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+The Project Gutenberg EBook of Die Erziehung des Menschengeschlechts, by
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Die Erziehung des Menschengeschlechts
+
+Author: Gotthold Ephraim Lessing
+
+Posting Date: October 12, 2014 [EBook #9160]
+Release Date: October, 2005
+First Posted: September 9, 2003
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ERZIEHUNG DES ***
+
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+Produced by Delphine Lettau, from files obtained from
+Gutenberg Projekt-DE.
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+
+Die Erziehung des Menschengeschlechts
+
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+
+Haec omnia inde esse quibusdam vera,
+ unde in quibusdam falsa sunt.
+Augustinus.
+
+
+
+
+Herausgegeben von Gotthold Ephraim Lessing
+Berlin, 1780
+
+
+
+
+Vorbericht des Herausgebers.
+
+Ich habe die erste Hälfte dieses Aufsatzes in meinen Beyträgen bekannt
+gemacht. Itzt bin ich im Stande, das Uebrige nachfolgen zu lassen.
+
+Der Verfasser hat sich darum auf einen Hügel gestellt, von welchem er
+etwas mehr, als den vorgeschriebenen Weg seines heutigen Tages zu
+übersehen glaubt.
+
+Aber er ruft keinen eilfertigen Wanderer, der nur das Nachtlager bald
+zu erreichen wünscht, von seinem Pfade. Er verlangt nicht, daß die
+Aussicht, die ihn entzücket, auch jedes andere Auge entzücken müsse.
+
+Und so, dächte ich, könnte man ihn ja wohl stehen und staunen lassen,
+wo er steht und staunt!
+
+Wenn er aus der unermeßlichen Ferne, die ein sanftes Abendroth seinem
+Blicke weder ganz verhüllt noch ganz entdeckt, nun gar einen
+Fingerzeig mitbrachte, um den ich oft verlegen gewesen!
+
+Ich meyne diesen.--Warum wollen wir in allen positiven Religionen
+nicht lieber weiter nichts, als den Gang erblicken, nach welchem sich
+der menschliche Verstand jedes Orts einzig und allein entwickeln
+können, und noch ferner entwickeln soll; als über eine derselben
+entweder lächeln, oder zürnen? Diesen unsern Hohn, diesen unsern
+Unwillen, verdiente in der besten Welt nichts: und nur die Religionen
+sollten ihn verdienen? Gott hätte seine Hand bey allem im Spiele: nur
+bey unsern Irrthümern nicht?
+
+
+
+
+
+§. 1.
+
+Was die Erziehung bey dem einzeln Menschen ist, ist die Offenbarung
+bey dem ganzen Menschengeschlechte.
+
+§. 2.
+
+Erziehung ist Offenbarung, die dem einzeln Menschen geschieht: und
+Offenbarung ist Erziehung, die dem Menschengeschlechte geschehen ist,
+und noch geschieht.
+
+§. 3.
+
+Ob die Erziehung aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten, in der
+Pädagogik Nutzen haben kann, will ich hier nicht untersuchen. Aber in
+der Theologie kann es gewiß sehr großen Nutzen haben, und viele
+Schwierigkeiten heben, wenn man sich die Offenbarung als eine
+Erziehung des Menschengeschlechts vorstellet.
+
+§. 4.
+
+Erziehung giebt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst
+haben könnte: sie giebt ihm das, was er aus sich selber haben könnte,
+nur geschwinder und leichter. Also giebt auch die Offenbarung dem
+Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich
+selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und giebt
+ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher.
+
+§ 5.
+
+Und so wie es der Erziehung nicht gleichgültig ist, in welcher Ordnung
+sie die Kräfte des Menschen entwickelt; wie sie dem Menschen nicht
+alles auf einmal beibringen kann: eben so hat auch Gott bey seiner
+Offenbarung eine gewisse Ordnung, ein gewisses Maaß halten müssen.
+
+§. 6.
+
+Wenn auch der erste Mensch mit einem Begriffe von einem Einigen Gotte
+sofort ausgestattet wurde: so konnte doch dieser mitgetheilte, und
+nicht erworbene Begriff, unmöglich lange in seiner Lauterkeit bestehen.
+Sobald ihn die sich selbst überlassene menschliche Vernunft zu
+bearbeiten anfing, zerlegte sie den Einzigen Unermeßlichen in mehrere
+Ermeßlichere, und gab jedem dieser Theile ein Merkzeichen.
+
+§. 7.
+
+So entstand natürlicher Weise Vielgötterey und Abgötterey. Und wer
+weiß, wie viele Millionen Jahre sich die menschliche Vernunft noch in
+diesen Irrwegen würde herumgetrieben haben; ohngeachtet überall und zu
+allen Zeiten einzelne Menschen erkannten, daß es Irrwege waren: wenn
+es Gott nicht gefallen hätte, ihr durch einen neuen Stoß eine bessere
+Richtung zu geben.
+
+§. 8.
+
+Da er aber einem jeden einzeln Menschen sich nicht mehr offenbaren
+konnte, noch wollte: so wählte er sich ein einzelnes Volk zu seiner
+besondern Erziehung; und eben das ungeschliffenste, das verwildertste,
+um mit ihm ganz von vorne anfangen zu können.
+
+§. 9.
+
+Dieß war das Israelitische Volk, von welchem man gar nicht einmal weiß,
+was es für einen Gottesdienst in Aegypten hatte. Denn an dem
+Gottesdienste der Aegyptier durften so verachtete Sklaven nicht Theil
+nehmen: und der Gott seiner Väter war ihm gänzlich unbekannt geworden.
+
+§. 10.
+
+Vielleicht, daß ihm die Aegyptier allen Gott, alle Götter ausdrücklich
+untersagt hatten; es in den Glauben gestürzt hatten, es habe gar
+keinen Gott, gar keine Götter; Gott, Götter haben, sey nur ein
+Vorrecht der bessern Aegyptier: und das, um es mit so viel größerm
+Anscheine von Billigkeit tyrannisiren zu dürfen.--Machen Christen es
+mit ihren Sklaven noch itzt viel anders?--
+
+§. 11.
+
+Diesem rohen Volke also ließ sich Gott anfangs blos als den Gott
+seiner Väter ankündigen, um es nur erst mit der Idee eines auch ihm
+zustehenden Gottes bekannt und vertraut zu machen.
+
+§. 12.
+
+Durch die Wunder, mit welchen er es aus Aegypten führte, und in Kanaan
+einsetzte, bezeugte er sich ihm gleich darauf als einen Gott, der
+mächtiger sey, als irgend ein andrer Gott.
+
+§. 13.
+
+Und indem er fortfuhr, sich ihm als den Mächtigsten von allen zu
+bezeugen--welches doch nur einer seyn kann,--gewöhnte er es allmälig
+zu dem Begriffe des Einigen.
+
+§. 14.
+
+Aber wie weit war dieser Begriff des Einigen, noch unter dem wahren
+transcendentalen Begriffe des Einigen, welchen die Vernunft so spät
+erst aus dem Begriffe des Unendlichen mit Sicherheit schließen lernen!
+
+§. 15.
+
+Zu dem wahren Begriffe des Einigen--wenn sich ihm auch schon die
+Besserern des Volks mehr oder weniger näherten--konnte sich doch das
+Volk lange nicht erheben: und dieses war die einzige wahre Ursache,
+warum es so oft seinen Einigen Gott verließ, und den Einigen, d. i.
+Mächtigsten, in irgend einem andern Gotte eines andern Volks zu finden
+glaubte.
+
+§. 16.
+
+Ein Volk aber, das so roh, so ungeschickt zu abgezognen Gedanken war,
+noch so völlig in seiner Kindheit war, was war es für einer
+moralischen Erziehung fähig? Keiner andern, als die dem Alter der
+Kindheit entspricht. Der Erziehung durch unmittelbare sinnliche
+Strafen und Belohnungen.
+
+§. 17.
+
+Auch hier also treffen Erziehung und Offenbarung zusammen. Noch konnte
+Gott seinem Volke keine andere Religion, kein anders Gesetz geben, als
+eines, durch dessen Beobachtung oder Nichtbeobachtung es hier auf
+Erden glücklich oder unglücklich zu werden hoffte oder fürchtete. Denn
+weiter als auf dieses Leben gingen noch seine Blicke nicht. Es wußte
+von keiner Unsterblichkeit der Seele; es sehnte sich nach keinem
+künftigen Leben. Ihm aber nun schon diese Dinge zu offenbaren, welchen
+seine Vernunft noch so wenig gewachsen war: was würde es bey Gott
+anders gewesen seyn, als der Fehler des eiteln Pädagogen, der sein
+Kind lieber übereilen und mit ihm prahlen, als gründlich unterrichten
+will.
+
+§. 18.
+
+Allein wozu, wird man fragen, diese Erziehung eines so rohen Volkes,
+eines Volkes, mit welchem Gott so ganz von vorne anfangen mußte? Ich
+antworte: um in der Folge der Zeit einzelne Glieder desselben so viel
+sichrer zu Erziehern aller übrigen Völker brauchen zu können. Er erzog
+in ihm die künftigen Erzieher des Menschengeschlechts. Das wurden
+Juden, das konnten nur Juden werden, nur Männer aus einem so erzogenen
+Volke.
+
+§. 19.
+
+Denn weiter. Als das Kind unter Schlägen und Liebkosungen aufgewachsen
+und nun zu Jahren des Verstandes gekommen war, stieß es der Vater auf
+einmal in die Fremde; und hier erkannte es auf einmal das Gute, das es
+in seines Vaters Hause gehabt und nicht erkannt hatte.
+
+§. 20.
+
+Während daß Gott sein erwähltes Volk durch alle Staffeln einer
+kindischen Erziehung führte: waren die andern Völker des Erdbodens bey
+dem Lichte der Vernunft ihren Weg fortgegangen. Die meisten derselben
+waren weit hinter dem erwählten Volke zurückgeblieben: nur einige
+waren ihm zuvorgekommen. Und auch das geschieht bey Kindern, die man
+für sich aufwachsen läßt; viele bleiben ganz roh; einige bilden sich
+zum Erstaunen selbst.
+
+§. 21.
+
+Wie aber diese glücklichern Einige nichts gegen den Nutzen und die
+Nothwendigkeit der Erziehung beweisen: so beweisen die wenigen
+heidnischen Völker, die selbst in der Erkenntniß Gottes vor dem
+erwählten Volke noch bis itzt einen Vorsprung zu haben schienen,
+nichts gegen die Offenbarung. Das Kind der Erziehung fängt mit
+langsamen aber sichern Schritten an; es hohlt manches glücklicher
+organisirte Kind der Natur spät ein; aber es hohlt es doch ein, und
+ist alsdann nie wieder von ihm einzuholen.
+
+§. 22.
+
+Auf gleiche Weise. Daß,--die Lehre von der Einheit Gottes bey Seite
+gesetzt, welche in den Büchern des Alten Testaments sich findet, und
+sich nicht findet--daß, sage ich, wenigstens die Lehre von der
+Unsterblichkeit der Seele, und die damit verbundene Lehre von Strafe
+und Belohnung in einem künftigen Leben, darum völlig fremd sind:
+beweiset eben so wenig wider den göttlichen Ursprung dieser Bücher. Es
+kann dem ohngeachtet mit allen darinn enthaltenen Wundern und
+Prophezeyungen seine gute Richtigkeit haben. Denn laßt uns setzen,
+jene Lehren würden nicht allein darinn vermißt, jene Lehren wären auch
+sogar nicht einmal wahr, laßt uns setzen, es wäre wirklich für die
+Menschen in diesem Leben alles aus: wäre darum das Daseyn Gottes
+minder erwiesen? stünde es darum Gotte minder frey, würde es darum
+Gotte minder ziemen, sich der zeitlichen Schicksale irgend eines Volks
+aus diesem vergänglichen Geschlechte unmittelbar anzunehmen? Die
+Wunder, die er für die Juden that, die Prophezeyungen, die er durch
+sie aufzeichnen ließ, waren ja nicht blos für die wenigen sterblichen
+Juden, zu deren Zeiten sie geschahen und aufgezeichnet wurden: er
+hatte seine Absichten damit auf das ganze jüdische Volk, auf das ganze
+Menschengeschlecht, die hier auf Erden vielleicht ewig dauern sollen,
+wenn schon jeder einzelne Jude, jeder einzelne Mensch auf immer dahin
+stirbt.
+
+§. 23.
+
+Noch einmal. Der Mangel jener Lehren in den Schriften des Alten
+Testaments beweiset wider ihre Göttlichkeit nichts. Moses war doch von
+Gott gesandt, obschon die Sanktion seines Gesetzes sich nur auf dieses
+Leben erstreckte. Denn warum weiter? Er war ja nur an das
+Israelitische Volk, an das damalige Israelitische Volk gesandt: und
+sein Auftrag war den Kenntnissen, den Fähigkeiten, den Neigungen
+dieses damaligen israelitischen Volks, so wie der Bestimmung des
+künftigen, vollkommen angemessen. Das ist genug.
+
+§. 24.
+
+So weit hätte Warburton auch nur gehen müssen, und nicht weiter. Aber
+der gelehrte Mann überspannte den Bogen. Nicht zufrieden, daß der
+Mangel jener Lehren der göttlichen Sendung Mosis nichts schade: er
+sollte ihm die göttliche Sendung Mosis sogar beweisen. Und wenn er
+diesen Beweis noch aus der Schicklichkeit eines solchen Gesetzes für
+ein solches Volk zu führen gesucht hätte! Aber er nahm seine Zuflucht
+zu einem von Mose bis auf Christum ununterbrochen fortdaurenden Wunder,
+nach welchem Gott einen jeden einzeln Juden gerade so glücklich oder
+unglücklich gemacht habe, als es dessen Gehorsam oder Ungehorsam gegen
+das Gesetz verdiente. Dieses Wunder habe den Mangel jener Lehren, ohne
+welche kein Staat bestehen könne, ersetzt; und eine solche Ersetzung
+eben beweise, was jener Mangel, auf den ersten Anblick, zu verneinen
+scheine.
+
+§. 25.
+
+Wie gut war es, daß Warburton dieses anhaltende Wunder, in welches er
+das Wesentliche der Israelitischen Theokratie setzte, durch nichts
+erhärten, durch nichts wahrscheinlich machen konnte. Denn hätte er das
+gekonnt; wahrlich--alsdenn erst hätte er die Schwierigkeit
+unauflöslich gemacht.--Mir wenigstens.--Denn was die Göttlichkeit
+der Sendung Mosis wieder herstellen sollte, würde an der Sache selbst
+zweifelhaft gemacht haben, die Gott zwar damals nicht mittheilen, aber
+doch gewiß auch nicht erschweren wollte.
+
+§. 26.
+
+Ich erkläre mich an dem Gegenbilde der Offenbarung. Ein Elementarbuch
+für Kinder, darf gar wohl dieses oder jenes wichtige Stück der
+Wissenschaft oder Kunst, die es vorträgt, mit Stillschweigen übergehen,
+von dem der Pädagog urtheilte, daß es den Fähigkeiten der Kinder, für
+die er schrieb, noch nicht angemessen sey. Aber es darf
+schlechterdings nichts enthalten, was den Kindern den Weg zu den
+zurückbehaltnen wichtigen Stücken versperre oder verlege. Vielmehr
+müssen ihnen alle Zugänge zu denselben sorgfältig offen gelassen
+werden: und sie nur von einem einzigen dieser Zugänge ableiten, oder
+verursachen, daß sie denselben später betreten, würde allein die
+Unvollständigkeit des Elementarbuchs zu einem wesentlichen Fehler
+desselben machen.
+
+§ 27.
+
+Also auch konnten in den Schriften des Alten Testaments, in diesen
+Elementarbüchern für das rohe und im Denken ungeübte Israelitische
+Volk, die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und künftigen
+Vergeltung gar wohl mangeln: aber enthalten durften sie
+schlechterdings nichts, was das Volk, für das sie geschrieben waren,
+auf dem Wege zu dieser großen Wahrheit auch nur verspätet hätte. Und
+was hätte es, wenig zu sagen, mehr dahin verspätet, als wenn jene
+wunderbare Vergeltung in diesem Leben darinn wäre versprochen, und von
+dem wäre versprochen worden, der nichts verspricht, was er nicht hält?
+
+§. 28.
+
+Denn wenn schon aus der ungleichen Austheilung der Güter dieses Lebens,
+bey der auf Tugend und Laster so wenig Rücksicht genommen zu seyn
+scheinet, eben nicht der strengste Beweis für die Unsterblichkeit der
+Seele und für ein anders Leben, in welchem jener Knoten sich auflöse,
+zu führen: so ist doch wohl gewiß, daß der menschliche Verstand ohne
+jenem Knoten noch lange nicht--und vielleicht auch nie--auf bessere
+und strengere Beweise gekommen wäre. Denn was sollte ihn antreiben
+können, diese bessern Beweise zu suchen? Die blosse Neugierde?
+
+§. 29.
+
+Der und jener Israelite mochte freylich wohl die göttlichen
+Versprechungen und Androhungen, die sich auf den gesammten Staat
+bezogen, auf jedes einzelne Glied desselben erstrecken, und in dem
+festen Glauben stehen, daß wer fromm sey auch glücklich seyn müsse,
+und wer unglücklich sey, oder werde, die Strafe seiner Missethat trage,
+welche sich sofort wieder in Segen verkehre, sobald er von seiner
+Missethat ablasse.--Ein solcher scheinet den Hiob geschrieben zu
+haben; denn der Plan desselben ist ganz in diesem Geiste.--
+
+§. 30.
+
+Aber unmöglich durfte die tägliche Erfahrung diesen Glauben bestärken:
+oder es war auf immer bey dem Volke, das diese Erfahrung hatte, auf
+immer um die Erkennung und Aufnahme der ihm noch ungeläufigen Wahrheit
+geschehen. Denn wenn der Fromme schlechterdings glücklich war, und es
+zu seinem Glücke doch wohl auch mit gehörte, daß seine Zufriedenheit
+keine schrecklichen Gedanken des Todes unterbrachen, daß er alt und
+lebenssatt starb: wie konnte er sich nach einem andern Leben sehnen?
+wie konnte er über etwas nachdenken, wornach er sich nicht sehnte?
+Wenn aber der Fromme darüber nicht nachdachte: wer sollte es denn? Der
+Bösewicht? der die Strafe seiner Missethat fühlte, und wenn er dieses
+Leben verwünschte, so gern auf jedes andere Leben Verzicht that?
+
+§. 31.
+
+Weit weniger verschlug es, daß der und jener Israelite die
+Unsterblichkeit der Seele und künftige Vergeltung, weil sich das
+Gesetz nicht darauf bezog, gerade zu und ausdrücklich leugnete. Das
+Leugnen eines Einzeln--wäre es auch ein Salomo gewesen,--hielt den
+Fortgang des gemeinen Verstandes nicht auf, und war an und für sich
+selbst schon ein Beweis, daß das Volk nun einen großen Schritt der
+Wahrheit näher gekommen war. Denn Einzelne leugnen nur, was Mehrere in
+Ueberlegung ziehen; und in Ueberlegung ziehen, warum man sich vorher
+ganz und gar nicht bekümmerte, ist der halbe Weg zur Erkenntniß.
+
+§. 32.
+
+Laßt uns auch bekennen, daß es ein heroischer Gehorsam ist, die
+Gesetze Gottes beobachten, blos weil es Gottes Gesetze sind, und nicht,
+weil er die Beobachter derselben hier und dort zu belohnen verheissen
+hat; sie beobachten, ob man schon an der künftigen Belohnung ganz
+verzweifelt, und der zeitlichen auch nicht so ganz gewiß ist.
+
+§. 33.
+
+Ein Volk, in diesem heroischen Gehorsame gegen Gott erzogen, sollte es
+nicht bestimmt, sollte es nicht vor allen andern fähig seyn, ganz
+besondere göttliche Absichten auszuführen?--Laßt den Soldaten, der
+seinem Führer blinden Gehorsam leistet, nun auch von der Klugheit
+seines Führers überzeugt werden, und sagt, was dieser Führer mit ihm
+auszuführen sich nicht unterstehen darf?--
+
+§. 34.
+
+Noch hatte das jüdische Volk in seinem Jehova mehr den Mächtigsten,
+als den Weisesten aller Götter verehrt; noch hatte es ihn als einen
+eifrigen Gott mehr gefürchtet, als geliebt: auch dieses zum Beweise,
+daß die Begriffe, die es von seinem höchsten einigen Gott hatte, nicht
+eben die rechten Begriffe waren, die wir von Gott haben müssen. Doch
+nun war die Zeit da, daß diese seine Begriffe erweitert, veredelt,
+berichtiget werden sollten, wozu sich Gott eines ganz natürlichen
+Mittels bediente; eines bessern richtigern Maaßstabes, nach welchem es
+ihn zu schätzen Gelegenheit bekam.
+
+§. 35.
+
+Anstatt daß es ihn bisher nur gegen die armseligen Götzen der kleinen
+benachbarten rohen Völkerschaften geschützt hatte, mit welchen es in
+beständiger Eifersucht lebte: fing es in der Gefangenschaft unter dem
+weisen Perser an, ihn gegen das Wesen aller Wesen zu messen, wie das
+eine geübtere Vernunft erkannte und verehrte.
+
+§. 36.
+
+Die Offenbarung hatte seine Vernunft geleitet, und nun erhellte die
+Vernunft auf einmal seine Offenbarung.
+
+§. 37.
+
+Das war der erste wechselseitige Dienst, den beyde einander leisteten;
+und dem Urheber beyder ist ein solcher gegenseitiger Einfluß so wenig
+unanständig, daß ohne ihm eines von beyden überflüssig seyn würde.
+
+§. 38.
+
+Das in die Fremde geschickte Kind sahe andere Kinder, die mehr wußten;
+die anständiger lebten, und fragte sich beschämt: warum weiß ich das
+nicht auch? warum lebe ich nicht auch so? Hätte in meines Vaters Hause
+man mir das nicht auch beibringen; dazu mich nicht auch anhalten
+sollen? Da sucht es seine Elementarbücher wieder vor, die ihm längst
+zum Ekel geworden, um die Schuld auf die Elementarbücher zu schieben.
+Aber siehe! es erkennet, daß die Schuld nicht an den Büchern liege,
+daß die Schuld ledig sein eigen sey, warum es nicht längst eben das
+wisse, eben so lebe.
+
+§. 39.
+
+Da die Juden nunmehr, auf Veranlassung der reinern Persischen Lehre,
+in ihrem Jehova nicht blos den größten aller Nationalgötter, sondern
+Gott erkannten; da sie ihn als solchen in ihren wieder hervorgesuchten
+heiligen Schriften um so eher finden und andern zeigen konnten, als er
+wirklich darinn war; da sie vor allen sinnlichen Vorstellungen
+desselben einen eben so großen Abscheu bezeugten, oder doch in diesen
+Schriften zu haben angewiesen wurden, als die Perser nur immer hatten:
+was Wunder, daß sie vor den Augen des Cyrus mit einem Gottesdienste
+Gnade fanden, den er zwar noch weit unter dem reinen Sabeismus, aber
+doch auch weit über die groben Abgöttereyen zu seyn erkannte, die sich
+dafür des verlaßnen Landes der Juden bemächtiget hatten?
+
+§. 40.
+
+So erleuchtet über ihre eignen unerkannten Schätze kamen sie zurück,
+und wurden ein ganz andres Volk, dessen erste Sorge es war, diese
+Erleuchtung unter sich dauerhaft zu machen. Bald war an Abfall und
+Abgötterey unter ihm nicht mehr zu denken. Denn man kann einem
+Nationalgott wohl untreu werden, aber nie Gott, so bald man ihn einmal
+erkannt hat.
+
+§. 41.
+
+Die Gottesgelehrten haben diese gänzliche Veränderung des jüdischen
+Volks verschiedentlich zu erklären gesucht; und Einer, der die
+Unzulänglichkeit aller dieser verschiednen Erklärungen sehr wohl
+gezeigt hat, wollte endlich "die augenscheinliche Erfüllung der über
+die Babylonische Gefangenschaft und die Wiederherstellung aus
+derselben ausgesprochnen und aufgeschriebnen Weissagungen," für die
+wahre Ursache derselben angeben. Aber auch diese Ursache kann nur in
+so fern die wahre seyn, als sie die nun erst vereitelten Begriffe von
+Gott voraus setzt. Die Juden mußten nun erst erkannt haben, daß
+Wunderthun und das Künftige vorhersagen, nur Gott zukomme; welches
+beydes sie sonst auch den falschen Götzen beygeleget hatten, wodurch
+eben Wunder und Weissagungen bisher nur einen so schwachen,
+vergänglichen Eindruck auf sie gemacht hatten.
+
+§. 42.
+
+Ohne Zweifel waren die Juden unter den Chaldäern und Persern auch mit
+der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele bekannter geworden.
+Vertrauter mit ihr wurden sie in den Schulen der Griechischen
+Philosophen in Aegypten.
+
+§. 43.
+
+Doch da es mit dieser Lehre, in Ansehung ihrer heiligen Schriften, die
+Bewandniß nicht hatte, die es mit der Lehre von der Einheit und den
+Eigenschaften Gottes gehabt hatte; da jene von dem sinnlichen Volke
+darum war gröblich übersehen worden, diese aber gesucht seyn wollte;
+da auf diese noch Vorübungen nöthig gewesen waren, und also nur
+Anspielungen und Fingerzeige Statt gehabt hatten: so konnte der Glaube
+an die Unsterblichkeit der Seele natürlicher Weise nie der Glaube des
+gesammten Volks werden. Er war und blieb nur der Glaube einer gewissen
+Sekte desselben.
+
+§. 44.
+
+Eine Vorübung auf die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, nenne
+ich z. E. die göttliche Androhung, die Missethat des Vaters an seinen
+Kindern bis ins dritte und vierte Glied zu strafen. Dieß gewöhnte die
+Väter in Gedanken mit ihren spätesten Nachkommen zu leben, und das
+Unglück, welches sie über diese Unschuldige gebracht hatten, voraus zu
+fühlen.
+
+§. 45.
+
+Eine Anspielung nenne ich, was blos die Neugierde reizen und eine
+Frage veranlassen sollte. Als die oft vorkommende Redensart, zu seinen
+Vätern versammlet werden, für sterben.
+
+§. 46.
+
+Einen Fingerzeig nenne ich, was schon irgend einen Keim enthält, aus
+welchem sich die noch zurückgehaltne Wahrheit entwickeln läßt.
+Dergleichen war Christi Schluß aus der Benennung Gott Abrahams, Isaacs
+und Jacobs. Dieser Fingerzeig scheint mir allerdings in einen strengen
+Beweis ausgebildet werden zu können.
+
+§. 47.
+
+In solchen Vorübungen, Anspielungen, Fingerzeigen besteht die positive
+Vollkommenheit eines Elementarbuchs; so wie die oben erwähnte
+Eigenschaft, daß es den Weg zu den noch zurückgehaltenen Wahrheiten
+nicht erschwere, oder versperre, die negative Vollkommenheit desselben
+war.
+
+§. 48.
+
+Setzt hierzu noch die Einkleidung und den Stil--1) die Einkleidung
+der nicht wohl zu übergehenden abstrakten Wahrheiten in Allegorieen
+und lehrreiche einzelne Fälle, die als wirklich geschehen erzählet
+werden. Dergleichen sind die Schöpfung, unter dem Bilde des werdenden
+Tages; die Quelle des moralischen Bösen, in der Erzählung vom
+verbotnen Baume; der Ursprung der mancherlei Sprachen, in der
+Geschichte vom Thurmbaue zu Babel, u. s. w.
+
+§. 49.
+
+2) den Stil--bald plan und einfältig, bald poetisch, durchaus voll
+Tavtologieen, aber solchen, die den Scharfsinn üben, indem sie bald
+etwas anders zu sagen scheinen, und doch das nehmliche sagen, bald das
+nehmliche zu sagen scheinen, und im Grunde etwas anders bedeuten oder
+bedeuten können:--
+
+§. 50.
+
+Und ihr habt alle gute Eigenschaften eines Elementarbuchs sowol für
+Kinder, als für ein kindisches Volk.
+
+§. 51.
+
+Aber jedes Elementarbuch ist nur für ein gewisses Alter. Das ihm
+entwachsene Kind länger, als die Meinung gewesen, dabey zu verweilen,
+ist schädlich. Denn um dieses auf eine nur einigermaassen nützliche
+Art thun zu können, muß man mehr hineinlegen, als darum liegt; mehr
+hineintragen, als es fassen kann. Man muß der Anspielungen und
+Fingerzeige zu viel suchen und machen, die Allegorieen zu genau
+ausschütteln, die Beyspiele zu umständlich deuten, die Worte zu stark
+pressen. Das giebt dem Kinde einen kleinlichen, schiefen,
+spitzfindigen Verstand; das macht es geheimnißreich, abergläubisch,
+voll Verachtung gegen alles Faßliche und Leichte.
+
+§. 52.
+
+Die nehmliche Weise, wie die Rabbinen ihre heiligen Bücher behandelten!
+Der nehmliche Charakter, den sie dem Geiste ihres Volks dadurch
+ertheilten!
+
+§. 53.
+
+Ein bessrer Pädagog muß kommen, und dem Kinde das erschöpfte
+Elementarbuch aus den Händen reißen.--Christus kam.
+
+§. 54.
+
+Der Theil des Menschengeschlechts, den Gott in Einen Erziehungsplan
+hatte fassen wollen--Er hatte aber nur denjenigen in Einen fassen
+wollen, der durch Sprache, durch Handlung, durch Regierung, durch
+andere natürliche und politische Verhältnisse in sich bereits
+verbunden war--war zu dem zweyten großen Schritte der Erziehung reif.
+
+§. 55.
+
+Das ist: dieser Theil des Menschengeschlechts war in der Ausübung
+seiner Vernunft so weit gekommen, daß er zu seinen moralischen
+Handlungen edlere, würdigere Bewegungsgründe bedurfte und brauchen
+konnte, als zeitliche Belohnung und Strafen waren, die ihn bisher
+geleitet hatten. Das Kind wird Knabe. Leckerey und Spielwerk weicht
+der aufkeimenden Begierde, eben so frey, eben so geehrt, eben so
+glücklich zu werden, als es sein älteres Geschwister sieht.
+
+§. 56.
+
+Schon längst waren die Bessern von jenem Theile des
+Menschengeschlechts gewohnt, sich durch einen Schatten solcher edlern
+Bewegungsgründe regieren zu lassen. Um nach diesem Leben auch nur in
+dem Andenken seiner Mitbürger fortzuleben, that der Grieche und Römer
+alles.
+
+§. 57.
+
+Es war Zeit, daß ein andres wahres nach diesem Leben zu gewärtigendes
+Leben Einfluß auf seine Handlungen gewönne.
+
+§. 58.
+
+Und so ward Christus der erste zuverlässige, praktische Lehrer der
+Unsterblichkeit der Seele.
+
+§. 59.
+
+Der erste zuverlässige Lehrer.--Zuverlässig durch die Weissagungen,
+die in ihm erfüllt schienen; zuverlässig durch die Wunder, die er
+verrichtete; zuverlässig durch seine eigene Wiederbelebung nach einem
+Tode, durch den er seine Lehre versiegelt hatte. Ob wir noch itzt
+diese Wiederbelebung, diese Wunder beweisen können: das lasse ich
+dahin gestellt seyn. So, wie ich es dahin gestellt seyn lasse, wer die
+Person dieses Christus gewesen. Alles das kann damals zur Annehmung
+seiner Lehre wichtig gewesen seyn: itzt ist es zur Erkennung der
+Wahrheit dieser Lehre so wichtig nicht mehr.
+
+§. 60.
+
+Der erste praktische Lehrer.--Denn ein anders ist die Unsterblichkeit
+der Seele, als eine philosophische Speculation, vermuthen, wünschen,
+glauben: ein anders, seine innern und äussern Handlungen darnach
+einrichten.
+
+§. 61.
+
+Und dieses wenigstens lehrte Christus zuerst. Denn ob es gleich bey
+manchen Völkern auch schon vor ihm eingeführter Glaube war, daß böse
+Handlungen noch in jenem Leben bestraft würden: so waren es doch nur
+solche, die der bürgerlichen Gesellschaft Nachtheil brachten, und
+daher auch schon in der bürgerlichen Gesellschaft ihre Strafe hatten.
+Eine innere Reinigkeit des Herzens in Hinsicht auf ein andres Leben zu
+empfehlen, war ihm allein vorbehalten.
+
+§. 62.
+
+Seine Jünger haben diese Lehre getreulich fortgepflanzt. Und wenn sie
+auch kein ander Verdienst hätten, als daß sie einer Wahrheit, die
+Christus nur allein für die Juden bestimmt zu haben schien, einen
+allgemeinem Umlauf unter mehrern Völkern verschaft hätten: so wären
+sie schon darum unter die Pfleger und Wohlthäter des
+Menschengeschlechts zu rechnen.
+
+§. 63.
+
+Daß sie aber diese Eine große Lehre noch mit andern Lehren versetzten,
+deren Wahrheit weniger einleuchtend, deren Nutzen weniger erheblich
+war: wie konnte das anders seyn? Laßt uns sie darum nicht schelten,
+sondern vielmehr mit Ernst untersuchen: ob nicht selbst diese
+beygemischten Lehren ein neuer Richtungsstoß für die menschliche
+Vernunft geworden.
+
+§. 64.
+
+Wenigstens ist es schon aus der Erfahrung klar, daß die
+Neutestamentlichen Schriften, in welchen sich diese Lehren nach
+einiger Zeit aufbewahret fanden, das zweyte beßre Elementarbuch für
+das Menschengeschlecht abgegeben haben, und noch abgeben.
+
+§. 65.
+
+Sie haben seit siebzehnhundert Jahren den menschlichen Verstand mehr
+als alle andere Bücher beschäftiget; mehr als alle andere Bücher
+erleuchtet, sollte es auch nur das Licht seyn, welches der menschliche
+Verstand selbst hineintrug.
+
+§. 66.
+
+Unmöglich hätte irgend ein ander Buch unter so verschiednen Völkern so
+allgemein bekannt werden können: und unstreitig hat das, daß so ganz
+ungleiche Denkungsarten sich mit diesem nehmlichen Buche beschäftigten,
+den menschlichen Verstand mehr fortgeholfen, als wenn jedes Volk für
+sich besonders sein eignes Elementarbuch gehabt hätte.
+
+§. 67.
+
+Auch war es höchst nöthig, daß jedes Volk dieses Buch eine Zeit lang
+für das Non plus ultra seiner Erkenntnisse halten mußte. Denn dafür
+muß auch der Knabe sein Elementarbuch vors erste ansehen; damit die
+Ungeduld, nur fertig zu werden, ihn nicht zu Dingen fortreißt, zu
+welchen er noch keinen Grund gelegt hat.
+
+§. 68.
+
+Und was noch itzt höchst wichtig ist:--Hüte dich, du fähigeres
+Individuum, der du an dem letzten Blatte dieses Elementarbuches
+stampfest und glühest, hüte dich, es deine schwächere Mitschüler
+merken zu lassen, was du witterst, oder schon zu sehn beginnest.
+
+§. 69.
+
+Bis sie dir nach sind, diese schwächere Mitschüler;--kehre lieber
+noch einmal selbst in dieses Elementarbuch zurück, und untersuche, ob
+das, was du nur für Wendungen der Methode, für Lückenbüsser der
+Didaktik hältst, auch wohl nicht etwas Mehrers ist.
+
+§. 70.
+
+Du hast in der Kindheit des Menschengeschlechts an der Lehre von der
+Einheit Gottes gesehen, daß Gott auch bloße Vernunftswahrheiten
+unmittelbar offenbaret; oder verstattet und einleitet, daß bloße
+Vernunftswahrheiten als unmittelbar geoffenbarte Wahrheiten eine Zeit
+lang gelehret werden: um sie geschwinder zu verbreiten, und sie fester
+zu gründen.
+
+§. 71.
+
+Du erfährst, in dem Knabenalter des Menschengeschlechts, an der Lehre
+von der Unsterblichkeit der Seele, das Nehmliche. Sie wird in dem
+zweyten bessern Elementarbuche als Offenbarung geprediget, nicht als
+Resultat menschlicher Schlüsse gelehret.
+
+§. 72.
+
+So wie wir zur Lehre von der Einheit Gottes nunmehr des Alten
+Testaments entbehren können; so wie wir allmälig, zur Lehre von der
+Unsterblichkeit der Seele, auch des Neuen Testaments entbehren zu
+können anfangen: könnten in diesem nicht noch mehr dergleichen
+Wahrheiten vorgespiegelt werden, die wir als Offenbarungen so lange
+anstaunen sollen, bis sie die Vernunft aus ihren andern ausgemachten
+Wahrheiten herleiten und mit ihnen verbinden lernen?
+
+§. 73.
+
+Z. E. die Lehre von der Dreyeinigkeit.--Wie, wenn diese Lehre den
+menschlichen Verstand, nach unendlichen Verirrungen rechts und links,
+nur endlich auf den Weg bringen sollte, zu erkennen, daß Gott in dem
+Verstande, in welchem endliche Dinge eins sind, unmöglich eins seyn
+könne; daß auch seine Einheit eine transcendentale Einheit seyn müsse,
+welche eine Art von Mehrheit nicht ausschließt?--Muß Gott wenigstens
+nicht die vollständigste Vorstellung von sich selbst haben? d. i. eine
+Vorstellung, in der sich alles befindet, was in ihm selbst ist. Würde
+sich aber alles in ihr finden, was in ihm selbst ist, wenn auch von
+seiner nothwendigen Wirklichkeit, so wie von seinen übrigen
+Eigenschaften, sich blos eine Vorstellung, sich blos eine Möglichkeit
+fände? Diese Möglichkeit erschöpft das Wesen seiner übrigen
+Eigenschaften: aber auch seiner nothwendigen Wirklichkeit? Mich dünkt
+nicht.--Folglich kann entweder Gott gar keine vollständige
+Vorstellung von sich selbst haben: oder diese vollständige Vorstellung
+ist eben so nothwendig wirklich, als er es selbst ist & c.--Freylich
+ist das Bild von mir im Spiegel nichts als eine leere Vorstellung von
+mir, weil es nur das von mir hat, wovon Lichtstrahlen auf seine Fläche
+fallen. Aber wenn denn nun dieses Bild alles, alles ohne Ausnahme
+hätte, was ich selbst habe: würde es sodann auch noch eine leere
+Vorstellung, oder nicht vielmehr eine wahre Verdopplung meines Selbst
+seyn?--Wenn ich eine ähnliche Verdopplung in Gott zu erkennen glaube:
+so irre ich mich vielleicht nicht so wohl, als daß die Sprache meinen
+Begriffen unterliegt; und so viel bleibt doch immer unwidersprechlich,
+daß diejenigen, welche die Idee davon populär machen wollen, sich
+schwerlich faßlicher und schicklicher hätten ausdrücken können, als
+durch die Benennung eines Sohnes, den Gott von Ewigkeit zeugt.
+
+§. 74.
+
+Und die Lehre von der Erbsünde.--Wie, wenn uns endlich alles
+überführte, daß der Mensch auf der ersten und niedrigsten Stufe seiner
+Menschheit, schlechterdings so Herr seiner Handlungen nicht sey, daß
+er moralischen Gesetzen folgen könne?
+
+§. 75.
+
+Und die Lehre von der Genugthuung des Sohnes.--Wie, wenn uns endlich
+alles nöthigte, anzunehmen: daß Gott, ungeachtet jener ursprünglichen
+Unvermögenheit des Menschen, ihm dennoch moralische Gesetze lieber
+geben, und ihm alle Uebertretungen, in Rücksicht auf seinen Sohn, d. i.
+in Rücksicht auf den selbstständigen Umfang aller seiner
+Vollkommenheiten, gegen den und in dem jede Unvollkommenheit des
+Einzeln verschwindet, lieber verzeihen wollen; als daß er sie ihm
+nicht geben, und ihn von aller moralischen Glückseligkeit
+ausschliessen wollen, die sich ohne moralische Gesetze nicht denken
+läßt?
+
+§. 76.
+
+Man wende nicht ein, daß dergleichen Vernünfteleyen über die
+Geheimnisse der Religion untersagt sind.--Das Wort Geheimniß
+bedeutete, in den ersten Zeiten des Christenthums, ganz etwas anders,
+als wir itzt darunter verstehen; und die Ausbildung geoffenbarter
+Wahrheiten in Vernunftswahrheiten ist schlechterdings nothwendig, wenn
+dem menschlichen Geschlechte damit geholfen seyn soll. Als sie
+geoffenbaret wurden, waren sie freylich noch keine Vernunftswahrheiten;
+aber sie wurden geoffenbaret, um es zu werden. Sie waren gleichsam
+das Facit, welches der Rechenmeister seinen Schülern voraus sagt,
+damit sie sich im Rechnen einigermaassen darnach richten können.
+Wollten sich die Schüler an dem voraus gesagten Facit begnügen: so
+würden sie nie rechnen lernen, und die Absicht, in welcher der gute
+Meister ihnen bey ihrer Arbeit einen Leitfaden gab, schlecht erfüllen.
+
+§. 77.
+
+Und warum sollten wir nicht auch durch eine Religion, mit deren
+historischen Wahrheit, wenn man will, es so mißlich aussieht,
+gleichwohl auf nähere und bessere Begriffe vom göttlichen Wesen, von
+unsrer Natur, von unsern Verhältnissen zu Gott, geleitet werden können,
+auf welche die menschliche Vernunft von selbst nimmermehr gekommen
+wäre?
+
+§. 78.
+
+Es ist nicht wahr, daß Speculationen über diese Dinge jemals Unheil
+gestiftet, und der bürgerlichen Gesellschaft nachtheilig geworden.--
+Nicht den Speculationen: dem Unsinne, der Tyranney, diesen
+Speculationen zu steuern; Menschen, die ihre eigenen hatten, nicht
+ihre eigenen zu gönnen, ist dieser Vorwurf zu machen.
+
+§. 79.
+
+Vielmehr sind dergleichen Speculationen--mögen sie im Einzeln doch
+ausfallen, wie sie wollen--unstreitig die schicklichsten Uebungen des
+menschlichen Verstandes überhaupt, so lange das menschliche Herz
+überhaupt, höchstens nur vermögend ist, die Tugend wegen ihrer ewigen
+glückseligen Folgen zu lieben.
+
+§. 80.
+
+Denn bey dieser Eigennützigkeit des menschlichen Herzens, auch den
+Verstand nur allein an dem üben wollen, was unsere körperlichen
+Bedürfnisse betrift, würde ihn mehr stumpfen, als wetzen heissen. Er
+will schlechterdings an geistigen Gegenständen geübt seyn, wenn er zu
+seiner völligen Aufklärung gelangen, und diejenige Reinigkeit des
+Herzens hervorbringen soll, die uns, die Tugend um ihrer selbst willen
+zu lieben, fähig macht.
+
+§. 81.
+
+Oder soll das menschliche Geschlecht auf diese höchste Stufen der
+Aufklärung und Reinigkeit nie kommen? Nie?
+
+§. 82.
+
+Nie?--Laß mich diese Lästerung nicht denken, Allgütiger!--Die
+Erziehung hat ihr Ziel; bey dem Geschlechte nicht weniger als bey dem
+Einzeln. Was erzogen wird, wird zu Etwas erzogen.
+
+§. 83.
+
+Die schmeichelnden Aussichten, die man dem Jünglinge eröfnet; die Ehre,
+der Wohlstand, die man ihm vorspiegelt: was sind sie mehr, als Mittel,
+ihn zum Manne zu erziehen, der auch dann, wenn diese Aussichten der
+Ehre und des Wohlstandes wegfallen, seine Pflicht zu thun vermögend
+sey.
+
+§. 84.
+
+Darauf zwecke die menschliche Erziehung ab: und die göttliche reiche
+dahin nicht? Was der Kunst mit dem Einzeln gelingt, sollte der Natur
+nicht auch mit dem Ganzen gelingen? Lästerung! Lästerung!
+
+§. 85.
+
+Nein; sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung,
+da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern
+Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu
+seinen Handlungen zu erborgen, nicht nöthig haben wird; da er das Gute
+thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkührliche Belohnungen
+darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem blos heften
+und stärken sollten, die innern bessern Belohnungen desselben zu
+erkennen.
+
+§. 86.
+
+Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die
+uns selbst in den Elementarbüchern des Neuen Bundes versprochen wird.
+
+§. 87.
+
+Vielleicht, daß selbst gewisse Schwärmer des dreizehnten und
+vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums
+aufgefangen hatten; und nur darum irrten, daß sie den Ausbruch
+desselben so nahe verkündigten.
+
+§. 88.
+
+Vielleicht war ihr dreyfaches Alter der Welt keine so leere Grille;
+und gewiß hatten sie keine schlimme Absichten, wenn sie lehrten, daß
+der Neue Bund eben so wohl antiquiret werden müsse, als es der Alte
+geworden. Es blieb auch bey ihnen immer die nehmliche Oekonomie des
+nehmlichen Gottes. Immer--sie meine Sprache sprechen zu lassen--der
+nehmliche Plan der allgemeinen Erziehung des Menschengeschlechts.
+
+§. 89.
+
+Nur daß sie ihn übereilten; nur daß sie ihre Zeitgenossen, die noch
+kaum der Kindheit entwachsen waren, ohne Aufklärung, ohne Vorbereitung,
+mit Eins zu Männern machen zu können glaubten, die ihres dritten
+Zeitalters würdig wären.
+
+§. 90.
+
+Und eben das machte sie zu Schwärmern. Der Schwärmer thut oft sehr
+richtige Blicke in die Zukunft: aber er kann diese Zukunft nur nicht
+erwarten. Er wünscht diese Zukunft beschleuniget; und wünscht, daß sie
+durch ihn beschleuniget werde. Wozu sich die Natur Jahrtausende Zeit
+nimmt, soll in dem Augenblicke seines Daseyns reifen. Denn was hat er
+davon, wenn das, was er für das Bessere erkennt, nicht noch bey seinen
+Lebzeiten das Bessere wird? Kömmt er wieder? Glaubt er wieder zu
+kommen?--Sonderbar, daß diese Schwärmerey allein unter den Schwärmern
+nicht mehr Mode werden will!
+
+§.91.
+
+Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! Nur laß mich dieser
+Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln.--Laß mich an dir nicht
+verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir scheinen sollten, zurück
+zu gehen!--Es ist nicht wahr, daß die kürzeste Linie immer die gerade
+ist.
+
+§. 92.
+
+Du hast auf deinem ewigen Wege so viel mitzunehmen! so viel
+Seitenschritte zu thun!--Und wie? wenn es nun gar so gut als
+ausgemacht wäre, daß das große langsame Rad, welches das Geschlecht
+seiner Vollkommenheit näher bringt, nur durch kleinere schnellere
+Räder in Bewegung gesetzt würde, deren jedes sein Einzelnes eben dahin
+liefert?
+
+§. 93.
+
+Nicht anders! Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner
+Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der früher, der
+später) erst durchlaufen haben.--"In einem und eben demselben Leben
+durchlaufen haben? Kann er in eben demselben Leben ein sinnlicher Jude
+und ein geistiger Christ gewesen seyn? Kann er in eben demselben Leben
+beyde überhohlet haben?"
+
+§. 94.
+
+Das wohl nun nicht!--Aber warum könnte jeder einzelne Mensch auch
+nicht mehr als einmal auf dieser Welt vorhanden gewesen seyn?
+
+§. 95.
+
+Ist diese Hypothese darum so lächerlich, weil sie die älteste ist?
+weil der menschliche Verstand, ehe ihn die Sophisterey der Schule
+zerstreut und geschwächt hatte, sogleich darauf verfiel?
+
+§. 96.
+
+Warum könnte auch Ich nicht hier bereits einmal alle die Schritte zu
+meiner Vervollkommung gethan haben, welche blos zeitliche Strafen und
+Belohnungen den Menschen bringen können?
+
+§. 97.
+
+Und warum nicht ein andermal alle die, welche zu thun, uns die
+Aussichten in ewige Belohnungen, so mächtig helfen?
+
+§. 98.
+
+Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse,
+neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf Einmal so
+viel weg, daß es der Mühe wieder zu kommen etwa nicht lohnet?
+
+§. 99.
+
+Darum nicht?--Oder, weil ich es vergesse, daß ich schon da gewesen?
+Wohl mir, daß ich das vergesse. Die Erinnerung meiner vorigen Zustände,
+würde mir nur einen schlechten Gebrauch des gegenwärtigen zu machen
+erlauben. Und was ich auf itzt vergessen muß, habe ich denn das auf
+ewig vergessen?
+
+§. 100.
+
+Oder, weil so zu viel Zeit für mich verloren gehen würde?--Verloren?
+--Und was habe ich denn zu versäumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit
+mein?
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die Erziehung des
+Menschengeschlechts, von Gotthold Ephraim Lessing.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Die Erziehung des Menschengeschlechts, by
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ERZIEHUNG DES ***
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+
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+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
+U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
+mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
+volunteers and employees are scattered throughout numerous
+locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
+official page at www.gutenberg.org/contact
+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
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+
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+
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+
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+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
+freely shared with anyone. For forty years, he produced and
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