind es Zaubereien? +Ein neuer Hut! O glücklich Land, +Wo Wahn und Finsternis verschwinden! +Mehr kann kein Sterblicher erfinden, +Als dieser große Geist erfand. + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den umgewandten Hut dem Erben. +Erfindung macht die Künstler groß, +Und bei der Nachwelt unvergessen; +Der Erbe reißt die Schnüre los, +Umzieht den Hut mit goldnen Dressen, +Verherrlicht ihn durch einen Knopf, +Und drückt ihn seitwärts auf den Kopf. +Ihn sieht das Volk, und taumelt vor Vergnügen. +Nun ist die Kunst erst hoch gestiegen! +Ihm, schrie es, ihm allein ist Witz und Geist verliehn! +Nichts sind die andern gegen ihn! + +Er starb, und ließ bei seinem Sterben +Den eingefaßten Hut dem Erben. +Und jedesmal ward die erfundne Tracht +Im ganzen Lande nachgemacht. + + +Ende des ersten Buchs. + +Was mit dem Hute sich noch ferner zugetragen, +Will ich im zweiten Buche sagen. +Der Erbe ließ ihm nie die vorige Gestalt. +Das Außenwerk ward neu, er selbst, der Hut, blieb alt. +Und, daß ichs kurz zusammenzieh, +Es ging dem Hute fast, wie der Philosophie. + + + + +Die glückliche Ehe + +Gedankt sei es dem Gott der Ehen! +Was ich gewünscht, hab ich gesehen: +Ich sah ein recht zufriednes Paar; +Ein Paar, das ohne Gram und Reue, +Bei gleicher Lieb und gleicher Treue, +In kluger Ehe glücklich war. +Ein Wille lenkte hier zwo Seelen. +Was sie gewählt, pflegt er zu wählen, +Was er verwarf, verwarf auch sie. +Ein Fall, wo andre sich betrübten, +Stört ihre Ruhe nie. Sie liebten, +Und fühlten nicht des Lebens Müh. + +Da ihn kein Eigensinn verführte, +Und sie kein eitler Stolz regierte: +So herrschte weder sie noch er, +Sie herrschten; aber bloß mit Bitten. +Sie stritten; aber wenn sie stritten, +Kam bloß ihr Streit aus Eintracht her. + +So wie wir, eh wir uns vermählen, +Uns unsre Fehler klug verhehlen, +Uns falsch aus Liebe hintergehn: +So ließen sie auch in den Zeiten +Der zärtlichsten Vertraulichkeiten +Sich nie die kleinsten Fehler sehn. + +Der letzte Tag in ihrem Bunde, +Der letzte Kuß von ihrem Munde +Nahm, wie der erste, sie noch ein. +Sie starben. Wenn?--Wie kannst du fragen? +Acht Tage nach den Hochzeitstagen; +Sonst würden dies nur Fabeln sein. + + + + + +Die Guttat + +Wie rühmlich ists, von seinen Schätzen +Ein Pfleger der Bedrängten sein! +Und lieber minder sich ergetzen, +Als arme Brüder nicht erfreun. +Beaten fiel heut ein Vermögen. +Von Tonnen Golds durch Erbschaft zu. +"Nun", sprach sie, "hab ich einen Segen, +Von dem ich Armen Gutes tu." + +Sie sprachs. Gleich schlich zu seinem Glücke +Ein siecher Alter vor ihr Haus, +Und bat, gekrümmt auf seiner Krücke, +Sich eine kleine Wohltat aus. + +Sie ward durchdrungen von Erbarmen, +Und fühlte recht des Armen Not. +Sie weinte, ging und gab dem Armen +Ein großes Stück verschimmelt Brot. + + + + + +Die junge Ente + +Die Henne führt der Jungen Schar, +Worunter auch ein Entchen war, +Das sie zugleich mit ausgebrütet. +Der Zug soll in den Garten gehn; +Die Alte gibts der Brut durch Locken zu verstehn; +Und jedes folgt, sobald sie nur gebietet, +Denn sie gebot mit Zärtlichkeit. +Die Ente wackelt mit; allein nicht gar zu weit. +Sie sieht den Teich, den sie noch nicht gesehen, +Sie läuft hinein, sie badet sich. +Wie, kleines Tier! Du schwimmst? Wer lehrt es dich? +Wer hieß dich in das Wasser gehen? +Wirst du so jung das Schwimmen schon verstehen? + +Die Henne läuft mit strupfichtem Gefieder +Das Ufer zehnmal auf und nieder, +Und will ihr Kind aus der Gefahr befrein; +Setzt zehnmal an, und fliegt doch nicht hinein; +Denn die Natur heißt sie das Wasser scheun. +Doch nichts erschreckt den Mut der Ente; +Sie schwimmt beherzt in ihrem Elemente, +Und fragt die Henne ganz erfreut, +Warum sie denn so ängstlich schreit? + +---- + +Was dir Entsetzen bringt, bringt jenem oft Vergnügen; +Der kann mit Lust zu Felde liegen, +Und dich erschreckt der bloße Name, Held. +Der schwimmt beherzt auf offnen Meeren; +Du zitterst schon auf angebundnen Fähren, +Und siehst den Untergang der Welt. +Befürchte nichts vor dessen Leben, +Der kühne Taten unternimmt. +Wen die Natur zu der Gefahr bestimmt, +Dem hat sie auch den Mut zu der Gefahr gegeben. + + + + +Die kranke Frau + +Wer kennt die Zahl von so viel bösen Dingen, +Die uns um die Gesundheit bringen! +Doch nötig ists, daß man sie kennenlernt. +Je mehr wir solcher Quellen wissen, +Woraus Gefahr und Unheil fließen; +Um desto leichter wird das Übel selbst entfernt + +---- + +Des Mannes teurer Zeitvertreib, +Sulpitia, ein junges schönes Weib, +Ging munter zum Besuch, krank aber kam sie wieder, +Und fiel halbtot aufs Ruhebette nieder. +Sie röchelt. Wie? Vergißt ihr Blut den Lauf? +Geschwind löst ihr die Schnürbrust auf! +Geschwind! Doch läßt sich dies erzwingen? +Sechs Hände waren zwar bereit; +Doch eine Frau aus ihrem Staat zu bringen, +Wieviel erfordert dies nicht Zeit! +Der arme Mann schwimmt ganz in Tränen; +Mit Recht bestürzt ihn diese Not. +Zu früh ists, nach der Gattin Tod +Im ersten Jahre sich zu sehnen. +Er schickt nach einem Arzt. Ein junger Äskulap +Erscheint sogleich in vollem Trab, +Und setzt sich vor das Krankenbette, +Vor dem er sich so eine Miene gab, +Als ob er für den Tod ein sichres Mittel hätte. +Er fragt den Puls, und da er ihn gefragt, +Schlägt er im Geiste nach, was sein Rezeptbuch sagt, +Und läßt, die Krankheit zu verdrängen, +Sich eilends Dint und Feder bringen. + +Er schreibt. Der Diener läuft. Indessen ruft der Mann +Den so erfahrnen Arzt beiseite, +Und fragt, was doch der Zufall wohl bedeute? +Der Doktor sieht ihn lächelnd an: +"Sie fragen mich, was es bedeuten kann? +Das brauch ich Ihnen nicht zu sagen; +Sie wissen schon, es zeigt viel Gutes an, +Wenn sich die jungen Weiber klagen." + +Den Mann erfreut ein solcher Unterricht. +Die Nacht verstreicht, der Trank ist eingenommen; +Allein der teure Trank hilft nicht. +Drum muß der zweite Doktor kommen. + +Er kömmt! Geduld! Nun werden wirs erfahren. +Was ists? Was fehlt der schönen Frau? +Der Doktor sieht es ganz genau, +Daß sich die Blattern offenbaren. + +Sulpitia! Erst sollst du schwanger sein? +Nun sollst du gar die Blattern kriegen? +Ihr Ärzte schweigt, und gebt ihr gar nichts ein, +Denn einer muß sich doch betrügen. +Nein, überlaßt sie der Natur, +Und dem ihr so getreuen Bette; +Gesetzt, daß sie die schlimmste Krankheit hätte: +So ist sie nicht so schlimm, als eure Kur. + +Geduld! Vielleicht genest sie heute. +Der Mann kömmt nicht von ihrer Seite, +Und eh die Stunde halb verfließt, +Fragt er sie hundertmal, obs noch nicht besser ist? +Ach ungestümer Mann, du nötigst sie zum Sprechen. +Wie? Wird sie nicht das Reden schwächen? +Sie spricht ja mit gebrochnem Ton, +Und an der Sprache hörst du schon, +Daß sich die Schmerzen stets vergrößern. +Bald wird es sich mit deiner Gattin bessern! +Der Tod, der Tod dringt schon herein, +Sie von der Marter zu befrein. + +Wer pocht? Es wird der Doktor sein; +Doch nein, der Schneider kömmt, und bringt ein Kleid getragen. +Sulpitia fängt an, die Augen aufzuschlagen. +"Er kömmt", so stammelt sie. "Er kömmt zu rechter Zeit; +Ist dies vielleicht mein Sterbekleid? +Ja, wie Er sieht, so werd ich bald erblassen; +Doch hätte mich der Himmel leben lassen: +So hätt ich mir ein solches Kleid bestellt, +Von solchem Stoff, als Er, Er wirds schon wissen, +Für meine Freundin machen müssen; +Es ist nichts Schöners auf der Welt. +Als ich zuletzt Besuch gegeben: +So trug sie dieses neue Kleid; +Doch geh Er nur. O kurzes Leben! +Es ist doch alles Eitelkeit!" + +O fasse dich, betrübter Mann! +Du hörst ja, daß dein Weib noch ziemlich reden kann. +O laß die Hoffnung nicht verschwinden! +Der Atem wird sich wieder finden. + +Der Schneider geht, der Mann begleitet ihn, +Sie reden heimlich vor der Türe. +Der Schneider tut die größten Schwüre, +Und eilt, die Sache zu vollziehn. + +Noch vor dem Abend kömmt er wieder. +Sulpitia liegt noch danieder, +Und dankt ihm seufzend für den Gruß. +Allein wer sagt, was doch der Schneider bringen muß? +Er hat es in ein Tuch geschlagen, +Er wickelts aus. O welche Seltenheit! +Dies ist der Stoff, dies ist das reiche Kleid. +Allein was soll es ihr? Sie kann es ja nicht tragen. + +"Ach Engel", spricht der Mann bei sanftem Händedrücken, +"Mein ganz Vermögen gäb ich hin, +Könnt ich dich nur gesund in diesem Schmuck erblicken!" +"O", fängt sie an, "so krank ich bin: +So kann ich Ihnen doch, mein Liebster, nichts versagen. +Ich will mich aus dem Bette wagen; +So können Sie noch heute sehn, +Wie mir das neue Kleid wird stehn." + +Man bringt den Schirm, und sie verläßt das Bette, +So schwach, als ob sie schon ein Jahr gelegen hätte. +Man putzt sie an, geputzt trinkt sie Kaffee. +Kein Finger tut ihr weiter weh. +Der Krankheit Grund war bloß ein Kleid gewesen, +Und durch das Kleid muß sie genesen. +So heilt des Schneiders kluge Hand +Ein Übel, das kein Arzt gekannt. + + + + + +Die Mißgeburt + +"Frau Orgon!" rief die Frau Gevatterin, +"Ach wüßten Sie, wo ich gewesen bin! +Ich will es Ihnen wohl entdecken; +Allein Sie müssen nicht erschrecken. +Ich komme gleich von einer Wöchnerin. +Lucinde, daß ichs kurz erzähle, +Lucinde, die so stolze Seele, +Die uns durch ihren Staat so oft beschämt gemacht +Erschrecken Sie nur nicht, hat in vergangner Nacht +Ein Kind (verzeih mirs Gott!) mit langen Hasenohren, +Ein recht abscheulich Kind geboren. +Die stolze Frau! Ich richte nicht; +Allein ich weiß, daß nichts umsonst geschieht. +Lucinde wünscht, daß es verschwiegen bliebe; +Ich wünsch es selbst aus Menschenliebe; +Allein die Stadt erfährts, gedenken Sie an mich. +Indes behalten Sie die Heimlichkeit für sich." +Frau Orgon eilt von ihr erschrocken zu Dorinden. +Sie fragt nach ihrem Wohlbefinden, +Und schmäht mit ihr die Weiber, die gern schmähn. +Wie? Sollte sie Dorinden nichts erzählen? +Nein, denn sie fängt schon an sich bestens zu empfehlen. +Warum muß der Besuch so bald zu Ende gehn? +Vielleicht, weil beide sich von nichts zu reden schämen. +Deswegen? Nein, das glaub ich nicht. +Wie sollten dies sich Weiber übelnehmen? +Da mancher große Mann, gelehrt von Angesicht, +Oft tagelang von nichts mit großen Männern spricht. + +So ist Frau Orgon schon gegangen? +Noch nicht. Nun aber geht sie fort. +Doch seht, sie kehrt sich um: "Frau Schwester, noch ein Wort, +Ein Wort! Es soll mich sehr verlangen, +Ob Sie--? Lucinde--Wie? Sie hätten nichts gehört? +Nichts, Gott vergib mir meine Sünde! +Nichts von der Mißgeburt der kostbaren Lucinde, +Mit welcher sie die Welt beschwert? +Hier sieht man recht die göttlichen Gerichte. +Ein Kind mit härichtem Gesichte, +Das einem Hasen gleicht, und einem Pferdefuß, +Bedenken Sie, wie das erschrecklich lassen muß! +Allein Lucinde wills verhehlen; +Drum sagen Sie nur weiter nichts davon. +Das arme Kind! Es ist ein Sohn." + +Dorinde sagts ihr zu. Und doch soll mirs nicht fehlen, +Sie wird die Neuigkeit, sobald sie kann, erzählen, +Weil jene sie, zu schweigen, bat. +Sie tut es so getreu, als es Frau Orgon tat. +Erst hat das Kind nur Hasenohren, +Frau Orgon schenkt ihm drauf noch einen Pferdefuß; +Allein Dorinden ists noch viel zu schön geboren. +Und weil sie was verbessern muß, +Tut sie dem Kinde den Gefallen +Und macht ihm noch an beide Hände Krallen. + +Eh noch der Nachmittag verstrich, +Ließ das Geheimnis sich auf allen Gassen hören. +Die alten Mütter kreuzten sich, +Und suchten schon recht mütterlich +Durch dieses Zorngericht die Töchter zu bekehren. +Da war kein Mensch, der nicht mit einem Ach +Von diesem Wechselbalge sprach. +Die Knaben stritten selbst mit blutigem Gesichte +Schon für die Wahrheit der Geschichte. + +Sobald als dies der Magistrat erfuhr, +Schickt er den Physikus nach dieser Kreatur. +Er kam neugierig zu Lucinden; +Allein anstatt den Wechselbalg zu finden, +Fand er ein wohlgestaltes Kind, +An dem die Ohren größer waren, +Als sie bei andern Kindern sind. +Das war die Mißgeburt, der man so mitgefahren! + +---- + +Der Dörfer und der Städte Plage, +Verwünscht seist du, gemeine Sage! +Die schnell mit dem, was sie zu wissen kriegt, +Geheimnisvoll in alle Häuser fliegt, +Und, wenn sies dreimal sagt, vom neuen dreimal lügt. +Ein giftig Weib, was kann die nicht erzählen? +Zumal, wenn es der armen Freundin gilt. +Ein giftig Weib--Doch nein, ich mag nicht schmälen; +Mich schreckt die Redekunst, mit der sie andre schilt. + +Die Nachtigall und der Kuckuck + +Die Nachtigall sang einst ihr göttliches Gedicht, +Zu sehn, ob es die Menschen fühlten. +Die Knaben, die im Tale spielten, +Die spielten fort und hörten nicht. +Indem ließ sich der Kuckuck lustig hören, +Und er erhielt ein freudig Ach. +Die Knaben lachten laut, und machten ihm zu Ehren +Das schöne Kuckuck zehnmal nach. +"Hörst du?" sprach er zu Philomelen, +"Den Herren fall ich recht ins Ohr. +Ich denk, es wird mir nicht viel fehlen, +Sie ziehn mein Lied dem deinen vor." +Drauf kam Damöt mit seiner Schöne. +Der Kuckuck schrie sein Lied. Sie gingen stolz vorbei. +Nun sang die Meisterin der zauberischen Töne +Vor dem Damöt und seiner Schöne, +In einer sanften Melodei. +Sie fühlten die Gewalt der Lieder. +Damöt steht still, und Phyllis setzt sich nieder, +Und hört ihr ehrerbietig zu. +Ihr zärtlich Blut fängt an zu wallen; +Ihr Auge läßt vergnügte Zähren fallen. +"O", rief die Nachtigall, "da, Schwätzer, lerne du, +Was man erhält, wenn man den Klugen singt. +Der Ausbruch einer stummen Zähre +Bringt Nachtigallen weit mehr Ehre, +Als dir der laute Beifall bringt." + + + + +Die Nachtigall und die Lerche + +Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst; +Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst, +Die Blätter in den Gipfeln schwiegen, +Und fühlten ein geheim Vergnügen. +Der Vögel Chor vergaß der Ruh, +Und hörte Philomelen zu. +Aurora selbst verzog am Horizonte, +Weil sie die Sängerin nicht gnug bewundern konnte. +Denn auch die Götter rührt der Schall +Der angenehmen Nachtigall; +Und ihr, der Göttin, ihr zu Ehren, +Ließ Philomele sich noch zweimal schöner hören. +Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr, +Und spricht: "Du singst viel reizender als wir; +Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen: +Doch eins gefällt uns nicht an dir, +Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen." +Doch Philomele lacht und spricht: +"Dein bittrer Vorwurf kränkt mich nicht, +Und wird mir ewig Ehre bringen. +Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schön zu singen. +Ich folg im Singen der Natur; +Solange sie gebeut, solange sing ich nur; +Sobald sie nicht gebeut, so hör ich auf zu singen; +Denn die Natur läßt sich nicht zwingen." + +---- + +O Dichter, denkt an Philomelen, +Singt nicht, solang ihr singen wollt. +Natur und Geist, die euch beseelen, +Sind euch nur wenig Jahre hold. +Soll euer Witz die Welt entzücken: +So singt, solang ihr feurig seid, +Und öffnet euch mit Meisterstücken +Den Eingang in die Ewigkeit. +Singt geistreich der Natur zu Ehren, +Und scheint euch die nicht mehr geneigt: +So eilt, um rühmlich aufzuhören, +Eh ihr zu spät mit Schande schweigt. +Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen? +Er bindet sich an keine Zeit. +So fahrt denn fort, noch alt zu singen, +Und singt euch um die Ewigkeit. + + + + +Die Reise + +Einst machte durch sein ganzes Land +Ein König den Befehl bekannt, +Daß jeder, der ein Amt erhalten wollte, +Gewisse Zeit auf Reisen gehen sollte, +Um sich in Künsten umzusehn. +Er ließ genaue Karten stehen, +Und gab dazu noch jedem das Versprechen, +Ihm, würd er nur, soweit er könnte, gehn, +Mit dem Vermögen seiner Schätze +Alsdann auf Reisen beizustehn. +Es war das deutlichste Gesetze, +Das jemals noch die Welt gesehn; +Doch weil die meisten sich vor dieser Reise scheuten: +So sah man viele Dunkelheit. +Die Liebe zu sich selbst, und zur Bequemlichkeit, +Half das Gesetz sehr sinnreich deuten; +Und jeder gab ihm den Verstand, +Den er bequem für seine Neigung fand; +Doch alle waren eins, daß man gehorchen müßte. +Man machte sich die Karten bald bekannt, +Damit man doch der Länder Gegend wüßte. +Sehr viele reisten nur im Geist, +Und überredten sich, als hätten sie gereist. +Noch andre schafften das Geräte +Zu ihrer Reise fleißig an, +Und glaubten, wenn man nur stets reisefertig täte: +So hätte man die Reise schon getan. +Sehr viele fingen an zu eilen, +Als wollten sie die ganze Welt durchgehn; +Sie reisten; aber wenig Meilen, +Und meinten, dem Befehl sei nun genug geschehn. +Noch andre suchten auf den Reisen +Noch mehr Gehorsam zu beweisen, +Als den, den das Gesetz befahl; +Sie reisten nicht durch grüne Felder, +O nein, sie suchten finstre Wälder, +Und reisten unter Furcht und Qual; +Behängten sich mit schweren Bürden, +Und glaubten, wenn sie ausgezehrt, +Und siech und krank zurückekommen würden: +So wären sie des besten Amtes wert; +Sie reisten nie auf Kosten des Regenten; +Doch jene, die zur Zeit noch keinen Schritt getan, +Die hielten Tag für Tag um Reisekosten an, +Damit sie weiterkommen könnten. + +---- + +Wie elend, hör ich manchen klagen, +Ist nicht dies Märchen ausgedacht! +Schämt sich der Dichter nicht, uns Dinge vorzusagen, +Die man kaum Kindern glaublich macht? +Wo gibt es wohl so stumpfe Köpfe, +Als uns der Dichter vorgestellt? +Dies sind unsinnige Geschöpfe, +Und nicht Bewohner unsrer Welt. +O Freund! was zankst du mit dem Dichter? +Sieh doch die meisten Christen an; +Betrachte sie, und dann sei Richter, +Ob dieses Bild unglaublich heißen kann? + + + + +Die schlauen Mädchen + +Zwei Mädchen brachten ihre Tage +Bei einer alten Base zu. +Die Alte hielt zu ihrer Muhmen Plage +Sehr wenig von der Morgenruh. +Kaum krähte noch der Hahn bei frühem Tage: +So rief sie schon: "Steht auf, ihr Mädchen, es ist spät, +Der Hahn hat schon zweimal gekräht." +Die Mädchen, die so gern noch mehr geschlafen hätten, +Denn überhaupt sagt man, daß es kein Mädchen gibt, +Die nicht den Schlaf und ihr Gesichte liebt, +Die wunden sich in ihren weichen Betten, +Und schwuren dem verdammten Hahn +Den Tod, und taten ihm, da sie die Zeit ersahn, +Den ärgsten Tod rachsüchtig an. + +Ich habs gedacht, du guter Hahn! +Erzürnter Schönen ihrer Rache +Kann kein Geschöpf so leicht entfliehn. +Und ihren Zorn sich zuzuziehn, +Ist leider ein leichte Sache. + +Der arme Hahn war also aus der Welt. +Vergebens nur ward von der Alten +Ein scharf Examen angestellt. +Die Mädchen taten fremd, und schalten +Auf den, der diesen Mord getan, +Und weinten endlich mit der Alten +Recht bitterlich um ihren Hahn. + +Allein was halfs den schlauen Kindern? +Der Tod des Hahns sollt ihre Plage mindern, +Und er vermehrte sie noch mehr. +Die Base, die sie sonst nicht eh im Schlafe störte, +Als bis sie ihren Haushahn hörte, +Wußt in der Nacht itzt nicht, um welche Zeit es wär; +Allein weil es ihr Alter mit sich brachte, +Daß sie um Mitternacht erwachte: +So rief sie die auch schon um Mitternacht, +Die, später aufzustehn, den Haushahn umgebracht. + +---- + +Wärst du so klug, die kleinen Plagen +Des Lebens willig auszustehn: +So würdest du dich nicht so oft genötigt sehn, +Die größern Übel zu ertragen. + + + + +Die Spinne + +Hochmütig über ihre Künste, +Warf vom durchsichtigen Gespinste +Die Spinne manchen finstern Blick +Auf einen Seidenwurm zurück; +So aufgebläht, wie ein Pedant, +Der itzt, von seinem Wert erhitzet, +In Werken seiner eignen Hand +Bis an den Bart vergraben sitzet, +Und auf den Schüler, der ihn grüßt, +Den Blick mit halben Augen schießt. +Der Seidenwurm, den erst vor wenig Tagen +Der Herr zur Lust mit sich ins Haus getragen, +Sieht dieser Spinne lange zu, +Und fragt zuletzt: "Was webst denn du?" +"Unwissender!" läßt sich die Spinn erbittert hören, +"Du kannst mich noch durch solche Fragen stören? +Ich webe für die Ewigkeit!" + +Doch kaum erteilet sie den trotzigen Bescheid: +So reißt die Magd, mit Borsten in den Händen, +Von den noch nicht geputzten Wänden +Die Spinne nebst der Ewigkeit. + +---- + +Die Kunst sei noch so groß, die dein Verstand besitzet, +Sie bleibt doch lächerlich, wenn sie der Welt nicht nützet. +Verdient, ruft ein Pedant, mein Fleiß denn keinen Dank? +Nein! Denn er hilft nichts mehr, als andrer Müßiggang. + + + + +Die Verschwiegenheit + +"O Doris, wärst du nur verschwiegen: +So wollt ich dir etwas gestehn; +Ein Glück, ein ungemein Vergnügen-- +Doch nein, ich schweige", sprach Tiren. +"Wie?" rief die schöne Schäferin, +"Du zweifelst noch, ob ich verschwiegen bin? +Du kannst mirs sicher offenbaren; +Ich schwör, es solls kein Mensch erfahren." +"Du kennst", versetzt Tiren, "die spröde Sylvia, +Die schüchtern vor mir floh, sooft sie mich sonst sah. +Ich komme gleich von dieser kleinen Spröden; +Doch, ach, ich darf nicht weiterreden. +Nein, Doris, nein, es geht nicht an; +Es wär um ihre Gunst, und um mein Glück getan, +Wenn Sylvia dereinst erführe, +Daß--Dringe nicht in mich, ich halte meine Schwüre." + +"So liebt sie dich?" fuhr Doris fort. +"Jawohl! Doch sage ich kein Wort. +Ich hab ihr Herz nun völlig eingenommen, +Und itzt von ihr den ersten Kuß bekommen. +›Tiren‹, sprach sie zu mir, ›mein Herz sei ewig dein; +Doch eines bitt ich dich, du mußt verschwiegen sein. +Daß wir uns günstig sind, uns treu und zärtlich küssen, +Braucht niemand auf der Flur als ich und du zu wissen.‹ +Drum bitt ich, Doris, schweige ja, +Sonst flieht und haßt mich Sylvia." + +Die kleine Doris geht. Doch wird auch Doris schweigen? +Ja, die Verschwiegenheit ist allen Schönen eigen. +Gesetzt, daß Doris auch es dem Damöt vertraut; +Was ist es denn nun mehr? Sie sagt es ja nicht laut. + +Ihr Schäfer, ihr Damöt, kömmt ihr verliebt entgegen, +Drückt ihre weiche Hand, und fragt, +Was ihr sein Freund Tiren gesagt? + +"Damöt, du weißt ja wohl, was wir zu reden pflegen, +Du kennst den ehrlichen Tiren; +Es war nichts Wichtiges, sonst würd ich dirs gestehn. +Er sagte mir--Verlang es nicht zu wissen; +Ich hab es ihm versprechen müssen, +Daß ich zeitlebens schweigen will." + +Damöt wird traurig, schweiget still, +Umarmt sein Kind, doch nur mit halbem Feuer. +Die Schäferin erschrickt, daß sie Damötens Kuß +So unvollkommen schmecken muß. +"Du zürnest", ruft sie, "mein Getreuer? +O zürne nicht, ich will es dir gestehn: +Die spröde Sylvia ergibt sich dem Tiren, +Und hat ihm itzt in ihrem Leben +Den allerersten Kuß gegeben; +Allein du mußt verschwiegen sein." + +Damöt versprichts. Kaum ist Damöt allein: +So fühlt er schon die größte Pein, +Sein neu Geheimnis zu bewahren. +"Ja!" fängt Damöt zu singen an: +"Ich will es keinem offenbaren, +Daß Sylvia Tirenen liebt, +Ihm Küsse nimmt, und Küsse gibt; +Du, stummer Busch, nur sollsts erfahren, +Wen Sylvia verstohlen liebt." + +Doch ach! In diesem Busch war unsre Sylvia, +Die sich durch dieses Lied beschämt verraten sah; +Und eine Heimlichkeit so laut erfahren mußte, +Die, ihrer Meinung nach, nur ihr Geliebter wußte. +Sie läuft, und sucht den Schwätzer, den Tiren. +Ach, Schäfer, ach, wie wird dirs gehn! +"Mich", fängt sie an, "so zu betrügen! +Dich, Plaudrer, sollt ich länger lieben?" + +Und kurz: Tiren verliert die schöne Schäferin, +Und kömmt, Damöten anzuklagen. +"Ja", spricht Damöt, "ich muß es selber sagen, +Daß ich nicht wenig strafbar bin; +Allein wie kannst du mich den größten Schwätzer nennen? +Du hast ja selbst nicht schweigen können!" + + + + + +Die Widersprecherin + +Lene hatte noch, bei vielen andern Gaben, +Auch diese, daß sie widersprach. +Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach, +Daß alle diese Tugend haben; +Doch wenns auch tausendmal der ganze Weltkreis spricht: +So halt ichs doch für ein Gedicht, +Und sag es öffentlich, ich glaub es ewig nicht. +Ich bin ja auch mit mancher Frau bekannt, +Ich hab es oft versucht, und manche schön genannt, +So häßlich sie auch war, bloß, weil ich haben wollte, +Daß sie mir widersprechen sollte; +Allein sie widersprach mir nicht. +Und also ist es falsch, daß jede widerspricht. +So kränkt man euch, ihr guten Schönen! +Itzt komm ich wieder zu Ismenen. +Ismenen sagte mans nicht aus Verleumdung nach, +Es war gewiß, sie widersprach: + +Einst saß sie mit dem Mann bei Tische, +Sie äßen unter andern Fische, +Mich deucht, es war ein grüner Hecht. +"Mein Engel", sprach der Mann, "mein Engel, ist mir recht: +So ist der Fisch nicht gar zu blau gesotten." +"Das", rief sie, "habe ich wohl gedacht, +So gut man auch die Anstalt macht: +So finden Sie doch Grund, der armen Frau zu spotten. +Ich sag es Ihnen kurz, der Hecht ist gar zu blau." +"Gut", sprach er, "meine liebe Frau, +Wir wollen nicht darüber streiten, +Was hat die Sache zu bedeuten?" + +So wie dem welschen Hahn, dem man was Rotes zeigt, +Der Zorn den Augenblick in Nas und Lefzen steigt, +Sie rot und blau durchströmt, lang auseinandertreibet, +In beiden Augen blitzt, sich in den Flügeln streibet, +In alle Federn dringt, und sie gen Himmel kehrt, +Und zitternd, mit Geschrei und Poltern, aus ihm fährt: +So schießt Ismenen auch, da dies ihr Liebster spricht, +Das Blut den Augenblick in ihr sonst blaß Gesicht; +Die Adern liefen auf, die Augen wurden enger, +Die Lippen dick und blau, und Kinn und Nase länger, +Ihr Haar bewegte sich, stieg voller Zorn empor, +Und stieß, indem es stieg, das Nachtzeug von dem Ohr. +Drauf fing sie zitternd an: "Ich, Mann! ich, deine Frau, +Ich sag es noch einmal, der Hecht war gar zu blau." +Sie nimmt das Glas und trinkt. O laßt sie doch nicht trinken! + +Ihr Liebster geht, und sagt kein Wort, +Kaum aber ist ihr Liebster fort: +So sieht man sie in Ohnmacht sinken. +Wie konnt es anders sein. Gleich auf den Zorn zu trinken! +Ein plötzliches Geschrei bewegt das ganze Haus, +Man bricht der Frau die Daumen aus; +Man streicht sie kräftig an; kein Balsam will sie stärken. +Man reibt ihr Schlaf und Puls; kein Leben ist zu merken. +Man nimmt vermengtes Haar und hälts ihr vors Gesicht. +Umsonst! Umsonst! Sie riecht es nicht; +Nichts kann den Geist ihr wiedergeben. +Man ruft den Mann, er kömmt, und schreit: "Du stirbst, mein Leben! +Du stirbst? Ich armer Mann! Ach, meine liebe Frau, +Wer hieß mich dir doch widerstreben! +Ach, der verdammte Fisch! Gott weiß, er war nicht blau." +Den Augenblick bekam sie wieder Leben. +"Blau war er", rief sie aus, "willst du dich noch nicht geben?" + +So tat der Geist des Widerspruchs +Mehr Würkung, als die Kraft des heftigsten Geruchs. + + + + + +Die zärtliche Frau + +Wie alt ist nicht der Wahn, wie alt und ungerecht, +Als ob dir, weibliches Geschlecht! +Die Liebe nicht von Herzen ginge? +Das Alter sang in diesem Ton, +Von seinem Vater hörts der Sohn, +Und glaubt die ungereimten Dinge. +Verlaßt, o Männer, diesen Wahn, +Und daß ihr ihn verlaßt, so hört ein Beispiel an, +Das ich für alle Männer singe. +Du aber, die mich dichten heißt, +Du, Liebe, stärke mich, daß mir ein Lied voll Geist, +Ein überzeugend Lied gelinge, +Und gib mir, zu gesetzter Zeit, +Ein Weib von so viel Zärtlichkeit, +Als diese war, die ich besinge! + +---- + +Clarine liebt den treusten Mann, +Den sie nicht besser wünschen kann, +Sie liebt ihn recht von Herzensgrunde. +Und wenn dir dies unglaublich scheint: +So wisse nur, seit der beglückten Stunde, +Die sie mit ihrem Mann vereint, +War noch kein Jahr vorbei; nun glaubst dus doch, mein Freund? +Clarine kannte keine Freude, +Kein größer Glück, als ihren Mann; +Sie liebte, was er liebgewann, +Was eines wollte, wollten beide; +Was ihm mißfiel, mißfiel auch ihr. +O, sprichst du, so ein Weib, so eines wünscht ich mir! +Jawohl! ich wünsch es auch mit dir. +Sei nur recht zärtlich eingenommen; +Ihr Mann wird krank; vielleicht kannst du sie noch bekommen. +Krank, sag ich, wird ihr Mann, und recht gefährlich krank; +Er quält sich viele Tage lang, +Von ganzen Strömen Schweiß war sein Gesicht umflossen; +Doch noch von Tränen mehr, die sie um, ihn vergossen. +"Tod!" fängt sie ganz erbärmlich an, +"Tod wenn ich dich erbitten kann, +Nimm lieber mich, als meinen Mann." +Wenns nun der Tod gehöret hätte? +Jawohl! Er hört es auch; er hört Clarinens Not, +Er kömmt, und fragt: "Wer rief?"--"Hier!" schreit sie, "lieber Tod, +Hier liegt er, hier in diesem Bette!" + + + + + +Elpin + +Ein Großer in Athen, der kein Verdienst besaß, +Als daß er vornehm trank und aß, +Und sein Geschlecht zu rühmen nie vergaß, +Verlangte doch den Ruhm zu haben, +Als hätt er wirklich große Gaben. +Denn mancher, der, wenn ihn nicht die Geburt erhöht, +Da stünde, wo sein Christoph steht, +Und kaum zum Diener tüchtig wäre, +Hält desto mehr auf Ruhm und Ehre, +Je dreister sich sein Herz, trotz seinem Stolz, erkühnt; +Und ihm oft sagt, daß er sie nicht verdient. +In eben dieser Stadt, in der der Große wohnte, +War ein Poet, der die Verdienste pries, +Die Tugend durch sein Lied belohnte, +Und durch sein Lied unsterblich werden hieß; +Den bat Elpin, ihn zu besingen. +"Sie können", sprach der große Mann, +"Durch meinen Namen sich zugleich in Ansehn bringen." + +"Mein Herr,", rief der Poet, "es geht unmöglich an. +Ich hab aus Eigensinn einst ein Gelübd getan, +Nur das Verdienst und nie den Namen zu besingen." + + + + + +Emil + +Emil, der seit geraumer Zeit, +Den Klugen wohl bekannt, bei seinen Büchern lebte, +Und mehr nach der Geschicklichkeit +Zu einem Amt, als nach dem Amte strebte, +Ward einst von einem Freund gefragt, +Warum er denn kein Amt noch hätte, +Da doch die ganze Stadt so rühmlich von ihm redte, +Und mancher sich vor ihm schon in ein Amt gewagt, +Der nicht den zehnten Teil von seinen Gaben hätte? +"Ich", sprach Emil, "will lieber, daß man fragt, +Warum man mich doch ohn ein Amt läßt leben, +Als daß man fragt: warum man mir ein Amt gegeben?" + + + + + +Epiktet + +Verlangst du ein zufriednes Herz: +So lern die Kunst, dich stoisch zu besiegen, +Und glaube fest, daß deine Sinnen trügen. +Der Schmerz ist in der Tat kein Schmerz, +Und das Vergnügen kein Vergnügen. +Sobald du dieses glaubst: so nimmt kein Glück dich ein, +Und du wirst in der größten Pein +Noch allemal zufrieden sein. +Das, sprichst du, kann ich schwer verstehen. +Ist auch die stolze Weisheit wahr? +Du sollst es gleich bewiesen sehen; +Denn Epiktet stellt dir ein Beispiel dar. +Ihn, als er noch ein Sklave war, +Schlug einst sein Herr mit einem starken Stabe +Zweimal sehr heftig auf das Bein. +"Herr", sprach der Philosoph, "ich bitt Ihn, laß Ers sein, +Denn sonst zerschlägt Er mir das Bein." +"Gut, weil ich dirs noch nicht zerschlagen habe: +So soll es", rief der Herr, "denn gleich zerschlagen sein!" +Und drauf zerschlug er ihm das Bein; +Doch Epiktet, anstatt sich zu beklagen, +Fing ruhig an: "Da sieht Ers nun! +Hab ichs Ihm nicht gesagt, Er würde mirs zerschlagen?" + +---- + +Dies, Mensch, kann Zenons Weisheit tun! +Besiege die Natur durch diese starken Gründe. +Und willst du stets zufrieden sein: +So bilde dir erhaben ein, +Lust sei nicht Lust, und Pein nicht Pein. +Allein, sprichst du, wenn ich das Gegenteil empfinde, +Wie kann ich dieser Meinung sein? +Das weiß ich selber nicht; indessen klingts doch fein, +Trotz der Natur sich stets gelassen sein. + + + + +Erast + +Dorant, ein reicher Mann, der weiter keinen Erben, +Als einen Vetter hinterließ, +Der reicher war als er, und keinem Guts erwies, +Dorant beschloß bei seinem Sterben, +An seines Vetters Statt Erasten zu erfreun, +Und setzte diesen Freund, ders würdig war, zum Erben +Von zwanzigtausend Talern ein. +Der Vetter, der die Stadt recht giftig überredte, +Als ob Erast, der so rechtschaffne Mann, +Das Testament erschlichen hätte, +Fing einen Streit um dies Vermögen an, +Und lief, von Neid und Geiz gedrungen, +Mit schrecklichen Beschuldigungen, +Und mit Geschenken vor Gericht; +Allein sooft auch die das Recht erzwungen: +So siegten sie doch diesmal nicht. + +Erast gewann. "Doch dich", spricht er, "zu überführen, +Ob ich das Testament mit List an mich gebracht: +So will ich das, was mir mein Freund vermacht, +Nachdem ich es gewann, verlieren. +Die Hälfte schenk ich dir, um dich zu widerlegen. +Zweitausend Taler sollen mein; +Und das noch übrige Vermögen +Soll ein Geschenk für arme Waisen sein. +Verdien ich noch den schrecklichen Verdacht, +Daß ich das Testament mit List an mich gebracht?" + + + + + +Herodes und Herodias + +Freund, wer ein Laster liebt, der liebt die Laster alle. +Wer ein Gesetz der Tugend übertritt, +Entheiligt in dem einen Falle +Im Herzen auch die andern mit. +O sprichst du, welche Sittenlehre +Gibt euch der Geist der Schwermut ein! +Gesetzt, daß ich der Wollust dienstbar wäre, +Werd ich deswegen wohl der Mordsucht eigen sein? +Ich glaub es, lieber Freund, du wirst es mir verzeihn; +Schrift und Vernunft behaupten diese Lehre. +Der Witz, der dich die Wahrheit lehrt, +Die Hurerei sie kein Verbrechen, +Wird, wenns dein Vorteil nur begehrt, +Das Wort zugleich der Mordsucht sprechen. +Auf einmal wird man nie der größte Bösewicht; +Allein den Grund dazu kann man auf einmal legen. +Verletze nur mit Vorsatz eine Pflicht: +So hast du schon das schreckliche Vermögen, +Wodurch dein Herz die andern bricht. +Warum gehorchst du den Gesetzen? +Weil Gott, der Heilige, der deine Wohlfahrt liebt, +Sie den Vernünftigen zu ihrer Wohlfahrt gibt. +Doch darfst du ein Gebot verletzen: +So schwächst du ja den Grund, auf dem sie alle stehn. +Was kann sich dir denn widersetzen, +Dich nicht an allen zu vergehn? +O merk es doch, noch unschuldsvolle Jugend! +Ich bitte dich, o merk es dir! +Es gibt nicht mehr als eine Tugend, +Und als ein Laster neben ihr. +Hast du den Vorsatz nicht, nach allen heilgen Pflichten, +Dich in und außer dir zu richten: +So prange hier und da mit guter Eigenschaft, +Dein Herz ist doch nicht tugendhaft. +Sooft dus wagst, nur eins von den Gesetzen, +Weil es dein Herz verlangt, mit Vorsatz zu verletzen: +So schwächst du aller Tugend Kraft, +Und bist bei hundert guten Taten, +Die Hoffnung oder Furcht, Ruhm und Natur dir raten, +Vor Gott und der Vernunft doch völlig lasterhaft. + +O Jugend! faß doch diese Lehren, +Itzt ist dein Herz geschickt dazu. +Dem kleinsten Laster vorzuwehren, +Die Tugend ewig zu verehren, +Sei niemand eifriger als du. +Durch sie steigst du zum göttlichen Geschlechte, +Und ohne sie sind Könige nur Knechte. +Sie macht dir erst des Lebens Anmut schön. +Sie wird bei widrigem Geschicke +Dich über dein Geschick erhöhn. +Sie wird im letzten Augenblicke, +Wenn alle traurig von dir gehn, +In himmlischer Gestalt zu deiner Seite stehn, +Und in die Welt der selgen Herrlichkeiten +Den Geist, weil sie ihn liebt, begleiten. +Sie wird dein Schmuck vor jenen Geistern sein, +Die sich schon auf dein Glück und deinen Umgang freun. +O Mensch! ist dir dies Glück zu klein, +Um strenge gegen dich zu sein? + +Nunmehr mag uns ein wahres Beispiel lehren, +Wie alle Laster sich von einem Laster nähren. + +---- + +Herodias, wie uns die Schrift erzählt, +Brach dem die Treu, mit dem sie sich vermählt, +Und hing an seines Bruders Seite +Der Neigung nach, die auch ein Heide scheute; +Und die der Hof, der gern mit Worten spielt, +Für Zärtlichkeit und nicht für Unzucht hielt. +Doch laßt die Schmeichler knechtisch sprechen. +Johannes kömmt an Hof. Kein Thron verblendet ihn, +Von dem das Laster strahlt. Er sieht es, und spricht kühn: +"Du hast des Bruders Weib; dies, Fürst, ist ein Verbrechen." +So redt ein Mann, aus dem der Geist der Tugend spricht. +Zur Niederträchtigkeit reizt ihn der Thron zu wenig. +Er fürchtet Gott mehr als den König, +Und hält den Mut für seine größte Pflicht, +Wenn er zu dessen Ehre spricht, +Von dem mit uns die Könige der Erden +Aus gleichem Staub gebildet werden. + +So dreist sprach Zachariä Sohn; +Allein der Kerker ward sein Lohn. +Ein Widerruf könnt ihn daraus erretten; +Doch nein, ein Tugendfreund liegt lieber frei an Ketten, +Als sklavisch um der Fürsten Thron. +So frei indes Johannes auch gesprochen: +So blieb er doch dem Fürsten wert. +Denn selber der, der jede Pflicht gebrochen, +Wird durch ein Herz gereizt, das Gott und Tugend ehrt; +Ein heimliches Gefühl heißt ihn dies Herz noch lieben, +Und sich, daß ers nicht hat, noch hassen kann, betrüben. + +Und also scheint der Fürst noch tugendhaft zu sein, +Sosehr ihn auch sein Laster eingenommen. +Wenn er unzüchtig ist, ist er drum grausam? Nein; +Doch laßt nur einen Umstand kommen: +So wird ers doch aus Wollust sein. +Kein Laster herrscht jemals allein. +Und du begingst vielleicht, wie er, das größte, +Wärst du zum größten nicht zu klein. + +Der Fürstin Tochter tanzt an einem Freudenfeste. +Der Hof bewundert sie. Herodes wird entzückt, +Und fühlt, indem er sie erblickt, +Der Mutter Blick in ihrer Tochter Blicke. +Er winkt der Salome: "Gebeut itzt deinem Glücke, +Und bitte, was du willst! Für meine Lieb und dich +Ist nichts zu groß, und nichts zu königlich." + +Die Tochter eilt mit frohen Schritten +Zu der Herodias, und fragt: "Was soll ich bitten?" +"Bitt um des Täufers trotzig Haupt!" +O Gott! wer hätte das geglaubt? +Ist für ein weiches Herz, und für verbuhlte Blicke, +Ein blutig Haupt ein reizungsvolles Glücke? +Ein Weib, das sonst die kleinsten Schmerzen scheut, +Findt, da die Wollust ihr gebeut, +Selbst Wollust in der Grausamkeit? +Und lehrt zugleich die Tochter ein Verbrechen? + +Herodes hört den Wunsch, erschrickt und wird betrübt, +Weil er den frommen Täufer liebt; +Allein der Fürstenstolz weist ihn auf sein Versprechen. +Hats nicht der Hof gehört? Bist du nicht Herr und Fürst? +Wird sich Herodias nicht gleich durch Kaltsinn rächen, +Wofern du nicht den Wunsch erfüllen wirst? +Gebeut, sprach seine Brunst, und eilig willigt er +In dieses grausame Vergnügen. +Man bringt des Täufers Haupt auf einer Schüssel her. + +Hier siehst du ja, wie bald nach leichter Gegenwehr +In einem Laster alle siegen! + + + + + +Inkle und Yariko + +Die Liebe zum Gewinst, die uns zuerst gelehrt, +Wie man auf leichtem Holz durch wilde Fluten fährt; +Die uns beherzt gemacht, das liebste Gut, das Leben, +Der ungewissen See auf Brettern preiszugeben; +Die Liebe zum Gewinst, der deutliche Begriff +Von Vorteil und Verlust, trieb Inklen auf ein Schiff. +Er opferte der See die Kräfte seiner Jugend; +Denn Handeln war sein Witz, und Rechnen seine Tugend. +Ihn lockt das reiche Land, das wir durchs Schwert bekehrt, +Das wir das Christentum und unsern Geiz gelehrt. +Er sieht Amerika; doch nah an diesem Lande +Zerreißt der Sturm sein Schiff. Zwar glückt es ihm, am Strande +Dem Tode zu entgehn; allein der Wilden Schar +Fiel auf die Briten los; und wer entkommen war, +Den fraß ihr hungrig Schwert. Nur Inkle soll noch leben; +Die Flucht in einen Wald muß ihm Beschirmung geben. +Vom Laufen atemlos, wirft, mit verwirrtem Sinn, +Der Brite sich zuletzt bei einem Baume hin; +Umringt mit naher Furcht und ungewissem Grämen, +Ob Hunger oder Schwert ihm wird das Leben nehmen? + +Ein plötzliches Geräusch erschreckt sein schüchtern Ohr. +Ein wildes Mädchen springt aus dem Gebüsch hervor, +Und sieht mit schnellem Blick den Europäer liegen. +Sie stutzt. Was wird sie tun? Bestürzt zurücke fliegen? +O nein! so streng und deutsch sind wilde Schönen nicht. +Sie sieht den Fremdling an; sein rund und weiß Gesicht, +Sein Kleid, sein lockicht Haar, die Anmut seiner Blicke +Gefällt der Schönen wohl, hält sie mit Lust zurücke. + +Auch Inklen nimmt dies Kind bei wilder Anmut ein. +Unwissend in der Kunst, durch Zwang verstellt zu sein, +Verrät sie durch den Blick die Regung ihrer Triebe; +Ihr Auge sprach von Gunst und bat um Gegenliebe. +Die Indianerin war liebenswert gebaut. +Durch Mienen redt dies Paar, durch Mienen wirds vertraut. +Sie winkt ihm mit der Hand, er folget ihrem Schritte. +Mit Früchten speist sie ihn in einer kleinen Hütte, +Und zeigt ihm einen Quell, vom Durst sich zu befrein. +Durch Lächeln rät sie ihm, getrost und froh zu sein. +Sie sah ihn zehnmal an, und spielt an seinen Haaren, +Und schien verwundrungsvoll, daß sie so lockicht waren. + +Sooft der Morgen kömmt: so machte Yariko +Durch neuen Unterhalt den lieben Fremdling froh, +Und zeigt durch Zärtlichkeit, mit jedem neuen Tage, +Was für ein treues Herz in einer Wilden schlage! +Sie bringt ihm manch Geschenk, und schmückt sein kleines Haus +Mit mancher bunten Haut, mit bunten Federn aus; +Und eine neue Tracht von schönen Muschelschalen +Muß, wenn sie ihn besucht, um ihre Schultern prahlen. +Zur Nachtzeit führt sie ihn zu einem Wasserfall, +Und unter dem Geräusch und Philomelens Schall +Schläft unser Fremdling ein. Aus zärtlichem Erbarmen +Bewacht sie jede Nacht den Freund in ihren Armen. +Wird in Europa wohl ein Herz so edel sein? + +Die Liebe flößt dem Paar bald eine Mundart ein. +Sie unterreden sich durch selbst erfundne Töne. +Kurz, er versteht sein Kind, und ihn versteht die Schöne. +Oft sagt ihr Inkle vor, was seine Vaterstadt +Für süße Lebensart, für Kostbarkeiten hat. +Er wünscht, sie neben sich in London einst zu sehen; +Sie hörts, und zürnet schon, daß es noch nicht geschehen. +Dort, spricht er, kleid ich dich; und zeiget auf sein Kleid; +In lauter bunten Zeug, von größrer Kostbarkeit; +In Häusern, halb von Glas, bespannt mit raschen Pferden, +Sollst du in dieser Stadt bequem getragen werden. + +Vor Freuden weint dies Kind, und sieht, indem sie weint, +Schon nach der offnen See, ob noch kein Schiff erscheint. +Es glückt ihr, was sie wünscht, in kurzem zu entdecken. +Sie sieht ein Schiff am Strand, und läuft mit frohem Schrecken, +Sucht ihren Fremdling auf, vergißt ihr Vaterland +Aus Treue gegen ihn, und eilt, an seiner Hand, +So freudig in die See, als ob das Schiff im Meere, +In das sie steigen will, ein Haus in London wäre. + +Das Schiff setzt seinen Lauf mit gutem Winde fort, +Und fliegt nach Barbados*; doch dieses war der Ort, +Wo Inkle ganz bestürzt sein Schicksal überdachte, +Als schnell in seiner Brust der Kaufmannsgeist erwachte. +Er kam mit leerer Hand aus Indien zurück; +Dies war für seinen Geiz ein trauriges Geschick. +So hab ich, fing er an, um arm zurückzukommen, +Die fürchterliche See, mit Müh und Angst, durchschwommen? +Er stillt in kurzer Zeit den Hunger nach Gewinn, +Und führt Yariko zum Sklavenhändler hin. +Hier wird die Dankbarkeit in Tyrannei verwandelt, +Und die, die ihn erhielt, zur Sklaverei verhandelt. + +Sie fällt ihm um den Hals, sie fällt vor ihm aufs Knie, +Sie fleht, sie weint, sie schreit. Nichts! Er verkaufet sie. +Mich, die ich schwanger bin, mich! fährt sie fort zu klagen. +Bewegt ihn dies? Ach ja! Sie höher anzuschlagen. +Noch drei Pfund Sterling mehr! Hier, spricht der Brite froh, +Hier, Kaufmann, ist das Weib, sie heißt Yariko! + +---- + +O Inkle! du Barbar, dem keiner gleich gewesen; +O möchte deinen Schimpf ein jeder Weltteil lesen! +Die größte Redlichkeit, die allergrößte Treu +Belohnst du, Bösewicht! noch gar mit Sklaverei? +Ein Mädchen, das für dich ihre eigen Leben wagte, +Das dich dem Tod entriß, und ihrem Volk entsagte, +Mit dir das Meer durchstrich, und, bei der Glieder Reiz, +Das beste Herz besaß, verhandelst du aus Geiz? +Sei stolz! Kein Bösewicht bringt dich um deinen Namen. +Nie wird es möglich sein, dein Laster nachzuahmen. + +* Barbados ist eine von den caribischen Inseln, welche den Engländern +zugehöret. Es wird ein großer Sklavenhandel daselbst getrieben. + + +Lisette + +Ein junges Weib, sie hieß Lisette, +Dies Weibchen lag an Blattern blind. +Nun weiß man wohl, wie junge Weiber sind; +Drum durft ihr Mann nicht von dem Bette, +So gern er sie verlassen hätte: +Denn laßt ein Weib schön wie Cytheren sein, +Wenn sie die Blattern hat: so nimmt sie nicht mehr ein. +Hier sitzt der gute Mann, zu seiner größten Pein, +Und muß des kranken Weibes pflegen, +Ihr Küssen oft zurechtelegen, +Und oft durch ein Gebet um ihre Beßrung flehn; +Und gleichwohl war sie nicht mehr schön. +Ich hätt ihn mögen beten sehn. +Der arme Mann! Ich weiß ihm nicht zu raten. +Vielleicht besinnt er sich, und tut, was andre taten. + +Ein krankes Weib braucht eine Wärterin; +Und Lorchen ward dazu erlesen, +Weil ihr Lisettens Eigensinn +Vor andern längst bekannt gewesen. +Sie trat ihr Amt dienstfertig an, +Und wußte sich in allen Stücken +Gut in, die kranke Frau zu schicken, +Und auch in den gesunden Mann. +Sie war besorgt, gefällig, jung und schön, +Und also ganz geschickt, mit beiden umzugehn. + +Was tut man nicht, um sich von Gram und Pein, +Von Langerweile zu befrein? +Der Mann sieht Lorchen an, und redt mit ihr durch Blicke, +Weil er nicht anders reden darf; +Und jeder Blick, den er auf Lorchen warf, +Kam, wo nicht ganz, doch halb erhört zurücke. +Ach, arme kranke Frau! Es ist dein großes Glücke, +Daß du nicht sehen kannst, dein Mann tut recht galant; +Dein Mann, ich wollte viel drauf wetten, +Hat Lorchen schon vorher gekannt, +Und sie mit Fleiß zur Wärterin ernannt. +Ja, wenn sie bloß durch Blicke redten: +So möcht es endlich wohl noch gehn; +Allein bald wird man sie einander küssen sehn. +Er kömmt, und klopft sie in den Nacken, +Und kneipt sie in die vollen Backen; +Sie wehrt sich ganz bequem, bequem wie eine Braut, +Und findet bald für gut, sich weiter nicht zu wehren. +Sie küssen sich recht zärtlich und vertraut; +Allein sie küßten gar zu laut. +Wie konnt es anders sein? Lisette mußt es hören. +Sie hörts, und fragt: "Was schallt so hell?" +"Madam, Madam!" ruft Lorchen schnell, +"Es ist Ihr Herr, er ächzt vor großem Schmerz, +Und will sich nicht zufriedengeben." +"Ach", spricht sie, "lieber Mann, wie redlich meints dein Herz! +O gräme dich doch nicht! Ich bin ja noch am Leben." + + + + + +Monime + +Durch schöner Glieder Reiz, durch Schönheit des Verstands +Erwarb Monime sich den Beifall Griechenlands; +So manches Buhlers Herz besiegten ihre Blicke; +Mit Wollust sah er sie, beschämt wich er zurücke, +Denn war Monime schön: so war ihr Herz zugleich +An Unschuld, wie ihr Blick an Geist und Feuer, reich. +Die Tugend, die dem Wunsch erhitzter Buhler wehrte, +Trieb selbst den Buhler an, daß er sie mehr verehrte. +Arm war sie von Geburt, und zart von Leidenschaft, +Mit Schmeichlern stets umringt; und blieb doch tugendhaft? +Doch bringt Geschenke her! Der Diamanten Flehen, +Des Golds Beredsamkeit wird sie nicht widerstehen. +Ein Prinz aus Pontus ists, der großer Mithridat, +Der mit entbrannter Brust sich zu Monimen naht; +Ein König seufzt und fleht. Zu schmeichelnde Gedanken! +Wird nicht bei diesem Glück Monimens Tugend wanken? + +"Prinz", fing sie herzhaft an, "du scheinst durch mich gerührt, +Und rühmst den kleinen Reiz, der meine Bildung ziert; +Ich danke der Natur für diesen Schmuck der Jugend; +Die Schönheit gab sie mir, und ich gab mir die Tugend. +Nicht jene macht mich stolz, nein, diese macht mich kühn; +Sei tausendmal ein Prinz: umsonst ist dein Bemühn! +Ich mehre nie die Zahl erkaufter Buhlerinnen, +Nur als Gemahl wirst du Monimens Herz gewinnen." + +So unbeweglich blieb ihr tugendhafter Sinn. +Der Prinz, des Prinzen Flehn, der prächtigste Gewinn, +Des Hofes Kunst und List, nichts konnte sie bezwingen. +Der Prinz muß für ihr Herz ihr selbst die Krone bringen. + +O welch ein seltnes Glück, von niederm Blut entstehn, +Und aus dem Staube sich bis zu dem Thron erhöhn! +Wie lange, großes Glück! wirst du ihr Herz vergnügen? +Wie lange? + +Mithridat hofft Rom noch zu besiegen; +Verläßt Monimens Arm, um in den Krieg zu ziehn. +Doch der, der siegen will, fängt an, besiegt zu fliehn; +Rom setzt ihm siegreich nach, sein Land wird eingenommen. +Doch soll das stolze Rom Monimen nicht bekommen, +Eh dies der Prinz erlaubt, befielt er ihren Tod. +Ein Sklav eröffnet ihr, was Mithridat gebot. + +"So", ruft sie, "raubt mir auch die Hoheit noch das Leben? +Die für entrißne Ruh mir einen Thron gegeben, +Auf dem ich ungeliebt, durch Reue mich gequält, +Daß ich den Niedrigsten mir nicht zum Mann erwählt?" +Sie reißt den Hauptschmuck ab, um stolz sich umzubringen, +Und eilt, ihr Diadem sich um den Hals zu schlingen; +Allein das schwache Band erfüllt ihr Wünschen nicht, +Es reißt, und weigert sich der so betrübten Pflicht. +"O", ruft sie, "Schmuck! den ich zu meiner Pein getragen, +Sogar den schlimmsten Dienst will du mir noch versagen?" +Sie wirft ihn vor sich hin, tritt voller Wut darauf, +Und gibt durch einen Dolch alsbald ihr Leben auf. + + + + + +Philinde + +Philinde blieb oft vor dem Spiegel stehn; +Denn alles kann man fast den Schönen, +Nur nicht den Trieb, sich selber gern zu sehn, +Und zu bewundern, abgewöhnen. +Dies ist der Ton, aus dem die Männer schmähn; +Doch, Mädchen, bleibet nur vor euren Spiegeln stehn. +Ich laß es herzlich gern geschehn. +Was wolltet ihr auch sonst wohl machen? +Beständig tändeln, ewig lachen? +Und stets nach den Verehrern sehn? +Dies wäre ja nicht auszustehn. +Genug, das schöne Kind, von der ich erst erzählte, +Bespiegelte sich oft, und musterte das Haar, +Und besserte, wo nicht das mindste fehlte. +Ihr Bruder, der ein Autor war, +Sah sie am Spiegel stehn und schmälte. +"Habt Ihr Euch noch nicht satt gesehn? +Ich geh es zu, Ihr seid sehr schön; +Doch sein Gesicht die ganze Zeit besehn, +Verrät ein gar zu eitles Wesen." +"Herr Autor", sprach sie, "der Ihr seid, +Hebt mit mir auf; denn sich gern selber lesen, +Und gern im Spiegel sehn, ist beides Eitelkeit." + + + + + +Selinde + +Das schönste Kind zu ihren Zeiten, +Selinde, reich an Lieblichkeiten, +Schön, wenn ich also sagen mag, +Schön, wie das Morgenrot, und heiter, wie der Tag; +Selinde soll sich malen lassen. +Sie weigert sich; der Maler ließ nicht nach; +Er bat, bis sie es ihm versprach, +Und schwur, sie recht getreu zu fassen. +Sie fragt, wieviel man ihm bezahlt? +Ich hätte sie umsonst gemalt, +Und hätt ich ja was fordern sollen: +So hätt ich Küsse fordern wollen. +So schön Selinde wirklich war, +So schön, und schöner nicht, stellt sie der Maler dar; +Die kleinste Miene muß ihm glücken, +Das Bild war treu, und schön bis zum Entzücken; +So reizend, daß es selbst der Maler hurtig küßt, +Sobald sein Weib nicht um ihn ist. + +Der Maler bringt sein göttliches Gesicht. +Selinde sieht es an, erschrickt, und legt es nieder. +"Hier nehm er sein Gemälde wieder, +Er irrt, mein Freund, das bin ich nicht. +Wer hieß ihn so viel Schmeicheleien, +Uns so viel Reiz auf meine Bildung streuen? +Erdichtet ist der Mund, verschönert ist das Kinn. +Kurz, nehm er nur sein Bildnis hin; +Ich mag nicht schöner sein, als ich in Wahrheit bin. +Vielleicht wollt er die Venus malen: +Von dieser laß er sich bezahlen." + +So ist sie denn allein das Kind, +Das schön ist, ohn es sein zu wollen? +Wie viele kenn ich nicht, die wirklich häßlich sind, +Und die wir mit Gewalt für englisch halten sollen. + +Der Maler nimmt sein Bild, und sagt kein einzig Wort, +Geht trotzig, wie ein Künstler, fort. +Was wird er tun? Er wird es doch nicht wagen, +Und so ein schönes Kind verklagen? + +Er klagt. Selinde muß sich stellen. +Die Väter werden doch ein gütig Urteil fällen! +O fahrt sie nicht gebietrisch an; +So sehr sie unrecht hat, so edel ist ihr Wahn. + +Hier kömmt sie schon, hier kömmt Selinde! +Wer hat mehr Anmut noch gesehen? +Der ganze Rat erstaunt vor diesem schönen Kinde, +Und sein Erstaunen preist sie schön. +Und jeder Greis in dem Gerichte +Verliert die Runzeln vom Gesichte; +Man sah aufs Bild; doch jedesmal +Noch längre Zeit auf das Original; +Und jeder rief: "Sie ist getroffen!" +"O", sprach sie ganz beschämt, "wie könnt ich dieses hoffen! +Er hat mich viel zu schön gemalt, +Und Schmeichler werden nicht bezahlt." + +"Selinde", hub der Richter an, +"Kein Maler konnt Euch treuer malen. +Er hat nach seiner Pflicht getan, +Abbittend sollt Ihr ihn bezahlen; +Doch weil Ihr von Euch selbst nicht eingenommen seid: +So geht nicht unbelohnt von diesem Richterplatze; +Empfangt ein Heiratsgut aus dem gemeinen Schatze, +Zum Lohne der Bescheidenheit." + +O weiser Mann, der dieses spricht! +Gerechter ist kein Spruch zu finden. +Du, du verdienst ein ewig Lobgedicht, +Und wärst du jung, verdientest du Selinden. +Selinde geht. Der Beifall folgt ihr nach; +Man sprach von ihr gewiß, wenn man von Schönen sprach; +Je mehr sie zweifelte, ob sie so reizend wäre, +Um desto mehr erhielt sie Ehre. + +---- + +Je minder sich der Kluge selbst gefällt: +Um desto mehr schätzt ihn die Welt. + + + + +Semnon und das Orakel + +Sein künftig Schicksal zu erfahren, +Eilt Semnon voll Begier zum delphischen Altar. +Die Gottheit weigert sich, ihm das zu offenbaren, +Was über ihn verhänget war. +Sie spricht: "Du wirst ein großes Glück genießen; +Doch wirds dein Unglück sein, sobald du es wirst wissen." +Ist Semnons Neugier nun vergnügt? +Nichts weniger! Nur mehr wächst sein Verlangen. +"O Gottheit", fährt er fort, "wenn Bitten dich besiegt: +So laß mich größres Licht von meinem Glück empfangen!" +So traut der Mensch, und traut zugleich auch nicht. +Ein Semnon glaubt sein Glück, nicht, weils die Gottheit saget, +Nein, weil ers schon gewünscht, eh er sie noch gefraget. +Doch glaubt er auch, wenn sie vom Unglück spricht? +O nein! Denn dieses wünscht er nicht. +Durch Klugheit denkt er schon das Unglück abzuwehren. +Kurz, Semnon läßt nicht nach, er will sein Schicksal hören. + +"Du wirst", hub das Orakel an, +"Durch deines Weibes Gunst den Zepter künftig führen, +Und Völker, die dich dienen sahn, +Dereinst durch einen Wink regieren." + +Gestärkt durch dieses Götterwort, +Eilt, der als Pilgrim kam, als Prinz in Hoffnung fort; +Mißt, ohne Land, im Geist schon seines Reiches Größen; +Und läßt schon, ohne Volk, sein Heer das Schwert entblößen. + +Allein so froh er war: so war ers nicht genug; +Er weiß noch nicht, was er doch wissen wollte, +Die Zeit, in der sein Fuß den Thron besteigen sollte; +Die Ungewißheit wars, die ihn noch niederschlug. +"Und", sprach er, "wenn ich auch nun bald den Thron bestiegen, +Wie lange währt alsdann mein königlich Vergnügen?" +Der kühne Zweifel treibt ihn an. +Zum delphischen Apoll sich noch einmal zu nahn. + +"O Tor", versetzt Apoll, "euch Sterblichen zum Glücke, +Verbarg der Götter Schluß die Zukunft eurem Blicke. +So wisse denn: In kurzer Zeit +Schmückt dich des Purpurs Herrlichkeit; +Doch raubt die Hand, die dir den Thron gegeben, +Dir mit dem Throne bald das Leben." + +Er tat darauf im Kriege sich hervor, +Und stieg, aus einem niedern Stande, +Zur höchsten Würd im Vaterlande, +Durch seine Tapferkeit empor. +Das ihm so günstige Geschicke +Erfüllte des Orakels Sinn; +Und Semnon ward, bei immer größerm Glücke, +Der Liebling seiner Königin. +Sie schenkt ihm Herz und Thron; doch ein verborgnes Schrecken +Läßt ihn das Glück der Hoheit wenig schmecken. +Sein reizendes Gemahl, das er halb liebt, halb scheut, +Erfüllt ihn halb mit Frost, und halb mit Zärtlichkeit. +Itzt wünscht er tausendmal, sein Schicksal nicht zu kennen, +Um so für sie, wie sie für ihn, zu brennen. +Sie merkt des Königs spröden Sinn, +Sie zieht ihn in Verdacht mit einer Buhlerin, +Sie gibt ihm heimlich Gift; er stirbt vor ihren Füßen. + +Sagt, Menschen, ists kein Glück, sein Schicksal nicht zu wissen? + + + + + +Till + +Der Narr, dem oft weit minder Witz gefehlt, +Als vielen, die ihn gern belachen, +Und der vielleicht, um andre klug zu machen, +Das Amt des Albernen gewählt +(Wer kennt nicht Tills berühmten Namen?); +Till Eulenspiegel zog einmal +Mit andern über Berg und Tal. +Sooft als sie zu einem Berge kamen, +Ging Till an seinem Wanderstab +Den Berg ganz sacht und ganz betrübt hinab; +Allein wenn sie berganwärts stiegen, +War Eulenspiegel voll Vergnügen. +"Warum", fing einer an, "gehst du bergan so froh? +Bergunter so betrübt?"--"Ich bin", sprach Till, "nun so. +Wenn ich den Berg hinuntergehe: +So denk ich Narr schon an die Höhe, +Die folgen wird, und da vergeht mir denn der Scherz; +Allein wenn ich berganwärts gehe: +So denk ich an das Tal, das folgt, und faß ein Herz." + +---- + +Willst du dich in dem Glück nicht ausgelassen freun, +Im Unglück nicht unmäßig kränken: +So lern so klug wie Eulenspiegel sein, +Im Unglück gern ans Glück, im Glück ans Unglück denken. + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Fabeln und Erzählungen, von +Christian Fürchtegott Gellert. + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Fabeln und Erzaehlungen +by Christian Fuerchtegott Gellert + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FABELN UND ERZAEHLUNGEN *** + +This file should be named 8fabl10.txt or 8fabl10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8fabl11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8fabl10a.txt + +Produced by Delphine Lettau; the book content was graciously +contributed by the Gutenberg Projekt-DE + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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