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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/9325-8.txt b/9325-8.txt new file mode 100644 index 0000000..b14b808 --- /dev/null +++ b/9325-8.txt @@ -0,0 +1,3994 @@ +The Project Gutenberg EBook of Der Freigeist, by Gotthold Ephraim Lessing + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Der Freigeist + +Author: Gotthold Ephraim Lessing + +Posting Date: February 24, 2015 [EBook #9325] +Release Date: November, 2005 +First Posted: September 22, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FREIGEIST *** + + + + +Produced by Delphine Lettau + + + + + + + + + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Der Freigeist + +Gotthold Ephraim Lessing + +Ein Lustspiel in fünf Aufzügen + +Verfertigt im Jahre 1749 + + +Personen: + +Adrast, der Freigeist +Theophan, ein junger Geistlicher +Lisidor +Juliane und Henriette, Töchter des Lisidor +Frau Philane +Araspe, Theophans Vetter +Johann +Martin +Lisette +Ein Wechsler + +Die Szene ist ein Saal. + + + + + +Erster Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Adrast. Theophan. + + +Theophan. Werden Sie es übelnehmen, Adrast, wenn ich mich endlich +über den stolzen Kaltsinn beklage, den Sie nicht aufhören, gegen mich +zu äußern? Schon seit Monaten sind wir in einem Hause, und warten auf +einerlei Glück. Zwei liebenswürdige Schwestern sollen es uns machen. +Bedenken Sie doch, Adrast! können wir noch dringender eingeladen +werden, uns zu lieben, und eine Freundschaft unter uns zu stiften, wie +sie unter Brüdern sein sollte? Wie oft bin ich nicht darauf +bestanden?-- + +Adrast. Ebenso oft haben Sie gesehen, daß ich mich nicht einlassen +will. Freundschaft? Freundschaft unter uns?--Wissen Sie, muß ich +fragen, was Freundschaft ist? + +Theophan. Ob ich es weiß? + +Adrast. Alle Fragen bestürzen, deren wir nicht gewärtig sind. Gut, +Sie wissen es. Aber meine Art zu denken, und die Ihrige, diese kennen +Sie doch auch? + +Theophan. Ich verstehe Sie. Also sollen wir wohl Feinde sein? + +Adrast. Sie haben mich schön verstanden! Feinde? Ist denn kein +Mittel? Muß denn der Mensch eines von beiden, hassen, oder lieben? +Gleichgültig wollen wir einander bleiben. Und ich weiß, eigentlich +wünschen Sie dieses selbst. Lernen Sie wenigstens nur die +Aufrichtigkeit von mir. + +Theophan. Ich bin bereit. Werden Sie mich aber diese Tugend in aller +ihrer Lauterkeit lehren? + +Adrast. Erst fragen Sie sich selbst, ob sie Ihnen in aller ihrer +Lauterkeit gefallen würde? + +Theophan. Gewiß. Und Ihnen zu zeigen, ob Ihr künftiger Schüler +einige Fähigkeit dazu hat, wollen Sie mich wohl einen Versuch machen +lassen? + +Adrast. Recht gern. + +Theophan. Wo nur mein Versuch nicht ein Meisterstück wird. Hören Sie +also, Adrast--Aber erlauben Sie mir, daß ich mit einer Schmeichelei +gegen mich selbst anfange. Ich habe von jeher einigen Wert auf meine +Freundschaft gelegt; ich bin vorsichtig, ich bin karg damit gewesen. +Sie sind der erste, dem ich sie angeboten habe; und Sie sind der +einzige, dem ich sie aufdringen will.--Umsonst sagt mir Ihr +verächtlicher Blick, daß es mir nicht gelingen solle. Gewiß, es soll +mir gelingen. Ihr eigen Herz ist mir Bürge; Ihr eigen Herz, Adrast, +welches unendlich besser ist, als es Ihr Witz, der sich in gewisse +groß scheinende Meinungen verliebt hat, vielleicht wünschet. + +Adrast. Ich hasse die Lobsprüche, Theophan, und besonders die, welche +meinem Herzen auf Unkosten meines Verstandes gegeben werden. Ich weiß +eigentlich nicht, was das für Schwachheiten sein müssen (Schwachheiten +aber müssen es sein), derentwegen Ihnen mein Herz so wohlgefällt; das +aber weiß ich, daß ich nicht eher ruhen werde, als bis ich sie, durch +Hülfe meines Verstandes, daraus verdrungen habe. + +Theophan. Ich habe die Probe meiner Aufrichtigkeit kaum angefangen, +und Ihre Empfindlichkeit ist schon rege. Ich werde nicht weit kommen. + +Adrast. So weit als Sie wollen. Fahren Sie nur fort. + +Theophan. Wirklich?--Ihr Herz also ist das beste, das man finden kann. +Es ist zu gut, Ihrem Geiste zu dienen, den das Neue, das Besondere +geblendet hat, den ein Anschein von Gründlichkeit zu glänzenden +Irrtümern dahinreißt, und der, aus Begierde bemerkt zu werden, Sie mit +aller Gewalt zu etwas machen will, was nur Feinde der Tugend, was nur +Bösewichter sein sollten. Nennen Sie es, wie Sie wollen: Freidenker, +starker Geist, Deist; ja, wenn Sie ehrwürdige Benennungen mißbrauchen +wollen, nennen Sie es Philosoph: es ist ein Ungeheuer, es ist die +Schande der Menschheit. Und Sie, Adrast, den die Natur zu einer +Zierde derselben bestimmte, der nur seinen eignen Empfindungen folgen +dürfte, um es zu sein; Sie, mit einer solchen Anlage zu allem, was +edel und groß ist, Sie entehren sich vorsätzlich. Sie stürzen sich +mit Bedacht aus Ihrer Höhe herab, bei dem Pöbel der Geister einen Ruhm +zu erlangen, für den ich lieber aller Welt Schande wählen wollte. + +Adrast. Sie vergessen sich, Theophan, und wenn ich Sie nicht +unterbreche, so glauben Sie endlich gar, daß Sie sich an dem Platze +befinden, auf welchem Ihresgleichen ganze Stunden ungestört schwatzen +dürfen. + +Theophan. Nein, Adrast, Sie unterbrechen keinen überlästigen Prediger; +besinnen Sie sich nur: Sie unterbrechen bloß einen Freund,--wider +Ihren Willen nenne ich mich so,--der eine Probe seiner Freimütigkeit +ablegen sollte. + +Adrast. Und eine Probe seiner Schmeichelei abgeleget hat;--aber einer +verdeckten Schmeichelei, einer Schmeichelei, die eine gewisse +Bitterkeit annimmt, um destoweniger Schmeichelei zu scheinen.--Sie +werden machen, daß ich Sie endlich auch verachte.--Wenn Sie die +Freimütigkeit kennten, so würden Sie mir alles unter die Augen gesagt +haben, was Sie in Ihrem Herzen von mir denken. Ihr Mund würde mir +keine gute Seite geliehen haben, die mir Ihre innere Überzeugung nicht +zugestehet. Sie würden mich geradeweg einen Ruchlosen gescholten +haben, der sich der Religion nur deswegen zu entziehen suche, damit er +seinen Lüsten desto sicherer nachhängen könne. Um sich pathetischer +auszudrücken, würden Sie mich einen Höllenbrand, einen eingefleischten +Teufel genannt haben. Sie würden keine Verwünschungen gespart, kurz, +Sie würden sich so erwiesen haben, wie sich ein Theolog gegen die +Verächter seines Aberglaubens, und also auch seines Ansehens, erweisen +muß. + +Theophan. Ich erstaune. Was für Begriffe! + +Adrast. Begriffe, die ich von tausend Beispielen abgesondert habe.-- +Doch wir kommen zu weit. Ich weiß, was ich weiß, und habe längst +gelernt, die Larve von dem Gesichte zu unterscheiden. Es ist eine +Karnevalserfahrung: je schöner die erste, desto häßlicher das andere. + +Theophan. Sie wollen damit sagen-- + +Adrast. Ich will nichts damit sagen, als daß ich noch zu wenig Grund +habe, die Allgemeinheit meines Urteils von den Gliedern Ihres Standes, +um Ihretwillen einzuschränken. Ich habe mich nach den Ausnahmen zu +lange vergebens umgesehen, als daß ich hoffen könnte, die erste an +Ihnen zu finden. Ich müßte Sie länger, ich müßte Sie unter +verschiedenen Umständen gekannt haben, wenn-- + +Theophan. Wenn Sie meinem Gesichte die Gerechtigkeit widerfahren +lassen sollten, es für keine Larve zu halten. Wohl! Aber wie können +Sie kürzer dazu gelangen, als wenn Sie mich Ihres nähern Umganges +würdigen? Machen Sie mich zu Ihrem Freunde, stellen Sie mich auf die +Probe-- + +Adrast. Sachte! die Probe käme zu spät, wenn ich Sie bereits zu +meinem Freunde angenommen hätte. Ich habe geglaubt, sie müsse +vorhergehen. + +Theophan. Es gibt Grade in der Freundschaft, Adrast; und ich verlange +den vertrautesten noch nicht. + +Adrast. Kurz, auch zu dem niedrigsten können Sie nicht fähig sein. + +Theophan. Ich kann nicht dazu fähig sein? Wo liegt die Unmöglichkeit? + +Adrast. Kennen Sie, Theophan, wohl ein Buch, welches das Buch aller +Bücher sein soll; welches alle unsere Pflichten enthalten, welches uns +zu allen Tugenden die sichersten Vorschriften erteilen soll, und +welches der Freundschaft gleichwohl mit keinem Worte gedenkt? Kennen +Sie dieses Buch? + +Theophan. Ich sehe Sie kommen, Adrast. Welchem Collin haben Sie +diesen armseligen Einwurf abgeborgt? + +Adrast. Abgeborgt, oder selbst erfunden: es ist gleich viel. Es muß +ein kleiner Geist sein, der sich Wahrheiten zu borgen schämt. + +Theophan. Wahrheiten!--Sind Ihre übrigen Wahrheiten von gleicher +Güte? Können Sie mich einen Augenblick anhören? + +Adrast. Wieder predigen? + +Theophan. Zwingen Sie mich nicht darzu? Oder wollen Sie, daß man +Ihre seichten Spöttereien unbeantwortet lassen soll, damit es scheine, +als könne man nicht darauf antworten? + +Adrast. Und was können Sie denn darauf antworten? + +Theophan. Dieses. Sagen Sie mir, ist die Liebe unter der +Freundschaft, oder die Freundschaft unter der Liebe begriffen? +Notwendig das letztere. Derjenige also, der die Liebe in ihrem +allerweitesten Umfange gebietet, gebietet der nicht auch die +Freundschaft? Ich sollte es glauben; und es ist so wenig wahr, daß +unser Gesetzgeber die Freundschaft seines Gebotes nicht würdig +geschätzt habe, daß er vielmehr seine Lehre zu einer Freundschaft +gegen die ganze Welt gemacht hat. + +Adrast. Sie bürden ihm Ungereimtheiten auf. Freundschaft gegen die +ganze Welt? Was ist das? Mein Freund muß kein Freund der ganzen Welt +sein. + +Theophan. Und also ist Ihnen wohl nichts Freundschaft als jene +Übereinstimmung der Temperamente, jene angeborne Harmonie der Gemüter, +jener heimliche Zug gegeneinander, jene unsichtbare Kette, die zwei +einerlei denkende, einerlei wollende Seelen verknüpfet? + +Adrast. Ja, nur dieses ist mir Freundschaft. + +Theophan. Nur dieses? Sie widersprechen sich also selbst. + +Adrast. Oh! daß ihr Leute doch überall Widersprüche findet, außer +nur da nicht, wo sie wirklich sind! + +Theophan. Überlegen Sie es. Wenn diese, ohne Zweifel nicht +willkürliche, Übereinstimmung der Seelen, diese in uns liegende +Harmonie mit einem andern einzelnen Wesen allein die wahre +Freundschaft ausmacht: wie können Sie verlangen, daß sie der +Gegenstand eines Gesetzes sein soll? Wo sie ist, darf sie nicht +geboten werden; und wo sie nicht ist, da wird sie umsonst geboten. +Und wie können Sie es unserm Lehrer zur Last legen, daß er die +Freundschaft in diesem Verstande übergangen hat? Er hat uns eine +edlere Freundschaft befohlen, welche jenes blinden Hanges, den auch +die unvernünftigen Tiere nicht missen, entbehren kann: eine +Freundschaft, die sich nach erkannten Vollkommenheiten mitteilet; +welche sich nicht von der Natur lenken läßt, sondern welche die Natur +selbst lenket. + +Adrast. O Geschwätze! + +Theophan. Ich muß Ihnen dieses sagen, Adrast, ob Sie es gleich +ebensowohl wissen könnten, als ich; und auch wissen sollten. Was +würden Sie selbst von mir denken, wenn ich den Verdacht nicht mit +aller Gewalt von mir abzulenken suchte, als mache mich die Religion zu +einem Verächter der Freundschaft, die Religion, die Sie nur allzugern +aus einem wichtigen Grunde verachten möchten?--Sehen Sie mich nicht so +geringschätzig an; wenden Sie sich nicht auf eine so beleidigende Art +von mir-- + +Adrast (beiseite). Das Pfaffengeschmeiß!-- + +Theophan. Ich sehe, Sie gebrauchen Zeit, den ersten Widerwillen zu +unterdrücken, den eine widerlegte Lieblingsmeinung natürlicherweise +erregt.--Ich will Sie verlassen. Ich erfuhr itzt ohnedem, daß einer +von meinen Anverwandten mit der Post angelangt sei. Ich gehe ihm +entgegen, und werde die Ehre haben Ihnen denselben vorzustellen. + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast.--Daß ich ihn nimmermehr wiedersehen dürfte! Welcher von euch +Schwarzröcken wäre auch kein Heuchler?--Priestern habe ich mein +Unglück zu danken. Sie haben mich gedrückt, verfolgt, so nahe sie +auch das Blut mit mir verbunden hatte. Hassen will ich dich, Theophan +und alle deines Ordens! Muß ich denn auch hier in die Verwandtschaft +der Geistlichkeit geraten?--Er, dieser Schleicher, dieser blöde +Verleugner seines Verstandes, soll mein Schwager werden?--Und mein +Schwager durch Julianen?--Durch Julianen?--Welch grausames Geschick +verfolgt mich doch überall! Ein alter Freund meines verstorbenen +Vaters trägt mir eine von seinen Töchtern an. Ich eile herbei, und +muß zu spät kommen, und muß die, welche auf den ersten Anblick mein +ganzes Herz hatte, die, mit der ich allein glücklich leben konnte, +schon versprochen finden. Ach Juliane! So warest du mir nicht +bestimmt? du, die ich liebe? Und so soll ich mich mit einer +Schwester begnügen, die ich nicht liebe?-- + + + +Dritter Auftritt + +Lisidor. Adrast. + + +Lisidor. Da haben wir's! Schon wieder allein, Adrast? Sagen Sie mir, +müssen die Philosophen so zu Winkel kriechen? Ich wollte doch lieber +sonst was sein--Und, wenn ich recht gehört habe, so sprachen Sie ja +wohl gar mit sich selber? Nu, nu! es ist schon wahr: ihr Herren +Grillenfänger könnt freilich mit niemand Klügerm reden, als mit euch +selber. Aber gleichwohl ist unsereiner auch kein Katzenkopf. Ich +schwatze eins mit, es mag sein, von was es will. + +Adrast. Verzeihen Sie-- + +Lisidor. Je, mit Seinem Verzeihen! Er hat mir ja noch nichts zuwider +getan--Ich habe gern, wenn die Leute lustig sind. Und ich will kein +ehrlicher Mann sein, wenn ich mir nicht eine rechte Freude darauf +eingebildet habe, den Wildfang, wie sie Ihn sonst zu Hause nannten, zu +meinem Schwiegersohne zu haben. Freilich ist Er seitdem groß +gewachsen; Er ist auf Reisen gewesen; Er hat Land und Leute gesehen. +Aber, daß Er so gar sehr verändert würde wiedergekommen sein, das +hätte ich mir nicht träumen lassen. Da geht Er nun, und spintisiert +von dem, was ist--und was nicht ist,--von dem, was sein könnte, und +wenn es sein könnte, warum es wieder nicht sein könnte;--von der +Notwendigkeit, der halben und ganzen, der notwendigen Notwendigkeit, +und der nicht notwendigen Notwendigkeit;--von den A--A--wie heißen die +kleinen Dingerchen, die so in den Sonnenstrahlen herumfliegen? von +den A--A--Sage doch, Adrast-- + +Adrast. Von den Atomis, wollen Sie sagen. + +Lisidor. Ja, ja, von den Atomis, von den Atomis. So heißen sie, weil +man ihrer ein ganz Tausend mit einem Atem hinunterschlucken kann. + +Adrast. Ha! ha! ha! + +Lisidor. Er lacht, Adrast? Ja, mein gutes Bürschchen, du mußt nicht +glauben, daß ich von den Sachen ganz und gar nichts verstehe. Ich +habe euch, Ihn und den Theophan, ja oft genug darüber zanken hören. +Ich behalte mir das Beste. Wenn ihr euch in den Haaren liegt, so +fische ich im trüben. Da fällt manche Brocke ab, die keiner von euch +brauchen kann, und die ist für mich. Ihr dürft deswegen nicht +neidisch auf mich sein; denn ich bereichere mich nicht von einem +allein. Das nehme ich von dir, mein lieber Adrast; und das vom +Theophan; und aus allen dem mache ich mir hernach ein Ganzes-- + +Adrast. Das vortrefflich ungeheuer sein muß. + +Lisidor. Wieso? + +Adrast. Sie verbinden Tag und Nacht, wenn Sie meine mit Theophans +Gedanken verbinden. + +Lisidor. Je nu! so wird eine angenehme Dämmerung daraus.--Und +überhaupt ist es nicht einmal wahr, daß ihr so sehr voneinander +unterschieden wäret. Einbildungen! Einbildungen! Wie vielmal habe +ich nicht allen beiden zugleich recht gegeben? Ich bin es nur +allzuwohl überzeugt, daß alle ehrliche Leute einerlei glauben. + +Adrast. Sollten! sollten! das ist wahr. + +Lisidor. Nun da sehe man! was ist nun das wieder für ein +Unterscheid? Glauben, oder glauben sollen: es kömmt auf eines heraus. +Wer kann alle Worte so abzirkeln?--Und ich wette was, wenn ihr nur +erst werdet Schwäger sein, kein Ei wird dem andern ähnlicher sein +können.-- + +Adrast. Als ich dem Theophan, und er mir? + +Lisidor. Gewiß. Noch wißt ihr nicht, was das heißt, miteinander +verwandt sein. Der Verwandtschaft wegen wird der einen Daumen breit, +und der einen Daumen breit nachgeben. Und einen Daumen breit, und +wieder einen Daumen breit, das macht zwei Daumen breit; und zwei +Daumen breit--ich bin ein Schelm, wenn ihr die auseinander seid.-- +Nichts aber könnte mich in der Welt wohl so vergnügen, als daß meine +Töchter so vortrefflich für euch passen. Die Juliane ist eine geborne +Priesterfrau; und Henriette--in ganz Deutschland muß kein Mädchen zu +finden sein, das sich für Ihn, Adrast, besser schickte. Hübsch, +munter, fix; sie singt, sie tanzt, sie spielt; kurz, sie ist meine +leibhafte Tochter. Juliane dargegen ist die liebe, heilige Einfalt. + +Adrast. Juliane? Sagen Sie das nicht. Ihre Vollkommenheiten fallen +vielleicht nur weniger in die Augen. Ihre Schönheit blendet nicht; +aber sie geht ans Herz. Man läßt sich gern von ihren stillen Reizen +fesseln, und man biegt sich mit Bedacht in ihr Joch, das uns andere in +einer fröhlichen Unbesonnenheit überwerfen müssen. Sie redet wenig; +aber auch ihr geringstes Wort hat Vernunft. + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Es ist wahr: Henriette weiß sich frei und witzig auszudrücken. +Würde es aber Juliane nicht auch können, wenn sie nur wollte, und +wenn sie nicht Wahrheit und Empfindung jenem prahlenden Schimmer +vorzöge? Alle Tugenden scheinen sich in ihrer Seele verbunden zu +haben-- + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Es sei ferne, daß ich Henrietten irgend eine Tugend +absprechen sollte. Aber es gibt ein gewisses Äußeres, welches sie +schwerlich vermuten ließe, wenn man nicht andre Gründe für sie hätte. +Julianens gesetzte Anmut, ihre ungezwungene Bescheidenheit, ihre +ruhige Freude, ihre-- + +Lisidor. Und Henriettens? + +Adrast. Henriettens wilde Annehmlichkeiten, ihre wohl lassende +Dreustigkeit, ihre fröhlichen Entzückungen stechen mit den gründlichen +Eigenschaften ihrer Schwester vortrefflich ab. Aber Juliane gewinnt +dabei-- + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Verlieret dabei nichts. Nur daß Juliane-- + +Lisidor. Ho! ho! Herr Adrast, ich will doch nicht hoffen, daß Sie +auch an der Narrheit krank liegen, welche die Leute nur das für gut +und schön erkennen läßt, was sie nicht bekommen können. Wer Henker +hat Sie denn gedungen, Julianen zu loben? + +Adrast. Fallen Sie auf nichts Widriges. Ich habe bloß zeigen wollen, +daß mich die Liebe für meine Henriette gegen die Vorzüge ihrer +Schwester nicht blind mache. + +Lisidor. Nu, nu! wenn das ist, so mag es hingehen. Sie ist auch +gewiß ein gutes Kind, die Juliane. Sie ist der Augapfel ihrer +Großmutter. Und das gute, alte Weib hat tausendmal gesagt, die Freude +über ihr Julchen erhielte sie noch am Leben. + +Adrast. Ach! + +Lisidor. Das war ja gar geseufzt. Was Geier ficht Ihn an? Pfui! +Ein junger gesunder Mann, der alle Viertelstunden eine Frau nehmen +will, wird seufzen? Spare Er Sein Seufzen, bis Er die Frau hat! + + + +Vierter Auftritt + +Johann. Adrast. Lisidor. + + +Johann. Pst! Pst! + +Lisidor. Nu? Nu? + +Johann. Pst! Pst! + +Adrast. Was gibt's? + +Johann. Pst! Pst! + +Lisidor. Pst! Pst! Mosjeu Johann. Kann der Schurke nicht näher +kommen? + +Johann. Pst, Herr Adrast! Ein Wort im Vertrauen. + +Adrast. So komm her! + +Johann. Im Vertrauen, Herr Adrast. + +Lisidor (welcher auf ihn zu geht). Nun? was willst du? + +Johann (geht auf die andre Seite). Pst! Herr Adrast, nur ein +Wörtchen, ganz im Vertrauen! + +Adrast. So pack dich her, und rede. + +Lisidor. Rede! rede! Was kann der Schwiegersohn haben, das der +Schwiegervater nicht hören dürfte? + +Johann. Herr Adrast! (Zieht ihn an dem Ärmel beiseite.) + +Lisidor. Du Spitzbube, willst mich mit aller Gewalt vom Platze haben. +Rede nur, rede! ich gehe schon. + +Johann. Oh! Sie sind gar zu höflich. Wenn Sie einen kleinen +Augenblick dort in die Ecke treten wollen: so können Sie immer da +bleiben. + +Adrast. Bleiben Sie doch! ich bitte. + +Lisidor. Nu! wenn ihr meint--(indem er auf sie zu kömmt). + +Adrast. Nun sage, was willst du? + +Johann (welcher sieht, daß ihm Lisidor wieder nahe steht). Nichts. + +Adrast. Nichts? + +Johann. Nichts, gar nichts. + +Lisidor. Das Wörtchen im Vertrauen, hast du es schon wieder vergessen? + +Johann. Potz Stern! sind Sie da? Ich denke, Sie stehen dort im +Winkel. + +Lisidor. Narre, der Winkel ist näher gerückt. + +Johann. Daran hat er sehr unrecht getan. + +Adrast. Halte mich nicht länger auf, und rede. + +Johann. Herr Lisidor, mein Herr wird böse. + +Adrast. Ich habe vor ihm nichts Geheimes: rede! + +Johann. So habe ich auch nichts für Sie. + +Lisidor. Galgendieb, ich muß dir nur deinen Willen tun.--Ich gehe auf +meine Stube, Adrast: wenn Sie zu mir kommen wollen-- + +Adrast. Ich werde Ihnen gleich folgen. + + + +Fünfter Auftritt + +Johann. Adrast, + + +Johann. Ist er fort? + +Adrast. Was hast du mir denn zu sagen? Ich wette, es ist eine +Kleinigkeit; und der Alte wird sich einbilden, daß es Halssachen sind. + +Johann. Eine Kleinigkeit? Mit einem Worte, Herr Adrast, wir sind +verloren. Und Sie konnten verlangen, daß ich es in Gegenwart des +Lisidors sagen sollte? + +Adrast. Verloren? Und wie denn? Erkläre dich. + +Johann. Was ist da zu erklären? Kurz, wir sind verloren.--Aber so +unvorsichtig hätte ich mir Sie doch nimmermehr eingebildet, daß Sie es +sogar Ihren künftigen Schwiegervater wollten hören lassen-- + +Adrast. So laß mich es nur hören-- + +Johann. Wahrhaftig, er hätte die Lust auf einmal verlieren können, es +jemals zu werden.--So ein Streich! + +Adrast. Nun? was denn für ein Streich? Wie lange wirst du mich noch +martern? + +Johann. Ein ganz verdammter Streich.--Ja, ja! wenn der Bediente +nicht oft behutsamer wäre, als der Herr: es würden artige Dinge +herauskommen. + +Adrast. Nichtswürdiger Schlingel-- + +Johann. Ho, ho! ist das mein Dank? Wenn ich es doch nur gesagt +hätte, wie der Alte da war. Wir hätten wollen sehen! wir hätten +wollen sehen-- + +Adrast. Daß dich dieser und jener-- + +Johann. Ha, ha! nach dem diesen und jenen wird nicht mehr gefragt. +Ich weiß doch wohl, daß Sie den Teufel meinen, und daß keiner ist. +Ich müßte wenig von Ihnen gelernt haben, wenn ich nicht der ganzen +Hölle ein Schnippchen schlagen wollte. + +Adrast. Ich glaube, du spielst den Freigeist? Ein ehrlicher Mann +möchte einen Ekel davor bekommen, wenn er sieht, daß es ein jeder +Lumpenhund sein will.--Aber ich verbiete dir nunmehr, mir ein Wort zu +sagen. Ich weiß doch, daß es nichts ist. + +Johann. Ich sollte es Ihnen nicht sagen? Ich sollte Sie so in Ihr +Unglück rennen lassen? Das wollen wir sehen. + +Adrast. Gehe mir aus den Augen! + +Johann. Nur Geduld!--Sie erinnern sich doch wohl so ohngefähr, wie +Sie Ihre Sachen zu Hause gelassen haben? + +Adrast. Ich mag nichts wissen. + +Johann. Ich sage Ihnen ja auch noch nichts.--Sie erinnern sich doch +wohl auch der Wechsel, die Sie an den Herrn Araspe vor Jahr und Tag +ausstellten? + +Adrast. Schweig, ich mag nichts davon hören. + +Johann. Ohne Zweifel, weil Sie sie vergessen wollen? Wenn sie nur +dadurch bezahlt würden.--Aber wissen Sie denn auch, daß sie verfallen +sind? + +Adrast. Ich weiß, daß du dich nicht darum zu bekümmern hast. + +Johann. Auch das verbeiße ich.--Sie denken freilich: Weit davon, ist +gut für den Schuß; und Herr Araspe hat eben nicht nötig, so sehr +dahinterher zu sein. Aber, was meinen Sie, wenn ich den Herrn Araspe-- + +Adrast. Nun was? + +Johann. Jetzt den Augenblick vom Postwagen hätte steigen sehen? + +Adrast. Was sagst du? Ich erstaune-- + +Johann. Das tat ich auch, als ich ihn sah. + +Adrast. Du, Araspen gesehen? Araspen hier? + +Johann. Mein Herr, ich habe mich auf den Fuß gesetzt, daß ich Ihre +und meine Schuldner gleich auf den ersten Blick erkenne; ja ich rieche +sie schon, wenn sie auch noch hundert Schritt von mir sind. + +Adrast (nachdem er nachgedacht). Ich bin verloren! + +Johann. Das war ja mein erstes Wort. + +Adrast. Was ist anzufangen? + +Johann. Das beste wird sein: wir packen auf, und ziehen weiter. + +Adrast. Das ist unmöglich. + +Johann. Nun so machen Sie sich gefaßt, zu bezahlen. + +Adrast. Das kann ich nicht; die Summe ist zu groß. + +Johann. Oh! ich sagte auch nur so.--Sie sinnen? + +Adrast. Doch wer weiß auch, ob er ausdrücklich meinetwegen +hergekommen ist. Er kann andre Geschäfte haben. + +Johann. Je nu! so wird er das Geschäfte mit Ihnen so beiher treiben. +Wir sind doch immer geklatscht. + +Adrast. Du hast recht.--Ich möchte rasend werden, wenn ich an alle +die Streiche gedenke, die mir ein ungerechtes Schicksal zu spielen +nicht aufhört.--Doch wider wen murre ich? Wider ein taubes Ohngefähr? +Wider einen blinden Zufall, der uns ohne Absicht und ohne Vorsatz +schwerfällt? Ha! nichtswürdiges Leben!-- + +Johann. Oh! lassen Sie mir das Leben ungeschimpft. So einer +Kleinigkeit wegen sich mit ihm zu überwerfen, das wäre was Gescheutes! + +Adrast. So rate mir doch, wenn du es für eine Kleinigkeit ansiehst. + +Johann. Fällt Ihnen im Ernste kein Mittel ein?--Bald werde ich Sie +gar nicht mehr für den großen Geist halten, für den ich Sie doch immer +gehalten habe. Fortgehen wollen Sie nicht; bezahlen können Sie nicht: +was ist denn noch übrig? + +Adrast. Mich ausklagen zu lassen. + +Johann. O pfui! Worauf ich gleich zuerst fallen würde, wenn ich auch +bezahlen könnte-- + +Adrast. Und was ist denn das? + +Johann. Schwören Sie den Bettel ab. + +Adrast (mit einer bittern Verachtung). Schurke! + +Johann. Wie? Was bin ich? So einen brüderlichen Rat-- + +Adrast. Ja wohl ein brüderlicher Rat, den du nur deinen Brüdern, +Leuten deinesgleichen, geben solltest. + +Johann. Sind Sie Adrast? Ich habe Sie wohl niemals über das Schwören +spotten hören? + +Adrast. Über das Schwören, als Schwören, nicht aber als eine bloße +Beteurung seines Wortes. Diese muß einem ehrlichen Manne heilig sein, +und wenn auch weder Gott noch Strafe ist. Ich würde mich ewig schämen, +meine Unterschrift geleugnet zu haben, und ohne Verachtung meiner +selbst, nie mehr meinen Namen schreiben können. + +Johann. Aberglauben über Aberglauben. Zu einer Türe haben Sie ihn +herausgejagt, und zu der andern lassen Sie ihn wieder herein. + +Adrast. Schweig! ich mag dein lästerliches Geschwätze nicht anhören. +Ich will Araspen aufsuchen. Ich will ihm Vorstellungen tun; ich will +ihm von meiner Heirat sagen; ich will ihm Zinsen über Zinsen +versprechen.--Ich treffe ihn doch wohl noch in dem Posthause? + +Johann. Vielleicht.--Da geht er, der barmherzige Schlucker. Das Maul +ist groß genug an ihm; aber wenn es dazu kömmt, daß er das, was er +glaubt, mit Taten beweisen soll, da zittert das alte Weib! Wohl dem, +der nach seiner Überzeugung auch leben kann! So hat er doch noch +etwas davon. Ich sollte an seiner Stelle sein.--Doch ich muß nur +sehen, wo er bleibt. + +(Ende des ersten Aufzugs.) + + + + + +Zweiter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. + + +Lisette. Vor allen Dingen, meine lieben Mamsells, ehe ich Ihre kleine +Streitigkeit schlichte, lassen Sie uns ausmachen, welcher von Ihnen +ich heute zugehöre. Sie wissen wohl, Ihre Herrschaft über mich ist +umzechig. Denn weil es unmöglich sein soll, zweien Herren zu dienen, +So hat Ihr wohlweiser Papa--neigen Sie sich, Mamsells, neigen Sie sich! +--so hat, sage ich, Ihr wohlweiser Papa wohlbedächtig mich damit +verschonen wollen, das Unmögliche möglich zu machen. Er hat jede von +Ihnen einen Tag um den andern zu meiner hauptsächlichen Gebieterin +gemacht; so daß ich den einen Tag der sanften Juliane ehrbares Mädchen, +und den andern der muntern Henriette wilde Lisette sein muß. Aber +jetzt, seitdem die fremden Herren im Hause sind-- + +Henriette. Unsre Anbeter meinst du-- + +Lisette. Ja, ja! Ihre Anbeter, welche bald Ihre hochbefehlenden +Ehemänner sein werden--Seitdem, sage ich, diese im Hause sind, geht +alles drüber und drunter; ich werde aus einer Hand in die andere +geschmissen; und ach! unsere schöne Ordnung liegt mit dem Nähzeuge, +das Sie seit eben der Zeit nicht angesehen haben, unterm Nachttische. +Hervor wieder damit! Ich muß wissen, woran ich mit Ihnen bin, wenn +ich ein unparteiisches Urteil fällen soll. + +Henriette. Das wollen wir bald ausrechnen.--Du besinnst dich doch +wohl auf den letzten Feiertag, da dich meine Schwester mit in die +Nachmittagspredigt schleppte, so gerne du auch mit mir auf unser +Vorwerk gefahren wärest? Du warst damals sehr strenge, Juliane!-- + +Juliane. Ich habe doch wohl nicht einer ehrlichen Seele einen +vergeblichen Weg nach ihr hinaus gemacht? + +Henriette. Lisette-- + +Lisette. Stille, Mamsell Henriette! nicht aus der Schule geschwatzt, +oder-- + +Henriette. Mädchen drohe nicht! Du weißt wohl, ich habe ein gut +Gewissen. + +Lisette. Ich auch.--Doch lassen Sie uns nicht das Hundertste ins +Tausendste schwatzen.--Recht! an den Feiertag will ich gedenken! Er +war der letzte in unsrer Ordnung; denn noch den Abend kam Theophan an. + +Henriette. Und also, mit Erlaubnis meiner Schwester, bist du heute +meine. + +Juliane. Ohne Widerrede. + +Lisette. Juchhei! Mamsellchen. Ich bin also heute Ihre: Juchhei! + +Juliane. Ist das dein Lösungswort unter ihrer Fahne? + +Lisette. Ohne weitre Umstände: erzählen Sie mir nunmehr Ihre +Streitigkeit.--Unterdessen lege ich mein Gesicht in richterliche +Falten. + +Juliane. Streitigkeit? Eine wichtige Streitigkeit? Ihr seid beide +Schäkerinnen.--Ich will nichts mehr davon hören. + +Henriette. So? Du willst keinen Richter erkennen? Ein klarer Beweis, +daß du unrecht hast.--Höre nur, Lisette! wir haben über unsre +Anbeter gezankt. Ich will die Dinger immer noch so nennen, mag doch +zuletzt daraus werden, was da will. + +Lisette. Das dachte ich. Über was könnten sich zwei gute Schwestern +auch sonst zanken? Es ist freilich verdrießlich, wenn man sein +künftiges Haupt verachten hört. + +Henriette. Schwude! Mädchen; du willst ganz auf die falsche Seite. +Keine hat des andern Anbeter verachtet; sondern unser Zank kam daher, +weil eine des andern Anbeter--schon wieder Anbeter!--allzusehr erhob. + +Lisette. Eine neue Art Zanks! wahrhaftig, eine neue Art! + +Henriette. Kannst du es anders sagen, Juliane? + +Juliane. Oh! verschone mich doch damit. + +Henriette. Hoffe auf kein Verschonen, wenn du nicht widerrufst.--Sage, +Lisette, hast du unsre Männerchen schon einmal gegeneinander +gehalten? Was dünkt dich? Juliane macht ihren armen Theophan +herunter, als wenn er ein kleines Ungeheuer wäre. + +Juliane. Unartige Schwester! Wann habe ich dieses getan? Mußt du +aus einer flüchtigen Anmerkung, die du mir gar nicht hättest aufmutzen +sollen, solche Folgen ziehen? + +Henriette. Ich seh, man muß dich böse machen, wenn du mit der Sprache +heraus sollst.--Eine flüchtige Anmerkung nennst du es? Warum +strittest du denn über ihre Gründlichkeit? + +Juliane. Du hast doch närrische Ausdrücke! Fingst du nicht den +ganzen Handel selbst an? Ich glaubte, wie sehr ich dir schmeicheln +würde, wenn ich deinen Adrast den wohlgemachtesten Mann nennte, den +ich jemals gesehen hätte. Du hättest mir für meine Gesinnungen danken, +nicht aber widersprechen sollen. + +Henriette. Sieh, wie wunderlich du bist! Was war mein Widerspruch +anders, als ein Dank? Und wie konnte ich mich nachdrücklicher +bedanken, als wenn ich den unverdienten Lobspruch auf deinen Theophan +zurückschob?-- + +Lisette. Sie hat recht! + +Juliane. Nein, sie hat nicht recht. Denn eben dieses verdroß mich. +Muß sie auf einen so kindischen Fuß mit mir umgehen? Sahe sie mich +nicht dadurch für ein kleines spielendes Mädchen an, das zu ihr gesagt +hätte: Deine Puppe ist die schönste; und dem sie also, um es nicht +böse zu machen, antworten müßte: Nein, deine ist die schönste? + +Lisette. Nun hat sie recht! + +Henriette. Oh! geh, du bist eine artige Richterin. Hast du schon +vergessen, daß du mir heute angehörst? + +Lisette. Desto schärfer eben werde ich gegen Sie sein, damit ich +nicht parteiisch lasse. + +Juliane. Glaube mir nur, daß ich bessere Eigenschaften an einer +Mannsperson zu schätzen weiß, als seine Gestalt. Und es ist genug, +daß ich diese bessern Eigenschaften an dem Theophan finde. Sein Geist- +- + +Henriette. Von dem ist ja nicht die Rede. Jetzt kömmt es auf den +Körper an, und dieser ist an dem Theophan schöner, du magst sagen, was +du willst. Adrast ist besser gewachsen: gut; er hat einen schönern +Fuß: ich habe nichts dawider. Aber laß uns auf das Gesicht kommen.-- + +Juliane. So stückweise habe ich mich nicht eingelassen. + +Henriette. Das ist eben dein Fehler.--Was für ein Stolz, was für eine +Verachtung aller andern blickt nicht dem Adrast aus jeder Miene! Du +wirst es Adel nennen; aber machst du es dadurch schön? Umsonst sind +seine Gesichtszüge noch so regelmäßig: sein Eigensinn, seine Lust zum +Spotten hat eine gewisse Falte hineingebracht, die ihm in meinen Augen +recht häßlich läßt. Aber ich will sie ihm gewiß herausbringen: laß +nur die Flitterwochen erst vorbei sein.--Dein Theophan hingegen hat +das liebenswürdigste Gesicht von der Welt. Es herrscht eine +Freundlichkeit darin, die sich niemals verleugnet.-- + +Juliane. Sage mir doch nur nichts, was ich ebensogut bemerkt habe, +als du. Allein eben diese seine Freundlichkeit ist nicht sowohl das +Eigentum seines Gesichts, als die Folge seiner innern Ruhe. Die +Schönheit der Seele bringt auch in einen ungestalteten Körper Reize; +so wie ihre Häßlichkeit dem vortrefflichsten Baue und den schönsten +Gliedern desselben, ich weiß nicht was eindrückt, das einen +unzuerklärenden Verdruß erwecket. Wenn Adrast eben der fromme Mann +wäre, der Theophan ist; wenn seine Seele von ebenso göttlichen +Strahlen der Wahrheit, die er sich mit Gewalt zu verkennen bestrebet, +erleuchtet wäre: so würde er ein Engel unter den Menschen sein; da er +jetzt kaum ein Mensch unter den Menschen ist. Zürne nicht, Henriette, +daß ich so verächtlich von ihm rede. Wenn er in gute Hände fällt, +kann er noch alles das werden, was er jetzt nicht ist, weil er es nie +hat sein wollen. Seine Begriffe von der Ehre, von der natürlichen +Billigkeit sind vortrefflich.-- + +Henriette (spöttisch). Oh! du machst ihn auch gar zu sehr herunter.-- +Aber im Ernste, kann ich nicht sagen, daß du mich nunmehr für das +kleine spielende Mädchen ansiehst? Ich mag ja nicht von dir +seinetwegen zufriedengestellt sein. Er ist, wie er ist, und lange gut +für mich. Du sprachst von guten Händen, in die er fallen müßte, wenn +noch was aus ihm werden sollte. Da er in meine nunmehr gefallen ist, +wird er wohl nicht anders werden. Mich nach ihm zu richten, wird mein +einziger Kunstgriff sein, uns das Leben erträglich zu machen. Nur die +verdrießlichen Gesichter muß er ablegen; und da werde ich ihm die +Gesichter deines Theophans zum Muster vorschlagen. + +Juliane. Schon wieder Theophan, und seine freundlichen Gesichter? + +Lisette. Stille! Mamsell-- + + + +Zweiter Auftritt + +Theophan. Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette (springt dem Theophan entgegen). Kommen Sie doch, Theophan, +kommen Sie!--Können Sie wohl glauben, daß ich Ihre Partei gegen meine +Schwester habe halten müssen? Bewundern Sie meine Uneigennützigkeit. +Ich habe Sie bis in den Himmel erhoben, da ich doch weiß, daß ich Sie +nicht bekomme, sondern daß Sie für meine Schwester bestimmt sind, die +Ihren Wert nicht kennet. Denken Sie nur, sie behauptet, daß Sie keine +so schöne Person vorstellten, als Adrast. Ich weiß nicht, wie sie das +behaupten kann. Ich sehe doch den Adrast mit den Augen einer +Verliebten an, das ist, ich mache mir ihn noch zehnmal schöner, als er +ist, und gleichwohl geben Sie ihm, meines Bedünkens, nichts nach. Sie +spricht zwar, auf der Seite des Geistes hätten Sie mehr Vorzüge; aber +was wissen wir Frauenzimmer denn vom Geiste? + +Juliane. Die Schwätzerin! Sie kennen sie, Theophan: glauben Sie ihr +nicht. + +Theophan. Ich ihr nicht glauben, schönste Juliane? Warum wollen Sie +mich nicht in der glücklichen Überzeugung lassen, daß Sie so +vorteilhaft von mir gesprochen haben?--Ich danke Ihnen, angenehmste +Henriette, für Ihre Verteidigung; ich danke Ihnen umsovielmehr, je +stärker ich selbst überführet bin, daß Sie eine schlechte Sache haben +verteidigen müssen. Allein-- + +Henriette. Oh! Theophan, von Ihnen verlange ich es nicht, daß Sie +mir recht geben sollen. Es ist eine andere gewisse Person-- + +Juliane. Lassen Sie dieser andern Person Gerechtigkeit widerfahren, +Theophan. Sie werden, hoffe ich, meine Gesinnungen kennen-- + +Theophan. Gehen Sie nicht mit mir, als mit einem Fremden um, liebste +Juliane. Brauchen Sie keine Einlenkungen; ich würde bei jeder nähern +Bestimmung verlieren.--Bei den Büchern, in einer engen staubigten +Studierstube, vergißt man des Körpers sehr leicht; und Sie wissen, der +Körper muß ebensowohl bearbeitet werden, als die Seele, wenn beide +diejenigen Vollkommenheiten erhalten sollen, deren sie fähig sind. +Adrast ist in der großen Welt erzogen worden; er hat alles, was bei +derselben beliebt macht-- + +Henriette. Und wenn es auch Fehler sein sollten.-- + +Theophan. Wenigstens habe ich diese Anmerkung nicht machen wollen.-- +Aber nur Geduld! ein großer Verstand kann diesen Fehlern nicht immer +ergeben sein. Adrast wird das Kleine derselben endlich einsehen, +welches sich nur allzusehr durch das Leere verrät, das sie in unsern +Herzen zurücklassen. Ich bin seiner Umkehr so gewiß, daß ich ihn +schon im voraus darum liebe.--Wie glücklich werden Sie mit ihm leben, +glückliche Henriette! + +Henriette. So edel spricht Adrast niemals von Ihnen, Theophan.-- + +Juliane. Abermals eine recht garstige Anmerkung, meine liebe +Schwester.--Was suchst du damit, daß du dem Theophan dieses sagst? Es +ist allezeit besser, wenn man es nicht weiß, wer von uns übel spricht. +Die Kenntnis unserer Verleumder wirkt auch in dem großmütigsten +Herzen eine Art von Entfernung gegen sie, die ihre Aussöhnung mit der +beleidigten Person nur noch schwerer macht. + +Theophan. Sie entzücken mich, Juliane. Aber fürchten Sie nichts! +Eben darin soll über kurz oder lang mein Triumph bestehen, daß ich den +mich jetzt verachtenden Adrast besser von mir zu urteilen gezwungen +habe. Würde ich aber nicht diesen ganzen Triumph zernichten, wenn ich +selbst einigen Groll gegen ihn fassen wollte? Noch hat er sich nicht +die Mühe genommen, mich näher kennenzulernen. Vielleicht, daß ich ein +Mittel finde, ihn dazu zu vermögen.--Lassen Sie uns nur jetzt davon +abbrechen; und erlauben Sie, daß ich einen meiner nächsten +Blutsfreunde bei Ihnen anmelden darf, der sich ein Vergnügen daraus +gemacht hat, mich hier zu überraschen.-- + +Juliane. Einen Anverwandten? + +Henriette. Und wer ist es? + +Theophan. Araspe. + +Juliane. Araspe? + +Henriette. Ei! das ist ja vortrefflich! Wo ist er denn? + +Theophan. Er war eben abgestiegen, und hat mir versprochen, +unverzüglich nachzufolgen. + +Henriette. Weiß es der Papa schon? + +Theophan. Ich glaube nicht. + +Juliane. Und die Großmama? + +Henriette. Komm, Schwesterchen! diese fröhliche Nachricht müssen wir +ihnen zuerst bringen.--Du bist doch nicht böse auf mich? + +Juliane. Wer kann auf dich böse sein, Schmeichlerin? Komm nur! + +Theophan. Erlauben Sie, daß ich ihn hier erwarte. + +Henriette. Bringen Sie ihn aber nur bald. Hören Sie! + + + +Dritter Auftritt + +Theophan. Lisette. + + +Lisette. Ich bleibe, Herr Theophan, um Ihnen noch ein kleines großes +Kompliment zu machen. Wahrhaftig! Sie sind der glücklichste Mann von +der Welt! und wenn Herr Lisidor, glaube ich, noch zwei Töchter hätte, +so würden sie doch alle viere in Sie verliebt sein. + +Theophan. Wie versteht Lisette das? + +Lisette. Ich verstehe es so: daß wenn es alle viere sein würden, es +jetzt alle zwei sein müssen. + +Theophan (lächelnd). Noch dunkler! + +Lisette. Das sagt Ihr Lächeln nicht.--Wenn Sie aber wirklich Ihre +Verdienste selbst nicht kennen, so sind Sie nur desto liebenswerter. +Juliane liebt Sie: und das geht mit rechten Dingen zu, denn sie soll +Sie lieben. Nur schade, daß ihre Liebe so ein gar vernünftiges +Ansehen hat. Aber was soll ich zu Henrietten sagen? Gewiß sie liebt +Sie auch, und was das Verzweifeltste dabei ist, sie liebt Sie--aus +Liebe.--Wenn Sie sie doch nur alle beide auch heiraten könnten! + +Theophan. Sie meint es sehr gut, Lisette! + +Lisette. Ja, wahrhaftig! alsdann sollten Sie mich noch obendrein +behalten. + +Theophan. Noch besser! Aber ich sehe, Lisette hat Verstand-- + +Lisette. Verstand? Auf das Kompliment weiß ich, leider! nichts zu +antworten. Auf ein anders: Lisette ist schön, habe ich wohl ungefähr +antworten lernen: Mein Herr, Sie scherzen. Ich weiß nicht, ob sich +diese Antwort hieher auch schickt. + +Theophan. Ohne Umstände!--Lisette kann mir einen Dienst erzeigen, +wenn sie mir ihre wahre Meinung von Julianen entdeckt. Ich bin gewiß, +daß sie auch in ihren Mutmaßungen nicht weit vom Ziele treffen wird. +Es gibt gewisse Dinge, wo ein Frauenzimmerauge immer schärfer sieht, +als hundert Augen der Mannspersonen. + +Lisette. Verzweifelt! diese Erfahrung können Sie wohl nimmermehr aus +Büchern haben--Aber, wenn Sie nur acht auf meine Reden gegeben hätten; +ich habe Ihnen bereits meine wahre Meinung von Julianen gesagt. Sagte +ich Ihnen nicht, daß mir ihre Liebe ein gar zu vernünftiges Ansehen zu +haben scheine? Darin liegt alles, was ich davon denke. Überlegung, +Pflicht, vorzügliche Schönheiten der Seele--Ihnen die Wahrheit zu +sagen, gegen so vortreffliche Worte, in einem weiblichen Munde, mag +ein Liebhaber immer ein wenig mißtrauisch sein. Und noch eine kleine +Beobachtung gehöret hieher: diese nämlich, daß sie mit den schönen +Worten weit sparsamer gewesen, als Herr Theophan allein im Hause war. + +Theophan. Gewiß? + +Lisette (nachdem sie ihn einen Augenblick angesehen). Herr Theophan! +Herr Theophan! Sie sagen dieses Gewiß mit einer Art,--mit einer Art,-- + +Theophan. Mit was für einer Art? + +Lisette. Ja! nun ist sie wieder weg. Die Mannspersonen! die +Mannspersonen! Und wenn es auch gleich die allerfrömmsten sind--Doch +ich will mich nicht irremachen lassen. Seit Adrast im Hause ist, +wollte ich sagen, fallen zwischen dem Adrast und Julianen dann und +wann Blicke vor-- + +Theophan. Blicke?--Sie beunruhiget mich, Lisette. + +Lisette. Und das Beunruhigen können Sie so ruhig aussprechen, so +ruhig--Ja, Blicke fallen zwischen ihnen vor; Blicke, die nicht ein +Haar anders sind, als die Blicke, die dann und wann zwischen Mamsell +Henrietten und dem vierten vorfallen-- + +Theophan. Was für einem vierten? + +Lisette. Werden Sie nicht ungehalten. Wenn ich Sie gleich den +vierten nenne, so sind Sie eigentlich doch in aller Absicht der erste. + +Theophan (die ersten Worte beiseite). Die Schlaue!--Sie beschämt mich +für meine Neubegierde, und ich habe es verdient. Nichtsdestoweniger +aber irret Sie sich, Lisette; gewaltig irret Sie sich-- + +Lisette. O pfui! Sie machten mir vorhin ein so artiges Kompliment, +und nunmehr gereuet es Sie auf einmal, mir es gemacht zu haben.--Ich +müßte gar nichts von dem Verstande besitzen, den Sie mir beilegten, +wenn ich mich so gar gewaltig irren sollte.-- + +Theophan (unruhig und zerstreut). Aber wo bleibt er denn?-- + +Lisette. Mein Verstand?--Wo er will.--So viel ist gewiß, daß Adrast +bei Henrietten ziemlich schlecht steht, sosehr sie sich auch nach +seiner Weise zu richten scheint. Sie kann alles leiden, nur +geringgeschätzt zu werden, kann sie nicht leiden. Sie weiß es +allzuwohl, für was uns Adrast ansieht: für nichts, als Geschöpfchen, +die aus keiner andern Absicht da sind, als den Männern ein Vergnügen +zu machen. Und das ist doch sehr nichtswürdig gedacht! Aber da kann +man sehen, in was für gottlose Irrtümer die ungläubigen Leute +verfallen.--Nu? Hören Sie mir nicht mehr zu, Herr Theophan? Wie so +zerstreut? wie so unruhig? + +Theophan. Ich weiß nicht, wo mein Vetter bleibt?-- + +Lisette. Er wird ja wohl kommen.-- + +Theophan. Ich muß ihm wirklich nur wieder entgegengehn.--Adieu, +Lisette! + + + +Vierter Auftritt + +Lisette. Das heiße ich kurz abgebrochen!--Er wird doch nicht +verdrießlich geworden sein, daß ich ihm ein wenig auf den Zahn fühlte? +Das brave Männchen! Ich will nur gerne sehen, was noch daraus werden +wird. Ich gönne ihm wirklich alles Gutes, und wenn es nach mir gehen +sollte, so wüßte ich schon, was ich täte.--(Indem sie sich umsieht.) +Wer kömmt denn da den Gang hervor?--Sind die es?--Ein Paar +allerliebste Schlingel! Adrasts Johann, und Theophans Martin: die +wahren Bilder ihrer Herren, von der häßlichen Seite! Aus +Freigeisterei ist jener ein Spitzbube; und aus Frömmigkeit dieser ein +Dummkopf. Ich muß mir doch die Lust machen, sie zu behorchen. (Sie +tritt zurück.) + + + +Fünfter Auftritt + +Lisette, halb versteckt hinter einer Szene. Johann. Martin. + + +Johann. Was ich dir sage! + +Martin. Du mußt mich für sehr dumm ansehen. Dein Herr ein Atheist? +das glaube sonst einer! Er sieht ja aus wie ich und du. Er hat Hände +und Füße; er hat das Maul in der Breite und die Nase in der Länge, wie +ein Mensch; er red't, wie ein Mensch; er ißt, wie ein Mensch:--und +soll ein Atheist sein? + +Johann. Nun? sind denn die Atheisten keine Menschen? + +Martin. Menschen? Ha! ha! ha! Nun höre ich, daß du selber nicht +weißt, was ein Atheist ist. + +Johann. Zum Henker! du wirst es wohl besser wissen. Ei! belehre +doch deinen unwissenden Nächsten. + +Martin. Hör zu!--Ein Atheist ist--eine Brut der Hölle, die sich, wie +der Teufel, tausendmal verstellen kann. Bald ist's ein listiger Fuchs, +bald ein wilder Bär;--bald ist's ein Esel, bald ein Philosoph;--bald +ist's ein Hund, bald ein unverschämter Poete. Kurz, es ist ein Untier, +das schon lebendig bei dem Satan in der Hölle brennt,--eine Pest der +Erde,--eine abscheuliche Kreatur,--ein Vieh, das dummer ist, als ein +Vieh;--ein Seelenkannibal,--ein Antichrist,--ein schreckliches +Ungeheuer-- + +Johann. Es hat Bocksfüße: nicht? Zwei Hörner? einen Schwanz?-- + +Martin. Das kann wohl sein.--Es ist ein Wechselbalg, den die Hölle +durch--durch einen unzüchtigen Beischlaf mit der Weisheit dieser Welt +erzeugt hat;--es ist--ja, sieh, das ist ein Atheist. So hat ihn unser +Pfarr abgemalt; der kennt ihn aus großen Büchern. + +Johann. Einfältiger Schöps!--Sieh mich doch einmal an. + +Martin. Nu? + +Johann. Was siehst du an mir? + +Martin. Nichts, als was ich zehnmal besser an mir sehen kann. + +Johann. Findest du denn etwas Erschreckliches, etwas Abscheuliches an +mir? Bin ich nicht ein Mensch, wie du? Hast du jemals gesehen, daß +ich ein Fuchs, ein Esel, oder ein Kannibal gewesen wäre? + +Martin. Den Esel laß immer weg, wenn ich dir antworten soll, wie du +gerne willst.--Aber, warum fragst du das? + +Johann. Weil ich selbst ein Atheist bin; das ist, ein starker Geist, +wie es jetzt jeder ehrlicher Kerl nach der Mode sein muß. Du sprichst, +ein Atheist brenne lebendig in der Hölle. Nun! rieche einmal: +riechst du einen Brand an mir? + +Martin. Drum eben bist du keiner. + +Johann. Ich wäre keiner? Tue mir nicht die Schande an, daran zu +zweifeln, oder--Doch wahrhaftig, das Mitleiden verhindert mich, böse +zu werden. Du bist zu beklagen, armer Schelm! + +Martin. Arm? Laß einmal sehen, wer die vergangene Woche das meiste +Trinkgeld gekriegt hat. (Er greift in die Tasche.) Du bist ein +lüderlicher Teufel, du versäufst alles-- + +Johann. Laß stecken! Ich rede von einer ganz andern Armut, von der +Armut des Geistes, der sich mit lauter elenden Brocken des +Aberglaubens ernähren, und mit lauter armseligen Lumpen der Dummheit +kleiden muß.--Aber so geht es euch Leuten, die ihr nicht weiter, als +höchstens vier Meilen hinter den Backofen kommt. Wenn du gereiset +wärest, wie ich-- + +Martin. Gereist bist du? Laß hören, wo bist du gewesen? + +Johann. Ich bin gewesen--in Frankreich-- + +Martin. In Frankreich? Mit deinem Herrn? + +Johann. Ja, mein Herr war mit. + +Martin. Das ist das Land, wo die Franzosen wohnen?--So wie ich einmal +einen gesehen habe,--das war eine schnurrige Kröte! In einem +Augenblicke konnte er sich siebenmal auf dem Absatze herumdrehen, und +dazu pfeifen. + +Johann. Ja, es gibt große Geister unter ihnen! Ich bin da erst recht +klug geworden. + +Martin. Hast du denn auch Frankreich'sch gelernt? + +Johann. Französisch, willst, du sagen:--vollkommen. + +Martin. Oh! rede einmal! + +Johann. Das will ich wohl tun.--Quelle heure est-il, maraut? Le père +et la mère une fille de coups de bâton. Comment coquin? Diantre +diable carogne à vous servir. + +Martin. Das ist schnakisch! Und das Zeug können die Leute da +verstehen? Sag einmal, was hieß das auf deutsch? + +Johann. Ja! auf deutsch! Du guter Narre, das läßt sich auf deutsch +nicht so sagen. Solche feine Gedanken können nur französisch +ausgedrückt werden. + +Martin. Der Blitz!--Nu? wo bist du weiter gewesen? + +Johann. Weiter? In England-- + +Martin. In England?--Kannst du auch Engländ'sch + +Johann. Was werde ich nicht können? + +Martin. Sprich doch! + +Johann. Du mußt wissen, es ist eben wie das Französische. Es ist +französisch, versteh mich, auf englisch ausgesprochen. Was hörst du +dir dran ab?--Ich will dir ganz andre Dinge sagen, wenn du mir zuhören +willst. Dinge, die ihresgleichen nicht haben müssen. Zum Exempel, +auf unsern vorigen Punkt zu kommen: sei kein Narr, und glaube, daß ein +Atheist so ein schrecklich Ding ist. Ein Atheist ist nichts weiter, +als ein Mensch, der keinen Gott glaubt.-- + +Martin. Keinen Gott? Je! das ist ja noch viel ärger! Keinen Gott? +Was glaubt er denn? + +Johann. Nichts. + +Martin. Das ist wohl eine mächtige Mühe. + +Johann. Ei! Mühe! Wenn auch nichts glauben eine Mühe wäre, so +glaubten ich und mein Herr gewiß alles. Wir sind geschworne Feinde +alles dessen, was Mühe macht. Der Mensch ist in der Welt, vergnügt +und lustig zu leben. Die Freude, das Lachen, das Kurtisieren, das +Saufen sind seine Pflichten. Die Mühe ist diesen Pflichten hinderlich; +also ist es auch notwendig seine Pflicht, die Mühe zu fliehen.--Sieh, +das war ein Schluß, der mehr Gründliches enthält, als die ganze Bibel. + +Martin. Ich wollt's. Aber sage mir doch, was hat man denn in der +Welt ohne Mühe? + +Johann. Alles was man erbt, und was man erheiratet. Mein Herr erbte +von seinem Vater und von zwei reichen Vettern keine kleinen Summen; +und ich muß ihm das Zeugnis geben, er hat sie, als ein braver Kerl, +durchgebracht. Jetzt bekömmt er ein reich Mädel, und, wenn er klug +ist, so fängt er es wieder an, wo er es gelassen hat. Seit einiger +Zeit ist er mir zwar ganz aus der Art geschlagen; und ich sehe wohl, +auch die Freigeisterei bleibt nicht klug, wenn sie auf die Freite geht. +Doch ich will ihn schon wieder in Gang bringen.--Und höre, Martin, +ich will auch dein Glück machen. Ich habe einen Einfall; aber ich +glaube nicht, daß ich ihn anders wohl von mir geben kann, als--bei +einem Glase Wein. Du klimpertst vorhin mit deinen Trinkgeldern; und +gewiß, du bist in Gefahr, keine mehr zu bekommen, wenn man nicht sieht, +daß du sie dazu anwendest, wozu sie dir gegeben werden. Zum Trinken, +guter Martin, zum Trinken: darum heißen es Trinkgelder.-- + +Martin. Still! Herr Johann, still!--Du bist mir so noch Revansche +schuldig. Habe ich dich nicht jenen Abend nur noch freigehalten?-- +Doch, laß einmal hören! was ist denn das für ein Glück, das ich von +dir zu hoffen habe? + +Johann. Höre, wenn mein Herr heiratet, so muß er noch einen Bedienten +annehmen.--Eine Kanne Wein, so sollst du bei mir den Vorzug haben. Du +versauerst doch nur bei deinem dummen Schwarzrocke. Du sollst bei +Adrasten mehr Lohn und mehr Freiheit haben; und ich will dich noch +obendrein zu einem starken Geiste machen, der es mit dem Teufel und +seiner Großmutter aufnimmt, wenn nur erst einer wäre. + +Martin. Was? wenn erst einer wäre? Ho! ho! Ist es nicht genug, +daß du keinen Gott glaubst? willst du noch dazu keinen Teufel +glauben? Oh! male ihn nicht an die Wand! Er läßt sich nicht so +lange herumhudeln, wie der liebe Gott. Der liebe Gott ist gar zu gut, +und lacht über einen solchen Narren, wie du bist. Aber der Teufel-- +dem läuft gleich die Laus über die Leber; und darnach sieht's nicht +gut aus.--Nein, bei dir ist kein Aushalten: ich will nur gehen.-- + +Johann (hält ihn zurück). Spitzbube! Spitzbube! denkst du, daß ich +deine Streiche nicht merke? Du fürchtest dich mehr für die Kanne Wein, +die du geben sollst, als für den Teufel. Halt!--Ich kann dich aber +bei dem allen unmöglich in dergleichen Aberglauben stecken lassen. +Überlege dir's nur:--Der Teufel--der Teufel--Ha! ha! ha!--Und dir +kömmt es nicht lächerlich vor? Je! so lache doch! + +Martin. Wenn kein Teufel wäre, wo kämen denn die hin, die ihn +auslachen?--Darauf antworte mir einmal! den Knoten beiß mir auf! +Siehst du, daß ich auch weiß, wie man euch Leute zuschanden machen muß? + +Johann. Ein neuer Irrtum! Und wie kannst du so ungläubig gegen meine +Worte sein? Es sind die Aussprüche der Weltweisheit, die Orakel der +Vernunft! Es ist bewiesen, sage ich dir, in Büchern ist es bewiesen, +daß es weder Teufel noch Hölle gibt.--Kennst du Balthasarn? Es war +ein berühmter Bäcker in Holland. + +Martin. Was gehn mich die Bäcker in Holland an? Wer weiß, ob sie so +gute Brezeln backen, wie der hier an der Ecke. + +Johann. Ei! das war ein gelehrter Bäcker! Seine bezauberte Welt--ha! +--das ist ein Buch! Mein Herr hat es einmal gelesen. Kurz, ich +verweise dich auf das Buch, so wie man mich darauf verwiesen hat, und +will dir nur im Vertrauen sagen: Der muß ein Ochse, ein Rindvieh, ein +altes Weib sein, der einen Teufel glauben kann. Soll ich dir's +zuschwören, daß keiner ist?--Ich will ein Hundsfott sein! + +Martin. Pah! der Schwur geht wohl mit. + +Johann. Nun, sieh,--ich will, ich will--auf der Stelle verblinden, +wenn ein Teufel ist. + +(Lisette springt geschwinde hinter der Szene hervor, und hält ihm +rückwärts die Augen zu, indem sie dem Martin zugleich winkt.) + +Martin. Das wäre noch was; aber du weißt schon, daß das nicht +geschieht. + +Johann (ängstlich). Ach! Martin, ach! + +Martin. Was ist's? + +Johann. Martin, wie wird mir? Wie ist mir, Martin? + +Martin. Nu? was hast du denn? + +Johann. Seh ich--oder--ach! daß Gott--Martin! Martin! wie wird es +auf einmal so Nacht? + +Martin. Nacht? Was willst du mit der Nacht? + +Johann. Ach! so ist es nicht Nacht? Hülfe! Martin, Hülfe! + +Martin. Was denn für Hülfe? Was fehlt dir denn? + +Johann. Ach! ich bin blind, ich bin blind! Es liegt mir auf den +Augen, auf den Augen.--Ach! ich zittere am ganzen Leibe-- + +Martin. Blind bist du? Du wirst ja nicht?--Warte, ich will dich in +die Augen schlagen, daß das Feuer herausspringt, und du sollst bald +sehen-- + +Johann. Ach! ich bin gestraft, ich bin gestraft. Und du kannst +meiner noch spotten? Hülfe! Martin, Hülfe!--(Er fällt auf die Knie.) +Ich will mich gern bekehren! Ach! was bin ich für ein Bösewicht +gewesen!-- + +Lisette (welche plötzlich gehen läßt, und, indem sie hervorspringt, +ihm eine Ohrfeige gibt). Du Schlingel! + +Martin. Ha! ha! ha! + +Johann. Ach! ich komme wieder zu mir. (Indem er aufsteht.) Sie +Rabenaas, Lisette! + +Lisette. Kann man euch Hundsfötter so ins Bockshorn jagen? Ha! ha! +ha! + +Martin. Krank lache ich mich noch darüber. Ha! ha! ha! + +Johann. Lacht nur! lacht nur!--Ihr seid wohl albern, wenn ihr denkt, +daß ich es nicht gemerkt habe.--(Beiseite.) Das Blitzmädel, was sie +mir für einen Schreck abgejagt hat! Ich muß mich wieder erholen. +(Geht langsam ab.) + +Martin. Gehst du? Oh! lacht ihn doch aus! Je! lach Sie doch, +Lisettchen, lach Sie doch! Ha! ha! ha! Das hat Sie vortrefflich +gemacht; so schöne, so schöne, ich möchte Sie gleich küssen.-- + +Lisette. Oh! geh, geh, dummer Martin! + +Martin. Komm Sie, wirklich! ich will Sie zu Weine führen. Ich will +Sie mit der Kanne Wein traktieren, um die mich der Schurke prellen +wollte. Komm Sie! + +Lisette. Das fehlte mir noch. Ich will nur gehen, und meinen +Mamsells den Spaß erzählen. + +Martin. Ja, und ich meinem Herrn.--Der war abgeführt! der war +abgeführt! + + +(Ende des zweiten Aufzuges.) + + + + + +Dritter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Theophan. Araspe. + + +Araspe. Was ich Ihnen sage, mein lieber Vetter. Das Vergnügen Sie zu +überfallen, und die Begierde bei Ihrer Verbindung gegenwärtig zu sein, +sind freilich die vornehmsten Ursachen meiner Anherkunft; nur die +einzigen sind es nicht. Ich hatte den Aufenthalt des Adrast endlich +ausgekundschaftet, und es war mir sehr lieb, auf diese Art, wie man +sagt, zwei Würfe mit einem Steine zu tun. Die Wechsel des Adrast sind +verfallen; und ich habe nicht die geringste Lust, ihm auch nur die +allerkleinste Nachsicht zu gönnen. Ich erstaune zwar, ihn, welches +ich mir nimmermehr eingebildet hätte, in dem Hause Ihres künftigen +Schwiegervaters zu finden; ihn auf eben demselben Fuße, als Sie, +Theophan, hier zu finden: aber gleichwohl,--und wenn ihn das Schicksal +auch noch näher mit mir verbinden könnte,-- + +Theophan. Ich bitte Sie, liebster Vetter, beteuern Sie nichts. + +Araspe. Warum nicht? Sie wissen wohl, Theophan, ich bin der Mann +sonst nicht, welcher seine Schuldner auf eine grausame Art zu drücken +fähig wäre.-- + +Theophan. Das weiß ich, und desto eher-- + +Araspe. Hier wird kein Desto eher gelten. Adrast, dieser Mann, der +sich, auf eine ebenso abgeschmackte als ruchlose Art von andern +Menschen zu unterscheiden sucht, verdient, daß man ihn auch wieder von +andern Menschen unterscheide. Er muß die Vorrechte nicht genießen, +die ein ehrlicher Mann seinen elenden Nächsten sonst gern genießen +läßt. Einem spöttischen Freigeiste, welcher uns lieber das Edelste, +was wir besitzen, rauben und uns alle Hoffnung eines künftigen +glückseligern Lebens zunichte machen möchte, vergilt man noch lange +nicht Gleiches mit Gleichem, wenn man ihm das gegenwärtige Leben ein +wenig sauer macht.--Ich weiß, es ist der letzte Stoß, den ich dem +Adrast versetze; er wird seinen Kredit nicht wieder herstellen können. +Ja, ich wollte mich freuen, wenn ich sogar seine Heirat dadurch +rückgängig machen könnte. Wenn mir es nur um mein Geld zu tun wäre: +so sehen Sie wohl, daß ich diese Heirat lieber würde befördern helfen, +weil er doch wohl dadurch wieder etwas in die Hände bekommen wird. +Aber nein; und sollte ich bei dem Konkurse, welcher entstehen muß, +auch ganz und gar ledig ausgehen: so will ich ihn dennoch auf das +Äußerste bringen. Ja, wenn ich alles wohl erwäge, so glaube ich, ihm +durch diese Grausamkeit noch eine Wohltat zu erweisen. Schlechtere +Umstände werden ihn vielleicht zu ernsthaften Überlegungen bringen, +die er in seinem Wohlstande zu machen, nicht wert gehalten hat; und +vielleicht ändert sich, wie es fast immer zu geschehen pflegt, sein +Charakter mit seinem Glücke. + +Theophan. Ich habe Sie ausreden lassen. Ich glaube, Sie werden so +billig sein, und mich nunmehr auch hören. + +Araspe. Das werde ich.--Aber eingebildet hätte ich mir es nicht, daß +ich an meinem frommen Vetter einen Verteidiger des Adrasts finden +sollte. + +Theophan. Ich bin es weniger, als es scheinet; und es kommen hier so +viel Umstände zusammen, daß ich weiter fast nichts als meine eigne +Sache führen werde. Adrast, wie ich fest überzeugt bin, ist von +derjenigen Art Freigeister, die wohl etwas Besseres zu sein verdienten. +Es ist auch sehr begreiflich, daß man in der Jugend so etwas +gleichsam wider Willen werden kann. Man ist es aber alsdann nur so +lange, bis der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt ist, und sich +das aufwallende Geblüte abgekühlt hat. Auf diesem kritischen Punkte +steht jetzt Adrast; aber noch mit wankendem Fuße. Ein kleiner Wind, +ein Hauch kann ihn wieder herabstürzen. Das Unglück, das Sie ihm +drohen, würde ihn betäuben; er würde sich einer wütenden Verzweiflung +überlassen, und Ursache zu haben glauben, sich um die Religion nicht +zu bekümmern, deren strenge Anhänger sich kein Bedenken gemacht hätten, +ihn zugrunde zu richten. + +Araspe. Das ist etwas; aber-- + +Theophan. Nein, für einen Mann von Ihrer Denkungsart, liebster Vetter, +muß dieses nicht nur etwas, sondern sehr viel sein. Sie haben die +Sache von dieser Seite noch nicht betrachtet; Sie haben den Adrast nur +als einen verlornen Mann angesehen, an dem man zum Überflusse noch +eine desperate Kur wagen müsse. Aus diesem Grunde ist die Heftigkeit, +mit der Sie wider ihn sprachen, zu entschuldigen. Lernen Sie ihn aber +durch mich nunmehr unparteiischer beurteilen. Er ist in seinen Reden +jetzt weit eingezogener, als man mir ihn sonst beschrieben hat. Wenn +er streitet, so spottet er nicht mehr, sondern gibt sich alle Mühe, +Gründe vorzubringen. Er fängt an, auf die Beweise, die man ihm +entgegensetzt, zu antworten, und ich habe es ganz deutlich gemerkt, +daß er sich schämt, wenn er nur halb darauf antworten kann. Freilich +sucht er diese Scham noch dann und wann unter das Verächtliche eines +Schimpfworts zu verstecken; aber nur Geduld! es ist schon viel, daß +er diese Schimpfworte niemals mehr auf die heiligen Sachen, die man +gegen ihn verteidiget, sondern bloß auf die Verteidiger fallen läßt. +Seine Verachtung der Religion löset sich allmählich in die Verachtung +derer auf, die sie lehren. + +Araspe. Ist das wahr, Theophan? + +Theophan. Sie werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu +überzeugen.--Sie werden zwar hören, daß diese seine Verachtung der +Geistlichen mich jetzt am meisten trifft; allein ich bitte Sie im +voraus, nicht empfindlicher darüber zu werden, als ich selbst bin. +Ich habe es mir fest vorgenommen, ihn nicht mit gleicher Münze zu +bezahlen; sondern ihm vielmehr seine Freundschaft abzuzwingen, es mag +auch kosten, was es will. + +Araspe. Wenn Sie bei persönlichen Beleidigungen so großmütig sind-- + +Theophan. Stille! wir wollen es keine Großmut nennen. Es kann +Eigennutz, es kann eine Art von Ehrgeiz sein, sein Vorurteil von den +Gliedern meines Ordens durch mich zuschanden zu machen. Es sei aber, +was es wolle, so weiß ich doch, daß Sie viel zu gütig sind, mir darin +im Wege zu stehen. Adrast würde es ganz gewiß für ein abgekartetes +Spiel halten, wenn er sähe, daß mein Vetter so scharf hinter ihm drein +wäre. Seine Wut würde einzig auf mich fallen, und er würde mich +überall als einen Niederträchtigen ausschreien, der ihm, unter tausend +Versicherungen der Freundschaft, den Dolch ins Herz gestoßen habe. +Ich wollte nicht gerne, daß er die Exempel von hämtückischen Pfaffen, +wie er sie nennt, mit einigem Scheine der Wahrheit auch durch mich +vermehren könnte. + +Araspe. Lieber Vetter, das wollte ich noch tausendmal weniger, als +Sie.-- + +Theophan. Erlauben Sie also, daß ich Ihnen einen Vorschlag tue:--oder +nein; es wird vielmehr eine Bitte sein. + +Araspe. Nur ohne Umstände, Vetter. Sie wissen ja doch wohl, daß Sie +mich in Ihrer Hand haben. + +Theophan. Sie sollen so gütig sein und mir die Wechsel ausliefern, +und meine Bezahlung dafür annehmen. + +Araspe. Und Ihre Bezahlung dafür annehmen? Bei einem Haare hätten +Sie mich böse gemacht. Was reden Sie von Bezahlung? Wenn ich Ihnen +auch nicht gesagt hätte, daß es mir jetzt gar nicht um das Geld zu tun +wäre: so sollten Sie doch wenigstens wissen, daß das, was meine ist, +auch Ihre ist. + +Theophan. Ich erkenne meinen Vetter. + +Araspe. Und ich erkannte ihn fast nicht.--Mein nächster Blutsfreund, +mein einziger Erbe, sieht mich als einen Fremden an, mit dem er +handeln kann? (Indem er sein Taschenbuch herauszieht.) Hier sind die +Wechsel! Sie sind Ihre! machen Sie damit was Ihnen gefällt. + +Theophan. Aber erlauben Sie, liebster Vetter: ich werde nicht so frei +damit schalten dürfen, wenn ich sie nicht auf die gehörige Art an mich +gebracht habe. + +Araspe. Welches ist denn die gehörige Art unter uns, wenn es nicht +die ist, daß ich gebe, und Sie nehmen?--Doch damit ich alle Ihre +Skrupel hebe: wohl! Sie sollen einen Revers von sich stellen, daß Sie +die Summe dieser Wechsel nach meinem Tode bei der Erbschaft nicht noch +einmal fodern wollen. (Lächelnd.) Wunderlicher Vetter! sehen Sie +denn nicht, daß ich weiter nichts tue, als auf Abschlag bezahle?-- + +Theophan. Sie verwirren mich-- + +Araspe (der noch die Wechsel in Händen hat). Lassen Sie mich nur die +Wische nicht länger halten. + +Theophan. Nehmen Sie unterdessen meinen Dank dafür an. + +Araspe. Was für verlorne Worte! (Indem er sich umsieht.) Stecken +Sie hurtig ein; da kömmt Adrast selbst. + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast. Theophan. Araspe. + + +Adrast (erstaunend). Himmel! Araspe hier? + +Theophan. Adrast, ich habe das Vergnügen, Ihnen in dem Herrn Araspe +meinen Vetter vorzustellen. + +Adrast. Wie? Araspe Ihr Vetter? + +Araspe. Oh! wir kennen einander schon. Es ist mir angenehm, Herr +Adrast, Sie hier zu sehen. + +Adrast. Ich bin bereits die ganze Stadt nach Ihnen durchgerannt. Sie +wissen, wie wir miteinander stehen, und ich wollte Ihnen die Mühe +ersparen, mich aufzusuchen. + +Araspe. Es wäre nicht nötig gewesen. Wir wollen von unserer Sache +ein andermal sprechen. Theophan hat es auf sich genommen.-- + +Adrast. Theophan? Ha! nun ist es klar.-- + +Theophan. Was ist klar, Adrast? (Ruhig.) + +Adrast. Ihre Falschheit, Ihre List-- + +Theophan (zum Araspe). Wir halten uns zu lange hier auf. Lisidor, +lieber Vetter, wird Sie mit Schmerzen erwarten. Erlauben Sie, daß ich +Sie zu ihm führe.--(Zum Adrast.) Darf ich bitten, Adrast, daß Sie +einen Augenblick hier verziehen? Ich will den Araspe nur +heraufbegleiten; ich werde gleich wieder hier sein. + +Araspe. Wenn ich Ihnen raten darf, Adrast, so sein Sie gegen meinen +Vetter nicht ungerecht.-- + +Theophan. Er wird es nicht sein. Kommen Sie nur. + +(Theophan und Araspe gehen ab.) + + + +Dritter Auftritt + +Adrast (bitter). Nein, gewiß, ich werde es auch nicht sein! Er ist +unter allen seinesgleichen, die ich noch gekannt habe, der +hassenswürdigste! Diese Gerechtigkeit will ich ihm widerfahren lassen. +Er hat den Araspe ausdrücklich meinetwegen kommen lassen: das ist +unleugbar. Es ist mir aber doch lieb, daß ich ihm nie einen redlichen +Tropfen Bluts zugetrauet, und seine süßen Reden jederzeit für das +gehalten habe, was sie sind.-- + + + +Vierter Auftritt + +Adrast. Johann. + + +Johann. Nun? haben Sie den Araspe gefunden? + +Adrast. Ja. (Noch bitter.) + +Johann. Geht's gut? + +Adrast. Vortrefflich. + +Johann. Ich hätte es ihm auch raten wollen, daß er die geringste +Schwierigkeit gemacht hätte!--Und er hat doch schon wieder seinen +Abschied genommen? + +Adrast. Verzieh nur: er wird uns gleich den unsrigen bringen. + +Johann. Er den unsrigen?--Wo ist Araspe?-- + +Adrast. Beim Lisidor. + +Johann. Araspe beim Lisidor? Araspe? + +Adrast. Ja, Theophans Vetter. + +Johann. Was frage ich nach des Narren Vetter? Ich meine Araspen.-- + +Adrast. Den meine ich auch. + +Johann. Aber-- + +Adrast. Aber siehst du denn nicht, daß ich rasend werden möchte? Was +plagst du mich noch? Du hörst ja, daß Theophan und Araspe Vettern +sind. + +Johann. Zum erstenmal in meinem Leben.--Vettern? Ei! desto besser; +unsere Wechsel bleiben also in der Freundschaft, und Ihr neuer Herr +Schwager wird dem alten Herrn Vetter schon zureden-- + +Adrast. Du Dummkopf!--Ja, er wird ihm zureden, mich ohne Nachsicht +unglücklich zu machen.--Bist du denn so albern, es für einen Zufall +anzusehen, daß Araspe hier ist? Siehst du denn nicht, daß es Theophan +muß erfahren haben, wie ich mit seinem Vetter stehe? daß er ihm +Nachricht von meinen Umständen gegeben hat? daß er ihn gezwungen hat, +über Hals über Kopf eine so weite Reise zu tun, um die Gelegenheit ja +nicht zu versäumen, meinen Ruin an den Tag zu bringen, und mir dadurch +die letzte Zuflucht, die Gunst des Lisidors, zu vernichten? + +Johann. Verdammt! wie gehen mir die Augen auf! Sie haben recht. +Kann ich Esel denn, wenn von einem Geistlichen die Rede ist, nicht +gleich auf das Allerboshafteste fallen?--Ha! wenn ich doch die +Schwarzröcke auf einmal zu Pulver stampfen und in die Luft schießen +könnte! Was für Streiche haben sie uns nicht schon gespielt! Der +eine hat uns um manches Tausend Taler gebracht: das war der ehrwürdige +Gemahl Ihrer lieben Schwester. Der andere-- + +Adrast. Oh! fange nicht an, mir meine Unfälle vorzuzählen. Ich will +sie bald geendigt sehen. Alsdann will ich es doch abwarten, was mir +das Glück noch nehmen kann, wann ich nichts mehr habe. + +Johann. Was es Ihnen noch nehmen kann, wann Sie nichts mehr haben? +Das will ich Ihnen gleich sagen: Mich wird es Ihnen alsdann noch +nehmen. + +Adrast. Ich verstehe dich, Holunke!-- + +Johann. Verschwenden Sie Ihren Zorn nicht an mir. Hier kömmt der, an +welchem Sie ihn besser anwenden können. + + + +Fünfter Auftritt + +Theophan. Adrast. Johann. + + +Theophan. Ich bin wieder hier, Adrast. Es entfielen Ihnen vorhin +einige Worte von Falschheit und List.-- + +Adrast. Beschuldigungen entfallen mir niemals. Wenn ich sie +vorbringe, bringe ich sie mit Vorsatz und Überlegung vor. + +Theophan. Aber eine nähere Erklärung-- + +Adrast. Die fodern Sie nur von sich selbst. + +Johann (die ersten Worte beiseite). Hier muß ich hetzen.--Ja, ja, +Herr Theophan! es ist schon bekannt, daß Ihnen mein Herr ein Dorn in +den Augen ist. + +Theophan. Adrast, haben Sie es ihm befohlen, an Ihrer Stelle zu +antworten? + +Johann. So? auch meine Verteidigung wollen Sie ihm nicht gönnen? +Ich will doch sehen, wer mir verbieten soll, mich meines Herrn +anzunehmen. + +Theophan. Lassen Sie es ihn doch sehen, Adrast. + +Adrast. Schweig! + +Johann. Ich sollte-- + +Adrast. Noch ein Wort! (Drohend.) + +Theophan. Nunmehr darf ich die Bitte um eine nähere Erklärung doch +wohl wiederholen? Ich weiß sie mir selbst nicht zu geben. + +Adrast. Erklären Sie sich denn gerne näher, Theophan? + +Theophan. Mit Vergnügen, sobald es verlangt wird. + +Adrast. Ei! so sagen Sie mir doch, was wollte denn Araspe, bei +Gelegenheit dessen, was Sie schon wissen, mit den Worten sagen: +Theophan hat es auf sich genommen? + +Theophan. Darüber sollte sich Araspe eigentlich erklären. Doch ich +kann es an seiner Statt tun. Er wollte sagen, daß er mir Ihre Wechsel +zur Besorgung übergeben habe. + +Adrast. Auf Ihr Anliegen? + +Theophan. Das kann wohl sein. + +Adrast. Und was haben Sie beschlossen, damit zu tun? + +Theophan. Sie sind Ihnen ja noch nicht vorgewiesen worden? Können +wir etwas beschließen, ehe wir wissen, was Sie darauf tun wollen? + +Adrast. Kahle Ausflucht! Ihr Vetter weiß es längst, was ich darauf +tun kann. + +Theophan. Er weiß, daß Sie ihnen Genüge tun können. Und sind Sie +alsdann nicht auseinander? + +Adrast. Sie spotten. + +Theophan. Ich bin nicht Adrast. + +Adrast. Setzen Sie aber den Fall,--und Sie können ihn sicher setzen,-- +daß ich nicht imstande wäre zu bezahlen: was haben Sie alsdenn +beschlossen? + +Theophan. In diesem Falle ist noch nichts beschlossen. + +Adrast. Aber was dürfte beschlossen werden? + +Theophan. Das kömmt auf Araspen an. Doch sollte ich meinen, daß eine +einzige Vorstellung, eine einzige höfliche Bitte bei einem Manne, wie +Araspe ist, viel ausrichten könne. + +Johann. Nachdem die Ohrenbläser sind.-- + +Adrast. Muß ich es noch einmal sagen, daß du schweigen sollst? + +Theophan. Ich würde mir ein wahres Vergnügen machen, wenn ich Ihnen +durch meine Vermittelung einen kleinen Dienst dabei erzeigen könnte. + +Adrast. Und Sie meinen, daß ich Sie mit einer demütigen Miene, mit +einer kriechenden Liebkosung, mit einer niederträchtigen Schmeichelei +darum ersuchen solle? Nein, so will ich Ihre Kitzelung über mich +nicht vermehren. Wenn Sie mich mit dem ehrlichsten Gesichte +versichert hätten, Ihr möglichstes zu tun, so würden Sie in einigen +Augenblicken mit einer wehmütigen Stellung wiederkommen, und es +bedauern, daß Ihre angewandte Mühe umsonst sei? Wie würden sich Ihre +Augen an meiner Verwirrung weiden! + +Theophan. Sie wollen mir also keine Gelegenheit geben, das Gegenteil +zu beweisen?--Es soll Ihnen nur ein Wort kosten. + +Adrast. Nein, auch dieses Wort will ich nicht verlieren. Denn kurz,-- +und hier haben Sie meine nähere Erklärung:--Araspe würde, ohne Ihr +Anstiften, nicht hiehergekommen sein. Und nun, da Sie Ihre Mine, mich +zu sprengen, so wohl angelegt hätten, sollten Sie durch ein einziges +Wort können bewogen werden, sie nicht springen zu lassen? Führen Sie +Ihr schönes Werk nur aus. + +Theophan. Ich erstaune über Ihren Verdacht nicht. Ihre Gemütsart hat +mich ihn vorhersehen lassen. Aber gleichwohl ist es gewiß, daß ich +ebensowenig gewußt habe, daß Araspe Ihr Gläubiger sei, als Sie gewußt +haben, daß er mein Vetter ist. + +Adrast. Es wird sich zeigen. + +Theophan. Zu Ihrem Vergnügen, hoffe ich.--Heitern Sie Ihr Gesicht nur +auf, und folgen Sie mir mit zu der Gesellschaft.-- + +Adrast. Ich will sie nicht wieder sehen. + +Theophan. Was für ein Entschluß! Ihren Freund, Ihre Geliebte-- + +Adrast. Wird mir wenig kosten, zu verlassen. Sorgen Sie aber nur +nicht, daß es eher geschehen soll, als bis Sie befriediget sind. Ich +will Ihren Verlust nicht, und sogleich noch das letzte Mittel +versuchen.-- + +Theophan. Bleiben Sie, Adrast.--Es tut mir leid, daß ich Sie nicht +gleich den Augenblick aus aller Ihrer Unruhe gerissen habe.--Lernen +Sie meinen Vetter besser kennen, (indem er die Wechsel hervorzieht) +und glauben Sie gewiß, wenn Sie schon von mir das Allernichtswürdigste +denken wollen, daß wenigstens er ein Mann ist, der Ihre Hochachtung +verdient. Er will Sie nicht anders, als mit dem sorglosesten Gesichte +sehen, und gibt Ihnen deswegen Ihre Wechsel hier zurück. (Er reicht +sie ihm dar.) Sie sollen sie selbst so lange verwahren, bis Sie ihn +nach Ihrer Bequemlichkeit deswegen befriedigen können. Er glaubt, daß +sie ihm in Ihren Händen ebenso sicher sind, als unter seinem eigenen +Schlosse. Sie haben den Ruhm eines ehrlichen Mannes, wenn Sie schon +den Ruhm eines frommen nicht haben. + +Adrast (stutzig, indem er des Theophans Hand zurückstößt). Mit was +für einem neuen Fallstricke drohen Sie mir? Die Wohltaten eines +Feindes-- + +Theophan. Unter diesem Feinde verstehen Sie mich; was aber hat Araspe +mit Ihrem Hasse zu tun? Er ist es, nicht ich, der Ihnen diese +geringschätzige Wohltat erzeigen will; wenn anders eine armselige +Gefälligkeit diesen Namen verdient.--Was überlegen Sie noch? Hier, +Adrast! nehmen Sie Ihre Handschriften zurück! + +Adrast. Ich will mich wohl dafür hüten. + +Theophan. Ich bitte Sie, lassen Sie mich nicht unverrichteter Sache +zu einem Manne zurückkommen, der es mit Ihnen gewiß redlich meinet. +Er würde die Schuld seines verachteten Anerbietens auf mich schieben. +(Indem er ihm die Wechsel aufs neue darreicht, reißt sie ihm Johann +aus der Hand.) + +Johann. Ha! ha! mein Herr, in wessen Händen sind die Wechsel nun? + +Theophan (gelassen). In den deinigen, ohne Zweifel. Immer bewahre +sie, anstatt deines Herrn. + +Adrast (geht wütend auf den Bedienten los). Infamer! es kostet dein +Leben-- + +Theophan. Nicht so hitzig, Adrast. + +Adrast. Den Augenblick gib sie ihm zurück! (Er nimmt sie ihm weg.) +Geh mir aus den Augen! + +Johann. Nun, wahrhaftig!-- + +Adrast. Wo du noch eine Minute verziehst--(Er stößt ihn fort.) + + + +Sechster Auftritt + +Theophan. Adrast. + + +Adrast. Ich muß mich schämen, Theophan; ich glaube aber nicht, daß +Sie so gar weit gehen, und mich mit meinem Bedienten vermengen werden.- +-Nehmen Sie es zurück, was man Ihnen rauben wollte.-- + +Theophan. Es ist in der Hand, in der es sein soll. + +Adrast. Nein. Ich verachte Sie viel zu sehr, als daß ich Sie +abhalten sollte, eine niederträchtige Tat zu begehen. + +Theophan. Das ist empfindlich! (Er nimmt die Wechsel zurück.) + +Adrast. Es ist mir lieb, daß Sie mich nicht gezwungen, sie Ihnen vor +die Füße zu werfen. Wenn sie wieder in meine Hände zurückkommen +sollen, so werde ich anständigere Mittel dazu finden. Finde ich aber +keine, so ist es ebendas. Sie werden sich freuen, mich zugrunde zu +richten, und ich werde mich freuen, Sie von ganzem Herzen hassen zu +können. + +Theophan. Es sind doch wirklich Ihre Wechsel, Adrast? (Indem er sie +aufschlägt und ihm zeigt.) + +Adrast. Sie glauben etwa, daß ich sie leugnen werde?-- + +Theophan. Das glaube ich nicht; ich will bloß gewiß sein. (Er +zerreißt sie gleichgültig.) + +Adrast. Was machen Sie, Theophan? + +Theophan. Nichts. (Indem er die Stücken in die Szene wirft.) Ich +vernichte eine Nichtswürdigkeit, die einen Mann, wie Adrast ist, zu so +kleinen Reden verleiten kann. + +Adrast. Aber sie gehören nicht Ihnen.-- + +Theophan. Sorgen Sie nicht; ich tue, was ich verantworten kann.-- +Bestehet Ihr Verdacht noch? (Geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Adrast (sieht ihm einige Augenblicke nach). Was für ein Mann! Ich +habe tausend aus seinem Stande gefunden, die unter der Larve der +Heiligkeit betrogen; aber noch keinen, der es, wie dieser, unter der +Larve der Großmut, getan hätte.--Entweder er sucht mich zu beschämen, +oder zu gewinnen. Keines von beiden soll ihm gelingen. Ich habe mich, +zu gutem Glücke, auf einen hiesigen Wechsler besonnen, mit dem ich, +bei bessern Umständen, ehemals Verkehr hatte. Er wird hoffentlich +glauben, daß ich mich noch in ebendenselben befinde, und wenn das ist, +mir ohne Anstand die nötige Summe vorschießen. Ich will ihn aber +deswegen nicht zum Bocke machen, über dessen Hörner ich aus dem +Brunnen springe. Ich habe noch liegende Gründe, die ich mit Vorteil +verkaufen kann, wenn mir nur Zeit gelassen wird. Ich muß ihn +aufsuchen.-- + + + +Achter Auftritt + +Henriette. Adrast. + + +Henriette. Wo stecken Sie denn, Adrast? Man hat schon zwanzigmal +nach Ihnen gefragt. Oh! schämen Sie sich, daß ich Sie zu einer Zeit +suchen muß, da Sie mich suchen sollten. Sie spielen den Ehemann zu +zeitig. Doch getrost! vielleicht spielen Sie dafür den Verliebten +alsdann, wann ihn andre nicht mehr spielen. + +Adrast. Erlauben Sie, Mademoiselle; ich habe nur noch etwas Nötiges +außer dem Hause zu besorgen. + +Henriette. Was können Sie jetzt Nötigers zu tun haben, als um mich zu +sein? + +Adrast. Sie scherzen. + +Henriette. Ich scherze?--Das war ein allerliebstes Kompliment! + +Adrast. Ich mache nie welche. + +Henriette. Was für ein mürrisches Gesicht!--Wissen Sie, daß wir uns +über diese mürrischen Gesichter zanken werden, noch ehe uns die +Trauung die Erlaubnis dazu erteilt? + +Adrast. Wissen Sie, daß ein solcher Einfall in Ihrem Munde nicht eben +der artigste ist? + +Henriette. Vielleicht, weil Sie glauben, daß die leichtsinnigen +Einfälle nur in Ihrem Munde wohl lassen? Unterdessen haben Sie doch +wohl kein Privilegium darüber? + +Adrast. Sie machen Ihre Dinge vortrefflich. Ein Frauenzimmer, das so +fertig antworten kann, ist sehr viel wert. + +Henriette. Das ist wahr; denn wir schwachen Werkzeuge wissen sonst +den Mund am allerwenigsten zu gebrauchen. + +Adrast. Wollte Gott! + +Henriette. Ihr treuherziges Wollte Gott! bringt mich zum Lachen, so +sehr ich auch böse sein wollte. Ich bin schon wieder gut, Adrast. + +Adrast. Sie sehen noch einmal so reizend aus, wenn Sie böse sein +wollen; denn es kömmt doch selten weiter damit, als bis zur +Ernsthaftigkeit, und diese läßt Ihrem Gesichte um so viel schöner, je +fremder sie in demselben ist. Eine beständige Munterkeit, ein immer +anhaltendes Lächeln wird unschmackhaft. + +Henriette (ernsthaft). Oh! mein guter Herr, wenn das Ihr Fall ist, +ich will es Ihnen schmackhaft genug machen. + +Adrast. Ich wollte wünschen,--denn noch habe ich Ihnen nichts +vorzuschreiben,-- + +Henriette. Dieses Noch ist mein Glück. Aber was wollten Sie denn +wünschen? + +Adrast. Daß Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel Ihrer +ältesten Mademoisell Schwester richten möchten. Ich verlange nicht, +daß Sie ihre ganze sittsame Art an sich nehmen sollen; wer weiß, ob +sie Ihnen so anstehen würde?-- + +Henriette. St! die Pfeife verrät das Holz, woraus sie geschnitten +ist. Lassen Sie doch hören, ob meine dazu stimmt? + +Adrast. Ich höre. + +Henriette. Es ist recht gut, daß Sie auf das Kapitel von Exempeln +gekommen sind. Ich habe Ihnen auch einen kleinen Vers daraus +vorzupredigen. + +Adrast. Was für eine Art sich auszudrücken! + +Henriette. Hum! Sie denken, weil Sie nichts vom Predigen halten. +Sie werden finden, daß ich eine Liebhaberin davon bin. Aber hören Sie +nur:--(In seinem vorigen Tone.) Ich wollte wünschen,--denn noch habe +ich Ihnen nichts vorzuschreiben,-- + +Adrast. Und werden es auch niemals haben. + +Henriette. Ja so!--Streichen Sie also das weg.--Ich wollte wünschen, +daß Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel des Herrn Theophans +bilden möchten. Ich verlange nicht, daß Sie seine ganze gefällige Art +an sich nehmen sollen, weil ich nichts Unmögliches verlangen mag; aber +so etwas davon würde Sie um ein gut Teil erträglicher machen. Dieser +Theophan, der nach weit strengern Grundsätzen lebt, als die Grundsätze +eines gewissen Freigeistes sind, ist allezeit aufgeräumt und +gesprächig. Seine Tugend, und noch sonst etwas, worüber Sie aber +lachen werden, seine Frömmigkeit--Lachen Sie nicht? + +Adrast. Lassen Sie sich nicht stören. Reden Sie nur weiter. Ich +will unterdessen meinen Gang verrichten, und gleich wieder hier sein. +(Geht ab.) + +Henriette. Sie dürfen nicht eilen. Sie kommen, wann Sie kommen: Sie +werden mich nie wieder so treffen.--Welche Grobheit! Soll ich mich +wohl darüber erzürnen?--Ich will mich besinnen. (Geht auf der andern +Seite ab.) + +(Ende des dritten Aufzuges.) + + + + + +Vierter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette. Sage was du willst; sein Betragen ist nicht zu +entschuldigen. + +Juliane. Davon würde sich alsdann erst urteilen lassen, wann ich auch +seine Gründe gehört hätte. Aber, meine liebe Henriette, willst du mir +wohl eine kleine schwesterliche Ermahnung nicht übelnehmen? + +Henriette. Das kann ich dir nicht voraus sagen. Wenn sie dahin +abzielen sollte, wohin ich mir einbilde-- + +Juliane. Ja, wenn du mit deinen Einbildungen dazu kömmst-- + +Henriette. Oh! ich bin mit meinen Einbildungen recht wohl zufrieden. +Ich kann ihnen nicht nachsagen, daß sie mich jemals sehr irregeführt +hätten. + +Juliane. Was meinst du damit? + +Henriette. Muß man denn immer etwas meinen? Du weißt ja wohl, +Henriette schwatzt gerne in den Tag hinein, und sie erstaunt allezeit +selber, wenn sie von ohngefähr ein Pünktchen trifft, welches das +Pünktchen ist, das man nicht gerne treffen lassen möchte. + +Juliane. Nun höre einmal, Lisette! + +Henriette. Ja, Lisette, laß uns doch hören, was das für eine +schwesterliche Ermahnung ist, die sie mir erteilen will. + +Juliane. Ich dir eine Ermahnung? + +Henriette. Mich deucht, du sprachst davon. + +Juliane. Ich würde sehr übel tun, wenn ich dir das geringste sagen +wollte. + +Henriette. Oh! ich bitte-- + +Juliane. Laß mich! + +Henriette. Die Ermahnung, Schwesterchen!-- + +Juliane. Du verdienst sie nicht. + +Henriette. So erteile sie mir ohne mein Verdienst. + +Juliane. Du wirst mich böse machen. + +Henriette. Und ich,--ich bin es schon. Aber denke nur nicht, daß ich +es über dich bin. Ich bin es über niemanden, als über den Adrast. +Und was mich unversöhnlich gegen ihn macht, ist dieses, daß meine +Schwester seinetwegen gegen mich ungerecht werden muß. + +Juliane. Von welcher Schwester sprichst du? + +Henriette. Von welcher?--von der, die ich gehabt habe. + +Juliane. Habe ich dich jemals so empfindlich gesehen!--Du weißt es, +Lisette, was ich gesagt habe. + +Lisette. Ja, das weiß ich; und es war wirklich weiter nichts, als +eine unschuldige Lobrede auf den Adrast, an der ich nur das +auszusetzen hatte, daß sie Mamsell Henrietten eifersüchtig machen +mußte. + +Juliane. Eine Lobrede auf Adrasten? + +Henriette. Mich eifersüchtig? + +Lisette. Nicht so stürmisch!--So geht's den Leuten, die mit der +Wahrheit geradedurch wollen: sie machen es niemanden recht. + +Henriette. Mich eifersüchtig? Auf Adrasten eifersüchtig? Ich werde, +von heute an, den Himmel um nichts inbrünstiger anflehen, als um die +Errettung aus den Händen dieses Mannes. + +Juliane. Ich? eine Lobrede auf Adrasten? Ist das eine Lobrede, wenn +ich sage, daß ein Mann einen Tag nicht wie den andern aufgeräumt sein +kann? Wenn ich sage, daß Adrasten die Bitterkeit, worüber meine +Schwester klagt, nicht natürlich ist und daß sie ein zugestoßener +Verdruß bei ihm müsse erregt haben? Wenn ich sage, daß ein Mann, wie +er, der sich mit finsteren Nachdenken vielleicht nur zu sehr +beschäftiget-- + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast. Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette. Als wenn Sie gerufen wären, Adrast! Sie verließen mich +vorhin, unhöflich genug, mitten in der Erhebung des Theophans; aber +das hindert mich nicht, daß ich Ihnen nicht die Wiederholung Ihrer +eigenen anzuhören gönnen sollte.--Sie sehen sich um? Nach Ihrer +Lobrednerin gewiß? Ich bin es nicht, wahrhaftig! ich bin es nicht; +meine Schwester ist es. Eine Betschwester, die Lobrednerin eines +Freigeistes! Was für ein Widerspruch! Entweder Ihre Bekehrung muß +vor der Türe sein, Adrast, oder meiner Schwester Verführung. + +Juliane. Wie ausgelassen sie wieder auf einmal ist. + +Henriette. Stehen Sie doch nicht so hölzern da! + +Adrast. Ich nehme Sie zum Zeugen, schönste Juliane, wie verächtlich +sie mir begegnet. + +Henriette. Komm nur, Lisette! wir wollen sie allein lassen. Adrast +braucht ohne Zweifel unsere Gegenwart weder zu seiner Danksagung, noch +zu meiner Verklagung. + +Juliane. Lisette soll hierbleiben. + +Henriette. Nein, sie soll nicht. + +Lisette. Sie wissen wohl, ich gehöre heute Mamsell Henrietten. + +Henriette. Aber bei dem allen sieh dich vor, Schwester! Wenn mir +dein Theophan aufstößt, so sollst du sehen, was geschieht. Sie dürfen +nicht denken, Adrast, daß ich dieses sage, um Sie eifersüchtig zu +machen. Ich fühle es in der Tat, daß ich anfange, Sie zu hassen. + +Adrast. Es möchte Ihnen auch schwerlich gelingen, mich eifersüchtig +zu machen. + +Henriette. Oh! das wäre vortrefflich, wenn Sie mir hierinne gleich +wären. Alsdann, erst alsdann würde unsre Ehe eine recht glückliche +Ehe werden. Freuen Sie sich, Adrast! wie verächtlich wollen wir +einander begegnen!--Du willst antworten, Schwester? Nun ist es Zeit. +Fort, Lisette! + + + +Dritter Auftritt + +Adrast. Juliane. + + +Juliane. Adrast, Sie werden Geduld mit ihr haben müssen.--Sie +verdient es aber auch; denn sie hat das beste Herz von der Welt, so +verdächtig es ihre Zunge zu machen sucht. + +Adrast. Allzugütige Juliane! Sie hat das Glück, Ihre Schwester zu +sein; aber wie schlecht macht sie sich dieses Glück zunutze? Ich +entschuldige jedes Frauenzimmer, das ohne merkliche Fehler nicht hat +aufwachsen können, weil es ohne Erziehung und Beispiele hat aufwachsen +müssen; aber ein Frauenzimmer zu entschuldigen, das eine Juliane zum +Muster gehabt hat, und eine Henriette geworden ist: bis dahin langt +meine Höflichkeit nicht.-- + +Juliane. Sie sind aufgebracht, Adrast: wie könnten Sie billig sein? + +Adrast. Ich weiß nicht, was ich jetzo bin; aber ich weiß, daß ich aus +Empfindung rede.-- + +Juliane. Die zu heftig ist, als daß sie lange anhalten sollte. + +Adrast. So prophezeien Sie mir mein Unglück. + +Juliane. Wie?--Sie vergessen, in was für Verbindung Sie mit meiner +Schwester stehen? + +Adrast. Ach! Juliane, warum muß ich Ihnen sagen, daß ich kein Herz +für Ihre Schwester habe? + +Juliane. Sie erschrecken mich.-- + +Adrast. Und ich habe Ihnen nur noch die kleinste Hälfte von dem +gesagt, was ich Ihnen sagen muß. + +Juliane. So erlauben Sie, daß ich mir die größre erspare. (Sie will +fortgehen.) + +Adrast. Wohin? Ich hätte Ihnen meine Veränderung entdeckt, und Sie +wollten die Gründe, die mich dazu bewogen haben, nicht anhören? Sie +wollten mich mit dem Verdachte verlassen, daß ich ein unbeständiger, +leichtsinniger Flattergeist sei? + +Juliane. Sie irren sich. Nicht ich; mein Vater, meine Schwester, +haben allein auf Ihre Rechtfertigungen ein Recht. + +Adrast. Allein? Ach!-- + +Juliane. Halten Sie mich nicht länger-- + +Adrast. Ich bitte nur um einen Augenblick. Der größte Verbrecher +wird gehört-- + +Juliane. Von seinem Richter, Adrast; und ich bin Ihr Richter nicht. + +Adrast. Aber ich beschwöre Sie, es jetzt sein zu wollen. Ihr Vater, +schönste Juliane, und Ihre Schwester werden mich verdammen, und nicht +richten. Ihnen allein traue ich die Billigkeit zu, die mich beruhigen +kann. + +Juliane (beiseite). Ich glaube, er beredet mich, ihn anzuhören.--Nun +wohl! so sagen Sie denn, Adrast, was Sie wider meine Schwester so +eingenommen hat? + +Adrast. Sie selbst hat mich wider sich eingenommen. Sie ist zu wenig +Frauenzimmer, als daß ich sie als Frauenzimmer lieben könnte. Wenn +ihre Lineamente nicht ihr Geschlecht bestärkten, so würde man sie für +einen verkleideten wilden Jüngling halten, der zu ungeschickt wäre, +seine angenommene Rolle zu spielen. Was für ein Mundwerk! Und was +muß es für ein Geist sein, der diesen Mund in Beschäftigung erhält! +Sagen Sie nicht, daß vielleicht Mund und Geist bei ihr wenig oder +keine Verbindung miteinander haben. Desto schlimmer. Diese Unordnung, +da ein jedes von diesen zwei Stücken seinen eignen Weg hält, macht +zwar die Vergehungen einer solchen Person weniger strafbar; allein sie +vernichtet auch alles Gute, was diese Person noch etwa an sich haben +kann. Wenn ihre beißenden Spöttereien, ihre nachteiligen Anmerkungen +deswegen zu übersehen sind, weil sie es, wie man zu reden pflegt, +nicht so böse meinet; ist man nicht berechtiget, aus eben diesem +Grunde dasjenige, was sie Rühmliches und Verbindliches sagt, ebenfalls +für leere Töne anzusehen, bei welchen sie es vielleicht nicht so gut +meinet? Wie kann man eines Art zu denken beurteilen, wenn man sie +nicht aus seiner Art zu reden beurteilen soll? Und wenn der Schluß +von der Rede auf die Gesinnung in dem einen Falle nicht gelten soll, +warum soll er in dem andern gelten? Sie spricht mit dürren Worten, +daß sie mich zu hassen anfange; und ich soll glauben, daß sie mich +noch liebe? So werde ich auch glauben müssen, daß sie mich hasse, +wenn sie sagen wird, daß sie mich zu lieben anfange. + +Juliane. Adrast, Sie betrachten ihre kleinen Neckereien zu strenge, +und verwechseln Falschheit mit Übereilung. Sie kann der letztern des +Tages hundertmal schuldig werden; und von der erstern doch immer +entfernt bleiben. Sie müssen es aus ihren Taten, und nicht aus ihren +Reden, erfahren lernen, daß sie im Grunde die freundschaftlichste und +zärtlichste Seele hat. + +Adrast. Ach! Juliane, die Reden sind die ersten Anfänge der Taten, +ihre Elemente gleichsam. Wie kann man vermuten, daß diejenige +vorsichtig und gut handeln werde, der es nicht einmal gewöhnlich ist, +vorsichtig und gut zu reden? Ihre Zunge verschont nichts, auch +dasjenige nicht, was ihr das Heiligste von der Welt sein sollte. +Pflicht, Tugend, Anständigkeit, Religion: alles ist ihrem Spotte +ausgesetzt.-- + +Juliane. Stille, Adrast! Sie sollten der letzte sein, der diese +Anmerkung machte. + +Adrast. Wieso? + +Juliane. Wieso?--Soll ich aufrichtig reden? + +Adrast. Als ob Sie anders reden könnten.-- + +Juliane. Wie, wenn das ganze Betragen meiner Schwester, ihr Bestreben +leichtsinniger zu scheinen, als sie ist, ihre Begierde Spöttereien zu +sagen, sich nur von einer gewissen Zeit herschrieben? Wie, wenn diese +gewisse Zeit die Zeit Ihres Hierseins wäre, Adrast? + +Adrast. Was sagen Sie? + +Juliane. Ich will nicht sagen, daß Sie ihr mit einem bösen Exempel +vorgegangen wären. Allein wozu verleitet uns nicht die Begierde zu +gefallen? Wenn Sie Ihre Gesinnungen auch noch weniger geäußert hätten: +--und Sie haben sie oft deutlich genug geäußert.--so würde sie +Henriette doch erraten haben. Und sobald sie dieselben erriet, so +bald war der Schluß, sich durch die Annehmung gleicher Gesinnungen bei +Ihnen beliebt zu machen, für ein lebhaftes Mädchen sehr natürlich. +Wollen Sie wohl nun so grausam sein, und ihr dasjenige als ein +Verbrechen anrechnen, wofür Sie ihr, als für eine Schmeichelei, danken +sollten? + +Adrast. Ich danke niemanden, der klein genug ist, meinetwegen seinen +Charakter zu verlassen; und derjenige macht mir eine schlechte +Schmeichelei, der mich für einen Toren hält, welchem nichts als seine +Art gefalle, und der überall gern kleine Kopien und verjüngte +Abschilderungen von sich selbst sehen möchte. + +Juliane. Aber auf diese Art werden Sie wenig Proselyten machen. + +Adrast. Was denken Sie von mir, schönste Juliane? Ich Proselyten +machen? Rasendes Unternehmen! Wem habe ich meine Gedanken jemals +anschwatzen oder aufdringen wollen? Es sollte mir leid tun, sie unter +den Pöbel gebracht zu wissen. Wenn ich sie oft laut und mit einer +gewissen Heftigkeit verteidiget habe, so ist es in der Absicht, mich +zu rechtfertigen, nicht, andere zu überreden, geschehen. Wenn meine +Meinungen zu gemein würden, so würde ich der erste sein, der sie +verließe, und die gegenseitigen annähme. + +Juliane. Sie suchen also nur das Sonderbare? + +Adrast. Nein, nicht das Sonderbare, sondern bloß das Wahre; und ich +kann nicht dafür, wenn jenes, leider! eine Folge von diesem ist. Es +ist mir unmöglich zu glauben, daß die Wahrheit gemein sein könne; +ebenso unmöglich, als zu glauben, daß in der ganzen Welt auf einmal +Tag sein könne. Das, was unter der Gestalt der Wahrheit unter allen +Völkern herumschleicht, und auch von den Blödsinnigsten angenommen +wird, ist gewiß keine Wahrheit, und man darf nur getrost die Hand, sie +zu entkleiden, anlegen, so wird man den scheußlichsten Irrtum nackend +vor sich stehen sehen. + +Juliane. Wie elend sind die Menschen, und wie ungerecht ihr Schöpfer, +wenn Sie recht haben, Adrast! Es muß entweder gar keine Wahrheit sein, +oder sie muß von der Beschaffenheit sein, daß sie von den meisten, ja +von allen, wenigstens im Wesentlichsten, empfunden werden kann. + +Adrast. Es liegt nicht an der Wahrheit, daß sie es nicht werden kann, +sondern an den Menschen.--Wir sollen glücklich in der Welt leben; dazu +sind wir erschaffen; dazu sind wir einzig und allein erschaffen. +Sooft die Wahrheit diesem großen Endzwecke hinderlich ist, sooft ist +man verbunden, sie beiseite zu setzen; denn nur wenig Geister können +in der Wahrheit selbst ihr Glück finden. Man lasse daher dem Pöbel +seine Irrtümer; man lasse sie ihm, weil sie ein Grund seines Glückes +und die Stütze des Staates sind, in welchem er für sich Sicherheit, +Überfluß und Freude findet. Ihm die Religion nehmen, heißt ein wildes +Pferd auf der fetten Weide losbinden, das, sobald es sich frei fühlt, +lieber in unfruchtbaren Wäldern herumschweifen und Mangel leiden, als +durch einen gemächlichen Dienst alles, was es braucht, erwerben will.-- +Doch nicht für den Pöbel allein, auch noch für einen andern Teil des +menschlichen Geschlechts muß man die Religion beibehalten. Für den +schönsten Teil, meine ich, dem sie eine Art von Zierde, wie dort eine +Art von Zaume ist. Das Religiöse stehet der weiblichen Bescheidenheit +sehr wohl; es gibt der Schönheit ein gewisses edles, gesetztes und +schmachtendes Ansehen-- + +Juliane. Halten Sie, Adrast! Sie erweisen meinem Geschlechte +ebensowenig Ehre, als der Religion. Jenes setzen Sie mit dem Pöbel in +eine Klasse, so fein auch Ihre Wendung war; und diese machen Sie aufs +höchste zu einer Art von Schminke, die das Geräte auf unsern +Nachttischen vermehren kann. Nein, Adrast! die Religion ist eine +Zierde für alle Menschen; und muß ihre wesentlichste Zierde sein. Ach! +Sie verkennen sie aus Stolze; aber aus einem falschen Stolze. Was +kann unsre Seele mit erhabenern Begriffen füllen, als die Religion? +Und worin kann die Schönheit der Seele anders bestehen, als in solchen +Begriffen? in würdigen Begriffen von Gott, von uns, von unsern +Pflichten, von unserer Bestimmung? Was kann unser Herz, diesen +Sammelplatz verderbter und unruhiger Leidenschaften, mehr reinigen, +mehr beruhigen, als eben diese Religion? Was kann uns im Elende mehr +aufrichten, als sie? Was kann uns zu wahrern Menschen, zu bessern +Bürgern, zu aufrichtigern Freunden machen, als sie?--Fast schäme ich +mich, Adrast, mit Ihnen so ernstlich zu reden. Es ist der Ton ohne +Zweifel nicht, der Ihnen an einem Frauenzimmer gefällt, ob Ihnen +gleich der entgegengesetzte ebensowenig zu gefallen scheinet. Sie +könnten alles dieses aus einem beredtern Munde, aus dem Munde des +Theophans hören. + + + +Vierter Auftritt + +Henriette. Juliane. Adrast. + + +Henriette (bleibt an der Szene horchend stehen). St! + +Adrast. Sagen Sie mir nichts vom Theophan. Ein Wort von Ihnen hat +mehr Nachdruck, als ein stundenlanges Geplärre von ihm. Sie wundern +sich? Kann es bei der Macht, die eine Person über mich haben muß, die +ich einzig liebe, die ich anbete, anders sein?--Ja, die ich liebe.-- +Das Wort ist hin! es ist gesagt! Ich bin mein Geheimnis los, bei +dessen Verschweigung ich mich ewig gequälet hätte, von dessen +Entdeckung ich aber darum nichts mehr hoffe.--Sie entfärben sich?-- + +Juliane. Was habe ich gehört? Adrast!-- + +Adrast (indem er niederfällt). Lassen Sie mich es Ihnen auf den Knien +zuschwören, daß Sie die Wahrheit gehört haben.--Ich liebe Sie, +schönste Juliane, und werde Sie ewig lieben. Nun, nun liegt mein Herz +klar und aufgedeckt vor Ihnen da. Umsonst wollte ich mich und andere +bereden, daß meine Gleichgültigkeit gegen Henrietten die Wirkung an +ihr bemerkter nachteiliger Eigenschaften sei; da sie doch nichts, als +die Wirkung einer schon gebundenen Neigung war. Ach! die +liebenswürdige Henriette hat vielleicht keinen andern Fehler, als +diesen, daß sie eine noch liebenswürdigere Schwester hat.-- + +Henriette. Bravo! die Szene muß ich den Theophan unterbrechen lassen. +--(Geht ab.) + + + +Fünfter Auftritt + +Juliane. Adrast. + + +Adrast (indem er gähling aufsteht). Wer sprach hier? + +Juliane. Himmel! es war Henriettens Stimme. + +Adrast. Ja, sie war es. Was für eine Neugierde! was für ein Vorwitz! +Nein, nein! ich habe nichts zu widerrufen; sie hat alle die Fehler, +die ich ihr beigelegt, und noch weit mehrere. Ich könnte sie nicht +lieben, und wenn ich auch schon vollkommen frei, vollkommen +gleichgültig gegen eine jede andere wäre. + +Juliane. Was für Verdruß, Adrast, werden Sie mir zuziehen! + +Adrast. Sorgen Sie nicht! Ich werde Ihnen allen diesen Verdruß durch +meine plötzliche Entfernung zu ersparen wissen. + +Juliane. Durch Ihre Entfernung? + +Adrast. Ja, sie ist fest beschlossen. Meine Umstände sind von der +Beschaffenheit, daß ich die Güte Lisidors mißbrauchen würde, wenn ich +länger bliebe. Und über dieses will ich lieber meinen Abschied nehmen, +als ihn bekommen. + +Juliane. Sie überlegen nicht, was Sie sagen, Adrast. Von wem sollten +Sie ihn bekommen? + +Adrast. Ich kenne die Väter, schönste Juliane, und kenne auch die +Theophane. Erlauben Sie, daß ich mich nicht näher erklären darf. Ach! +wenn ich mir schmeicheln könnte, daß Juliane--Ich sage nichts weiter. +Ich will mir mit keiner Unmöglichkeit schmeicheln. Nein, Juliane +kann den Adrast nicht lieben; sie muß ihn hassen.-- + +Juliane. Ich hasse niemanden, Adrast.-- + +Adrast. Sie hassen mich; denn hier ist Hassen eben das, was +Nichtlieben ist. Sie lieben den Theophan.--Ha! hier kömmt er selbst. + + + +Sechster Auftritt + +Theophan. Adrast. Juliane. + + +Juliane (beiseite). Was wird er sagen? was werde ich antworten? + +Adrast. Ich kann mir es einbilden, auf wessen Anstiften Sie herkommen. +Aber was glaubt sie damit zu gewinnen? Mich zu verwirren? mich +wieder an sich zu ziehen?--Wie wohl läßt es Ihnen, Theophan, und Ihrem +ehrwürdigen Charakter, das Werkzeug einer weiblichen Eifersucht zu +sein! Oder kommen Sie gar, mich zur Rede zu setzen? Ich werde Ihnen +alles gestehen; ich werde noch stolz darauf sein. + +Theophan. Wovon reden Sie, Adrast? Ich verstehe kein Wort. + +Juliane. Erlauben Sie, daß ich mich entferne. Theophan, ich +schmeichle mir, daß Sie einige Hochachtung für mich haben; Sie werden +keine ungerechte Auslegungen machen, und wenigstens glauben, daß ich +meine Pflicht kenne, und daß sie mir zu heilig ist, sie auch nur in +Gedanken zu verletzen. + +Theophan. Verziehen Sie doch.--Was sollen diese Reden? Ich verstehe +Sie so wenig, als ich den Adrast verstanden habe. + +Juliane. Es ist mir lieb, daß Sie aus einer unschuldigen Kleinigkeit +nichts machen wollen. Aber lassen Sie mich--(Geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Adrast. Theophan. + + +Theophan. Ihre Geliebte, Adrast, schickte mich hierher: Ich würde +hier nötig sein, sagte sie. Ich eile, und bekomme lauter Rätsel zu +hören. + +Adrast. Meine Geliebte?--Ei! wie fein haben Sie dieses angebracht! +Gewiß, Sie konnten Ihre Vorwürfe nicht kürzer fassen. + +Theophan. Meine Vorwürfe? Was habe ich Ihnen denn vorzuwerfen?' + +Adrast. Wollen Sie etwa die Bestätigung aus meinem Munde hören? + +Theophan. Sagen Sie mir nur, was Sie bestätigen wollen? Ich stehe +ganz erstaunt hier.-- + +Adrast. Das geht zu weit. Welche kriechende Verstellung! Doch damit +sie Ihnen endlich nicht zu sauer wird, so will ich Sie mit Gewalt +zwingen, sie abzulegen.--Ja, es ist alles wahr, was Ihnen Henriette +hinterbracht hat. Sie war niederträchtig genug, uns zu behorchen.-- +Ich liebe Julianen, und habe ihr meine Liebe gestanden.-- + +Theophan. Sie lieben Julianen? + +Adrast (spöttisch). Und was das Schlimmste dabei ist, ohne den +Theophan um Erlaubnis gebeten zu haben. + +Theophan. Stellen Sie sich deswegen zufrieden. Sie haben nur eine +sehr kleine Formalität übergangen. + +Adrast. Ihre Gelassenheit, Theophan, ist hier nichts Besonders. Sie +glauben Ihrer Sachen gewiß zu sein.--Und ach! wenn Sie es doch +weniger wären! Wenn ich doch nur mit der geringsten +Wahrscheinlichkeit hinzusetzen könnte, daß Juliane auch mich liebe. +Was für eine Wollust sollte mir das Erschrecken sein, das sich in +Ihrem Gesichte verraten würde! Was für ein Labsal für mich, wenn ich +Sie seufzen hörte, wenn ich Sie zittern sähe! Wie würde ich mich +freuen, wenn Sie Ihre ganze Wut an mir auslassen, und mich voller +Verzweiflung, ich weiß nicht wohin, verwünschen müßten! + +Theophan. So könnte Sie wohl kein Glück entzücken, wenn es nicht +durch das Unglück eines andern gewürzt würde?--Ich bedaure den Adrast! +Die Liebe muß alle ihre verderbliche Macht an ihm verschwendet haben, +weil er so unanständig reden kann. + +Adrast. Wohl! an dieser Miene, an dieser Wendung erinnere ich mich, +was ich bin. Es ist wahr, ich bin Ihr Schuldner, Theophan: und gegen +seine Schuldner hat man das Recht, immer ein wenig groß zu tun;--doch +Geduld! ich hoffe es nicht lange mehr zu sein. Es hat sich noch ein +ehrlicher Mann gefunden, der mich aus dieser Verlegenheit reißen will. +Ich weiß nicht, wo er bleibt. Seinem Versprechen gemäß, hätte er +bereits mit dem Gelde hier sein sollen. Ich werde wohltun, wenn ich +ihn hole. + +Theophan. Aber noch ein Wort, Adrast. Ich will Ihnen mein ganzes +Herz entdecken.-- + +Adrast. Diese Entdeckung würde mich nicht sehr belustigen. Ich gehe, +und bald werde ich Ihnen mit einem kühnern Gesichte unter die Augen +treten können. (Geht ab.) + +Theophan (allein). Unbiegsamer Geist! Fast verzweifle ich an meinem +Unternehmen. Alles ist bei ihm umsonst. Aber was würde er gesagt +haben, wenn er mir Zeit gelassen hätte, ihn für sein Geständnis, mit +einem andern ähnlichen Geständnisse zu bezahlen?--Sie kömmt. + + + +Achter Auftritt + +Henriette. Lisette. Theophan. + + +Henriette. Nun? Theophan, habe ich Sie nicht zu einem artigen +Anblicke verholfen? + +Theophan. Sie sind leichtfertig, schöne Henriette. Aber was meinen +Sie für einen Anblick? Kaum daß ich die Hauptsache mit Mühe und Not +begriffen habe. + +Henriette. O schade!--Sie kamen also zu langsam? und Adrast lag +nicht mehr vor meiner Schwester auf den Knien? + +Theophan. So hat er vor ihr auf den Knien gelegen? + +Lisette. Leider für Sie alle beide! + +Henriette. Und meine Schwester stand da,--ich kann es Ihnen nicht +beschreiben,--stand da, fast, als wenn sie ihn in dieser unbequemen +Stellung gerne gesehen hätte. Sie dauern mich, Theophan!-- + +Theophan. Soll ich Sie auch bedauren, mitleidiges Kind? + +Henriette. Mich bedauren? Sie sollen mir Glück wünschen. + +Lisette. Aber nein; so etwas schreit um Rache! + +Theophan. Und wie meint Lisette denn, daß man sich rächen könne? + +Lisette. Sie wollen sich also doch rächen? + +Theophan. Vielleicht. + +Lisette. Und Sie sich auch, Mamsell? + +Henriette. Vielleicht. + +Lisette. Gut! das sind zwei Vielleicht, womit sich etwas anfangen +läßt. + +Theophan. Aber es ist noch sehr ungewiß, ob Juliane den Adrast +wiederliebt; und wenn dieses nicht ist, so würde ich zu zeitig auf +Rache denken. + +Lisette. Oh! die christliche Seele! Nun überlegt sie erst, daß man +sich nicht rächen soll. + +Theophan. Nicht so spöttisch, Lisette! Es würde hier von einer sehr +unschuldigen Rache die Rede sein. + +Henriette. Das meine ich auch; von einer sehr unschuldigen. + +Lisette. Wer leugnet das? von einer so unschuldigen, daß man sich +mit gutem Gewissen darüber beratschlagen kann. Hören Sie nur! Ihre +Rache, Herr Theophan, wäre eine männliche Rache, nicht wahr? und Ihre +Rache, Mamsell Henriette, wäre eine weibliche Rache: eine männliche +Rache--nun, und eine weibliche Rache--Ja! wie bringe ich wohl das +Ding recht gescheut herum? + +Henriette. Du bist eine Närrin mitsamt deinen Geschlechtern. + +Lisette. Helfen Sie mir doch ein wenig, Herr Theophan.--Was meinen +Sie dazu? Wenn zwei Personen einerlei Weg gehen müssen, nicht wahr? +so ist es gut, daß diese zwei Personen einander Gesellschaft leisten? + +Theophan. Jawohl; aber vorausgesetzt, daß diese zwei Personen +einander leiden können. + +Henriette. Das war der Punkt! + +Lisette (beiseite). Will denn keines anbeißen? Ich muß einen andern +Zipfel fassen.--Es ist schon wahr, was Herr Theophan vorhin sagte, daß +es nämlich noch sehr ungewiß sei, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe. +Ich setze sogar hinzu. Es ist noch sehr ungewiß, ob Herr Adrast +Mamsell Julianen wirklich liebt. + +Henriette. O schweig, du unglückliche Zweiflerin. Es soll nun aber +gewiß sein! + +Lisette. Die Mannspersonen bekommen dann und wann gewisse Anfälle von +einer gewissen wetterwendischen Krankheit, die aus einer gewissen +Überladung des Herzens entspringt. + +Henriette. Aus einer Überladung des Herzens? Schön gegeben! + +Lisette. Ich will Ihnen gleich sagen, was das heißt. So wie Leute, +die sich den Magen überladen haben, nicht eigentlich mehr wissen, was +ihnen schmeckt, und was ihnen nicht schmeckt: so geht es auch den +Leuten, die sich das Herz überladen haben. Sie wissen selbst nicht +mehr, auf welche Seite das überladene Herz hinhängt, und da trifft es +sich denn wohl, daß kleine Irrungen in der Person daraus entstehen.-- +Habe ich nicht recht, Herr Theophan? + +Theophan. Ich will es überlegen. + +Lisette. Sie sind freilich eine weit bessere Art von Mannspersonen, +und ich halte Sie für allzu vorsichtig, als daß Sie Ihr Herz so +überladen sollten.--Aber wissen Sie wohl, was ich für einen Einfall +habe, wie wir gleichwohl hinter die Wahrheit mit dem Herrn Adrast und +der Mamsell Juliane kommen wollen? + +Theophan. Nun? + +Henriette. Du würdest mich neugierig machen, wenn ich nicht schon +hinter der Wahrheit wäre.-- + +Lisette. Wie? wenn wir einen gewissen blinden Lärm machten? + +Henriette. Was ist das wieder? + +Lisette. Ein blinder Lärm ist ein Lärm wohinter nichts ist; der aber +doch die Gabe hat, den Feind--zu einer gewissen Aufmerksamkeit zu +bringen.--Zum Exempel: Um zu erfahren, ob Mamsell Juliane den Adrast +liebe, müßte sich Herr Theophan in jemand anders verliebt stellen; und +um zu erfahren, ob Adrast Mamsell Julianen liebe, müßten Sie sich in +jemand anders verliebt stellen. Und da es nun nicht lassen würde, +wenn sich Herr Theophan in mich verliebt stellte, noch viel weniger, +wenn Sie sich in seinen Martin verliebt stellen wollten: so wäre, kurz +und gut, mein Rat, Sie stellten sich beide ineinander verliebt.--Ich +rede nur von Stellen; merken Sie wohl, was ich sage! nur von Stellen; +denn sonst könnte der blinde Lärm auf einmal Augen kriegen.--Nun sagen +Sie mir beide, ist der Anschlag nicht gut? + +Theophan (beiseite). Wo ich nicht gehe, so wird sie noch machen, daß +ich mich werde erklären müssen.--Der Anschlag ist so schlimm nicht; +aber-- + +Lisette. Sie sollen sich ja nur stellen.-- + +Theophan. Das Stellen eben ist es, was mir dabei nicht gefällt. + +Lisette. Und Sie, Mamsell? + +Henriette. Ich bin auch keine Liebhaberin vom Stellen. + +Lisette. Besorgen Sie beide etwa, daß Sie es zu natürlich machen +möchten?--Was stehen Sie so auf dem Sprunge, Herr Theophan? Was +stehen Sie so in Gedanken, Mamsell? + +Henriette. Oh! geh; es wäre in meinem Leben das erstemal. + +Theophan. Ich muß mich auf einige Augenblicke beurlauben, schönste +Henriette.-- + +Lisette. Es ist nicht nötig. Sie sollen mir wahrhaftig nicht +nachsagen, daß ich Sie weggeplaudert habe. Kommen Sie, Mamsell!-- + +Henriette. Es ist auch wahr, dein Plaudern ist manchmal recht +ärgerlich. Komm!--Theophan, soll ich sagen, daß Sie nicht lange weg +sein werden? + +Theophan. Wenn ich bitten darf.-- + +(Henriette und Lisette geben auf der einen Seite ab. Indem Theophan +auf der andern abgeben will, begegnet ihm der Wechsler.) + + + +Neunter Auftritt + +Theophan. Der Wechsler. + + +Der Wechsler. Sie werden verzeihen, mein Herr. Ich möchte nur ein +Wort mit dem Herrn Adrast sprechen. + +Theophan. Eben jetzt ist er ausgegangen. Wollen Sie mir es +auftragen?-- + +Der Wechsler. Wenn ich so frei sein darf.--Er hat eine Summe Geldes +bei mir aufnehmen wollen, die ich ihm auch anfangs versprach. Ich +habe aber nunmehr Bedenklichkeiten gefunden, und ich komme, es ihm +wieder abzusagen: das ist es alles. + +Theophan. Bedenklichkeiten, mein Herr? Was für Bedenklichkeiten? +doch wohl keine von seiten des Adrast? + +Der Wechsler. Warum nicht? + +Theophan. Ist er kein Mann von Kredit? + +Der Wechsler. Kredit, mein Herr, Sie werden wissen, was das ist. Man +kann heute Kredit haben, ohne gewiß zu sein, daß man ihn morgen haben +wird. Ich habe seine jetzigen Umstände erfahren.-- + +Theophan (beiseite). Ich muß mein möglichstes tun, daß diese nicht +auskommen.--Sie müssen die falschen erfahren haben.--Kennen Sie mich, +mein Herr?-- + +Der Wechsler. Von Person nicht; vielleicht, wenn ich Ihren Namen +hören sollte.-- + +Theophan. Theophan. + +Der Wechsler. Ein Name, von dem ich allezeit das Beste gehört habe. + +Theophan. Wenn Sie dem Herrn Adrast die verlangte Summe nicht auf +seine Unterschrift geben wollen, wollen Sie es wohl auf die meinige +tun? + +Der Wechsler. Mit Vergnügen. + +Theophan. Haben Sie also die Güte, mich auf meine Stube zu begleiten. +Ich will Ihnen die nötigen Versicherungen ausstellen; wobei es bloß +darauf ankommen wird, diese Bürgschaft vor dem Adrast selbst geheim zu +halten. + +Der Wechsler. Vor ihm selbst? + +Theophan. Allerdings; um ihm den Verdruß über Ihr Mißtrauen zu +ersparen.-- + +Der Wechsler. Sie müssen ein großmütiger Freund sein. + +Theophan. Lassen Sie uns nicht länger verziehen. + +(Gehen ab.) + +(Ende des vierten Aufzuges.) + + + + + +Fünfter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Wechsler, von der einen Seite, und von der andern Adrast. + + +Adrast (vor sich). Ich habe meinen Mann nicht finden können.-- + +Der Wechsler (vor sich). So lasse ich es mir gefallen.-- + +Adrast. Aber sieh da!--Ei! mein Herr, finde ich Sie hier? So sind +wir ohne Zweifel einander fehlgegangen? + +Der Wechsler. Es ist mir lieb, mein Herr Adrast, daß ich Sie noch +treffe. + +Adrast. Ich habe Sie in Ihrer Wohnung gesucht. Die Sache leidet +keinen Aufschub. Ich kann mich doch noch auf Sie verlassen? + +Der Wechsler. Nunmehr, ja. + +Adrast. Nunmehr? Was wollen Sie damit? + +Der Wechsler. Nichts. Ja, Sie können sich auf mich verlassen. + +Adrast. Ich will nicht hoffen, daß Sie einiges Mißtrauen gegen mich +haben? + +Der Wechsler. Im geringsten nicht. + +Adrast. Oder, daß man Ihnen einiges beizubringen gesucht hat? + +Der Wechsler. Noch viel weniger. + +Adrast. Wir haben bereits miteinander zu tun gehabt, und Sie sollen +mich auch künftig als einen ehrlichen Mann finden. + +Der Wechsler. Ich bin ohne Sorgen. + +Adrast. Es liegt meiner Ehre daran, diejenigen zuschanden zu machen, +die boshaft genug sind, meinen Kredit zu schmälern. + +Der Wechsler. Ich finde, daß man das Gegenteil tut. + +Adrast. Oh! sagen Sie das nicht. Ich weiß wohl, daß ich meine +Feinde habe-- + +Der Wechsler. Sie haben aber auch Ihre Freunde.-- + +Adrast. Aufs höchste dem Namen nach. Ich würde auszulachen sein, +wenn ich auf sie rechnen wollte.--Und glauben Sie, mein Herr, daß es +mir nicht einmal lieb ist, daß Sie, in meiner Abwesenheit, hier in +diesem Hause gewesen sind? + +Der Wechsler. Und es muß Ihnen doch lieb sein. + +Adrast. Es ist zwar das Haus, zu welchem ich mir nichts als Gutes +versehen sollte; aber eine gewisse Person darin, mein Herr, eine +gewisse Person--Ich weiß, ich würde es empfunden haben, wenn Sie mit +derselben gesprochen hätten. + +Der Wechsler. Ich habe eigentlich mit niemanden gesprochen; diejenige +Person aber, bei welcher ich mich nach Ihnen erkundigte, hat die +größte Ergebenheit gegen Sie bezeugt. + +Adrast. Ich kann es Ihnen wohl sagen, wer die Person ist, vor deren +übeln Nachrede ich mich einigermaßen fürchte. Es wird sogar gut sein, +wenn Sie es wissen, damit Sie, wenn Ihnen nachteilige Dinge von mir zu +Ohren kommen sollten, den Urheber kennen. + +Der Wechsler. Ich werde nicht nötig haben, darauf zu hören. + +Adrast. Aber doch--Mit einem Worte, es ist Theophan. + +Der Wechsler (erstaunt). Theophan? + +Adrast. Ja, Theophan. Er ist mein Feind-- + +Der Wechsler. Theophan Ihr Feind? + +Adrast. Sie erstaunen? + +Der Wechsler. Nicht ohne die größte Ursache.-- + +Adrast. Ohne Zweifel weil Sie glauben, daß ein Mann von seinem Stande +nicht anders, als großmütig und edel sein könne?-- + +Der Wechsler. Mein Herr-- + +Adrast. Er ist der gefährlichste Heuchler, den ich unter +seinesgleichen noch jemals gefunden habe. + +Der Wechsler. Mein Herr-- + +Adrast. Er weiß, daß ich ihn kenne, und gibt sich daher alle Mühe, +mich zu untergraben.-- + +Der Wechsler. Ich bitte Sie-- + +Adrast. Wenn Sie etwa eine gute Meinung von ihm haben, so irren Sie +sich sehr. Vielleicht zwar, daß Sie ihn nur von der Seite seines +Vermögens kennen; und wider dieses habe ich nichts: er ist reich; aber +eben sein Reichtum schafft ihm Gelegenheit, auf die allerfeinste Art +schaden zu können. + +Der Wechsler. Was sagen Sie? + +Adrast. Er wendet unbeschreibliche Ränke an, mich aus diesem Hause zu +bringen; Ränke, denen er ein so unschuldiges Ansehen geben kann, daß +ich selbst darüber erstaune. + +Der Wechsler. Das ist zu arg! Länger kann ich durchaus nicht +schweigen. Mein Herr, Sie hintergehen sich auf die erstaunlichste Art. +-- + +Adrast. Ich mich? + +Der Wechsler. Theophan kann das unmöglich sein, wofür Sie ihn +ausgeben. Hören Sie alles! Ich kam hierher, mein Ihnen gegebenes +Wort wieder zurückezunehmen. Ich hatte von sicherer Hand, nicht vom +Theophan, Umstände von Ihnen erfahren, die mich dazu nötigten. Ich +fand ihn hier, und ich glaubte, es ihm ohne Schwierigkeit sagen zu +dürfen-- + +Adrast. Dem Theophan? Wie wird sich der Niederträchtige gekitzelt +haben! + +Der Wechsler. Gekitzelt? Er hat auf das nachdrücklichste für Sie +gesprochen. Und kurz, wenn ich Ihnen mein erstes Versprechen halte, +so geschieht es bloß in Betrachtung seiner. + +Adrast. In Betrachtung seiner?--Wo bin ich? + +Der Wechsler. Er hat mir schriftliche Versicherungen gegeben, die ich +als eine Bürgschaft für Sie ansehen kann. Zwar hat er mir es zugleich +verboten, jemanden das geringste davon zu sagen: allein ich konnte es +unmöglich anhören, daß ein rechtschaffener Mann so unschuldig +verlästert würde. Sie können die verlangte Summe bei mir abholen +lassen, wann es Ihnen beliebt. Nur werden Sie mir den Gefallen tun +und sich nichts gegen ihn merken lassen. Er bezeugte bei dem ganzen +Handel so viel Aufrichtigkeit und Freundschaft für Sie, daß er ein +Unmensch sein müßte, wenn er die Verstellung bis dahin treiben könnte.- +-Leben Sie wohl! (Geht ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast.--Was für ein neuer Streich!--Ich kann nicht wieder zur mir +selbst kommen!--Es ist nicht auszuhalten!--Verachtungen, Beleidigungen, +--Beleidigungen in dem Gegenstande, der ihm der liebste sein muß:-- +alles ist umsonst; nichts will er fühlen. Was kann ihn so verhärten? +Die Bosheit allein, die Begierde allein, seine Rache reif werden zu +lassen.--Wen sollte dieser Mann nicht hinter das Licht führen? Ich +weiß nicht, was ich denken soll. Er dringt seine Wohltaten mit einer +Art auf--Aber verwünscht sind seine Wohltaten, und seine Art! Und +wenn auch keine Schlange unter diesen Blumen läge, so würde ich ihn +doch nicht anders als hassen können. Hassen werde ich ihn, und wenn +er mir das Leben rettete. Er hat mir das geraubt, was kostbarer ist, +als das Leben: das Herz meiner Juliane; ein Raub, den er nicht +ersetzen kann, und wenn er sich mir zu eigen schenkte. Doch er will +ihn nicht ersetzen; ich dichte ihm noch eine zu gute Meinung an.-- + + + +Dritter Auftritt + +Theophan. Adrast. + + +Theophan. In welcher heftigen Bewegung treffe ich Sie abermals Adrast? + +Adrast. Sie ist Ihr Werk. + +Theophan. So muß sie eines von denen Werken sein, die wir alsdann +wider unsern Willen hervorbringen, wann wir uns am meisten nach ihrem +Gegenteile bestreben. Ich wünsche nichts, als Sie ruhig zu sehen, +damit Sie mit kaltem Blute von einer Sache mit mir reden könnten, die +uns beide nicht näher angehen kann. + +Adrast. Nicht wahr, Theophan? es ist der höchste Grad der List, wenn +man alle seine Streiche so zu spielen weiß, daß die, denen man sie +spielt, selbst nicht wissen, ob und was für Vorwürfe sie uns machen +sollen? + +Theophan. Ohne Zweifel. + +Adrast. Wünschen Sie sich Glück: Sie haben diesen Grad erreicht. + +Theophan. Was soll das wieder? + +Adrast. Ich versprach Ihnen vorhin, die bewußten Wechsel zu bezahlen-- +(spöttisch) Sie werden es nicht übelnehmen, es kann nunmehr nicht sein. +Ich will Ihnen, anstatt der zerrissenen, andere Wechsel schreiben. + +Theophan (in eben dem Tone). Es ist wahr, ich habe sie in keiner +andern Absicht zerrissen, als neue von Ihnen zu bekommen.-- + +Adrast. Es mag Ihre Absicht gewesen sein, oder nicht: Sie sollen sie +haben.--Wollten Sie aber nicht etwa gern erfahren, warum ich sie +nunmehr nicht bezahlen kann? + +Theophan. Nun? + +Adrast. Weil ich die Bürgschaften nicht liebe. + +Theophan. Die Bürgschaften? + +Adrast. Ja; und weil ich Ihrer Rechten nichts geben mag, was ich aus +Ihrer Linken nehmen müßte. + +Theophan (beiseite). Der Wechsler hat mir nicht reinen Mund gehalten! + +Adrast. Sie verstehen mich doch? + +Theophan. Ich kann es nicht mit Gewißheit sagen. + +Adrast. Ich gebe mir alle Mühe, Ihnen auf keine Weise verbunden zu +sein: muß es mich also nicht verdrießen, daß Sie mich in den Verdacht +bringen, als ob ich es gleichwohl zu sein Ursache hätte? + +Theophan. Ich erstaune über Ihre Geschicklichkeit, alles auf der +schlimmsten Seite zu betrachten. + +Adrast. Und wie Sie gehört haben, so bin ich über die Ihrige erstaunt, +diese schlimme Seite so vortrefflich zu verbergen. Noch weiß ich +selbst nicht eigentlich, was ich davon denken soll. + +Theophan. Weil Sie das Natürlichste davon nicht denken wollen. + +Adrast. Dieses Natürlichste, meinen Sie vielleicht, wäre das, wenn +ich dächte, daß Sie diesen Schritt aus Großmut, aus Vorsorge für +meinen guten Namen getan hätten? Allein, mit Erlaubnis, hier wäre es +gleich das Unnatürlichste. + +Theophan. Sie haben doch wohl recht. Denn wie wäre es immer möglich, +daß ein Mann von meinem Stande nur halb so menschliche Gesinnungen +haben könnte? + +Adrast. Lassen Sie uns Ihren Stand einmal beiseite setzen. + +Theophan. Sollten Sie das wohl können?-- + +Adrast. Gesetzt also, Sie wären keiner von den Leuten, die, den +Charakter der Frömmigkeit zu behaupten, ihre Leidenschaften so geheim, +als möglich, halten müssen; die anfangs aus Wohlstand heucheln lernen, +und endlich die Heuchelei als eine zweite Natur beibehalten; die nach +ihren Grundsätzen verbunden sind, sich ehrlicher Leute, welche sie die +Kinder der Welt nennen, zu entziehen, oder wenigstens aus keiner +andern Absicht Umgang mit ihnen zu pflegen, als aus der +niederträchtigen Absicht, sie auf ihre Seite zu lenken; gesetzt, Sie +wären keiner von diesen: sind Sie nicht wenigstens ein Mensch, der +Beleidigungen empfindet? Und auf einmal alles in allem zu sagen:-- +Sind Sie nicht ein Liebhaber, welcher Eifersucht fühlen muß? + +Theophan. Es ist mir angenehm, daß Sie endlich auf diesen Punkt +herauskommen. + +Adrast. Vermuten Sie aber nur nicht, daß ich mit der geringsten +Mäßigung davon sprechen werde. + +Theophan. So will ich es versuchen, desto mehrere dabei zu brauchen. + +Adrast. Sie lieben Julianen, und ich--ich--was suche ich lange noch +Worte?--Ich hasse Sie wegen dieser Liebe, ob ich gleich kein Recht auf +den geliebten Gegenstand habe; und Sie, der Sie ein Recht darauf haben, +sollten mich, der ich Sie um dieses Recht beneide, nicht auch hassen? + +Theophan. Gewiß, ich sollte nicht.--Aber lassen Sie uns doch das +Recht untersuchen, das Sie und ich auf Julianen haben. + +Adrast. Wenn dieses Recht auf die Stärke unserer Liebe ankäme, so +würde ich es Ihnen vielleicht noch streitig machen. Es ist Ihr Glück, +daß es auf die Einwilligung eines Vaters, und auf den Gehorsam einer +Tochter ankömmt.-- + +Theophan. Hierauf will ich es durchaus nicht ankommen lassen. Die +Liebe allein soll Richter sein. Aber merken Sie wohl, nicht bloß +unsere, sondern vornehmlich die Liebe derjenigen, in deren Besitz Sie +mich glauben. Wenn Sie mich überführen können, daß Sie von Julianen +wiedergeliebet werden-- + +Adrast. So wollen Sie mir vielleicht Ihre Ansprüche abtreten? + +Theophan. So muß ich. + +Adrast. Wie höhnisch Sie mit mir umgehen!--Sie sind Ihrer Sachen +gewiß, und überzeugt, daß Sie bei dieser Rodomontade nichts aufs Spiel +setzen. + +Theophan. Also können Sie mir es nicht sagen, ob Sie Juliane liebet? + +Adrast. Wenn ich es könnte, würde ich wohl unterlassen, Sie mit +diesem Vorzuge zu peinigen? + +Theophan. Stille! Sie machen sich unmenschlicher, als Sie sind.--Nun +wohl! so will ich,--ich will es Ihnen sagen, daß Sie Juliane liebt. + +Adrast. Was sagen Sie?--Doch fast hätte ich über das Entzückende +dieser Versicherung vergessen, aus wessen Munde ich sie höre. Recht +so! Theophan, recht so! Man muß über seine Feinde spotten. Aber +wollen Sie, diese Spötterei vollkommen zu machen, mich nicht auch +versichern, daß Sie Julianen nicht lieben? + +Theophan (verdrießlich). Es ist unmöglich, mit Ihnen ein vernünftiges +Wort zu sprechen. (Er will weggehen.) + +Adrast (beiseite). Er wird zornig?--Warten Sie doch, Theophan. +Wissen Sie, daß die erste aufgebrachte Miene, die ich endlich von +Ihnen sehe, mich begierig macht, dieses vernünftige Wort zu hören? + +Theophan (zornig). Und wissen Sie, daß ich endlich Ihres +schimpflichen Betragens überdrüssig bin? + +Adrast (beiseite). Er macht Ernst.-- + +Theophan (noch zornig). Ich will mich bestreben, daß Sie den Theophan +so finden sollen, als Sie ihn sich vorstellen. + +Adrast. Verziehen Sie. Ich glaube in Ihrem Trotze mehr +Aufrichtigkeit zu sehen, als ich jemals in Ihrer Freundlichkeit +gesehen habe. + +Theophan. Wunderbarer Mensch! Muß man sich Ihnen gleichstellen, muß +man ebenso stolz, ebenso argwöhnisch, ebenso grob sein, als Sie, um +Ihr elendes Vertrauen zu gewinnen? + +Adrast. Ich werde Ihnen diese Sprache, ihrer Neuigkeit wegen, +vergeben müssen. + +Theophan. Sie soll Ihnen alt genug werden! + +Adrast. Aber in der Tat--Sie machen mich vollends verwirrt. Müssen +Sie mir Dinge, worauf alle mein Wohl ankömmt, mit einem fröhlichen +Gesichte sagen? Ich bitte Sie, sagen Sie es jetzt noch einmal, was +ich vorhin für eine Spötterei aufnehmen mußte. + +Theophan. Wenn ich es sage, glauben Sie nur nicht, daß es um +Ihretwillen geschieht. + +Adrast. Desto mehr werde ich mich darauf verlassen. + +Theophan. Aber ohne mich zu unterbrechen: das bitte ich.-- + +Adrast. Reden Sie nur. + +Theophan. Ich will Ihnen den Schlüssel zu dem, was Sie hören sollen, +gleich voraus geben. Meine Neigung hat mich nicht weniger betrogen, +als Sie die Ihrige. Ich kenne und bewundere alle die Vollkommenheiten, +die Julianen zu einer Zierde ihres Geschlechts machen; aber--ich +liebe sie nicht. + +Adrast. Sie-- + +Theophan. Es ist gleichviel, ob Sie es glauben oder nicht glauben.-- +Ich habe mir Mühe genug gegeben, meine Hochachtung in Liebe zu +verwandeln. Aber eben bei dieser Bemühung habe ich Gelegenheit gehabt, +es oft sehr deutlich zu merken, daß sich Juliane einen ähnlichen +Zwang antut. Sie wollte mich lieben, und liebte mich nicht. Das Herz +nimmt keine Gründe an, und will in diesem, wie in andern Stücken, +seine Unabhängigkeit von dem Verstande behaupten. Man kann es +tyrannisieren, aber nicht zwingen. Und was hilft es, sich selbst zum +Märtyrer seiner Überlegungen zu machen, wenn man gewiß weiß, daß man +keine Beruhigung dabei finden kann? Ich erbarmte mich also Julianens-- +oder vielmehr, ich erbarmte mich meiner selbst: ich unterdrückte meine +wachsende Neigung gegen eine andre Person nicht länger und sahe es mit +Vergnügen, daß auch Juliane zu ohnmächtig oder zu nachsehend war, der +ihrigen zu widerstehen. Diese ging auf einen Mann, der ihrer ebenso +unwürdig ist, als unwürdig er ist, einen Freund zu haben. Adrast +würde sein Glück in ihren Augen längst gewahr geworden sein, wenn +Adrast gelassen genug wäre, richtige Blicke zu tun. Er betrachtet +alles durch das gefärbte Glas seiner vorgefaßten Meinungen, und alles +obenhin; und würde wohl oft lieber seine Sinne verleugnen, als seinen +Wahn aufgeben. Weil Juliane ihn liebenswürdig fand, konnte ich mir +unmöglich einbilden, daß er so gar verderbt sei. Ich sann auf Mittel, +es beiden mit der besten Art beizubringen, daß sie mich nicht als eine +gefährliche Hinderung ansehen sollten. Ich kam nur jetzt in dieser +Absicht hieher; allein ließ mich Adrast, ohne die schimpflichsten +Abschreckungen, darauf kommen? Ich würde ihn, ohne ein weiteres Wort, +verlassen haben, wenn ich mich nicht noch derjenigen Person wegen +gezwungen hätte, der ich, von Grund meiner Seelen, alles gönne, was +sie sich selbst wünscht.--Mehr habe ich ihm nicht zu sagen. (Er will +fortgehen.) + +Adrast. Wohin, Theophan?--Urteilen Sie aus meinem Stilleschweigen, +wie groß mein Erstaunen sein müsse!--Es ist eine menschliche +Schwachheit, sich dasjenige leicht überreden zu lassen, was man heftig +wünscht. Soll ich ihr nachhängen? soll ich sie unterdrücken? + +Theophan. Ich will bei Ihrer Überlegung nicht gegenwärtig sein.-- + +Adrast. Wehe dem, der mich auf eine so grausame Art aufzuziehen denkt! + +Theophan. So räche mich denn Ihre marternde Ungewißheit an Ihnen! + +Adrast (beiseite). Jetzt will ich ihn fangen.--Wollen Sie mir noch +ein Wort erlauben, Theophan?--Wie können Sie über einen Menschen +zürnen, der mehr aus Erstaunen über sein Glück, als aus Mißtrauen +gegen Sie, zweifelt?-- + +Theophan. Adrast, ich werde mich schämen, nur einen Augenblick +gezürnt zu haben, sobald Sie vernünftig reden wollen. + +Adrast. Wenn es wahr ist, daß Sie Julianen nicht lieben, wird es +nicht nötig sein, daß Sie sich dem Lisidor entdecken? + +Theophan. Allerdings. + +Adrast. Und Sie sind es wirklich gesonnen? + +Theophan. Und zwar je eher, je lieber. + +Adrast. Sie wollen dem Lisidor sagen, daß Sie Julianen nicht lieben? + +Theophan. Was sonst? + +Adrast. Daß Sie eine andere Person lieben? + +Theophan. Vor allen Dingen; um ihm durchaus keine Ursache zu geben, +Julianen die rückgängige Verbindung zur Last zu legen. + +Adrast. Wollten Sie wohl alles dieses gleich jetzo tun? + +Theophan. Gleich jetzo?-- + +Adrast (beiseite). Nun habe ich ihn!--Ja, gleich jetzo. + +Theophan. Wollten Sie aber auch wohl eben diesen Schritt tun? +Wollten auch Sie dem Lisidor wohl sagen, daß Sie Henrietten nicht +liebten? + +Adrast. Ich brenne vor Verlangen. + +Theophan. Und daß Sie Julianen liebten? + +Adrast. Zweifeln Sie? + +Theophan. Nun wohl! so kommen Sie. + +Adrast (beiseite). Er will?-- + +Theophan. Nur geschwind! + +Adrast. Überlegen Sie es recht. + +Theophan. Und was soll ich denn noch überlegen? + +Adrast. Noch ist es Zeit.-- + +Theophan. Sie halten sich selbst auf. Nur fort!--(Indem er +vorangehen will.) Sie bleiben zurück? Sie stehen in Gedanken? Sie +sehen mich mit einem Auge an, das Erstaunen verrät? Was soll das?-- + +Adrast (nach einer kleinen Pause). Theophan!-- + +Theophan. Nun?--Bin ich nicht bereit? + +Adrast (gerührt). Theophan!--Sie sind doch wohl ein ehrlicher Mann. + +Theophan. Wie kommen Sie jetzt darauf? + +Adrast. Wie ich jetzt darauf komme? Kann ich einen stärkern Beweis +verlangen, daß Ihnen mein Glück nicht gleichgültig ist? + +Theophan. Sie erkennen dieses sehr spät--aber Sie erkennen es doch +noch.--Liebster Adrast, ich muß Sie umarmen.-- + +Adrast. Ich schäme mich--lassen Sie mich allein; ich will ihnen bald +folgen.-- + +Theophan. Ich werde Sie nicht allein lassen.--Ist es möglich, daß ich +Ihren Abscheu gegen mich überwunden habe? Daß ich ihn durch eine +Aufopferung überwunden habe, die mir so wenig kostet? Ach! Adrast, +Sie wissen noch nicht, wie eigennützig ich dabei bin; ich werde +vielleicht alle Ihre Hochachtung dadurch wieder verlieren:--Ich liebe +Henrietten. + +Adrast. Sie lieben Henrietten? Himmel! so können wir ja hier noch +beide glücklich sein. Warum haben wir uns nicht eher erklären müssen? +O Theophan! Theophan! ich würde Ihre ganze Aufführung mit einem +andern Auge angesehen haben. Sie würden der Bitterkeit meines +Verdachts, meiner Vorwürfe nicht ausgesetzt gewesen sein. + +Theophan. Keine Entschuldigungen, Adrast! Vorurteile und eine +unglückliche Liebe sind zwei Stücke, deren eines schon hinreichet, +einen Mann zu etwas ganz anderm zu machen, als er ist.--Aber was +verweilen wir hier länger? + +Adrast. Ja, Theophan, nun lassen Sie uns eilen.--Aber wenn uns +Lisidor zuwider wäre?--Wenn Juliane einen andern liebte?-- + +Theophan. Fassen Sie Mut. Hier kömmt Lisidor. + + + +Vierter Auftritt + +Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisidor. Ihr seid mir feine Leute! Soll ich denn beständig mit dem +fremden Vetter allein sein? + +Theophan. Wir waren gleich im Begriff zu Ihnen zu kommen. + +Lisidor. Was habt ihr nun wieder zusammen gemacht? gestritten? +Glaubt mir doch nur, aus dem Streiten kömmt nichts heraus. Ihr habt +alle beide, alle beide habt ihr recht.--Zum Exempel: (zum Theophan) +Der spricht, die Vernunft ist schwach; und der (zum Adrast) spricht, +die Vernunft ist stark. Jener beweiset mit starken Gründen, daß die +Vernunft schwach ist; und dieser mit schwachen Gründen, daß sie stark +ist. Kömmt das nun nicht auf eins heraus? schwach und stark, oder, +stark und schwach: was ist denn da für ein Unterscheid? + +Theophan. Erlauben Sie, wir haben jetzt weder von der Stärke, noch +von der Schwäche der Vernunft gesprochen-- + +Lisidor. Nun! so war es von etwas anderm, das ebensowenig zu +bedeuten hat.--Von der Freiheit etwa: Ob ein hungriger Esel, der +zwischen zwei Bündeln Heu steht, die einander vollkommen gleich sind, +das Vermögen hat, von dem ersten von dem besten zu fressen, oder, ob +der Esel so ein Esel sein muß, daß er lieber verhungert?-- + +Adrast. Auch daran ist nicht gedacht worden. Wir beschäftigten uns +mit einer Sache, bei der das Vornehmste nunmehr auf Sie ankömmt. + +Lisidor. Auf mich? + +Theophan. Auf Sie, der Sie unser ganzes Glück in Händen haben. + +Lisidor. Oh! ihr werdet mir einen Gefallen tun, wenn ihr es so +geschwind, als möglich, in eure eignen Hände nehmt.--Ihr meint doch +wohl das Glück in Fischbeinröcken? Schon lange habe ich es selber +nicht mehr gern behalten wollen. Denn der Mensch ist ein Mensch, und +eine Jungfer eine Jungfer; und Glück und Glas wie bald bricht das! + +Theophan. Wir werden zeitlebens nicht dankbar genug sein können, daß +Sie uns einer so nahen Verbindung gewürdiget haben. Allein es stößt +sich noch an eine sehr große Schwierigkeit. + +Lisidor. Was? + +Adrast. An eine Schwierigkeit, die unmöglich vorauszusehen war. + +Lisidor. Nu? + +Theophan und Adrast. Wir müssen Ihnen gestehen-- + +Lisidor. Alle beide zugleich? Was wird das sein? Ich muß euch +ordentlich vernehmen.--Was gestehen Sie, Theophan?-- + +Theophan. Ich muß Ihnen gestehen,--daß ich Julianen nicht liebe. + +Lisidor. Nicht liebe? habe ich recht gehört?--Und was ist denn Ihr +Geständnis, Adrast?-- + +Adrast. Ich muß Ihnen gestehen,--daß ich Henrietten nicht liebe. + +Lisidor. Nicht liebe?--Sie nicht lieben, und Sie nicht lieben; das +kann unmöglich sein! Ihr Streitköpfe, die ihr noch nie einig gewesen +seid, solltet jetzo zum ersten Male einig sein, da es darauf ankömmt, +mir den Stuhl vor die Türe zu setzen?--Ach! ihr scherzt, nun merke +ich's erst. + +Adrast. Wir? scherzen? + +Lisidor. Oder ihr müßt nicht klug im Kopfe sein. Ihr meine Töchter +nicht lieben? die Mädel weinen sich die Augen aus dem Kopfe.--Aber +warum denn nicht? wenn ich fragen darf. Was fehlt denn Julianen, daß +Sie sie nicht lieben können? + +Theophan. Ihnen die Wahrheit zu gestehen, ich glaube, daß ihr Herz +selbst für einen andern eingenommen ist. + +Adrast. Und eben dieses vermute ich mit Grunde auch von Henrietten. + +Lisidor. Ho! ho! dahinter muß ich kommen.--Lisette! he! Lisette!-- +Ihr seid also wohl gar eifersüchtig, und wollt nur drohen? + +Theophan. Drohen? da wir Ihrer Güte jetzt am nötigsten haben? + +Lisidor. He da! Lisette! + + + +Fünfter Auftritt + +Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisette. Hier bin ich ja schon! Was gibt's? + +Lisidor. Sage, sie sollen gleich herkommen. + +Lisette. Wer denn? + +Lisidor. Beide! hörst du nicht? + +Lisette. Meine Jungfern? + +Lisidor. Fragst du noch? + +Lisette. Gleich will ich sie holen. (Indem sie wieder umkehrt.) +Kann ich ihnen nicht voraus sagen, was sie hier sollen? + +Lisidor. Nein! + +Lisette (geht und kömmt wieder). Wenn sie mich nun aber fragen? + +Lisidor. Wirst du gehen? + +Lisette. Ich geh.--(Kömmt wieder.) Es ist wohl etwas Wichtiges? + +Lisidor. Ich glaube, du Maulaffe, willst es eher wissen, als sie? + +Lisette. Nur sachte! ich bin so neugierig nicht. + + + +Sechster Auftritt + +Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisidor. Ihr habt mich auf einmal ganz verwirrt gemacht. Doch nur +Geduld, ich will das Ding schon wieder in seine Wege bringen. Das +wäre mir gelegen, wenn ich mir ein Paar andere Schwiegersöhne suchen +müßte! Ihr waret mir gleich so recht, und so ein Paar bekomme ich +nicht wieder zusammen, wenn ich mir sie auch bestellen ließe. + +Adrast. Sie sich andre Schwiegersöhne suchen?--Was für ein Unglück +drohen Sie uns? + +Lisidor. Ihr wollt doch wohl nicht die Mädel heiraten, ohne sie zu +lieben? Da bin ich auch euer Diener. + +Theophan. Ohne sie zu lieben? + +Adrast. Wer sagt das? + +Lisidor. Was habt ihr denn sonst gesagt? + +Adrast. Ich bete Julianen an. + +Lisidor. Julianen? + +Theophan. Ich liebe Henrietten mehr, als mich selbst. + +Lisidor. Henrietten?--Uph! Wird mir doch auf einmal ganz wieder +leichte.--Ist das der Knoten? Also ist es weiter nichts, als daß sich +einer in des andern seine Liebste verliebt hat? Also wäre der ganze +Plunder mit einem Tausche gutzumachen? + +Theophan. Wie gütig sind Sie, Lisidor! + +Adrast. Sie erlauben uns also-- + +Lisidor. Was will ich tun? Es ist doch immer besser, ihr tauscht vor +der Hochzeit, als daß ihr nach der Hochzeit tauscht. Wenn es meine +Töchter zufrieden sind, ich bin es zufrieden. + +Adrast. Wir schmeicheln uns, daß sie es sein werden.--Aber bei der +Liebe, Lisidor, die Sie gegen uns zeigen, kann ich unmöglich anders, +ich muß Ihnen noch ein Geständnis tun. + +Lisidor. Noch eins? + +Adrast. Ich würde nicht rechtschaffen handeln, wenn ich Ihnen meine +Umstände verhehlte. + +Lisidor. Was für Umstände? + +Adrast. Mein Vermögen ist so geschmolzen, daß ich, wenn ich alle +meine Schulden bezahle, nichts übrig behalte. + +Lisidor. Oh! schweig doch davon. Habe ich schon nach deinem +Vermögen gefragt? Ich weiß so wohl, daß du ein lockrer Zeisig gewesen +bist, und alles durchgebracht hast; aber eben deswegen will ich dir +eine Tochter geben, damit du doch wieder etwas hast.--Nur stille! da +sind sie; laßt mich machen. + + + +Siebenter Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisette. Hier bringe ich sie, Herr Lisidor. Wir sind höchst begierig, +zu wissen, was Sie zu befehlen haben. + +Lisidor. Seht freundlich aus, Mädchens! ich will euch etwas +Fröhliches melden: Morgen soll's richtig werden. Macht euch gefaßt! + +Lisette. Was soll richtig werden? + +Lisidor. Für dich wird nichts mit richtig.--Lustig, Mädchens! +Hochzeit! Hochzeit!--Nu? Ihr seht ja so barmherzig aus? Was fehlt +dir, Juliane? + +Juliane. Sie sollen mich allezeit gehorsam finden; aber nur diesesmal +muß ich Ihnen vorstellen, daß Sie mich übereilen würden.--Himmel! +morgen? + +Lisidor. Und du, Henriette? + +Henriette. Ich, lieber Herr Vater? ich werde morgen krank sein, +todsterbenskrank! + +Lisidor. Verschieb es immer bis übermorgen. + +Henriette. Es kann nicht sein. Adrast weiß meine Ursachen. + +Adrast. Ich weiß, schönste Henriette, daß Sie mich hassen. + +Theophan. Und sie, liebste Juliane, Sie wollen gehorsam sein?--Wie +nahe scheine ich meinem Glücke zu sein, und wie weit bin ich +vielleicht noch davon entfernt!--Mit was für einem Gesichte soll ich +es Ihnen sagen, daß ich der Ehre Ihrer Hand unwert bin? daß ich mir +bei aller der Hochachtung, die ich für eine so vollkommene Person +hegen muß, doch nicht getraue, dasjenige für Sie zu empfinden, was ich +nur für eine einzige Person in der Welt empfinden will. + +Lisette. Das ist ja wohl gar ein Korb? Es ist nicht erlaubt, daß +auch Mannspersonen welche austeilen wollen. Hurtig also, Julianchen, +mit der Sprache heraus! + +Theophan. Nur ein eitles Frauenzimmer könnte meine Erklärung +beleidigen; und ich weiß, daß Juliane über solche Schwachheiten so +weit erhaben ist,-- + +Juliane. Ach Theophan! ich höre es schon: Sie haben zu scharfe +Blicke in mein Herz getan.-- + +Adrast. Sie sind nun frei, schönste Juliane. Ich habe Ihnen kein +Bekenntnis weiter abzulegen, als das, welches ich Ihnen bereits +abgelegt habe.--Was soll ich hoffen? + +Juliane. Liebster Vater!--Adrast!--Theophan!--Schwester!-- + +Lisette. Nun merke ich alles. Geschwind muß das die Großmama +erfahren. (Lisette läuft ab.) + +Lisidor (zu Julianen). Siehst du, Mädchen, was du für Zeug angefangen +hast? + +Theophan. Aber Sie, liebste Henriette, was meinen Sie hierzu? Ist +Adrast nicht ein ungetreuer Liebhaber? Ach! wenn Sie Ihre Augen auf +einen getreuern werfen wollten! Wir sprachen vorhin von Rache, von +einer unschuldigen Rache-- + +Henriette. Top! Theophan: ich räche mich. + +Lisidor. Fein bedächtig, Henriette! Hast du schon die Krankheit auf +morgen vergessen? + +Henriette. Gut! Ich lasse mich verleugnen, wenn sie kömmt. + +Lisidor. Seid ihr aber nicht wunderliches Volk! Ich wollte jedem zu +seinem Rocke egales Futter geben, aber ich sehe wohl, euer Geschmack +ist bunt. Der Fromme sollte die Fromme, und der Lustige die Lustige +haben: Nichts! der Fromme will die Lustige, und der Lustige die +Fromme. + + + +Achter Auftritt + +Frau Philane mit Lisetten und die Vorigen. + + +Frau Philane. Kinder, was höre ich? Ist es möglich? + +Lisidor. Ja, Mama; ich glaube, Sie werden nicht dawider sein. Sie +wollen nun einmal so-- + +Frau Philane. Ich sollte dawider sein? Diese Verändrung ist mein +Wunsch, mein Gebet gewesen. Ach! Adrast, ach! Henriette, für euch +habe ich oft gezittert! Ihr würdet ein unglückliches Paar geworden +sein! Ihr braucht beide einen Gefährten, der den Weg besser kennet, +als ihr. Theophan, Sie haben längst meinen Segen; aber wollen Sie +mehr als diesen, wollen Sie auch den Segen des Himmels haben, so +ziehen Sie eine Person aus Henrietten, die Ihrer wert ist. Und Sie, +Adrast, ich habe Sie wohl sonst für einen bösen Mann gehalten; doch +getrost! wer eine fromme Person lieben kann, muß selbst schon halb +fromm sein. Ich verlasse mich seinetwegen auf dich, Julchen.--Vor +allen Dingen bringe ihm bei, wackern Leuten, rechtschaffnen +Geistlichen, nicht so verächtlich zu begegnen, als er dem Theophan +begegnet.-- + +Adrast. Ach! Madame, erinnern Sie mich an mein Unrecht nicht. +Himmel! wenn ich mich überall so irre, als ich mich bei ihnen, +Theophan, geirret habe: was für ein Mensch, was für ein abscheulicher +Mensch bin ich!-- + +Lisidor. Habe ich's nicht gesagt, daß ihr die besten Freunde werden +müßt, sobald als ihr Schwäger seid? Das ist nur der Anfang! + +Theophan. Ich wiederhole es, Adrast: Sie sind besser, als Sie glauben; +besser, als Sie zeither haben scheinen wollen. + +Frau Philane. Nun! auch das ist mir ein Trost zu hören.--(Zum +Lisidor.) Komm, mein Sohn, führe mich. Das Stehen wird mir zu sauer, +und vor Freuden habe ich es ganz vergessen, daß ich Araspen allein +gelassen. + +Lisidor. Ja, wahrhaftig! da gibt's was zu erzählen! Kommen Sie, +Mama.--Aber keinen Tausch weiter! keinen Tausch weiter! + +Lisette. Wie übel ist unsereinem dran, das nichts zu tauschen hat! + +(Ende des Freigeists.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Freigeist, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + + + + + + +End of Project Gutenberg's Der Freigeist, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FREIGEIST *** + +***** This file should be named 9325-8.txt or 9325-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/9/3/2/9325/ + +Produced by Delphine Lettau +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + diff --git a/9325-8.zip b/9325-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..f3f3c39 --- /dev/null +++ b/9325-8.zip diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..ad06403 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #9325 (https://www.gutenberg.org/ebooks/9325) diff --git a/old/7frig10.txt b/old/7frig10.txt new file mode 100644 index 0000000..e734d94 --- /dev/null +++ b/old/7frig10.txt @@ -0,0 +1,3961 @@ +The Project Gutenberg EBook of Der Freigeist, by Gotthold Ephraim Lessing + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. 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You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Der Freigeist + +Author: Gotthold Ephraim Lessing + +Release Date: November, 2005 [EBook #9325] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on September 22, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ASCII + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FREIGEIST *** + + + + +Produced by Delphine Letttau + + + + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Der Freigeist + +Gotthold Ephraim Lessing + +Ein Lustspiel in fuenf Aufzuegen + +Verfertigt im Jahre 1749 + + +Personen: + +Adrast, der Freigeist +Theophan, ein junger Geistlicher +Lisidor +Juliane und Henriette, Toechter des Lisidor +Frau Philane +Araspe, Theophans Vetter +Johann +Martin +Lisette +Ein Wechsler + +Die Szene ist ein Saal. + + + + + +Erster Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Adrast. Theophan. + + +Theophan. Werden Sie es uebelnehmen, Adrast, wenn ich mich endlich +ueber den stolzen Kaltsinn beklage, den Sie nicht aufhoeren, gegen mich +zu aeussern? Schon seit Monaten sind wir in einem Hause, und warten auf +einerlei Glueck. Zwei liebenswuerdige Schwestern sollen es uns machen. +Bedenken Sie doch, Adrast! koennen wir noch dringender eingeladen +werden, uns zu lieben, und eine Freundschaft unter uns zu stiften, wie +sie unter Bruedern sein sollte? Wie oft bin ich nicht darauf +bestanden?-- + +Adrast. Ebenso oft haben Sie gesehen, dass ich mich nicht einlassen +will. Freundschaft? Freundschaft unter uns?--Wissen Sie, muss ich +fragen, was Freundschaft ist? + +Theophan. Ob ich es weiss? + +Adrast. Alle Fragen bestuerzen, deren wir nicht gewaertig sind. Gut, +Sie wissen es. Aber meine Art zu denken, und die Ihrige, diese kennen +Sie doch auch? + +Theophan. Ich verstehe Sie. Also sollen wir wohl Feinde sein? + +Adrast. Sie haben mich schoen verstanden! Feinde? Ist denn kein +Mittel? Muss denn der Mensch eines von beiden, hassen, oder lieben? +Gleichgueltig wollen wir einander bleiben. Und ich weiss, eigentlich +wuenschen Sie dieses selbst. Lernen Sie wenigstens nur die +Aufrichtigkeit von mir. + +Theophan. Ich bin bereit. Werden Sie mich aber diese Tugend in aller +ihrer Lauterkeit lehren? + +Adrast. Erst fragen Sie sich selbst, ob sie Ihnen in aller ihrer +Lauterkeit gefallen wuerde? + +Theophan. Gewiss. Und Ihnen zu zeigen, ob Ihr kuenftiger Schueler +einige Faehigkeit dazu hat, wollen Sie mich wohl einen Versuch machen +lassen? + +Adrast. Recht gern. + +Theophan. Wo nur mein Versuch nicht ein Meisterstueck wird. Hoeren Sie +also, Adrast--Aber erlauben Sie mir, dass ich mit einer Schmeichelei +gegen mich selbst anfange. Ich habe von jeher einigen Wert auf meine +Freundschaft gelegt; ich bin vorsichtig, ich bin karg damit gewesen. +Sie sind der erste, dem ich sie angeboten habe; und Sie sind der +einzige, dem ich sie aufdringen will.--Umsonst sagt mir Ihr +veraechtlicher Blick, dass es mir nicht gelingen solle. Gewiss, es soll +mir gelingen. Ihr eigen Herz ist mir Buerge; Ihr eigen Herz, Adrast, +welches unendlich besser ist, als es Ihr Witz, der sich in gewisse +gross scheinende Meinungen verliebt hat, vielleicht wuenschet. + +Adrast. Ich hasse die Lobsprueche, Theophan, und besonders die, welche +meinem Herzen auf Unkosten meines Verstandes gegeben werden. Ich weiss +eigentlich nicht, was das fuer Schwachheiten sein muessen (Schwachheiten +aber muessen es sein), derentwegen Ihnen mein Herz so wohlgefaellt; das +aber weiss ich, dass ich nicht eher ruhen werde, als bis ich sie, durch +Huelfe meines Verstandes, daraus verdrungen habe. + +Theophan. Ich habe die Probe meiner Aufrichtigkeit kaum angefangen, +und Ihre Empfindlichkeit ist schon rege. Ich werde nicht weit kommen. + +Adrast. So weit als Sie wollen. Fahren Sie nur fort. + +Theophan. Wirklich?--Ihr Herz also ist das beste, das man finden kann. +Es ist zu gut, Ihrem Geiste zu dienen, den das Neue, das Besondere +geblendet hat, den ein Anschein von Gruendlichkeit zu glaenzenden +Irrtuemern dahinreisst, und der, aus Begierde bemerkt zu werden, Sie mit +aller Gewalt zu etwas machen will, was nur Feinde der Tugend, was nur +Boesewichter sein sollten. Nennen Sie es, wie Sie wollen: Freidenker, +starker Geist, Deist; ja, wenn Sie ehrwuerdige Benennungen missbrauchen +wollen, nennen Sie es Philosoph: es ist ein Ungeheuer, es ist die +Schande der Menschheit. Und Sie, Adrast, den die Natur zu einer +Zierde derselben bestimmte, der nur seinen eignen Empfindungen folgen +duerfte, um es zu sein; Sie, mit einer solchen Anlage zu allem, was +edel und gross ist, Sie entehren sich vorsaetzlich. Sie stuerzen sich +mit Bedacht aus Ihrer Hoehe herab, bei dem Poebel der Geister einen Ruhm +zu erlangen, fuer den ich lieber aller Welt Schande waehlen wollte. + +Adrast. Sie vergessen sich, Theophan, und wenn ich Sie nicht +unterbreche, so glauben Sie endlich gar, dass Sie sich an dem Platze +befinden, auf welchem Ihresgleichen ganze Stunden ungestoert schwatzen +duerfen. + +Theophan. Nein, Adrast, Sie unterbrechen keinen ueberlaestigen Prediger; +besinnen Sie sich nur: Sie unterbrechen bloss einen Freund,--wider +Ihren Willen nenne ich mich so,--der eine Probe seiner Freimuetigkeit +ablegen sollte. + +Adrast. Und eine Probe seiner Schmeichelei abgeleget hat;--aber einer +verdeckten Schmeichelei, einer Schmeichelei, die eine gewisse +Bitterkeit annimmt, um destoweniger Schmeichelei zu scheinen.--Sie +werden machen, dass ich Sie endlich auch verachte.--Wenn Sie die +Freimuetigkeit kennten, so wuerden Sie mir alles unter die Augen gesagt +haben, was Sie in Ihrem Herzen von mir denken. Ihr Mund wuerde mir +keine gute Seite geliehen haben, die mir Ihre innere Ueberzeugung nicht +zugestehet. Sie wuerden mich geradeweg einen Ruchlosen gescholten +haben, der sich der Religion nur deswegen zu entziehen suche, damit er +seinen Luesten desto sicherer nachhaengen koenne. Um sich pathetischer +auszudruecken, wuerden Sie mich einen Hoellenbrand, einen eingefleischten +Teufel genannt haben. Sie wuerden keine Verwuenschungen gespart, kurz, +Sie wuerden sich so erwiesen haben, wie sich ein Theolog gegen die +Veraechter seines Aberglaubens, und also auch seines Ansehens, erweisen +muss. + +Theophan. Ich erstaune. Was fuer Begriffe! + +Adrast. Begriffe, die ich von tausend Beispielen abgesondert habe.-- +Doch wir kommen zu weit. Ich weiss, was ich weiss, und habe laengst +gelernt, die Larve von dem Gesichte zu unterscheiden. Es ist eine +Karnevalserfahrung: je schoener die erste, desto haesslicher das andere. + +Theophan. Sie wollen damit sagen-- + +Adrast. Ich will nichts damit sagen, als dass ich noch zu wenig Grund +habe, die Allgemeinheit meines Urteils von den Gliedern Ihres Standes, +um Ihretwillen einzuschraenken. Ich habe mich nach den Ausnahmen zu +lange vergebens umgesehen, als dass ich hoffen koennte, die erste an +Ihnen zu finden. Ich muesste Sie laenger, ich muesste Sie unter +verschiedenen Umstaenden gekannt haben, wenn-- + +Theophan. Wenn Sie meinem Gesichte die Gerechtigkeit widerfahren +lassen sollten, es fuer keine Larve zu halten. Wohl! Aber wie koennen +Sie kuerzer dazu gelangen, als wenn Sie mich Ihres naehern Umganges +wuerdigen? Machen Sie mich zu Ihrem Freunde, stellen Sie mich auf die +Probe-- + +Adrast. Sachte! die Probe kaeme zu spaet, wenn ich Sie bereits zu +meinem Freunde angenommen haette. Ich habe geglaubt, sie muesse +vorhergehen. + +Theophan. Es gibt Grade in der Freundschaft, Adrast; und ich verlange +den vertrautesten noch nicht. + +Adrast. Kurz, auch zu dem niedrigsten koennen Sie nicht faehig sein. + +Theophan. Ich kann nicht dazu faehig sein? Wo liegt die Unmoeglichkeit? + +Adrast. Kennen Sie, Theophan, wohl ein Buch, welches das Buch aller +Buecher sein soll; welches alle unsere Pflichten enthalten, welches uns +zu allen Tugenden die sichersten Vorschriften erteilen soll, und +welches der Freundschaft gleichwohl mit keinem Worte gedenkt? Kennen +Sie dieses Buch? + +Theophan. Ich sehe Sie kommen, Adrast. Welchem Collin haben Sie +diesen armseligen Einwurf abgeborgt? + +Adrast. Abgeborgt, oder selbst erfunden: es ist gleich viel. Es muss +ein kleiner Geist sein, der sich Wahrheiten zu borgen schaemt. + +Theophan. Wahrheiten!--Sind Ihre uebrigen Wahrheiten von gleicher +Guete? Koennen Sie mich einen Augenblick anhoeren? + +Adrast. Wieder predigen? + +Theophan. Zwingen Sie mich nicht darzu? Oder wollen Sie, dass man +Ihre seichten Spoettereien unbeantwortet lassen soll, damit es scheine, +als koenne man nicht darauf antworten? + +Adrast. Und was koennen Sie denn darauf antworten? + +Theophan. Dieses. Sagen Sie mir, ist die Liebe unter der +Freundschaft, oder die Freundschaft unter der Liebe begriffen? +Notwendig das letztere. Derjenige also, der die Liebe in ihrem +allerweitesten Umfange gebietet, gebietet der nicht auch die +Freundschaft? Ich sollte es glauben; und es ist so wenig wahr, dass +unser Gesetzgeber die Freundschaft seines Gebotes nicht wuerdig +geschaetzt habe, dass er vielmehr seine Lehre zu einer Freundschaft +gegen die ganze Welt gemacht hat. + +Adrast. Sie buerden ihm Ungereimtheiten auf. Freundschaft gegen die +ganze Welt? Was ist das? Mein Freund muss kein Freund der ganzen Welt +sein. + +Theophan. Und also ist Ihnen wohl nichts Freundschaft als jene +Uebereinstimmung der Temperamente, jene angeborne Harmonie der Gemueter, +jener heimliche Zug gegeneinander, jene unsichtbare Kette, die zwei +einerlei denkende, einerlei wollende Seelen verknuepfet? + +Adrast. Ja, nur dieses ist mir Freundschaft. + +Theophan. Nur dieses? Sie widersprechen sich also selbst. + +Adrast. Oh! dass ihr Leute doch ueberall Widersprueche findet, ausser +nur da nicht, wo sie wirklich sind! + +Theophan. Ueberlegen Sie es. Wenn diese, ohne Zweifel nicht +willkuerliche, Uebereinstimmung der Seelen, diese in uns liegende +Harmonie mit einem andern einzelnen Wesen allein die wahre +Freundschaft ausmacht: wie koennen Sie verlangen, dass sie der +Gegenstand eines Gesetzes sein soll? Wo sie ist, darf sie nicht +geboten werden; und wo sie nicht ist, da wird sie umsonst geboten. +Und wie koennen Sie es unserm Lehrer zur Last legen, dass er die +Freundschaft in diesem Verstande uebergangen hat? Er hat uns eine +edlere Freundschaft befohlen, welche jenes blinden Hanges, den auch +die unvernuenftigen Tiere nicht missen, entbehren kann: eine +Freundschaft, die sich nach erkannten Vollkommenheiten mitteilet; +welche sich nicht von der Natur lenken laesst, sondern welche die Natur +selbst lenket. + +Adrast. O Geschwaetze! + +Theophan. Ich muss Ihnen dieses sagen, Adrast, ob Sie es gleich +ebensowohl wissen koennten, als ich; und auch wissen sollten. Was +wuerden Sie selbst von mir denken, wenn ich den Verdacht nicht mit +aller Gewalt von mir abzulenken suchte, als mache mich die Religion zu +einem Veraechter der Freundschaft, die Religion, die Sie nur allzugern +aus einem wichtigen Grunde verachten moechten?--Sehen Sie mich nicht so +geringschaetzig an; wenden Sie sich nicht auf eine so beleidigende Art +von mir-- + +Adrast (beiseite). Das Pfaffengeschmeiss!-- + +Theophan. Ich sehe, Sie gebrauchen Zeit, den ersten Widerwillen zu +unterdruecken, den eine widerlegte Lieblingsmeinung natuerlicherweise +erregt.--Ich will Sie verlassen. Ich erfuhr itzt ohnedem, dass einer +von meinen Anverwandten mit der Post angelangt sei. Ich gehe ihm +entgegen, und werde die Ehre haben Ihnen denselben vorzustellen. + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast.--Dass ich ihn nimmermehr wiedersehen duerfte! Welcher von euch +Schwarzroecken waere auch kein Heuchler?--Priestern habe ich mein +Unglueck zu danken. Sie haben mich gedrueckt, verfolgt, so nahe sie +auch das Blut mit mir verbunden hatte. Hassen will ich dich, Theophan +und alle deines Ordens! Muss ich denn auch hier in die Verwandtschaft +der Geistlichkeit geraten?--Er, dieser Schleicher, dieser bloede +Verleugner seines Verstandes, soll mein Schwager werden?--Und mein +Schwager durch Julianen?--Durch Julianen?--Welch grausames Geschick +verfolgt mich doch ueberall! Ein alter Freund meines verstorbenen +Vaters traegt mir eine von seinen Toechtern an. Ich eile herbei, und +muss zu spaet kommen, und muss die, welche auf den ersten Anblick mein +ganzes Herz hatte, die, mit der ich allein gluecklich leben konnte, +schon versprochen finden. Ach Juliane! So warest du mir nicht +bestimmt? du, die ich liebe? Und so soll ich mich mit einer +Schwester begnuegen, die ich nicht liebe?-- + + + +Dritter Auftritt + +Lisidor. Adrast. + + +Lisidor. Da haben wir's! Schon wieder allein, Adrast? Sagen Sie mir, +muessen die Philosophen so zu Winkel kriechen? Ich wollte doch lieber +sonst was sein--Und, wenn ich recht gehoert habe, so sprachen Sie ja +wohl gar mit sich selber? Nu, nu! es ist schon wahr: ihr Herren +Grillenfaenger koennt freilich mit niemand Kluegerm reden, als mit euch +selber. Aber gleichwohl ist unsereiner auch kein Katzenkopf. Ich +schwatze eins mit, es mag sein, von was es will. + +Adrast. Verzeihen Sie-- + +Lisidor. Je, mit Seinem Verzeihen! Er hat mir ja noch nichts zuwider +getan--Ich habe gern, wenn die Leute lustig sind. Und ich will kein +ehrlicher Mann sein, wenn ich mir nicht eine rechte Freude darauf +eingebildet habe, den Wildfang, wie sie Ihn sonst zu Hause nannten, zu +meinem Schwiegersohne zu haben. Freilich ist Er seitdem gross +gewachsen; Er ist auf Reisen gewesen; Er hat Land und Leute gesehen. +Aber, dass Er so gar sehr veraendert wuerde wiedergekommen sein, das +haette ich mir nicht traeumen lassen. Da geht Er nun, und spintisiert +von dem, was ist--und was nicht ist,--von dem, was sein koennte, und +wenn es sein koennte, warum es wieder nicht sein koennte;--von der +Notwendigkeit, der halben und ganzen, der notwendigen Notwendigkeit, +und der nicht notwendigen Notwendigkeit;--von den A--A--wie heissen die +kleinen Dingerchen, die so in den Sonnenstrahlen herumfliegen? von +den A--A--Sage doch, Adrast-- + +Adrast. Von den Atomis, wollen Sie sagen. + +Lisidor. Ja, ja, von den Atomis, von den Atomis. So heissen sie, weil +man ihrer ein ganz Tausend mit einem Atem hinunterschlucken kann. + +Adrast. Ha! ha! ha! + +Lisidor. Er lacht, Adrast? Ja, mein gutes Buerschchen, du musst nicht +glauben, dass ich von den Sachen ganz und gar nichts verstehe. Ich +habe euch, Ihn und den Theophan, ja oft genug darueber zanken hoeren. +Ich behalte mir das Beste. Wenn ihr euch in den Haaren liegt, so +fische ich im trueben. Da faellt manche Brocke ab, die keiner von euch +brauchen kann, und die ist fuer mich. Ihr duerft deswegen nicht +neidisch auf mich sein; denn ich bereichere mich nicht von einem +allein. Das nehme ich von dir, mein lieber Adrast; und das vom +Theophan; und aus allen dem mache ich mir hernach ein Ganzes-- + +Adrast. Das vortrefflich ungeheuer sein muss. + +Lisidor. Wieso? + +Adrast. Sie verbinden Tag und Nacht, wenn Sie meine mit Theophans +Gedanken verbinden. + +Lisidor. Je nu! so wird eine angenehme Daemmerung daraus.--Und +ueberhaupt ist es nicht einmal wahr, dass ihr so sehr voneinander +unterschieden waeret. Einbildungen! Einbildungen! Wie vielmal habe +ich nicht allen beiden zugleich recht gegeben? Ich bin es nur +allzuwohl ueberzeugt, dass alle ehrliche Leute einerlei glauben. + +Adrast. Sollten! sollten! das ist wahr. + +Lisidor. Nun da sehe man! was ist nun das wieder fuer ein +Unterscheid? Glauben, oder glauben sollen: es koemmt auf eines heraus. +Wer kann alle Worte so abzirkeln?--Und ich wette was, wenn ihr nur +erst werdet Schwaeger sein, kein Ei wird dem andern aehnlicher sein +koennen.-- + +Adrast. Als ich dem Theophan, und er mir? + +Lisidor. Gewiss. Noch wisst ihr nicht, was das heisst, miteinander +verwandt sein. Der Verwandtschaft wegen wird der einen Daumen breit, +und der einen Daumen breit nachgeben. Und einen Daumen breit, und +wieder einen Daumen breit, das macht zwei Daumen breit; und zwei +Daumen breit--ich bin ein Schelm, wenn ihr die auseinander seid.-- +Nichts aber koennte mich in der Welt wohl so vergnuegen, als dass meine +Toechter so vortrefflich fuer euch passen. Die Juliane ist eine geborne +Priesterfrau; und Henriette--in ganz Deutschland muss kein Maedchen zu +finden sein, das sich fuer Ihn, Adrast, besser schickte. Huebsch, +munter, fix; sie singt, sie tanzt, sie spielt; kurz, sie ist meine +leibhafte Tochter. Juliane dargegen ist die liebe, heilige Einfalt. + +Adrast. Juliane? Sagen Sie das nicht. Ihre Vollkommenheiten fallen +vielleicht nur weniger in die Augen. Ihre Schoenheit blendet nicht; +aber sie geht ans Herz. Man laesst sich gern von ihren stillen Reizen +fesseln, und man biegt sich mit Bedacht in ihr Joch, das uns andere in +einer froehlichen Unbesonnenheit ueberwerfen muessen. Sie redet wenig; +aber auch ihr geringstes Wort hat Vernunft. + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Es ist wahr: Henriette weiss sich frei und witzig auszudruecken. +Wuerde es aber Juliane nicht auch koennen, wenn sie nur wollte, und +wenn sie nicht Wahrheit und Empfindung jenem prahlenden Schimmer +vorzoege? Alle Tugenden scheinen sich in ihrer Seele verbunden zu +haben-- + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Es sei ferne, dass ich Henrietten irgend eine Tugend +absprechen sollte. Aber es gibt ein gewisses Aeusseres, welches sie +schwerlich vermuten liesse, wenn man nicht andre Gruende fuer sie haette. +Julianens gesetzte Anmut, ihre ungezwungene Bescheidenheit, ihre +ruhige Freude, ihre-- + +Lisidor. Und Henriettens? + +Adrast. Henriettens wilde Annehmlichkeiten, ihre wohl lassende +Dreustigkeit, ihre froehlichen Entzueckungen stechen mit den gruendlichen +Eigenschaften ihrer Schwester vortrefflich ab. Aber Juliane gewinnt +dabei-- + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Verlieret dabei nichts. Nur dass Juliane-- + +Lisidor. Ho! ho! Herr Adrast, ich will doch nicht hoffen, dass Sie +auch an der Narrheit krank liegen, welche die Leute nur das fuer gut +und schoen erkennen laesst, was sie nicht bekommen koennen. Wer Henker +hat Sie denn gedungen, Julianen zu loben? + +Adrast. Fallen Sie auf nichts Widriges. Ich habe bloss zeigen wollen, +dass mich die Liebe fuer meine Henriette gegen die Vorzuege ihrer +Schwester nicht blind mache. + +Lisidor. Nu, nu! wenn das ist, so mag es hingehen. Sie ist auch +gewiss ein gutes Kind, die Juliane. Sie ist der Augapfel ihrer +Grossmutter. Und das gute, alte Weib hat tausendmal gesagt, die Freude +ueber ihr Julchen erhielte sie noch am Leben. + +Adrast. Ach! + +Lisidor. Das war ja gar geseufzt. Was Geier ficht Ihn an? Pfui! +Ein junger gesunder Mann, der alle Viertelstunden eine Frau nehmen +will, wird seufzen? Spare Er Sein Seufzen, bis Er die Frau hat! + + + +Vierter Auftritt + +Johann. Adrast. Lisidor. + + +Johann. Pst! Pst! + +Lisidor. Nu? Nu? + +Johann. Pst! Pst! + +Adrast. Was gibt's? + +Johann. Pst! Pst! + +Lisidor. Pst! Pst! Mosjeu Johann. Kann der Schurke nicht naeher +kommen? + +Johann. Pst, Herr Adrast! Ein Wort im Vertrauen. + +Adrast. So komm her! + +Johann. Im Vertrauen, Herr Adrast. + +Lisidor (welcher auf ihn zu geht). Nun? was willst du? + +Johann (geht auf die andre Seite). Pst! Herr Adrast, nur ein +Woertchen, ganz im Vertrauen! + +Adrast. So pack dich her, und rede. + +Lisidor. Rede! rede! Was kann der Schwiegersohn haben, das der +Schwiegervater nicht hoeren duerfte? + +Johann. Herr Adrast! (Zieht ihn an dem Aermel beiseite.) + +Lisidor. Du Spitzbube, willst mich mit aller Gewalt vom Platze haben. +Rede nur, rede! ich gehe schon. + +Johann. Oh! Sie sind gar zu hoeflich. Wenn Sie einen kleinen +Augenblick dort in die Ecke treten wollen: so koennen Sie immer da +bleiben. + +Adrast. Bleiben Sie doch! ich bitte. + +Lisidor. Nu! wenn ihr meint--(indem er auf sie zu koemmt). + +Adrast. Nun sage, was willst du? + +Johann (welcher sieht, dass ihm Lisidor wieder nahe steht). Nichts. + +Adrast. Nichts? + +Johann. Nichts, gar nichts. + +Lisidor. Das Woertchen im Vertrauen, hast du es schon wieder vergessen? + +Johann. Potz Stern! sind Sie da? Ich denke, Sie stehen dort im +Winkel. + +Lisidor. Narre, der Winkel ist naeher gerueckt. + +Johann. Daran hat er sehr unrecht getan. + +Adrast. Halte mich nicht laenger auf, und rede. + +Johann. Herr Lisidor, mein Herr wird boese. + +Adrast. Ich habe vor ihm nichts Geheimes: rede! + +Johann. So habe ich auch nichts fuer Sie. + +Lisidor. Galgendieb, ich muss dir nur deinen Willen tun.--Ich gehe auf +meine Stube, Adrast: wenn Sie zu mir kommen wollen-- + +Adrast. Ich werde Ihnen gleich folgen. + + + +Fuenfter Auftritt + +Johann. Adrast, + + +Johann. Ist er fort? + +Adrast. Was hast du mir denn zu sagen? Ich wette, es ist eine +Kleinigkeit; und der Alte wird sich einbilden, dass es Halssachen sind. + +Johann. Eine Kleinigkeit? Mit einem Worte, Herr Adrast, wir sind +verloren. Und Sie konnten verlangen, dass ich es in Gegenwart des +Lisidors sagen sollte? + +Adrast. Verloren? Und wie denn? Erklaere dich. + +Johann. Was ist da zu erklaeren? Kurz, wir sind verloren.--Aber so +unvorsichtig haette ich mir Sie doch nimmermehr eingebildet, dass Sie es +sogar Ihren kuenftigen Schwiegervater wollten hoeren lassen-- + +Adrast. So lass mich es nur hoeren-- + +Johann. Wahrhaftig, er haette die Lust auf einmal verlieren koennen, es +jemals zu werden.--So ein Streich! + +Adrast. Nun? was denn fuer ein Streich? Wie lange wirst du mich noch +martern? + +Johann. Ein ganz verdammter Streich.--Ja, ja! wenn der Bediente +nicht oft behutsamer waere, als der Herr: es wuerden artige Dinge +herauskommen. + +Adrast. Nichtswuerdiger Schlingel-- + +Johann. Ho, ho! ist das mein Dank? Wenn ich es doch nur gesagt +haette, wie der Alte da war. Wir haetten wollen sehen! wir haetten +wollen sehen-- + +Adrast. Dass dich dieser und jener-- + +Johann. Ha, ha! nach dem diesen und jenen wird nicht mehr gefragt. +Ich weiss doch wohl, dass Sie den Teufel meinen, und dass keiner ist. +Ich muesste wenig von Ihnen gelernt haben, wenn ich nicht der ganzen +Hoelle ein Schnippchen schlagen wollte. + +Adrast. Ich glaube, du spielst den Freigeist? Ein ehrlicher Mann +moechte einen Ekel davor bekommen, wenn er sieht, dass es ein jeder +Lumpenhund sein will.--Aber ich verbiete dir nunmehr, mir ein Wort zu +sagen. Ich weiss doch, dass es nichts ist. + +Johann. Ich sollte es Ihnen nicht sagen? Ich sollte Sie so in Ihr +Unglueck rennen lassen? Das wollen wir sehen. + +Adrast. Gehe mir aus den Augen! + +Johann. Nur Geduld!--Sie erinnern sich doch wohl so ohngefaehr, wie +Sie Ihre Sachen zu Hause gelassen haben? + +Adrast. Ich mag nichts wissen. + +Johann. Ich sage Ihnen ja auch noch nichts.--Sie erinnern sich doch +wohl auch der Wechsel, die Sie an den Herrn Araspe vor Jahr und Tag +ausstellten? + +Adrast. Schweig, ich mag nichts davon hoeren. + +Johann. Ohne Zweifel, weil Sie sie vergessen wollen? Wenn sie nur +dadurch bezahlt wuerden.--Aber wissen Sie denn auch, dass sie verfallen +sind? + +Adrast. Ich weiss, dass du dich nicht darum zu bekuemmern hast. + +Johann. Auch das verbeisse ich.--Sie denken freilich: Weit davon, ist +gut fuer den Schuss; und Herr Araspe hat eben nicht noetig, so sehr +dahinterher zu sein. Aber, was meinen Sie, wenn ich den Herrn Araspe-- + +Adrast. Nun was? + +Johann. Jetzt den Augenblick vom Postwagen haette steigen sehen? + +Adrast. Was sagst du? Ich erstaune-- + +Johann. Das tat ich auch, als ich ihn sah. + +Adrast. Du, Araspen gesehen? Araspen hier? + +Johann. Mein Herr, ich habe mich auf den Fuss gesetzt, dass ich Ihre +und meine Schuldner gleich auf den ersten Blick erkenne; ja ich rieche +sie schon, wenn sie auch noch hundert Schritt von mir sind. + +Adrast (nachdem er nachgedacht). Ich bin verloren! + +Johann. Das war ja mein erstes Wort. + +Adrast. Was ist anzufangen? + +Johann. Das beste wird sein: wir packen auf, und ziehen weiter. + +Adrast. Das ist unmoeglich. + +Johann. Nun so machen Sie sich gefasst, zu bezahlen. + +Adrast. Das kann ich nicht; die Summe ist zu gross. + +Johann. Oh! ich sagte auch nur so.--Sie sinnen? + +Adrast. Doch wer weiss auch, ob er ausdruecklich meinetwegen +hergekommen ist. Er kann andre Geschaefte haben. + +Johann. Je nu! so wird er das Geschaefte mit Ihnen so beiher treiben. +Wir sind doch immer geklatscht. + +Adrast. Du hast recht.--Ich moechte rasend werden, wenn ich an alle +die Streiche gedenke, die mir ein ungerechtes Schicksal zu spielen +nicht aufhoert.--Doch wider wen murre ich? Wider ein taubes Ohngefaehr? +Wider einen blinden Zufall, der uns ohne Absicht und ohne Vorsatz +schwerfaellt? Ha! nichtswuerdiges Leben!-- + +Johann. Oh! lassen Sie mir das Leben ungeschimpft. So einer +Kleinigkeit wegen sich mit ihm zu ueberwerfen, das waere was Gescheutes! + +Adrast. So rate mir doch, wenn du es fuer eine Kleinigkeit ansiehst. + +Johann. Faellt Ihnen im Ernste kein Mittel ein?--Bald werde ich Sie +gar nicht mehr fuer den grossen Geist halten, fuer den ich Sie doch immer +gehalten habe. Fortgehen wollen Sie nicht; bezahlen koennen Sie nicht: +was ist denn noch uebrig? + +Adrast. Mich ausklagen zu lassen. + +Johann. O pfui! Worauf ich gleich zuerst fallen wuerde, wenn ich auch +bezahlen koennte-- + +Adrast. Und was ist denn das? + +Johann. Schwoeren Sie den Bettel ab. + +Adrast (mit einer bittern Verachtung). Schurke! + +Johann. Wie? Was bin ich? So einen bruederlichen Rat-- + +Adrast. Ja wohl ein bruederlicher Rat, den du nur deinen Bruedern, +Leuten deinesgleichen, geben solltest. + +Johann. Sind Sie Adrast? Ich habe Sie wohl niemals ueber das Schwoeren +spotten hoeren? + +Adrast. Ueber das Schwoeren, als Schwoeren, nicht aber als eine blosse +Beteurung seines Wortes. Diese muss einem ehrlichen Manne heilig sein, +und wenn auch weder Gott noch Strafe ist. Ich wuerde mich ewig schaemen, +meine Unterschrift geleugnet zu haben, und ohne Verachtung meiner +selbst, nie mehr meinen Namen schreiben koennen. + +Johann. Aberglauben ueber Aberglauben. Zu einer Tuere haben Sie ihn +herausgejagt, und zu der andern lassen Sie ihn wieder herein. + +Adrast. Schweig! ich mag dein laesterliches Geschwaetze nicht anhoeren. +Ich will Araspen aufsuchen. Ich will ihm Vorstellungen tun; ich will +ihm von meiner Heirat sagen; ich will ihm Zinsen ueber Zinsen +versprechen.--Ich treffe ihn doch wohl noch in dem Posthause? + +Johann. Vielleicht.--Da geht er, der barmherzige Schlucker. Das Maul +ist gross genug an ihm; aber wenn es dazu koemmt, dass er das, was er +glaubt, mit Taten beweisen soll, da zittert das alte Weib! Wohl dem, +der nach seiner Ueberzeugung auch leben kann! So hat er doch noch +etwas davon. Ich sollte an seiner Stelle sein.--Doch ich muss nur +sehen, wo er bleibt. + +(Ende des ersten Aufzugs.) + + + + + +Zweiter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. + + +Lisette. Vor allen Dingen, meine lieben Mamsells, ehe ich Ihre kleine +Streitigkeit schlichte, lassen Sie uns ausmachen, welcher von Ihnen +ich heute zugehoere. Sie wissen wohl, Ihre Herrschaft ueber mich ist +umzechig. Denn weil es unmoeglich sein soll, zweien Herren zu dienen, +So hat Ihr wohlweiser Papa--neigen Sie sich, Mamsells, neigen Sie sich! +--so hat, sage ich, Ihr wohlweiser Papa wohlbedaechtig mich damit +verschonen wollen, das Unmoegliche moeglich zu machen. Er hat jede von +Ihnen einen Tag um den andern zu meiner hauptsaechlichen Gebieterin +gemacht; so dass ich den einen Tag der sanften Juliane ehrbares Maedchen, +und den andern der muntern Henriette wilde Lisette sein muss. Aber +jetzt, seitdem die fremden Herren im Hause sind-- + +Henriette. Unsre Anbeter meinst du-- + +Lisette. Ja, ja! Ihre Anbeter, welche bald Ihre hochbefehlenden +Ehemaenner sein werden--Seitdem, sage ich, diese im Hause sind, geht +alles drueber und drunter; ich werde aus einer Hand in die andere +geschmissen; und ach! unsere schoene Ordnung liegt mit dem Naehzeuge, +das Sie seit eben der Zeit nicht angesehen haben, unterm Nachttische. +Hervor wieder damit! Ich muss wissen, woran ich mit Ihnen bin, wenn +ich ein unparteiisches Urteil faellen soll. + +Henriette. Das wollen wir bald ausrechnen.--Du besinnst dich doch +wohl auf den letzten Feiertag, da dich meine Schwester mit in die +Nachmittagspredigt schleppte, so gerne du auch mit mir auf unser +Vorwerk gefahren waerest? Du warst damals sehr strenge, Juliane!-- + +Juliane. Ich habe doch wohl nicht einer ehrlichen Seele einen +vergeblichen Weg nach ihr hinaus gemacht? + +Henriette. Lisette-- + +Lisette. Stille, Mamsell Henriette! nicht aus der Schule geschwatzt, +oder-- + +Henriette. Maedchen drohe nicht! Du weisst wohl, ich habe ein gut +Gewissen. + +Lisette. Ich auch.--Doch lassen Sie uns nicht das Hundertste ins +Tausendste schwatzen.--Recht! an den Feiertag will ich gedenken! Er +war der letzte in unsrer Ordnung; denn noch den Abend kam Theophan an. + +Henriette. Und also, mit Erlaubnis meiner Schwester, bist du heute +meine. + +Juliane. Ohne Widerrede. + +Lisette. Juchhei! Mamsellchen. Ich bin also heute Ihre: Juchhei! + +Juliane. Ist das dein Loesungswort unter ihrer Fahne? + +Lisette. Ohne weitre Umstaende: erzaehlen Sie mir nunmehr Ihre +Streitigkeit.--Unterdessen lege ich mein Gesicht in richterliche +Falten. + +Juliane. Streitigkeit? Eine wichtige Streitigkeit? Ihr seid beide +Schaekerinnen.--Ich will nichts mehr davon hoeren. + +Henriette. So? Du willst keinen Richter erkennen? Ein klarer Beweis, +dass du unrecht hast.--Hoere nur, Lisette! wir haben ueber unsre +Anbeter gezankt. Ich will die Dinger immer noch so nennen, mag doch +zuletzt daraus werden, was da will. + +Lisette. Das dachte ich. Ueber was koennten sich zwei gute Schwestern +auch sonst zanken? Es ist freilich verdriesslich, wenn man sein +kuenftiges Haupt verachten hoert. + +Henriette. Schwude! Maedchen; du willst ganz auf die falsche Seite. +Keine hat des andern Anbeter verachtet; sondern unser Zank kam daher, +weil eine des andern Anbeter--schon wieder Anbeter!--allzusehr erhob. + +Lisette. Eine neue Art Zanks! wahrhaftig, eine neue Art! + +Henriette. Kannst du es anders sagen, Juliane? + +Juliane. Oh! verschone mich doch damit. + +Henriette. Hoffe auf kein Verschonen, wenn du nicht widerrufst.--Sage, +Lisette, hast du unsre Maennerchen schon einmal gegeneinander +gehalten? Was duenkt dich? Juliane macht ihren armen Theophan +herunter, als wenn er ein kleines Ungeheuer waere. + +Juliane. Unartige Schwester! Wann habe ich dieses getan? Musst du +aus einer fluechtigen Anmerkung, die du mir gar nicht haettest aufmutzen +sollen, solche Folgen ziehen? + +Henriette. Ich seh, man muss dich boese machen, wenn du mit der Sprache +heraus sollst.--Eine fluechtige Anmerkung nennst du es? Warum +strittest du denn ueber ihre Gruendlichkeit? + +Juliane. Du hast doch naerrische Ausdruecke! Fingst du nicht den +ganzen Handel selbst an? Ich glaubte, wie sehr ich dir schmeicheln +wuerde, wenn ich deinen Adrast den wohlgemachtesten Mann nennte, den +ich jemals gesehen haette. Du haettest mir fuer meine Gesinnungen danken, +nicht aber widersprechen sollen. + +Henriette. Sieh, wie wunderlich du bist! Was war mein Widerspruch +anders, als ein Dank? Und wie konnte ich mich nachdruecklicher +bedanken, als wenn ich den unverdienten Lobspruch auf deinen Theophan +zurueckschob?-- + +Lisette. Sie hat recht! + +Juliane. Nein, sie hat nicht recht. Denn eben dieses verdross mich. +Muss sie auf einen so kindischen Fuss mit mir umgehen? Sahe sie mich +nicht dadurch fuer ein kleines spielendes Maedchen an, das zu ihr gesagt +haette: Deine Puppe ist die schoenste; und dem sie also, um es nicht +boese zu machen, antworten muesste: Nein, deine ist die schoenste? + +Lisette. Nun hat sie recht! + +Henriette. Oh! geh, du bist eine artige Richterin. Hast du schon +vergessen, dass du mir heute angehoerst? + +Lisette. Desto schaerfer eben werde ich gegen Sie sein, damit ich +nicht parteiisch lasse. + +Juliane. Glaube mir nur, dass ich bessere Eigenschaften an einer +Mannsperson zu schaetzen weiss, als seine Gestalt. Und es ist genug, +dass ich diese bessern Eigenschaften an dem Theophan finde. Sein Geist- +- + +Henriette. Von dem ist ja nicht die Rede. Jetzt koemmt es auf den +Koerper an, und dieser ist an dem Theophan schoener, du magst sagen, was +du willst. Adrast ist besser gewachsen: gut; er hat einen schoenern +Fuss: ich habe nichts dawider. Aber lass uns auf das Gesicht kommen.-- + +Juliane. So stueckweise habe ich mich nicht eingelassen. + +Henriette. Das ist eben dein Fehler.--Was fuer ein Stolz, was fuer eine +Verachtung aller andern blickt nicht dem Adrast aus jeder Miene! Du +wirst es Adel nennen; aber machst du es dadurch schoen? Umsonst sind +seine Gesichtszuege noch so regelmaessig: sein Eigensinn, seine Lust zum +Spotten hat eine gewisse Falte hineingebracht, die ihm in meinen Augen +recht haesslich laesst. Aber ich will sie ihm gewiss herausbringen: lass +nur die Flitterwochen erst vorbei sein.--Dein Theophan hingegen hat +das liebenswuerdigste Gesicht von der Welt. Es herrscht eine +Freundlichkeit darin, die sich niemals verleugnet.-- + +Juliane. Sage mir doch nur nichts, was ich ebensogut bemerkt habe, +als du. Allein eben diese seine Freundlichkeit ist nicht sowohl das +Eigentum seines Gesichts, als die Folge seiner innern Ruhe. Die +Schoenheit der Seele bringt auch in einen ungestalteten Koerper Reize; +so wie ihre Haesslichkeit dem vortrefflichsten Baue und den schoensten +Gliedern desselben, ich weiss nicht was eindrueckt, das einen +unzuerklaerenden Verdruss erwecket. Wenn Adrast eben der fromme Mann +waere, der Theophan ist; wenn seine Seele von ebenso goettlichen +Strahlen der Wahrheit, die er sich mit Gewalt zu verkennen bestrebet, +erleuchtet waere: so wuerde er ein Engel unter den Menschen sein; da er +jetzt kaum ein Mensch unter den Menschen ist. Zuerne nicht, Henriette, +dass ich so veraechtlich von ihm rede. Wenn er in gute Haende faellt, +kann er noch alles das werden, was er jetzt nicht ist, weil er es nie +hat sein wollen. Seine Begriffe von der Ehre, von der natuerlichen +Billigkeit sind vortrefflich.-- + +Henriette (spoettisch). Oh! du machst ihn auch gar zu sehr herunter.-- +Aber im Ernste, kann ich nicht sagen, dass du mich nunmehr fuer das +kleine spielende Maedchen ansiehst? Ich mag ja nicht von dir +seinetwegen zufriedengestellt sein. Er ist, wie er ist, und lange gut +fuer mich. Du sprachst von guten Haenden, in die er fallen muesste, wenn +noch was aus ihm werden sollte. Da er in meine nunmehr gefallen ist, +wird er wohl nicht anders werden. Mich nach ihm zu richten, wird mein +einziger Kunstgriff sein, uns das Leben ertraeglich zu machen. Nur die +verdriesslichen Gesichter muss er ablegen; und da werde ich ihm die +Gesichter deines Theophans zum Muster vorschlagen. + +Juliane. Schon wieder Theophan, und seine freundlichen Gesichter? + +Lisette. Stille! Mamsell-- + + + +Zweiter Auftritt + +Theophan. Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette (springt dem Theophan entgegen). Kommen Sie doch, Theophan, +kommen Sie!--Koennen Sie wohl glauben, dass ich Ihre Partei gegen meine +Schwester habe halten muessen? Bewundern Sie meine Uneigennuetzigkeit. +Ich habe Sie bis in den Himmel erhoben, da ich doch weiss, dass ich Sie +nicht bekomme, sondern dass Sie fuer meine Schwester bestimmt sind, die +Ihren Wert nicht kennet. Denken Sie nur, sie behauptet, dass Sie keine +so schoene Person vorstellten, als Adrast. Ich weiss nicht, wie sie das +behaupten kann. Ich sehe doch den Adrast mit den Augen einer +Verliebten an, das ist, ich mache mir ihn noch zehnmal schoener, als er +ist, und gleichwohl geben Sie ihm, meines Beduenkens, nichts nach. Sie +spricht zwar, auf der Seite des Geistes haetten Sie mehr Vorzuege; aber +was wissen wir Frauenzimmer denn vom Geiste? + +Juliane. Die Schwaetzerin! Sie kennen sie, Theophan: glauben Sie ihr +nicht. + +Theophan. Ich ihr nicht glauben, schoenste Juliane? Warum wollen Sie +mich nicht in der gluecklichen Ueberzeugung lassen, dass Sie so +vorteilhaft von mir gesprochen haben?--Ich danke Ihnen, angenehmste +Henriette, fuer Ihre Verteidigung; ich danke Ihnen umsovielmehr, je +staerker ich selbst ueberfuehret bin, dass Sie eine schlechte Sache haben +verteidigen muessen. Allein-- + +Henriette. Oh! Theophan, von Ihnen verlange ich es nicht, dass Sie +mir recht geben sollen. Es ist eine andere gewisse Person-- + +Juliane. Lassen Sie dieser andern Person Gerechtigkeit widerfahren, +Theophan. Sie werden, hoffe ich, meine Gesinnungen kennen-- + +Theophan. Gehen Sie nicht mit mir, als mit einem Fremden um, liebste +Juliane. Brauchen Sie keine Einlenkungen; ich wuerde bei jeder naehern +Bestimmung verlieren.--Bei den Buechern, in einer engen staubigten +Studierstube, vergisst man des Koerpers sehr leicht; und Sie wissen, der +Koerper muss ebensowohl bearbeitet werden, als die Seele, wenn beide +diejenigen Vollkommenheiten erhalten sollen, deren sie faehig sind. +Adrast ist in der grossen Welt erzogen worden; er hat alles, was bei +derselben beliebt macht-- + +Henriette. Und wenn es auch Fehler sein sollten.-- + +Theophan. Wenigstens habe ich diese Anmerkung nicht machen wollen.-- +Aber nur Geduld! ein grosser Verstand kann diesen Fehlern nicht immer +ergeben sein. Adrast wird das Kleine derselben endlich einsehen, +welches sich nur allzusehr durch das Leere verraet, das sie in unsern +Herzen zuruecklassen. Ich bin seiner Umkehr so gewiss, dass ich ihn +schon im voraus darum liebe.--Wie gluecklich werden Sie mit ihm leben, +glueckliche Henriette! + +Henriette. So edel spricht Adrast niemals von Ihnen, Theophan.-- + +Juliane. Abermals eine recht garstige Anmerkung, meine liebe +Schwester.--Was suchst du damit, dass du dem Theophan dieses sagst? Es +ist allezeit besser, wenn man es nicht weiss, wer von uns uebel spricht. +Die Kenntnis unserer Verleumder wirkt auch in dem grossmuetigsten +Herzen eine Art von Entfernung gegen sie, die ihre Aussoehnung mit der +beleidigten Person nur noch schwerer macht. + +Theophan. Sie entzuecken mich, Juliane. Aber fuerchten Sie nichts! +Eben darin soll ueber kurz oder lang mein Triumph bestehen, dass ich den +mich jetzt verachtenden Adrast besser von mir zu urteilen gezwungen +habe. Wuerde ich aber nicht diesen ganzen Triumph zernichten, wenn ich +selbst einigen Groll gegen ihn fassen wollte? Noch hat er sich nicht +die Muehe genommen, mich naeher kennenzulernen. Vielleicht, dass ich ein +Mittel finde, ihn dazu zu vermoegen.--Lassen Sie uns nur jetzt davon +abbrechen; und erlauben Sie, dass ich einen meiner naechsten +Blutsfreunde bei Ihnen anmelden darf, der sich ein Vergnuegen daraus +gemacht hat, mich hier zu ueberraschen.-- + +Juliane. Einen Anverwandten? + +Henriette. Und wer ist es? + +Theophan. Araspe. + +Juliane. Araspe? + +Henriette. Ei! das ist ja vortrefflich! Wo ist er denn? + +Theophan. Er war eben abgestiegen, und hat mir versprochen, +unverzueglich nachzufolgen. + +Henriette. Weiss es der Papa schon? + +Theophan. Ich glaube nicht. + +Juliane. Und die Grossmama? + +Henriette. Komm, Schwesterchen! diese froehliche Nachricht muessen wir +ihnen zuerst bringen.--Du bist doch nicht boese auf mich? + +Juliane. Wer kann auf dich boese sein, Schmeichlerin? Komm nur! + +Theophan. Erlauben Sie, dass ich ihn hier erwarte. + +Henriette. Bringen Sie ihn aber nur bald. Hoeren Sie! + + + +Dritter Auftritt + +Theophan. Lisette. + + +Lisette. Ich bleibe, Herr Theophan, um Ihnen noch ein kleines grosses +Kompliment zu machen. Wahrhaftig! Sie sind der gluecklichste Mann von +der Welt! und wenn Herr Lisidor, glaube ich, noch zwei Toechter haette, +so wuerden sie doch alle viere in Sie verliebt sein. + +Theophan. Wie versteht Lisette das? + +Lisette. Ich verstehe es so: dass wenn es alle viere sein wuerden, es +jetzt alle zwei sein muessen. + +Theophan (laechelnd). Noch dunkler! + +Lisette. Das sagt Ihr Laecheln nicht.--Wenn Sie aber wirklich Ihre +Verdienste selbst nicht kennen, so sind Sie nur desto liebenswerter. +Juliane liebt Sie: und das geht mit rechten Dingen zu, denn sie soll +Sie lieben. Nur schade, dass ihre Liebe so ein gar vernuenftiges +Ansehen hat. Aber was soll ich zu Henrietten sagen? Gewiss sie liebt +Sie auch, und was das Verzweifeltste dabei ist, sie liebt Sie--aus +Liebe.--Wenn Sie sie doch nur alle beide auch heiraten koennten! + +Theophan. Sie meint es sehr gut, Lisette! + +Lisette. Ja, wahrhaftig! alsdann sollten Sie mich noch obendrein +behalten. + +Theophan. Noch besser! Aber ich sehe, Lisette hat Verstand-- + +Lisette. Verstand? Auf das Kompliment weiss ich, leider! nichts zu +antworten. Auf ein anders: Lisette ist schoen, habe ich wohl ungefaehr +antworten lernen: Mein Herr, Sie scherzen. Ich weiss nicht, ob sich +diese Antwort hieher auch schickt. + +Theophan. Ohne Umstaende!--Lisette kann mir einen Dienst erzeigen, +wenn sie mir ihre wahre Meinung von Julianen entdeckt. Ich bin gewiss, +dass sie auch in ihren Mutmassungen nicht weit vom Ziele treffen wird. +Es gibt gewisse Dinge, wo ein Frauenzimmerauge immer schaerfer sieht, +als hundert Augen der Mannspersonen. + +Lisette. Verzweifelt! diese Erfahrung koennen Sie wohl nimmermehr aus +Buechern haben--Aber, wenn Sie nur acht auf meine Reden gegeben haetten; +ich habe Ihnen bereits meine wahre Meinung von Julianen gesagt. Sagte +ich Ihnen nicht, dass mir ihre Liebe ein gar zu vernuenftiges Ansehen zu +haben scheine? Darin liegt alles, was ich davon denke. Ueberlegung, +Pflicht, vorzuegliche Schoenheiten der Seele--Ihnen die Wahrheit zu +sagen, gegen so vortreffliche Worte, in einem weiblichen Munde, mag +ein Liebhaber immer ein wenig misstrauisch sein. Und noch eine kleine +Beobachtung gehoeret hieher: diese naemlich, dass sie mit den schoenen +Worten weit sparsamer gewesen, als Herr Theophan allein im Hause war. + +Theophan. Gewiss? + +Lisette (nachdem sie ihn einen Augenblick angesehen). Herr Theophan! +Herr Theophan! Sie sagen dieses Gewiss mit einer Art,--mit einer Art,-- + +Theophan. Mit was fuer einer Art? + +Lisette. Ja! nun ist sie wieder weg. Die Mannspersonen! die +Mannspersonen! Und wenn es auch gleich die allerfroemmsten sind--Doch +ich will mich nicht irremachen lassen. Seit Adrast im Hause ist, +wollte ich sagen, fallen zwischen dem Adrast und Julianen dann und +wann Blicke vor-- + +Theophan. Blicke?--Sie beunruhiget mich, Lisette. + +Lisette. Und das Beunruhigen koennen Sie so ruhig aussprechen, so +ruhig--Ja, Blicke fallen zwischen ihnen vor; Blicke, die nicht ein +Haar anders sind, als die Blicke, die dann und wann zwischen Mamsell +Henrietten und dem vierten vorfallen-- + +Theophan. Was fuer einem vierten? + +Lisette. Werden Sie nicht ungehalten. Wenn ich Sie gleich den +vierten nenne, so sind Sie eigentlich doch in aller Absicht der erste. + +Theophan (die ersten Worte beiseite). Die Schlaue!--Sie beschaemt mich +fuer meine Neubegierde, und ich habe es verdient. Nichtsdestoweniger +aber irret Sie sich, Lisette; gewaltig irret Sie sich-- + +Lisette. O pfui! Sie machten mir vorhin ein so artiges Kompliment, +und nunmehr gereuet es Sie auf einmal, mir es gemacht zu haben.--Ich +muesste gar nichts von dem Verstande besitzen, den Sie mir beilegten, +wenn ich mich so gar gewaltig irren sollte.-- + +Theophan (unruhig und zerstreut). Aber wo bleibt er denn?-- + +Lisette. Mein Verstand?--Wo er will.--So viel ist gewiss, dass Adrast +bei Henrietten ziemlich schlecht steht, sosehr sie sich auch nach +seiner Weise zu richten scheint. Sie kann alles leiden, nur +geringgeschaetzt zu werden, kann sie nicht leiden. Sie weiss es +allzuwohl, fuer was uns Adrast ansieht: fuer nichts, als Geschoepfchen, +die aus keiner andern Absicht da sind, als den Maennern ein Vergnuegen +zu machen. Und das ist doch sehr nichtswuerdig gedacht! Aber da kann +man sehen, in was fuer gottlose Irrtuemer die unglaeubigen Leute +verfallen.--Nu? Hoeren Sie mir nicht mehr zu, Herr Theophan? Wie so +zerstreut? wie so unruhig? + +Theophan. Ich weiss nicht, wo mein Vetter bleibt?-- + +Lisette. Er wird ja wohl kommen.-- + +Theophan. Ich muss ihm wirklich nur wieder entgegengehn.--Adieu, +Lisette! + + + +Vierter Auftritt + +Lisette. Das heisse ich kurz abgebrochen!--Er wird doch nicht +verdriesslich geworden sein, dass ich ihm ein wenig auf den Zahn fuehlte? +Das brave Maennchen! Ich will nur gerne sehen, was noch daraus werden +wird. Ich goenne ihm wirklich alles Gutes, und wenn es nach mir gehen +sollte, so wuesste ich schon, was ich taete.--(Indem sie sich umsieht.) +Wer koemmt denn da den Gang hervor?--Sind die es?--Ein Paar +allerliebste Schlingel! Adrasts Johann, und Theophans Martin: die +wahren Bilder ihrer Herren, von der haesslichen Seite! Aus +Freigeisterei ist jener ein Spitzbube; und aus Froemmigkeit dieser ein +Dummkopf. Ich muss mir doch die Lust machen, sie zu behorchen. (Sie +tritt zurueck.) + + + +Fuenfter Auftritt + +Lisette, halb versteckt hinter einer Szene. Johann. Martin. + + +Johann. Was ich dir sage! + +Martin. Du musst mich fuer sehr dumm ansehen. Dein Herr ein Atheist? +das glaube sonst einer! Er sieht ja aus wie ich und du. Er hat Haende +und Fuesse; er hat das Maul in der Breite und die Nase in der Laenge, wie +ein Mensch; er red't, wie ein Mensch; er isst, wie ein Mensch:--und +soll ein Atheist sein? + +Johann. Nun? sind denn die Atheisten keine Menschen? + +Martin. Menschen? Ha! ha! ha! Nun hoere ich, dass du selber nicht +weisst, was ein Atheist ist. + +Johann. Zum Henker! du wirst es wohl besser wissen. Ei! belehre +doch deinen unwissenden Naechsten. + +Martin. Hoer zu!--Ein Atheist ist--eine Brut der Hoelle, die sich, wie +der Teufel, tausendmal verstellen kann. Bald ist's ein listiger Fuchs, +bald ein wilder Baer;--bald ist's ein Esel, bald ein Philosoph;--bald +ist's ein Hund, bald ein unverschaemter Poete. Kurz, es ist ein Untier, +das schon lebendig bei dem Satan in der Hoelle brennt,--eine Pest der +Erde,--eine abscheuliche Kreatur,--ein Vieh, das dummer ist, als ein +Vieh;--ein Seelenkannibal,--ein Antichrist,--ein schreckliches +Ungeheuer-- + +Johann. Es hat Bocksfuesse: nicht? Zwei Hoerner? einen Schwanz?-- + +Martin. Das kann wohl sein.--Es ist ein Wechselbalg, den die Hoelle +durch--durch einen unzuechtigen Beischlaf mit der Weisheit dieser Welt +erzeugt hat;--es ist--ja, sieh, das ist ein Atheist. So hat ihn unser +Pfarr abgemalt; der kennt ihn aus grossen Buechern. + +Johann. Einfaeltiger Schoeps!--Sieh mich doch einmal an. + +Martin. Nu? + +Johann. Was siehst du an mir? + +Martin. Nichts, als was ich zehnmal besser an mir sehen kann. + +Johann. Findest du denn etwas Erschreckliches, etwas Abscheuliches an +mir? Bin ich nicht ein Mensch, wie du? Hast du jemals gesehen, dass +ich ein Fuchs, ein Esel, oder ein Kannibal gewesen waere? + +Martin. Den Esel lass immer weg, wenn ich dir antworten soll, wie du +gerne willst.--Aber, warum fragst du das? + +Johann. Weil ich selbst ein Atheist bin; das ist, ein starker Geist, +wie es jetzt jeder ehrlicher Kerl nach der Mode sein muss. Du sprichst, +ein Atheist brenne lebendig in der Hoelle. Nun! rieche einmal: +riechst du einen Brand an mir? + +Martin. Drum eben bist du keiner. + +Johann. Ich waere keiner? Tue mir nicht die Schande an, daran zu +zweifeln, oder--Doch wahrhaftig, das Mitleiden verhindert mich, boese +zu werden. Du bist zu beklagen, armer Schelm! + +Martin. Arm? Lass einmal sehen, wer die vergangene Woche das meiste +Trinkgeld gekriegt hat. (Er greift in die Tasche.) Du bist ein +luederlicher Teufel, du versaeufst alles-- + +Johann. Lass stecken! Ich rede von einer ganz andern Armut, von der +Armut des Geistes, der sich mit lauter elenden Brocken des +Aberglaubens ernaehren, und mit lauter armseligen Lumpen der Dummheit +kleiden muss.--Aber so geht es euch Leuten, die ihr nicht weiter, als +hoechstens vier Meilen hinter den Backofen kommt. Wenn du gereiset +waerest, wie ich-- + +Martin. Gereist bist du? Lass hoeren, wo bist du gewesen? + +Johann. Ich bin gewesen--in Frankreich-- + +Martin. In Frankreich? Mit deinem Herrn? + +Johann. Ja, mein Herr war mit. + +Martin. Das ist das Land, wo die Franzosen wohnen?--So wie ich einmal +einen gesehen habe,--das war eine schnurrige Kroete! In einem +Augenblicke konnte er sich siebenmal auf dem Absatze herumdrehen, und +dazu pfeifen. + +Johann. Ja, es gibt grosse Geister unter ihnen! Ich bin da erst recht +klug geworden. + +Martin. Hast du denn auch Frankreich'sch gelernt? + +Johann. Franzoesisch, willst, du sagen:--vollkommen. + +Martin. Oh! rede einmal! + +Johann. Das will ich wohl tun.--Quelle heure est-il, maraut? Le pere +et la mere une fille de coups de baton. Comment coquin? Diantre +diable carogne a vous servir. + +Martin. Das ist schnakisch! Und das Zeug koennen die Leute da +verstehen? Sag einmal, was hiess das auf deutsch? + +Johann. Ja! auf deutsch! Du guter Narre, das laesst sich auf deutsch +nicht so sagen. Solche feine Gedanken koennen nur franzoesisch +ausgedrueckt werden. + +Martin. Der Blitz!--Nu? wo bist du weiter gewesen? + +Johann. Weiter? In England-- + +Martin. In England?--Kannst du auch Englaend'sch + +Johann. Was werde ich nicht koennen? + +Martin. Sprich doch! + +Johann. Du musst wissen, es ist eben wie das Franzoesische. Es ist +franzoesisch, versteh mich, auf englisch ausgesprochen. Was hoerst du +dir dran ab?--Ich will dir ganz andre Dinge sagen, wenn du mir zuhoeren +willst. Dinge, die ihresgleichen nicht haben muessen. Zum Exempel, +auf unsern vorigen Punkt zu kommen: sei kein Narr, und glaube, dass ein +Atheist so ein schrecklich Ding ist. Ein Atheist ist nichts weiter, +als ein Mensch, der keinen Gott glaubt.-- + +Martin. Keinen Gott? Je! das ist ja noch viel aerger! Keinen Gott? +Was glaubt er denn? + +Johann. Nichts. + +Martin. Das ist wohl eine maechtige Muehe. + +Johann. Ei! Muehe! Wenn auch nichts glauben eine Muehe waere, so +glaubten ich und mein Herr gewiss alles. Wir sind geschworne Feinde +alles dessen, was Muehe macht. Der Mensch ist in der Welt, vergnuegt +und lustig zu leben. Die Freude, das Lachen, das Kurtisieren, das +Saufen sind seine Pflichten. Die Muehe ist diesen Pflichten hinderlich; +also ist es auch notwendig seine Pflicht, die Muehe zu fliehen.--Sieh, +das war ein Schluss, der mehr Gruendliches enthaelt, als die ganze Bibel. + +Martin. Ich wollt's. Aber sage mir doch, was hat man denn in der +Welt ohne Muehe? + +Johann. Alles was man erbt, und was man erheiratet. Mein Herr erbte +von seinem Vater und von zwei reichen Vettern keine kleinen Summen; +und ich muss ihm das Zeugnis geben, er hat sie, als ein braver Kerl, +durchgebracht. Jetzt bekoemmt er ein reich Maedel, und, wenn er klug +ist, so faengt er es wieder an, wo er es gelassen hat. Seit einiger +Zeit ist er mir zwar ganz aus der Art geschlagen; und ich sehe wohl, +auch die Freigeisterei bleibt nicht klug, wenn sie auf die Freite geht. +Doch ich will ihn schon wieder in Gang bringen.--Und hoere, Martin, +ich will auch dein Glueck machen. Ich habe einen Einfall; aber ich +glaube nicht, dass ich ihn anders wohl von mir geben kann, als--bei +einem Glase Wein. Du klimpertst vorhin mit deinen Trinkgeldern; und +gewiss, du bist in Gefahr, keine mehr zu bekommen, wenn man nicht sieht, +dass du sie dazu anwendest, wozu sie dir gegeben werden. Zum Trinken, +guter Martin, zum Trinken: darum heissen es Trinkgelder.-- + +Martin. Still! Herr Johann, still!--Du bist mir so noch Revansche +schuldig. Habe ich dich nicht jenen Abend nur noch freigehalten?-- +Doch, lass einmal hoeren! was ist denn das fuer ein Glueck, das ich von +dir zu hoffen habe? + +Johann. Hoere, wenn mein Herr heiratet, so muss er noch einen Bedienten +annehmen.--Eine Kanne Wein, so sollst du bei mir den Vorzug haben. Du +versauerst doch nur bei deinem dummen Schwarzrocke. Du sollst bei +Adrasten mehr Lohn und mehr Freiheit haben; und ich will dich noch +obendrein zu einem starken Geiste machen, der es mit dem Teufel und +seiner Grossmutter aufnimmt, wenn nur erst einer waere. + +Martin. Was? wenn erst einer waere? Ho! ho! Ist es nicht genug, +dass du keinen Gott glaubst? willst du noch dazu keinen Teufel +glauben? Oh! male ihn nicht an die Wand! Er laesst sich nicht so +lange herumhudeln, wie der liebe Gott. Der liebe Gott ist gar zu gut, +und lacht ueber einen solchen Narren, wie du bist. Aber der Teufel-- +dem laeuft gleich die Laus ueber die Leber; und darnach sieht's nicht +gut aus.--Nein, bei dir ist kein Aushalten: ich will nur gehen.-- + +Johann (haelt ihn zurueck). Spitzbube! Spitzbube! denkst du, dass ich +deine Streiche nicht merke? Du fuerchtest dich mehr fuer die Kanne Wein, +die du geben sollst, als fuer den Teufel. Halt!--Ich kann dich aber +bei dem allen unmoeglich in dergleichen Aberglauben stecken lassen. +Ueberlege dir's nur:--Der Teufel--der Teufel--Ha! ha! ha!--Und dir +koemmt es nicht laecherlich vor? Je! so lache doch! + +Martin. Wenn kein Teufel waere, wo kaemen denn die hin, die ihn +auslachen?--Darauf antworte mir einmal! den Knoten beiss mir auf! +Siehst du, dass ich auch weiss, wie man euch Leute zuschanden machen muss? + +Johann. Ein neuer Irrtum! Und wie kannst du so unglaeubig gegen meine +Worte sein? Es sind die Aussprueche der Weltweisheit, die Orakel der +Vernunft! Es ist bewiesen, sage ich dir, in Buechern ist es bewiesen, +dass es weder Teufel noch Hoelle gibt.--Kennst du Balthasarn? Es war +ein beruehmter Baecker in Holland. + +Martin. Was gehn mich die Baecker in Holland an? Wer weiss, ob sie so +gute Brezeln backen, wie der hier an der Ecke. + +Johann. Ei! das war ein gelehrter Baecker! Seine bezauberte Welt--ha! +--das ist ein Buch! Mein Herr hat es einmal gelesen. Kurz, ich +verweise dich auf das Buch, so wie man mich darauf verwiesen hat, und +will dir nur im Vertrauen sagen: Der muss ein Ochse, ein Rindvieh, ein +altes Weib sein, der einen Teufel glauben kann. Soll ich dir's +zuschwoeren, dass keiner ist?--Ich will ein Hundsfott sein! + +Martin. Pah! der Schwur geht wohl mit. + +Johann. Nun, sieh,--ich will, ich will--auf der Stelle verblinden, +wenn ein Teufel ist. + +(Lisette springt geschwinde hinter der Szene hervor, und haelt ihm +rueckwaerts die Augen zu, indem sie dem Martin zugleich winkt.) + +Martin. Das waere noch was; aber du weisst schon, dass das nicht +geschieht. + +Johann (aengstlich). Ach! Martin, ach! + +Martin. Was ist's? + +Johann. Martin, wie wird mir? Wie ist mir, Martin? + +Martin. Nu? was hast du denn? + +Johann. Seh ich--oder--ach! dass Gott--Martin! Martin! wie wird es +auf einmal so Nacht? + +Martin. Nacht? Was willst du mit der Nacht? + +Johann. Ach! so ist es nicht Nacht? Huelfe! Martin, Huelfe! + +Martin. Was denn fuer Huelfe? Was fehlt dir denn? + +Johann. Ach! ich bin blind, ich bin blind! Es liegt mir auf den +Augen, auf den Augen.--Ach! ich zittere am ganzen Leibe-- + +Martin. Blind bist du? Du wirst ja nicht?--Warte, ich will dich in +die Augen schlagen, dass das Feuer herausspringt, und du sollst bald +sehen-- + +Johann. Ach! ich bin gestraft, ich bin gestraft. Und du kannst +meiner noch spotten? Huelfe! Martin, Huelfe!--(Er faellt auf die Knie.) +Ich will mich gern bekehren! Ach! was bin ich fuer ein Boesewicht +gewesen!-- + +Lisette (welche ploetzlich gehen laesst, und, indem sie hervorspringt, +ihm eine Ohrfeige gibt). Du Schlingel! + +Martin. Ha! ha! ha! + +Johann. Ach! ich komme wieder zu mir. (Indem er aufsteht.) Sie +Rabenaas, Lisette! + +Lisette. Kann man euch Hundsfoetter so ins Bockshorn jagen? Ha! ha! +ha! + +Martin. Krank lache ich mich noch darueber. Ha! ha! ha! + +Johann. Lacht nur! lacht nur!--Ihr seid wohl albern, wenn ihr denkt, +dass ich es nicht gemerkt habe.--(Beiseite.) Das Blitzmaedel, was sie +mir fuer einen Schreck abgejagt hat! Ich muss mich wieder erholen. +(Geht langsam ab.) + +Martin. Gehst du? Oh! lacht ihn doch aus! Je! lach Sie doch, +Lisettchen, lach Sie doch! Ha! ha! ha! Das hat Sie vortrefflich +gemacht; so schoene, so schoene, ich moechte Sie gleich kuessen.-- + +Lisette. Oh! geh, geh, dummer Martin! + +Martin. Komm Sie, wirklich! ich will Sie zu Weine fuehren. Ich will +Sie mit der Kanne Wein traktieren, um die mich der Schurke prellen +wollte. Komm Sie! + +Lisette. Das fehlte mir noch. Ich will nur gehen, und meinen +Mamsells den Spass erzaehlen. + +Martin. Ja, und ich meinem Herrn.--Der war abgefuehrt! der war +abgefuehrt! + + +(Ende des zweiten Aufzuges.) + + + + + +Dritter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Theophan. Araspe. + + +Araspe. Was ich Ihnen sage, mein lieber Vetter. Das Vergnuegen Sie zu +ueberfallen, und die Begierde bei Ihrer Verbindung gegenwaertig zu sein, +sind freilich die vornehmsten Ursachen meiner Anherkunft; nur die +einzigen sind es nicht. Ich hatte den Aufenthalt des Adrast endlich +ausgekundschaftet, und es war mir sehr lieb, auf diese Art, wie man +sagt, zwei Wuerfe mit einem Steine zu tun. Die Wechsel des Adrast sind +verfallen; und ich habe nicht die geringste Lust, ihm auch nur die +allerkleinste Nachsicht zu goennen. Ich erstaune zwar, ihn, welches +ich mir nimmermehr eingebildet haette, in dem Hause Ihres kuenftigen +Schwiegervaters zu finden; ihn auf eben demselben Fusse, als Sie, +Theophan, hier zu finden: aber gleichwohl,--und wenn ihn das Schicksal +auch noch naeher mit mir verbinden koennte,-- + +Theophan. Ich bitte Sie, liebster Vetter, beteuern Sie nichts. + +Araspe. Warum nicht? Sie wissen wohl, Theophan, ich bin der Mann +sonst nicht, welcher seine Schuldner auf eine grausame Art zu druecken +faehig waere.-- + +Theophan. Das weiss ich, und desto eher-- + +Araspe. Hier wird kein Desto eher gelten. Adrast, dieser Mann, der +sich, auf eine ebenso abgeschmackte als ruchlose Art von andern +Menschen zu unterscheiden sucht, verdient, dass man ihn auch wieder von +andern Menschen unterscheide. Er muss die Vorrechte nicht geniessen, +die ein ehrlicher Mann seinen elenden Naechsten sonst gern geniessen +laesst. Einem spoettischen Freigeiste, welcher uns lieber das Edelste, +was wir besitzen, rauben und uns alle Hoffnung eines kuenftigen +glueckseligern Lebens zunichte machen moechte, vergilt man noch lange +nicht Gleiches mit Gleichem, wenn man ihm das gegenwaertige Leben ein +wenig sauer macht.--Ich weiss, es ist der letzte Stoss, den ich dem +Adrast versetze; er wird seinen Kredit nicht wieder herstellen koennen. +Ja, ich wollte mich freuen, wenn ich sogar seine Heirat dadurch +rueckgaengig machen koennte. Wenn mir es nur um mein Geld zu tun waere: +so sehen Sie wohl, dass ich diese Heirat lieber wuerde befoerdern helfen, +weil er doch wohl dadurch wieder etwas in die Haende bekommen wird. +Aber nein; und sollte ich bei dem Konkurse, welcher entstehen muss, +auch ganz und gar ledig ausgehen: so will ich ihn dennoch auf das +Aeusserste bringen. Ja, wenn ich alles wohl erwaege, so glaube ich, ihm +durch diese Grausamkeit noch eine Wohltat zu erweisen. Schlechtere +Umstaende werden ihn vielleicht zu ernsthaften Ueberlegungen bringen, +die er in seinem Wohlstande zu machen, nicht wert gehalten hat; und +vielleicht aendert sich, wie es fast immer zu geschehen pflegt, sein +Charakter mit seinem Gluecke. + +Theophan. Ich habe Sie ausreden lassen. Ich glaube, Sie werden so +billig sein, und mich nunmehr auch hoeren. + +Araspe. Das werde ich.--Aber eingebildet haette ich mir es nicht, dass +ich an meinem frommen Vetter einen Verteidiger des Adrasts finden +sollte. + +Theophan. Ich bin es weniger, als es scheinet; und es kommen hier so +viel Umstaende zusammen, dass ich weiter fast nichts als meine eigne +Sache fuehren werde. Adrast, wie ich fest ueberzeugt bin, ist von +derjenigen Art Freigeister, die wohl etwas Besseres zu sein verdienten. +Es ist auch sehr begreiflich, dass man in der Jugend so etwas +gleichsam wider Willen werden kann. Man ist es aber alsdann nur so +lange, bis der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt ist, und sich +das aufwallende Gebluete abgekuehlt hat. Auf diesem kritischen Punkte +steht jetzt Adrast; aber noch mit wankendem Fusse. Ein kleiner Wind, +ein Hauch kann ihn wieder herabstuerzen. Das Unglueck, das Sie ihm +drohen, wuerde ihn betaeuben; er wuerde sich einer wuetenden Verzweiflung +ueberlassen, und Ursache zu haben glauben, sich um die Religion nicht +zu bekuemmern, deren strenge Anhaenger sich kein Bedenken gemacht haetten, +ihn zugrunde zu richten. + +Araspe. Das ist etwas; aber-- + +Theophan. Nein, fuer einen Mann von Ihrer Denkungsart, liebster Vetter, +muss dieses nicht nur etwas, sondern sehr viel sein. Sie haben die +Sache von dieser Seite noch nicht betrachtet; Sie haben den Adrast nur +als einen verlornen Mann angesehen, an dem man zum Ueberflusse noch +eine desperate Kur wagen muesse. Aus diesem Grunde ist die Heftigkeit, +mit der Sie wider ihn sprachen, zu entschuldigen. Lernen Sie ihn aber +durch mich nunmehr unparteiischer beurteilen. Er ist in seinen Reden +jetzt weit eingezogener, als man mir ihn sonst beschrieben hat. Wenn +er streitet, so spottet er nicht mehr, sondern gibt sich alle Muehe, +Gruende vorzubringen. Er faengt an, auf die Beweise, die man ihm +entgegensetzt, zu antworten, und ich habe es ganz deutlich gemerkt, +dass er sich schaemt, wenn er nur halb darauf antworten kann. Freilich +sucht er diese Scham noch dann und wann unter das Veraechtliche eines +Schimpfworts zu verstecken; aber nur Geduld! es ist schon viel, dass +er diese Schimpfworte niemals mehr auf die heiligen Sachen, die man +gegen ihn verteidiget, sondern bloss auf die Verteidiger fallen laesst. +Seine Verachtung der Religion loeset sich allmaehlich in die Verachtung +derer auf, die sie lehren. + +Araspe. Ist das wahr, Theophan? + +Theophan. Sie werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu +ueberzeugen.--Sie werden zwar hoeren, dass diese seine Verachtung der +Geistlichen mich jetzt am meisten trifft; allein ich bitte Sie im +voraus, nicht empfindlicher darueber zu werden, als ich selbst bin. +Ich habe es mir fest vorgenommen, ihn nicht mit gleicher Muenze zu +bezahlen; sondern ihm vielmehr seine Freundschaft abzuzwingen, es mag +auch kosten, was es will. + +Araspe. Wenn Sie bei persoenlichen Beleidigungen so grossmuetig sind-- + +Theophan. Stille! wir wollen es keine Grossmut nennen. Es kann +Eigennutz, es kann eine Art von Ehrgeiz sein, sein Vorurteil von den +Gliedern meines Ordens durch mich zuschanden zu machen. Es sei aber, +was es wolle, so weiss ich doch, dass Sie viel zu guetig sind, mir darin +im Wege zu stehen. Adrast wuerde es ganz gewiss fuer ein abgekartetes +Spiel halten, wenn er saehe, dass mein Vetter so scharf hinter ihm drein +waere. Seine Wut wuerde einzig auf mich fallen, und er wuerde mich +ueberall als einen Niedertraechtigen ausschreien, der ihm, unter tausend +Versicherungen der Freundschaft, den Dolch ins Herz gestossen habe. +Ich wollte nicht gerne, dass er die Exempel von haemtueckischen Pfaffen, +wie er sie nennt, mit einigem Scheine der Wahrheit auch durch mich +vermehren koennte. + +Araspe. Lieber Vetter, das wollte ich noch tausendmal weniger, als +Sie.-- + +Theophan. Erlauben Sie also, dass ich Ihnen einen Vorschlag tue:--oder +nein; es wird vielmehr eine Bitte sein. + +Araspe. Nur ohne Umstaende, Vetter. Sie wissen ja doch wohl, dass Sie +mich in Ihrer Hand haben. + +Theophan. Sie sollen so guetig sein und mir die Wechsel ausliefern, +und meine Bezahlung dafuer annehmen. + +Araspe. Und Ihre Bezahlung dafuer annehmen? Bei einem Haare haetten +Sie mich boese gemacht. Was reden Sie von Bezahlung? Wenn ich Ihnen +auch nicht gesagt haette, dass es mir jetzt gar nicht um das Geld zu tun +waere: so sollten Sie doch wenigstens wissen, dass das, was meine ist, +auch Ihre ist. + +Theophan. Ich erkenne meinen Vetter. + +Araspe. Und ich erkannte ihn fast nicht.--Mein naechster Blutsfreund, +mein einziger Erbe, sieht mich als einen Fremden an, mit dem er +handeln kann? (Indem er sein Taschenbuch herauszieht.) Hier sind die +Wechsel! Sie sind Ihre! machen Sie damit was Ihnen gefaellt. + +Theophan. Aber erlauben Sie, liebster Vetter: ich werde nicht so frei +damit schalten duerfen, wenn ich sie nicht auf die gehoerige Art an mich +gebracht habe. + +Araspe. Welches ist denn die gehoerige Art unter uns, wenn es nicht +die ist, dass ich gebe, und Sie nehmen?--Doch damit ich alle Ihre +Skrupel hebe: wohl! Sie sollen einen Revers von sich stellen, dass Sie +die Summe dieser Wechsel nach meinem Tode bei der Erbschaft nicht noch +einmal fodern wollen. (Laechelnd.) Wunderlicher Vetter! sehen Sie +denn nicht, dass ich weiter nichts tue, als auf Abschlag bezahle?-- + +Theophan. Sie verwirren mich-- + +Araspe (der noch die Wechsel in Haenden hat). Lassen Sie mich nur die +Wische nicht laenger halten. + +Theophan. Nehmen Sie unterdessen meinen Dank dafuer an. + +Araspe. Was fuer verlorne Worte! (Indem er sich umsieht.) Stecken +Sie hurtig ein; da koemmt Adrast selbst. + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast. Theophan. Araspe. + + +Adrast (erstaunend). Himmel! Araspe hier? + +Theophan. Adrast, ich habe das Vergnuegen, Ihnen in dem Herrn Araspe +meinen Vetter vorzustellen. + +Adrast. Wie? Araspe Ihr Vetter? + +Araspe. Oh! wir kennen einander schon. Es ist mir angenehm, Herr +Adrast, Sie hier zu sehen. + +Adrast. Ich bin bereits die ganze Stadt nach Ihnen durchgerannt. Sie +wissen, wie wir miteinander stehen, und ich wollte Ihnen die Muehe +ersparen, mich aufzusuchen. + +Araspe. Es waere nicht noetig gewesen. Wir wollen von unserer Sache +ein andermal sprechen. Theophan hat es auf sich genommen.-- + +Adrast. Theophan? Ha! nun ist es klar.-- + +Theophan. Was ist klar, Adrast? (Ruhig.) + +Adrast. Ihre Falschheit, Ihre List-- + +Theophan (zum Araspe). Wir halten uns zu lange hier auf. Lisidor, +lieber Vetter, wird Sie mit Schmerzen erwarten. Erlauben Sie, dass ich +Sie zu ihm fuehre.--(Zum Adrast.) Darf ich bitten, Adrast, dass Sie +einen Augenblick hier verziehen? Ich will den Araspe nur +heraufbegleiten; ich werde gleich wieder hier sein. + +Araspe. Wenn ich Ihnen raten darf, Adrast, so sein Sie gegen meinen +Vetter nicht ungerecht.-- + +Theophan. Er wird es nicht sein. Kommen Sie nur. + +(Theophan und Araspe gehen ab.) + + + +Dritter Auftritt + +Adrast (bitter). Nein, gewiss, ich werde es auch nicht sein! Er ist +unter allen seinesgleichen, die ich noch gekannt habe, der +hassenswuerdigste! Diese Gerechtigkeit will ich ihm widerfahren lassen. +Er hat den Araspe ausdruecklich meinetwegen kommen lassen: das ist +unleugbar. Es ist mir aber doch lieb, dass ich ihm nie einen redlichen +Tropfen Bluts zugetrauet, und seine suessen Reden jederzeit fuer das +gehalten habe, was sie sind.-- + + + +Vierter Auftritt + +Adrast. Johann. + + +Johann. Nun? haben Sie den Araspe gefunden? + +Adrast. Ja. (Noch bitter.) + +Johann. Geht's gut? + +Adrast. Vortrefflich. + +Johann. Ich haette es ihm auch raten wollen, dass er die geringste +Schwierigkeit gemacht haette!--Und er hat doch schon wieder seinen +Abschied genommen? + +Adrast. Verzieh nur: er wird uns gleich den unsrigen bringen. + +Johann. Er den unsrigen?--Wo ist Araspe?-- + +Adrast. Beim Lisidor. + +Johann. Araspe beim Lisidor? Araspe? + +Adrast. Ja, Theophans Vetter. + +Johann. Was frage ich nach des Narren Vetter? Ich meine Araspen.-- + +Adrast. Den meine ich auch. + +Johann. Aber-- + +Adrast. Aber siehst du denn nicht, dass ich rasend werden moechte? Was +plagst du mich noch? Du hoerst ja, dass Theophan und Araspe Vettern +sind. + +Johann. Zum erstenmal in meinem Leben.--Vettern? Ei! desto besser; +unsere Wechsel bleiben also in der Freundschaft, und Ihr neuer Herr +Schwager wird dem alten Herrn Vetter schon zureden-- + +Adrast. Du Dummkopf!--Ja, er wird ihm zureden, mich ohne Nachsicht +ungluecklich zu machen.--Bist du denn so albern, es fuer einen Zufall +anzusehen, dass Araspe hier ist? Siehst du denn nicht, dass es Theophan +muss erfahren haben, wie ich mit seinem Vetter stehe? dass er ihm +Nachricht von meinen Umstaenden gegeben hat? dass er ihn gezwungen hat, +ueber Hals ueber Kopf eine so weite Reise zu tun, um die Gelegenheit ja +nicht zu versaeumen, meinen Ruin an den Tag zu bringen, und mir dadurch +die letzte Zuflucht, die Gunst des Lisidors, zu vernichten? + +Johann. Verdammt! wie gehen mir die Augen auf! Sie haben recht. +Kann ich Esel denn, wenn von einem Geistlichen die Rede ist, nicht +gleich auf das Allerboshafteste fallen?--Ha! wenn ich doch die +Schwarzroecke auf einmal zu Pulver stampfen und in die Luft schiessen +koennte! Was fuer Streiche haben sie uns nicht schon gespielt! Der +eine hat uns um manches Tausend Taler gebracht: das war der ehrwuerdige +Gemahl Ihrer lieben Schwester. Der andere-- + +Adrast. Oh! fange nicht an, mir meine Unfaelle vorzuzaehlen. Ich will +sie bald geendigt sehen. Alsdann will ich es doch abwarten, was mir +das Glueck noch nehmen kann, wann ich nichts mehr habe. + +Johann. Was es Ihnen noch nehmen kann, wann Sie nichts mehr haben? +Das will ich Ihnen gleich sagen: Mich wird es Ihnen alsdann noch +nehmen. + +Adrast. Ich verstehe dich, Holunke!-- + +Johann. Verschwenden Sie Ihren Zorn nicht an mir. Hier koemmt der, an +welchem Sie ihn besser anwenden koennen. + + + +Fuenfter Auftritt + +Theophan. Adrast. Johann. + + +Theophan. Ich bin wieder hier, Adrast. Es entfielen Ihnen vorhin +einige Worte von Falschheit und List.-- + +Adrast. Beschuldigungen entfallen mir niemals. Wenn ich sie +vorbringe, bringe ich sie mit Vorsatz und Ueberlegung vor. + +Theophan. Aber eine naehere Erklaerung-- + +Adrast. Die fodern Sie nur von sich selbst. + +Johann (die ersten Worte beiseite). Hier muss ich hetzen.--Ja, ja, +Herr Theophan! es ist schon bekannt, dass Ihnen mein Herr ein Dorn in +den Augen ist. + +Theophan. Adrast, haben Sie es ihm befohlen, an Ihrer Stelle zu +antworten? + +Johann. So? auch meine Verteidigung wollen Sie ihm nicht goennen? +Ich will doch sehen, wer mir verbieten soll, mich meines Herrn +anzunehmen. + +Theophan. Lassen Sie es ihn doch sehen, Adrast. + +Adrast. Schweig! + +Johann. Ich sollte-- + +Adrast. Noch ein Wort! (Drohend.) + +Theophan. Nunmehr darf ich die Bitte um eine naehere Erklaerung doch +wohl wiederholen? Ich weiss sie mir selbst nicht zu geben. + +Adrast. Erklaeren Sie sich denn gerne naeher, Theophan? + +Theophan. Mit Vergnuegen, sobald es verlangt wird. + +Adrast. Ei! so sagen Sie mir doch, was wollte denn Araspe, bei +Gelegenheit dessen, was Sie schon wissen, mit den Worten sagen: +Theophan hat es auf sich genommen? + +Theophan. Darueber sollte sich Araspe eigentlich erklaeren. Doch ich +kann es an seiner Statt tun. Er wollte sagen, dass er mir Ihre Wechsel +zur Besorgung uebergeben habe. + +Adrast. Auf Ihr Anliegen? + +Theophan. Das kann wohl sein. + +Adrast. Und was haben Sie beschlossen, damit zu tun? + +Theophan. Sie sind Ihnen ja noch nicht vorgewiesen worden? Koennen +wir etwas beschliessen, ehe wir wissen, was Sie darauf tun wollen? + +Adrast. Kahle Ausflucht! Ihr Vetter weiss es laengst, was ich darauf +tun kann. + +Theophan. Er weiss, dass Sie ihnen Genuege tun koennen. Und sind Sie +alsdann nicht auseinander? + +Adrast. Sie spotten. + +Theophan. Ich bin nicht Adrast. + +Adrast. Setzen Sie aber den Fall,--und Sie koennen ihn sicher setzen,-- +dass ich nicht imstande waere zu bezahlen: was haben Sie alsdenn +beschlossen? + +Theophan. In diesem Falle ist noch nichts beschlossen. + +Adrast. Aber was duerfte beschlossen werden? + +Theophan. Das koemmt auf Araspen an. Doch sollte ich meinen, dass eine +einzige Vorstellung, eine einzige hoefliche Bitte bei einem Manne, wie +Araspe ist, viel ausrichten koenne. + +Johann. Nachdem die Ohrenblaeser sind.-- + +Adrast. Muss ich es noch einmal sagen, dass du schweigen sollst? + +Theophan. Ich wuerde mir ein wahres Vergnuegen machen, wenn ich Ihnen +durch meine Vermittelung einen kleinen Dienst dabei erzeigen koennte. + +Adrast. Und Sie meinen, dass ich Sie mit einer demuetigen Miene, mit +einer kriechenden Liebkosung, mit einer niedertraechtigen Schmeichelei +darum ersuchen solle? Nein, so will ich Ihre Kitzelung ueber mich +nicht vermehren. Wenn Sie mich mit dem ehrlichsten Gesichte +versichert haetten, Ihr moeglichstes zu tun, so wuerden Sie in einigen +Augenblicken mit einer wehmuetigen Stellung wiederkommen, und es +bedauern, dass Ihre angewandte Muehe umsonst sei? Wie wuerden sich Ihre +Augen an meiner Verwirrung weiden! + +Theophan. Sie wollen mir also keine Gelegenheit geben, das Gegenteil +zu beweisen?--Es soll Ihnen nur ein Wort kosten. + +Adrast. Nein, auch dieses Wort will ich nicht verlieren. Denn kurz,-- +und hier haben Sie meine naehere Erklaerung:--Araspe wuerde, ohne Ihr +Anstiften, nicht hiehergekommen sein. Und nun, da Sie Ihre Mine, mich +zu sprengen, so wohl angelegt haetten, sollten Sie durch ein einziges +Wort koennen bewogen werden, sie nicht springen zu lassen? Fuehren Sie +Ihr schoenes Werk nur aus. + +Theophan. Ich erstaune ueber Ihren Verdacht nicht. Ihre Gemuetsart hat +mich ihn vorhersehen lassen. Aber gleichwohl ist es gewiss, dass ich +ebensowenig gewusst habe, dass Araspe Ihr Glaeubiger sei, als Sie gewusst +haben, dass er mein Vetter ist. + +Adrast. Es wird sich zeigen. + +Theophan. Zu Ihrem Vergnuegen, hoffe ich.--Heitern Sie Ihr Gesicht nur +auf, und folgen Sie mir mit zu der Gesellschaft.-- + +Adrast. Ich will sie nicht wieder sehen. + +Theophan. Was fuer ein Entschluss! Ihren Freund, Ihre Geliebte-- + +Adrast. Wird mir wenig kosten, zu verlassen. Sorgen Sie aber nur +nicht, dass es eher geschehen soll, als bis Sie befriediget sind. Ich +will Ihren Verlust nicht, und sogleich noch das letzte Mittel +versuchen.-- + +Theophan. Bleiben Sie, Adrast.--Es tut mir leid, dass ich Sie nicht +gleich den Augenblick aus aller Ihrer Unruhe gerissen habe.--Lernen +Sie meinen Vetter besser kennen, (indem er die Wechsel hervorzieht) +und glauben Sie gewiss, wenn Sie schon von mir das Allernichtswuerdigste +denken wollen, dass wenigstens er ein Mann ist, der Ihre Hochachtung +verdient. Er will Sie nicht anders, als mit dem sorglosesten Gesichte +sehen, und gibt Ihnen deswegen Ihre Wechsel hier zurueck. (Er reicht +sie ihm dar.) Sie sollen sie selbst so lange verwahren, bis Sie ihn +nach Ihrer Bequemlichkeit deswegen befriedigen koennen. Er glaubt, dass +sie ihm in Ihren Haenden ebenso sicher sind, als unter seinem eigenen +Schlosse. Sie haben den Ruhm eines ehrlichen Mannes, wenn Sie schon +den Ruhm eines frommen nicht haben. + +Adrast (stutzig, indem er des Theophans Hand zurueckstoesst). Mit was +fuer einem neuen Fallstricke drohen Sie mir? Die Wohltaten eines +Feindes-- + +Theophan. Unter diesem Feinde verstehen Sie mich; was aber hat Araspe +mit Ihrem Hasse zu tun? Er ist es, nicht ich, der Ihnen diese +geringschaetzige Wohltat erzeigen will; wenn anders eine armselige +Gefaelligkeit diesen Namen verdient.--Was ueberlegen Sie noch? Hier, +Adrast! nehmen Sie Ihre Handschriften zurueck! + +Adrast. Ich will mich wohl dafuer hueten. + +Theophan. Ich bitte Sie, lassen Sie mich nicht unverrichteter Sache +zu einem Manne zurueckkommen, der es mit Ihnen gewiss redlich meinet. +Er wuerde die Schuld seines verachteten Anerbietens auf mich schieben. +(Indem er ihm die Wechsel aufs neue darreicht, reisst sie ihm Johann +aus der Hand.) + +Johann. Ha! ha! mein Herr, in wessen Haenden sind die Wechsel nun? + +Theophan (gelassen). In den deinigen, ohne Zweifel. Immer bewahre +sie, anstatt deines Herrn. + +Adrast (geht wuetend auf den Bedienten los). Infamer! es kostet dein +Leben-- + +Theophan. Nicht so hitzig, Adrast. + +Adrast. Den Augenblick gib sie ihm zurueck! (Er nimmt sie ihm weg.) +Geh mir aus den Augen! + +Johann. Nun, wahrhaftig!-- + +Adrast. Wo du noch eine Minute verziehst--(Er stoesst ihn fort.) + + + +Sechster Auftritt + +Theophan. Adrast. + + +Adrast. Ich muss mich schaemen, Theophan; ich glaube aber nicht, dass +Sie so gar weit gehen, und mich mit meinem Bedienten vermengen werden.- +-Nehmen Sie es zurueck, was man Ihnen rauben wollte.-- + +Theophan. Es ist in der Hand, in der es sein soll. + +Adrast. Nein. Ich verachte Sie viel zu sehr, als dass ich Sie +abhalten sollte, eine niedertraechtige Tat zu begehen. + +Theophan. Das ist empfindlich! (Er nimmt die Wechsel zurueck.) + +Adrast. Es ist mir lieb, dass Sie mich nicht gezwungen, sie Ihnen vor +die Fuesse zu werfen. Wenn sie wieder in meine Haende zurueckkommen +sollen, so werde ich anstaendigere Mittel dazu finden. Finde ich aber +keine, so ist es ebendas. Sie werden sich freuen, mich zugrunde zu +richten, und ich werde mich freuen, Sie von ganzem Herzen hassen zu +koennen. + +Theophan. Es sind doch wirklich Ihre Wechsel, Adrast? (Indem er sie +aufschlaegt und ihm zeigt.) + +Adrast. Sie glauben etwa, dass ich sie leugnen werde?-- + +Theophan. Das glaube ich nicht; ich will bloss gewiss sein. (Er +zerreisst sie gleichgueltig.) + +Adrast. Was machen Sie, Theophan? + +Theophan. Nichts. (Indem er die Stuecken in die Szene wirft.) Ich +vernichte eine Nichtswuerdigkeit, die einen Mann, wie Adrast ist, zu so +kleinen Reden verleiten kann. + +Adrast. Aber sie gehoeren nicht Ihnen.-- + +Theophan. Sorgen Sie nicht; ich tue, was ich verantworten kann.-- +Bestehet Ihr Verdacht noch? (Geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Adrast (sieht ihm einige Augenblicke nach). Was fuer ein Mann! Ich +habe tausend aus seinem Stande gefunden, die unter der Larve der +Heiligkeit betrogen; aber noch keinen, der es, wie dieser, unter der +Larve der Grossmut, getan haette.--Entweder er sucht mich zu beschaemen, +oder zu gewinnen. Keines von beiden soll ihm gelingen. Ich habe mich, +zu gutem Gluecke, auf einen hiesigen Wechsler besonnen, mit dem ich, +bei bessern Umstaenden, ehemals Verkehr hatte. Er wird hoffentlich +glauben, dass ich mich noch in ebendenselben befinde, und wenn das ist, +mir ohne Anstand die noetige Summe vorschiessen. Ich will ihn aber +deswegen nicht zum Bocke machen, ueber dessen Hoerner ich aus dem +Brunnen springe. Ich habe noch liegende Gruende, die ich mit Vorteil +verkaufen kann, wenn mir nur Zeit gelassen wird. Ich muss ihn +aufsuchen.-- + + + +Achter Auftritt + +Henriette. Adrast. + + +Henriette. Wo stecken Sie denn, Adrast? Man hat schon zwanzigmal +nach Ihnen gefragt. Oh! schaemen Sie sich, dass ich Sie zu einer Zeit +suchen muss, da Sie mich suchen sollten. Sie spielen den Ehemann zu +zeitig. Doch getrost! vielleicht spielen Sie dafuer den Verliebten +alsdann, wann ihn andre nicht mehr spielen. + +Adrast. Erlauben Sie, Mademoiselle; ich habe nur noch etwas Noetiges +ausser dem Hause zu besorgen. + +Henriette. Was koennen Sie jetzt Noetigers zu tun haben, als um mich zu +sein? + +Adrast. Sie scherzen. + +Henriette. Ich scherze?--Das war ein allerliebstes Kompliment! + +Adrast. Ich mache nie welche. + +Henriette. Was fuer ein muerrisches Gesicht!--Wissen Sie, dass wir uns +ueber diese muerrischen Gesichter zanken werden, noch ehe uns die +Trauung die Erlaubnis dazu erteilt? + +Adrast. Wissen Sie, dass ein solcher Einfall in Ihrem Munde nicht eben +der artigste ist? + +Henriette. Vielleicht, weil Sie glauben, dass die leichtsinnigen +Einfaelle nur in Ihrem Munde wohl lassen? Unterdessen haben Sie doch +wohl kein Privilegium darueber? + +Adrast. Sie machen Ihre Dinge vortrefflich. Ein Frauenzimmer, das so +fertig antworten kann, ist sehr viel wert. + +Henriette. Das ist wahr; denn wir schwachen Werkzeuge wissen sonst +den Mund am allerwenigsten zu gebrauchen. + +Adrast. Wollte Gott! + +Henriette. Ihr treuherziges Wollte Gott! bringt mich zum Lachen, so +sehr ich auch boese sein wollte. Ich bin schon wieder gut, Adrast. + +Adrast. Sie sehen noch einmal so reizend aus, wenn Sie boese sein +wollen; denn es koemmt doch selten weiter damit, als bis zur +Ernsthaftigkeit, und diese laesst Ihrem Gesichte um so viel schoener, je +fremder sie in demselben ist. Eine bestaendige Munterkeit, ein immer +anhaltendes Laecheln wird unschmackhaft. + +Henriette (ernsthaft). Oh! mein guter Herr, wenn das Ihr Fall ist, +ich will es Ihnen schmackhaft genug machen. + +Adrast. Ich wollte wuenschen,--denn noch habe ich Ihnen nichts +vorzuschreiben,-- + +Henriette. Dieses Noch ist mein Glueck. Aber was wollten Sie denn +wuenschen? + +Adrast. Dass Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel Ihrer +aeltesten Mademoisell Schwester richten moechten. Ich verlange nicht, +dass Sie ihre ganze sittsame Art an sich nehmen sollen; wer weiss, ob +sie Ihnen so anstehen wuerde?-- + +Henriette. St! die Pfeife verraet das Holz, woraus sie geschnitten +ist. Lassen Sie doch hoeren, ob meine dazu stimmt? + +Adrast. Ich hoere. + +Henriette. Es ist recht gut, dass Sie auf das Kapitel von Exempeln +gekommen sind. Ich habe Ihnen auch einen kleinen Vers daraus +vorzupredigen. + +Adrast. Was fuer eine Art sich auszudruecken! + +Henriette. Hum! Sie denken, weil Sie nichts vom Predigen halten. +Sie werden finden, dass ich eine Liebhaberin davon bin. Aber hoeren Sie +nur:--(In seinem vorigen Tone.) Ich wollte wuenschen,--denn noch habe +ich Ihnen nichts vorzuschreiben,-- + +Adrast. Und werden es auch niemals haben. + +Henriette. Ja so!--Streichen Sie also das weg.--Ich wollte wuenschen, +dass Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel des Herrn Theophans +bilden moechten. Ich verlange nicht, dass Sie seine ganze gefaellige Art +an sich nehmen sollen, weil ich nichts Unmoegliches verlangen mag; aber +so etwas davon wuerde Sie um ein gut Teil ertraeglicher machen. Dieser +Theophan, der nach weit strengern Grundsaetzen lebt, als die Grundsaetze +eines gewissen Freigeistes sind, ist allezeit aufgeraeumt und +gespraechig. Seine Tugend, und noch sonst etwas, worueber Sie aber +lachen werden, seine Froemmigkeit--Lachen Sie nicht? + +Adrast. Lassen Sie sich nicht stoeren. Reden Sie nur weiter. Ich +will unterdessen meinen Gang verrichten, und gleich wieder hier sein. +(Geht ab.) + +Henriette. Sie duerfen nicht eilen. Sie kommen, wann Sie kommen: Sie +werden mich nie wieder so treffen.--Welche Grobheit! Soll ich mich +wohl darueber erzuernen?--Ich will mich besinnen. (Geht auf der andern +Seite ab.) + +(Ende des dritten Aufzuges.) + + + + + +Vierter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette. Sage was du willst; sein Betragen ist nicht zu +entschuldigen. + +Juliane. Davon wuerde sich alsdann erst urteilen lassen, wann ich auch +seine Gruende gehoert haette. Aber, meine liebe Henriette, willst du mir +wohl eine kleine schwesterliche Ermahnung nicht uebelnehmen? + +Henriette. Das kann ich dir nicht voraus sagen. Wenn sie dahin +abzielen sollte, wohin ich mir einbilde-- + +Juliane. Ja, wenn du mit deinen Einbildungen dazu koemmst-- + +Henriette. Oh! ich bin mit meinen Einbildungen recht wohl zufrieden. +Ich kann ihnen nicht nachsagen, dass sie mich jemals sehr irregefuehrt +haetten. + +Juliane. Was meinst du damit? + +Henriette. Muss man denn immer etwas meinen? Du weisst ja wohl, +Henriette schwatzt gerne in den Tag hinein, und sie erstaunt allezeit +selber, wenn sie von ohngefaehr ein Puenktchen trifft, welches das +Puenktchen ist, das man nicht gerne treffen lassen moechte. + +Juliane. Nun hoere einmal, Lisette! + +Henriette. Ja, Lisette, lass uns doch hoeren, was das fuer eine +schwesterliche Ermahnung ist, die sie mir erteilen will. + +Juliane. Ich dir eine Ermahnung? + +Henriette. Mich deucht, du sprachst davon. + +Juliane. Ich wuerde sehr uebel tun, wenn ich dir das geringste sagen +wollte. + +Henriette. Oh! ich bitte-- + +Juliane. Lass mich! + +Henriette. Die Ermahnung, Schwesterchen!-- + +Juliane. Du verdienst sie nicht. + +Henriette. So erteile sie mir ohne mein Verdienst. + +Juliane. Du wirst mich boese machen. + +Henriette. Und ich,--ich bin es schon. Aber denke nur nicht, dass ich +es ueber dich bin. Ich bin es ueber niemanden, als ueber den Adrast. +Und was mich unversoehnlich gegen ihn macht, ist dieses, dass meine +Schwester seinetwegen gegen mich ungerecht werden muss. + +Juliane. Von welcher Schwester sprichst du? + +Henriette. Von welcher?--von der, die ich gehabt habe. + +Juliane. Habe ich dich jemals so empfindlich gesehen!--Du weisst es, +Lisette, was ich gesagt habe. + +Lisette. Ja, das weiss ich; und es war wirklich weiter nichts, als +eine unschuldige Lobrede auf den Adrast, an der ich nur das +auszusetzen hatte, dass sie Mamsell Henrietten eifersuechtig machen +musste. + +Juliane. Eine Lobrede auf Adrasten? + +Henriette. Mich eifersuechtig? + +Lisette. Nicht so stuermisch!--So geht's den Leuten, die mit der +Wahrheit geradedurch wollen: sie machen es niemanden recht. + +Henriette. Mich eifersuechtig? Auf Adrasten eifersuechtig? Ich werde, +von heute an, den Himmel um nichts inbruenstiger anflehen, als um die +Errettung aus den Haenden dieses Mannes. + +Juliane. Ich? eine Lobrede auf Adrasten? Ist das eine Lobrede, wenn +ich sage, dass ein Mann einen Tag nicht wie den andern aufgeraeumt sein +kann? Wenn ich sage, dass Adrasten die Bitterkeit, worueber meine +Schwester klagt, nicht natuerlich ist und dass sie ein zugestossener +Verdruss bei ihm muesse erregt haben? Wenn ich sage, dass ein Mann, wie +er, der sich mit finsteren Nachdenken vielleicht nur zu sehr +beschaeftiget-- + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast. Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette. Als wenn Sie gerufen waeren, Adrast! Sie verliessen mich +vorhin, unhoeflich genug, mitten in der Erhebung des Theophans; aber +das hindert mich nicht, dass ich Ihnen nicht die Wiederholung Ihrer +eigenen anzuhoeren goennen sollte.--Sie sehen sich um? Nach Ihrer +Lobrednerin gewiss? Ich bin es nicht, wahrhaftig! ich bin es nicht; +meine Schwester ist es. Eine Betschwester, die Lobrednerin eines +Freigeistes! Was fuer ein Widerspruch! Entweder Ihre Bekehrung muss +vor der Tuere sein, Adrast, oder meiner Schwester Verfuehrung. + +Juliane. Wie ausgelassen sie wieder auf einmal ist. + +Henriette. Stehen Sie doch nicht so hoelzern da! + +Adrast. Ich nehme Sie zum Zeugen, schoenste Juliane, wie veraechtlich +sie mir begegnet. + +Henriette. Komm nur, Lisette! wir wollen sie allein lassen. Adrast +braucht ohne Zweifel unsere Gegenwart weder zu seiner Danksagung, noch +zu meiner Verklagung. + +Juliane. Lisette soll hierbleiben. + +Henriette. Nein, sie soll nicht. + +Lisette. Sie wissen wohl, ich gehoere heute Mamsell Henrietten. + +Henriette. Aber bei dem allen sieh dich vor, Schwester! Wenn mir +dein Theophan aufstoesst, so sollst du sehen, was geschieht. Sie duerfen +nicht denken, Adrast, dass ich dieses sage, um Sie eifersuechtig zu +machen. Ich fuehle es in der Tat, dass ich anfange, Sie zu hassen. + +Adrast. Es moechte Ihnen auch schwerlich gelingen, mich eifersuechtig +zu machen. + +Henriette. Oh! das waere vortrefflich, wenn Sie mir hierinne gleich +waeren. Alsdann, erst alsdann wuerde unsre Ehe eine recht glueckliche +Ehe werden. Freuen Sie sich, Adrast! wie veraechtlich wollen wir +einander begegnen!--Du willst antworten, Schwester? Nun ist es Zeit. +Fort, Lisette! + + + +Dritter Auftritt + +Adrast. Juliane. + + +Juliane. Adrast, Sie werden Geduld mit ihr haben muessen.--Sie +verdient es aber auch; denn sie hat das beste Herz von der Welt, so +verdaechtig es ihre Zunge zu machen sucht. + +Adrast. Allzuguetige Juliane! Sie hat das Glueck, Ihre Schwester zu +sein; aber wie schlecht macht sie sich dieses Glueck zunutze? Ich +entschuldige jedes Frauenzimmer, das ohne merkliche Fehler nicht hat +aufwachsen koennen, weil es ohne Erziehung und Beispiele hat aufwachsen +muessen; aber ein Frauenzimmer zu entschuldigen, das eine Juliane zum +Muster gehabt hat, und eine Henriette geworden ist: bis dahin langt +meine Hoeflichkeit nicht.-- + +Juliane. Sie sind aufgebracht, Adrast: wie koennten Sie billig sein? + +Adrast. Ich weiss nicht, was ich jetzo bin; aber ich weiss, dass ich aus +Empfindung rede.-- + +Juliane. Die zu heftig ist, als dass sie lange anhalten sollte. + +Adrast. So prophezeien Sie mir mein Unglueck. + +Juliane. Wie?--Sie vergessen, in was fuer Verbindung Sie mit meiner +Schwester stehen? + +Adrast. Ach! Juliane, warum muss ich Ihnen sagen, dass ich kein Herz +fuer Ihre Schwester habe? + +Juliane. Sie erschrecken mich.-- + +Adrast. Und ich habe Ihnen nur noch die kleinste Haelfte von dem +gesagt, was ich Ihnen sagen muss. + +Juliane. So erlauben Sie, dass ich mir die groessre erspare. (Sie will +fortgehen.) + +Adrast. Wohin? Ich haette Ihnen meine Veraenderung entdeckt, und Sie +wollten die Gruende, die mich dazu bewogen haben, nicht anhoeren? Sie +wollten mich mit dem Verdachte verlassen, dass ich ein unbestaendiger, +leichtsinniger Flattergeist sei? + +Juliane. Sie irren sich. Nicht ich; mein Vater, meine Schwester, +haben allein auf Ihre Rechtfertigungen ein Recht. + +Adrast. Allein? Ach!-- + +Juliane. Halten Sie mich nicht laenger-- + +Adrast. Ich bitte nur um einen Augenblick. Der groesste Verbrecher +wird gehoert-- + +Juliane. Von seinem Richter, Adrast; und ich bin Ihr Richter nicht. + +Adrast. Aber ich beschwoere Sie, es jetzt sein zu wollen. Ihr Vater, +schoenste Juliane, und Ihre Schwester werden mich verdammen, und nicht +richten. Ihnen allein traue ich die Billigkeit zu, die mich beruhigen +kann. + +Juliane (beiseite). Ich glaube, er beredet mich, ihn anzuhoeren.--Nun +wohl! so sagen Sie denn, Adrast, was Sie wider meine Schwester so +eingenommen hat? + +Adrast. Sie selbst hat mich wider sich eingenommen. Sie ist zu wenig +Frauenzimmer, als dass ich sie als Frauenzimmer lieben koennte. Wenn +ihre Lineamente nicht ihr Geschlecht bestaerkten, so wuerde man sie fuer +einen verkleideten wilden Juengling halten, der zu ungeschickt waere, +seine angenommene Rolle zu spielen. Was fuer ein Mundwerk! Und was +muss es fuer ein Geist sein, der diesen Mund in Beschaeftigung erhaelt! +Sagen Sie nicht, dass vielleicht Mund und Geist bei ihr wenig oder +keine Verbindung miteinander haben. Desto schlimmer. Diese Unordnung, +da ein jedes von diesen zwei Stuecken seinen eignen Weg haelt, macht +zwar die Vergehungen einer solchen Person weniger strafbar; allein sie +vernichtet auch alles Gute, was diese Person noch etwa an sich haben +kann. Wenn ihre beissenden Spoettereien, ihre nachteiligen Anmerkungen +deswegen zu uebersehen sind, weil sie es, wie man zu reden pflegt, +nicht so boese meinet; ist man nicht berechtiget, aus eben diesem +Grunde dasjenige, was sie Ruehmliches und Verbindliches sagt, ebenfalls +fuer leere Toene anzusehen, bei welchen sie es vielleicht nicht so gut +meinet? Wie kann man eines Art zu denken beurteilen, wenn man sie +nicht aus seiner Art zu reden beurteilen soll? Und wenn der Schluss +von der Rede auf die Gesinnung in dem einen Falle nicht gelten soll, +warum soll er in dem andern gelten? Sie spricht mit duerren Worten, +dass sie mich zu hassen anfange; und ich soll glauben, dass sie mich +noch liebe? So werde ich auch glauben muessen, dass sie mich hasse, +wenn sie sagen wird, dass sie mich zu lieben anfange. + +Juliane. Adrast, Sie betrachten ihre kleinen Neckereien zu strenge, +und verwechseln Falschheit mit Uebereilung. Sie kann der letztern des +Tages hundertmal schuldig werden; und von der erstern doch immer +entfernt bleiben. Sie muessen es aus ihren Taten, und nicht aus ihren +Reden, erfahren lernen, dass sie im Grunde die freundschaftlichste und +zaertlichste Seele hat. + +Adrast. Ach! Juliane, die Reden sind die ersten Anfaenge der Taten, +ihre Elemente gleichsam. Wie kann man vermuten, dass diejenige +vorsichtig und gut handeln werde, der es nicht einmal gewoehnlich ist, +vorsichtig und gut zu reden? Ihre Zunge verschont nichts, auch +dasjenige nicht, was ihr das Heiligste von der Welt sein sollte. +Pflicht, Tugend, Anstaendigkeit, Religion: alles ist ihrem Spotte +ausgesetzt.-- + +Juliane. Stille, Adrast! Sie sollten der letzte sein, der diese +Anmerkung machte. + +Adrast. Wieso? + +Juliane. Wieso?--Soll ich aufrichtig reden? + +Adrast. Als ob Sie anders reden koennten.-- + +Juliane. Wie, wenn das ganze Betragen meiner Schwester, ihr Bestreben +leichtsinniger zu scheinen, als sie ist, ihre Begierde Spoettereien zu +sagen, sich nur von einer gewissen Zeit herschrieben? Wie, wenn diese +gewisse Zeit die Zeit Ihres Hierseins waere, Adrast? + +Adrast. Was sagen Sie? + +Juliane. Ich will nicht sagen, dass Sie ihr mit einem boesen Exempel +vorgegangen waeren. Allein wozu verleitet uns nicht die Begierde zu +gefallen? Wenn Sie Ihre Gesinnungen auch noch weniger geaeussert haetten: +--und Sie haben sie oft deutlich genug geaeussert.--so wuerde sie +Henriette doch erraten haben. Und sobald sie dieselben erriet, so +bald war der Schluss, sich durch die Annehmung gleicher Gesinnungen bei +Ihnen beliebt zu machen, fuer ein lebhaftes Maedchen sehr natuerlich. +Wollen Sie wohl nun so grausam sein, und ihr dasjenige als ein +Verbrechen anrechnen, wofuer Sie ihr, als fuer eine Schmeichelei, danken +sollten? + +Adrast. Ich danke niemanden, der klein genug ist, meinetwegen seinen +Charakter zu verlassen; und derjenige macht mir eine schlechte +Schmeichelei, der mich fuer einen Toren haelt, welchem nichts als seine +Art gefalle, und der ueberall gern kleine Kopien und verjuengte +Abschilderungen von sich selbst sehen moechte. + +Juliane. Aber auf diese Art werden Sie wenig Proselyten machen. + +Adrast. Was denken Sie von mir, schoenste Juliane? Ich Proselyten +machen? Rasendes Unternehmen! Wem habe ich meine Gedanken jemals +anschwatzen oder aufdringen wollen? Es sollte mir leid tun, sie unter +den Poebel gebracht zu wissen. Wenn ich sie oft laut und mit einer +gewissen Heftigkeit verteidiget habe, so ist es in der Absicht, mich +zu rechtfertigen, nicht, andere zu ueberreden, geschehen. Wenn meine +Meinungen zu gemein wuerden, so wuerde ich der erste sein, der sie +verliesse, und die gegenseitigen annaehme. + +Juliane. Sie suchen also nur das Sonderbare? + +Adrast. Nein, nicht das Sonderbare, sondern bloss das Wahre; und ich +kann nicht dafuer, wenn jenes, leider! eine Folge von diesem ist. Es +ist mir unmoeglich zu glauben, dass die Wahrheit gemein sein koenne; +ebenso unmoeglich, als zu glauben, dass in der ganzen Welt auf einmal +Tag sein koenne. Das, was unter der Gestalt der Wahrheit unter allen +Voelkern herumschleicht, und auch von den Bloedsinnigsten angenommen +wird, ist gewiss keine Wahrheit, und man darf nur getrost die Hand, sie +zu entkleiden, anlegen, so wird man den scheusslichsten Irrtum nackend +vor sich stehen sehen. + +Juliane. Wie elend sind die Menschen, und wie ungerecht ihr Schoepfer, +wenn Sie recht haben, Adrast! Es muss entweder gar keine Wahrheit sein, +oder sie muss von der Beschaffenheit sein, dass sie von den meisten, ja +von allen, wenigstens im Wesentlichsten, empfunden werden kann. + +Adrast. Es liegt nicht an der Wahrheit, dass sie es nicht werden kann, +sondern an den Menschen.--Wir sollen gluecklich in der Welt leben; dazu +sind wir erschaffen; dazu sind wir einzig und allein erschaffen. +Sooft die Wahrheit diesem grossen Endzwecke hinderlich ist, sooft ist +man verbunden, sie beiseite zu setzen; denn nur wenig Geister koennen +in der Wahrheit selbst ihr Glueck finden. Man lasse daher dem Poebel +seine Irrtuemer; man lasse sie ihm, weil sie ein Grund seines Glueckes +und die Stuetze des Staates sind, in welchem er fuer sich Sicherheit, +Ueberfluss und Freude findet. Ihm die Religion nehmen, heisst ein wildes +Pferd auf der fetten Weide losbinden, das, sobald es sich frei fuehlt, +lieber in unfruchtbaren Waeldern herumschweifen und Mangel leiden, als +durch einen gemaechlichen Dienst alles, was es braucht, erwerben will.-- +Doch nicht fuer den Poebel allein, auch noch fuer einen andern Teil des +menschlichen Geschlechts muss man die Religion beibehalten. Fuer den +schoensten Teil, meine ich, dem sie eine Art von Zierde, wie dort eine +Art von Zaume ist. Das Religioese stehet der weiblichen Bescheidenheit +sehr wohl; es gibt der Schoenheit ein gewisses edles, gesetztes und +schmachtendes Ansehen-- + +Juliane. Halten Sie, Adrast! Sie erweisen meinem Geschlechte +ebensowenig Ehre, als der Religion. Jenes setzen Sie mit dem Poebel in +eine Klasse, so fein auch Ihre Wendung war; und diese machen Sie aufs +hoechste zu einer Art von Schminke, die das Geraete auf unsern +Nachttischen vermehren kann. Nein, Adrast! die Religion ist eine +Zierde fuer alle Menschen; und muss ihre wesentlichste Zierde sein. Ach! +Sie verkennen sie aus Stolze; aber aus einem falschen Stolze. Was +kann unsre Seele mit erhabenern Begriffen fuellen, als die Religion? +Und worin kann die Schoenheit der Seele anders bestehen, als in solchen +Begriffen? in wuerdigen Begriffen von Gott, von uns, von unsern +Pflichten, von unserer Bestimmung? Was kann unser Herz, diesen +Sammelplatz verderbter und unruhiger Leidenschaften, mehr reinigen, +mehr beruhigen, als eben diese Religion? Was kann uns im Elende mehr +aufrichten, als sie? Was kann uns zu wahrern Menschen, zu bessern +Buergern, zu aufrichtigern Freunden machen, als sie?--Fast schaeme ich +mich, Adrast, mit Ihnen so ernstlich zu reden. Es ist der Ton ohne +Zweifel nicht, der Ihnen an einem Frauenzimmer gefaellt, ob Ihnen +gleich der entgegengesetzte ebensowenig zu gefallen scheinet. Sie +koennten alles dieses aus einem beredtern Munde, aus dem Munde des +Theophans hoeren. + + + +Vierter Auftritt + +Henriette. Juliane. Adrast. + + +Henriette (bleibt an der Szene horchend stehen). St! + +Adrast. Sagen Sie mir nichts vom Theophan. Ein Wort von Ihnen hat +mehr Nachdruck, als ein stundenlanges Geplaerre von ihm. Sie wundern +sich? Kann es bei der Macht, die eine Person ueber mich haben muss, die +ich einzig liebe, die ich anbete, anders sein?--Ja, die ich liebe.-- +Das Wort ist hin! es ist gesagt! Ich bin mein Geheimnis los, bei +dessen Verschweigung ich mich ewig gequaelet haette, von dessen +Entdeckung ich aber darum nichts mehr hoffe.--Sie entfaerben sich?-- + +Juliane. Was habe ich gehoert? Adrast!-- + +Adrast (indem er niederfaellt). Lassen Sie mich es Ihnen auf den Knien +zuschwoeren, dass Sie die Wahrheit gehoert haben.--Ich liebe Sie, +schoenste Juliane, und werde Sie ewig lieben. Nun, nun liegt mein Herz +klar und aufgedeckt vor Ihnen da. Umsonst wollte ich mich und andere +bereden, dass meine Gleichgueltigkeit gegen Henrietten die Wirkung an +ihr bemerkter nachteiliger Eigenschaften sei; da sie doch nichts, als +die Wirkung einer schon gebundenen Neigung war. Ach! die +liebenswuerdige Henriette hat vielleicht keinen andern Fehler, als +diesen, dass sie eine noch liebenswuerdigere Schwester hat.-- + +Henriette. Bravo! die Szene muss ich den Theophan unterbrechen lassen. +--(Geht ab.) + + + +Fuenfter Auftritt + +Juliane. Adrast. + + +Adrast (indem er gaehling aufsteht). Wer sprach hier? + +Juliane. Himmel! es war Henriettens Stimme. + +Adrast. Ja, sie war es. Was fuer eine Neugierde! was fuer ein Vorwitz! +Nein, nein! ich habe nichts zu widerrufen; sie hat alle die Fehler, +die ich ihr beigelegt, und noch weit mehrere. Ich koennte sie nicht +lieben, und wenn ich auch schon vollkommen frei, vollkommen +gleichgueltig gegen eine jede andere waere. + +Juliane. Was fuer Verdruss, Adrast, werden Sie mir zuziehen! + +Adrast. Sorgen Sie nicht! Ich werde Ihnen allen diesen Verdruss durch +meine ploetzliche Entfernung zu ersparen wissen. + +Juliane. Durch Ihre Entfernung? + +Adrast. Ja, sie ist fest beschlossen. Meine Umstaende sind von der +Beschaffenheit, dass ich die Guete Lisidors missbrauchen wuerde, wenn ich +laenger bliebe. Und ueber dieses will ich lieber meinen Abschied nehmen, +als ihn bekommen. + +Juliane. Sie ueberlegen nicht, was Sie sagen, Adrast. Von wem sollten +Sie ihn bekommen? + +Adrast. Ich kenne die Vaeter, schoenste Juliane, und kenne auch die +Theophane. Erlauben Sie, dass ich mich nicht naeher erklaeren darf. Ach! +wenn ich mir schmeicheln koennte, dass Juliane--Ich sage nichts weiter. +Ich will mir mit keiner Unmoeglichkeit schmeicheln. Nein, Juliane +kann den Adrast nicht lieben; sie muss ihn hassen.-- + +Juliane. Ich hasse niemanden, Adrast.-- + +Adrast. Sie hassen mich; denn hier ist Hassen eben das, was +Nichtlieben ist. Sie lieben den Theophan.--Ha! hier koemmt er selbst. + + + +Sechster Auftritt + +Theophan. Adrast. Juliane. + + +Juliane (beiseite). Was wird er sagen? was werde ich antworten? + +Adrast. Ich kann mir es einbilden, auf wessen Anstiften Sie herkommen. +Aber was glaubt sie damit zu gewinnen? Mich zu verwirren? mich +wieder an sich zu ziehen?--Wie wohl laesst es Ihnen, Theophan, und Ihrem +ehrwuerdigen Charakter, das Werkzeug einer weiblichen Eifersucht zu +sein! Oder kommen Sie gar, mich zur Rede zu setzen? Ich werde Ihnen +alles gestehen; ich werde noch stolz darauf sein. + +Theophan. Wovon reden Sie, Adrast? Ich verstehe kein Wort. + +Juliane. Erlauben Sie, dass ich mich entferne. Theophan, ich +schmeichle mir, dass Sie einige Hochachtung fuer mich haben; Sie werden +keine ungerechte Auslegungen machen, und wenigstens glauben, dass ich +meine Pflicht kenne, und dass sie mir zu heilig ist, sie auch nur in +Gedanken zu verletzen. + +Theophan. Verziehen Sie doch.--Was sollen diese Reden? Ich verstehe +Sie so wenig, als ich den Adrast verstanden habe. + +Juliane. Es ist mir lieb, dass Sie aus einer unschuldigen Kleinigkeit +nichts machen wollen. Aber lassen Sie mich--(Geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Adrast. Theophan. + + +Theophan. Ihre Geliebte, Adrast, schickte mich hierher: Ich wuerde +hier noetig sein, sagte sie. Ich eile, und bekomme lauter Raetsel zu +hoeren. + +Adrast. Meine Geliebte?--Ei! wie fein haben Sie dieses angebracht! +Gewiss, Sie konnten Ihre Vorwuerfe nicht kuerzer fassen. + +Theophan. Meine Vorwuerfe? Was habe ich Ihnen denn vorzuwerfen?' + +Adrast. Wollen Sie etwa die Bestaetigung aus meinem Munde hoeren? + +Theophan. Sagen Sie mir nur, was Sie bestaetigen wollen? Ich stehe +ganz erstaunt hier.-- + +Adrast. Das geht zu weit. Welche kriechende Verstellung! Doch damit +sie Ihnen endlich nicht zu sauer wird, so will ich Sie mit Gewalt +zwingen, sie abzulegen.--Ja, es ist alles wahr, was Ihnen Henriette +hinterbracht hat. Sie war niedertraechtig genug, uns zu behorchen.-- +Ich liebe Julianen, und habe ihr meine Liebe gestanden.-- + +Theophan. Sie lieben Julianen? + +Adrast (spoettisch). Und was das Schlimmste dabei ist, ohne den +Theophan um Erlaubnis gebeten zu haben. + +Theophan. Stellen Sie sich deswegen zufrieden. Sie haben nur eine +sehr kleine Formalitaet uebergangen. + +Adrast. Ihre Gelassenheit, Theophan, ist hier nichts Besonders. Sie +glauben Ihrer Sachen gewiss zu sein.--Und ach! wenn Sie es doch +weniger waeren! Wenn ich doch nur mit der geringsten +Wahrscheinlichkeit hinzusetzen koennte, dass Juliane auch mich liebe. +Was fuer eine Wollust sollte mir das Erschrecken sein, das sich in +Ihrem Gesichte verraten wuerde! Was fuer ein Labsal fuer mich, wenn ich +Sie seufzen hoerte, wenn ich Sie zittern saehe! Wie wuerde ich mich +freuen, wenn Sie Ihre ganze Wut an mir auslassen, und mich voller +Verzweiflung, ich weiss nicht wohin, verwuenschen muessten! + +Theophan. So koennte Sie wohl kein Glueck entzuecken, wenn es nicht +durch das Unglueck eines andern gewuerzt wuerde?--Ich bedaure den Adrast! +Die Liebe muss alle ihre verderbliche Macht an ihm verschwendet haben, +weil er so unanstaendig reden kann. + +Adrast. Wohl! an dieser Miene, an dieser Wendung erinnere ich mich, +was ich bin. Es ist wahr, ich bin Ihr Schuldner, Theophan: und gegen +seine Schuldner hat man das Recht, immer ein wenig gross zu tun;--doch +Geduld! ich hoffe es nicht lange mehr zu sein. Es hat sich noch ein +ehrlicher Mann gefunden, der mich aus dieser Verlegenheit reissen will. +Ich weiss nicht, wo er bleibt. Seinem Versprechen gemaess, haette er +bereits mit dem Gelde hier sein sollen. Ich werde wohltun, wenn ich +ihn hole. + +Theophan. Aber noch ein Wort, Adrast. Ich will Ihnen mein ganzes +Herz entdecken.-- + +Adrast. Diese Entdeckung wuerde mich nicht sehr belustigen. Ich gehe, +und bald werde ich Ihnen mit einem kuehnern Gesichte unter die Augen +treten koennen. (Geht ab.) + +Theophan (allein). Unbiegsamer Geist! Fast verzweifle ich an meinem +Unternehmen. Alles ist bei ihm umsonst. Aber was wuerde er gesagt +haben, wenn er mir Zeit gelassen haette, ihn fuer sein Gestaendnis, mit +einem andern aehnlichen Gestaendnisse zu bezahlen?--Sie koemmt. + + + +Achter Auftritt + +Henriette. Lisette. Theophan. + + +Henriette. Nun? Theophan, habe ich Sie nicht zu einem artigen +Anblicke verholfen? + +Theophan. Sie sind leichtfertig, schoene Henriette. Aber was meinen +Sie fuer einen Anblick? Kaum dass ich die Hauptsache mit Muehe und Not +begriffen habe. + +Henriette. O schade!--Sie kamen also zu langsam? und Adrast lag +nicht mehr vor meiner Schwester auf den Knien? + +Theophan. So hat er vor ihr auf den Knien gelegen? + +Lisette. Leider fuer Sie alle beide! + +Henriette. Und meine Schwester stand da,--ich kann es Ihnen nicht +beschreiben,--stand da, fast, als wenn sie ihn in dieser unbequemen +Stellung gerne gesehen haette. Sie dauern mich, Theophan!-- + +Theophan. Soll ich Sie auch bedauren, mitleidiges Kind? + +Henriette. Mich bedauren? Sie sollen mir Glueck wuenschen. + +Lisette. Aber nein; so etwas schreit um Rache! + +Theophan. Und wie meint Lisette denn, dass man sich raechen koenne? + +Lisette. Sie wollen sich also doch raechen? + +Theophan. Vielleicht. + +Lisette. Und Sie sich auch, Mamsell? + +Henriette. Vielleicht. + +Lisette. Gut! das sind zwei Vielleicht, womit sich etwas anfangen +laesst. + +Theophan. Aber es ist noch sehr ungewiss, ob Juliane den Adrast +wiederliebt; und wenn dieses nicht ist, so wuerde ich zu zeitig auf +Rache denken. + +Lisette. Oh! die christliche Seele! Nun ueberlegt sie erst, dass man +sich nicht raechen soll. + +Theophan. Nicht so spoettisch, Lisette! Es wuerde hier von einer sehr +unschuldigen Rache die Rede sein. + +Henriette. Das meine ich auch; von einer sehr unschuldigen. + +Lisette. Wer leugnet das? von einer so unschuldigen, dass man sich +mit gutem Gewissen darueber beratschlagen kann. Hoeren Sie nur! Ihre +Rache, Herr Theophan, waere eine maennliche Rache, nicht wahr? und Ihre +Rache, Mamsell Henriette, waere eine weibliche Rache: eine maennliche +Rache--nun, und eine weibliche Rache--Ja! wie bringe ich wohl das +Ding recht gescheut herum? + +Henriette. Du bist eine Naerrin mitsamt deinen Geschlechtern. + +Lisette. Helfen Sie mir doch ein wenig, Herr Theophan.--Was meinen +Sie dazu? Wenn zwei Personen einerlei Weg gehen muessen, nicht wahr? +so ist es gut, dass diese zwei Personen einander Gesellschaft leisten? + +Theophan. Jawohl; aber vorausgesetzt, dass diese zwei Personen +einander leiden koennen. + +Henriette. Das war der Punkt! + +Lisette (beiseite). Will denn keines anbeissen? Ich muss einen andern +Zipfel fassen.--Es ist schon wahr, was Herr Theophan vorhin sagte, dass +es naemlich noch sehr ungewiss sei, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe. +Ich setze sogar hinzu. Es ist noch sehr ungewiss, ob Herr Adrast +Mamsell Julianen wirklich liebt. + +Henriette. O schweig, du unglueckliche Zweiflerin. Es soll nun aber +gewiss sein! + +Lisette. Die Mannspersonen bekommen dann und wann gewisse Anfaelle von +einer gewissen wetterwendischen Krankheit, die aus einer gewissen +Ueberladung des Herzens entspringt. + +Henriette. Aus einer Ueberladung des Herzens? Schoen gegeben! + +Lisette. Ich will Ihnen gleich sagen, was das heisst. So wie Leute, +die sich den Magen ueberladen haben, nicht eigentlich mehr wissen, was +ihnen schmeckt, und was ihnen nicht schmeckt: so geht es auch den +Leuten, die sich das Herz ueberladen haben. Sie wissen selbst nicht +mehr, auf welche Seite das ueberladene Herz hinhaengt, und da trifft es +sich denn wohl, dass kleine Irrungen in der Person daraus entstehen.-- +Habe ich nicht recht, Herr Theophan? + +Theophan. Ich will es ueberlegen. + +Lisette. Sie sind freilich eine weit bessere Art von Mannspersonen, +und ich halte Sie fuer allzu vorsichtig, als dass Sie Ihr Herz so +ueberladen sollten.--Aber wissen Sie wohl, was ich fuer einen Einfall +habe, wie wir gleichwohl hinter die Wahrheit mit dem Herrn Adrast und +der Mamsell Juliane kommen wollen? + +Theophan. Nun? + +Henriette. Du wuerdest mich neugierig machen, wenn ich nicht schon +hinter der Wahrheit waere.-- + +Lisette. Wie? wenn wir einen gewissen blinden Laerm machten? + +Henriette. Was ist das wieder? + +Lisette. Ein blinder Laerm ist ein Laerm wohinter nichts ist; der aber +doch die Gabe hat, den Feind--zu einer gewissen Aufmerksamkeit zu +bringen.--Zum Exempel: Um zu erfahren, ob Mamsell Juliane den Adrast +liebe, muesste sich Herr Theophan in jemand anders verliebt stellen; und +um zu erfahren, ob Adrast Mamsell Julianen liebe, muessten Sie sich in +jemand anders verliebt stellen. Und da es nun nicht lassen wuerde, +wenn sich Herr Theophan in mich verliebt stellte, noch viel weniger, +wenn Sie sich in seinen Martin verliebt stellen wollten: so waere, kurz +und gut, mein Rat, Sie stellten sich beide ineinander verliebt.--Ich +rede nur von Stellen; merken Sie wohl, was ich sage! nur von Stellen; +denn sonst koennte der blinde Laerm auf einmal Augen kriegen.--Nun sagen +Sie mir beide, ist der Anschlag nicht gut? + +Theophan (beiseite). Wo ich nicht gehe, so wird sie noch machen, dass +ich mich werde erklaeren muessen.--Der Anschlag ist so schlimm nicht; +aber-- + +Lisette. Sie sollen sich ja nur stellen.-- + +Theophan. Das Stellen eben ist es, was mir dabei nicht gefaellt. + +Lisette. Und Sie, Mamsell? + +Henriette. Ich bin auch keine Liebhaberin vom Stellen. + +Lisette. Besorgen Sie beide etwa, dass Sie es zu natuerlich machen +moechten?--Was stehen Sie so auf dem Sprunge, Herr Theophan? Was +stehen Sie so in Gedanken, Mamsell? + +Henriette. Oh! geh; es waere in meinem Leben das erstemal. + +Theophan. Ich muss mich auf einige Augenblicke beurlauben, schoenste +Henriette.-- + +Lisette. Es ist nicht noetig. Sie sollen mir wahrhaftig nicht +nachsagen, dass ich Sie weggeplaudert habe. Kommen Sie, Mamsell!-- + +Henriette. Es ist auch wahr, dein Plaudern ist manchmal recht +aergerlich. Komm!--Theophan, soll ich sagen, dass Sie nicht lange weg +sein werden? + +Theophan. Wenn ich bitten darf.-- + +(Henriette und Lisette geben auf der einen Seite ab. Indem Theophan +auf der andern abgeben will, begegnet ihm der Wechsler.) + + + +Neunter Auftritt + +Theophan. Der Wechsler. + + +Der Wechsler. Sie werden verzeihen, mein Herr. Ich moechte nur ein +Wort mit dem Herrn Adrast sprechen. + +Theophan. Eben jetzt ist er ausgegangen. Wollen Sie mir es +auftragen?-- + +Der Wechsler. Wenn ich so frei sein darf.--Er hat eine Summe Geldes +bei mir aufnehmen wollen, die ich ihm auch anfangs versprach. Ich +habe aber nunmehr Bedenklichkeiten gefunden, und ich komme, es ihm +wieder abzusagen: das ist es alles. + +Theophan. Bedenklichkeiten, mein Herr? Was fuer Bedenklichkeiten? +doch wohl keine von seiten des Adrast? + +Der Wechsler. Warum nicht? + +Theophan. Ist er kein Mann von Kredit? + +Der Wechsler. Kredit, mein Herr, Sie werden wissen, was das ist. Man +kann heute Kredit haben, ohne gewiss zu sein, dass man ihn morgen haben +wird. Ich habe seine jetzigen Umstaende erfahren.-- + +Theophan (beiseite). Ich muss mein moeglichstes tun, dass diese nicht +auskommen.--Sie muessen die falschen erfahren haben.--Kennen Sie mich, +mein Herr?-- + +Der Wechsler. Von Person nicht; vielleicht, wenn ich Ihren Namen +hoeren sollte.-- + +Theophan. Theophan. + +Der Wechsler. Ein Name, von dem ich allezeit das Beste gehoert habe. + +Theophan. Wenn Sie dem Herrn Adrast die verlangte Summe nicht auf +seine Unterschrift geben wollen, wollen Sie es wohl auf die meinige +tun? + +Der Wechsler. Mit Vergnuegen. + +Theophan. Haben Sie also die Guete, mich auf meine Stube zu begleiten. +Ich will Ihnen die noetigen Versicherungen ausstellen; wobei es bloss +darauf ankommen wird, diese Buergschaft vor dem Adrast selbst geheim zu +halten. + +Der Wechsler. Vor ihm selbst? + +Theophan. Allerdings; um ihm den Verdruss ueber Ihr Misstrauen zu +ersparen.-- + +Der Wechsler. Sie muessen ein grossmuetiger Freund sein. + +Theophan. Lassen Sie uns nicht laenger verziehen. + +(Gehen ab.) + +(Ende des vierten Aufzuges.) + + + + + +Fuenfter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Wechsler, von der einen Seite, und von der andern Adrast. + + +Adrast (vor sich). Ich habe meinen Mann nicht finden koennen.-- + +Der Wechsler (vor sich). So lasse ich es mir gefallen.-- + +Adrast. Aber sieh da!--Ei! mein Herr, finde ich Sie hier? So sind +wir ohne Zweifel einander fehlgegangen? + +Der Wechsler. Es ist mir lieb, mein Herr Adrast, dass ich Sie noch +treffe. + +Adrast. Ich habe Sie in Ihrer Wohnung gesucht. Die Sache leidet +keinen Aufschub. Ich kann mich doch noch auf Sie verlassen? + +Der Wechsler. Nunmehr, ja. + +Adrast. Nunmehr? Was wollen Sie damit? + +Der Wechsler. Nichts. Ja, Sie koennen sich auf mich verlassen. + +Adrast. Ich will nicht hoffen, dass Sie einiges Misstrauen gegen mich +haben? + +Der Wechsler. Im geringsten nicht. + +Adrast. Oder, dass man Ihnen einiges beizubringen gesucht hat? + +Der Wechsler. Noch viel weniger. + +Adrast. Wir haben bereits miteinander zu tun gehabt, und Sie sollen +mich auch kuenftig als einen ehrlichen Mann finden. + +Der Wechsler. Ich bin ohne Sorgen. + +Adrast. Es liegt meiner Ehre daran, diejenigen zuschanden zu machen, +die boshaft genug sind, meinen Kredit zu schmaelern. + +Der Wechsler. Ich finde, dass man das Gegenteil tut. + +Adrast. Oh! sagen Sie das nicht. Ich weiss wohl, dass ich meine +Feinde habe-- + +Der Wechsler. Sie haben aber auch Ihre Freunde.-- + +Adrast. Aufs hoechste dem Namen nach. Ich wuerde auszulachen sein, +wenn ich auf sie rechnen wollte.--Und glauben Sie, mein Herr, dass es +mir nicht einmal lieb ist, dass Sie, in meiner Abwesenheit, hier in +diesem Hause gewesen sind? + +Der Wechsler. Und es muss Ihnen doch lieb sein. + +Adrast. Es ist zwar das Haus, zu welchem ich mir nichts als Gutes +versehen sollte; aber eine gewisse Person darin, mein Herr, eine +gewisse Person--Ich weiss, ich wuerde es empfunden haben, wenn Sie mit +derselben gesprochen haetten. + +Der Wechsler. Ich habe eigentlich mit niemanden gesprochen; diejenige +Person aber, bei welcher ich mich nach Ihnen erkundigte, hat die +groesste Ergebenheit gegen Sie bezeugt. + +Adrast. Ich kann es Ihnen wohl sagen, wer die Person ist, vor deren +uebeln Nachrede ich mich einigermassen fuerchte. Es wird sogar gut sein, +wenn Sie es wissen, damit Sie, wenn Ihnen nachteilige Dinge von mir zu +Ohren kommen sollten, den Urheber kennen. + +Der Wechsler. Ich werde nicht noetig haben, darauf zu hoeren. + +Adrast. Aber doch--Mit einem Worte, es ist Theophan. + +Der Wechsler (erstaunt). Theophan? + +Adrast. Ja, Theophan. Er ist mein Feind-- + +Der Wechsler. Theophan Ihr Feind? + +Adrast. Sie erstaunen? + +Der Wechsler. Nicht ohne die groesste Ursache.-- + +Adrast. Ohne Zweifel weil Sie glauben, dass ein Mann von seinem Stande +nicht anders, als grossmuetig und edel sein koenne?-- + +Der Wechsler. Mein Herr-- + +Adrast. Er ist der gefaehrlichste Heuchler, den ich unter +seinesgleichen noch jemals gefunden habe. + +Der Wechsler. Mein Herr-- + +Adrast. Er weiss, dass ich ihn kenne, und gibt sich daher alle Muehe, +mich zu untergraben.-- + +Der Wechsler. Ich bitte Sie-- + +Adrast. Wenn Sie etwa eine gute Meinung von ihm haben, so irren Sie +sich sehr. Vielleicht zwar, dass Sie ihn nur von der Seite seines +Vermoegens kennen; und wider dieses habe ich nichts: er ist reich; aber +eben sein Reichtum schafft ihm Gelegenheit, auf die allerfeinste Art +schaden zu koennen. + +Der Wechsler. Was sagen Sie? + +Adrast. Er wendet unbeschreibliche Raenke an, mich aus diesem Hause zu +bringen; Raenke, denen er ein so unschuldiges Ansehen geben kann, dass +ich selbst darueber erstaune. + +Der Wechsler. Das ist zu arg! Laenger kann ich durchaus nicht +schweigen. Mein Herr, Sie hintergehen sich auf die erstaunlichste Art. +-- + +Adrast. Ich mich? + +Der Wechsler. Theophan kann das unmoeglich sein, wofuer Sie ihn +ausgeben. Hoeren Sie alles! Ich kam hierher, mein Ihnen gegebenes +Wort wieder zurueckezunehmen. Ich hatte von sicherer Hand, nicht vom +Theophan, Umstaende von Ihnen erfahren, die mich dazu noetigten. Ich +fand ihn hier, und ich glaubte, es ihm ohne Schwierigkeit sagen zu +duerfen-- + +Adrast. Dem Theophan? Wie wird sich der Niedertraechtige gekitzelt +haben! + +Der Wechsler. Gekitzelt? Er hat auf das nachdruecklichste fuer Sie +gesprochen. Und kurz, wenn ich Ihnen mein erstes Versprechen halte, +so geschieht es bloss in Betrachtung seiner. + +Adrast. In Betrachtung seiner?--Wo bin ich? + +Der Wechsler. Er hat mir schriftliche Versicherungen gegeben, die ich +als eine Buergschaft fuer Sie ansehen kann. Zwar hat er mir es zugleich +verboten, jemanden das geringste davon zu sagen: allein ich konnte es +unmoeglich anhoeren, dass ein rechtschaffener Mann so unschuldig +verlaestert wuerde. Sie koennen die verlangte Summe bei mir abholen +lassen, wann es Ihnen beliebt. Nur werden Sie mir den Gefallen tun +und sich nichts gegen ihn merken lassen. Er bezeugte bei dem ganzen +Handel so viel Aufrichtigkeit und Freundschaft fuer Sie, dass er ein +Unmensch sein muesste, wenn er die Verstellung bis dahin treiben koennte.- +-Leben Sie wohl! (Geht ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast.--Was fuer ein neuer Streich!--Ich kann nicht wieder zur mir +selbst kommen!--Es ist nicht auszuhalten!--Verachtungen, Beleidigungen, +--Beleidigungen in dem Gegenstande, der ihm der liebste sein muss:-- +alles ist umsonst; nichts will er fuehlen. Was kann ihn so verhaerten? +Die Bosheit allein, die Begierde allein, seine Rache reif werden zu +lassen.--Wen sollte dieser Mann nicht hinter das Licht fuehren? Ich +weiss nicht, was ich denken soll. Er dringt seine Wohltaten mit einer +Art auf--Aber verwuenscht sind seine Wohltaten, und seine Art! Und +wenn auch keine Schlange unter diesen Blumen laege, so wuerde ich ihn +doch nicht anders als hassen koennen. Hassen werde ich ihn, und wenn +er mir das Leben rettete. Er hat mir das geraubt, was kostbarer ist, +als das Leben: das Herz meiner Juliane; ein Raub, den er nicht +ersetzen kann, und wenn er sich mir zu eigen schenkte. Doch er will +ihn nicht ersetzen; ich dichte ihm noch eine zu gute Meinung an.-- + + + +Dritter Auftritt + +Theophan. Adrast. + + +Theophan. In welcher heftigen Bewegung treffe ich Sie abermals Adrast? + +Adrast. Sie ist Ihr Werk. + +Theophan. So muss sie eines von denen Werken sein, die wir alsdann +wider unsern Willen hervorbringen, wann wir uns am meisten nach ihrem +Gegenteile bestreben. Ich wuensche nichts, als Sie ruhig zu sehen, +damit Sie mit kaltem Blute von einer Sache mit mir reden koennten, die +uns beide nicht naeher angehen kann. + +Adrast. Nicht wahr, Theophan? es ist der hoechste Grad der List, wenn +man alle seine Streiche so zu spielen weiss, dass die, denen man sie +spielt, selbst nicht wissen, ob und was fuer Vorwuerfe sie uns machen +sollen? + +Theophan. Ohne Zweifel. + +Adrast. Wuenschen Sie sich Glueck: Sie haben diesen Grad erreicht. + +Theophan. Was soll das wieder? + +Adrast. Ich versprach Ihnen vorhin, die bewussten Wechsel zu bezahlen-- +(spoettisch) Sie werden es nicht uebelnehmen, es kann nunmehr nicht sein. +Ich will Ihnen, anstatt der zerrissenen, andere Wechsel schreiben. + +Theophan (in eben dem Tone). Es ist wahr, ich habe sie in keiner +andern Absicht zerrissen, als neue von Ihnen zu bekommen.-- + +Adrast. Es mag Ihre Absicht gewesen sein, oder nicht: Sie sollen sie +haben.--Wollten Sie aber nicht etwa gern erfahren, warum ich sie +nunmehr nicht bezahlen kann? + +Theophan. Nun? + +Adrast. Weil ich die Buergschaften nicht liebe. + +Theophan. Die Buergschaften? + +Adrast. Ja; und weil ich Ihrer Rechten nichts geben mag, was ich aus +Ihrer Linken nehmen muesste. + +Theophan (beiseite). Der Wechsler hat mir nicht reinen Mund gehalten! + +Adrast. Sie verstehen mich doch? + +Theophan. Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen. + +Adrast. Ich gebe mir alle Muehe, Ihnen auf keine Weise verbunden zu +sein: muss es mich also nicht verdriessen, dass Sie mich in den Verdacht +bringen, als ob ich es gleichwohl zu sein Ursache haette? + +Theophan. Ich erstaune ueber Ihre Geschicklichkeit, alles auf der +schlimmsten Seite zu betrachten. + +Adrast. Und wie Sie gehoert haben, so bin ich ueber die Ihrige erstaunt, +diese schlimme Seite so vortrefflich zu verbergen. Noch weiss ich +selbst nicht eigentlich, was ich davon denken soll. + +Theophan. Weil Sie das Natuerlichste davon nicht denken wollen. + +Adrast. Dieses Natuerlichste, meinen Sie vielleicht, waere das, wenn +ich daechte, dass Sie diesen Schritt aus Grossmut, aus Vorsorge fuer +meinen guten Namen getan haetten? Allein, mit Erlaubnis, hier waere es +gleich das Unnatuerlichste. + +Theophan. Sie haben doch wohl recht. Denn wie waere es immer moeglich, +dass ein Mann von meinem Stande nur halb so menschliche Gesinnungen +haben koennte? + +Adrast. Lassen Sie uns Ihren Stand einmal beiseite setzen. + +Theophan. Sollten Sie das wohl koennen?-- + +Adrast. Gesetzt also, Sie waeren keiner von den Leuten, die, den +Charakter der Froemmigkeit zu behaupten, ihre Leidenschaften so geheim, +als moeglich, halten muessen; die anfangs aus Wohlstand heucheln lernen, +und endlich die Heuchelei als eine zweite Natur beibehalten; die nach +ihren Grundsaetzen verbunden sind, sich ehrlicher Leute, welche sie die +Kinder der Welt nennen, zu entziehen, oder wenigstens aus keiner +andern Absicht Umgang mit ihnen zu pflegen, als aus der +niedertraechtigen Absicht, sie auf ihre Seite zu lenken; gesetzt, Sie +waeren keiner von diesen: sind Sie nicht wenigstens ein Mensch, der +Beleidigungen empfindet? Und auf einmal alles in allem zu sagen:-- +Sind Sie nicht ein Liebhaber, welcher Eifersucht fuehlen muss? + +Theophan. Es ist mir angenehm, dass Sie endlich auf diesen Punkt +herauskommen. + +Adrast. Vermuten Sie aber nur nicht, dass ich mit der geringsten +Maessigung davon sprechen werde. + +Theophan. So will ich es versuchen, desto mehrere dabei zu brauchen. + +Adrast. Sie lieben Julianen, und ich--ich--was suche ich lange noch +Worte?--Ich hasse Sie wegen dieser Liebe, ob ich gleich kein Recht auf +den geliebten Gegenstand habe; und Sie, der Sie ein Recht darauf haben, +sollten mich, der ich Sie um dieses Recht beneide, nicht auch hassen? + +Theophan. Gewiss, ich sollte nicht.--Aber lassen Sie uns doch das +Recht untersuchen, das Sie und ich auf Julianen haben. + +Adrast. Wenn dieses Recht auf die Staerke unserer Liebe ankaeme, so +wuerde ich es Ihnen vielleicht noch streitig machen. Es ist Ihr Glueck, +dass es auf die Einwilligung eines Vaters, und auf den Gehorsam einer +Tochter ankoemmt.-- + +Theophan. Hierauf will ich es durchaus nicht ankommen lassen. Die +Liebe allein soll Richter sein. Aber merken Sie wohl, nicht bloss +unsere, sondern vornehmlich die Liebe derjenigen, in deren Besitz Sie +mich glauben. Wenn Sie mich ueberfuehren koennen, dass Sie von Julianen +wiedergeliebet werden-- + +Adrast. So wollen Sie mir vielleicht Ihre Ansprueche abtreten? + +Theophan. So muss ich. + +Adrast. Wie hoehnisch Sie mit mir umgehen!--Sie sind Ihrer Sachen +gewiss, und ueberzeugt, dass Sie bei dieser Rodomontade nichts aufs Spiel +setzen. + +Theophan. Also koennen Sie mir es nicht sagen, ob Sie Juliane liebet? + +Adrast. Wenn ich es koennte, wuerde ich wohl unterlassen, Sie mit +diesem Vorzuge zu peinigen? + +Theophan. Stille! Sie machen sich unmenschlicher, als Sie sind.--Nun +wohl! so will ich,--ich will es Ihnen sagen, dass Sie Juliane liebt. + +Adrast. Was sagen Sie?--Doch fast haette ich ueber das Entzueckende +dieser Versicherung vergessen, aus wessen Munde ich sie hoere. Recht +so! Theophan, recht so! Man muss ueber seine Feinde spotten. Aber +wollen Sie, diese Spoetterei vollkommen zu machen, mich nicht auch +versichern, dass Sie Julianen nicht lieben? + +Theophan (verdriesslich). Es ist unmoeglich, mit Ihnen ein vernuenftiges +Wort zu sprechen. (Er will weggehen.) + +Adrast (beiseite). Er wird zornig?--Warten Sie doch, Theophan. +Wissen Sie, dass die erste aufgebrachte Miene, die ich endlich von +Ihnen sehe, mich begierig macht, dieses vernuenftige Wort zu hoeren? + +Theophan (zornig). Und wissen Sie, dass ich endlich Ihres +schimpflichen Betragens ueberdruessig bin? + +Adrast (beiseite). Er macht Ernst.-- + +Theophan (noch zornig). Ich will mich bestreben, dass Sie den Theophan +so finden sollen, als Sie ihn sich vorstellen. + +Adrast. Verziehen Sie. Ich glaube in Ihrem Trotze mehr +Aufrichtigkeit zu sehen, als ich jemals in Ihrer Freundlichkeit +gesehen habe. + +Theophan. Wunderbarer Mensch! Muss man sich Ihnen gleichstellen, muss +man ebenso stolz, ebenso argwoehnisch, ebenso grob sein, als Sie, um +Ihr elendes Vertrauen zu gewinnen? + +Adrast. Ich werde Ihnen diese Sprache, ihrer Neuigkeit wegen, +vergeben muessen. + +Theophan. Sie soll Ihnen alt genug werden! + +Adrast. Aber in der Tat--Sie machen mich vollends verwirrt. Muessen +Sie mir Dinge, worauf alle mein Wohl ankoemmt, mit einem froehlichen +Gesichte sagen? Ich bitte Sie, sagen Sie es jetzt noch einmal, was +ich vorhin fuer eine Spoetterei aufnehmen musste. + +Theophan. Wenn ich es sage, glauben Sie nur nicht, dass es um +Ihretwillen geschieht. + +Adrast. Desto mehr werde ich mich darauf verlassen. + +Theophan. Aber ohne mich zu unterbrechen: das bitte ich.-- + +Adrast. Reden Sie nur. + +Theophan. Ich will Ihnen den Schluessel zu dem, was Sie hoeren sollen, +gleich voraus geben. Meine Neigung hat mich nicht weniger betrogen, +als Sie die Ihrige. Ich kenne und bewundere alle die Vollkommenheiten, +die Julianen zu einer Zierde ihres Geschlechts machen; aber--ich +liebe sie nicht. + +Adrast. Sie-- + +Theophan. Es ist gleichviel, ob Sie es glauben oder nicht glauben.-- +Ich habe mir Muehe genug gegeben, meine Hochachtung in Liebe zu +verwandeln. Aber eben bei dieser Bemuehung habe ich Gelegenheit gehabt, +es oft sehr deutlich zu merken, dass sich Juliane einen aehnlichen +Zwang antut. Sie wollte mich lieben, und liebte mich nicht. Das Herz +nimmt keine Gruende an, und will in diesem, wie in andern Stuecken, +seine Unabhaengigkeit von dem Verstande behaupten. Man kann es +tyrannisieren, aber nicht zwingen. Und was hilft es, sich selbst zum +Maertyrer seiner Ueberlegungen zu machen, wenn man gewiss weiss, dass man +keine Beruhigung dabei finden kann? Ich erbarmte mich also Julianens-- +oder vielmehr, ich erbarmte mich meiner selbst: ich unterdrueckte meine +wachsende Neigung gegen eine andre Person nicht laenger und sahe es mit +Vergnuegen, dass auch Juliane zu ohnmaechtig oder zu nachsehend war, der +ihrigen zu widerstehen. Diese ging auf einen Mann, der ihrer ebenso +unwuerdig ist, als unwuerdig er ist, einen Freund zu haben. Adrast +wuerde sein Glueck in ihren Augen laengst gewahr geworden sein, wenn +Adrast gelassen genug waere, richtige Blicke zu tun. Er betrachtet +alles durch das gefaerbte Glas seiner vorgefassten Meinungen, und alles +obenhin; und wuerde wohl oft lieber seine Sinne verleugnen, als seinen +Wahn aufgeben. Weil Juliane ihn liebenswuerdig fand, konnte ich mir +unmoeglich einbilden, dass er so gar verderbt sei. Ich sann auf Mittel, +es beiden mit der besten Art beizubringen, dass sie mich nicht als eine +gefaehrliche Hinderung ansehen sollten. Ich kam nur jetzt in dieser +Absicht hieher; allein liess mich Adrast, ohne die schimpflichsten +Abschreckungen, darauf kommen? Ich wuerde ihn, ohne ein weiteres Wort, +verlassen haben, wenn ich mich nicht noch derjenigen Person wegen +gezwungen haette, der ich, von Grund meiner Seelen, alles goenne, was +sie sich selbst wuenscht.--Mehr habe ich ihm nicht zu sagen. (Er will +fortgehen.) + +Adrast. Wohin, Theophan?--Urteilen Sie aus meinem Stilleschweigen, +wie gross mein Erstaunen sein muesse!--Es ist eine menschliche +Schwachheit, sich dasjenige leicht ueberreden zu lassen, was man heftig +wuenscht. Soll ich ihr nachhaengen? soll ich sie unterdruecken? + +Theophan. Ich will bei Ihrer Ueberlegung nicht gegenwaertig sein.-- + +Adrast. Wehe dem, der mich auf eine so grausame Art aufzuziehen denkt! + +Theophan. So raeche mich denn Ihre marternde Ungewissheit an Ihnen! + +Adrast (beiseite). Jetzt will ich ihn fangen.--Wollen Sie mir noch +ein Wort erlauben, Theophan?--Wie koennen Sie ueber einen Menschen +zuernen, der mehr aus Erstaunen ueber sein Glueck, als aus Misstrauen +gegen Sie, zweifelt?-- + +Theophan. Adrast, ich werde mich schaemen, nur einen Augenblick +gezuernt zu haben, sobald Sie vernuenftig reden wollen. + +Adrast. Wenn es wahr ist, dass Sie Julianen nicht lieben, wird es +nicht noetig sein, dass Sie sich dem Lisidor entdecken? + +Theophan. Allerdings. + +Adrast. Und Sie sind es wirklich gesonnen? + +Theophan. Und zwar je eher, je lieber. + +Adrast. Sie wollen dem Lisidor sagen, dass Sie Julianen nicht lieben? + +Theophan. Was sonst? + +Adrast. Dass Sie eine andere Person lieben? + +Theophan. Vor allen Dingen; um ihm durchaus keine Ursache zu geben, +Julianen die rueckgaengige Verbindung zur Last zu legen. + +Adrast. Wollten Sie wohl alles dieses gleich jetzo tun? + +Theophan. Gleich jetzo?-- + +Adrast (beiseite). Nun habe ich ihn!--Ja, gleich jetzo. + +Theophan. Wollten Sie aber auch wohl eben diesen Schritt tun? +Wollten auch Sie dem Lisidor wohl sagen, dass Sie Henrietten nicht +liebten? + +Adrast. Ich brenne vor Verlangen. + +Theophan. Und dass Sie Julianen liebten? + +Adrast. Zweifeln Sie? + +Theophan. Nun wohl! so kommen Sie. + +Adrast (beiseite). Er will?-- + +Theophan. Nur geschwind! + +Adrast. Ueberlegen Sie es recht. + +Theophan. Und was soll ich denn noch ueberlegen? + +Adrast. Noch ist es Zeit.-- + +Theophan. Sie halten sich selbst auf. Nur fort!--(Indem er +vorangehen will.) Sie bleiben zurueck? Sie stehen in Gedanken? Sie +sehen mich mit einem Auge an, das Erstaunen verraet? Was soll das?-- + +Adrast (nach einer kleinen Pause). Theophan!-- + +Theophan. Nun?--Bin ich nicht bereit? + +Adrast (geruehrt). Theophan!--Sie sind doch wohl ein ehrlicher Mann. + +Theophan. Wie kommen Sie jetzt darauf? + +Adrast. Wie ich jetzt darauf komme? Kann ich einen staerkern Beweis +verlangen, dass Ihnen mein Glueck nicht gleichgueltig ist? + +Theophan. Sie erkennen dieses sehr spaet--aber Sie erkennen es doch +noch.--Liebster Adrast, ich muss Sie umarmen.-- + +Adrast. Ich schaeme mich--lassen Sie mich allein; ich will ihnen bald +folgen.-- + +Theophan. Ich werde Sie nicht allein lassen.--Ist es moeglich, dass ich +Ihren Abscheu gegen mich ueberwunden habe? Dass ich ihn durch eine +Aufopferung ueberwunden habe, die mir so wenig kostet? Ach! Adrast, +Sie wissen noch nicht, wie eigennuetzig ich dabei bin; ich werde +vielleicht alle Ihre Hochachtung dadurch wieder verlieren:--Ich liebe +Henrietten. + +Adrast. Sie lieben Henrietten? Himmel! so koennen wir ja hier noch +beide gluecklich sein. Warum haben wir uns nicht eher erklaeren muessen? +O Theophan! Theophan! ich wuerde Ihre ganze Auffuehrung mit einem +andern Auge angesehen haben. Sie wuerden der Bitterkeit meines +Verdachts, meiner Vorwuerfe nicht ausgesetzt gewesen sein. + +Theophan. Keine Entschuldigungen, Adrast! Vorurteile und eine +unglueckliche Liebe sind zwei Stuecke, deren eines schon hinreichet, +einen Mann zu etwas ganz anderm zu machen, als er ist.--Aber was +verweilen wir hier laenger? + +Adrast. Ja, Theophan, nun lassen Sie uns eilen.--Aber wenn uns +Lisidor zuwider waere?--Wenn Juliane einen andern liebte?-- + +Theophan. Fassen Sie Mut. Hier koemmt Lisidor. + + + +Vierter Auftritt + +Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisidor. Ihr seid mir feine Leute! Soll ich denn bestaendig mit dem +fremden Vetter allein sein? + +Theophan. Wir waren gleich im Begriff zu Ihnen zu kommen. + +Lisidor. Was habt ihr nun wieder zusammen gemacht? gestritten? +Glaubt mir doch nur, aus dem Streiten koemmt nichts heraus. Ihr habt +alle beide, alle beide habt ihr recht.--Zum Exempel: (zum Theophan) +Der spricht, die Vernunft ist schwach; und der (zum Adrast) spricht, +die Vernunft ist stark. Jener beweiset mit starken Gruenden, dass die +Vernunft schwach ist; und dieser mit schwachen Gruenden, dass sie stark +ist. Koemmt das nun nicht auf eins heraus? schwach und stark, oder, +stark und schwach: was ist denn da fuer ein Unterscheid? + +Theophan. Erlauben Sie, wir haben jetzt weder von der Staerke, noch +von der Schwaeche der Vernunft gesprochen-- + +Lisidor. Nun! so war es von etwas anderm, das ebensowenig zu +bedeuten hat.--Von der Freiheit etwa: Ob ein hungriger Esel, der +zwischen zwei Buendeln Heu steht, die einander vollkommen gleich sind, +das Vermoegen hat, von dem ersten von dem besten zu fressen, oder, ob +der Esel so ein Esel sein muss, dass er lieber verhungert?-- + +Adrast. Auch daran ist nicht gedacht worden. Wir beschaeftigten uns +mit einer Sache, bei der das Vornehmste nunmehr auf Sie ankoemmt. + +Lisidor. Auf mich? + +Theophan. Auf Sie, der Sie unser ganzes Glueck in Haenden haben. + +Lisidor. Oh! ihr werdet mir einen Gefallen tun, wenn ihr es so +geschwind, als moeglich, in eure eignen Haende nehmt.--Ihr meint doch +wohl das Glueck in Fischbeinroecken? Schon lange habe ich es selber +nicht mehr gern behalten wollen. Denn der Mensch ist ein Mensch, und +eine Jungfer eine Jungfer; und Glueck und Glas wie bald bricht das! + +Theophan. Wir werden zeitlebens nicht dankbar genug sein koennen, dass +Sie uns einer so nahen Verbindung gewuerdiget haben. Allein es stoesst +sich noch an eine sehr grosse Schwierigkeit. + +Lisidor. Was? + +Adrast. An eine Schwierigkeit, die unmoeglich vorauszusehen war. + +Lisidor. Nu? + +Theophan und Adrast. Wir muessen Ihnen gestehen-- + +Lisidor. Alle beide zugleich? Was wird das sein? Ich muss euch +ordentlich vernehmen.--Was gestehen Sie, Theophan?-- + +Theophan. Ich muss Ihnen gestehen,--dass ich Julianen nicht liebe. + +Lisidor. Nicht liebe? habe ich recht gehoert?--Und was ist denn Ihr +Gestaendnis, Adrast?-- + +Adrast. Ich muss Ihnen gestehen,--dass ich Henrietten nicht liebe. + +Lisidor. Nicht liebe?--Sie nicht lieben, und Sie nicht lieben; das +kann unmoeglich sein! Ihr Streitkoepfe, die ihr noch nie einig gewesen +seid, solltet jetzo zum ersten Male einig sein, da es darauf ankoemmt, +mir den Stuhl vor die Tuere zu setzen?--Ach! ihr scherzt, nun merke +ich's erst. + +Adrast. Wir? scherzen? + +Lisidor. Oder ihr muesst nicht klug im Kopfe sein. Ihr meine Toechter +nicht lieben? die Maedel weinen sich die Augen aus dem Kopfe.--Aber +warum denn nicht? wenn ich fragen darf. Was fehlt denn Julianen, dass +Sie sie nicht lieben koennen? + +Theophan. Ihnen die Wahrheit zu gestehen, ich glaube, dass ihr Herz +selbst fuer einen andern eingenommen ist. + +Adrast. Und eben dieses vermute ich mit Grunde auch von Henrietten. + +Lisidor. Ho! ho! dahinter muss ich kommen.--Lisette! he! Lisette!-- +Ihr seid also wohl gar eifersuechtig, und wollt nur drohen? + +Theophan. Drohen? da wir Ihrer Guete jetzt am noetigsten haben? + +Lisidor. He da! Lisette! + + + +Fuenfter Auftritt + +Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisette. Hier bin ich ja schon! Was gibt's? + +Lisidor. Sage, sie sollen gleich herkommen. + +Lisette. Wer denn? + +Lisidor. Beide! hoerst du nicht? + +Lisette. Meine Jungfern? + +Lisidor. Fragst du noch? + +Lisette. Gleich will ich sie holen. (Indem sie wieder umkehrt.) +Kann ich ihnen nicht voraus sagen, was sie hier sollen? + +Lisidor. Nein! + +Lisette (geht und koemmt wieder). Wenn sie mich nun aber fragen? + +Lisidor. Wirst du gehen? + +Lisette. Ich geh.--(Koemmt wieder.) Es ist wohl etwas Wichtiges? + +Lisidor. Ich glaube, du Maulaffe, willst es eher wissen, als sie? + +Lisette. Nur sachte! ich bin so neugierig nicht. + + + +Sechster Auftritt + +Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisidor. Ihr habt mich auf einmal ganz verwirrt gemacht. Doch nur +Geduld, ich will das Ding schon wieder in seine Wege bringen. Das +waere mir gelegen, wenn ich mir ein Paar andere Schwiegersoehne suchen +muesste! Ihr waret mir gleich so recht, und so ein Paar bekomme ich +nicht wieder zusammen, wenn ich mir sie auch bestellen liesse. + +Adrast. Sie sich andre Schwiegersoehne suchen?--Was fuer ein Unglueck +drohen Sie uns? + +Lisidor. Ihr wollt doch wohl nicht die Maedel heiraten, ohne sie zu +lieben? Da bin ich auch euer Diener. + +Theophan. Ohne sie zu lieben? + +Adrast. Wer sagt das? + +Lisidor. Was habt ihr denn sonst gesagt? + +Adrast. Ich bete Julianen an. + +Lisidor. Julianen? + +Theophan. Ich liebe Henrietten mehr, als mich selbst. + +Lisidor. Henrietten?--Uph! Wird mir doch auf einmal ganz wieder +leichte.--Ist das der Knoten? Also ist es weiter nichts, als dass sich +einer in des andern seine Liebste verliebt hat? Also waere der ganze +Plunder mit einem Tausche gutzumachen? + +Theophan. Wie guetig sind Sie, Lisidor! + +Adrast. Sie erlauben uns also-- + +Lisidor. Was will ich tun? Es ist doch immer besser, ihr tauscht vor +der Hochzeit, als dass ihr nach der Hochzeit tauscht. Wenn es meine +Toechter zufrieden sind, ich bin es zufrieden. + +Adrast. Wir schmeicheln uns, dass sie es sein werden.--Aber bei der +Liebe, Lisidor, die Sie gegen uns zeigen, kann ich unmoeglich anders, +ich muss Ihnen noch ein Gestaendnis tun. + +Lisidor. Noch eins? + +Adrast. Ich wuerde nicht rechtschaffen handeln, wenn ich Ihnen meine +Umstaende verhehlte. + +Lisidor. Was fuer Umstaende? + +Adrast. Mein Vermoegen ist so geschmolzen, dass ich, wenn ich alle +meine Schulden bezahle, nichts uebrig behalte. + +Lisidor. Oh! schweig doch davon. Habe ich schon nach deinem +Vermoegen gefragt? Ich weiss so wohl, dass du ein lockrer Zeisig gewesen +bist, und alles durchgebracht hast; aber eben deswegen will ich dir +eine Tochter geben, damit du doch wieder etwas hast.--Nur stille! da +sind sie; lasst mich machen. + + + +Siebenter Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisette. Hier bringe ich sie, Herr Lisidor. Wir sind hoechst begierig, +zu wissen, was Sie zu befehlen haben. + +Lisidor. Seht freundlich aus, Maedchens! ich will euch etwas +Froehliches melden: Morgen soll's richtig werden. Macht euch gefasst! + +Lisette. Was soll richtig werden? + +Lisidor. Fuer dich wird nichts mit richtig.--Lustig, Maedchens! +Hochzeit! Hochzeit!--Nu? Ihr seht ja so barmherzig aus? Was fehlt +dir, Juliane? + +Juliane. Sie sollen mich allezeit gehorsam finden; aber nur diesesmal +muss ich Ihnen vorstellen, dass Sie mich uebereilen wuerden.--Himmel! +morgen? + +Lisidor. Und du, Henriette? + +Henriette. Ich, lieber Herr Vater? ich werde morgen krank sein, +todsterbenskrank! + +Lisidor. Verschieb es immer bis uebermorgen. + +Henriette. Es kann nicht sein. Adrast weiss meine Ursachen. + +Adrast. Ich weiss, schoenste Henriette, dass Sie mich hassen. + +Theophan. Und sie, liebste Juliane, Sie wollen gehorsam sein?--Wie +nahe scheine ich meinem Gluecke zu sein, und wie weit bin ich +vielleicht noch davon entfernt!--Mit was fuer einem Gesichte soll ich +es Ihnen sagen, dass ich der Ehre Ihrer Hand unwert bin? dass ich mir +bei aller der Hochachtung, die ich fuer eine so vollkommene Person +hegen muss, doch nicht getraue, dasjenige fuer Sie zu empfinden, was ich +nur fuer eine einzige Person in der Welt empfinden will. + +Lisette. Das ist ja wohl gar ein Korb? Es ist nicht erlaubt, dass +auch Mannspersonen welche austeilen wollen. Hurtig also, Julianchen, +mit der Sprache heraus! + +Theophan. Nur ein eitles Frauenzimmer koennte meine Erklaerung +beleidigen; und ich weiss, dass Juliane ueber solche Schwachheiten so +weit erhaben ist,-- + +Juliane. Ach Theophan! ich hoere es schon: Sie haben zu scharfe +Blicke in mein Herz getan.-- + +Adrast. Sie sind nun frei, schoenste Juliane. Ich habe Ihnen kein +Bekenntnis weiter abzulegen, als das, welches ich Ihnen bereits +abgelegt habe.--Was soll ich hoffen? + +Juliane. Liebster Vater!--Adrast!--Theophan!--Schwester!-- + +Lisette. Nun merke ich alles. Geschwind muss das die Grossmama +erfahren. (Lisette laeuft ab.) + +Lisidor (zu Julianen). Siehst du, Maedchen, was du fuer Zeug angefangen +hast? + +Theophan. Aber Sie, liebste Henriette, was meinen Sie hierzu? Ist +Adrast nicht ein ungetreuer Liebhaber? Ach! wenn Sie Ihre Augen auf +einen getreuern werfen wollten! Wir sprachen vorhin von Rache, von +einer unschuldigen Rache-- + +Henriette. Top! Theophan: ich raeche mich. + +Lisidor. Fein bedaechtig, Henriette! Hast du schon die Krankheit auf +morgen vergessen? + +Henriette. Gut! Ich lasse mich verleugnen, wenn sie koemmt. + +Lisidor. Seid ihr aber nicht wunderliches Volk! Ich wollte jedem zu +seinem Rocke egales Futter geben, aber ich sehe wohl, euer Geschmack +ist bunt. Der Fromme sollte die Fromme, und der Lustige die Lustige +haben: Nichts! der Fromme will die Lustige, und der Lustige die +Fromme. + + + +Achter Auftritt + +Frau Philane mit Lisetten und die Vorigen. + + +Frau Philane. Kinder, was hoere ich? Ist es moeglich? + +Lisidor. Ja, Mama; ich glaube, Sie werden nicht dawider sein. Sie +wollen nun einmal so-- + +Frau Philane. Ich sollte dawider sein? Diese Veraendrung ist mein +Wunsch, mein Gebet gewesen. Ach! Adrast, ach! Henriette, fuer euch +habe ich oft gezittert! Ihr wuerdet ein unglueckliches Paar geworden +sein! Ihr braucht beide einen Gefaehrten, der den Weg besser kennet, +als ihr. Theophan, Sie haben laengst meinen Segen; aber wollen Sie +mehr als diesen, wollen Sie auch den Segen des Himmels haben, so +ziehen Sie eine Person aus Henrietten, die Ihrer wert ist. Und Sie, +Adrast, ich habe Sie wohl sonst fuer einen boesen Mann gehalten; doch +getrost! wer eine fromme Person lieben kann, muss selbst schon halb +fromm sein. Ich verlasse mich seinetwegen auf dich, Julchen.--Vor +allen Dingen bringe ihm bei, wackern Leuten, rechtschaffnen +Geistlichen, nicht so veraechtlich zu begegnen, als er dem Theophan +begegnet.-- + +Adrast. Ach! Madame, erinnern Sie mich an mein Unrecht nicht. +Himmel! wenn ich mich ueberall so irre, als ich mich bei ihnen, +Theophan, geirret habe: was fuer ein Mensch, was fuer ein abscheulicher +Mensch bin ich!-- + +Lisidor. Habe ich's nicht gesagt, dass ihr die besten Freunde werden +muesst, sobald als ihr Schwaeger seid? Das ist nur der Anfang! + +Theophan. Ich wiederhole es, Adrast: Sie sind besser, als Sie glauben; +besser, als Sie zeither haben scheinen wollen. + +Frau Philane. Nun! auch das ist mir ein Trost zu hoeren.--(Zum +Lisidor.) Komm, mein Sohn, fuehre mich. Das Stehen wird mir zu sauer, +und vor Freuden habe ich es ganz vergessen, dass ich Araspen allein +gelassen. + +Lisidor. Ja, wahrhaftig! da gibt's was zu erzaehlen! Kommen Sie, +Mama.--Aber keinen Tausch weiter! keinen Tausch weiter! + +Lisette. Wie uebel ist unsereinem dran, das nichts zu tauschen hat! + +(Ende des Freigeists.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Freigeist, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + + +End of Project Gutenberg's Der Freigeist, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FREIGEIST *** + +This file should be named 7frig10.txt or 7frig10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7frig11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7frig10a.txt + +Produced by Delphine Letttau + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Der Freigeist + +Gotthold Ephraim Lessing + +Ein Lustspiel in fünf Aufzügen + +Verfertigt im Jahre 1749 + + +Personen: + +Adrast, der Freigeist +Theophan, ein junger Geistlicher +Lisidor +Juliane und Henriette, Töchter des Lisidor +Frau Philane +Araspe, Theophans Vetter +Johann +Martin +Lisette +Ein Wechsler + +Die Szene ist ein Saal. + + + + + +Erster Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Adrast. Theophan. + + +Theophan. Werden Sie es übelnehmen, Adrast, wenn ich mich endlich +über den stolzen Kaltsinn beklage, den Sie nicht aufhören, gegen mich +zu äußern? Schon seit Monaten sind wir in einem Hause, und warten auf +einerlei Glück. Zwei liebenswürdige Schwestern sollen es uns machen. +Bedenken Sie doch, Adrast! können wir noch dringender eingeladen +werden, uns zu lieben, und eine Freundschaft unter uns zu stiften, wie +sie unter Brüdern sein sollte? Wie oft bin ich nicht darauf +bestanden?-- + +Adrast. Ebenso oft haben Sie gesehen, daß ich mich nicht einlassen +will. Freundschaft? Freundschaft unter uns?--Wissen Sie, muß ich +fragen, was Freundschaft ist? + +Theophan. Ob ich es weiß? + +Adrast. Alle Fragen bestürzen, deren wir nicht gewärtig sind. Gut, +Sie wissen es. Aber meine Art zu denken, und die Ihrige, diese kennen +Sie doch auch? + +Theophan. Ich verstehe Sie. Also sollen wir wohl Feinde sein? + +Adrast. Sie haben mich schön verstanden! Feinde? Ist denn kein +Mittel? Muß denn der Mensch eines von beiden, hassen, oder lieben? +Gleichgültig wollen wir einander bleiben. Und ich weiß, eigentlich +wünschen Sie dieses selbst. Lernen Sie wenigstens nur die +Aufrichtigkeit von mir. + +Theophan. Ich bin bereit. Werden Sie mich aber diese Tugend in aller +ihrer Lauterkeit lehren? + +Adrast. Erst fragen Sie sich selbst, ob sie Ihnen in aller ihrer +Lauterkeit gefallen würde? + +Theophan. Gewiß. Und Ihnen zu zeigen, ob Ihr künftiger Schüler +einige Fähigkeit dazu hat, wollen Sie mich wohl einen Versuch machen +lassen? + +Adrast. Recht gern. + +Theophan. Wo nur mein Versuch nicht ein Meisterstück wird. Hören Sie +also, Adrast--Aber erlauben Sie mir, daß ich mit einer Schmeichelei +gegen mich selbst anfange. Ich habe von jeher einigen Wert auf meine +Freundschaft gelegt; ich bin vorsichtig, ich bin karg damit gewesen. +Sie sind der erste, dem ich sie angeboten habe; und Sie sind der +einzige, dem ich sie aufdringen will.--Umsonst sagt mir Ihr +verächtlicher Blick, daß es mir nicht gelingen solle. Gewiß, es soll +mir gelingen. Ihr eigen Herz ist mir Bürge; Ihr eigen Herz, Adrast, +welches unendlich besser ist, als es Ihr Witz, der sich in gewisse +groß scheinende Meinungen verliebt hat, vielleicht wünschet. + +Adrast. Ich hasse die Lobsprüche, Theophan, und besonders die, welche +meinem Herzen auf Unkosten meines Verstandes gegeben werden. Ich weiß +eigentlich nicht, was das für Schwachheiten sein müssen (Schwachheiten +aber müssen es sein), derentwegen Ihnen mein Herz so wohlgefällt; das +aber weiß ich, daß ich nicht eher ruhen werde, als bis ich sie, durch +Hülfe meines Verstandes, daraus verdrungen habe. + +Theophan. Ich habe die Probe meiner Aufrichtigkeit kaum angefangen, +und Ihre Empfindlichkeit ist schon rege. Ich werde nicht weit kommen. + +Adrast. So weit als Sie wollen. Fahren Sie nur fort. + +Theophan. Wirklich?--Ihr Herz also ist das beste, das man finden kann. +Es ist zu gut, Ihrem Geiste zu dienen, den das Neue, das Besondere +geblendet hat, den ein Anschein von Gründlichkeit zu glänzenden +Irrtümern dahinreißt, und der, aus Begierde bemerkt zu werden, Sie mit +aller Gewalt zu etwas machen will, was nur Feinde der Tugend, was nur +Bösewichter sein sollten. Nennen Sie es, wie Sie wollen: Freidenker, +starker Geist, Deist; ja, wenn Sie ehrwürdige Benennungen mißbrauchen +wollen, nennen Sie es Philosoph: es ist ein Ungeheuer, es ist die +Schande der Menschheit. Und Sie, Adrast, den die Natur zu einer +Zierde derselben bestimmte, der nur seinen eignen Empfindungen folgen +dürfte, um es zu sein; Sie, mit einer solchen Anlage zu allem, was +edel und groß ist, Sie entehren sich vorsätzlich. Sie stürzen sich +mit Bedacht aus Ihrer Höhe herab, bei dem Pöbel der Geister einen Ruhm +zu erlangen, für den ich lieber aller Welt Schande wählen wollte. + +Adrast. Sie vergessen sich, Theophan, und wenn ich Sie nicht +unterbreche, so glauben Sie endlich gar, daß Sie sich an dem Platze +befinden, auf welchem Ihresgleichen ganze Stunden ungestört schwatzen +dürfen. + +Theophan. Nein, Adrast, Sie unterbrechen keinen überlästigen Prediger; +besinnen Sie sich nur: Sie unterbrechen bloß einen Freund,--wider +Ihren Willen nenne ich mich so,--der eine Probe seiner Freimütigkeit +ablegen sollte. + +Adrast. Und eine Probe seiner Schmeichelei abgeleget hat;--aber einer +verdeckten Schmeichelei, einer Schmeichelei, die eine gewisse +Bitterkeit annimmt, um destoweniger Schmeichelei zu scheinen.--Sie +werden machen, daß ich Sie endlich auch verachte.--Wenn Sie die +Freimütigkeit kennten, so würden Sie mir alles unter die Augen gesagt +haben, was Sie in Ihrem Herzen von mir denken. Ihr Mund würde mir +keine gute Seite geliehen haben, die mir Ihre innere Überzeugung nicht +zugestehet. Sie würden mich geradeweg einen Ruchlosen gescholten +haben, der sich der Religion nur deswegen zu entziehen suche, damit er +seinen Lüsten desto sicherer nachhängen könne. Um sich pathetischer +auszudrücken, würden Sie mich einen Höllenbrand, einen eingefleischten +Teufel genannt haben. Sie würden keine Verwünschungen gespart, kurz, +Sie würden sich so erwiesen haben, wie sich ein Theolog gegen die +Verächter seines Aberglaubens, und also auch seines Ansehens, erweisen +muß. + +Theophan. Ich erstaune. Was für Begriffe! + +Adrast. Begriffe, die ich von tausend Beispielen abgesondert habe.-- +Doch wir kommen zu weit. Ich weiß, was ich weiß, und habe längst +gelernt, die Larve von dem Gesichte zu unterscheiden. Es ist eine +Karnevalserfahrung: je schöner die erste, desto häßlicher das andere. + +Theophan. Sie wollen damit sagen-- + +Adrast. Ich will nichts damit sagen, als daß ich noch zu wenig Grund +habe, die Allgemeinheit meines Urteils von den Gliedern Ihres Standes, +um Ihretwillen einzuschränken. Ich habe mich nach den Ausnahmen zu +lange vergebens umgesehen, als daß ich hoffen könnte, die erste an +Ihnen zu finden. Ich müßte Sie länger, ich müßte Sie unter +verschiedenen Umständen gekannt haben, wenn-- + +Theophan. Wenn Sie meinem Gesichte die Gerechtigkeit widerfahren +lassen sollten, es für keine Larve zu halten. Wohl! Aber wie können +Sie kürzer dazu gelangen, als wenn Sie mich Ihres nähern Umganges +würdigen? Machen Sie mich zu Ihrem Freunde, stellen Sie mich auf die +Probe-- + +Adrast. Sachte! die Probe käme zu spät, wenn ich Sie bereits zu +meinem Freunde angenommen hätte. Ich habe geglaubt, sie müsse +vorhergehen. + +Theophan. Es gibt Grade in der Freundschaft, Adrast; und ich verlange +den vertrautesten noch nicht. + +Adrast. Kurz, auch zu dem niedrigsten können Sie nicht fähig sein. + +Theophan. Ich kann nicht dazu fähig sein? Wo liegt die Unmöglichkeit? + +Adrast. Kennen Sie, Theophan, wohl ein Buch, welches das Buch aller +Bücher sein soll; welches alle unsere Pflichten enthalten, welches uns +zu allen Tugenden die sichersten Vorschriften erteilen soll, und +welches der Freundschaft gleichwohl mit keinem Worte gedenkt? Kennen +Sie dieses Buch? + +Theophan. Ich sehe Sie kommen, Adrast. Welchem Collin haben Sie +diesen armseligen Einwurf abgeborgt? + +Adrast. Abgeborgt, oder selbst erfunden: es ist gleich viel. Es muß +ein kleiner Geist sein, der sich Wahrheiten zu borgen schämt. + +Theophan. Wahrheiten!--Sind Ihre übrigen Wahrheiten von gleicher +Güte? Können Sie mich einen Augenblick anhören? + +Adrast. Wieder predigen? + +Theophan. Zwingen Sie mich nicht darzu? Oder wollen Sie, daß man +Ihre seichten Spöttereien unbeantwortet lassen soll, damit es scheine, +als könne man nicht darauf antworten? + +Adrast. Und was können Sie denn darauf antworten? + +Theophan. Dieses. Sagen Sie mir, ist die Liebe unter der +Freundschaft, oder die Freundschaft unter der Liebe begriffen? +Notwendig das letztere. Derjenige also, der die Liebe in ihrem +allerweitesten Umfange gebietet, gebietet der nicht auch die +Freundschaft? Ich sollte es glauben; und es ist so wenig wahr, daß +unser Gesetzgeber die Freundschaft seines Gebotes nicht würdig +geschätzt habe, daß er vielmehr seine Lehre zu einer Freundschaft +gegen die ganze Welt gemacht hat. + +Adrast. Sie bürden ihm Ungereimtheiten auf. Freundschaft gegen die +ganze Welt? Was ist das? Mein Freund muß kein Freund der ganzen Welt +sein. + +Theophan. Und also ist Ihnen wohl nichts Freundschaft als jene +Übereinstimmung der Temperamente, jene angeborne Harmonie der Gemüter, +jener heimliche Zug gegeneinander, jene unsichtbare Kette, die zwei +einerlei denkende, einerlei wollende Seelen verknüpfet? + +Adrast. Ja, nur dieses ist mir Freundschaft. + +Theophan. Nur dieses? Sie widersprechen sich also selbst. + +Adrast. Oh! daß ihr Leute doch überall Widersprüche findet, außer +nur da nicht, wo sie wirklich sind! + +Theophan. Überlegen Sie es. Wenn diese, ohne Zweifel nicht +willkürliche, Übereinstimmung der Seelen, diese in uns liegende +Harmonie mit einem andern einzelnen Wesen allein die wahre +Freundschaft ausmacht: wie können Sie verlangen, daß sie der +Gegenstand eines Gesetzes sein soll? Wo sie ist, darf sie nicht +geboten werden; und wo sie nicht ist, da wird sie umsonst geboten. +Und wie können Sie es unserm Lehrer zur Last legen, daß er die +Freundschaft in diesem Verstande übergangen hat? Er hat uns eine +edlere Freundschaft befohlen, welche jenes blinden Hanges, den auch +die unvernünftigen Tiere nicht missen, entbehren kann: eine +Freundschaft, die sich nach erkannten Vollkommenheiten mitteilet; +welche sich nicht von der Natur lenken läßt, sondern welche die Natur +selbst lenket. + +Adrast. O Geschwätze! + +Theophan. Ich muß Ihnen dieses sagen, Adrast, ob Sie es gleich +ebensowohl wissen könnten, als ich; und auch wissen sollten. Was +würden Sie selbst von mir denken, wenn ich den Verdacht nicht mit +aller Gewalt von mir abzulenken suchte, als mache mich die Religion zu +einem Verächter der Freundschaft, die Religion, die Sie nur allzugern +aus einem wichtigen Grunde verachten möchten?--Sehen Sie mich nicht so +geringschätzig an; wenden Sie sich nicht auf eine so beleidigende Art +von mir-- + +Adrast (beiseite). Das Pfaffengeschmeiß!-- + +Theophan. Ich sehe, Sie gebrauchen Zeit, den ersten Widerwillen zu +unterdrücken, den eine widerlegte Lieblingsmeinung natürlicherweise +erregt.--Ich will Sie verlassen. Ich erfuhr itzt ohnedem, daß einer +von meinen Anverwandten mit der Post angelangt sei. Ich gehe ihm +entgegen, und werde die Ehre haben Ihnen denselben vorzustellen. + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast.--Daß ich ihn nimmermehr wiedersehen dürfte! Welcher von euch +Schwarzröcken wäre auch kein Heuchler?--Priestern habe ich mein +Unglück zu danken. Sie haben mich gedrückt, verfolgt, so nahe sie +auch das Blut mit mir verbunden hatte. Hassen will ich dich, Theophan +und alle deines Ordens! Muß ich denn auch hier in die Verwandtschaft +der Geistlichkeit geraten?--Er, dieser Schleicher, dieser blöde +Verleugner seines Verstandes, soll mein Schwager werden?--Und mein +Schwager durch Julianen?--Durch Julianen?--Welch grausames Geschick +verfolgt mich doch überall! Ein alter Freund meines verstorbenen +Vaters trägt mir eine von seinen Töchtern an. Ich eile herbei, und +muß zu spät kommen, und muß die, welche auf den ersten Anblick mein +ganzes Herz hatte, die, mit der ich allein glücklich leben konnte, +schon versprochen finden. Ach Juliane! So warest du mir nicht +bestimmt? du, die ich liebe? Und so soll ich mich mit einer +Schwester begnügen, die ich nicht liebe?-- + + + +Dritter Auftritt + +Lisidor. Adrast. + + +Lisidor. Da haben wir's! Schon wieder allein, Adrast? Sagen Sie mir, +müssen die Philosophen so zu Winkel kriechen? Ich wollte doch lieber +sonst was sein--Und, wenn ich recht gehört habe, so sprachen Sie ja +wohl gar mit sich selber? Nu, nu! es ist schon wahr: ihr Herren +Grillenfänger könnt freilich mit niemand Klügerm reden, als mit euch +selber. Aber gleichwohl ist unsereiner auch kein Katzenkopf. Ich +schwatze eins mit, es mag sein, von was es will. + +Adrast. Verzeihen Sie-- + +Lisidor. Je, mit Seinem Verzeihen! Er hat mir ja noch nichts zuwider +getan--Ich habe gern, wenn die Leute lustig sind. Und ich will kein +ehrlicher Mann sein, wenn ich mir nicht eine rechte Freude darauf +eingebildet habe, den Wildfang, wie sie Ihn sonst zu Hause nannten, zu +meinem Schwiegersohne zu haben. Freilich ist Er seitdem groß +gewachsen; Er ist auf Reisen gewesen; Er hat Land und Leute gesehen. +Aber, daß Er so gar sehr verändert würde wiedergekommen sein, das +hätte ich mir nicht träumen lassen. Da geht Er nun, und spintisiert +von dem, was ist--und was nicht ist,--von dem, was sein könnte, und +wenn es sein könnte, warum es wieder nicht sein könnte;--von der +Notwendigkeit, der halben und ganzen, der notwendigen Notwendigkeit, +und der nicht notwendigen Notwendigkeit;--von den A--A--wie heißen die +kleinen Dingerchen, die so in den Sonnenstrahlen herumfliegen? von +den A--A--Sage doch, Adrast-- + +Adrast. Von den Atomis, wollen Sie sagen. + +Lisidor. Ja, ja, von den Atomis, von den Atomis. So heißen sie, weil +man ihrer ein ganz Tausend mit einem Atem hinunterschlucken kann. + +Adrast. Ha! ha! ha! + +Lisidor. Er lacht, Adrast? Ja, mein gutes Bürschchen, du mußt nicht +glauben, daß ich von den Sachen ganz und gar nichts verstehe. Ich +habe euch, Ihn und den Theophan, ja oft genug darüber zanken hören. +Ich behalte mir das Beste. Wenn ihr euch in den Haaren liegt, so +fische ich im trüben. Da fällt manche Brocke ab, die keiner von euch +brauchen kann, und die ist für mich. Ihr dürft deswegen nicht +neidisch auf mich sein; denn ich bereichere mich nicht von einem +allein. Das nehme ich von dir, mein lieber Adrast; und das vom +Theophan; und aus allen dem mache ich mir hernach ein Ganzes-- + +Adrast. Das vortrefflich ungeheuer sein muß. + +Lisidor. Wieso? + +Adrast. Sie verbinden Tag und Nacht, wenn Sie meine mit Theophans +Gedanken verbinden. + +Lisidor. Je nu! so wird eine angenehme Dämmerung daraus.--Und +überhaupt ist es nicht einmal wahr, daß ihr so sehr voneinander +unterschieden wäret. Einbildungen! Einbildungen! Wie vielmal habe +ich nicht allen beiden zugleich recht gegeben? Ich bin es nur +allzuwohl überzeugt, daß alle ehrliche Leute einerlei glauben. + +Adrast. Sollten! sollten! das ist wahr. + +Lisidor. Nun da sehe man! was ist nun das wieder für ein +Unterscheid? Glauben, oder glauben sollen: es kömmt auf eines heraus. +Wer kann alle Worte so abzirkeln?--Und ich wette was, wenn ihr nur +erst werdet Schwäger sein, kein Ei wird dem andern ähnlicher sein +können.-- + +Adrast. Als ich dem Theophan, und er mir? + +Lisidor. Gewiß. Noch wißt ihr nicht, was das heißt, miteinander +verwandt sein. Der Verwandtschaft wegen wird der einen Daumen breit, +und der einen Daumen breit nachgeben. Und einen Daumen breit, und +wieder einen Daumen breit, das macht zwei Daumen breit; und zwei +Daumen breit--ich bin ein Schelm, wenn ihr die auseinander seid.-- +Nichts aber könnte mich in der Welt wohl so vergnügen, als daß meine +Töchter so vortrefflich für euch passen. Die Juliane ist eine geborne +Priesterfrau; und Henriette--in ganz Deutschland muß kein Mädchen zu +finden sein, das sich für Ihn, Adrast, besser schickte. Hübsch, +munter, fix; sie singt, sie tanzt, sie spielt; kurz, sie ist meine +leibhafte Tochter. Juliane dargegen ist die liebe, heilige Einfalt. + +Adrast. Juliane? Sagen Sie das nicht. Ihre Vollkommenheiten fallen +vielleicht nur weniger in die Augen. Ihre Schönheit blendet nicht; +aber sie geht ans Herz. Man läßt sich gern von ihren stillen Reizen +fesseln, und man biegt sich mit Bedacht in ihr Joch, das uns andere in +einer fröhlichen Unbesonnenheit überwerfen müssen. Sie redet wenig; +aber auch ihr geringstes Wort hat Vernunft. + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Es ist wahr: Henriette weiß sich frei und witzig auszudrücken. +Würde es aber Juliane nicht auch können, wenn sie nur wollte, und +wenn sie nicht Wahrheit und Empfindung jenem prahlenden Schimmer +vorzöge? Alle Tugenden scheinen sich in ihrer Seele verbunden zu +haben-- + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Es sei ferne, daß ich Henrietten irgend eine Tugend +absprechen sollte. Aber es gibt ein gewisses Äußeres, welches sie +schwerlich vermuten ließe, wenn man nicht andre Gründe für sie hätte. +Julianens gesetzte Anmut, ihre ungezwungene Bescheidenheit, ihre +ruhige Freude, ihre-- + +Lisidor. Und Henriettens? + +Adrast. Henriettens wilde Annehmlichkeiten, ihre wohl lassende +Dreustigkeit, ihre fröhlichen Entzückungen stechen mit den gründlichen +Eigenschaften ihrer Schwester vortrefflich ab. Aber Juliane gewinnt +dabei-- + +Lisidor. Und Henriette? + +Adrast. Verlieret dabei nichts. Nur daß Juliane-- + +Lisidor. Ho! ho! Herr Adrast, ich will doch nicht hoffen, daß Sie +auch an der Narrheit krank liegen, welche die Leute nur das für gut +und schön erkennen läßt, was sie nicht bekommen können. Wer Henker +hat Sie denn gedungen, Julianen zu loben? + +Adrast. Fallen Sie auf nichts Widriges. Ich habe bloß zeigen wollen, +daß mich die Liebe für meine Henriette gegen die Vorzüge ihrer +Schwester nicht blind mache. + +Lisidor. Nu, nu! wenn das ist, so mag es hingehen. Sie ist auch +gewiß ein gutes Kind, die Juliane. Sie ist der Augapfel ihrer +Großmutter. Und das gute, alte Weib hat tausendmal gesagt, die Freude +über ihr Julchen erhielte sie noch am Leben. + +Adrast. Ach! + +Lisidor. Das war ja gar geseufzt. Was Geier ficht Ihn an? Pfui! +Ein junger gesunder Mann, der alle Viertelstunden eine Frau nehmen +will, wird seufzen? Spare Er Sein Seufzen, bis Er die Frau hat! + + + +Vierter Auftritt + +Johann. Adrast. Lisidor. + + +Johann. Pst! Pst! + +Lisidor. Nu? Nu? + +Johann. Pst! Pst! + +Adrast. Was gibt's? + +Johann. Pst! Pst! + +Lisidor. Pst! Pst! Mosjeu Johann. Kann der Schurke nicht näher +kommen? + +Johann. Pst, Herr Adrast! Ein Wort im Vertrauen. + +Adrast. So komm her! + +Johann. Im Vertrauen, Herr Adrast. + +Lisidor (welcher auf ihn zu geht). Nun? was willst du? + +Johann (geht auf die andre Seite). Pst! Herr Adrast, nur ein +Wörtchen, ganz im Vertrauen! + +Adrast. So pack dich her, und rede. + +Lisidor. Rede! rede! Was kann der Schwiegersohn haben, das der +Schwiegervater nicht hören dürfte? + +Johann. Herr Adrast! (Zieht ihn an dem Ärmel beiseite.) + +Lisidor. Du Spitzbube, willst mich mit aller Gewalt vom Platze haben. +Rede nur, rede! ich gehe schon. + +Johann. Oh! Sie sind gar zu höflich. Wenn Sie einen kleinen +Augenblick dort in die Ecke treten wollen: so können Sie immer da +bleiben. + +Adrast. Bleiben Sie doch! ich bitte. + +Lisidor. Nu! wenn ihr meint--(indem er auf sie zu kömmt). + +Adrast. Nun sage, was willst du? + +Johann (welcher sieht, daß ihm Lisidor wieder nahe steht). Nichts. + +Adrast. Nichts? + +Johann. Nichts, gar nichts. + +Lisidor. Das Wörtchen im Vertrauen, hast du es schon wieder vergessen? + +Johann. Potz Stern! sind Sie da? Ich denke, Sie stehen dort im +Winkel. + +Lisidor. Narre, der Winkel ist näher gerückt. + +Johann. Daran hat er sehr unrecht getan. + +Adrast. Halte mich nicht länger auf, und rede. + +Johann. Herr Lisidor, mein Herr wird böse. + +Adrast. Ich habe vor ihm nichts Geheimes: rede! + +Johann. So habe ich auch nichts für Sie. + +Lisidor. Galgendieb, ich muß dir nur deinen Willen tun.--Ich gehe auf +meine Stube, Adrast: wenn Sie zu mir kommen wollen-- + +Adrast. Ich werde Ihnen gleich folgen. + + + +Fünfter Auftritt + +Johann. Adrast, + + +Johann. Ist er fort? + +Adrast. Was hast du mir denn zu sagen? Ich wette, es ist eine +Kleinigkeit; und der Alte wird sich einbilden, daß es Halssachen sind. + +Johann. Eine Kleinigkeit? Mit einem Worte, Herr Adrast, wir sind +verloren. Und Sie konnten verlangen, daß ich es in Gegenwart des +Lisidors sagen sollte? + +Adrast. Verloren? Und wie denn? Erkläre dich. + +Johann. Was ist da zu erklären? Kurz, wir sind verloren.--Aber so +unvorsichtig hätte ich mir Sie doch nimmermehr eingebildet, daß Sie es +sogar Ihren künftigen Schwiegervater wollten hören lassen-- + +Adrast. So laß mich es nur hören-- + +Johann. Wahrhaftig, er hätte die Lust auf einmal verlieren können, es +jemals zu werden.--So ein Streich! + +Adrast. Nun? was denn für ein Streich? Wie lange wirst du mich noch +martern? + +Johann. Ein ganz verdammter Streich.--Ja, ja! wenn der Bediente +nicht oft behutsamer wäre, als der Herr: es würden artige Dinge +herauskommen. + +Adrast. Nichtswürdiger Schlingel-- + +Johann. Ho, ho! ist das mein Dank? Wenn ich es doch nur gesagt +hätte, wie der Alte da war. Wir hätten wollen sehen! wir hätten +wollen sehen-- + +Adrast. Daß dich dieser und jener-- + +Johann. Ha, ha! nach dem diesen und jenen wird nicht mehr gefragt. +Ich weiß doch wohl, daß Sie den Teufel meinen, und daß keiner ist. +Ich müßte wenig von Ihnen gelernt haben, wenn ich nicht der ganzen +Hölle ein Schnippchen schlagen wollte. + +Adrast. Ich glaube, du spielst den Freigeist? Ein ehrlicher Mann +möchte einen Ekel davor bekommen, wenn er sieht, daß es ein jeder +Lumpenhund sein will.--Aber ich verbiete dir nunmehr, mir ein Wort zu +sagen. Ich weiß doch, daß es nichts ist. + +Johann. Ich sollte es Ihnen nicht sagen? Ich sollte Sie so in Ihr +Unglück rennen lassen? Das wollen wir sehen. + +Adrast. Gehe mir aus den Augen! + +Johann. Nur Geduld!--Sie erinnern sich doch wohl so ohngefähr, wie +Sie Ihre Sachen zu Hause gelassen haben? + +Adrast. Ich mag nichts wissen. + +Johann. Ich sage Ihnen ja auch noch nichts.--Sie erinnern sich doch +wohl auch der Wechsel, die Sie an den Herrn Araspe vor Jahr und Tag +ausstellten? + +Adrast. Schweig, ich mag nichts davon hören. + +Johann. Ohne Zweifel, weil Sie sie vergessen wollen? Wenn sie nur +dadurch bezahlt würden.--Aber wissen Sie denn auch, daß sie verfallen +sind? + +Adrast. Ich weiß, daß du dich nicht darum zu bekümmern hast. + +Johann. Auch das verbeiße ich.--Sie denken freilich: Weit davon, ist +gut für den Schuß; und Herr Araspe hat eben nicht nötig, so sehr +dahinterher zu sein. Aber, was meinen Sie, wenn ich den Herrn Araspe-- + +Adrast. Nun was? + +Johann. Jetzt den Augenblick vom Postwagen hätte steigen sehen? + +Adrast. Was sagst du? Ich erstaune-- + +Johann. Das tat ich auch, als ich ihn sah. + +Adrast. Du, Araspen gesehen? Araspen hier? + +Johann. Mein Herr, ich habe mich auf den Fuß gesetzt, daß ich Ihre +und meine Schuldner gleich auf den ersten Blick erkenne; ja ich rieche +sie schon, wenn sie auch noch hundert Schritt von mir sind. + +Adrast (nachdem er nachgedacht). Ich bin verloren! + +Johann. Das war ja mein erstes Wort. + +Adrast. Was ist anzufangen? + +Johann. Das beste wird sein: wir packen auf, und ziehen weiter. + +Adrast. Das ist unmöglich. + +Johann. Nun so machen Sie sich gefaßt, zu bezahlen. + +Adrast. Das kann ich nicht; die Summe ist zu groß. + +Johann. Oh! ich sagte auch nur so.--Sie sinnen? + +Adrast. Doch wer weiß auch, ob er ausdrücklich meinetwegen +hergekommen ist. Er kann andre Geschäfte haben. + +Johann. Je nu! so wird er das Geschäfte mit Ihnen so beiher treiben. +Wir sind doch immer geklatscht. + +Adrast. Du hast recht.--Ich möchte rasend werden, wenn ich an alle +die Streiche gedenke, die mir ein ungerechtes Schicksal zu spielen +nicht aufhört.--Doch wider wen murre ich? Wider ein taubes Ohngefähr? +Wider einen blinden Zufall, der uns ohne Absicht und ohne Vorsatz +schwerfällt? Ha! nichtswürdiges Leben!-- + +Johann. Oh! lassen Sie mir das Leben ungeschimpft. So einer +Kleinigkeit wegen sich mit ihm zu überwerfen, das wäre was Gescheutes! + +Adrast. So rate mir doch, wenn du es für eine Kleinigkeit ansiehst. + +Johann. Fällt Ihnen im Ernste kein Mittel ein?--Bald werde ich Sie +gar nicht mehr für den großen Geist halten, für den ich Sie doch immer +gehalten habe. Fortgehen wollen Sie nicht; bezahlen können Sie nicht: +was ist denn noch übrig? + +Adrast. Mich ausklagen zu lassen. + +Johann. O pfui! Worauf ich gleich zuerst fallen würde, wenn ich auch +bezahlen könnte-- + +Adrast. Und was ist denn das? + +Johann. Schwören Sie den Bettel ab. + +Adrast (mit einer bittern Verachtung). Schurke! + +Johann. Wie? Was bin ich? So einen brüderlichen Rat-- + +Adrast. Ja wohl ein brüderlicher Rat, den du nur deinen Brüdern, +Leuten deinesgleichen, geben solltest. + +Johann. Sind Sie Adrast? Ich habe Sie wohl niemals über das Schwören +spotten hören? + +Adrast. Über das Schwören, als Schwören, nicht aber als eine bloße +Beteurung seines Wortes. Diese muß einem ehrlichen Manne heilig sein, +und wenn auch weder Gott noch Strafe ist. Ich würde mich ewig schämen, +meine Unterschrift geleugnet zu haben, und ohne Verachtung meiner +selbst, nie mehr meinen Namen schreiben können. + +Johann. Aberglauben über Aberglauben. Zu einer Türe haben Sie ihn +herausgejagt, und zu der andern lassen Sie ihn wieder herein. + +Adrast. Schweig! ich mag dein lästerliches Geschwätze nicht anhören. +Ich will Araspen aufsuchen. Ich will ihm Vorstellungen tun; ich will +ihm von meiner Heirat sagen; ich will ihm Zinsen über Zinsen +versprechen.--Ich treffe ihn doch wohl noch in dem Posthause? + +Johann. Vielleicht.--Da geht er, der barmherzige Schlucker. Das Maul +ist groß genug an ihm; aber wenn es dazu kömmt, daß er das, was er +glaubt, mit Taten beweisen soll, da zittert das alte Weib! Wohl dem, +der nach seiner Überzeugung auch leben kann! So hat er doch noch +etwas davon. Ich sollte an seiner Stelle sein.--Doch ich muß nur +sehen, wo er bleibt. + +(Ende des ersten Aufzugs.) + + + + + +Zweiter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. + + +Lisette. Vor allen Dingen, meine lieben Mamsells, ehe ich Ihre kleine +Streitigkeit schlichte, lassen Sie uns ausmachen, welcher von Ihnen +ich heute zugehöre. Sie wissen wohl, Ihre Herrschaft über mich ist +umzechig. Denn weil es unmöglich sein soll, zweien Herren zu dienen, +So hat Ihr wohlweiser Papa--neigen Sie sich, Mamsells, neigen Sie sich! +--so hat, sage ich, Ihr wohlweiser Papa wohlbedächtig mich damit +verschonen wollen, das Unmögliche möglich zu machen. Er hat jede von +Ihnen einen Tag um den andern zu meiner hauptsächlichen Gebieterin +gemacht; so daß ich den einen Tag der sanften Juliane ehrbares Mädchen, +und den andern der muntern Henriette wilde Lisette sein muß. Aber +jetzt, seitdem die fremden Herren im Hause sind-- + +Henriette. Unsre Anbeter meinst du-- + +Lisette. Ja, ja! Ihre Anbeter, welche bald Ihre hochbefehlenden +Ehemänner sein werden--Seitdem, sage ich, diese im Hause sind, geht +alles drüber und drunter; ich werde aus einer Hand in die andere +geschmissen; und ach! unsere schöne Ordnung liegt mit dem Nähzeuge, +das Sie seit eben der Zeit nicht angesehen haben, unterm Nachttische. +Hervor wieder damit! Ich muß wissen, woran ich mit Ihnen bin, wenn +ich ein unparteiisches Urteil fällen soll. + +Henriette. Das wollen wir bald ausrechnen.--Du besinnst dich doch +wohl auf den letzten Feiertag, da dich meine Schwester mit in die +Nachmittagspredigt schleppte, so gerne du auch mit mir auf unser +Vorwerk gefahren wärest? Du warst damals sehr strenge, Juliane!-- + +Juliane. Ich habe doch wohl nicht einer ehrlichen Seele einen +vergeblichen Weg nach ihr hinaus gemacht? + +Henriette. Lisette-- + +Lisette. Stille, Mamsell Henriette! nicht aus der Schule geschwatzt, +oder-- + +Henriette. Mädchen drohe nicht! Du weißt wohl, ich habe ein gut +Gewissen. + +Lisette. Ich auch.--Doch lassen Sie uns nicht das Hundertste ins +Tausendste schwatzen.--Recht! an den Feiertag will ich gedenken! Er +war der letzte in unsrer Ordnung; denn noch den Abend kam Theophan an. + +Henriette. Und also, mit Erlaubnis meiner Schwester, bist du heute +meine. + +Juliane. Ohne Widerrede. + +Lisette. Juchhei! Mamsellchen. Ich bin also heute Ihre: Juchhei! + +Juliane. Ist das dein Lösungswort unter ihrer Fahne? + +Lisette. Ohne weitre Umstände: erzählen Sie mir nunmehr Ihre +Streitigkeit.--Unterdessen lege ich mein Gesicht in richterliche +Falten. + +Juliane. Streitigkeit? Eine wichtige Streitigkeit? Ihr seid beide +Schäkerinnen.--Ich will nichts mehr davon hören. + +Henriette. So? Du willst keinen Richter erkennen? Ein klarer Beweis, +daß du unrecht hast.--Höre nur, Lisette! wir haben über unsre +Anbeter gezankt. Ich will die Dinger immer noch so nennen, mag doch +zuletzt daraus werden, was da will. + +Lisette. Das dachte ich. Über was könnten sich zwei gute Schwestern +auch sonst zanken? Es ist freilich verdrießlich, wenn man sein +künftiges Haupt verachten hört. + +Henriette. Schwude! Mädchen; du willst ganz auf die falsche Seite. +Keine hat des andern Anbeter verachtet; sondern unser Zank kam daher, +weil eine des andern Anbeter--schon wieder Anbeter!--allzusehr erhob. + +Lisette. Eine neue Art Zanks! wahrhaftig, eine neue Art! + +Henriette. Kannst du es anders sagen, Juliane? + +Juliane. Oh! verschone mich doch damit. + +Henriette. Hoffe auf kein Verschonen, wenn du nicht widerrufst.--Sage, +Lisette, hast du unsre Männerchen schon einmal gegeneinander +gehalten? Was dünkt dich? Juliane macht ihren armen Theophan +herunter, als wenn er ein kleines Ungeheuer wäre. + +Juliane. Unartige Schwester! Wann habe ich dieses getan? Mußt du +aus einer flüchtigen Anmerkung, die du mir gar nicht hättest aufmutzen +sollen, solche Folgen ziehen? + +Henriette. Ich seh, man muß dich böse machen, wenn du mit der Sprache +heraus sollst.--Eine flüchtige Anmerkung nennst du es? Warum +strittest du denn über ihre Gründlichkeit? + +Juliane. Du hast doch närrische Ausdrücke! Fingst du nicht den +ganzen Handel selbst an? Ich glaubte, wie sehr ich dir schmeicheln +würde, wenn ich deinen Adrast den wohlgemachtesten Mann nennte, den +ich jemals gesehen hätte. Du hättest mir für meine Gesinnungen danken, +nicht aber widersprechen sollen. + +Henriette. Sieh, wie wunderlich du bist! Was war mein Widerspruch +anders, als ein Dank? Und wie konnte ich mich nachdrücklicher +bedanken, als wenn ich den unverdienten Lobspruch auf deinen Theophan +zurückschob?-- + +Lisette. Sie hat recht! + +Juliane. Nein, sie hat nicht recht. Denn eben dieses verdroß mich. +Muß sie auf einen so kindischen Fuß mit mir umgehen? Sahe sie mich +nicht dadurch für ein kleines spielendes Mädchen an, das zu ihr gesagt +hätte: Deine Puppe ist die schönste; und dem sie also, um es nicht +böse zu machen, antworten müßte: Nein, deine ist die schönste? + +Lisette. Nun hat sie recht! + +Henriette. Oh! geh, du bist eine artige Richterin. Hast du schon +vergessen, daß du mir heute angehörst? + +Lisette. Desto schärfer eben werde ich gegen Sie sein, damit ich +nicht parteiisch lasse. + +Juliane. Glaube mir nur, daß ich bessere Eigenschaften an einer +Mannsperson zu schätzen weiß, als seine Gestalt. Und es ist genug, +daß ich diese bessern Eigenschaften an dem Theophan finde. Sein Geist- +- + +Henriette. Von dem ist ja nicht die Rede. Jetzt kömmt es auf den +Körper an, und dieser ist an dem Theophan schöner, du magst sagen, was +du willst. Adrast ist besser gewachsen: gut; er hat einen schönern +Fuß: ich habe nichts dawider. Aber laß uns auf das Gesicht kommen.-- + +Juliane. So stückweise habe ich mich nicht eingelassen. + +Henriette. Das ist eben dein Fehler.--Was für ein Stolz, was für eine +Verachtung aller andern blickt nicht dem Adrast aus jeder Miene! Du +wirst es Adel nennen; aber machst du es dadurch schön? Umsonst sind +seine Gesichtszüge noch so regelmäßig: sein Eigensinn, seine Lust zum +Spotten hat eine gewisse Falte hineingebracht, die ihm in meinen Augen +recht häßlich läßt. Aber ich will sie ihm gewiß herausbringen: laß +nur die Flitterwochen erst vorbei sein.--Dein Theophan hingegen hat +das liebenswürdigste Gesicht von der Welt. Es herrscht eine +Freundlichkeit darin, die sich niemals verleugnet.-- + +Juliane. Sage mir doch nur nichts, was ich ebensogut bemerkt habe, +als du. Allein eben diese seine Freundlichkeit ist nicht sowohl das +Eigentum seines Gesichts, als die Folge seiner innern Ruhe. Die +Schönheit der Seele bringt auch in einen ungestalteten Körper Reize; +so wie ihre Häßlichkeit dem vortrefflichsten Baue und den schönsten +Gliedern desselben, ich weiß nicht was eindrückt, das einen +unzuerklärenden Verdruß erwecket. Wenn Adrast eben der fromme Mann +wäre, der Theophan ist; wenn seine Seele von ebenso göttlichen +Strahlen der Wahrheit, die er sich mit Gewalt zu verkennen bestrebet, +erleuchtet wäre: so würde er ein Engel unter den Menschen sein; da er +jetzt kaum ein Mensch unter den Menschen ist. Zürne nicht, Henriette, +daß ich so verächtlich von ihm rede. Wenn er in gute Hände fällt, +kann er noch alles das werden, was er jetzt nicht ist, weil er es nie +hat sein wollen. Seine Begriffe von der Ehre, von der natürlichen +Billigkeit sind vortrefflich.-- + +Henriette (spöttisch). Oh! du machst ihn auch gar zu sehr herunter.-- +Aber im Ernste, kann ich nicht sagen, daß du mich nunmehr für das +kleine spielende Mädchen ansiehst? Ich mag ja nicht von dir +seinetwegen zufriedengestellt sein. Er ist, wie er ist, und lange gut +für mich. Du sprachst von guten Händen, in die er fallen müßte, wenn +noch was aus ihm werden sollte. Da er in meine nunmehr gefallen ist, +wird er wohl nicht anders werden. Mich nach ihm zu richten, wird mein +einziger Kunstgriff sein, uns das Leben erträglich zu machen. Nur die +verdrießlichen Gesichter muß er ablegen; und da werde ich ihm die +Gesichter deines Theophans zum Muster vorschlagen. + +Juliane. Schon wieder Theophan, und seine freundlichen Gesichter? + +Lisette. Stille! Mamsell-- + + + +Zweiter Auftritt + +Theophan. Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette (springt dem Theophan entgegen). Kommen Sie doch, Theophan, +kommen Sie!--Können Sie wohl glauben, daß ich Ihre Partei gegen meine +Schwester habe halten müssen? Bewundern Sie meine Uneigennützigkeit. +Ich habe Sie bis in den Himmel erhoben, da ich doch weiß, daß ich Sie +nicht bekomme, sondern daß Sie für meine Schwester bestimmt sind, die +Ihren Wert nicht kennet. Denken Sie nur, sie behauptet, daß Sie keine +so schöne Person vorstellten, als Adrast. Ich weiß nicht, wie sie das +behaupten kann. Ich sehe doch den Adrast mit den Augen einer +Verliebten an, das ist, ich mache mir ihn noch zehnmal schöner, als er +ist, und gleichwohl geben Sie ihm, meines Bedünkens, nichts nach. Sie +spricht zwar, auf der Seite des Geistes hätten Sie mehr Vorzüge; aber +was wissen wir Frauenzimmer denn vom Geiste? + +Juliane. Die Schwätzerin! Sie kennen sie, Theophan: glauben Sie ihr +nicht. + +Theophan. Ich ihr nicht glauben, schönste Juliane? Warum wollen Sie +mich nicht in der glücklichen Überzeugung lassen, daß Sie so +vorteilhaft von mir gesprochen haben?--Ich danke Ihnen, angenehmste +Henriette, für Ihre Verteidigung; ich danke Ihnen umsovielmehr, je +stärker ich selbst überführet bin, daß Sie eine schlechte Sache haben +verteidigen müssen. Allein-- + +Henriette. Oh! Theophan, von Ihnen verlange ich es nicht, daß Sie +mir recht geben sollen. Es ist eine andere gewisse Person-- + +Juliane. Lassen Sie dieser andern Person Gerechtigkeit widerfahren, +Theophan. Sie werden, hoffe ich, meine Gesinnungen kennen-- + +Theophan. Gehen Sie nicht mit mir, als mit einem Fremden um, liebste +Juliane. Brauchen Sie keine Einlenkungen; ich würde bei jeder nähern +Bestimmung verlieren.--Bei den Büchern, in einer engen staubigten +Studierstube, vergißt man des Körpers sehr leicht; und Sie wissen, der +Körper muß ebensowohl bearbeitet werden, als die Seele, wenn beide +diejenigen Vollkommenheiten erhalten sollen, deren sie fähig sind. +Adrast ist in der großen Welt erzogen worden; er hat alles, was bei +derselben beliebt macht-- + +Henriette. Und wenn es auch Fehler sein sollten.-- + +Theophan. Wenigstens habe ich diese Anmerkung nicht machen wollen.-- +Aber nur Geduld! ein großer Verstand kann diesen Fehlern nicht immer +ergeben sein. Adrast wird das Kleine derselben endlich einsehen, +welches sich nur allzusehr durch das Leere verrät, das sie in unsern +Herzen zurücklassen. Ich bin seiner Umkehr so gewiß, daß ich ihn +schon im voraus darum liebe.--Wie glücklich werden Sie mit ihm leben, +glückliche Henriette! + +Henriette. So edel spricht Adrast niemals von Ihnen, Theophan.-- + +Juliane. Abermals eine recht garstige Anmerkung, meine liebe +Schwester.--Was suchst du damit, daß du dem Theophan dieses sagst? Es +ist allezeit besser, wenn man es nicht weiß, wer von uns übel spricht. +Die Kenntnis unserer Verleumder wirkt auch in dem großmütigsten +Herzen eine Art von Entfernung gegen sie, die ihre Aussöhnung mit der +beleidigten Person nur noch schwerer macht. + +Theophan. Sie entzücken mich, Juliane. Aber fürchten Sie nichts! +Eben darin soll über kurz oder lang mein Triumph bestehen, daß ich den +mich jetzt verachtenden Adrast besser von mir zu urteilen gezwungen +habe. Würde ich aber nicht diesen ganzen Triumph zernichten, wenn ich +selbst einigen Groll gegen ihn fassen wollte? Noch hat er sich nicht +die Mühe genommen, mich näher kennenzulernen. Vielleicht, daß ich ein +Mittel finde, ihn dazu zu vermögen.--Lassen Sie uns nur jetzt davon +abbrechen; und erlauben Sie, daß ich einen meiner nächsten +Blutsfreunde bei Ihnen anmelden darf, der sich ein Vergnügen daraus +gemacht hat, mich hier zu überraschen.-- + +Juliane. Einen Anverwandten? + +Henriette. Und wer ist es? + +Theophan. Araspe. + +Juliane. Araspe? + +Henriette. Ei! das ist ja vortrefflich! Wo ist er denn? + +Theophan. Er war eben abgestiegen, und hat mir versprochen, +unverzüglich nachzufolgen. + +Henriette. Weiß es der Papa schon? + +Theophan. Ich glaube nicht. + +Juliane. Und die Großmama? + +Henriette. Komm, Schwesterchen! diese fröhliche Nachricht müssen wir +ihnen zuerst bringen.--Du bist doch nicht böse auf mich? + +Juliane. Wer kann auf dich böse sein, Schmeichlerin? Komm nur! + +Theophan. Erlauben Sie, daß ich ihn hier erwarte. + +Henriette. Bringen Sie ihn aber nur bald. Hören Sie! + + + +Dritter Auftritt + +Theophan. Lisette. + + +Lisette. Ich bleibe, Herr Theophan, um Ihnen noch ein kleines großes +Kompliment zu machen. Wahrhaftig! Sie sind der glücklichste Mann von +der Welt! und wenn Herr Lisidor, glaube ich, noch zwei Töchter hätte, +so würden sie doch alle viere in Sie verliebt sein. + +Theophan. Wie versteht Lisette das? + +Lisette. Ich verstehe es so: daß wenn es alle viere sein würden, es +jetzt alle zwei sein müssen. + +Theophan (lächelnd). Noch dunkler! + +Lisette. Das sagt Ihr Lächeln nicht.--Wenn Sie aber wirklich Ihre +Verdienste selbst nicht kennen, so sind Sie nur desto liebenswerter. +Juliane liebt Sie: und das geht mit rechten Dingen zu, denn sie soll +Sie lieben. Nur schade, daß ihre Liebe so ein gar vernünftiges +Ansehen hat. Aber was soll ich zu Henrietten sagen? Gewiß sie liebt +Sie auch, und was das Verzweifeltste dabei ist, sie liebt Sie--aus +Liebe.--Wenn Sie sie doch nur alle beide auch heiraten könnten! + +Theophan. Sie meint es sehr gut, Lisette! + +Lisette. Ja, wahrhaftig! alsdann sollten Sie mich noch obendrein +behalten. + +Theophan. Noch besser! Aber ich sehe, Lisette hat Verstand-- + +Lisette. Verstand? Auf das Kompliment weiß ich, leider! nichts zu +antworten. Auf ein anders: Lisette ist schön, habe ich wohl ungefähr +antworten lernen: Mein Herr, Sie scherzen. Ich weiß nicht, ob sich +diese Antwort hieher auch schickt. + +Theophan. Ohne Umstände!--Lisette kann mir einen Dienst erzeigen, +wenn sie mir ihre wahre Meinung von Julianen entdeckt. Ich bin gewiß, +daß sie auch in ihren Mutmaßungen nicht weit vom Ziele treffen wird. +Es gibt gewisse Dinge, wo ein Frauenzimmerauge immer schärfer sieht, +als hundert Augen der Mannspersonen. + +Lisette. Verzweifelt! diese Erfahrung können Sie wohl nimmermehr aus +Büchern haben--Aber, wenn Sie nur acht auf meine Reden gegeben hätten; +ich habe Ihnen bereits meine wahre Meinung von Julianen gesagt. Sagte +ich Ihnen nicht, daß mir ihre Liebe ein gar zu vernünftiges Ansehen zu +haben scheine? Darin liegt alles, was ich davon denke. Überlegung, +Pflicht, vorzügliche Schönheiten der Seele--Ihnen die Wahrheit zu +sagen, gegen so vortreffliche Worte, in einem weiblichen Munde, mag +ein Liebhaber immer ein wenig mißtrauisch sein. Und noch eine kleine +Beobachtung gehöret hieher: diese nämlich, daß sie mit den schönen +Worten weit sparsamer gewesen, als Herr Theophan allein im Hause war. + +Theophan. Gewiß? + +Lisette (nachdem sie ihn einen Augenblick angesehen). Herr Theophan! +Herr Theophan! Sie sagen dieses Gewiß mit einer Art,--mit einer Art,-- + +Theophan. Mit was für einer Art? + +Lisette. Ja! nun ist sie wieder weg. Die Mannspersonen! die +Mannspersonen! Und wenn es auch gleich die allerfrömmsten sind--Doch +ich will mich nicht irremachen lassen. Seit Adrast im Hause ist, +wollte ich sagen, fallen zwischen dem Adrast und Julianen dann und +wann Blicke vor-- + +Theophan. Blicke?--Sie beunruhiget mich, Lisette. + +Lisette. Und das Beunruhigen können Sie so ruhig aussprechen, so +ruhig--Ja, Blicke fallen zwischen ihnen vor; Blicke, die nicht ein +Haar anders sind, als die Blicke, die dann und wann zwischen Mamsell +Henrietten und dem vierten vorfallen-- + +Theophan. Was für einem vierten? + +Lisette. Werden Sie nicht ungehalten. Wenn ich Sie gleich den +vierten nenne, so sind Sie eigentlich doch in aller Absicht der erste. + +Theophan (die ersten Worte beiseite). Die Schlaue!--Sie beschämt mich +für meine Neubegierde, und ich habe es verdient. Nichtsdestoweniger +aber irret Sie sich, Lisette; gewaltig irret Sie sich-- + +Lisette. O pfui! Sie machten mir vorhin ein so artiges Kompliment, +und nunmehr gereuet es Sie auf einmal, mir es gemacht zu haben.--Ich +müßte gar nichts von dem Verstande besitzen, den Sie mir beilegten, +wenn ich mich so gar gewaltig irren sollte.-- + +Theophan (unruhig und zerstreut). Aber wo bleibt er denn?-- + +Lisette. Mein Verstand?--Wo er will.--So viel ist gewiß, daß Adrast +bei Henrietten ziemlich schlecht steht, sosehr sie sich auch nach +seiner Weise zu richten scheint. Sie kann alles leiden, nur +geringgeschätzt zu werden, kann sie nicht leiden. Sie weiß es +allzuwohl, für was uns Adrast ansieht: für nichts, als Geschöpfchen, +die aus keiner andern Absicht da sind, als den Männern ein Vergnügen +zu machen. Und das ist doch sehr nichtswürdig gedacht! Aber da kann +man sehen, in was für gottlose Irrtümer die ungläubigen Leute +verfallen.--Nu? Hören Sie mir nicht mehr zu, Herr Theophan? Wie so +zerstreut? wie so unruhig? + +Theophan. Ich weiß nicht, wo mein Vetter bleibt?-- + +Lisette. Er wird ja wohl kommen.-- + +Theophan. Ich muß ihm wirklich nur wieder entgegengehn.--Adieu, +Lisette! + + + +Vierter Auftritt + +Lisette. Das heiße ich kurz abgebrochen!--Er wird doch nicht +verdrießlich geworden sein, daß ich ihm ein wenig auf den Zahn fühlte? +Das brave Männchen! Ich will nur gerne sehen, was noch daraus werden +wird. Ich gönne ihm wirklich alles Gutes, und wenn es nach mir gehen +sollte, so wüßte ich schon, was ich täte.--(Indem sie sich umsieht.) +Wer kömmt denn da den Gang hervor?--Sind die es?--Ein Paar +allerliebste Schlingel! Adrasts Johann, und Theophans Martin: die +wahren Bilder ihrer Herren, von der häßlichen Seite! Aus +Freigeisterei ist jener ein Spitzbube; und aus Frömmigkeit dieser ein +Dummkopf. Ich muß mir doch die Lust machen, sie zu behorchen. (Sie +tritt zurück.) + + + +Fünfter Auftritt + +Lisette, halb versteckt hinter einer Szene. Johann. Martin. + + +Johann. Was ich dir sage! + +Martin. Du mußt mich für sehr dumm ansehen. Dein Herr ein Atheist? +das glaube sonst einer! Er sieht ja aus wie ich und du. Er hat Hände +und Füße; er hat das Maul in der Breite und die Nase in der Länge, wie +ein Mensch; er red't, wie ein Mensch; er ißt, wie ein Mensch:--und +soll ein Atheist sein? + +Johann. Nun? sind denn die Atheisten keine Menschen? + +Martin. Menschen? Ha! ha! ha! Nun höre ich, daß du selber nicht +weißt, was ein Atheist ist. + +Johann. Zum Henker! du wirst es wohl besser wissen. Ei! belehre +doch deinen unwissenden Nächsten. + +Martin. Hör zu!--Ein Atheist ist--eine Brut der Hölle, die sich, wie +der Teufel, tausendmal verstellen kann. Bald ist's ein listiger Fuchs, +bald ein wilder Bär;--bald ist's ein Esel, bald ein Philosoph;--bald +ist's ein Hund, bald ein unverschämter Poete. Kurz, es ist ein Untier, +das schon lebendig bei dem Satan in der Hölle brennt,--eine Pest der +Erde,--eine abscheuliche Kreatur,--ein Vieh, das dummer ist, als ein +Vieh;--ein Seelenkannibal,--ein Antichrist,--ein schreckliches +Ungeheuer-- + +Johann. Es hat Bocksfüße: nicht? Zwei Hörner? einen Schwanz?-- + +Martin. Das kann wohl sein.--Es ist ein Wechselbalg, den die Hölle +durch--durch einen unzüchtigen Beischlaf mit der Weisheit dieser Welt +erzeugt hat;--es ist--ja, sieh, das ist ein Atheist. So hat ihn unser +Pfarr abgemalt; der kennt ihn aus großen Büchern. + +Johann. Einfältiger Schöps!--Sieh mich doch einmal an. + +Martin. Nu? + +Johann. Was siehst du an mir? + +Martin. Nichts, als was ich zehnmal besser an mir sehen kann. + +Johann. Findest du denn etwas Erschreckliches, etwas Abscheuliches an +mir? Bin ich nicht ein Mensch, wie du? Hast du jemals gesehen, daß +ich ein Fuchs, ein Esel, oder ein Kannibal gewesen wäre? + +Martin. Den Esel laß immer weg, wenn ich dir antworten soll, wie du +gerne willst.--Aber, warum fragst du das? + +Johann. Weil ich selbst ein Atheist bin; das ist, ein starker Geist, +wie es jetzt jeder ehrlicher Kerl nach der Mode sein muß. Du sprichst, +ein Atheist brenne lebendig in der Hölle. Nun! rieche einmal: +riechst du einen Brand an mir? + +Martin. Drum eben bist du keiner. + +Johann. Ich wäre keiner? Tue mir nicht die Schande an, daran zu +zweifeln, oder--Doch wahrhaftig, das Mitleiden verhindert mich, böse +zu werden. Du bist zu beklagen, armer Schelm! + +Martin. Arm? Laß einmal sehen, wer die vergangene Woche das meiste +Trinkgeld gekriegt hat. (Er greift in die Tasche.) Du bist ein +lüderlicher Teufel, du versäufst alles-- + +Johann. Laß stecken! Ich rede von einer ganz andern Armut, von der +Armut des Geistes, der sich mit lauter elenden Brocken des +Aberglaubens ernähren, und mit lauter armseligen Lumpen der Dummheit +kleiden muß.--Aber so geht es euch Leuten, die ihr nicht weiter, als +höchstens vier Meilen hinter den Backofen kommt. Wenn du gereiset +wärest, wie ich-- + +Martin. Gereist bist du? Laß hören, wo bist du gewesen? + +Johann. Ich bin gewesen--in Frankreich-- + +Martin. In Frankreich? Mit deinem Herrn? + +Johann. Ja, mein Herr war mit. + +Martin. Das ist das Land, wo die Franzosen wohnen?--So wie ich einmal +einen gesehen habe,--das war eine schnurrige Kröte! In einem +Augenblicke konnte er sich siebenmal auf dem Absatze herumdrehen, und +dazu pfeifen. + +Johann. Ja, es gibt große Geister unter ihnen! Ich bin da erst recht +klug geworden. + +Martin. Hast du denn auch Frankreich'sch gelernt? + +Johann. Französisch, willst, du sagen:--vollkommen. + +Martin. Oh! rede einmal! + +Johann. Das will ich wohl tun.--Quelle heure est-il, maraut? Le père +et la mère une fille de coups de bâton. Comment coquin? Diantre +diable carogne à vous servir. + +Martin. Das ist schnakisch! Und das Zeug können die Leute da +verstehen? Sag einmal, was hieß das auf deutsch? + +Johann. Ja! auf deutsch! Du guter Narre, das läßt sich auf deutsch +nicht so sagen. Solche feine Gedanken können nur französisch +ausgedrückt werden. + +Martin. Der Blitz!--Nu? wo bist du weiter gewesen? + +Johann. Weiter? In England-- + +Martin. In England?--Kannst du auch Engländ'sch + +Johann. Was werde ich nicht können? + +Martin. Sprich doch! + +Johann. Du mußt wissen, es ist eben wie das Französische. Es ist +französisch, versteh mich, auf englisch ausgesprochen. Was hörst du +dir dran ab?--Ich will dir ganz andre Dinge sagen, wenn du mir zuhören +willst. Dinge, die ihresgleichen nicht haben müssen. Zum Exempel, +auf unsern vorigen Punkt zu kommen: sei kein Narr, und glaube, daß ein +Atheist so ein schrecklich Ding ist. Ein Atheist ist nichts weiter, +als ein Mensch, der keinen Gott glaubt.-- + +Martin. Keinen Gott? Je! das ist ja noch viel ärger! Keinen Gott? +Was glaubt er denn? + +Johann. Nichts. + +Martin. Das ist wohl eine mächtige Mühe. + +Johann. Ei! Mühe! Wenn auch nichts glauben eine Mühe wäre, so +glaubten ich und mein Herr gewiß alles. Wir sind geschworne Feinde +alles dessen, was Mühe macht. Der Mensch ist in der Welt, vergnügt +und lustig zu leben. Die Freude, das Lachen, das Kurtisieren, das +Saufen sind seine Pflichten. Die Mühe ist diesen Pflichten hinderlich; +also ist es auch notwendig seine Pflicht, die Mühe zu fliehen.--Sieh, +das war ein Schluß, der mehr Gründliches enthält, als die ganze Bibel. + +Martin. Ich wollt's. Aber sage mir doch, was hat man denn in der +Welt ohne Mühe? + +Johann. Alles was man erbt, und was man erheiratet. Mein Herr erbte +von seinem Vater und von zwei reichen Vettern keine kleinen Summen; +und ich muß ihm das Zeugnis geben, er hat sie, als ein braver Kerl, +durchgebracht. Jetzt bekömmt er ein reich Mädel, und, wenn er klug +ist, so fängt er es wieder an, wo er es gelassen hat. Seit einiger +Zeit ist er mir zwar ganz aus der Art geschlagen; und ich sehe wohl, +auch die Freigeisterei bleibt nicht klug, wenn sie auf die Freite geht. +Doch ich will ihn schon wieder in Gang bringen.--Und höre, Martin, +ich will auch dein Glück machen. Ich habe einen Einfall; aber ich +glaube nicht, daß ich ihn anders wohl von mir geben kann, als--bei +einem Glase Wein. Du klimpertst vorhin mit deinen Trinkgeldern; und +gewiß, du bist in Gefahr, keine mehr zu bekommen, wenn man nicht sieht, +daß du sie dazu anwendest, wozu sie dir gegeben werden. Zum Trinken, +guter Martin, zum Trinken: darum heißen es Trinkgelder.-- + +Martin. Still! Herr Johann, still!--Du bist mir so noch Revansche +schuldig. Habe ich dich nicht jenen Abend nur noch freigehalten?-- +Doch, laß einmal hören! was ist denn das für ein Glück, das ich von +dir zu hoffen habe? + +Johann. Höre, wenn mein Herr heiratet, so muß er noch einen Bedienten +annehmen.--Eine Kanne Wein, so sollst du bei mir den Vorzug haben. Du +versauerst doch nur bei deinem dummen Schwarzrocke. Du sollst bei +Adrasten mehr Lohn und mehr Freiheit haben; und ich will dich noch +obendrein zu einem starken Geiste machen, der es mit dem Teufel und +seiner Großmutter aufnimmt, wenn nur erst einer wäre. + +Martin. Was? wenn erst einer wäre? Ho! ho! Ist es nicht genug, +daß du keinen Gott glaubst? willst du noch dazu keinen Teufel +glauben? Oh! male ihn nicht an die Wand! Er läßt sich nicht so +lange herumhudeln, wie der liebe Gott. Der liebe Gott ist gar zu gut, +und lacht über einen solchen Narren, wie du bist. Aber der Teufel-- +dem läuft gleich die Laus über die Leber; und darnach sieht's nicht +gut aus.--Nein, bei dir ist kein Aushalten: ich will nur gehen.-- + +Johann (hält ihn zurück). Spitzbube! Spitzbube! denkst du, daß ich +deine Streiche nicht merke? Du fürchtest dich mehr für die Kanne Wein, +die du geben sollst, als für den Teufel. Halt!--Ich kann dich aber +bei dem allen unmöglich in dergleichen Aberglauben stecken lassen. +Überlege dir's nur:--Der Teufel--der Teufel--Ha! ha! ha!--Und dir +kömmt es nicht lächerlich vor? Je! so lache doch! + +Martin. Wenn kein Teufel wäre, wo kämen denn die hin, die ihn +auslachen?--Darauf antworte mir einmal! den Knoten beiß mir auf! +Siehst du, daß ich auch weiß, wie man euch Leute zuschanden machen muß? + +Johann. Ein neuer Irrtum! Und wie kannst du so ungläubig gegen meine +Worte sein? Es sind die Aussprüche der Weltweisheit, die Orakel der +Vernunft! Es ist bewiesen, sage ich dir, in Büchern ist es bewiesen, +daß es weder Teufel noch Hölle gibt.--Kennst du Balthasarn? Es war +ein berühmter Bäcker in Holland. + +Martin. Was gehn mich die Bäcker in Holland an? Wer weiß, ob sie so +gute Brezeln backen, wie der hier an der Ecke. + +Johann. Ei! das war ein gelehrter Bäcker! Seine bezauberte Welt--ha! +--das ist ein Buch! Mein Herr hat es einmal gelesen. Kurz, ich +verweise dich auf das Buch, so wie man mich darauf verwiesen hat, und +will dir nur im Vertrauen sagen: Der muß ein Ochse, ein Rindvieh, ein +altes Weib sein, der einen Teufel glauben kann. Soll ich dir's +zuschwören, daß keiner ist?--Ich will ein Hundsfott sein! + +Martin. Pah! der Schwur geht wohl mit. + +Johann. Nun, sieh,--ich will, ich will--auf der Stelle verblinden, +wenn ein Teufel ist. + +(Lisette springt geschwinde hinter der Szene hervor, und hält ihm +rückwärts die Augen zu, indem sie dem Martin zugleich winkt.) + +Martin. Das wäre noch was; aber du weißt schon, daß das nicht +geschieht. + +Johann (ängstlich). Ach! Martin, ach! + +Martin. Was ist's? + +Johann. Martin, wie wird mir? Wie ist mir, Martin? + +Martin. Nu? was hast du denn? + +Johann. Seh ich--oder--ach! daß Gott--Martin! Martin! wie wird es +auf einmal so Nacht? + +Martin. Nacht? Was willst du mit der Nacht? + +Johann. Ach! so ist es nicht Nacht? Hülfe! Martin, Hülfe! + +Martin. Was denn für Hülfe? Was fehlt dir denn? + +Johann. Ach! ich bin blind, ich bin blind! Es liegt mir auf den +Augen, auf den Augen.--Ach! ich zittere am ganzen Leibe-- + +Martin. Blind bist du? Du wirst ja nicht?--Warte, ich will dich in +die Augen schlagen, daß das Feuer herausspringt, und du sollst bald +sehen-- + +Johann. Ach! ich bin gestraft, ich bin gestraft. Und du kannst +meiner noch spotten? Hülfe! Martin, Hülfe!--(Er fällt auf die Knie.) +Ich will mich gern bekehren! Ach! was bin ich für ein Bösewicht +gewesen!-- + +Lisette (welche plötzlich gehen läßt, und, indem sie hervorspringt, +ihm eine Ohrfeige gibt). Du Schlingel! + +Martin. Ha! ha! ha! + +Johann. Ach! ich komme wieder zu mir. (Indem er aufsteht.) Sie +Rabenaas, Lisette! + +Lisette. Kann man euch Hundsfötter so ins Bockshorn jagen? Ha! ha! +ha! + +Martin. Krank lache ich mich noch darüber. Ha! ha! ha! + +Johann. Lacht nur! lacht nur!--Ihr seid wohl albern, wenn ihr denkt, +daß ich es nicht gemerkt habe.--(Beiseite.) Das Blitzmädel, was sie +mir für einen Schreck abgejagt hat! Ich muß mich wieder erholen. +(Geht langsam ab.) + +Martin. Gehst du? Oh! lacht ihn doch aus! Je! lach Sie doch, +Lisettchen, lach Sie doch! Ha! ha! ha! Das hat Sie vortrefflich +gemacht; so schöne, so schöne, ich möchte Sie gleich küssen.-- + +Lisette. Oh! geh, geh, dummer Martin! + +Martin. Komm Sie, wirklich! ich will Sie zu Weine führen. Ich will +Sie mit der Kanne Wein traktieren, um die mich der Schurke prellen +wollte. Komm Sie! + +Lisette. Das fehlte mir noch. Ich will nur gehen, und meinen +Mamsells den Spaß erzählen. + +Martin. Ja, und ich meinem Herrn.--Der war abgeführt! der war +abgeführt! + + +(Ende des zweiten Aufzuges.) + + + + + +Dritter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Theophan. Araspe. + + +Araspe. Was ich Ihnen sage, mein lieber Vetter. Das Vergnügen Sie zu +überfallen, und die Begierde bei Ihrer Verbindung gegenwärtig zu sein, +sind freilich die vornehmsten Ursachen meiner Anherkunft; nur die +einzigen sind es nicht. Ich hatte den Aufenthalt des Adrast endlich +ausgekundschaftet, und es war mir sehr lieb, auf diese Art, wie man +sagt, zwei Würfe mit einem Steine zu tun. Die Wechsel des Adrast sind +verfallen; und ich habe nicht die geringste Lust, ihm auch nur die +allerkleinste Nachsicht zu gönnen. Ich erstaune zwar, ihn, welches +ich mir nimmermehr eingebildet hätte, in dem Hause Ihres künftigen +Schwiegervaters zu finden; ihn auf eben demselben Fuße, als Sie, +Theophan, hier zu finden: aber gleichwohl,--und wenn ihn das Schicksal +auch noch näher mit mir verbinden könnte,-- + +Theophan. Ich bitte Sie, liebster Vetter, beteuern Sie nichts. + +Araspe. Warum nicht? Sie wissen wohl, Theophan, ich bin der Mann +sonst nicht, welcher seine Schuldner auf eine grausame Art zu drücken +fähig wäre.-- + +Theophan. Das weiß ich, und desto eher-- + +Araspe. Hier wird kein Desto eher gelten. Adrast, dieser Mann, der +sich, auf eine ebenso abgeschmackte als ruchlose Art von andern +Menschen zu unterscheiden sucht, verdient, daß man ihn auch wieder von +andern Menschen unterscheide. Er muß die Vorrechte nicht genießen, +die ein ehrlicher Mann seinen elenden Nächsten sonst gern genießen +läßt. Einem spöttischen Freigeiste, welcher uns lieber das Edelste, +was wir besitzen, rauben und uns alle Hoffnung eines künftigen +glückseligern Lebens zunichte machen möchte, vergilt man noch lange +nicht Gleiches mit Gleichem, wenn man ihm das gegenwärtige Leben ein +wenig sauer macht.--Ich weiß, es ist der letzte Stoß, den ich dem +Adrast versetze; er wird seinen Kredit nicht wieder herstellen können. +Ja, ich wollte mich freuen, wenn ich sogar seine Heirat dadurch +rückgängig machen könnte. Wenn mir es nur um mein Geld zu tun wäre: +so sehen Sie wohl, daß ich diese Heirat lieber würde befördern helfen, +weil er doch wohl dadurch wieder etwas in die Hände bekommen wird. +Aber nein; und sollte ich bei dem Konkurse, welcher entstehen muß, +auch ganz und gar ledig ausgehen: so will ich ihn dennoch auf das +Äußerste bringen. Ja, wenn ich alles wohl erwäge, so glaube ich, ihm +durch diese Grausamkeit noch eine Wohltat zu erweisen. Schlechtere +Umstände werden ihn vielleicht zu ernsthaften Überlegungen bringen, +die er in seinem Wohlstande zu machen, nicht wert gehalten hat; und +vielleicht ändert sich, wie es fast immer zu geschehen pflegt, sein +Charakter mit seinem Glücke. + +Theophan. Ich habe Sie ausreden lassen. Ich glaube, Sie werden so +billig sein, und mich nunmehr auch hören. + +Araspe. Das werde ich.--Aber eingebildet hätte ich mir es nicht, daß +ich an meinem frommen Vetter einen Verteidiger des Adrasts finden +sollte. + +Theophan. Ich bin es weniger, als es scheinet; und es kommen hier so +viel Umstände zusammen, daß ich weiter fast nichts als meine eigne +Sache führen werde. Adrast, wie ich fest überzeugt bin, ist von +derjenigen Art Freigeister, die wohl etwas Besseres zu sein verdienten. +Es ist auch sehr begreiflich, daß man in der Jugend so etwas +gleichsam wider Willen werden kann. Man ist es aber alsdann nur so +lange, bis der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt ist, und sich +das aufwallende Geblüte abgekühlt hat. Auf diesem kritischen Punkte +steht jetzt Adrast; aber noch mit wankendem Fuße. Ein kleiner Wind, +ein Hauch kann ihn wieder herabstürzen. Das Unglück, das Sie ihm +drohen, würde ihn betäuben; er würde sich einer wütenden Verzweiflung +überlassen, und Ursache zu haben glauben, sich um die Religion nicht +zu bekümmern, deren strenge Anhänger sich kein Bedenken gemacht hätten, +ihn zugrunde zu richten. + +Araspe. Das ist etwas; aber-- + +Theophan. Nein, für einen Mann von Ihrer Denkungsart, liebster Vetter, +muß dieses nicht nur etwas, sondern sehr viel sein. Sie haben die +Sache von dieser Seite noch nicht betrachtet; Sie haben den Adrast nur +als einen verlornen Mann angesehen, an dem man zum Überflusse noch +eine desperate Kur wagen müsse. Aus diesem Grunde ist die Heftigkeit, +mit der Sie wider ihn sprachen, zu entschuldigen. Lernen Sie ihn aber +durch mich nunmehr unparteiischer beurteilen. Er ist in seinen Reden +jetzt weit eingezogener, als man mir ihn sonst beschrieben hat. Wenn +er streitet, so spottet er nicht mehr, sondern gibt sich alle Mühe, +Gründe vorzubringen. Er fängt an, auf die Beweise, die man ihm +entgegensetzt, zu antworten, und ich habe es ganz deutlich gemerkt, +daß er sich schämt, wenn er nur halb darauf antworten kann. Freilich +sucht er diese Scham noch dann und wann unter das Verächtliche eines +Schimpfworts zu verstecken; aber nur Geduld! es ist schon viel, daß +er diese Schimpfworte niemals mehr auf die heiligen Sachen, die man +gegen ihn verteidiget, sondern bloß auf die Verteidiger fallen läßt. +Seine Verachtung der Religion löset sich allmählich in die Verachtung +derer auf, die sie lehren. + +Araspe. Ist das wahr, Theophan? + +Theophan. Sie werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu +überzeugen.--Sie werden zwar hören, daß diese seine Verachtung der +Geistlichen mich jetzt am meisten trifft; allein ich bitte Sie im +voraus, nicht empfindlicher darüber zu werden, als ich selbst bin. +Ich habe es mir fest vorgenommen, ihn nicht mit gleicher Münze zu +bezahlen; sondern ihm vielmehr seine Freundschaft abzuzwingen, es mag +auch kosten, was es will. + +Araspe. Wenn Sie bei persönlichen Beleidigungen so großmütig sind-- + +Theophan. Stille! wir wollen es keine Großmut nennen. Es kann +Eigennutz, es kann eine Art von Ehrgeiz sein, sein Vorurteil von den +Gliedern meines Ordens durch mich zuschanden zu machen. Es sei aber, +was es wolle, so weiß ich doch, daß Sie viel zu gütig sind, mir darin +im Wege zu stehen. Adrast würde es ganz gewiß für ein abgekartetes +Spiel halten, wenn er sähe, daß mein Vetter so scharf hinter ihm drein +wäre. Seine Wut würde einzig auf mich fallen, und er würde mich +überall als einen Niederträchtigen ausschreien, der ihm, unter tausend +Versicherungen der Freundschaft, den Dolch ins Herz gestoßen habe. +Ich wollte nicht gerne, daß er die Exempel von hämtückischen Pfaffen, +wie er sie nennt, mit einigem Scheine der Wahrheit auch durch mich +vermehren könnte. + +Araspe. Lieber Vetter, das wollte ich noch tausendmal weniger, als +Sie.-- + +Theophan. Erlauben Sie also, daß ich Ihnen einen Vorschlag tue:--oder +nein; es wird vielmehr eine Bitte sein. + +Araspe. Nur ohne Umstände, Vetter. Sie wissen ja doch wohl, daß Sie +mich in Ihrer Hand haben. + +Theophan. Sie sollen so gütig sein und mir die Wechsel ausliefern, +und meine Bezahlung dafür annehmen. + +Araspe. Und Ihre Bezahlung dafür annehmen? Bei einem Haare hätten +Sie mich böse gemacht. Was reden Sie von Bezahlung? Wenn ich Ihnen +auch nicht gesagt hätte, daß es mir jetzt gar nicht um das Geld zu tun +wäre: so sollten Sie doch wenigstens wissen, daß das, was meine ist, +auch Ihre ist. + +Theophan. Ich erkenne meinen Vetter. + +Araspe. Und ich erkannte ihn fast nicht.--Mein nächster Blutsfreund, +mein einziger Erbe, sieht mich als einen Fremden an, mit dem er +handeln kann? (Indem er sein Taschenbuch herauszieht.) Hier sind die +Wechsel! Sie sind Ihre! machen Sie damit was Ihnen gefällt. + +Theophan. Aber erlauben Sie, liebster Vetter: ich werde nicht so frei +damit schalten dürfen, wenn ich sie nicht auf die gehörige Art an mich +gebracht habe. + +Araspe. Welches ist denn die gehörige Art unter uns, wenn es nicht +die ist, daß ich gebe, und Sie nehmen?--Doch damit ich alle Ihre +Skrupel hebe: wohl! Sie sollen einen Revers von sich stellen, daß Sie +die Summe dieser Wechsel nach meinem Tode bei der Erbschaft nicht noch +einmal fodern wollen. (Lächelnd.) Wunderlicher Vetter! sehen Sie +denn nicht, daß ich weiter nichts tue, als auf Abschlag bezahle?-- + +Theophan. Sie verwirren mich-- + +Araspe (der noch die Wechsel in Händen hat). Lassen Sie mich nur die +Wische nicht länger halten. + +Theophan. Nehmen Sie unterdessen meinen Dank dafür an. + +Araspe. Was für verlorne Worte! (Indem er sich umsieht.) Stecken +Sie hurtig ein; da kömmt Adrast selbst. + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast. Theophan. Araspe. + + +Adrast (erstaunend). Himmel! Araspe hier? + +Theophan. Adrast, ich habe das Vergnügen, Ihnen in dem Herrn Araspe +meinen Vetter vorzustellen. + +Adrast. Wie? Araspe Ihr Vetter? + +Araspe. Oh! wir kennen einander schon. Es ist mir angenehm, Herr +Adrast, Sie hier zu sehen. + +Adrast. Ich bin bereits die ganze Stadt nach Ihnen durchgerannt. Sie +wissen, wie wir miteinander stehen, und ich wollte Ihnen die Mühe +ersparen, mich aufzusuchen. + +Araspe. Es wäre nicht nötig gewesen. Wir wollen von unserer Sache +ein andermal sprechen. Theophan hat es auf sich genommen.-- + +Adrast. Theophan? Ha! nun ist es klar.-- + +Theophan. Was ist klar, Adrast? (Ruhig.) + +Adrast. Ihre Falschheit, Ihre List-- + +Theophan (zum Araspe). Wir halten uns zu lange hier auf. Lisidor, +lieber Vetter, wird Sie mit Schmerzen erwarten. Erlauben Sie, daß ich +Sie zu ihm führe.--(Zum Adrast.) Darf ich bitten, Adrast, daß Sie +einen Augenblick hier verziehen? Ich will den Araspe nur +heraufbegleiten; ich werde gleich wieder hier sein. + +Araspe. Wenn ich Ihnen raten darf, Adrast, so sein Sie gegen meinen +Vetter nicht ungerecht.-- + +Theophan. Er wird es nicht sein. Kommen Sie nur. + +(Theophan und Araspe gehen ab.) + + + +Dritter Auftritt + +Adrast (bitter). Nein, gewiß, ich werde es auch nicht sein! Er ist +unter allen seinesgleichen, die ich noch gekannt habe, der +hassenswürdigste! Diese Gerechtigkeit will ich ihm widerfahren lassen. +Er hat den Araspe ausdrücklich meinetwegen kommen lassen: das ist +unleugbar. Es ist mir aber doch lieb, daß ich ihm nie einen redlichen +Tropfen Bluts zugetrauet, und seine süßen Reden jederzeit für das +gehalten habe, was sie sind.-- + + + +Vierter Auftritt + +Adrast. Johann. + + +Johann. Nun? haben Sie den Araspe gefunden? + +Adrast. Ja. (Noch bitter.) + +Johann. Geht's gut? + +Adrast. Vortrefflich. + +Johann. Ich hätte es ihm auch raten wollen, daß er die geringste +Schwierigkeit gemacht hätte!--Und er hat doch schon wieder seinen +Abschied genommen? + +Adrast. Verzieh nur: er wird uns gleich den unsrigen bringen. + +Johann. Er den unsrigen?--Wo ist Araspe?-- + +Adrast. Beim Lisidor. + +Johann. Araspe beim Lisidor? Araspe? + +Adrast. Ja, Theophans Vetter. + +Johann. Was frage ich nach des Narren Vetter? Ich meine Araspen.-- + +Adrast. Den meine ich auch. + +Johann. Aber-- + +Adrast. Aber siehst du denn nicht, daß ich rasend werden möchte? Was +plagst du mich noch? Du hörst ja, daß Theophan und Araspe Vettern +sind. + +Johann. Zum erstenmal in meinem Leben.--Vettern? Ei! desto besser; +unsere Wechsel bleiben also in der Freundschaft, und Ihr neuer Herr +Schwager wird dem alten Herrn Vetter schon zureden-- + +Adrast. Du Dummkopf!--Ja, er wird ihm zureden, mich ohne Nachsicht +unglücklich zu machen.--Bist du denn so albern, es für einen Zufall +anzusehen, daß Araspe hier ist? Siehst du denn nicht, daß es Theophan +muß erfahren haben, wie ich mit seinem Vetter stehe? daß er ihm +Nachricht von meinen Umständen gegeben hat? daß er ihn gezwungen hat, +über Hals über Kopf eine so weite Reise zu tun, um die Gelegenheit ja +nicht zu versäumen, meinen Ruin an den Tag zu bringen, und mir dadurch +die letzte Zuflucht, die Gunst des Lisidors, zu vernichten? + +Johann. Verdammt! wie gehen mir die Augen auf! Sie haben recht. +Kann ich Esel denn, wenn von einem Geistlichen die Rede ist, nicht +gleich auf das Allerboshafteste fallen?--Ha! wenn ich doch die +Schwarzröcke auf einmal zu Pulver stampfen und in die Luft schießen +könnte! Was für Streiche haben sie uns nicht schon gespielt! Der +eine hat uns um manches Tausend Taler gebracht: das war der ehrwürdige +Gemahl Ihrer lieben Schwester. Der andere-- + +Adrast. Oh! fange nicht an, mir meine Unfälle vorzuzählen. Ich will +sie bald geendigt sehen. Alsdann will ich es doch abwarten, was mir +das Glück noch nehmen kann, wann ich nichts mehr habe. + +Johann. Was es Ihnen noch nehmen kann, wann Sie nichts mehr haben? +Das will ich Ihnen gleich sagen: Mich wird es Ihnen alsdann noch +nehmen. + +Adrast. Ich verstehe dich, Holunke!-- + +Johann. Verschwenden Sie Ihren Zorn nicht an mir. Hier kömmt der, an +welchem Sie ihn besser anwenden können. + + + +Fünfter Auftritt + +Theophan. Adrast. Johann. + + +Theophan. Ich bin wieder hier, Adrast. Es entfielen Ihnen vorhin +einige Worte von Falschheit und List.-- + +Adrast. Beschuldigungen entfallen mir niemals. Wenn ich sie +vorbringe, bringe ich sie mit Vorsatz und Überlegung vor. + +Theophan. Aber eine nähere Erklärung-- + +Adrast. Die fodern Sie nur von sich selbst. + +Johann (die ersten Worte beiseite). Hier muß ich hetzen.--Ja, ja, +Herr Theophan! es ist schon bekannt, daß Ihnen mein Herr ein Dorn in +den Augen ist. + +Theophan. Adrast, haben Sie es ihm befohlen, an Ihrer Stelle zu +antworten? + +Johann. So? auch meine Verteidigung wollen Sie ihm nicht gönnen? +Ich will doch sehen, wer mir verbieten soll, mich meines Herrn +anzunehmen. + +Theophan. Lassen Sie es ihn doch sehen, Adrast. + +Adrast. Schweig! + +Johann. Ich sollte-- + +Adrast. Noch ein Wort! (Drohend.) + +Theophan. Nunmehr darf ich die Bitte um eine nähere Erklärung doch +wohl wiederholen? Ich weiß sie mir selbst nicht zu geben. + +Adrast. Erklären Sie sich denn gerne näher, Theophan? + +Theophan. Mit Vergnügen, sobald es verlangt wird. + +Adrast. Ei! so sagen Sie mir doch, was wollte denn Araspe, bei +Gelegenheit dessen, was Sie schon wissen, mit den Worten sagen: +Theophan hat es auf sich genommen? + +Theophan. Darüber sollte sich Araspe eigentlich erklären. Doch ich +kann es an seiner Statt tun. Er wollte sagen, daß er mir Ihre Wechsel +zur Besorgung übergeben habe. + +Adrast. Auf Ihr Anliegen? + +Theophan. Das kann wohl sein. + +Adrast. Und was haben Sie beschlossen, damit zu tun? + +Theophan. Sie sind Ihnen ja noch nicht vorgewiesen worden? Können +wir etwas beschließen, ehe wir wissen, was Sie darauf tun wollen? + +Adrast. Kahle Ausflucht! Ihr Vetter weiß es längst, was ich darauf +tun kann. + +Theophan. Er weiß, daß Sie ihnen Genüge tun können. Und sind Sie +alsdann nicht auseinander? + +Adrast. Sie spotten. + +Theophan. Ich bin nicht Adrast. + +Adrast. Setzen Sie aber den Fall,--und Sie können ihn sicher setzen,-- +daß ich nicht imstande wäre zu bezahlen: was haben Sie alsdenn +beschlossen? + +Theophan. In diesem Falle ist noch nichts beschlossen. + +Adrast. Aber was dürfte beschlossen werden? + +Theophan. Das kömmt auf Araspen an. Doch sollte ich meinen, daß eine +einzige Vorstellung, eine einzige höfliche Bitte bei einem Manne, wie +Araspe ist, viel ausrichten könne. + +Johann. Nachdem die Ohrenbläser sind.-- + +Adrast. Muß ich es noch einmal sagen, daß du schweigen sollst? + +Theophan. Ich würde mir ein wahres Vergnügen machen, wenn ich Ihnen +durch meine Vermittelung einen kleinen Dienst dabei erzeigen könnte. + +Adrast. Und Sie meinen, daß ich Sie mit einer demütigen Miene, mit +einer kriechenden Liebkosung, mit einer niederträchtigen Schmeichelei +darum ersuchen solle? Nein, so will ich Ihre Kitzelung über mich +nicht vermehren. Wenn Sie mich mit dem ehrlichsten Gesichte +versichert hätten, Ihr möglichstes zu tun, so würden Sie in einigen +Augenblicken mit einer wehmütigen Stellung wiederkommen, und es +bedauern, daß Ihre angewandte Mühe umsonst sei? Wie würden sich Ihre +Augen an meiner Verwirrung weiden! + +Theophan. Sie wollen mir also keine Gelegenheit geben, das Gegenteil +zu beweisen?--Es soll Ihnen nur ein Wort kosten. + +Adrast. Nein, auch dieses Wort will ich nicht verlieren. Denn kurz,-- +und hier haben Sie meine nähere Erklärung:--Araspe würde, ohne Ihr +Anstiften, nicht hiehergekommen sein. Und nun, da Sie Ihre Mine, mich +zu sprengen, so wohl angelegt hätten, sollten Sie durch ein einziges +Wort können bewogen werden, sie nicht springen zu lassen? Führen Sie +Ihr schönes Werk nur aus. + +Theophan. Ich erstaune über Ihren Verdacht nicht. Ihre Gemütsart hat +mich ihn vorhersehen lassen. Aber gleichwohl ist es gewiß, daß ich +ebensowenig gewußt habe, daß Araspe Ihr Gläubiger sei, als Sie gewußt +haben, daß er mein Vetter ist. + +Adrast. Es wird sich zeigen. + +Theophan. Zu Ihrem Vergnügen, hoffe ich.--Heitern Sie Ihr Gesicht nur +auf, und folgen Sie mir mit zu der Gesellschaft.-- + +Adrast. Ich will sie nicht wieder sehen. + +Theophan. Was für ein Entschluß! Ihren Freund, Ihre Geliebte-- + +Adrast. Wird mir wenig kosten, zu verlassen. Sorgen Sie aber nur +nicht, daß es eher geschehen soll, als bis Sie befriediget sind. Ich +will Ihren Verlust nicht, und sogleich noch das letzte Mittel +versuchen.-- + +Theophan. Bleiben Sie, Adrast.--Es tut mir leid, daß ich Sie nicht +gleich den Augenblick aus aller Ihrer Unruhe gerissen habe.--Lernen +Sie meinen Vetter besser kennen, (indem er die Wechsel hervorzieht) +und glauben Sie gewiß, wenn Sie schon von mir das Allernichtswürdigste +denken wollen, daß wenigstens er ein Mann ist, der Ihre Hochachtung +verdient. Er will Sie nicht anders, als mit dem sorglosesten Gesichte +sehen, und gibt Ihnen deswegen Ihre Wechsel hier zurück. (Er reicht +sie ihm dar.) Sie sollen sie selbst so lange verwahren, bis Sie ihn +nach Ihrer Bequemlichkeit deswegen befriedigen können. Er glaubt, daß +sie ihm in Ihren Händen ebenso sicher sind, als unter seinem eigenen +Schlosse. Sie haben den Ruhm eines ehrlichen Mannes, wenn Sie schon +den Ruhm eines frommen nicht haben. + +Adrast (stutzig, indem er des Theophans Hand zurückstößt). Mit was +für einem neuen Fallstricke drohen Sie mir? Die Wohltaten eines +Feindes-- + +Theophan. Unter diesem Feinde verstehen Sie mich; was aber hat Araspe +mit Ihrem Hasse zu tun? Er ist es, nicht ich, der Ihnen diese +geringschätzige Wohltat erzeigen will; wenn anders eine armselige +Gefälligkeit diesen Namen verdient.--Was überlegen Sie noch? Hier, +Adrast! nehmen Sie Ihre Handschriften zurück! + +Adrast. Ich will mich wohl dafür hüten. + +Theophan. Ich bitte Sie, lassen Sie mich nicht unverrichteter Sache +zu einem Manne zurückkommen, der es mit Ihnen gewiß redlich meinet. +Er würde die Schuld seines verachteten Anerbietens auf mich schieben. +(Indem er ihm die Wechsel aufs neue darreicht, reißt sie ihm Johann +aus der Hand.) + +Johann. Ha! ha! mein Herr, in wessen Händen sind die Wechsel nun? + +Theophan (gelassen). In den deinigen, ohne Zweifel. Immer bewahre +sie, anstatt deines Herrn. + +Adrast (geht wütend auf den Bedienten los). Infamer! es kostet dein +Leben-- + +Theophan. Nicht so hitzig, Adrast. + +Adrast. Den Augenblick gib sie ihm zurück! (Er nimmt sie ihm weg.) +Geh mir aus den Augen! + +Johann. Nun, wahrhaftig!-- + +Adrast. Wo du noch eine Minute verziehst--(Er stößt ihn fort.) + + + +Sechster Auftritt + +Theophan. Adrast. + + +Adrast. Ich muß mich schämen, Theophan; ich glaube aber nicht, daß +Sie so gar weit gehen, und mich mit meinem Bedienten vermengen werden.- +-Nehmen Sie es zurück, was man Ihnen rauben wollte.-- + +Theophan. Es ist in der Hand, in der es sein soll. + +Adrast. Nein. Ich verachte Sie viel zu sehr, als daß ich Sie +abhalten sollte, eine niederträchtige Tat zu begehen. + +Theophan. Das ist empfindlich! (Er nimmt die Wechsel zurück.) + +Adrast. Es ist mir lieb, daß Sie mich nicht gezwungen, sie Ihnen vor +die Füße zu werfen. Wenn sie wieder in meine Hände zurückkommen +sollen, so werde ich anständigere Mittel dazu finden. Finde ich aber +keine, so ist es ebendas. Sie werden sich freuen, mich zugrunde zu +richten, und ich werde mich freuen, Sie von ganzem Herzen hassen zu +können. + +Theophan. Es sind doch wirklich Ihre Wechsel, Adrast? (Indem er sie +aufschlägt und ihm zeigt.) + +Adrast. Sie glauben etwa, daß ich sie leugnen werde?-- + +Theophan. Das glaube ich nicht; ich will bloß gewiß sein. (Er +zerreißt sie gleichgültig.) + +Adrast. Was machen Sie, Theophan? + +Theophan. Nichts. (Indem er die Stücken in die Szene wirft.) Ich +vernichte eine Nichtswürdigkeit, die einen Mann, wie Adrast ist, zu so +kleinen Reden verleiten kann. + +Adrast. Aber sie gehören nicht Ihnen.-- + +Theophan. Sorgen Sie nicht; ich tue, was ich verantworten kann.-- +Bestehet Ihr Verdacht noch? (Geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Adrast (sieht ihm einige Augenblicke nach). Was für ein Mann! Ich +habe tausend aus seinem Stande gefunden, die unter der Larve der +Heiligkeit betrogen; aber noch keinen, der es, wie dieser, unter der +Larve der Großmut, getan hätte.--Entweder er sucht mich zu beschämen, +oder zu gewinnen. Keines von beiden soll ihm gelingen. Ich habe mich, +zu gutem Glücke, auf einen hiesigen Wechsler besonnen, mit dem ich, +bei bessern Umständen, ehemals Verkehr hatte. Er wird hoffentlich +glauben, daß ich mich noch in ebendenselben befinde, und wenn das ist, +mir ohne Anstand die nötige Summe vorschießen. Ich will ihn aber +deswegen nicht zum Bocke machen, über dessen Hörner ich aus dem +Brunnen springe. Ich habe noch liegende Gründe, die ich mit Vorteil +verkaufen kann, wenn mir nur Zeit gelassen wird. Ich muß ihn +aufsuchen.-- + + + +Achter Auftritt + +Henriette. Adrast. + + +Henriette. Wo stecken Sie denn, Adrast? Man hat schon zwanzigmal +nach Ihnen gefragt. Oh! schämen Sie sich, daß ich Sie zu einer Zeit +suchen muß, da Sie mich suchen sollten. Sie spielen den Ehemann zu +zeitig. Doch getrost! vielleicht spielen Sie dafür den Verliebten +alsdann, wann ihn andre nicht mehr spielen. + +Adrast. Erlauben Sie, Mademoiselle; ich habe nur noch etwas Nötiges +außer dem Hause zu besorgen. + +Henriette. Was können Sie jetzt Nötigers zu tun haben, als um mich zu +sein? + +Adrast. Sie scherzen. + +Henriette. Ich scherze?--Das war ein allerliebstes Kompliment! + +Adrast. Ich mache nie welche. + +Henriette. Was für ein mürrisches Gesicht!--Wissen Sie, daß wir uns +über diese mürrischen Gesichter zanken werden, noch ehe uns die +Trauung die Erlaubnis dazu erteilt? + +Adrast. Wissen Sie, daß ein solcher Einfall in Ihrem Munde nicht eben +der artigste ist? + +Henriette. Vielleicht, weil Sie glauben, daß die leichtsinnigen +Einfälle nur in Ihrem Munde wohl lassen? Unterdessen haben Sie doch +wohl kein Privilegium darüber? + +Adrast. Sie machen Ihre Dinge vortrefflich. Ein Frauenzimmer, das so +fertig antworten kann, ist sehr viel wert. + +Henriette. Das ist wahr; denn wir schwachen Werkzeuge wissen sonst +den Mund am allerwenigsten zu gebrauchen. + +Adrast. Wollte Gott! + +Henriette. Ihr treuherziges Wollte Gott! bringt mich zum Lachen, so +sehr ich auch böse sein wollte. Ich bin schon wieder gut, Adrast. + +Adrast. Sie sehen noch einmal so reizend aus, wenn Sie böse sein +wollen; denn es kömmt doch selten weiter damit, als bis zur +Ernsthaftigkeit, und diese läßt Ihrem Gesichte um so viel schöner, je +fremder sie in demselben ist. Eine beständige Munterkeit, ein immer +anhaltendes Lächeln wird unschmackhaft. + +Henriette (ernsthaft). Oh! mein guter Herr, wenn das Ihr Fall ist, +ich will es Ihnen schmackhaft genug machen. + +Adrast. Ich wollte wünschen,--denn noch habe ich Ihnen nichts +vorzuschreiben,-- + +Henriette. Dieses Noch ist mein Glück. Aber was wollten Sie denn +wünschen? + +Adrast. Daß Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel Ihrer +ältesten Mademoisell Schwester richten möchten. Ich verlange nicht, +daß Sie ihre ganze sittsame Art an sich nehmen sollen; wer weiß, ob +sie Ihnen so anstehen würde?-- + +Henriette. St! die Pfeife verrät das Holz, woraus sie geschnitten +ist. Lassen Sie doch hören, ob meine dazu stimmt? + +Adrast. Ich höre. + +Henriette. Es ist recht gut, daß Sie auf das Kapitel von Exempeln +gekommen sind. Ich habe Ihnen auch einen kleinen Vers daraus +vorzupredigen. + +Adrast. Was für eine Art sich auszudrücken! + +Henriette. Hum! Sie denken, weil Sie nichts vom Predigen halten. +Sie werden finden, daß ich eine Liebhaberin davon bin. Aber hören Sie +nur:--(In seinem vorigen Tone.) Ich wollte wünschen,--denn noch habe +ich Ihnen nichts vorzuschreiben,-- + +Adrast. Und werden es auch niemals haben. + +Henriette. Ja so!--Streichen Sie also das weg.--Ich wollte wünschen, +daß Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel des Herrn Theophans +bilden möchten. Ich verlange nicht, daß Sie seine ganze gefällige Art +an sich nehmen sollen, weil ich nichts Unmögliches verlangen mag; aber +so etwas davon würde Sie um ein gut Teil erträglicher machen. Dieser +Theophan, der nach weit strengern Grundsätzen lebt, als die Grundsätze +eines gewissen Freigeistes sind, ist allezeit aufgeräumt und +gesprächig. Seine Tugend, und noch sonst etwas, worüber Sie aber +lachen werden, seine Frömmigkeit--Lachen Sie nicht? + +Adrast. Lassen Sie sich nicht stören. Reden Sie nur weiter. Ich +will unterdessen meinen Gang verrichten, und gleich wieder hier sein. +(Geht ab.) + +Henriette. Sie dürfen nicht eilen. Sie kommen, wann Sie kommen: Sie +werden mich nie wieder so treffen.--Welche Grobheit! Soll ich mich +wohl darüber erzürnen?--Ich will mich besinnen. (Geht auf der andern +Seite ab.) + +(Ende des dritten Aufzuges.) + + + + + +Vierter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette. Sage was du willst; sein Betragen ist nicht zu +entschuldigen. + +Juliane. Davon würde sich alsdann erst urteilen lassen, wann ich auch +seine Gründe gehört hätte. Aber, meine liebe Henriette, willst du mir +wohl eine kleine schwesterliche Ermahnung nicht übelnehmen? + +Henriette. Das kann ich dir nicht voraus sagen. Wenn sie dahin +abzielen sollte, wohin ich mir einbilde-- + +Juliane. Ja, wenn du mit deinen Einbildungen dazu kömmst-- + +Henriette. Oh! ich bin mit meinen Einbildungen recht wohl zufrieden. +Ich kann ihnen nicht nachsagen, daß sie mich jemals sehr irregeführt +hätten. + +Juliane. Was meinst du damit? + +Henriette. Muß man denn immer etwas meinen? Du weißt ja wohl, +Henriette schwatzt gerne in den Tag hinein, und sie erstaunt allezeit +selber, wenn sie von ohngefähr ein Pünktchen trifft, welches das +Pünktchen ist, das man nicht gerne treffen lassen möchte. + +Juliane. Nun höre einmal, Lisette! + +Henriette. Ja, Lisette, laß uns doch hören, was das für eine +schwesterliche Ermahnung ist, die sie mir erteilen will. + +Juliane. Ich dir eine Ermahnung? + +Henriette. Mich deucht, du sprachst davon. + +Juliane. Ich würde sehr übel tun, wenn ich dir das geringste sagen +wollte. + +Henriette. Oh! ich bitte-- + +Juliane. Laß mich! + +Henriette. Die Ermahnung, Schwesterchen!-- + +Juliane. Du verdienst sie nicht. + +Henriette. So erteile sie mir ohne mein Verdienst. + +Juliane. Du wirst mich böse machen. + +Henriette. Und ich,--ich bin es schon. Aber denke nur nicht, daß ich +es über dich bin. Ich bin es über niemanden, als über den Adrast. +Und was mich unversöhnlich gegen ihn macht, ist dieses, daß meine +Schwester seinetwegen gegen mich ungerecht werden muß. + +Juliane. Von welcher Schwester sprichst du? + +Henriette. Von welcher?--von der, die ich gehabt habe. + +Juliane. Habe ich dich jemals so empfindlich gesehen!--Du weißt es, +Lisette, was ich gesagt habe. + +Lisette. Ja, das weiß ich; und es war wirklich weiter nichts, als +eine unschuldige Lobrede auf den Adrast, an der ich nur das +auszusetzen hatte, daß sie Mamsell Henrietten eifersüchtig machen +mußte. + +Juliane. Eine Lobrede auf Adrasten? + +Henriette. Mich eifersüchtig? + +Lisette. Nicht so stürmisch!--So geht's den Leuten, die mit der +Wahrheit geradedurch wollen: sie machen es niemanden recht. + +Henriette. Mich eifersüchtig? Auf Adrasten eifersüchtig? Ich werde, +von heute an, den Himmel um nichts inbrünstiger anflehen, als um die +Errettung aus den Händen dieses Mannes. + +Juliane. Ich? eine Lobrede auf Adrasten? Ist das eine Lobrede, wenn +ich sage, daß ein Mann einen Tag nicht wie den andern aufgeräumt sein +kann? Wenn ich sage, daß Adrasten die Bitterkeit, worüber meine +Schwester klagt, nicht natürlich ist und daß sie ein zugestoßener +Verdruß bei ihm müsse erregt haben? Wenn ich sage, daß ein Mann, wie +er, der sich mit finsteren Nachdenken vielleicht nur zu sehr +beschäftiget-- + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast. Juliane. Henriette. Lisette. + + +Henriette. Als wenn Sie gerufen wären, Adrast! Sie verließen mich +vorhin, unhöflich genug, mitten in der Erhebung des Theophans; aber +das hindert mich nicht, daß ich Ihnen nicht die Wiederholung Ihrer +eigenen anzuhören gönnen sollte.--Sie sehen sich um? Nach Ihrer +Lobrednerin gewiß? Ich bin es nicht, wahrhaftig! ich bin es nicht; +meine Schwester ist es. Eine Betschwester, die Lobrednerin eines +Freigeistes! Was für ein Widerspruch! Entweder Ihre Bekehrung muß +vor der Türe sein, Adrast, oder meiner Schwester Verführung. + +Juliane. Wie ausgelassen sie wieder auf einmal ist. + +Henriette. Stehen Sie doch nicht so hölzern da! + +Adrast. Ich nehme Sie zum Zeugen, schönste Juliane, wie verächtlich +sie mir begegnet. + +Henriette. Komm nur, Lisette! wir wollen sie allein lassen. Adrast +braucht ohne Zweifel unsere Gegenwart weder zu seiner Danksagung, noch +zu meiner Verklagung. + +Juliane. Lisette soll hierbleiben. + +Henriette. Nein, sie soll nicht. + +Lisette. Sie wissen wohl, ich gehöre heute Mamsell Henrietten. + +Henriette. Aber bei dem allen sieh dich vor, Schwester! Wenn mir +dein Theophan aufstößt, so sollst du sehen, was geschieht. Sie dürfen +nicht denken, Adrast, daß ich dieses sage, um Sie eifersüchtig zu +machen. Ich fühle es in der Tat, daß ich anfange, Sie zu hassen. + +Adrast. Es möchte Ihnen auch schwerlich gelingen, mich eifersüchtig +zu machen. + +Henriette. Oh! das wäre vortrefflich, wenn Sie mir hierinne gleich +wären. Alsdann, erst alsdann würde unsre Ehe eine recht glückliche +Ehe werden. Freuen Sie sich, Adrast! wie verächtlich wollen wir +einander begegnen!--Du willst antworten, Schwester? Nun ist es Zeit. +Fort, Lisette! + + + +Dritter Auftritt + +Adrast. Juliane. + + +Juliane. Adrast, Sie werden Geduld mit ihr haben müssen.--Sie +verdient es aber auch; denn sie hat das beste Herz von der Welt, so +verdächtig es ihre Zunge zu machen sucht. + +Adrast. Allzugütige Juliane! Sie hat das Glück, Ihre Schwester zu +sein; aber wie schlecht macht sie sich dieses Glück zunutze? Ich +entschuldige jedes Frauenzimmer, das ohne merkliche Fehler nicht hat +aufwachsen können, weil es ohne Erziehung und Beispiele hat aufwachsen +müssen; aber ein Frauenzimmer zu entschuldigen, das eine Juliane zum +Muster gehabt hat, und eine Henriette geworden ist: bis dahin langt +meine Höflichkeit nicht.-- + +Juliane. Sie sind aufgebracht, Adrast: wie könnten Sie billig sein? + +Adrast. Ich weiß nicht, was ich jetzo bin; aber ich weiß, daß ich aus +Empfindung rede.-- + +Juliane. Die zu heftig ist, als daß sie lange anhalten sollte. + +Adrast. So prophezeien Sie mir mein Unglück. + +Juliane. Wie?--Sie vergessen, in was für Verbindung Sie mit meiner +Schwester stehen? + +Adrast. Ach! Juliane, warum muß ich Ihnen sagen, daß ich kein Herz +für Ihre Schwester habe? + +Juliane. Sie erschrecken mich.-- + +Adrast. Und ich habe Ihnen nur noch die kleinste Hälfte von dem +gesagt, was ich Ihnen sagen muß. + +Juliane. So erlauben Sie, daß ich mir die größre erspare. (Sie will +fortgehen.) + +Adrast. Wohin? Ich hätte Ihnen meine Veränderung entdeckt, und Sie +wollten die Gründe, die mich dazu bewogen haben, nicht anhören? Sie +wollten mich mit dem Verdachte verlassen, daß ich ein unbeständiger, +leichtsinniger Flattergeist sei? + +Juliane. Sie irren sich. Nicht ich; mein Vater, meine Schwester, +haben allein auf Ihre Rechtfertigungen ein Recht. + +Adrast. Allein? Ach!-- + +Juliane. Halten Sie mich nicht länger-- + +Adrast. Ich bitte nur um einen Augenblick. Der größte Verbrecher +wird gehört-- + +Juliane. Von seinem Richter, Adrast; und ich bin Ihr Richter nicht. + +Adrast. Aber ich beschwöre Sie, es jetzt sein zu wollen. Ihr Vater, +schönste Juliane, und Ihre Schwester werden mich verdammen, und nicht +richten. Ihnen allein traue ich die Billigkeit zu, die mich beruhigen +kann. + +Juliane (beiseite). Ich glaube, er beredet mich, ihn anzuhören.--Nun +wohl! so sagen Sie denn, Adrast, was Sie wider meine Schwester so +eingenommen hat? + +Adrast. Sie selbst hat mich wider sich eingenommen. Sie ist zu wenig +Frauenzimmer, als daß ich sie als Frauenzimmer lieben könnte. Wenn +ihre Lineamente nicht ihr Geschlecht bestärkten, so würde man sie für +einen verkleideten wilden Jüngling halten, der zu ungeschickt wäre, +seine angenommene Rolle zu spielen. Was für ein Mundwerk! Und was +muß es für ein Geist sein, der diesen Mund in Beschäftigung erhält! +Sagen Sie nicht, daß vielleicht Mund und Geist bei ihr wenig oder +keine Verbindung miteinander haben. Desto schlimmer. Diese Unordnung, +da ein jedes von diesen zwei Stücken seinen eignen Weg hält, macht +zwar die Vergehungen einer solchen Person weniger strafbar; allein sie +vernichtet auch alles Gute, was diese Person noch etwa an sich haben +kann. Wenn ihre beißenden Spöttereien, ihre nachteiligen Anmerkungen +deswegen zu übersehen sind, weil sie es, wie man zu reden pflegt, +nicht so böse meinet; ist man nicht berechtiget, aus eben diesem +Grunde dasjenige, was sie Rühmliches und Verbindliches sagt, ebenfalls +für leere Töne anzusehen, bei welchen sie es vielleicht nicht so gut +meinet? Wie kann man eines Art zu denken beurteilen, wenn man sie +nicht aus seiner Art zu reden beurteilen soll? Und wenn der Schluß +von der Rede auf die Gesinnung in dem einen Falle nicht gelten soll, +warum soll er in dem andern gelten? Sie spricht mit dürren Worten, +daß sie mich zu hassen anfange; und ich soll glauben, daß sie mich +noch liebe? So werde ich auch glauben müssen, daß sie mich hasse, +wenn sie sagen wird, daß sie mich zu lieben anfange. + +Juliane. Adrast, Sie betrachten ihre kleinen Neckereien zu strenge, +und verwechseln Falschheit mit Übereilung. Sie kann der letztern des +Tages hundertmal schuldig werden; und von der erstern doch immer +entfernt bleiben. Sie müssen es aus ihren Taten, und nicht aus ihren +Reden, erfahren lernen, daß sie im Grunde die freundschaftlichste und +zärtlichste Seele hat. + +Adrast. Ach! Juliane, die Reden sind die ersten Anfänge der Taten, +ihre Elemente gleichsam. Wie kann man vermuten, daß diejenige +vorsichtig und gut handeln werde, der es nicht einmal gewöhnlich ist, +vorsichtig und gut zu reden? Ihre Zunge verschont nichts, auch +dasjenige nicht, was ihr das Heiligste von der Welt sein sollte. +Pflicht, Tugend, Anständigkeit, Religion: alles ist ihrem Spotte +ausgesetzt.-- + +Juliane. Stille, Adrast! Sie sollten der letzte sein, der diese +Anmerkung machte. + +Adrast. Wieso? + +Juliane. Wieso?--Soll ich aufrichtig reden? + +Adrast. Als ob Sie anders reden könnten.-- + +Juliane. Wie, wenn das ganze Betragen meiner Schwester, ihr Bestreben +leichtsinniger zu scheinen, als sie ist, ihre Begierde Spöttereien zu +sagen, sich nur von einer gewissen Zeit herschrieben? Wie, wenn diese +gewisse Zeit die Zeit Ihres Hierseins wäre, Adrast? + +Adrast. Was sagen Sie? + +Juliane. Ich will nicht sagen, daß Sie ihr mit einem bösen Exempel +vorgegangen wären. Allein wozu verleitet uns nicht die Begierde zu +gefallen? Wenn Sie Ihre Gesinnungen auch noch weniger geäußert hätten: +--und Sie haben sie oft deutlich genug geäußert.--so würde sie +Henriette doch erraten haben. Und sobald sie dieselben erriet, so +bald war der Schluß, sich durch die Annehmung gleicher Gesinnungen bei +Ihnen beliebt zu machen, für ein lebhaftes Mädchen sehr natürlich. +Wollen Sie wohl nun so grausam sein, und ihr dasjenige als ein +Verbrechen anrechnen, wofür Sie ihr, als für eine Schmeichelei, danken +sollten? + +Adrast. Ich danke niemanden, der klein genug ist, meinetwegen seinen +Charakter zu verlassen; und derjenige macht mir eine schlechte +Schmeichelei, der mich für einen Toren hält, welchem nichts als seine +Art gefalle, und der überall gern kleine Kopien und verjüngte +Abschilderungen von sich selbst sehen möchte. + +Juliane. Aber auf diese Art werden Sie wenig Proselyten machen. + +Adrast. Was denken Sie von mir, schönste Juliane? Ich Proselyten +machen? Rasendes Unternehmen! Wem habe ich meine Gedanken jemals +anschwatzen oder aufdringen wollen? Es sollte mir leid tun, sie unter +den Pöbel gebracht zu wissen. Wenn ich sie oft laut und mit einer +gewissen Heftigkeit verteidiget habe, so ist es in der Absicht, mich +zu rechtfertigen, nicht, andere zu überreden, geschehen. Wenn meine +Meinungen zu gemein würden, so würde ich der erste sein, der sie +verließe, und die gegenseitigen annähme. + +Juliane. Sie suchen also nur das Sonderbare? + +Adrast. Nein, nicht das Sonderbare, sondern bloß das Wahre; und ich +kann nicht dafür, wenn jenes, leider! eine Folge von diesem ist. Es +ist mir unmöglich zu glauben, daß die Wahrheit gemein sein könne; +ebenso unmöglich, als zu glauben, daß in der ganzen Welt auf einmal +Tag sein könne. Das, was unter der Gestalt der Wahrheit unter allen +Völkern herumschleicht, und auch von den Blödsinnigsten angenommen +wird, ist gewiß keine Wahrheit, und man darf nur getrost die Hand, sie +zu entkleiden, anlegen, so wird man den scheußlichsten Irrtum nackend +vor sich stehen sehen. + +Juliane. Wie elend sind die Menschen, und wie ungerecht ihr Schöpfer, +wenn Sie recht haben, Adrast! Es muß entweder gar keine Wahrheit sein, +oder sie muß von der Beschaffenheit sein, daß sie von den meisten, ja +von allen, wenigstens im Wesentlichsten, empfunden werden kann. + +Adrast. Es liegt nicht an der Wahrheit, daß sie es nicht werden kann, +sondern an den Menschen.--Wir sollen glücklich in der Welt leben; dazu +sind wir erschaffen; dazu sind wir einzig und allein erschaffen. +Sooft die Wahrheit diesem großen Endzwecke hinderlich ist, sooft ist +man verbunden, sie beiseite zu setzen; denn nur wenig Geister können +in der Wahrheit selbst ihr Glück finden. Man lasse daher dem Pöbel +seine Irrtümer; man lasse sie ihm, weil sie ein Grund seines Glückes +und die Stütze des Staates sind, in welchem er für sich Sicherheit, +Überfluß und Freude findet. Ihm die Religion nehmen, heißt ein wildes +Pferd auf der fetten Weide losbinden, das, sobald es sich frei fühlt, +lieber in unfruchtbaren Wäldern herumschweifen und Mangel leiden, als +durch einen gemächlichen Dienst alles, was es braucht, erwerben will.-- +Doch nicht für den Pöbel allein, auch noch für einen andern Teil des +menschlichen Geschlechts muß man die Religion beibehalten. Für den +schönsten Teil, meine ich, dem sie eine Art von Zierde, wie dort eine +Art von Zaume ist. Das Religiöse stehet der weiblichen Bescheidenheit +sehr wohl; es gibt der Schönheit ein gewisses edles, gesetztes und +schmachtendes Ansehen-- + +Juliane. Halten Sie, Adrast! Sie erweisen meinem Geschlechte +ebensowenig Ehre, als der Religion. Jenes setzen Sie mit dem Pöbel in +eine Klasse, so fein auch Ihre Wendung war; und diese machen Sie aufs +höchste zu einer Art von Schminke, die das Geräte auf unsern +Nachttischen vermehren kann. Nein, Adrast! die Religion ist eine +Zierde für alle Menschen; und muß ihre wesentlichste Zierde sein. Ach! +Sie verkennen sie aus Stolze; aber aus einem falschen Stolze. Was +kann unsre Seele mit erhabenern Begriffen füllen, als die Religion? +Und worin kann die Schönheit der Seele anders bestehen, als in solchen +Begriffen? in würdigen Begriffen von Gott, von uns, von unsern +Pflichten, von unserer Bestimmung? Was kann unser Herz, diesen +Sammelplatz verderbter und unruhiger Leidenschaften, mehr reinigen, +mehr beruhigen, als eben diese Religion? Was kann uns im Elende mehr +aufrichten, als sie? Was kann uns zu wahrern Menschen, zu bessern +Bürgern, zu aufrichtigern Freunden machen, als sie?--Fast schäme ich +mich, Adrast, mit Ihnen so ernstlich zu reden. Es ist der Ton ohne +Zweifel nicht, der Ihnen an einem Frauenzimmer gefällt, ob Ihnen +gleich der entgegengesetzte ebensowenig zu gefallen scheinet. Sie +könnten alles dieses aus einem beredtern Munde, aus dem Munde des +Theophans hören. + + + +Vierter Auftritt + +Henriette. Juliane. Adrast. + + +Henriette (bleibt an der Szene horchend stehen). St! + +Adrast. Sagen Sie mir nichts vom Theophan. Ein Wort von Ihnen hat +mehr Nachdruck, als ein stundenlanges Geplärre von ihm. Sie wundern +sich? Kann es bei der Macht, die eine Person über mich haben muß, die +ich einzig liebe, die ich anbete, anders sein?--Ja, die ich liebe.-- +Das Wort ist hin! es ist gesagt! Ich bin mein Geheimnis los, bei +dessen Verschweigung ich mich ewig gequälet hätte, von dessen +Entdeckung ich aber darum nichts mehr hoffe.--Sie entfärben sich?-- + +Juliane. Was habe ich gehört? Adrast!-- + +Adrast (indem er niederfällt). Lassen Sie mich es Ihnen auf den Knien +zuschwören, daß Sie die Wahrheit gehört haben.--Ich liebe Sie, +schönste Juliane, und werde Sie ewig lieben. Nun, nun liegt mein Herz +klar und aufgedeckt vor Ihnen da. Umsonst wollte ich mich und andere +bereden, daß meine Gleichgültigkeit gegen Henrietten die Wirkung an +ihr bemerkter nachteiliger Eigenschaften sei; da sie doch nichts, als +die Wirkung einer schon gebundenen Neigung war. Ach! die +liebenswürdige Henriette hat vielleicht keinen andern Fehler, als +diesen, daß sie eine noch liebenswürdigere Schwester hat.-- + +Henriette. Bravo! die Szene muß ich den Theophan unterbrechen lassen. +--(Geht ab.) + + + +Fünfter Auftritt + +Juliane. Adrast. + + +Adrast (indem er gähling aufsteht). Wer sprach hier? + +Juliane. Himmel! es war Henriettens Stimme. + +Adrast. Ja, sie war es. Was für eine Neugierde! was für ein Vorwitz! +Nein, nein! ich habe nichts zu widerrufen; sie hat alle die Fehler, +die ich ihr beigelegt, und noch weit mehrere. Ich könnte sie nicht +lieben, und wenn ich auch schon vollkommen frei, vollkommen +gleichgültig gegen eine jede andere wäre. + +Juliane. Was für Verdruß, Adrast, werden Sie mir zuziehen! + +Adrast. Sorgen Sie nicht! Ich werde Ihnen allen diesen Verdruß durch +meine plötzliche Entfernung zu ersparen wissen. + +Juliane. Durch Ihre Entfernung? + +Adrast. Ja, sie ist fest beschlossen. Meine Umstände sind von der +Beschaffenheit, daß ich die Güte Lisidors mißbrauchen würde, wenn ich +länger bliebe. Und über dieses will ich lieber meinen Abschied nehmen, +als ihn bekommen. + +Juliane. Sie überlegen nicht, was Sie sagen, Adrast. Von wem sollten +Sie ihn bekommen? + +Adrast. Ich kenne die Väter, schönste Juliane, und kenne auch die +Theophane. Erlauben Sie, daß ich mich nicht näher erklären darf. Ach! +wenn ich mir schmeicheln könnte, daß Juliane--Ich sage nichts weiter. +Ich will mir mit keiner Unmöglichkeit schmeicheln. Nein, Juliane +kann den Adrast nicht lieben; sie muß ihn hassen.-- + +Juliane. Ich hasse niemanden, Adrast.-- + +Adrast. Sie hassen mich; denn hier ist Hassen eben das, was +Nichtlieben ist. Sie lieben den Theophan.--Ha! hier kömmt er selbst. + + + +Sechster Auftritt + +Theophan. Adrast. Juliane. + + +Juliane (beiseite). Was wird er sagen? was werde ich antworten? + +Adrast. Ich kann mir es einbilden, auf wessen Anstiften Sie herkommen. +Aber was glaubt sie damit zu gewinnen? Mich zu verwirren? mich +wieder an sich zu ziehen?--Wie wohl läßt es Ihnen, Theophan, und Ihrem +ehrwürdigen Charakter, das Werkzeug einer weiblichen Eifersucht zu +sein! Oder kommen Sie gar, mich zur Rede zu setzen? Ich werde Ihnen +alles gestehen; ich werde noch stolz darauf sein. + +Theophan. Wovon reden Sie, Adrast? Ich verstehe kein Wort. + +Juliane. Erlauben Sie, daß ich mich entferne. Theophan, ich +schmeichle mir, daß Sie einige Hochachtung für mich haben; Sie werden +keine ungerechte Auslegungen machen, und wenigstens glauben, daß ich +meine Pflicht kenne, und daß sie mir zu heilig ist, sie auch nur in +Gedanken zu verletzen. + +Theophan. Verziehen Sie doch.--Was sollen diese Reden? Ich verstehe +Sie so wenig, als ich den Adrast verstanden habe. + +Juliane. Es ist mir lieb, daß Sie aus einer unschuldigen Kleinigkeit +nichts machen wollen. Aber lassen Sie mich--(Geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Adrast. Theophan. + + +Theophan. Ihre Geliebte, Adrast, schickte mich hierher: Ich würde +hier nötig sein, sagte sie. Ich eile, und bekomme lauter Rätsel zu +hören. + +Adrast. Meine Geliebte?--Ei! wie fein haben Sie dieses angebracht! +Gewiß, Sie konnten Ihre Vorwürfe nicht kürzer fassen. + +Theophan. Meine Vorwürfe? Was habe ich Ihnen denn vorzuwerfen?' + +Adrast. Wollen Sie etwa die Bestätigung aus meinem Munde hören? + +Theophan. Sagen Sie mir nur, was Sie bestätigen wollen? Ich stehe +ganz erstaunt hier.-- + +Adrast. Das geht zu weit. Welche kriechende Verstellung! Doch damit +sie Ihnen endlich nicht zu sauer wird, so will ich Sie mit Gewalt +zwingen, sie abzulegen.--Ja, es ist alles wahr, was Ihnen Henriette +hinterbracht hat. Sie war niederträchtig genug, uns zu behorchen.-- +Ich liebe Julianen, und habe ihr meine Liebe gestanden.-- + +Theophan. Sie lieben Julianen? + +Adrast (spöttisch). Und was das Schlimmste dabei ist, ohne den +Theophan um Erlaubnis gebeten zu haben. + +Theophan. Stellen Sie sich deswegen zufrieden. Sie haben nur eine +sehr kleine Formalität übergangen. + +Adrast. Ihre Gelassenheit, Theophan, ist hier nichts Besonders. Sie +glauben Ihrer Sachen gewiß zu sein.--Und ach! wenn Sie es doch +weniger wären! Wenn ich doch nur mit der geringsten +Wahrscheinlichkeit hinzusetzen könnte, daß Juliane auch mich liebe. +Was für eine Wollust sollte mir das Erschrecken sein, das sich in +Ihrem Gesichte verraten würde! Was für ein Labsal für mich, wenn ich +Sie seufzen hörte, wenn ich Sie zittern sähe! Wie würde ich mich +freuen, wenn Sie Ihre ganze Wut an mir auslassen, und mich voller +Verzweiflung, ich weiß nicht wohin, verwünschen müßten! + +Theophan. So könnte Sie wohl kein Glück entzücken, wenn es nicht +durch das Unglück eines andern gewürzt würde?--Ich bedaure den Adrast! +Die Liebe muß alle ihre verderbliche Macht an ihm verschwendet haben, +weil er so unanständig reden kann. + +Adrast. Wohl! an dieser Miene, an dieser Wendung erinnere ich mich, +was ich bin. Es ist wahr, ich bin Ihr Schuldner, Theophan: und gegen +seine Schuldner hat man das Recht, immer ein wenig groß zu tun;--doch +Geduld! ich hoffe es nicht lange mehr zu sein. Es hat sich noch ein +ehrlicher Mann gefunden, der mich aus dieser Verlegenheit reißen will. +Ich weiß nicht, wo er bleibt. Seinem Versprechen gemäß, hätte er +bereits mit dem Gelde hier sein sollen. Ich werde wohltun, wenn ich +ihn hole. + +Theophan. Aber noch ein Wort, Adrast. Ich will Ihnen mein ganzes +Herz entdecken.-- + +Adrast. Diese Entdeckung würde mich nicht sehr belustigen. Ich gehe, +und bald werde ich Ihnen mit einem kühnern Gesichte unter die Augen +treten können. (Geht ab.) + +Theophan (allein). Unbiegsamer Geist! Fast verzweifle ich an meinem +Unternehmen. Alles ist bei ihm umsonst. Aber was würde er gesagt +haben, wenn er mir Zeit gelassen hätte, ihn für sein Geständnis, mit +einem andern ähnlichen Geständnisse zu bezahlen?--Sie kömmt. + + + +Achter Auftritt + +Henriette. Lisette. Theophan. + + +Henriette. Nun? Theophan, habe ich Sie nicht zu einem artigen +Anblicke verholfen? + +Theophan. Sie sind leichtfertig, schöne Henriette. Aber was meinen +Sie für einen Anblick? Kaum daß ich die Hauptsache mit Mühe und Not +begriffen habe. + +Henriette. O schade!--Sie kamen also zu langsam? und Adrast lag +nicht mehr vor meiner Schwester auf den Knien? + +Theophan. So hat er vor ihr auf den Knien gelegen? + +Lisette. Leider für Sie alle beide! + +Henriette. Und meine Schwester stand da,--ich kann es Ihnen nicht +beschreiben,--stand da, fast, als wenn sie ihn in dieser unbequemen +Stellung gerne gesehen hätte. Sie dauern mich, Theophan!-- + +Theophan. Soll ich Sie auch bedauren, mitleidiges Kind? + +Henriette. Mich bedauren? Sie sollen mir Glück wünschen. + +Lisette. Aber nein; so etwas schreit um Rache! + +Theophan. Und wie meint Lisette denn, daß man sich rächen könne? + +Lisette. Sie wollen sich also doch rächen? + +Theophan. Vielleicht. + +Lisette. Und Sie sich auch, Mamsell? + +Henriette. Vielleicht. + +Lisette. Gut! das sind zwei Vielleicht, womit sich etwas anfangen +läßt. + +Theophan. Aber es ist noch sehr ungewiß, ob Juliane den Adrast +wiederliebt; und wenn dieses nicht ist, so würde ich zu zeitig auf +Rache denken. + +Lisette. Oh! die christliche Seele! Nun überlegt sie erst, daß man +sich nicht rächen soll. + +Theophan. Nicht so spöttisch, Lisette! Es würde hier von einer sehr +unschuldigen Rache die Rede sein. + +Henriette. Das meine ich auch; von einer sehr unschuldigen. + +Lisette. Wer leugnet das? von einer so unschuldigen, daß man sich +mit gutem Gewissen darüber beratschlagen kann. Hören Sie nur! Ihre +Rache, Herr Theophan, wäre eine männliche Rache, nicht wahr? und Ihre +Rache, Mamsell Henriette, wäre eine weibliche Rache: eine männliche +Rache--nun, und eine weibliche Rache--Ja! wie bringe ich wohl das +Ding recht gescheut herum? + +Henriette. Du bist eine Närrin mitsamt deinen Geschlechtern. + +Lisette. Helfen Sie mir doch ein wenig, Herr Theophan.--Was meinen +Sie dazu? Wenn zwei Personen einerlei Weg gehen müssen, nicht wahr? +so ist es gut, daß diese zwei Personen einander Gesellschaft leisten? + +Theophan. Jawohl; aber vorausgesetzt, daß diese zwei Personen +einander leiden können. + +Henriette. Das war der Punkt! + +Lisette (beiseite). Will denn keines anbeißen? Ich muß einen andern +Zipfel fassen.--Es ist schon wahr, was Herr Theophan vorhin sagte, daß +es nämlich noch sehr ungewiß sei, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe. +Ich setze sogar hinzu. Es ist noch sehr ungewiß, ob Herr Adrast +Mamsell Julianen wirklich liebt. + +Henriette. O schweig, du unglückliche Zweiflerin. Es soll nun aber +gewiß sein! + +Lisette. Die Mannspersonen bekommen dann und wann gewisse Anfälle von +einer gewissen wetterwendischen Krankheit, die aus einer gewissen +Überladung des Herzens entspringt. + +Henriette. Aus einer Überladung des Herzens? Schön gegeben! + +Lisette. Ich will Ihnen gleich sagen, was das heißt. So wie Leute, +die sich den Magen überladen haben, nicht eigentlich mehr wissen, was +ihnen schmeckt, und was ihnen nicht schmeckt: so geht es auch den +Leuten, die sich das Herz überladen haben. Sie wissen selbst nicht +mehr, auf welche Seite das überladene Herz hinhängt, und da trifft es +sich denn wohl, daß kleine Irrungen in der Person daraus entstehen.-- +Habe ich nicht recht, Herr Theophan? + +Theophan. Ich will es überlegen. + +Lisette. Sie sind freilich eine weit bessere Art von Mannspersonen, +und ich halte Sie für allzu vorsichtig, als daß Sie Ihr Herz so +überladen sollten.--Aber wissen Sie wohl, was ich für einen Einfall +habe, wie wir gleichwohl hinter die Wahrheit mit dem Herrn Adrast und +der Mamsell Juliane kommen wollen? + +Theophan. Nun? + +Henriette. Du würdest mich neugierig machen, wenn ich nicht schon +hinter der Wahrheit wäre.-- + +Lisette. Wie? wenn wir einen gewissen blinden Lärm machten? + +Henriette. Was ist das wieder? + +Lisette. Ein blinder Lärm ist ein Lärm wohinter nichts ist; der aber +doch die Gabe hat, den Feind--zu einer gewissen Aufmerksamkeit zu +bringen.--Zum Exempel: Um zu erfahren, ob Mamsell Juliane den Adrast +liebe, müßte sich Herr Theophan in jemand anders verliebt stellen; und +um zu erfahren, ob Adrast Mamsell Julianen liebe, müßten Sie sich in +jemand anders verliebt stellen. Und da es nun nicht lassen würde, +wenn sich Herr Theophan in mich verliebt stellte, noch viel weniger, +wenn Sie sich in seinen Martin verliebt stellen wollten: so wäre, kurz +und gut, mein Rat, Sie stellten sich beide ineinander verliebt.--Ich +rede nur von Stellen; merken Sie wohl, was ich sage! nur von Stellen; +denn sonst könnte der blinde Lärm auf einmal Augen kriegen.--Nun sagen +Sie mir beide, ist der Anschlag nicht gut? + +Theophan (beiseite). Wo ich nicht gehe, so wird sie noch machen, daß +ich mich werde erklären müssen.--Der Anschlag ist so schlimm nicht; +aber-- + +Lisette. Sie sollen sich ja nur stellen.-- + +Theophan. Das Stellen eben ist es, was mir dabei nicht gefällt. + +Lisette. Und Sie, Mamsell? + +Henriette. Ich bin auch keine Liebhaberin vom Stellen. + +Lisette. Besorgen Sie beide etwa, daß Sie es zu natürlich machen +möchten?--Was stehen Sie so auf dem Sprunge, Herr Theophan? Was +stehen Sie so in Gedanken, Mamsell? + +Henriette. Oh! geh; es wäre in meinem Leben das erstemal. + +Theophan. Ich muß mich auf einige Augenblicke beurlauben, schönste +Henriette.-- + +Lisette. Es ist nicht nötig. Sie sollen mir wahrhaftig nicht +nachsagen, daß ich Sie weggeplaudert habe. Kommen Sie, Mamsell!-- + +Henriette. Es ist auch wahr, dein Plaudern ist manchmal recht +ärgerlich. Komm!--Theophan, soll ich sagen, daß Sie nicht lange weg +sein werden? + +Theophan. Wenn ich bitten darf.-- + +(Henriette und Lisette geben auf der einen Seite ab. Indem Theophan +auf der andern abgeben will, begegnet ihm der Wechsler.) + + + +Neunter Auftritt + +Theophan. Der Wechsler. + + +Der Wechsler. Sie werden verzeihen, mein Herr. Ich möchte nur ein +Wort mit dem Herrn Adrast sprechen. + +Theophan. Eben jetzt ist er ausgegangen. Wollen Sie mir es +auftragen?-- + +Der Wechsler. Wenn ich so frei sein darf.--Er hat eine Summe Geldes +bei mir aufnehmen wollen, die ich ihm auch anfangs versprach. Ich +habe aber nunmehr Bedenklichkeiten gefunden, und ich komme, es ihm +wieder abzusagen: das ist es alles. + +Theophan. Bedenklichkeiten, mein Herr? Was für Bedenklichkeiten? +doch wohl keine von seiten des Adrast? + +Der Wechsler. Warum nicht? + +Theophan. Ist er kein Mann von Kredit? + +Der Wechsler. Kredit, mein Herr, Sie werden wissen, was das ist. Man +kann heute Kredit haben, ohne gewiß zu sein, daß man ihn morgen haben +wird. Ich habe seine jetzigen Umstände erfahren.-- + +Theophan (beiseite). Ich muß mein möglichstes tun, daß diese nicht +auskommen.--Sie müssen die falschen erfahren haben.--Kennen Sie mich, +mein Herr?-- + +Der Wechsler. Von Person nicht; vielleicht, wenn ich Ihren Namen +hören sollte.-- + +Theophan. Theophan. + +Der Wechsler. Ein Name, von dem ich allezeit das Beste gehört habe. + +Theophan. Wenn Sie dem Herrn Adrast die verlangte Summe nicht auf +seine Unterschrift geben wollen, wollen Sie es wohl auf die meinige +tun? + +Der Wechsler. Mit Vergnügen. + +Theophan. Haben Sie also die Güte, mich auf meine Stube zu begleiten. +Ich will Ihnen die nötigen Versicherungen ausstellen; wobei es bloß +darauf ankommen wird, diese Bürgschaft vor dem Adrast selbst geheim zu +halten. + +Der Wechsler. Vor ihm selbst? + +Theophan. Allerdings; um ihm den Verdruß über Ihr Mißtrauen zu +ersparen.-- + +Der Wechsler. Sie müssen ein großmütiger Freund sein. + +Theophan. Lassen Sie uns nicht länger verziehen. + +(Gehen ab.) + +(Ende des vierten Aufzuges.) + + + + + +Fünfter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Wechsler, von der einen Seite, und von der andern Adrast. + + +Adrast (vor sich). Ich habe meinen Mann nicht finden können.-- + +Der Wechsler (vor sich). So lasse ich es mir gefallen.-- + +Adrast. Aber sieh da!--Ei! mein Herr, finde ich Sie hier? So sind +wir ohne Zweifel einander fehlgegangen? + +Der Wechsler. Es ist mir lieb, mein Herr Adrast, daß ich Sie noch +treffe. + +Adrast. Ich habe Sie in Ihrer Wohnung gesucht. Die Sache leidet +keinen Aufschub. Ich kann mich doch noch auf Sie verlassen? + +Der Wechsler. Nunmehr, ja. + +Adrast. Nunmehr? Was wollen Sie damit? + +Der Wechsler. Nichts. Ja, Sie können sich auf mich verlassen. + +Adrast. Ich will nicht hoffen, daß Sie einiges Mißtrauen gegen mich +haben? + +Der Wechsler. Im geringsten nicht. + +Adrast. Oder, daß man Ihnen einiges beizubringen gesucht hat? + +Der Wechsler. Noch viel weniger. + +Adrast. Wir haben bereits miteinander zu tun gehabt, und Sie sollen +mich auch künftig als einen ehrlichen Mann finden. + +Der Wechsler. Ich bin ohne Sorgen. + +Adrast. Es liegt meiner Ehre daran, diejenigen zuschanden zu machen, +die boshaft genug sind, meinen Kredit zu schmälern. + +Der Wechsler. Ich finde, daß man das Gegenteil tut. + +Adrast. Oh! sagen Sie das nicht. Ich weiß wohl, daß ich meine +Feinde habe-- + +Der Wechsler. Sie haben aber auch Ihre Freunde.-- + +Adrast. Aufs höchste dem Namen nach. Ich würde auszulachen sein, +wenn ich auf sie rechnen wollte.--Und glauben Sie, mein Herr, daß es +mir nicht einmal lieb ist, daß Sie, in meiner Abwesenheit, hier in +diesem Hause gewesen sind? + +Der Wechsler. Und es muß Ihnen doch lieb sein. + +Adrast. Es ist zwar das Haus, zu welchem ich mir nichts als Gutes +versehen sollte; aber eine gewisse Person darin, mein Herr, eine +gewisse Person--Ich weiß, ich würde es empfunden haben, wenn Sie mit +derselben gesprochen hätten. + +Der Wechsler. Ich habe eigentlich mit niemanden gesprochen; diejenige +Person aber, bei welcher ich mich nach Ihnen erkundigte, hat die +größte Ergebenheit gegen Sie bezeugt. + +Adrast. Ich kann es Ihnen wohl sagen, wer die Person ist, vor deren +übeln Nachrede ich mich einigermaßen fürchte. Es wird sogar gut sein, +wenn Sie es wissen, damit Sie, wenn Ihnen nachteilige Dinge von mir zu +Ohren kommen sollten, den Urheber kennen. + +Der Wechsler. Ich werde nicht nötig haben, darauf zu hören. + +Adrast. Aber doch--Mit einem Worte, es ist Theophan. + +Der Wechsler (erstaunt). Theophan? + +Adrast. Ja, Theophan. Er ist mein Feind-- + +Der Wechsler. Theophan Ihr Feind? + +Adrast. Sie erstaunen? + +Der Wechsler. Nicht ohne die größte Ursache.-- + +Adrast. Ohne Zweifel weil Sie glauben, daß ein Mann von seinem Stande +nicht anders, als großmütig und edel sein könne?-- + +Der Wechsler. Mein Herr-- + +Adrast. Er ist der gefährlichste Heuchler, den ich unter +seinesgleichen noch jemals gefunden habe. + +Der Wechsler. Mein Herr-- + +Adrast. Er weiß, daß ich ihn kenne, und gibt sich daher alle Mühe, +mich zu untergraben.-- + +Der Wechsler. Ich bitte Sie-- + +Adrast. Wenn Sie etwa eine gute Meinung von ihm haben, so irren Sie +sich sehr. Vielleicht zwar, daß Sie ihn nur von der Seite seines +Vermögens kennen; und wider dieses habe ich nichts: er ist reich; aber +eben sein Reichtum schafft ihm Gelegenheit, auf die allerfeinste Art +schaden zu können. + +Der Wechsler. Was sagen Sie? + +Adrast. Er wendet unbeschreibliche Ränke an, mich aus diesem Hause zu +bringen; Ränke, denen er ein so unschuldiges Ansehen geben kann, daß +ich selbst darüber erstaune. + +Der Wechsler. Das ist zu arg! Länger kann ich durchaus nicht +schweigen. Mein Herr, Sie hintergehen sich auf die erstaunlichste Art. +-- + +Adrast. Ich mich? + +Der Wechsler. Theophan kann das unmöglich sein, wofür Sie ihn +ausgeben. Hören Sie alles! Ich kam hierher, mein Ihnen gegebenes +Wort wieder zurückezunehmen. Ich hatte von sicherer Hand, nicht vom +Theophan, Umstände von Ihnen erfahren, die mich dazu nötigten. Ich +fand ihn hier, und ich glaubte, es ihm ohne Schwierigkeit sagen zu +dürfen-- + +Adrast. Dem Theophan? Wie wird sich der Niederträchtige gekitzelt +haben! + +Der Wechsler. Gekitzelt? Er hat auf das nachdrücklichste für Sie +gesprochen. Und kurz, wenn ich Ihnen mein erstes Versprechen halte, +so geschieht es bloß in Betrachtung seiner. + +Adrast. In Betrachtung seiner?--Wo bin ich? + +Der Wechsler. Er hat mir schriftliche Versicherungen gegeben, die ich +als eine Bürgschaft für Sie ansehen kann. Zwar hat er mir es zugleich +verboten, jemanden das geringste davon zu sagen: allein ich konnte es +unmöglich anhören, daß ein rechtschaffener Mann so unschuldig +verlästert würde. Sie können die verlangte Summe bei mir abholen +lassen, wann es Ihnen beliebt. Nur werden Sie mir den Gefallen tun +und sich nichts gegen ihn merken lassen. Er bezeugte bei dem ganzen +Handel so viel Aufrichtigkeit und Freundschaft für Sie, daß er ein +Unmensch sein müßte, wenn er die Verstellung bis dahin treiben könnte.- +-Leben Sie wohl! (Geht ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Adrast.--Was für ein neuer Streich!--Ich kann nicht wieder zur mir +selbst kommen!--Es ist nicht auszuhalten!--Verachtungen, Beleidigungen, +--Beleidigungen in dem Gegenstande, der ihm der liebste sein muß:-- +alles ist umsonst; nichts will er fühlen. Was kann ihn so verhärten? +Die Bosheit allein, die Begierde allein, seine Rache reif werden zu +lassen.--Wen sollte dieser Mann nicht hinter das Licht führen? Ich +weiß nicht, was ich denken soll. Er dringt seine Wohltaten mit einer +Art auf--Aber verwünscht sind seine Wohltaten, und seine Art! Und +wenn auch keine Schlange unter diesen Blumen läge, so würde ich ihn +doch nicht anders als hassen können. Hassen werde ich ihn, und wenn +er mir das Leben rettete. Er hat mir das geraubt, was kostbarer ist, +als das Leben: das Herz meiner Juliane; ein Raub, den er nicht +ersetzen kann, und wenn er sich mir zu eigen schenkte. Doch er will +ihn nicht ersetzen; ich dichte ihm noch eine zu gute Meinung an.-- + + + +Dritter Auftritt + +Theophan. Adrast. + + +Theophan. In welcher heftigen Bewegung treffe ich Sie abermals Adrast? + +Adrast. Sie ist Ihr Werk. + +Theophan. So muß sie eines von denen Werken sein, die wir alsdann +wider unsern Willen hervorbringen, wann wir uns am meisten nach ihrem +Gegenteile bestreben. Ich wünsche nichts, als Sie ruhig zu sehen, +damit Sie mit kaltem Blute von einer Sache mit mir reden könnten, die +uns beide nicht näher angehen kann. + +Adrast. Nicht wahr, Theophan? es ist der höchste Grad der List, wenn +man alle seine Streiche so zu spielen weiß, daß die, denen man sie +spielt, selbst nicht wissen, ob und was für Vorwürfe sie uns machen +sollen? + +Theophan. Ohne Zweifel. + +Adrast. Wünschen Sie sich Glück: Sie haben diesen Grad erreicht. + +Theophan. Was soll das wieder? + +Adrast. Ich versprach Ihnen vorhin, die bewußten Wechsel zu bezahlen-- +(spöttisch) Sie werden es nicht übelnehmen, es kann nunmehr nicht sein. +Ich will Ihnen, anstatt der zerrissenen, andere Wechsel schreiben. + +Theophan (in eben dem Tone). Es ist wahr, ich habe sie in keiner +andern Absicht zerrissen, als neue von Ihnen zu bekommen.-- + +Adrast. Es mag Ihre Absicht gewesen sein, oder nicht: Sie sollen sie +haben.--Wollten Sie aber nicht etwa gern erfahren, warum ich sie +nunmehr nicht bezahlen kann? + +Theophan. Nun? + +Adrast. Weil ich die Bürgschaften nicht liebe. + +Theophan. Die Bürgschaften? + +Adrast. Ja; und weil ich Ihrer Rechten nichts geben mag, was ich aus +Ihrer Linken nehmen müßte. + +Theophan (beiseite). Der Wechsler hat mir nicht reinen Mund gehalten! + +Adrast. Sie verstehen mich doch? + +Theophan. Ich kann es nicht mit Gewißheit sagen. + +Adrast. Ich gebe mir alle Mühe, Ihnen auf keine Weise verbunden zu +sein: muß es mich also nicht verdrießen, daß Sie mich in den Verdacht +bringen, als ob ich es gleichwohl zu sein Ursache hätte? + +Theophan. Ich erstaune über Ihre Geschicklichkeit, alles auf der +schlimmsten Seite zu betrachten. + +Adrast. Und wie Sie gehört haben, so bin ich über die Ihrige erstaunt, +diese schlimme Seite so vortrefflich zu verbergen. Noch weiß ich +selbst nicht eigentlich, was ich davon denken soll. + +Theophan. Weil Sie das Natürlichste davon nicht denken wollen. + +Adrast. Dieses Natürlichste, meinen Sie vielleicht, wäre das, wenn +ich dächte, daß Sie diesen Schritt aus Großmut, aus Vorsorge für +meinen guten Namen getan hätten? Allein, mit Erlaubnis, hier wäre es +gleich das Unnatürlichste. + +Theophan. Sie haben doch wohl recht. Denn wie wäre es immer möglich, +daß ein Mann von meinem Stande nur halb so menschliche Gesinnungen +haben könnte? + +Adrast. Lassen Sie uns Ihren Stand einmal beiseite setzen. + +Theophan. Sollten Sie das wohl können?-- + +Adrast. Gesetzt also, Sie wären keiner von den Leuten, die, den +Charakter der Frömmigkeit zu behaupten, ihre Leidenschaften so geheim, +als möglich, halten müssen; die anfangs aus Wohlstand heucheln lernen, +und endlich die Heuchelei als eine zweite Natur beibehalten; die nach +ihren Grundsätzen verbunden sind, sich ehrlicher Leute, welche sie die +Kinder der Welt nennen, zu entziehen, oder wenigstens aus keiner +andern Absicht Umgang mit ihnen zu pflegen, als aus der +niederträchtigen Absicht, sie auf ihre Seite zu lenken; gesetzt, Sie +wären keiner von diesen: sind Sie nicht wenigstens ein Mensch, der +Beleidigungen empfindet? Und auf einmal alles in allem zu sagen:-- +Sind Sie nicht ein Liebhaber, welcher Eifersucht fühlen muß? + +Theophan. Es ist mir angenehm, daß Sie endlich auf diesen Punkt +herauskommen. + +Adrast. Vermuten Sie aber nur nicht, daß ich mit der geringsten +Mäßigung davon sprechen werde. + +Theophan. So will ich es versuchen, desto mehrere dabei zu brauchen. + +Adrast. Sie lieben Julianen, und ich--ich--was suche ich lange noch +Worte?--Ich hasse Sie wegen dieser Liebe, ob ich gleich kein Recht auf +den geliebten Gegenstand habe; und Sie, der Sie ein Recht darauf haben, +sollten mich, der ich Sie um dieses Recht beneide, nicht auch hassen? + +Theophan. Gewiß, ich sollte nicht.--Aber lassen Sie uns doch das +Recht untersuchen, das Sie und ich auf Julianen haben. + +Adrast. Wenn dieses Recht auf die Stärke unserer Liebe ankäme, so +würde ich es Ihnen vielleicht noch streitig machen. Es ist Ihr Glück, +daß es auf die Einwilligung eines Vaters, und auf den Gehorsam einer +Tochter ankömmt.-- + +Theophan. Hierauf will ich es durchaus nicht ankommen lassen. Die +Liebe allein soll Richter sein. Aber merken Sie wohl, nicht bloß +unsere, sondern vornehmlich die Liebe derjenigen, in deren Besitz Sie +mich glauben. Wenn Sie mich überführen können, daß Sie von Julianen +wiedergeliebet werden-- + +Adrast. So wollen Sie mir vielleicht Ihre Ansprüche abtreten? + +Theophan. So muß ich. + +Adrast. Wie höhnisch Sie mit mir umgehen!--Sie sind Ihrer Sachen +gewiß, und überzeugt, daß Sie bei dieser Rodomontade nichts aufs Spiel +setzen. + +Theophan. Also können Sie mir es nicht sagen, ob Sie Juliane liebet? + +Adrast. Wenn ich es könnte, würde ich wohl unterlassen, Sie mit +diesem Vorzuge zu peinigen? + +Theophan. Stille! Sie machen sich unmenschlicher, als Sie sind.--Nun +wohl! so will ich,--ich will es Ihnen sagen, daß Sie Juliane liebt. + +Adrast. Was sagen Sie?--Doch fast hätte ich über das Entzückende +dieser Versicherung vergessen, aus wessen Munde ich sie höre. Recht +so! Theophan, recht so! Man muß über seine Feinde spotten. Aber +wollen Sie, diese Spötterei vollkommen zu machen, mich nicht auch +versichern, daß Sie Julianen nicht lieben? + +Theophan (verdrießlich). Es ist unmöglich, mit Ihnen ein vernünftiges +Wort zu sprechen. (Er will weggehen.) + +Adrast (beiseite). Er wird zornig?--Warten Sie doch, Theophan. +Wissen Sie, daß die erste aufgebrachte Miene, die ich endlich von +Ihnen sehe, mich begierig macht, dieses vernünftige Wort zu hören? + +Theophan (zornig). Und wissen Sie, daß ich endlich Ihres +schimpflichen Betragens überdrüssig bin? + +Adrast (beiseite). Er macht Ernst.-- + +Theophan (noch zornig). Ich will mich bestreben, daß Sie den Theophan +so finden sollen, als Sie ihn sich vorstellen. + +Adrast. Verziehen Sie. Ich glaube in Ihrem Trotze mehr +Aufrichtigkeit zu sehen, als ich jemals in Ihrer Freundlichkeit +gesehen habe. + +Theophan. Wunderbarer Mensch! Muß man sich Ihnen gleichstellen, muß +man ebenso stolz, ebenso argwöhnisch, ebenso grob sein, als Sie, um +Ihr elendes Vertrauen zu gewinnen? + +Adrast. Ich werde Ihnen diese Sprache, ihrer Neuigkeit wegen, +vergeben müssen. + +Theophan. Sie soll Ihnen alt genug werden! + +Adrast. Aber in der Tat--Sie machen mich vollends verwirrt. Müssen +Sie mir Dinge, worauf alle mein Wohl ankömmt, mit einem fröhlichen +Gesichte sagen? Ich bitte Sie, sagen Sie es jetzt noch einmal, was +ich vorhin für eine Spötterei aufnehmen mußte. + +Theophan. Wenn ich es sage, glauben Sie nur nicht, daß es um +Ihretwillen geschieht. + +Adrast. Desto mehr werde ich mich darauf verlassen. + +Theophan. Aber ohne mich zu unterbrechen: das bitte ich.-- + +Adrast. Reden Sie nur. + +Theophan. Ich will Ihnen den Schlüssel zu dem, was Sie hören sollen, +gleich voraus geben. Meine Neigung hat mich nicht weniger betrogen, +als Sie die Ihrige. Ich kenne und bewundere alle die Vollkommenheiten, +die Julianen zu einer Zierde ihres Geschlechts machen; aber--ich +liebe sie nicht. + +Adrast. Sie-- + +Theophan. Es ist gleichviel, ob Sie es glauben oder nicht glauben.-- +Ich habe mir Mühe genug gegeben, meine Hochachtung in Liebe zu +verwandeln. Aber eben bei dieser Bemühung habe ich Gelegenheit gehabt, +es oft sehr deutlich zu merken, daß sich Juliane einen ähnlichen +Zwang antut. Sie wollte mich lieben, und liebte mich nicht. Das Herz +nimmt keine Gründe an, und will in diesem, wie in andern Stücken, +seine Unabhängigkeit von dem Verstande behaupten. Man kann es +tyrannisieren, aber nicht zwingen. Und was hilft es, sich selbst zum +Märtyrer seiner Überlegungen zu machen, wenn man gewiß weiß, daß man +keine Beruhigung dabei finden kann? Ich erbarmte mich also Julianens-- +oder vielmehr, ich erbarmte mich meiner selbst: ich unterdrückte meine +wachsende Neigung gegen eine andre Person nicht länger und sahe es mit +Vergnügen, daß auch Juliane zu ohnmächtig oder zu nachsehend war, der +ihrigen zu widerstehen. Diese ging auf einen Mann, der ihrer ebenso +unwürdig ist, als unwürdig er ist, einen Freund zu haben. Adrast +würde sein Glück in ihren Augen längst gewahr geworden sein, wenn +Adrast gelassen genug wäre, richtige Blicke zu tun. Er betrachtet +alles durch das gefärbte Glas seiner vorgefaßten Meinungen, und alles +obenhin; und würde wohl oft lieber seine Sinne verleugnen, als seinen +Wahn aufgeben. Weil Juliane ihn liebenswürdig fand, konnte ich mir +unmöglich einbilden, daß er so gar verderbt sei. Ich sann auf Mittel, +es beiden mit der besten Art beizubringen, daß sie mich nicht als eine +gefährliche Hinderung ansehen sollten. Ich kam nur jetzt in dieser +Absicht hieher; allein ließ mich Adrast, ohne die schimpflichsten +Abschreckungen, darauf kommen? Ich würde ihn, ohne ein weiteres Wort, +verlassen haben, wenn ich mich nicht noch derjenigen Person wegen +gezwungen hätte, der ich, von Grund meiner Seelen, alles gönne, was +sie sich selbst wünscht.--Mehr habe ich ihm nicht zu sagen. (Er will +fortgehen.) + +Adrast. Wohin, Theophan?--Urteilen Sie aus meinem Stilleschweigen, +wie groß mein Erstaunen sein müsse!--Es ist eine menschliche +Schwachheit, sich dasjenige leicht überreden zu lassen, was man heftig +wünscht. Soll ich ihr nachhängen? soll ich sie unterdrücken? + +Theophan. Ich will bei Ihrer Überlegung nicht gegenwärtig sein.-- + +Adrast. Wehe dem, der mich auf eine so grausame Art aufzuziehen denkt! + +Theophan. So räche mich denn Ihre marternde Ungewißheit an Ihnen! + +Adrast (beiseite). Jetzt will ich ihn fangen.--Wollen Sie mir noch +ein Wort erlauben, Theophan?--Wie können Sie über einen Menschen +zürnen, der mehr aus Erstaunen über sein Glück, als aus Mißtrauen +gegen Sie, zweifelt?-- + +Theophan. Adrast, ich werde mich schämen, nur einen Augenblick +gezürnt zu haben, sobald Sie vernünftig reden wollen. + +Adrast. Wenn es wahr ist, daß Sie Julianen nicht lieben, wird es +nicht nötig sein, daß Sie sich dem Lisidor entdecken? + +Theophan. Allerdings. + +Adrast. Und Sie sind es wirklich gesonnen? + +Theophan. Und zwar je eher, je lieber. + +Adrast. Sie wollen dem Lisidor sagen, daß Sie Julianen nicht lieben? + +Theophan. Was sonst? + +Adrast. Daß Sie eine andere Person lieben? + +Theophan. Vor allen Dingen; um ihm durchaus keine Ursache zu geben, +Julianen die rückgängige Verbindung zur Last zu legen. + +Adrast. Wollten Sie wohl alles dieses gleich jetzo tun? + +Theophan. Gleich jetzo?-- + +Adrast (beiseite). Nun habe ich ihn!--Ja, gleich jetzo. + +Theophan. Wollten Sie aber auch wohl eben diesen Schritt tun? +Wollten auch Sie dem Lisidor wohl sagen, daß Sie Henrietten nicht +liebten? + +Adrast. Ich brenne vor Verlangen. + +Theophan. Und daß Sie Julianen liebten? + +Adrast. Zweifeln Sie? + +Theophan. Nun wohl! so kommen Sie. + +Adrast (beiseite). Er will?-- + +Theophan. Nur geschwind! + +Adrast. Überlegen Sie es recht. + +Theophan. Und was soll ich denn noch überlegen? + +Adrast. Noch ist es Zeit.-- + +Theophan. Sie halten sich selbst auf. Nur fort!--(Indem er +vorangehen will.) Sie bleiben zurück? Sie stehen in Gedanken? Sie +sehen mich mit einem Auge an, das Erstaunen verrät? Was soll das?-- + +Adrast (nach einer kleinen Pause). Theophan!-- + +Theophan. Nun?--Bin ich nicht bereit? + +Adrast (gerührt). Theophan!--Sie sind doch wohl ein ehrlicher Mann. + +Theophan. Wie kommen Sie jetzt darauf? + +Adrast. Wie ich jetzt darauf komme? Kann ich einen stärkern Beweis +verlangen, daß Ihnen mein Glück nicht gleichgültig ist? + +Theophan. Sie erkennen dieses sehr spät--aber Sie erkennen es doch +noch.--Liebster Adrast, ich muß Sie umarmen.-- + +Adrast. Ich schäme mich--lassen Sie mich allein; ich will ihnen bald +folgen.-- + +Theophan. Ich werde Sie nicht allein lassen.--Ist es möglich, daß ich +Ihren Abscheu gegen mich überwunden habe? Daß ich ihn durch eine +Aufopferung überwunden habe, die mir so wenig kostet? Ach! Adrast, +Sie wissen noch nicht, wie eigennützig ich dabei bin; ich werde +vielleicht alle Ihre Hochachtung dadurch wieder verlieren:--Ich liebe +Henrietten. + +Adrast. Sie lieben Henrietten? Himmel! so können wir ja hier noch +beide glücklich sein. Warum haben wir uns nicht eher erklären müssen? +O Theophan! Theophan! ich würde Ihre ganze Aufführung mit einem +andern Auge angesehen haben. Sie würden der Bitterkeit meines +Verdachts, meiner Vorwürfe nicht ausgesetzt gewesen sein. + +Theophan. Keine Entschuldigungen, Adrast! Vorurteile und eine +unglückliche Liebe sind zwei Stücke, deren eines schon hinreichet, +einen Mann zu etwas ganz anderm zu machen, als er ist.--Aber was +verweilen wir hier länger? + +Adrast. Ja, Theophan, nun lassen Sie uns eilen.--Aber wenn uns +Lisidor zuwider wäre?--Wenn Juliane einen andern liebte?-- + +Theophan. Fassen Sie Mut. Hier kömmt Lisidor. + + + +Vierter Auftritt + +Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisidor. Ihr seid mir feine Leute! Soll ich denn beständig mit dem +fremden Vetter allein sein? + +Theophan. Wir waren gleich im Begriff zu Ihnen zu kommen. + +Lisidor. Was habt ihr nun wieder zusammen gemacht? gestritten? +Glaubt mir doch nur, aus dem Streiten kömmt nichts heraus. Ihr habt +alle beide, alle beide habt ihr recht.--Zum Exempel: (zum Theophan) +Der spricht, die Vernunft ist schwach; und der (zum Adrast) spricht, +die Vernunft ist stark. Jener beweiset mit starken Gründen, daß die +Vernunft schwach ist; und dieser mit schwachen Gründen, daß sie stark +ist. Kömmt das nun nicht auf eins heraus? schwach und stark, oder, +stark und schwach: was ist denn da für ein Unterscheid? + +Theophan. Erlauben Sie, wir haben jetzt weder von der Stärke, noch +von der Schwäche der Vernunft gesprochen-- + +Lisidor. Nun! so war es von etwas anderm, das ebensowenig zu +bedeuten hat.--Von der Freiheit etwa: Ob ein hungriger Esel, der +zwischen zwei Bündeln Heu steht, die einander vollkommen gleich sind, +das Vermögen hat, von dem ersten von dem besten zu fressen, oder, ob +der Esel so ein Esel sein muß, daß er lieber verhungert?-- + +Adrast. Auch daran ist nicht gedacht worden. Wir beschäftigten uns +mit einer Sache, bei der das Vornehmste nunmehr auf Sie ankömmt. + +Lisidor. Auf mich? + +Theophan. Auf Sie, der Sie unser ganzes Glück in Händen haben. + +Lisidor. Oh! ihr werdet mir einen Gefallen tun, wenn ihr es so +geschwind, als möglich, in eure eignen Hände nehmt.--Ihr meint doch +wohl das Glück in Fischbeinröcken? Schon lange habe ich es selber +nicht mehr gern behalten wollen. Denn der Mensch ist ein Mensch, und +eine Jungfer eine Jungfer; und Glück und Glas wie bald bricht das! + +Theophan. Wir werden zeitlebens nicht dankbar genug sein können, daß +Sie uns einer so nahen Verbindung gewürdiget haben. Allein es stößt +sich noch an eine sehr große Schwierigkeit. + +Lisidor. Was? + +Adrast. An eine Schwierigkeit, die unmöglich vorauszusehen war. + +Lisidor. Nu? + +Theophan und Adrast. Wir müssen Ihnen gestehen-- + +Lisidor. Alle beide zugleich? Was wird das sein? Ich muß euch +ordentlich vernehmen.--Was gestehen Sie, Theophan?-- + +Theophan. Ich muß Ihnen gestehen,--daß ich Julianen nicht liebe. + +Lisidor. Nicht liebe? habe ich recht gehört?--Und was ist denn Ihr +Geständnis, Adrast?-- + +Adrast. Ich muß Ihnen gestehen,--daß ich Henrietten nicht liebe. + +Lisidor. Nicht liebe?--Sie nicht lieben, und Sie nicht lieben; das +kann unmöglich sein! Ihr Streitköpfe, die ihr noch nie einig gewesen +seid, solltet jetzo zum ersten Male einig sein, da es darauf ankömmt, +mir den Stuhl vor die Türe zu setzen?--Ach! ihr scherzt, nun merke +ich's erst. + +Adrast. Wir? scherzen? + +Lisidor. Oder ihr müßt nicht klug im Kopfe sein. Ihr meine Töchter +nicht lieben? die Mädel weinen sich die Augen aus dem Kopfe.--Aber +warum denn nicht? wenn ich fragen darf. Was fehlt denn Julianen, daß +Sie sie nicht lieben können? + +Theophan. Ihnen die Wahrheit zu gestehen, ich glaube, daß ihr Herz +selbst für einen andern eingenommen ist. + +Adrast. Und eben dieses vermute ich mit Grunde auch von Henrietten. + +Lisidor. Ho! ho! dahinter muß ich kommen.--Lisette! he! Lisette!-- +Ihr seid also wohl gar eifersüchtig, und wollt nur drohen? + +Theophan. Drohen? da wir Ihrer Güte jetzt am nötigsten haben? + +Lisidor. He da! Lisette! + + + +Fünfter Auftritt + +Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisette. Hier bin ich ja schon! Was gibt's? + +Lisidor. Sage, sie sollen gleich herkommen. + +Lisette. Wer denn? + +Lisidor. Beide! hörst du nicht? + +Lisette. Meine Jungfern? + +Lisidor. Fragst du noch? + +Lisette. Gleich will ich sie holen. (Indem sie wieder umkehrt.) +Kann ich ihnen nicht voraus sagen, was sie hier sollen? + +Lisidor. Nein! + +Lisette (geht und kömmt wieder). Wenn sie mich nun aber fragen? + +Lisidor. Wirst du gehen? + +Lisette. Ich geh.--(Kömmt wieder.) Es ist wohl etwas Wichtiges? + +Lisidor. Ich glaube, du Maulaffe, willst es eher wissen, als sie? + +Lisette. Nur sachte! ich bin so neugierig nicht. + + + +Sechster Auftritt + +Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisidor. Ihr habt mich auf einmal ganz verwirrt gemacht. Doch nur +Geduld, ich will das Ding schon wieder in seine Wege bringen. Das +wäre mir gelegen, wenn ich mir ein Paar andere Schwiegersöhne suchen +müßte! Ihr waret mir gleich so recht, und so ein Paar bekomme ich +nicht wieder zusammen, wenn ich mir sie auch bestellen ließe. + +Adrast. Sie sich andre Schwiegersöhne suchen?--Was für ein Unglück +drohen Sie uns? + +Lisidor. Ihr wollt doch wohl nicht die Mädel heiraten, ohne sie zu +lieben? Da bin ich auch euer Diener. + +Theophan. Ohne sie zu lieben? + +Adrast. Wer sagt das? + +Lisidor. Was habt ihr denn sonst gesagt? + +Adrast. Ich bete Julianen an. + +Lisidor. Julianen? + +Theophan. Ich liebe Henrietten mehr, als mich selbst. + +Lisidor. Henrietten?--Uph! Wird mir doch auf einmal ganz wieder +leichte.--Ist das der Knoten? Also ist es weiter nichts, als daß sich +einer in des andern seine Liebste verliebt hat? Also wäre der ganze +Plunder mit einem Tausche gutzumachen? + +Theophan. Wie gütig sind Sie, Lisidor! + +Adrast. Sie erlauben uns also-- + +Lisidor. Was will ich tun? Es ist doch immer besser, ihr tauscht vor +der Hochzeit, als daß ihr nach der Hochzeit tauscht. Wenn es meine +Töchter zufrieden sind, ich bin es zufrieden. + +Adrast. Wir schmeicheln uns, daß sie es sein werden.--Aber bei der +Liebe, Lisidor, die Sie gegen uns zeigen, kann ich unmöglich anders, +ich muß Ihnen noch ein Geständnis tun. + +Lisidor. Noch eins? + +Adrast. Ich würde nicht rechtschaffen handeln, wenn ich Ihnen meine +Umstände verhehlte. + +Lisidor. Was für Umstände? + +Adrast. Mein Vermögen ist so geschmolzen, daß ich, wenn ich alle +meine Schulden bezahle, nichts übrig behalte. + +Lisidor. Oh! schweig doch davon. Habe ich schon nach deinem +Vermögen gefragt? Ich weiß so wohl, daß du ein lockrer Zeisig gewesen +bist, und alles durchgebracht hast; aber eben deswegen will ich dir +eine Tochter geben, damit du doch wieder etwas hast.--Nur stille! da +sind sie; laßt mich machen. + + + +Siebenter Auftritt + +Juliane. Henriette. Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast. + + +Lisette. Hier bringe ich sie, Herr Lisidor. Wir sind höchst begierig, +zu wissen, was Sie zu befehlen haben. + +Lisidor. Seht freundlich aus, Mädchens! ich will euch etwas +Fröhliches melden: Morgen soll's richtig werden. Macht euch gefaßt! + +Lisette. Was soll richtig werden? + +Lisidor. Für dich wird nichts mit richtig.--Lustig, Mädchens! +Hochzeit! Hochzeit!--Nu? Ihr seht ja so barmherzig aus? Was fehlt +dir, Juliane? + +Juliane. Sie sollen mich allezeit gehorsam finden; aber nur diesesmal +muß ich Ihnen vorstellen, daß Sie mich übereilen würden.--Himmel! +morgen? + +Lisidor. Und du, Henriette? + +Henriette. Ich, lieber Herr Vater? ich werde morgen krank sein, +todsterbenskrank! + +Lisidor. Verschieb es immer bis übermorgen. + +Henriette. Es kann nicht sein. Adrast weiß meine Ursachen. + +Adrast. Ich weiß, schönste Henriette, daß Sie mich hassen. + +Theophan. Und sie, liebste Juliane, Sie wollen gehorsam sein?--Wie +nahe scheine ich meinem Glücke zu sein, und wie weit bin ich +vielleicht noch davon entfernt!--Mit was für einem Gesichte soll ich +es Ihnen sagen, daß ich der Ehre Ihrer Hand unwert bin? daß ich mir +bei aller der Hochachtung, die ich für eine so vollkommene Person +hegen muß, doch nicht getraue, dasjenige für Sie zu empfinden, was ich +nur für eine einzige Person in der Welt empfinden will. + +Lisette. Das ist ja wohl gar ein Korb? Es ist nicht erlaubt, daß +auch Mannspersonen welche austeilen wollen. Hurtig also, Julianchen, +mit der Sprache heraus! + +Theophan. Nur ein eitles Frauenzimmer könnte meine Erklärung +beleidigen; und ich weiß, daß Juliane über solche Schwachheiten so +weit erhaben ist,-- + +Juliane. Ach Theophan! ich höre es schon: Sie haben zu scharfe +Blicke in mein Herz getan.-- + +Adrast. Sie sind nun frei, schönste Juliane. Ich habe Ihnen kein +Bekenntnis weiter abzulegen, als das, welches ich Ihnen bereits +abgelegt habe.--Was soll ich hoffen? + +Juliane. Liebster Vater!--Adrast!--Theophan!--Schwester!-- + +Lisette. Nun merke ich alles. Geschwind muß das die Großmama +erfahren. (Lisette läuft ab.) + +Lisidor (zu Julianen). Siehst du, Mädchen, was du für Zeug angefangen +hast? + +Theophan. Aber Sie, liebste Henriette, was meinen Sie hierzu? Ist +Adrast nicht ein ungetreuer Liebhaber? Ach! wenn Sie Ihre Augen auf +einen getreuern werfen wollten! Wir sprachen vorhin von Rache, von +einer unschuldigen Rache-- + +Henriette. Top! Theophan: ich räche mich. + +Lisidor. Fein bedächtig, Henriette! Hast du schon die Krankheit auf +morgen vergessen? + +Henriette. Gut! Ich lasse mich verleugnen, wenn sie kömmt. + +Lisidor. Seid ihr aber nicht wunderliches Volk! Ich wollte jedem zu +seinem Rocke egales Futter geben, aber ich sehe wohl, euer Geschmack +ist bunt. Der Fromme sollte die Fromme, und der Lustige die Lustige +haben: Nichts! der Fromme will die Lustige, und der Lustige die +Fromme. + + + +Achter Auftritt + +Frau Philane mit Lisetten und die Vorigen. + + +Frau Philane. Kinder, was höre ich? Ist es möglich? + +Lisidor. Ja, Mama; ich glaube, Sie werden nicht dawider sein. Sie +wollen nun einmal so-- + +Frau Philane. Ich sollte dawider sein? Diese Verändrung ist mein +Wunsch, mein Gebet gewesen. Ach! Adrast, ach! Henriette, für euch +habe ich oft gezittert! Ihr würdet ein unglückliches Paar geworden +sein! Ihr braucht beide einen Gefährten, der den Weg besser kennet, +als ihr. Theophan, Sie haben längst meinen Segen; aber wollen Sie +mehr als diesen, wollen Sie auch den Segen des Himmels haben, so +ziehen Sie eine Person aus Henrietten, die Ihrer wert ist. Und Sie, +Adrast, ich habe Sie wohl sonst für einen bösen Mann gehalten; doch +getrost! wer eine fromme Person lieben kann, muß selbst schon halb +fromm sein. Ich verlasse mich seinetwegen auf dich, Julchen.--Vor +allen Dingen bringe ihm bei, wackern Leuten, rechtschaffnen +Geistlichen, nicht so verächtlich zu begegnen, als er dem Theophan +begegnet.-- + +Adrast. Ach! Madame, erinnern Sie mich an mein Unrecht nicht. +Himmel! wenn ich mich überall so irre, als ich mich bei ihnen, +Theophan, geirret habe: was für ein Mensch, was für ein abscheulicher +Mensch bin ich!-- + +Lisidor. Habe ich's nicht gesagt, daß ihr die besten Freunde werden +müßt, sobald als ihr Schwäger seid? Das ist nur der Anfang! + +Theophan. Ich wiederhole es, Adrast: Sie sind besser, als Sie glauben; +besser, als Sie zeither haben scheinen wollen. + +Frau Philane. Nun! auch das ist mir ein Trost zu hören.--(Zum +Lisidor.) Komm, mein Sohn, führe mich. Das Stehen wird mir zu sauer, +und vor Freuden habe ich es ganz vergessen, daß ich Araspen allein +gelassen. + +Lisidor. Ja, wahrhaftig! da gibt's was zu erzählen! Kommen Sie, +Mama.--Aber keinen Tausch weiter! keinen Tausch weiter! + +Lisette. Wie übel ist unsereinem dran, das nichts zu tauschen hat! + +(Ende des Freigeists.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Freigeist, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + + +End of Project Gutenberg's Der Freigeist, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FREIGEIST *** + +This file should be named 8frig10.txt or 8frig10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8frig11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8frig10a.txt + +Produced by Delphine Letttau + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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