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+The Project Gutenberg EBook of Philotas, by Gotthold Ephraim Lessing
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Philotas
+
+Author: Gotthold Ephraim Lessing
+
+Posting Date: October 12, 2014 [EBook #9159]
+Release Date: October, 2005
+First Posted: September 9, 2003
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PHILOTAS ***
+
+
+
+
+Produced by Delphine Lettau, from files obtained from
+Gutenberg Projekt-DE.
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+
+
+
+
+
+Philotas
+
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+Ein Trauerspiel
+
+
+Personen:
+
+Aridäus, König.
+Strato, Feldherr des Aridäus.
+Philotas, gefangen.
+Parmenio, Soldat.
+
+Die Szene ist ein Zelt in dem Lager des Aridäus.
+
+
+
+Erster Auftritt.
+
+Philotas.
+
+So bin ich wirklich gefangen?--Gefangen!--Ein würdiger Anfang meiner
+kriegerischen Lehrjahre!--O ihr Götter! O mein Vater!--Wie gern
+überredte ich mich, daß alles ein Traum sei! Meine frühste Kindheit
+hat nie etwas anders, als Waffen, und Läger, und Schlachten und Stürme
+geträumet. Könnte der Jüngling nicht von Verlust und Entwaffnung
+träumen?--Schmeichle dir nur, Philotas! Wenn ich sie nicht sähe,
+nicht fühlte, die Wunde, durch die der erstarrten Hand das Schwert
+entsank!--Man hat sie mir wider Willen verbunden. O der grausamen
+Barmherzigkeit eines listigen Feindes! Sie ist nicht tödlich, sagte
+der Arzt, und glaubte mich zu trösten.--Nichtswürdiger, sie sollte
+tödlich sein!--Und nur eine Wunde, nur eine!--Wüßte ich, daß ich sie
+tödlich machte, wenn ich sie wieder aufriss', und wieder verbinden
+ließ', und wieder aufriss'--Ich rase, ich Unglücklicher!--Und was für
+ein höhnisches Gesicht--itzt fällt mir es ein--mir der alte Krieger
+machte, der mich vom Pferde riß! Er nannte mich: Kind!--Auch sein
+König muß mich für ein Kind, für ein verzärteltes Kind halten. In was
+für ein Zelt hat er mich bringen lassen! Aufgeputzt, mit allen
+Bequemlichkeiten versehen! Es muß einer von seinen Beischläferinnen
+gehören. Ein ekler Aufenthalt für einen Soldaten! Und anstatt
+bewacht zu werden, werde ich bedienet. Hohnsprechende Höflichkeit!--
+
+
+
+Zweiter Auftritt.
+
+Strato. Philotas.
+
+
+Strato. Prinz--
+
+Philotas. Schon wieder ein Besuch? Alter, ich bin gern allein.
+
+Strato. Prinz, ich komme auf Befehl des Königs--
+
+Philotas. Ich verstehe dich! Es ist wahr, ich bin deines Königs
+Gefangener, und es stehet bei ihm, wie er mir will begegnen lassen--
+Aber höre, wenn du der bist, dessen Miene du trägst--bist du ein alter
+ehrlicher Kriegsmann, so nimm dich meiner an, und bitte den König, daß
+er mir als einem Soldaten, und nicht als einem Weibe begegnen lasse.
+
+Strato. Er wird gleich bei dir sein; ich komme, ihn zu melden.
+
+Philotas. Der König bei mir? und du kömmst, ihn zu melden?--Ich will
+nicht, daß er mir eine von den Erniedrigungen erspare, die sich ein
+Gefangener muß gefallen lassen.--Komm, führe mich zu ihm! Nach dem
+Schimpfe, entwaffnet zu sein, ist mir nichts mehr schimpflich.
+
+Strato. Prinz, deine Bildung, voll jugendlicher Anmut, verspricht ein
+sanftres Gemüt.
+
+Philotas. Laß meine Bildung unverspottet! Dein Gesicht voll Narben
+ist freilich ein schöners Gesicht--
+
+Strato. Bei den Göttern! eine große Antwort! Ich muß dich bewundern
+und lieben.
+
+Philotas. Möchtest du doch, wenn du mich nur erst gefürchtet hättest.
+
+
+Strato. Immer heldenmütiger! Wir haben den schrecklichsten Feind vor
+uns, wenn unter seiner Jugend der Philotas viel sind.
+
+Philotas. Schmeichle mir nicht!--Euch schrecklich zu werden, müssen
+sie mit meinen Gesinnungen größre Taten verbinden. Darf ich deinen
+Namen wissen?
+
+Strato. Strato.
+
+Philotas. Strato? Der tapfre Strato, der meinen Vater am Lykus
+schlug?--
+
+Strato. Gedenke mir dieses zweideutigen Sieges nicht! Und wie blutig
+rächte sich dein Vater in der Ebene Methymna! So ein Vater muß so
+einen Sohn haben.
+
+Philotas. O dir darf ich es klagen, du würdigster der Feinde meines
+Vaters, dir darf ich mein Schicksal klagen.--Nur du kannst mich ganz
+verstehen; denn auch dich, auch dich hat das herrschende Feuer der
+Ehre, der Ehre fürs Vaterland zu bluten, in deiner Jugend verzehrt.
+Wärest du sonst, was du bist?--Wie habe ich ihn nicht, meinen Vater,
+seit sieben Tagen--denn erst sieben Tage kleidet mich die männliche
+Toga--wie habe ich ihn nicht gebeten, gefleht, beschworen, siebenmal
+alle sieben Tage auf den Knieen beschworen, zu verstatten, daß ich
+nicht umsonst der Kindheit entwachsen sei, und mich mit seinen
+Streitern ausziehen zu lassen, die mir schon längst so manche Träne
+der Nacheiferung gekostet. Gestern bewegte ich ihn, den besten Vater,
+denn Aristodem half mir bitten.--Du kennst ihn, den Aristodem; er ist
+meines Vaters Strato.--"Gib mir, König, den Jüngling morgen mit,"
+sprach Aristodem; "ich will das Gebirge durchstreifen, um den Weg nach
+Cäsarea offen zu halten."--"Wenn ich euch nur begleiten könnte",
+seufzte mein Vater.--Er liegt noch an seinen Wunden krank.--"Doch es
+sei!" und hiermit umarmte mich mein Vater. O was fühlte der
+glückliche Sohn in dieser Umarmung!--Und die Nacht, die darauf folgte!
+Ich schloß kein Auge; doch verweilten mich Träume der Ehre und des
+Sieges bis zur zweiten Nachtwache auf dem Lager.--Da sprang ich auf,
+warf mich in den neuen Panzer, strich die ungelockten Haare unter den
+Helm, wählte unter den Schwertern meines Vaters, dem ich gewachsen zu
+sein glaubte, stieg zu Pferde; und hatte ein Roß schon müde gespornt,
+noch ehe die silberne Drommete die befohlne Mannschaft weckte. Sie
+kamen, und ich sprach mit jedem meiner Begleiter, und da drückte mich
+mancher wackere Krieger an seine narbigte Brust! Nur mit meinem Vater
+sprach ich nicht; denn ich zitterte, wenn er mich noch einmal sähe, er
+möchte sein Wort widerrufen.--Nun zogen wir aus! An der Seite der
+unsterblichen Götter kann man nicht glücklicher sein, als ich an der
+Seite Aristodems mich fühlte! Auf jeden seiner anfeuernden Blicke
+hätte ich, ich allein, ein Heer angegriffen und mich in der
+feindlichen Eisen gewissesten Tod gestürzet. In stiller
+Entschlossenheit freute ich mich auf jeden Hügel, von dem ich in der
+Ebene Feinde zu entdecken hoffte; auf jede Krümmung des Tals, hinter
+der ich auf sie zu stoßen mir schmeichelte. Und da ich sie endlich
+von der waldigten Höhe auf uns stürzen sahe; ihnen bergan entgegen
+flog--rufe dir, ruhmvoller Greis, die seligste deiner jugendlichen
+Entzückungen zurück--du konntest nie entzückter sein!--Aber nun, nun
+sieh mich, Strato, sieh mich von dem Gipfel meiner hohen Erwartungen
+schimpflich herabstürzen! O wie schaudert mich, diesen Fall in
+Gedanken noch einmal zu stürzen!--Ich war zu weit vorausgeeilt; ich
+ward verwundet und--gefangen! Armseliger Jüngling, nur auf Wunden
+hieltest du dich, nur auf den Tod gefaßt,--und wirst gefangen. So
+schicken die strengen Götter, unsere Fassung zu vereiteln, nur immer
+unvorhergesehenes Übel?--Ich weine; ich muß weinen, ob ich mich schon,
+von dir darum verachtet zu werden, scheue. Aber verachte mich nicht!--
+Du wendest dich weg?
+
+Strato. Ich bin unwillig; du hättest mich nicht so bewegen sollen.--
+Ich werde mit dir zum Kinde--
+
+Philotas. Nein; höre, warum ich weine! Es ist kein kindisches Weinen,
+das du mit deiner männlichen Träne zu begleiten würdigest--Was ich
+für mein größtes Glück hielt, die zärtliche Liebe, mit der mich mein
+Vater liebt, wird mein größtes Unglück. Ich fürchte, ich fürchte; er
+liebt mich mehr, als er sein Reich liebt! Wozu wird er sich nicht
+verstehen, was wird ihm dein König nicht abdringen, mich aus der
+Gefangenschaft zu retten! Durch mich Elenden wird er an einem Tage
+mehr verlieren, als er in drei langen mühsamen Jahren, durch das Blut
+seiner Edeln, durch sein eignes Blut gewonnen hat. Mit was für einem
+Angesichte soll ich wieder vor ihm erscheinen; ich, sein schlimmster
+Feind? Und meines Vaters Untertanen--künftig einmal die meinigen,
+wenn ich sie zu regieren mich würdig gemacht hätte--wie werden sie den
+ausgelösten Prinzen ohne die spöttischste Verachtung unter sich dulden
+können? Wann ich denn vor Scham sterbe und unbedauert hinab zu den
+Schatten schleiche, wie finster und stolz werden die Seelen der Helden
+bei mir vorbeiziehen, die dem Könige die Vorteile mit ihrem Leben
+erkaufen mußten, deren er sich als Vater für einen unwürdigen Sohn
+begibt.--O das ist mehr, als eine fühlende Seele ertragen kann!
+
+Strato. Fasse dich, lieber Prinz! Es ist der Fehler des Jünglings,
+sich immer für glücklicher, oder unglücklicher zu halten, als er ist.
+Dein Schicksal ist so grausam noch nicht; der König nähert sich, und
+du wirst aus seinem Munde mehr Trost hören.
+
+
+
+Dritter Auftritt.
+
+König Aridäus. Philotas. Strato.
+
+
+Aridäus. Kriege, die Könige unter sich zu führen gezwungen werden,
+sind keine persönliche Feindschaften.--Laß dich umarmen, mein Prinz!
+O welcher glücklichen Tage erinnert mich deine blühende Jugend! So
+blühte die Jugend deines Vaters! Dies war sein offenes, sprechendes
+Auge; dies seine ernste, redliche Miene; dies sein edler Anstand!--
+Noch einmal laß dich umarmen; ich umarme deinen jüngern Vater in dir.
+--Hast du es nie von ihm gehört, Prinz, wie vertraute Freunde wir in
+deinem Alter waren? Das war das selige Alter, da wir uns noch ganz
+unserm Herzen überlassen durften. Bald aber wurden wir beide zum
+Throne gerufen, und der sorgende König, der eifersüchtige Nachbar
+unterdrückte, leider! den gefälligen Freund.--
+
+Philotas. Verzeih, o König, wenn du mich in Erwiderung so süßer Worte
+zu kalt findest. Man hat meine Jugend denken, aber nicht reden
+gelehrt.--Was kann es mir itzt helfen, daß du und mein Vater einst
+Freunde waren? Waren: so sagst du selbst. Der Haß, den man auf
+verloschne Freundschaft pfropfet, muß, unter allen, die tödlichsten
+Früchte bringen;--oder ich kenne das menschliche Herz zu wenig.--
+Verzögere daher, König, verzögere meine Verzweiflung nur nicht. Du
+hast als der höfliche Staatsmann gesprochen; sprich nun als der
+Monarch, der den Nebenbuhler seiner Größe ganz in seiner Gewalt hat.
+
+Strato. O laß ihn, König, die Ungewißheit seines Schicksals nicht
+länger peinigen.--
+
+Philotas. Ich danke, Strato!--Ja, laß mich es nur gleich hören, wie
+verabscheuungswürdig du einen unglücklichen Sohn seinem Vater machen
+willst. Mit welchem schimpflichen Frieden, mit welchen Ländern soll
+er ihn erkaufen? Wie klein und verächtlich soll er werden, um nicht
+verwaist zu bleiben?--O mein Vater!--
+
+Aridäus. Auch diese frühe, männliche Sprache, Prinz, war deines
+Vaters! So höre ich dich gern! Und möchte, meiner nicht minder
+würdig, auch mein Sohn itzt vor deinem Vater so sprechen!--
+
+Philotas. Wie meinst du das?--
+
+Aridäus. Die Götter--ich bin es überzeugt--wachen für unsere Tugend,
+wie sie für unser Leben wachen. Die so lang als mögliche Erhaltung
+beider ist ihr geheimes, ewiges Geschäft. Wo weiß ein Sterblicher,
+wie böse er im Grunde ist, wie schlecht er handeln würde, ließen sie
+jeden verführerischen Anlaß, sich durch kleine Taten zu beschimpfen,
+ganz auf ihn wirken?--Ja, Prinz, vielleicht wäre ich der, den du mich
+glaubst; vielleicht hätte ich nicht edel genug gedacht, das
+wunderliche Kriegesglück, das dich mir in die Hände liefert,
+bescheiden zu nützen; vielleicht würde ich durch dich ertrotzt haben,
+was ich zu erfechten nicht länger wagen mögen; vielleicht--Doch
+fürchte nichts; allen diesen "Vielleicht" hat eine höhere Macht
+vorgebauet; ich kann deinen Vater seinen Sohn nicht teurer erkaufen
+lassen als--durch den meinigen.
+
+Philotas. Ich erstaune! Du gibst mir zu verstehen--
+
+Aridäus. Daß mein Sohn deines Vaters Gefangener ist, wie du meiner.--
+
+Philotas. Dein Sohn meines Vaters? Dein Polytimet?--Seit wenn? Wie?
+Wo?
+
+Aridäus. So wollt' es das Schicksal! Aus gleichen Wagschalen nahm es
+auf einmal gleiche Gewichte, und die Schalen blieben noch gleich.
+
+Strato. Du willst nähere Umstände wissen.--Eben dasselbe Geschwader,
+dem du zu hitzig entgegen eiltest, führte Polytimet; und als dich die
+Deinigen verloren erblickten, erhob sie Wut und Verzweiflung über alle
+menschliche Stärke. Sie brachen ein, und alle stürmten sie auf den
+einen, in welchem sie ihres Verlustes Ersetzung sahen. Das Ende weißt
+du.--Nun nimm noch von einem alten Soldaten die Lehre an: Der Angriff
+ist kein Wettrennen; nicht der, welcher zuerst, sondern welcher zum
+sichersten auf den Feind trifft, hat sich dem Siege genähert. Das
+merke dir, zu feuriger Prinz; sonst möchte der werdende Held im ersten
+Keime ersticken.
+
+Aridäus. Strato, du machst den Prinzen durch deine, zwar
+freundschaftliche, Warnung verdrießlich. Wie finster er da steht!--
+
+Philotas. Nicht das! Aber laß mich; in tiefe Anbetung der Vorsicht
+verloren--
+
+Aridäus. Die beste Anbetung, Prinz, ist dankbare Freude. Ermuntere
+dich! Wir Väter wollen uns unsere Söhne nicht lange vorenthalten.
+Mein Herold hält sich bereits fertig; er soll gehen und die
+Auswechselung beschleunigen. Aber du weißt wohl, freudige Nachrichten,
+die wir allein vom Feinde erfahren, scheinen Fallstricke. Man könnte
+argwohnen, du seist vielleicht an deiner Wunde gestorben. Es wird
+daher nötig sein, daß du selbst mit dem Herolde einen unverdächtigen
+Boten an deinen Vater sendest. Komm mit mir! Suche dir einen unter
+den Gefangenen, den du deines Vertrauens würdigen kannst.--
+
+Philotas. So willst du, daß ich mich vervielfältiget verabscheuen
+soll? In jedem der Gefangenen werde ich mich selbst erblicken.--
+Schenke mir diese Verwirrung.
+
+Aridäus. Aber--
+
+Philotas. Unter den Gefangenen muß sich Parmenio befinden. Den
+schicke mir her; ich will ihn abfertigen.
+
+Aridäus. Wohl; auch so! Komm, Strato! Prinz wir sehen uns bald
+wieder.
+
+
+
+Vierter Auftritt.
+
+Philotas.
+
+
+Götter! Näher konnte der Blitz, ohne mich ganz zu zerschmettern,
+nicht vor mir niederschlagen. Wunderbare Götter! Die Flamme kehrt
+zurück; der Dampf verfliegt, und ich war nur betäubt.--So war das mein
+ganzes Elend, zu sehen, wie elend ich hätte werden können? Wie elend
+mein Vater durch mich!--Nun darf ich wieder vor dir erscheinen, mein
+Vater! Zwar noch mit niedergeschlagenen Augen; doch nur die Scham
+wird sie niederschlagen, nicht das brennende Bewußtsein, dich mit mir
+ins Verderben gerissen zu haben. Nun darf ich nichts von dir fürchten,
+als einen Verweis mit Lächeln; kein stummes Trauren; keine, durch die
+stärkere Gewalt der väterlichen Liebe erstickte Verwünschungen.--
+
+Aber--ja, bei dem Himmel! ich bin zu gütig gegen mich. Darf ich mir
+alle Fehler vergeben, die mir die Vorsicht zu vergeben scheinet? Soll
+ich mich nicht strenger richten, als sie und mein Vater mich richten?
+Die allzugütigen!--Sonst jede der traurigen Folgen meiner
+Gefangenschaft konnten die Götter vernichten; nur eine konnten sie
+nicht: die Schande! Zwar jene leicht verfliegende wohl, die von der
+Zunge des Pöbels strömt; aber nicht die wahre dauernde Schande, die
+hier der innere Richter, mein unparteiisches Selbst, über mich
+ausspricht!--
+
+Und wie leicht ich mich verblende! Verlieret mein Vater durch mich
+nichts? Der Ausschlag, den der gefangene Polytimet,--wenn ich nicht
+gefangen wäre,--auf seine Seite brächte, der ist nichts!--Nur durch
+mich wird er nichts!--Das Glück hätte sich erkläret, für wen es sich
+erklären sollte; das Recht meines Vaters triumphierte, wäre Polytimet,
+nicht Philotas und Polytimet gefangen!--
+
+Und nun--welcher Gedanke war es, den ich itzt dachte? Nein; den ein
+Gott in mir dachte--Ich muß ihm nachhängen! Laß dich fesseln,
+flüchtiger Gedanke!--Itzt denke ich ihn wieder! Wie weit er sich
+verbreitet, und immer weiter; und nun durchstrahlt er meine ganze
+Seele!--
+
+Was sagte der König? Warum wollte er, daß ich zugleich selbst einen
+unverdächtigen Boten an meinen Vater schicken sollte? Damit mein
+Vater nicht argwohne--wo waren ja seine eigne Worte--, ich sei bereits
+an meiner Wunde gestorben.--Also meint er doch, wenn ich bereits an
+meiner Wunde gestorben wäre, so würde die Sache ein ganz anders Ansehn
+gewinnen? Würde sie das? Tausend Dank für diese Nachricht! Tausend
+Dank!--Und freilich! Denn mein Vater hätte alsdenn einen gefangenen
+Prinzen, für den er sich alles bedingen könnte; und der König, sein
+Feind, hätte--den Leichnam eines gefangenen Prinzen, für den er nichts
+fordern könnte; den er--müßte begraben oder verbrennen lassen, wenn er
+ihm nicht zum Abscheu werden sollte.
+
+Gut! das begreif' ich! Folglich, wenn ich, ich elender Gefangener,
+meinem Vater den Sieg noch in die Hände spielen will, worauf kömmt es
+an? Aufs Sterben. Auf weiter nichts?--O fürwahr; der Mensch ist
+mächtiger, als er glaubt, der Mensch, der zu sterben weiß!
+
+Aber ich? ich, der Keim, die Knospe eines Menschen, weiß ich zu
+sterben? Nicht der Mensch, der vollendete Mensch allein, muß es
+wissen; auch der Jüngling, auch der Knabe; oder er weiß gar nichts.
+Wer zehn Jahre gelebt hat, hat zehn Jahre Zeit gehabt, sterben zu
+lernen; und was man in zehn Jahren nicht lernt, das lernt man auch in
+zwanzig, in dreißig und mehrern nicht.
+
+Alles, was ich werden können, muß ich durch das zeigen, was ich schon
+bin. Und was könnte ich, was wollte ich werden? Ein Held.--Wer ist
+ein Held?--O mein abwesender vortrefflicher Vater, itzt sei ganz in
+meiner Seele gegenwärtig!--Hast du mich nicht gelehrt, ein Held sei
+ein Mann, der höhere Güter kennt als das Leben? Ein Mann, der sein
+Leben dem Wohle des Staats geweihet; sich, den einzeln, dem Wohle
+vieler? Ein Held sei ein Mann--Ein Mann? Also kein Jüngling, mein
+Vater?--Seltsame Frage! Gut, daß sie mein Vater nicht gehöret hat!
+Er müßte glauben, ich sähe es gern, wenn er Nein darauf antwortete.--
+Wie alt muß die Fichte sein, die zum Maste dienen soll? Wie alt? Sie
+muß hoch genug, und muß stark genug sein.
+
+Jedes Ding, sagte der Weltweise, der mich erzog, ist vollkommen, wenn
+es seinen Zweck erfüllen kann. Ich kann meinen Zweck erfüllen, ich
+kann zum Besten des Staats sterben: ich bin vollkommen also, ich bin
+ein Mann. Ein Mann, ob ich gleich noch vor wenig Tagen ein Knabe war.
+
+
+Welch Feuer tobt in meinen Adern? Welche Begeisterung befällt mich?
+Die Brust wird dem Herzen zu eng!--Geduld, mein Herz! Bald will ich
+dir Luft machen! Bald will ich dich deines einförmigen langweiligen
+Dienstes erlassen! Bald sollst du ruhen, und lange ruhen--
+
+Wer kömmt? Es ist Parmenio.--Geschwind entschlossen!--Was muß ich zu
+ihm sagen? Was muß ich durch ihn meinem Vater sagen lassen?--Recht!
+das muß ich sagen, das muß ich sagen lassen.
+
+
+
+Fünfter Auftritt.
+
+Parmenio. Philotas.
+
+
+Philotas. Tritt näher, Parmenio.--Nun? warum so schüchtern? So
+voller Scham? Wessen schämst du dich? Deiner, oder meiner?
+
+Parmenio: Unser beider, Prinz.
+
+Philotas. Immer sprich, wie du denkst. Freilich, Parmenio, müssen
+wir beide nicht viel taugen, weil wir uns hier befinden. Hast du
+meine Geschichte bereits gehört?
+
+Parmenio. Leider!
+
+Philotas. Und als du sie hörtest?--
+
+Parmenio. Ich bedauerte dich, ich bewunderte dich, ich verwünschte
+dich, ich weiß selbst nicht, was ich alles tat.
+
+Philotas. Ja, ja! Nun aber, da du doch wohl auch erfahren, daß das
+Unglück so groß nicht ist, weil gleich darauf Polytimet von den
+Unserigen--
+
+Parmenio. Ja nun; nun möchte ich fast lachen. Ich finde, daß das
+Glück zu einem kleinen Schlage, den es uns versetzen will, oft
+erschrecklich weit ausholt. Man sollte glauben, es wolle uns
+zerschmettern, und hat uns am Ende nichts, als eine Mücke auf der
+Stirne totgeschlagen.
+
+Philotas. Zur Sache!--Ich soll dich mit dem Herolde des Königs zu
+meinem Vater schicken.
+
+Parmenio. Gut! So wird deine Gefangenschaft der meinigen das Wort
+sprechen. Ohne die gute Nachricht, die ich ihm von dir bringen werde,
+und die eine freundliche Miene wohl wert ist, hätte ich mir eine
+ziemlich frostige von ihm versprechen müssen.
+
+Philotas. Nein, ehrlicher Parmenio; nun im Ernst! Mein Vater weiß es,
+daß dich der Feind verblutet und schon halb erstarrt von der Walstatt
+aufgehoben. Laß prahlen, wer prahlen will; der ist leicht gefangen zu
+nehmen, den der nahende Tod schon entwaffnet hat.--Wie viele Wunden
+hast du nun, alter Knecht?--
+
+Parmenio. O, davon konnte ich sonst eine lange Liste hersagen. Itzt
+aber habe ich sie um ein gut Teil verkürzt.
+
+Philotas. Wie das?
+
+Parmenio. Ha! Ich rechne nun nicht mehr die Glieder, an welchen ich
+verwundet bin; Zeit und Atem zu ersparen, zähle ich die, an welchen
+ich es nicht bin.--Kleinigkeiten bei dem allem! Wozu hat man die
+Knochen anders, als daß sich die feindlichen Eisen darauf schartig
+hauen sollen?
+
+Philotas. Das ist wacker!--Aber nun--was willst du meinem Vater
+sagen?
+
+Parmenio. Was ich sehe; daß du dich wohl befindest. Denn deine Wunde,
+wenn man mir anders die Wahrheit gesagt hat,--
+
+Philotas. Ist so gut als keine.
+
+Parmenio. Ein kleines liebes Andenken. Dergleichen uns ein
+inbrünstiges Mädchen in die Lippe beißt. Nicht wahr, Prinz?
+
+Philotas. Was weiß ich davon?
+
+Parmenio. Nu, nu; kömmt Zeit, kömmt Erfahrung.--Ferner will ich
+deinem Vater sagen, was ich glaube, daß du wünschest--
+
+Philotas. Und was ist das?
+
+Parmenio. Je eher, je lieber wieder bei ihm zu sein. Deine kindliche
+Sehnsucht, deine bange Ungeduld--
+
+Philotas. Mein Heimweh lieber gar. Schalk! warte, ich will dich
+anders denken lehren!
+
+Parmenio. Bei dem Himmel, das mußt du nicht! Mein lieber
+frühzeitiger Held, laß dir das sagen: Du bist noch Kind! Gib nicht zu,
+daß der rauhe Soldat das zärtliche Kind so bald in dir ersticke. Man
+möchte sonst von deinem Herzen nicht zum besten denken; man möchte
+deine Tapferkeit für angeborne Wildheit halten. Ich bin auch Vater,
+Vater eines einzigen Sohnes, der nur wenig älter als du, mit gleicher
+Hitze--du kennst ihn ja.
+
+Philotas. Ich kenne ihn. Er verspricht alles, was sein Vater
+geleistet hat.
+
+Parmenio. Aber wüßte ich, daß sich der junge Wildfang nicht in allen
+Augenblicken, die ihm der Dienst frei läßt, nach seinem Vater sehnte,
+und sich nicht so nach ihm sehnte, wie sich ein Lamm nach seiner
+Mutter sehnet: so möchte ich ihn gleich--siehst du!--nicht erzeugt
+haben. Itzt muß er mich noch mehr lieben, als ehren. Mit dem Ehren
+werde ich mich so Zeit genug müssen begnügen lassen; wenn nämlich die
+Natur den Strom seiner Zärtlichkeit einen andern Weg leitet; wenn er
+selbst Vater wird.--Werde nicht ungehalten, Prinz.
+
+Philotas. Wer kann auf dich ungehalten werden?--Du hast recht! Sage
+meinem Vater alles, was du glaubest, daß ihm ein zärtlicher Sohn bei
+dieser Gelegenheit muß sagen lassen. Entschuldige meine jugendliche
+Unbedachtsamkeit, die ihn und sein Reich fast ins Verderben gestürzt
+hätte. Bitte ihn, mir meinen Fehler zu vergeben. Versichere ihn, daß
+ich ihn nie durch einen ähnlichen Fehler wieder daran erinnern will;
+daß ich alles tun will, damit er ihn auch vergessen kann. Beschwöre
+ihn--
+
+Parmenio. Laß mich nur machen! So etwas können wir Soldaten recht
+gut sagen.--Und besser als ein gelehrter Schwätzer; denn wir sagen es
+treuherziger.--Laß mich nur machen! Ich weiß schon alles.--Lebe wohl,
+Prinz; ich eile--
+
+Philotas. Verzieh!
+
+Parmenio. Nun?--Und welch feierliches Ansehen gibst du dir auf
+einmal?
+
+Philotas. Der Sohn hat dich abgefertiget, aber noch nicht der Prinz.--
+Jener mußte fühlen; dieser muß überlegen. Wie gern wollte der Sohn
+gleich itzt, wie gern wollte er noch eher, als möglich, wieder um
+seinen Vater, um seinen geliebten Vater sein; aber der Prinz--der
+Prinz kann nicht.--Höre!
+
+Parmenio. Der Prinz kann nicht?
+
+Philotas. Und will nicht.
+
+Parmenio. Will nicht?
+
+Philotas. Höre!
+
+Parmenio. Ich erstaune--
+
+Philotas. Ich sage, du sollst hören und nicht erstaunen. Höre!
+
+Parmenio. Ich erstaune, weil ich höre. Es hat geblitzt, und ich
+erwarte den Schlag.--Rede!--Aber, junger Prinz, keine zweite
+Übereilung!--
+
+Philotas. Aber, Soldat, kein Vernünfteln!--Höre! Ich habe meine
+Ursachen, nicht eher ausgelöset zu sein, als morgen. Nicht eher als
+morgen! Hörst du?--Sage also unserm Könige, daß er sich an die
+Eilfertigkeit des feindlichen Herolds nicht kehre. Eine gewisse
+Bedenklichkeit, ein gewisser Anschlag nötige den Philotas zu dieser
+Verzögerung.--Hast du mich verstanden?
+
+Parmenio. Nein!
+
+Philotas. Nicht? Verräter!--
+
+Parmenio. Sachte, Prinz! Ein Papagei versteht nicht, aber er behält,
+was man ihm vorsagt. Sei unbesorgt. Ich will deinem Vater alles
+wieder herplappern, was ich von dir höre.
+
+Philotas. Ha! ich untersagte dir, zu vernünfteln, und das verdreußt
+dich. Aber wie bist denn du so verwöhnt? Haben dir alle deine
+Befehlshaber Gründe gesagt?--
+
+Parmenio. Alle, Prinz; ausgenommen die jungen.
+
+Philotas. Vortrefflich! Parmenio, wenn ich so empfindlich wäre, als
+du--
+
+Parmenio. Und doch kann nur derjenige meinen blinden Gehorsam
+heischen, dem die Erfahrung doppelte Augen gegeben.
+
+Philotas. Bald werde ich dich also um Verzeihung bitten müssen.--Nun
+wohl, ich bitte dich um Verzeihung, Parmenio. Murre nicht, Alter!
+Sei wieder gut, alter Vater!--Du bist freilich klüger, als ich. Aber
+nicht die Klügsten allein haben die besten Einfälle. Gute Einfälle
+sind Geschenke des Glückes; und das Glück, weißt du wohl, beschenkt
+den Jüngling oft lieber, als den Greis. Denn das Glück ist blind.
+Blind, Parmenio; stockblind gegen alles Verdienst. Wenn es das nicht
+wäre, müßtest du nicht schon lange Feldherr sein?
+
+Parmenio. Sieh, wie du zu schmeicheln weißt, Prinz--Aber im Vertrauen,
+lieber Prinz! Willst du mich nicht etwa bestechen? mit
+Schmeicheleien bestechen?
+
+Philotas. Ich, schmeicheln! Und dich bestechen! Du bist der Mann,
+der sich bestechen läßt!
+
+Parmenio. Wenn du so fortfährest, so kann ich es werden. Schon traue
+ich mir selbst nicht mehr recht!
+
+Philotas. Was wollte ich also sagen?--So einen guten Einfall nun,
+wollte ich sagen, als das Glück oft in das albernste Gehirn wirft, so
+einen habe ich itzo ertappt. Bloß ertappt; von dem Meinigen ist nicht
+das geringste dazugekommen. Denn hätte mein Verstand, meine
+Erfindungskraft einigen Anteil daran; würde ich ihn nicht gern mit dir
+überlegen wollen? Aber so kann ich ihn nicht mit dir überlegen; er
+verschwindet, wenn ich ihn mitteile; so zärtlich, so fein ist er, ich
+getraue mir ihn nicht in Worte zu kleiden; ich denke ihn nur, wie mich
+der Philosoph Gott zu denken gelehrt hat, und aufs höchste könnte ich
+dir nur sagen, was er nicht ist--Möglich zwar genug, daß es im Grunde
+ein kindischer Einfall ist; ein Einfall, den ich für einen glücklichen
+Einfall halte, weil ich noch keinen glücklichern gehabt habe. Aber
+mag er doch; kann er nichts nützen, so kann er doch auch nichts
+schaden. Das weiß ich gewiß; es ist der unschädlichste Einfall von
+der Welt; so unschädlich als--als ein Gebet. Wirst du deswegen zu
+beten unterlassen, weil du nicht ganz gewiß weißt, ob dir das Gebet
+helfen wird?--Verdirb mir immer also meine Freude nicht, Parmenio,
+ehrlicher Parmenio! Ich bitte dich, ich umarme dich--Wenn du mich nur
+ein klein wenig lieb hast--Willst du? Kann ich mich darauf verlassen?
+Willst du machen, daß ich erst morgen ausgewechselt werde? Willst
+du?
+
+Parmenio. Ob ich will? Muß ich nicht? muß ich nicht?--Höre, Prinz,
+wenn du einmal König wirst, gib dich nicht mit dem Befehlen ab.
+Befehlen ist ein unsicheres Mittel, befolgt zu werden. Wem du etwas
+recht Schweres aufzulegen hast, mit dem mache es, wie du es itzt mit
+mir gemacht hast, und wenn er dir alsdenn seinen Gehorsam verweigert--
+Unmöglich! Er kann dir ihn nicht verweigern! Ich muß auch wissen,
+was ein Mann verweigern kann.
+
+Philotas. Was Gehorsam? Was hat die Freundschaft, die du mir
+erweisest, mit dem Gehorsam zu tun? Willst du, mein Freund?--
+
+Parmenio. Hör' auf! hör' auf! Du hast mich schon ganz. Ja doch,
+ich will alles. Ich will es, ich will es deinem Vater sagen, daß er
+dich erst morgen auslösen soll. Warum zwar erst morgen,--das weiß ich
+nicht! Das brauch' ich nicht zu wissen! Das braucht auch er nicht zu
+wissen. Genug, ich weiß, daß du es willst. Und ich will alles, was
+du willst. Willst du sonst nichts? Soll ich sonst nichts tun? Soll
+ich für dich durchs Feuer rennen? Mich für dich vom Felsen
+herabstürzen? Befiehl nur, mein lieber kleiner Freund, befiehl! Itzt
+tu' ich dir alles! Sogar--sage ein Wort, und ich will für dich ein
+Verbrechen, ein Bubenstück begehen! Die Haut schaudert mir zwar; aber
+doch Prinz, wenn du willst, ich will, ich will--
+
+Philotas. O mein bester, feuriger Freund! O du--wie soll ich dich
+nennen?--du Schöpfer meines künftigen Ruhmes! Dir schwöre ich bei
+allem, was mir heilig ist, bei der Ehre meines Vaters, bei dem Glücke
+seiner Waffen, bei der Wohlfahrt seines Landes schwöre ich dir, nie in
+meinem Leben diese deine Bereitwilligkeit, deinen Eifer zu vergessen!
+Möchte ich ihn auch würdig genug belohnen können!--Höret, ihr Götter,
+meinen Schwur!--Und nun Parmenio, schwöre auch du! Schwöre mir, dein
+Wort treulich zu halten.--
+
+Parmenio. Ich schwören? Ich bin zu alt zum Schwören.
+
+Philotas. Und ich bin zu jung, dir ohne Schwur zu trauen. Schwöre
+mir! Ich habe dir bei meinem Vater geschworen, schwöre du mir bei
+deinem Sohne. Du liebst ihn doch, deinen Sohn? Du liebst ihn doch
+recht herzlich?
+
+Parmenio. So herzlich, wie dich!--Du willst es, und ich schwöre. Ich
+schwöre dir, bei meinem einzigen Sohne, bei meinem Blute, das in
+seinen Adern wallet, bei dem Blute, das ich gern für deinen Vater
+geblutet, das auch er gern für dich einst bluten wird, bei diesem
+Blute schwöre ich dir, mein Wort zu halten! Und wenn ich es nicht
+halte, so falle mein Sohn in seiner ersten Schlacht, und erlebe sie
+nicht, die glorreichen Tage deiner Regierung!--Höret, ihr Götter,
+meinen Schwur--
+
+Philotas. Höret ihn noch nicht, ihr Götter!--Du hast mich zum besten,
+Alter. In der ersten Schlacht fallen; meine Regierung nicht erleben:
+ist das ein Unglück? Ist früh sterben ein Unglück?
+
+Parmenio. Das sag' ich nicht. Doch nur deswegen, um dich auf dem
+Throne zu sehen, um dir zu dienen, möchte ich--was ich sonst durchaus
+nicht möchte--noch einmal junge werden--Dein Vater ist gut; aber du
+wirst besser, als er.
+
+Philotas. Kein Lob zum Nachteile meines Vaters!--Ändere deinen Schwur!
+Komm, ändere ihn so: Wenn du dein Wort nicht hältst, so möge dein
+Sohn ein Feiger, ein Nichtswürdiger werden; er möge, wenn er zwischen
+Tod und Schande zu wählen hat, die Schande wählen; er möge neunzig
+Jahre ein Spott der Weiber leben, und noch im neunzigsten Jahre ungern
+sterben.
+
+Parmenio. Ich entsetze mich--doch schwöre ich: das mög' er!--Höret
+den gräßlichsten der Schwüre, ihr Götter!
+
+Philotas. Höret ihn!--Nun gut, nun kannst du gehen, Parmenio. Wir
+haben einander lange genug aufgehalten, und fast zu viel Umstände über
+eine Kleinigkeit gemacht. Denn ist es nicht eine wahre Kleinigkeit,
+meinem Vater zu sagen, ihn zu überreden, daß er mich nicht eher als
+morgen auswechsle? Und wenn er ja die Ursache wissen will; wohl, so
+erdenke dir unter Weges eine Ursache.
+
+Parmenio. Das will ich auch! Ich habe zwar, so alt ich geworden bin,
+noch nie eine Unwahrheit gesonnen. Aber doch, dir zuliebe, Prinz--Laß
+mich nur; das Böse lernt sich auch noch im Alter.--Lebe wohl!
+
+Philotas. Umarme mich!--Geh!
+
+
+
+Sechster Auftritt.
+
+Philotas.
+
+
+Es soll so viele Betrüger in der Welt geben, und das Betrügen ist doch
+so schwer, wenn es auch in der besten Absicht geschieht.--Habe ich
+mich nicht wenden und winden müssen!--Mache nur, guter Parmenio, daß
+mich mein Vater erst morgen auslöset, und er soll mich gar nicht
+auszulösen brauchen.--Nun habe ich Zeit genug gewonnen! Zeit genug,
+mich in meinem Vorsatze zu bestärken--Zeit genug, die sichersten
+Mittel zu wählen.--Mich in meinem Vorsatze zu bestärken?--Wehe mir,
+wenn ich dessen bedarf!--Standhaftigkeit des Alters, wenn du mein Teil
+nicht bist, o so stehe du mir bei, Hartnäckigkeit des Jünglings!
+
+Ja, es bleibt dabei! es bleibt fest dabei!--Ich fühl' es, ich werde
+ruhig,--ich bin ruhig!--Der du itzt da stehest, Philotas--(indem er
+sich selbst betrachtet)--Ha! es muß ein trefflicher, ein großer
+Anblick sein: ein Jüngling gestreckt auf den Boden, das Schwert in der
+Brust!--
+
+Das Schwert? Götter! o ich Elender! ich Ärmster!--Und itzt erst
+werde ich es gewahr? Ich habe kein Schwert; ich habe nichts! Es ward
+die Beute des Kriegers, der mich gefangen nahm.--Vielleicht hätte er
+es mir gelassen, aber Gold war der Heft.--Unseliges Gold, bist du denn
+immer das Verderben der Tugend!
+
+Kein Schwert? Ich kein Schwert?--Götter, barmherzige Götter, dies
+einzige schenket mir! Mächtige Götter, die ihr Erde und Himmel
+erschaffen, ihr könntet mir kein Schwert schaffen,--wenn ihr wolltet?--
+Was ist nun mein großer, schimmernder Entschluß? Ich werde mir selbst
+ein bitteres Gelächter--
+
+Und da kömmt er auch schon wieder, der König.--Still! Wenn ich das
+Kind spielte?--Dieser Gedanke verspricht etwas.--Ja! Vielleicht bin
+ich glücklich--
+
+
+
+Siebenter Auftritt.
+
+Aridäus. Philotas.
+
+
+Aridäus. Nun sind die Boten fort, mein Prinz. Sie sind auf den
+schnellesten Pferden abgegangen, und das Hauptlager deines Vaters ist
+so nahe, daß wir in wenig Stunden Antwort erhalten können.
+
+Philotas. Du bist also, König, wohl sehr ungeduldig, deinen Sohn
+wieder zu umarmen?
+
+Aridäus. Wird es dein Vater weniger sein, dich wieder an seine Brust
+zu drücken?--Laß mich aber, liebster Prinz, deine Gesellschaft
+genießen. In ihr wird mir die Zeit schneller verschwinden; und
+vielleicht, daß es auch sonst glückliche Folgen hat, wenn wir uns
+näher kennen. Liebenswürdige Kinder sind schon oft die
+Mittelspersonen zwischen veruneinigten Vätern gewesen. Folge mir also
+in mein Zelt, wo die besten meiner Befehlshaber deiner warten. Sie
+brennen vor Begierde, dich zu sehen und zu bewundern.
+
+Philotas. Männer, König, müssen kein Kind bewundern. Laß mich also
+nur immer hier. Scham und Ärgernis würden mich eine sehr einfältige
+Person spielen lassen. Und was deine Unterredung mit mir anbelangt--
+da seh' ich vollends nicht, was daraus kommen könnte. Ich weiß weiter
+nichts, als daß du und mein Vater in Krieg verwickelt sind; und das
+Recht--das Recht, glaub' ich, ist auf seiten meines Vaters. Das
+glaub' ich, König, und will es nun einmal glauben--wenn du mir auch
+das Gegenteil unwidersprechlich zeigen könntest. Ich bin Sohn und
+Soldat, und habe weiter keine Einsicht, als die Einsicht meines Vaters
+und meines Feldherrn.
+
+Aridäus. Prinz, es zeiget einen großen Verstand, seinen Verstand so
+zu verleugnen. Doch tut es mir leid, daß ich mich also auch vor dir
+nicht soll rechtfertigen können.--Unseliger Krieg!--
+
+Philotas. Jawohl, unseliger Krieg!--Und wehe seinem Urheber!
+
+Aridäus. Prinz! Prinz! erinnere dich, daß dein Vater das Schwert
+zuerst gezogen. Ich mag in deine Verwünschung nicht einstimmen. Er
+hatte sich übereilt, er war zu argwöhnisch--
+
+Philotas. Nun ja; mein Vater hat das Schwert zuerst gezogen. Aber
+entsteht die Feuersbrunst erst dann, wenn die lichte Flamme durch das
+Dach schlägt? Wo ist das geduldige, gallose, unempfindliche Geschöpf,
+das durch unaufhörliches Necken nicht zu erbittern wäre?--Bedenke,--
+denn du zwingst mich mit aller Gewalt von Dingen zu reden, die mir
+nicht zukommen--bedenke, welch eine stolze, verächtliche Antwort du
+ihm erteiltest, als er--Doch du sollst mich nicht zwingen; ich will
+nicht davon sprechen! Unsere Schuld und Unschuld sind unendlicher
+Mißdeutungen, unendlicher Beschönigungen fähig. Nur dem untrüglichen
+Auge der Götter erscheinen wir, wie wir sind; nur das kann uns richten.
+Die Götter aber, du weißt es, König, sprechen ihr Urteil durch das
+Schwert des Tapfersten. Laß uns den blutigen Spruch aushören! Warum
+wollen wir uns kleinmütig von diesem höchsten Gerichte wieder zu den
+niedrigern wenden? Sind unsere Fäuste schon so müde, daß die
+geschmeidige Zunge sie ablösen müsse?
+
+Aridäus. Prinz, ich höre dich mit Erstaunen--
+
+Philotas. Ach!--Auch ein Weib kann man mit Erstaunen hören!
+
+Aridäus. Mit Erstaunen, Prinz, und nicht ohne Jammer!--Dich hat das
+Schicksal zur Krone bestimmt, dich!--Dir will es die Glückseligkeit
+eines ganzen, mächtigen, edeln Volkes anvertrauen; dir!--Welch eine
+schreckliche Zukunft enthüllt sich mir! Du wirst dein Volk mit
+Lorbeern und Elend überhäufen. Du wirst mehr Siege, als glückliche
+Untertanen zählen.--Wohl mir, daß meine Tage in die deinigen nicht
+reichen werden! Aber wehe meinem Sohne, meinem redlichen Sohne! Du
+wirst es ihm schwerlich vergönnen, den Harnisch abzulegen--
+
+Philotas. Beruhige den Vater, o König! Ich werde deinem Sohne weit
+mehr vergönnen! weit mehr!
+
+Aridäus. Weit mehr? Erkläre dich--
+
+Philotas. Habe ich ein Rätsel gesprochen?--O verlange nicht, König,
+daß ein Jüngling, wie ich, alles mit Bedacht und Absicht sprechen soll.
+--Ich wollte nur sagen: Die Frucht ist oft ganz anders, als die Blüte
+sie verspricht. Ein weibischer Prinz, hat mich die Geschichte gelehrt,
+ward oft ein kriegerischer König. Könnte mit mir sich nicht das
+Gegenteil zutragen?--Oder vielleicht war auch diese meine Meinung, daß
+ich noch einen weiten und gefährlichen Weg zum Throne habe. Wer weiß,
+ob die Götter mich ihn vollenden lassen?--Und laß mich ihn nicht
+vollenden, Vater der Götter und Menschen, wenn du in der Zukunft mich
+als einen Verschwender des Kostbarsten, was du mir anvertrauet, des
+Blutes meiner Untertanen, siehest!--
+
+Aridäus. Ja, Prinz; was ist ein König, wenn er kein Vater ist! Was
+ist ein Held ohne Menschenliebe! Nun erkenne ich auch diese in dir,
+und bin wieder ganz dein Freund!--Aber komm, komm; wir müssen hier
+nicht allein bleiben. Wir sind einer dem andern zu ernsthaft. Folge
+mir!
+
+Philotas. Verzeih, König--
+
+Aridäus. Weigere dich nicht!
+
+Philotas. So wie ich bin, mich vor vielen sehen zu lassen?--
+
+Aridäus. Warum nicht?
+
+Philotas. Ich kann nicht, König; ich kann nicht.
+
+Aridäus. Und die Ursache?
+
+Philotas. O die Ursache!--Sie würde dich zum Lachen bewegen.
+
+Aridäus. Um so viel lieber laß sie mich hören. Ich bin ein Mensch,
+und weine und lache gern.
+
+Philotas. Nun so lache denn!--Sieh, König, ich habe kein Schwert, und
+ich möchte nicht gern, ohne dieses Kennzeichen des Soldaten, unter
+Soldaten erscheinen.
+
+Aridäus. Mein Lachen wird zur Freude. Ich habe in voraus hierauf
+gedacht, und du wirst sogleich befriediget werden. Strato hat Befehl,
+dir dein Schwert wieder zu schaffen.
+
+Philotas. Also laß uns ihn hier erwarten.
+
+Aridäus. Und alsdenn begleitest du mich doch?--
+
+Philotas. Alsdenn werde ich dir auf dem Fuße nachfolgen.
+
+Aridäus. Gewünscht! da kömmt er! Nun, Strato--
+
+
+
+Achter Auftritt.
+
+Strato (mit einem Schwerte in der Hand). Aridäus. Philotas.
+
+
+Strato. König, ich kam zu dem Soldaten, der den Prinzen gefangen
+genommen, und forderte des Prinzen Schwert in deinem Namen von ihm
+zurück. Aber höre, wie edel sich der Soldat weigerte. "Der König",
+sprach er, "muß mir das Schwert nicht nehmen. Es ist ein gutes
+Schwert, und ich werde es für ihn brauchen. Auch muß ich ein Andenken
+von dieser meiner Tat behalten. Bei den Göttern, sie war keine von
+meinen geringsten! Der Prinz ist ein kleiner Dämon. Vielleicht aber
+ist es euch nur um den kostbaren Heft zu tun--" Und hiermit, ehe ich
+es verhindern konnte, hatte seine starke Hand den Heft abgewunden, und
+warf mir ihn verächtlich zu Füßen--"Da ist er!" fuhr er fort. "Was
+kümmert mich euer Gold?"
+
+Aridäus. O Strato, mache mir den Mann wieder gut!--
+
+Strato. Ich tat es. Und hier ist eines von deinen Schwertern!
+
+Aridäus. Gibt her!--Willst du es, Prinz, für das deinige annehmen?
+
+Philotas. Laß sehen!--Ha!--(Beiseite.) Habet Dank, ihr Götter!
+(Indem er es lange und ernsthaft betrachtet.)--Ein Schwert!
+
+Strato. Habe ich nicht gut gewählet, Prinz?
+
+Aridäus. Was findest du deiner tiefsinnigen Aufmerksamkeit so wert
+daran?
+
+Philotas. Daß es ein Schwert ist!--(Indem er wieder zu sich kömmt.)
+Und ein schönes Schwert! Ich werde bei diesem Tausche nichts
+verlieren.--Ein Schwert!
+
+Aridäus. Du zitterst, Prinz.
+
+Philotas. Vor Freuden!--Ein wenig zu kurz scheinet es mir bei alledem.
+Aber was zu kurz? Ein Schritt näher auf den Feind ersetzt, was ihm
+am Eisen abgehet.--Liebes Schwert! Welche eine schöne Sache ist ein
+Schwert, zum Spiele und zum Gebrauche! Ich habe nie mit etwas andern
+gespielt.--
+
+Aridäus (zum Strato). O der wunderbaren Vermischung von Kind und Held!
+
+
+Philotas (beiseite). Liebes Schwert! Wer doch bald mit dir allein
+wäre!--Aber, gewagt!
+
+Aridäus. Nun lege das Schwert an, Prinz; und folge mir.
+
+Philotas. Sogleich!--Doch seinen Freund und sein Schwert muß man
+nicht bloß von außen kennen. (Er zieht es, und Strato tritt zwischen
+ihn und den König.)
+
+Strato. Ich verstehe mich mehr auf den Stahl, als auf die Arbeit.
+Glaube mir Prinz; der Stahl ist gut. Der König hat, in seinen
+männlichen Jahren, mehr als einen Helm damit gespalten.
+
+Philotas. So stark werde ich nicht werden! Immerhin!--Tritt mir
+nicht so nahe, Strato.
+
+Strato. Warum nicht?
+
+Philotas. So! (Indem er zurückspringt, und mit dem Schwerte einen
+Streich durch die Luft tut.) Es hat den Zug, wie es ihn haben muß.
+
+Aridäus. Prinz, schone deines verwundeten Armes! Du wirst dich
+erhitzen!--
+
+Philotas. Woran erinnerst du mich, König?--An mein Unglück; nein, an
+meine Schande! Ich ward verwundet und gefangen! Ja! Aber ich will
+es nie wieder werden! Bei diesem meinem Schwerte, ich will es nie
+wieder werden! Nein, mein Vater, nein! Heut sparet dir ein Wunder
+das schimpfliche Lösegeld für deinen Sohn; künftig spar' es dir sein
+Tor! Sein gewisser Tod, wenn er sich wieder umringt siehet!--Wieder
+umringt?--Entsetzen!--Ich bin es! Ich bin umringt! Was nun?
+Gefährte! Freunde! Brüder! Wo seid ihr? Alle tot? Überall Feinde?--
+Überall! Hier durch, Philotas! Ha! Nimm das, Verwegner!--Und du
+das!--Und du das! (Um sich hauend.)
+
+Strato. Prinz! was geschieht dir? Fasse dich! (Geht auf ihn zu.)
+
+Philotas (sich von ihm entfernend). Auch du, Strato? auch du?--O
+Feind, sei großmütig! Töte mich! Nimm mich nicht gefangen!--Nein,
+ich gebe mich nicht gefangen! Und wenn ihr alle Stratos wäret, die
+ihr mich umringet! Doch will ich mich gegen euch alle, gegen eine
+Welt will ich mich wehren!--Tut euer Bestes, Feinde!--Aber ihr wollt
+nicht? Ihr wollt mich nicht töten, Grausame? Ihr wollt mich mit
+Gewalt lebendig?--Ich lache nur! Mich lebendig gefangen? Mich?--Eher
+will ich dieses mein Schwert, will ich--in diese meine Brust--eher--
+(Er durchsticht sich.)
+
+Aridäus. Götter! Strato!
+
+Strato. König!
+
+Philotas. Das wollt' ich! (Zurücksinkend.)
+
+Aridäus. Halt ihn, Strato!--Hilfe! dem Prinzen zur Hilfe!--Prinz,
+welche wütende Schwermut--
+
+Philotas. Vergib mir, König! ich habe dir einen tödlichern Streich
+versetzt, als mir!--Ich sterbe; und bald werden beruhigte Länder die
+Frucht meines Todes genießen.--Dein Sohn, König, ist gefangen; und der
+Sohn meines Vaters ist frei--
+
+Aridäus. Was hör' ich?
+
+Strato. So war es Vorsatz, Prinz?--Aber als unser Gefangener hattest
+du kein Recht über dich selbst.
+
+Philotas. Sage das nicht, Strato!--Sollte die Freiheit zu sterben,
+die uns die Götter in allen Umständen des Lebens gelassen haben,
+sollte diese ein Mensch dem andern verkümmern können?--
+
+Strato. O König!--Das Schrecken hat ihn versteinert!--König!
+
+Aridäus. Wer ruft?
+
+Strato. König!
+
+Aridäus. Schweig!
+
+Strato. Der Krieg ist aus, König!
+
+Aridäus. Aus? Das leugst du, Strato!--Der Krieg ist nicht aus, Prinz!
+--Stirb nur! stirb! Aber nimm das mit, nimm den quälenden Gedanken
+mit: Als ein wahrer unerfahrner Knabe hast du geglaubt, daß die Väter
+alle von einer Art, alle von der weichlichen, weiblichen Art deines
+Vaters sind.--Sie sind es nicht alle! Ich bin es nicht! Was liegt
+mir an meinem Sohne? Und denkst du, daß er nicht ebensowohl zum
+Besten seines Vaters sterben kann, als du zum Besten des deinigen?--Er
+sterbe! Auch sein Tod erspare mir das schimpfliche Lösegeld!--Strato,
+ich bin nun verwaiset, ich armer Mann!--Du hast einen Sohn; er sei der
+meinige!--Denn einen Sohn muß man doch haben.--Glücklicher Strato!
+
+Philotas. Noch lebt auch dein Sohn, König! Und wird leben! Ich hör'
+es!
+
+Aridäus. Lebt er noch?--So muß ich ihn wieder haben. Stirb du nur!
+Ich will ihn doch wieder haben! Und für dich!--Oder ich will deinem
+toten Körper so viel Unehre, so viel Schmach erzeigen lassen!--Ich
+will ihn--
+
+Philotas. Den toten Körper!--Wenn du dich rächen willst, König, so
+erwecke ihn wieder!--
+
+Aridäus. Ach!--Wo gerat' ich hin!
+
+Philotas. Du daurest mich!--Lebe wohl, Strato! Dort, wo alle
+Tugendhafte Freunde, und alle Tapfere Glieder eines seligen Staates
+sind, im Elysium sehen wir uns wieder!--Auch wir, König, sehen uns
+wieder--
+
+Aridäus. Und versöhnt!--Prinz!--
+
+Philotas. O so empfanget meine triumphierende Seele, ihr Götter; und
+dein Opfer, Göttin des Friedens!
+
+Aridäus. Höre mich, Prinz!--
+
+Strato. Er stirbt!--Bin ich ein Verräter, König, wenn ich deinen
+Feind beweine? Ich kann mich nicht halten. Ein wunderbarer Jüngling!
+
+
+Aridäus. Beweine ihn nur!--Auch ich!--Komm! Ich muß meinen Sohn
+wieder haben! Aber rede mir nicht ein, wenn ich ihn zu teuer erkaufe!--
+Umsonst haben wir Ströme Bluts vergossen; umsonst Länder erobert. Da
+zieht er mit unserer Beute davon, der größere Sieger!--Komm! Schaffe
+mir meinen Sohn! Und wenn ich ihn habe, will ich nicht mehr König
+sein. Glaubt ihr Menschen, daß man es nicht satt wird?--(Gehen ab.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Philotas, von Gotthold Ephraim
+Lessing.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Philotas, by Gotthold Ephraim Lessing
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PHILOTAS ***
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+
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+Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
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+necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
+edition.
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
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+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
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+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
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+The Project Gutenberg EBook of Philotas, by Gotthold Ephraim Lessing
+#8 in our series by Gotthold Ephraim Lessing
+
+Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
+copyright laws for your country before downloading or redistributing
+this or any other Project Gutenberg eBook.
+
+This header should be the first thing seen when viewing this Project
+Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
+header without written permission.
+
+Please read the "legal small print," and other information about the
+eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
+important information about your specific rights and restrictions in
+how the file may be used. You can also find out about how to make a
+donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Philotas
+
+Author: Gotthold Ephraim Lessing
+
+Release Date: October, 2005 [EBook #9159]
+[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
+[This file was first posted on September 9, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ASCII
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PHILOTAS ***
+
+
+
+
+Produced by Delphine Letttau The book content was graciously
+contributed by the Gutenberg Projekt-DE
+
+
+
+
+This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE.
+That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/.
+
+Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE"
+zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse
+http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar.
+
+
+
+
+Philotas
+
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+Ein Trauerspiel
+
+
+Personen:
+
+Aridaeus, Koenig.
+Strato, Feldherr des Aridaeus.
+Philotas, gefangen.
+Parmenio, Soldat.
+
+Die Szene ist ein Zelt in dem Lager des Aridaeus.
+
+
+
+Erster Auftritt.
+
+Philotas.
+
+So bin ich wirklich gefangen?--Gefangen!--Ein wuerdiger Anfang meiner
+kriegerischen Lehrjahre!--O ihr Goetter! O mein Vater!--Wie gern
+ueberredte ich mich, dass alles ein Traum sei! Meine fruehste Kindheit
+hat nie etwas anders, als Waffen, und Laeger, und Schlachten und Stuerme
+getraeumet. Koennte der Juengling nicht von Verlust und Entwaffnung
+traeumen?--Schmeichle dir nur, Philotas! Wenn ich sie nicht saehe,
+nicht fuehlte, die Wunde, durch die der erstarrten Hand das Schwert
+entsank!--Man hat sie mir wider Willen verbunden. O der grausamen
+Barmherzigkeit eines listigen Feindes! Sie ist nicht toedlich, sagte
+der Arzt, und glaubte mich zu troesten.--Nichtswuerdiger, sie sollte
+toedlich sein!--Und nur eine Wunde, nur eine!--Wuesste ich, dass ich sie
+toedlich machte, wenn ich sie wieder aufriss', und wieder verbinden
+liess', und wieder aufriss'--Ich rase, ich Ungluecklicher!--Und was fuer
+ein hoehnisches Gesicht--itzt faellt mir es ein--mir der alte Krieger
+machte, der mich vom Pferde riss! Er nannte mich: Kind!--Auch sein
+Koenig muss mich fuer ein Kind, fuer ein verzaerteltes Kind halten. In was
+fuer ein Zelt hat er mich bringen lassen! Aufgeputzt, mit allen
+Bequemlichkeiten versehen! Es muss einer von seinen Beischlaeferinnen
+gehoeren. Ein ekler Aufenthalt fuer einen Soldaten! Und anstatt
+bewacht zu werden, werde ich bedienet. Hohnsprechende Hoeflichkeit!--
+
+
+
+Zweiter Auftritt.
+
+Strato. Philotas.
+
+
+Strato. Prinz--
+
+Philotas. Schon wieder ein Besuch? Alter, ich bin gern allein.
+
+Strato. Prinz, ich komme auf Befehl des Koenigs--
+
+Philotas. Ich verstehe dich! Es ist wahr, ich bin deines Koenigs
+Gefangener, und es stehet bei ihm, wie er mir will begegnen lassen--
+Aber hoere, wenn du der bist, dessen Miene du traegst--bist du ein alter
+ehrlicher Kriegsmann, so nimm dich meiner an, und bitte den Koenig, dass
+er mir als einem Soldaten, und nicht als einem Weibe begegnen lasse.
+
+Strato. Er wird gleich bei dir sein; ich komme, ihn zu melden.
+
+Philotas. Der Koenig bei mir? und du koemmst, ihn zu melden?--Ich will
+nicht, dass er mir eine von den Erniedrigungen erspare, die sich ein
+Gefangener muss gefallen lassen.--Komm, fuehre mich zu ihm! Nach dem
+Schimpfe, entwaffnet zu sein, ist mir nichts mehr schimpflich.
+
+Strato. Prinz, deine Bildung, voll jugendlicher Anmut, verspricht ein
+sanftres Gemuet.
+
+Philotas. Lass meine Bildung unverspottet! Dein Gesicht voll Narben
+ist freilich ein schoeners Gesicht--
+
+Strato. Bei den Goettern! eine grosse Antwort! Ich muss dich bewundern
+und lieben.
+
+Philotas. Moechtest du doch, wenn du mich nur erst gefuerchtet haettest.
+
+
+Strato. Immer heldenmuetiger! Wir haben den schrecklichsten Feind vor
+uns, wenn unter seiner Jugend der Philotas viel sind.
+
+Philotas. Schmeichle mir nicht!--Euch schrecklich zu werden, muessen
+sie mit meinen Gesinnungen groessre Taten verbinden. Darf ich deinen
+Namen wissen?
+
+Strato. Strato.
+
+Philotas. Strato? Der tapfre Strato, der meinen Vater am Lykus
+schlug?--
+
+Strato. Gedenke mir dieses zweideutigen Sieges nicht! Und wie blutig
+raechte sich dein Vater in der Ebene Methymna! So ein Vater muss so
+einen Sohn haben.
+
+Philotas. O dir darf ich es klagen, du wuerdigster der Feinde meines
+Vaters, dir darf ich mein Schicksal klagen.--Nur du kannst mich ganz
+verstehen; denn auch dich, auch dich hat das herrschende Feuer der
+Ehre, der Ehre fuers Vaterland zu bluten, in deiner Jugend verzehrt.
+Waerest du sonst, was du bist?--Wie habe ich ihn nicht, meinen Vater,
+seit sieben Tagen--denn erst sieben Tage kleidet mich die maennliche
+Toga--wie habe ich ihn nicht gebeten, gefleht, beschworen, siebenmal
+alle sieben Tage auf den Knieen beschworen, zu verstatten, dass ich
+nicht umsonst der Kindheit entwachsen sei, und mich mit seinen
+Streitern ausziehen zu lassen, die mir schon laengst so manche Traene
+der Nacheiferung gekostet. Gestern bewegte ich ihn, den besten Vater,
+denn Aristodem half mir bitten.--Du kennst ihn, den Aristodem; er ist
+meines Vaters Strato.--"Gib mir, Koenig, den Juengling morgen mit,"
+sprach Aristodem; "ich will das Gebirge durchstreifen, um den Weg nach
+Caesarea offen zu halten."--"Wenn ich euch nur begleiten koennte",
+seufzte mein Vater.--Er liegt noch an seinen Wunden krank.--"Doch es
+sei!" und hiermit umarmte mich mein Vater. O was fuehlte der
+glueckliche Sohn in dieser Umarmung!--Und die Nacht, die darauf folgte!
+Ich schloss kein Auge; doch verweilten mich Traeume der Ehre und des
+Sieges bis zur zweiten Nachtwache auf dem Lager.--Da sprang ich auf,
+warf mich in den neuen Panzer, strich die ungelockten Haare unter den
+Helm, waehlte unter den Schwertern meines Vaters, dem ich gewachsen zu
+sein glaubte, stieg zu Pferde; und hatte ein Ross schon muede gespornt,
+noch ehe die silberne Drommete die befohlne Mannschaft weckte. Sie
+kamen, und ich sprach mit jedem meiner Begleiter, und da drueckte mich
+mancher wackere Krieger an seine narbigte Brust! Nur mit meinem Vater
+sprach ich nicht; denn ich zitterte, wenn er mich noch einmal saehe, er
+moechte sein Wort widerrufen.--Nun zogen wir aus! An der Seite der
+unsterblichen Goetter kann man nicht gluecklicher sein, als ich an der
+Seite Aristodems mich fuehlte! Auf jeden seiner anfeuernden Blicke
+haette ich, ich allein, ein Heer angegriffen und mich in der
+feindlichen Eisen gewissesten Tod gestuerzet. In stiller
+Entschlossenheit freute ich mich auf jeden Huegel, von dem ich in der
+Ebene Feinde zu entdecken hoffte; auf jede Kruemmung des Tals, hinter
+der ich auf sie zu stossen mir schmeichelte. Und da ich sie endlich
+von der waldigten Hoehe auf uns stuerzen sahe; ihnen bergan entgegen
+flog--rufe dir, ruhmvoller Greis, die seligste deiner jugendlichen
+Entzueckungen zurueck--du konntest nie entzueckter sein!--Aber nun, nun
+sieh mich, Strato, sieh mich von dem Gipfel meiner hohen Erwartungen
+schimpflich herabstuerzen! O wie schaudert mich, diesen Fall in
+Gedanken noch einmal zu stuerzen!--Ich war zu weit vorausgeeilt; ich
+ward verwundet und--gefangen! Armseliger Juengling, nur auf Wunden
+hieltest du dich, nur auf den Tod gefasst,--und wirst gefangen. So
+schicken die strengen Goetter, unsere Fassung zu vereiteln, nur immer
+unvorhergesehenes Uebel?--Ich weine; ich muss weinen, ob ich mich schon,
+von dir darum verachtet zu werden, scheue. Aber verachte mich nicht!--
+Du wendest dich weg?
+
+Strato. Ich bin unwillig; du haettest mich nicht so bewegen sollen.--
+Ich werde mit dir zum Kinde--
+
+Philotas. Nein; hoere, warum ich weine! Es ist kein kindisches Weinen,
+das du mit deiner maennlichen Traene zu begleiten wuerdigest--Was ich
+fuer mein groesstes Glueck hielt, die zaertliche Liebe, mit der mich mein
+Vater liebt, wird mein groesstes Unglueck. Ich fuerchte, ich fuerchte; er
+liebt mich mehr, als er sein Reich liebt! Wozu wird er sich nicht
+verstehen, was wird ihm dein Koenig nicht abdringen, mich aus der
+Gefangenschaft zu retten! Durch mich Elenden wird er an einem Tage
+mehr verlieren, als er in drei langen muehsamen Jahren, durch das Blut
+seiner Edeln, durch sein eignes Blut gewonnen hat. Mit was fuer einem
+Angesichte soll ich wieder vor ihm erscheinen; ich, sein schlimmster
+Feind? Und meines Vaters Untertanen--kuenftig einmal die meinigen,
+wenn ich sie zu regieren mich wuerdig gemacht haette--wie werden sie den
+ausgeloesten Prinzen ohne die spoettischste Verachtung unter sich dulden
+koennen? Wann ich denn vor Scham sterbe und unbedauert hinab zu den
+Schatten schleiche, wie finster und stolz werden die Seelen der Helden
+bei mir vorbeiziehen, die dem Koenige die Vorteile mit ihrem Leben
+erkaufen mussten, deren er sich als Vater fuer einen unwuerdigen Sohn
+begibt.--O das ist mehr, als eine fuehlende Seele ertragen kann!
+
+Strato. Fasse dich, lieber Prinz! Es ist der Fehler des Juenglings,
+sich immer fuer gluecklicher, oder ungluecklicher zu halten, als er ist.
+Dein Schicksal ist so grausam noch nicht; der Koenig naehert sich, und
+du wirst aus seinem Munde mehr Trost hoeren.
+
+
+
+Dritter Auftritt.
+
+Koenig Aridaeus. Philotas. Strato.
+
+
+Aridaeus. Kriege, die Koenige unter sich zu fuehren gezwungen werden,
+sind keine persoenliche Feindschaften.--Lass dich umarmen, mein Prinz!
+O welcher gluecklichen Tage erinnert mich deine bluehende Jugend! So
+bluehte die Jugend deines Vaters! Dies war sein offenes, sprechendes
+Auge; dies seine ernste, redliche Miene; dies sein edler Anstand!--
+Noch einmal lass dich umarmen; ich umarme deinen juengern Vater in dir.
+--Hast du es nie von ihm gehoert, Prinz, wie vertraute Freunde wir in
+deinem Alter waren? Das war das selige Alter, da wir uns noch ganz
+unserm Herzen ueberlassen durften. Bald aber wurden wir beide zum
+Throne gerufen, und der sorgende Koenig, der eifersuechtige Nachbar
+unterdrueckte, leider! den gefaelligen Freund.--
+
+Philotas. Verzeih, o Koenig, wenn du mich in Erwiderung so suesser Worte
+zu kalt findest. Man hat meine Jugend denken, aber nicht reden
+gelehrt.--Was kann es mir itzt helfen, dass du und mein Vater einst
+Freunde waren? Waren: so sagst du selbst. Der Hass, den man auf
+verloschne Freundschaft pfropfet, muss, unter allen, die toedlichsten
+Fruechte bringen;--oder ich kenne das menschliche Herz zu wenig.--
+Verzoegere daher, Koenig, verzoegere meine Verzweiflung nur nicht. Du
+hast als der hoefliche Staatsmann gesprochen; sprich nun als der
+Monarch, der den Nebenbuhler seiner Groesse ganz in seiner Gewalt hat.
+
+Strato. O lass ihn, Koenig, die Ungewissheit seines Schicksals nicht
+laenger peinigen.--
+
+Philotas. Ich danke, Strato!--Ja, lass mich es nur gleich hoeren, wie
+verabscheuungswuerdig du einen ungluecklichen Sohn seinem Vater machen
+willst. Mit welchem schimpflichen Frieden, mit welchen Laendern soll
+er ihn erkaufen? Wie klein und veraechtlich soll er werden, um nicht
+verwaist zu bleiben?--O mein Vater!--
+
+Aridaeus. Auch diese fruehe, maennliche Sprache, Prinz, war deines
+Vaters! So hoere ich dich gern! Und moechte, meiner nicht minder
+wuerdig, auch mein Sohn itzt vor deinem Vater so sprechen!--
+
+Philotas. Wie meinst du das?--
+
+Aridaeus. Die Goetter--ich bin es ueberzeugt--wachen fuer unsere Tugend,
+wie sie fuer unser Leben wachen. Die so lang als moegliche Erhaltung
+beider ist ihr geheimes, ewiges Geschaeft. Wo weiss ein Sterblicher,
+wie boese er im Grunde ist, wie schlecht er handeln wuerde, liessen sie
+jeden verfuehrerischen Anlass, sich durch kleine Taten zu beschimpfen,
+ganz auf ihn wirken?--Ja, Prinz, vielleicht waere ich der, den du mich
+glaubst; vielleicht haette ich nicht edel genug gedacht, das
+wunderliche Kriegesglueck, das dich mir in die Haende liefert,
+bescheiden zu nuetzen; vielleicht wuerde ich durch dich ertrotzt haben,
+was ich zu erfechten nicht laenger wagen moegen; vielleicht--Doch
+fuerchte nichts; allen diesen "Vielleicht" hat eine hoehere Macht
+vorgebauet; ich kann deinen Vater seinen Sohn nicht teurer erkaufen
+lassen als--durch den meinigen.
+
+Philotas. Ich erstaune! Du gibst mir zu verstehen--
+
+Aridaeus. Dass mein Sohn deines Vaters Gefangener ist, wie du meiner.--
+
+Philotas. Dein Sohn meines Vaters? Dein Polytimet?--Seit wenn? Wie?
+Wo?
+
+Aridaeus. So wollt' es das Schicksal! Aus gleichen Wagschalen nahm es
+auf einmal gleiche Gewichte, und die Schalen blieben noch gleich.
+
+Strato. Du willst naehere Umstaende wissen.--Eben dasselbe Geschwader,
+dem du zu hitzig entgegen eiltest, fuehrte Polytimet; und als dich die
+Deinigen verloren erblickten, erhob sie Wut und Verzweiflung ueber alle
+menschliche Staerke. Sie brachen ein, und alle stuermten sie auf den
+einen, in welchem sie ihres Verlustes Ersetzung sahen. Das Ende weisst
+du.--Nun nimm noch von einem alten Soldaten die Lehre an: Der Angriff
+ist kein Wettrennen; nicht der, welcher zuerst, sondern welcher zum
+sichersten auf den Feind trifft, hat sich dem Siege genaehert. Das
+merke dir, zu feuriger Prinz; sonst moechte der werdende Held im ersten
+Keime ersticken.
+
+Aridaeus. Strato, du machst den Prinzen durch deine, zwar
+freundschaftliche, Warnung verdriesslich. Wie finster er da steht!--
+
+Philotas. Nicht das! Aber lass mich; in tiefe Anbetung der Vorsicht
+verloren--
+
+Aridaeus. Die beste Anbetung, Prinz, ist dankbare Freude. Ermuntere
+dich! Wir Vaeter wollen uns unsere Soehne nicht lange vorenthalten.
+Mein Herold haelt sich bereits fertig; er soll gehen und die
+Auswechselung beschleunigen. Aber du weisst wohl, freudige Nachrichten,
+die wir allein vom Feinde erfahren, scheinen Fallstricke. Man koennte
+argwohnen, du seist vielleicht an deiner Wunde gestorben. Es wird
+daher noetig sein, dass du selbst mit dem Herolde einen unverdaechtigen
+Boten an deinen Vater sendest. Komm mit mir! Suche dir einen unter
+den Gefangenen, den du deines Vertrauens wuerdigen kannst.--
+
+Philotas. So willst du, dass ich mich vervielfaeltiget verabscheuen
+soll? In jedem der Gefangenen werde ich mich selbst erblicken.--
+Schenke mir diese Verwirrung.
+
+Aridaeus. Aber--
+
+Philotas. Unter den Gefangenen muss sich Parmenio befinden. Den
+schicke mir her; ich will ihn abfertigen.
+
+Aridaeus. Wohl; auch so! Komm, Strato! Prinz wir sehen uns bald
+wieder.
+
+
+
+Vierter Auftritt.
+
+Philotas.
+
+
+Goetter! Naeher konnte der Blitz, ohne mich ganz zu zerschmettern,
+nicht vor mir niederschlagen. Wunderbare Goetter! Die Flamme kehrt
+zurueck; der Dampf verfliegt, und ich war nur betaeubt.--So war das mein
+ganzes Elend, zu sehen, wie elend ich haette werden koennen? Wie elend
+mein Vater durch mich!--Nun darf ich wieder vor dir erscheinen, mein
+Vater! Zwar noch mit niedergeschlagenen Augen; doch nur die Scham
+wird sie niederschlagen, nicht das brennende Bewusstsein, dich mit mir
+ins Verderben gerissen zu haben. Nun darf ich nichts von dir fuerchten,
+als einen Verweis mit Laecheln; kein stummes Trauren; keine, durch die
+staerkere Gewalt der vaeterlichen Liebe erstickte Verwuenschungen.--
+
+Aber--ja, bei dem Himmel! ich bin zu guetig gegen mich. Darf ich mir
+alle Fehler vergeben, die mir die Vorsicht zu vergeben scheinet? Soll
+ich mich nicht strenger richten, als sie und mein Vater mich richten?
+Die allzuguetigen!--Sonst jede der traurigen Folgen meiner
+Gefangenschaft konnten die Goetter vernichten; nur eine konnten sie
+nicht: die Schande! Zwar jene leicht verfliegende wohl, die von der
+Zunge des Poebels stroemt; aber nicht die wahre dauernde Schande, die
+hier der innere Richter, mein unparteiisches Selbst, ueber mich
+ausspricht!--
+
+Und wie leicht ich mich verblende! Verlieret mein Vater durch mich
+nichts? Der Ausschlag, den der gefangene Polytimet,--wenn ich nicht
+gefangen waere,--auf seine Seite braechte, der ist nichts!--Nur durch
+mich wird er nichts!--Das Glueck haette sich erklaeret, fuer wen es sich
+erklaeren sollte; das Recht meines Vaters triumphierte, waere Polytimet,
+nicht Philotas und Polytimet gefangen!--
+
+Und nun--welcher Gedanke war es, den ich itzt dachte? Nein; den ein
+Gott in mir dachte--Ich muss ihm nachhaengen! Lass dich fesseln,
+fluechtiger Gedanke!--Itzt denke ich ihn wieder! Wie weit er sich
+verbreitet, und immer weiter; und nun durchstrahlt er meine ganze
+Seele!--
+
+Was sagte der Koenig? Warum wollte er, dass ich zugleich selbst einen
+unverdaechtigen Boten an meinen Vater schicken sollte? Damit mein
+Vater nicht argwohne--wo waren ja seine eigne Worte--, ich sei bereits
+an meiner Wunde gestorben.--Also meint er doch, wenn ich bereits an
+meiner Wunde gestorben waere, so wuerde die Sache ein ganz anders Ansehn
+gewinnen? Wuerde sie das? Tausend Dank fuer diese Nachricht! Tausend
+Dank!--Und freilich! Denn mein Vater haette alsdenn einen gefangenen
+Prinzen, fuer den er sich alles bedingen koennte; und der Koenig, sein
+Feind, haette--den Leichnam eines gefangenen Prinzen, fuer den er nichts
+fordern koennte; den er--muesste begraben oder verbrennen lassen, wenn er
+ihm nicht zum Abscheu werden sollte.
+
+Gut! das begreif' ich! Folglich, wenn ich, ich elender Gefangener,
+meinem Vater den Sieg noch in die Haende spielen will, worauf koemmt es
+an? Aufs Sterben. Auf weiter nichts?--O fuerwahr; der Mensch ist
+maechtiger, als er glaubt, der Mensch, der zu sterben weiss!
+
+Aber ich? ich, der Keim, die Knospe eines Menschen, weiss ich zu
+sterben? Nicht der Mensch, der vollendete Mensch allein, muss es
+wissen; auch der Juengling, auch der Knabe; oder er weiss gar nichts.
+Wer zehn Jahre gelebt hat, hat zehn Jahre Zeit gehabt, sterben zu
+lernen; und was man in zehn Jahren nicht lernt, das lernt man auch in
+zwanzig, in dreissig und mehrern nicht.
+
+Alles, was ich werden koennen, muss ich durch das zeigen, was ich schon
+bin. Und was koennte ich, was wollte ich werden? Ein Held.--Wer ist
+ein Held?--O mein abwesender vortrefflicher Vater, itzt sei ganz in
+meiner Seele gegenwaertig!--Hast du mich nicht gelehrt, ein Held sei
+ein Mann, der hoehere Gueter kennt als das Leben? Ein Mann, der sein
+Leben dem Wohle des Staats geweihet; sich, den einzeln, dem Wohle
+vieler? Ein Held sei ein Mann--Ein Mann? Also kein Juengling, mein
+Vater?--Seltsame Frage! Gut, dass sie mein Vater nicht gehoeret hat!
+Er muesste glauben, ich saehe es gern, wenn er Nein darauf antwortete.--
+Wie alt muss die Fichte sein, die zum Maste dienen soll? Wie alt? Sie
+muss hoch genug, und muss stark genug sein.
+
+Jedes Ding, sagte der Weltweise, der mich erzog, ist vollkommen, wenn
+es seinen Zweck erfuellen kann. Ich kann meinen Zweck erfuellen, ich
+kann zum Besten des Staats sterben: ich bin vollkommen also, ich bin
+ein Mann. Ein Mann, ob ich gleich noch vor wenig Tagen ein Knabe war.
+
+
+Welch Feuer tobt in meinen Adern? Welche Begeisterung befaellt mich?
+Die Brust wird dem Herzen zu eng!--Geduld, mein Herz! Bald will ich
+dir Luft machen! Bald will ich dich deines einfoermigen langweiligen
+Dienstes erlassen! Bald sollst du ruhen, und lange ruhen--
+
+Wer koemmt? Es ist Parmenio.--Geschwind entschlossen!--Was muss ich zu
+ihm sagen? Was muss ich durch ihn meinem Vater sagen lassen?--Recht!
+das muss ich sagen, das muss ich sagen lassen.
+
+
+
+Fuenfter Auftritt.
+
+Parmenio. Philotas.
+
+
+Philotas. Tritt naeher, Parmenio.--Nun? warum so schuechtern? So
+voller Scham? Wessen schaemst du dich? Deiner, oder meiner?
+
+Parmenio: Unser beider, Prinz.
+
+Philotas. Immer sprich, wie du denkst. Freilich, Parmenio, muessen
+wir beide nicht viel taugen, weil wir uns hier befinden. Hast du
+meine Geschichte bereits gehoert?
+
+Parmenio. Leider!
+
+Philotas. Und als du sie hoertest?--
+
+Parmenio. Ich bedauerte dich, ich bewunderte dich, ich verwuenschte
+dich, ich weiss selbst nicht, was ich alles tat.
+
+Philotas. Ja, ja! Nun aber, da du doch wohl auch erfahren, dass das
+Unglueck so gross nicht ist, weil gleich darauf Polytimet von den
+Unserigen--
+
+Parmenio. Ja nun; nun moechte ich fast lachen. Ich finde, dass das
+Glueck zu einem kleinen Schlage, den es uns versetzen will, oft
+erschrecklich weit ausholt. Man sollte glauben, es wolle uns
+zerschmettern, und hat uns am Ende nichts, als eine Muecke auf der
+Stirne totgeschlagen.
+
+Philotas. Zur Sache!--Ich soll dich mit dem Herolde des Koenigs zu
+meinem Vater schicken.
+
+Parmenio. Gut! So wird deine Gefangenschaft der meinigen das Wort
+sprechen. Ohne die gute Nachricht, die ich ihm von dir bringen werde,
+und die eine freundliche Miene wohl wert ist, haette ich mir eine
+ziemlich frostige von ihm versprechen muessen.
+
+Philotas. Nein, ehrlicher Parmenio; nun im Ernst! Mein Vater weiss es,
+dass dich der Feind verblutet und schon halb erstarrt von der Walstatt
+aufgehoben. Lass prahlen, wer prahlen will; der ist leicht gefangen zu
+nehmen, den der nahende Tod schon entwaffnet hat.--Wie viele Wunden
+hast du nun, alter Knecht?--
+
+Parmenio. O, davon konnte ich sonst eine lange Liste hersagen. Itzt
+aber habe ich sie um ein gut Teil verkuerzt.
+
+Philotas. Wie das?
+
+Parmenio. Ha! Ich rechne nun nicht mehr die Glieder, an welchen ich
+verwundet bin; Zeit und Atem zu ersparen, zaehle ich die, an welchen
+ich es nicht bin.--Kleinigkeiten bei dem allem! Wozu hat man die
+Knochen anders, als dass sich die feindlichen Eisen darauf schartig
+hauen sollen?
+
+Philotas. Das ist wacker!--Aber nun--was willst du meinem Vater
+sagen?
+
+Parmenio. Was ich sehe; dass du dich wohl befindest. Denn deine Wunde,
+wenn man mir anders die Wahrheit gesagt hat,--
+
+Philotas. Ist so gut als keine.
+
+Parmenio. Ein kleines liebes Andenken. Dergleichen uns ein
+inbruenstiges Maedchen in die Lippe beisst. Nicht wahr, Prinz?
+
+Philotas. Was weiss ich davon?
+
+Parmenio. Nu, nu; koemmt Zeit, koemmt Erfahrung.--Ferner will ich
+deinem Vater sagen, was ich glaube, dass du wuenschest--
+
+Philotas. Und was ist das?
+
+Parmenio. Je eher, je lieber wieder bei ihm zu sein. Deine kindliche
+Sehnsucht, deine bange Ungeduld--
+
+Philotas. Mein Heimweh lieber gar. Schalk! warte, ich will dich
+anders denken lehren!
+
+Parmenio. Bei dem Himmel, das musst du nicht! Mein lieber
+fruehzeitiger Held, lass dir das sagen: Du bist noch Kind! Gib nicht zu,
+dass der rauhe Soldat das zaertliche Kind so bald in dir ersticke. Man
+moechte sonst von deinem Herzen nicht zum besten denken; man moechte
+deine Tapferkeit fuer angeborne Wildheit halten. Ich bin auch Vater,
+Vater eines einzigen Sohnes, der nur wenig aelter als du, mit gleicher
+Hitze--du kennst ihn ja.
+
+Philotas. Ich kenne ihn. Er verspricht alles, was sein Vater
+geleistet hat.
+
+Parmenio. Aber wuesste ich, dass sich der junge Wildfang nicht in allen
+Augenblicken, die ihm der Dienst frei laesst, nach seinem Vater sehnte,
+und sich nicht so nach ihm sehnte, wie sich ein Lamm nach seiner
+Mutter sehnet: so moechte ich ihn gleich--siehst du!--nicht erzeugt
+haben. Itzt muss er mich noch mehr lieben, als ehren. Mit dem Ehren
+werde ich mich so Zeit genug muessen begnuegen lassen; wenn naemlich die
+Natur den Strom seiner Zaertlichkeit einen andern Weg leitet; wenn er
+selbst Vater wird.--Werde nicht ungehalten, Prinz.
+
+Philotas. Wer kann auf dich ungehalten werden?--Du hast recht! Sage
+meinem Vater alles, was du glaubest, dass ihm ein zaertlicher Sohn bei
+dieser Gelegenheit muss sagen lassen. Entschuldige meine jugendliche
+Unbedachtsamkeit, die ihn und sein Reich fast ins Verderben gestuerzt
+haette. Bitte ihn, mir meinen Fehler zu vergeben. Versichere ihn, dass
+ich ihn nie durch einen aehnlichen Fehler wieder daran erinnern will;
+dass ich alles tun will, damit er ihn auch vergessen kann. Beschwoere
+ihn--
+
+Parmenio. Lass mich nur machen! So etwas koennen wir Soldaten recht
+gut sagen.--Und besser als ein gelehrter Schwaetzer; denn wir sagen es
+treuherziger.--Lass mich nur machen! Ich weiss schon alles.--Lebe wohl,
+Prinz; ich eile--
+
+Philotas. Verzieh!
+
+Parmenio. Nun?--Und welch feierliches Ansehen gibst du dir auf
+einmal?
+
+Philotas. Der Sohn hat dich abgefertiget, aber noch nicht der Prinz.--
+Jener musste fuehlen; dieser muss ueberlegen. Wie gern wollte der Sohn
+gleich itzt, wie gern wollte er noch eher, als moeglich, wieder um
+seinen Vater, um seinen geliebten Vater sein; aber der Prinz--der
+Prinz kann nicht.--Hoere!
+
+Parmenio. Der Prinz kann nicht?
+
+Philotas. Und will nicht.
+
+Parmenio. Will nicht?
+
+Philotas. Hoere!
+
+Parmenio. Ich erstaune--
+
+Philotas. Ich sage, du sollst hoeren und nicht erstaunen. Hoere!
+
+Parmenio. Ich erstaune, weil ich hoere. Es hat geblitzt, und ich
+erwarte den Schlag.--Rede!--Aber, junger Prinz, keine zweite
+Uebereilung!--
+
+Philotas. Aber, Soldat, kein Vernuenfteln!--Hoere! Ich habe meine
+Ursachen, nicht eher ausgeloeset zu sein, als morgen. Nicht eher als
+morgen! Hoerst du?--Sage also unserm Koenige, dass er sich an die
+Eilfertigkeit des feindlichen Herolds nicht kehre. Eine gewisse
+Bedenklichkeit, ein gewisser Anschlag noetige den Philotas zu dieser
+Verzoegerung.--Hast du mich verstanden?
+
+Parmenio. Nein!
+
+Philotas. Nicht? Verraeter!--
+
+Parmenio. Sachte, Prinz! Ein Papagei versteht nicht, aber er behaelt,
+was man ihm vorsagt. Sei unbesorgt. Ich will deinem Vater alles
+wieder herplappern, was ich von dir hoere.
+
+Philotas. Ha! ich untersagte dir, zu vernuenfteln, und das verdreusst
+dich. Aber wie bist denn du so verwoehnt? Haben dir alle deine
+Befehlshaber Gruende gesagt?--
+
+Parmenio. Alle, Prinz; ausgenommen die jungen.
+
+Philotas. Vortrefflich! Parmenio, wenn ich so empfindlich waere, als
+du--
+
+Parmenio. Und doch kann nur derjenige meinen blinden Gehorsam
+heischen, dem die Erfahrung doppelte Augen gegeben.
+
+Philotas. Bald werde ich dich also um Verzeihung bitten muessen.--Nun
+wohl, ich bitte dich um Verzeihung, Parmenio. Murre nicht, Alter!
+Sei wieder gut, alter Vater!--Du bist freilich klueger, als ich. Aber
+nicht die Kluegsten allein haben die besten Einfaelle. Gute Einfaelle
+sind Geschenke des Glueckes; und das Glueck, weisst du wohl, beschenkt
+den Juengling oft lieber, als den Greis. Denn das Glueck ist blind.
+Blind, Parmenio; stockblind gegen alles Verdienst. Wenn es das nicht
+waere, muesstest du nicht schon lange Feldherr sein?
+
+Parmenio. Sieh, wie du zu schmeicheln weisst, Prinz--Aber im Vertrauen,
+lieber Prinz! Willst du mich nicht etwa bestechen? mit
+Schmeicheleien bestechen?
+
+Philotas. Ich, schmeicheln! Und dich bestechen! Du bist der Mann,
+der sich bestechen laesst!
+
+Parmenio. Wenn du so fortfaehrest, so kann ich es werden. Schon traue
+ich mir selbst nicht mehr recht!
+
+Philotas. Was wollte ich also sagen?--So einen guten Einfall nun,
+wollte ich sagen, als das Glueck oft in das albernste Gehirn wirft, so
+einen habe ich itzo ertappt. Bloss ertappt; von dem Meinigen ist nicht
+das geringste dazugekommen. Denn haette mein Verstand, meine
+Erfindungskraft einigen Anteil daran; wuerde ich ihn nicht gern mit dir
+ueberlegen wollen? Aber so kann ich ihn nicht mit dir ueberlegen; er
+verschwindet, wenn ich ihn mitteile; so zaertlich, so fein ist er, ich
+getraue mir ihn nicht in Worte zu kleiden; ich denke ihn nur, wie mich
+der Philosoph Gott zu denken gelehrt hat, und aufs hoechste koennte ich
+dir nur sagen, was er nicht ist--Moeglich zwar genug, dass es im Grunde
+ein kindischer Einfall ist; ein Einfall, den ich fuer einen gluecklichen
+Einfall halte, weil ich noch keinen gluecklichern gehabt habe. Aber
+mag er doch; kann er nichts nuetzen, so kann er doch auch nichts
+schaden. Das weiss ich gewiss; es ist der unschaedlichste Einfall von
+der Welt; so unschaedlich als--als ein Gebet. Wirst du deswegen zu
+beten unterlassen, weil du nicht ganz gewiss weisst, ob dir das Gebet
+helfen wird?--Verdirb mir immer also meine Freude nicht, Parmenio,
+ehrlicher Parmenio! Ich bitte dich, ich umarme dich--Wenn du mich nur
+ein klein wenig lieb hast--Willst du? Kann ich mich darauf verlassen?
+Willst du machen, dass ich erst morgen ausgewechselt werde? Willst
+du?
+
+Parmenio. Ob ich will? Muss ich nicht? muss ich nicht?--Hoere, Prinz,
+wenn du einmal Koenig wirst, gib dich nicht mit dem Befehlen ab.
+Befehlen ist ein unsicheres Mittel, befolgt zu werden. Wem du etwas
+recht Schweres aufzulegen hast, mit dem mache es, wie du es itzt mit
+mir gemacht hast, und wenn er dir alsdenn seinen Gehorsam verweigert--
+Unmoeglich! Er kann dir ihn nicht verweigern! Ich muss auch wissen,
+was ein Mann verweigern kann.
+
+Philotas. Was Gehorsam? Was hat die Freundschaft, die du mir
+erweisest, mit dem Gehorsam zu tun? Willst du, mein Freund?--
+
+Parmenio. Hoer' auf! hoer' auf! Du hast mich schon ganz. Ja doch,
+ich will alles. Ich will es, ich will es deinem Vater sagen, dass er
+dich erst morgen ausloesen soll. Warum zwar erst morgen,--das weiss ich
+nicht! Das brauch' ich nicht zu wissen! Das braucht auch er nicht zu
+wissen. Genug, ich weiss, dass du es willst. Und ich will alles, was
+du willst. Willst du sonst nichts? Soll ich sonst nichts tun? Soll
+ich fuer dich durchs Feuer rennen? Mich fuer dich vom Felsen
+herabstuerzen? Befiehl nur, mein lieber kleiner Freund, befiehl! Itzt
+tu' ich dir alles! Sogar--sage ein Wort, und ich will fuer dich ein
+Verbrechen, ein Bubenstueck begehen! Die Haut schaudert mir zwar; aber
+doch Prinz, wenn du willst, ich will, ich will--
+
+Philotas. O mein bester, feuriger Freund! O du--wie soll ich dich
+nennen?--du Schoepfer meines kuenftigen Ruhmes! Dir schwoere ich bei
+allem, was mir heilig ist, bei der Ehre meines Vaters, bei dem Gluecke
+seiner Waffen, bei der Wohlfahrt seines Landes schwoere ich dir, nie in
+meinem Leben diese deine Bereitwilligkeit, deinen Eifer zu vergessen!
+Moechte ich ihn auch wuerdig genug belohnen koennen!--Hoeret, ihr Goetter,
+meinen Schwur!--Und nun Parmenio, schwoere auch du! Schwoere mir, dein
+Wort treulich zu halten.--
+
+Parmenio. Ich schwoeren? Ich bin zu alt zum Schwoeren.
+
+Philotas. Und ich bin zu jung, dir ohne Schwur zu trauen. Schwoere
+mir! Ich habe dir bei meinem Vater geschworen, schwoere du mir bei
+deinem Sohne. Du liebst ihn doch, deinen Sohn? Du liebst ihn doch
+recht herzlich?
+
+Parmenio. So herzlich, wie dich!--Du willst es, und ich schwoere. Ich
+schwoere dir, bei meinem einzigen Sohne, bei meinem Blute, das in
+seinen Adern wallet, bei dem Blute, das ich gern fuer deinen Vater
+geblutet, das auch er gern fuer dich einst bluten wird, bei diesem
+Blute schwoere ich dir, mein Wort zu halten! Und wenn ich es nicht
+halte, so falle mein Sohn in seiner ersten Schlacht, und erlebe sie
+nicht, die glorreichen Tage deiner Regierung!--Hoeret, ihr Goetter,
+meinen Schwur--
+
+Philotas. Hoeret ihn noch nicht, ihr Goetter!--Du hast mich zum besten,
+Alter. In der ersten Schlacht fallen; meine Regierung nicht erleben:
+ist das ein Unglueck? Ist frueh sterben ein Unglueck?
+
+Parmenio. Das sag' ich nicht. Doch nur deswegen, um dich auf dem
+Throne zu sehen, um dir zu dienen, moechte ich--was ich sonst durchaus
+nicht moechte--noch einmal junge werden--Dein Vater ist gut; aber du
+wirst besser, als er.
+
+Philotas. Kein Lob zum Nachteile meines Vaters!--Aendere deinen Schwur!
+Komm, aendere ihn so: Wenn du dein Wort nicht haeltst, so moege dein
+Sohn ein Feiger, ein Nichtswuerdiger werden; er moege, wenn er zwischen
+Tod und Schande zu waehlen hat, die Schande waehlen; er moege neunzig
+Jahre ein Spott der Weiber leben, und noch im neunzigsten Jahre ungern
+sterben.
+
+Parmenio. Ich entsetze mich--doch schwoere ich: das moeg' er!--Hoeret
+den graesslichsten der Schwuere, ihr Goetter!
+
+Philotas. Hoeret ihn!--Nun gut, nun kannst du gehen, Parmenio. Wir
+haben einander lange genug aufgehalten, und fast zu viel Umstaende ueber
+eine Kleinigkeit gemacht. Denn ist es nicht eine wahre Kleinigkeit,
+meinem Vater zu sagen, ihn zu ueberreden, dass er mich nicht eher als
+morgen auswechsle? Und wenn er ja die Ursache wissen will; wohl, so
+erdenke dir unter Weges eine Ursache.
+
+Parmenio. Das will ich auch! Ich habe zwar, so alt ich geworden bin,
+noch nie eine Unwahrheit gesonnen. Aber doch, dir zuliebe, Prinz--Lass
+mich nur; das Boese lernt sich auch noch im Alter.--Lebe wohl!
+
+Philotas. Umarme mich!--Geh!
+
+
+
+Sechster Auftritt.
+
+Philotas.
+
+
+Es soll so viele Betrueger in der Welt geben, und das Betruegen ist doch
+so schwer, wenn es auch in der besten Absicht geschieht.--Habe ich
+mich nicht wenden und winden muessen!--Mache nur, guter Parmenio, dass
+mich mein Vater erst morgen ausloeset, und er soll mich gar nicht
+auszuloesen brauchen.--Nun habe ich Zeit genug gewonnen! Zeit genug,
+mich in meinem Vorsatze zu bestaerken--Zeit genug, die sichersten
+Mittel zu waehlen.--Mich in meinem Vorsatze zu bestaerken?--Wehe mir,
+wenn ich dessen bedarf!--Standhaftigkeit des Alters, wenn du mein Teil
+nicht bist, o so stehe du mir bei, Hartnaeckigkeit des Juenglings!
+
+Ja, es bleibt dabei! es bleibt fest dabei!--Ich fuehl' es, ich werde
+ruhig,--ich bin ruhig!--Der du itzt da stehest, Philotas--(indem er
+sich selbst betrachtet)--Ha! es muss ein trefflicher, ein grosser
+Anblick sein: ein Juengling gestreckt auf den Boden, das Schwert in der
+Brust!--
+
+Das Schwert? Goetter! o ich Elender! ich Aermster!--Und itzt erst
+werde ich es gewahr? Ich habe kein Schwert; ich habe nichts! Es ward
+die Beute des Kriegers, der mich gefangen nahm.--Vielleicht haette er
+es mir gelassen, aber Gold war der Heft.--Unseliges Gold, bist du denn
+immer das Verderben der Tugend!
+
+Kein Schwert? Ich kein Schwert?--Goetter, barmherzige Goetter, dies
+einzige schenket mir! Maechtige Goetter, die ihr Erde und Himmel
+erschaffen, ihr koenntet mir kein Schwert schaffen,--wenn ihr wolltet?--
+Was ist nun mein grosser, schimmernder Entschluss? Ich werde mir selbst
+ein bitteres Gelaechter--
+
+Und da koemmt er auch schon wieder, der Koenig.--Still! Wenn ich das
+Kind spielte?--Dieser Gedanke verspricht etwas.--Ja! Vielleicht bin
+ich gluecklich--
+
+
+
+Siebenter Auftritt.
+
+Aridaeus. Philotas.
+
+
+Aridaeus. Nun sind die Boten fort, mein Prinz. Sie sind auf den
+schnellesten Pferden abgegangen, und das Hauptlager deines Vaters ist
+so nahe, dass wir in wenig Stunden Antwort erhalten koennen.
+
+Philotas. Du bist also, Koenig, wohl sehr ungeduldig, deinen Sohn
+wieder zu umarmen?
+
+Aridaeus. Wird es dein Vater weniger sein, dich wieder an seine Brust
+zu druecken?--Lass mich aber, liebster Prinz, deine Gesellschaft
+geniessen. In ihr wird mir die Zeit schneller verschwinden; und
+vielleicht, dass es auch sonst glueckliche Folgen hat, wenn wir uns
+naeher kennen. Liebenswuerdige Kinder sind schon oft die
+Mittelspersonen zwischen veruneinigten Vaetern gewesen. Folge mir also
+in mein Zelt, wo die besten meiner Befehlshaber deiner warten. Sie
+brennen vor Begierde, dich zu sehen und zu bewundern.
+
+Philotas. Maenner, Koenig, muessen kein Kind bewundern. Lass mich also
+nur immer hier. Scham und Aergernis wuerden mich eine sehr einfaeltige
+Person spielen lassen. Und was deine Unterredung mit mir anbelangt--
+da seh' ich vollends nicht, was daraus kommen koennte. Ich weiss weiter
+nichts, als dass du und mein Vater in Krieg verwickelt sind; und das
+Recht--das Recht, glaub' ich, ist auf seiten meines Vaters. Das
+glaub' ich, Koenig, und will es nun einmal glauben--wenn du mir auch
+das Gegenteil unwidersprechlich zeigen koenntest. Ich bin Sohn und
+Soldat, und habe weiter keine Einsicht, als die Einsicht meines Vaters
+und meines Feldherrn.
+
+Aridaeus. Prinz, es zeiget einen grossen Verstand, seinen Verstand so
+zu verleugnen. Doch tut es mir leid, dass ich mich also auch vor dir
+nicht soll rechtfertigen koennen.--Unseliger Krieg!--
+
+Philotas. Jawohl, unseliger Krieg!--Und wehe seinem Urheber!
+
+Aridaeus. Prinz! Prinz! erinnere dich, dass dein Vater das Schwert
+zuerst gezogen. Ich mag in deine Verwuenschung nicht einstimmen. Er
+hatte sich uebereilt, er war zu argwoehnisch--
+
+Philotas. Nun ja; mein Vater hat das Schwert zuerst gezogen. Aber
+entsteht die Feuersbrunst erst dann, wenn die lichte Flamme durch das
+Dach schlaegt? Wo ist das geduldige, gallose, unempfindliche Geschoepf,
+das durch unaufhoerliches Necken nicht zu erbittern waere?--Bedenke,--
+denn du zwingst mich mit aller Gewalt von Dingen zu reden, die mir
+nicht zukommen--bedenke, welch eine stolze, veraechtliche Antwort du
+ihm erteiltest, als er--Doch du sollst mich nicht zwingen; ich will
+nicht davon sprechen! Unsere Schuld und Unschuld sind unendlicher
+Missdeutungen, unendlicher Beschoenigungen faehig. Nur dem untrueglichen
+Auge der Goetter erscheinen wir, wie wir sind; nur das kann uns richten.
+Die Goetter aber, du weisst es, Koenig, sprechen ihr Urteil durch das
+Schwert des Tapfersten. Lass uns den blutigen Spruch aushoeren! Warum
+wollen wir uns kleinmuetig von diesem hoechsten Gerichte wieder zu den
+niedrigern wenden? Sind unsere Faeuste schon so muede, dass die
+geschmeidige Zunge sie abloesen muesse?
+
+Aridaeus. Prinz, ich hoere dich mit Erstaunen--
+
+Philotas. Ach!--Auch ein Weib kann man mit Erstaunen hoeren!
+
+Aridaeus. Mit Erstaunen, Prinz, und nicht ohne Jammer!--Dich hat das
+Schicksal zur Krone bestimmt, dich!--Dir will es die Glueckseligkeit
+eines ganzen, maechtigen, edeln Volkes anvertrauen; dir!--Welch eine
+schreckliche Zukunft enthuellt sich mir! Du wirst dein Volk mit
+Lorbeern und Elend ueberhaeufen. Du wirst mehr Siege, als glueckliche
+Untertanen zaehlen.--Wohl mir, dass meine Tage in die deinigen nicht
+reichen werden! Aber wehe meinem Sohne, meinem redlichen Sohne! Du
+wirst es ihm schwerlich vergoennen, den Harnisch abzulegen--
+
+Philotas. Beruhige den Vater, o Koenig! Ich werde deinem Sohne weit
+mehr vergoennen! weit mehr!
+
+Aridaeus. Weit mehr? Erklaere dich--
+
+Philotas. Habe ich ein Raetsel gesprochen?--O verlange nicht, Koenig,
+dass ein Juengling, wie ich, alles mit Bedacht und Absicht sprechen soll.
+--Ich wollte nur sagen: Die Frucht ist oft ganz anders, als die Bluete
+sie verspricht. Ein weibischer Prinz, hat mich die Geschichte gelehrt,
+ward oft ein kriegerischer Koenig. Koennte mit mir sich nicht das
+Gegenteil zutragen?--Oder vielleicht war auch diese meine Meinung, dass
+ich noch einen weiten und gefaehrlichen Weg zum Throne habe. Wer weiss,
+ob die Goetter mich ihn vollenden lassen?--Und lass mich ihn nicht
+vollenden, Vater der Goetter und Menschen, wenn du in der Zukunft mich
+als einen Verschwender des Kostbarsten, was du mir anvertrauet, des
+Blutes meiner Untertanen, siehest!--
+
+Aridaeus. Ja, Prinz; was ist ein Koenig, wenn er kein Vater ist! Was
+ist ein Held ohne Menschenliebe! Nun erkenne ich auch diese in dir,
+und bin wieder ganz dein Freund!--Aber komm, komm; wir muessen hier
+nicht allein bleiben. Wir sind einer dem andern zu ernsthaft. Folge
+mir!
+
+Philotas. Verzeih, Koenig--
+
+Aridaeus. Weigere dich nicht!
+
+Philotas. So wie ich bin, mich vor vielen sehen zu lassen?--
+
+Aridaeus. Warum nicht?
+
+Philotas. Ich kann nicht, Koenig; ich kann nicht.
+
+Aridaeus. Und die Ursache?
+
+Philotas. O die Ursache!--Sie wuerde dich zum Lachen bewegen.
+
+Aridaeus. Um so viel lieber lass sie mich hoeren. Ich bin ein Mensch,
+und weine und lache gern.
+
+Philotas. Nun so lache denn!--Sieh, Koenig, ich habe kein Schwert, und
+ich moechte nicht gern, ohne dieses Kennzeichen des Soldaten, unter
+Soldaten erscheinen.
+
+Aridaeus. Mein Lachen wird zur Freude. Ich habe in voraus hierauf
+gedacht, und du wirst sogleich befriediget werden. Strato hat Befehl,
+dir dein Schwert wieder zu schaffen.
+
+Philotas. Also lass uns ihn hier erwarten.
+
+Aridaeus. Und alsdenn begleitest du mich doch?--
+
+Philotas. Alsdenn werde ich dir auf dem Fusse nachfolgen.
+
+Aridaeus. Gewuenscht! da koemmt er! Nun, Strato--
+
+
+
+Achter Auftritt.
+
+Strato (mit einem Schwerte in der Hand). Aridaeus. Philotas.
+
+
+Strato. Koenig, ich kam zu dem Soldaten, der den Prinzen gefangen
+genommen, und forderte des Prinzen Schwert in deinem Namen von ihm
+zurueck. Aber hoere, wie edel sich der Soldat weigerte. "Der Koenig",
+sprach er, "muss mir das Schwert nicht nehmen. Es ist ein gutes
+Schwert, und ich werde es fuer ihn brauchen. Auch muss ich ein Andenken
+von dieser meiner Tat behalten. Bei den Goettern, sie war keine von
+meinen geringsten! Der Prinz ist ein kleiner Daemon. Vielleicht aber
+ist es euch nur um den kostbaren Heft zu tun--" Und hiermit, ehe ich
+es verhindern konnte, hatte seine starke Hand den Heft abgewunden, und
+warf mir ihn veraechtlich zu Fuessen--"Da ist er!" fuhr er fort. "Was
+kuemmert mich euer Gold?"
+
+Aridaeus. O Strato, mache mir den Mann wieder gut!--
+
+Strato. Ich tat es. Und hier ist eines von deinen Schwertern!
+
+Aridaeus. Gibt her!--Willst du es, Prinz, fuer das deinige annehmen?
+
+Philotas. Lass sehen!--Ha!--(Beiseite.) Habet Dank, ihr Goetter!
+(Indem er es lange und ernsthaft betrachtet.)--Ein Schwert!
+
+Strato. Habe ich nicht gut gewaehlet, Prinz?
+
+Aridaeus. Was findest du deiner tiefsinnigen Aufmerksamkeit so wert
+daran?
+
+Philotas. Dass es ein Schwert ist!--(Indem er wieder zu sich koemmt.)
+Und ein schoenes Schwert! Ich werde bei diesem Tausche nichts
+verlieren.--Ein Schwert!
+
+Aridaeus. Du zitterst, Prinz.
+
+Philotas. Vor Freuden!--Ein wenig zu kurz scheinet es mir bei alledem.
+Aber was zu kurz? Ein Schritt naeher auf den Feind ersetzt, was ihm
+am Eisen abgehet.--Liebes Schwert! Welche eine schoene Sache ist ein
+Schwert, zum Spiele und zum Gebrauche! Ich habe nie mit etwas andern
+gespielt.--
+
+Aridaeus (zum Strato). O der wunderbaren Vermischung von Kind und Held!
+
+
+Philotas (beiseite). Liebes Schwert! Wer doch bald mit dir allein
+waere!--Aber, gewagt!
+
+Aridaeus. Nun lege das Schwert an, Prinz; und folge mir.
+
+Philotas. Sogleich!--Doch seinen Freund und sein Schwert muss man
+nicht bloss von aussen kennen. (Er zieht es, und Strato tritt zwischen
+ihn und den Koenig.)
+
+Strato. Ich verstehe mich mehr auf den Stahl, als auf die Arbeit.
+Glaube mir Prinz; der Stahl ist gut. Der Koenig hat, in seinen
+maennlichen Jahren, mehr als einen Helm damit gespalten.
+
+Philotas. So stark werde ich nicht werden! Immerhin!--Tritt mir
+nicht so nahe, Strato.
+
+Strato. Warum nicht?
+
+Philotas. So! (Indem er zurueckspringt, und mit dem Schwerte einen
+Streich durch die Luft tut.) Es hat den Zug, wie es ihn haben muss.
+
+Aridaeus. Prinz, schone deines verwundeten Armes! Du wirst dich
+erhitzen!--
+
+Philotas. Woran erinnerst du mich, Koenig?--An mein Unglueck; nein, an
+meine Schande! Ich ward verwundet und gefangen! Ja! Aber ich will
+es nie wieder werden! Bei diesem meinem Schwerte, ich will es nie
+wieder werden! Nein, mein Vater, nein! Heut sparet dir ein Wunder
+das schimpfliche Loesegeld fuer deinen Sohn; kuenftig spar' es dir sein
+Tor! Sein gewisser Tod, wenn er sich wieder umringt siehet!--Wieder
+umringt?--Entsetzen!--Ich bin es! Ich bin umringt! Was nun?
+Gefaehrte! Freunde! Brueder! Wo seid ihr? Alle tot? Ueberall Feinde?--
+Ueberall! Hier durch, Philotas! Ha! Nimm das, Verwegner!--Und du
+das!--Und du das! (Um sich hauend.)
+
+Strato. Prinz! was geschieht dir? Fasse dich! (Geht auf ihn zu.)
+
+Philotas (sich von ihm entfernend). Auch du, Strato? auch du?--O
+Feind, sei grossmuetig! Toete mich! Nimm mich nicht gefangen!--Nein,
+ich gebe mich nicht gefangen! Und wenn ihr alle Stratos waeret, die
+ihr mich umringet! Doch will ich mich gegen euch alle, gegen eine
+Welt will ich mich wehren!--Tut euer Bestes, Feinde!--Aber ihr wollt
+nicht? Ihr wollt mich nicht toeten, Grausame? Ihr wollt mich mit
+Gewalt lebendig?--Ich lache nur! Mich lebendig gefangen? Mich?--Eher
+will ich dieses mein Schwert, will ich--in diese meine Brust--eher--
+(Er durchsticht sich.)
+
+Aridaeus. Goetter! Strato!
+
+Strato. Koenig!
+
+Philotas. Das wollt' ich! (Zuruecksinkend.)
+
+Aridaeus. Halt ihn, Strato!--Hilfe! dem Prinzen zur Hilfe!--Prinz,
+welche wuetende Schwermut--
+
+Philotas. Vergib mir, Koenig! ich habe dir einen toedlichern Streich
+versetzt, als mir!--Ich sterbe; und bald werden beruhigte Laender die
+Frucht meines Todes geniessen.--Dein Sohn, Koenig, ist gefangen; und der
+Sohn meines Vaters ist frei--
+
+Aridaeus. Was hoer' ich?
+
+Strato. So war es Vorsatz, Prinz?--Aber als unser Gefangener hattest
+du kein Recht ueber dich selbst.
+
+Philotas. Sage das nicht, Strato!--Sollte die Freiheit zu sterben,
+die uns die Goetter in allen Umstaenden des Lebens gelassen haben,
+sollte diese ein Mensch dem andern verkuemmern koennen?--
+
+Strato. O Koenig!--Das Schrecken hat ihn versteinert!--Koenig!
+
+Aridaeus. Wer ruft?
+
+Strato. Koenig!
+
+Aridaeus. Schweig!
+
+Strato. Der Krieg ist aus, Koenig!
+
+Aridaeus. Aus? Das leugst du, Strato!--Der Krieg ist nicht aus, Prinz!
+--Stirb nur! stirb! Aber nimm das mit, nimm den quaelenden Gedanken
+mit: Als ein wahrer unerfahrner Knabe hast du geglaubt, dass die Vaeter
+alle von einer Art, alle von der weichlichen, weiblichen Art deines
+Vaters sind.--Sie sind es nicht alle! Ich bin es nicht! Was liegt
+mir an meinem Sohne? Und denkst du, dass er nicht ebensowohl zum
+Besten seines Vaters sterben kann, als du zum Besten des deinigen?--Er
+sterbe! Auch sein Tod erspare mir das schimpfliche Loesegeld!--Strato,
+ich bin nun verwaiset, ich armer Mann!--Du hast einen Sohn; er sei der
+meinige!--Denn einen Sohn muss man doch haben.--Gluecklicher Strato!
+
+Philotas. Noch lebt auch dein Sohn, Koenig! Und wird leben! Ich hoer'
+es!
+
+Aridaeus. Lebt er noch?--So muss ich ihn wieder haben. Stirb du nur!
+Ich will ihn doch wieder haben! Und fuer dich!--Oder ich will deinem
+toten Koerper so viel Unehre, so viel Schmach erzeigen lassen!--Ich
+will ihn--
+
+Philotas. Den toten Koerper!--Wenn du dich raechen willst, Koenig, so
+erwecke ihn wieder!--
+
+Aridaeus. Ach!--Wo gerat' ich hin!
+
+Philotas. Du daurest mich!--Lebe wohl, Strato! Dort, wo alle
+Tugendhafte Freunde, und alle Tapfere Glieder eines seligen Staates
+sind, im Elysium sehen wir uns wieder!--Auch wir, Koenig, sehen uns
+wieder--
+
+Aridaeus. Und versoehnt!--Prinz!--
+
+Philotas. O so empfanget meine triumphierende Seele, ihr Goetter; und
+dein Opfer, Goettin des Friedens!
+
+Aridaeus. Hoere mich, Prinz!--
+
+Strato. Er stirbt!--Bin ich ein Verraeter, Koenig, wenn ich deinen
+Feind beweine? Ich kann mich nicht halten. Ein wunderbarer Juengling!
+
+
+Aridaeus. Beweine ihn nur!--Auch ich!--Komm! Ich muss meinen Sohn
+wieder haben! Aber rede mir nicht ein, wenn ich ihn zu teuer erkaufe!--
+Umsonst haben wir Stroeme Bluts vergossen; umsonst Laender erobert. Da
+zieht er mit unserer Beute davon, der groessere Sieger!--Komm! Schaffe
+mir meinen Sohn! Und wenn ich ihn habe, will ich nicht mehr Koenig
+sein. Glaubt ihr Menschen, dass man es nicht satt wird?--(Gehen ab.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Philotas, von Gotthold Ephraim
+Lessing.
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Philotas, by Gotthold Ephraim Lessing
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PHILOTAS ***
+
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+Produced by Delphine Letttau The book content was graciously
+contributed by the Gutenberg Projekt-DE
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+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
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+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
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+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
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+The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
+Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
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+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
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+as it appears in our Newsletters.
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+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
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+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
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+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
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+(Three Pages)
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+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
+
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index 0000000..28148e2
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index 0000000..4461cc2
--- /dev/null
+++ b/old/8phts10.txt
@@ -0,0 +1,1395 @@
+The Project Gutenberg EBook of Philotas, by Gotthold Ephraim Lessing
+#8 in our series by Gotthold Ephraim Lessing
+
+Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
+copyright laws for your country before downloading or redistributing
+this or any other Project Gutenberg eBook.
+
+This header should be the first thing seen when viewing this Project
+Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
+header without written permission.
+
+Please read the "legal small print," and other information about the
+eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
+important information about your specific rights and restrictions in
+how the file may be used. You can also find out about how to make a
+donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Philotas
+
+Author: Gotthold Ephraim Lessing
+
+Release Date: October, 2005 [EBook #9159]
+[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
+[This file was first posted on September 9, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PHILOTAS ***
+
+
+
+
+Produced by Delphine Letttau The book content was graciously
+contributed by the Gutenberg Projekt-DE
+
+
+
+
+This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE.
+That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/.
+
+Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE"
+zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse
+http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar.
+
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+
+
+Philotas
+
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+Ein Trauerspiel
+
+
+Personen:
+
+Aridäus, König.
+Strato, Feldherr des Aridäus.
+Philotas, gefangen.
+Parmenio, Soldat.
+
+Die Szene ist ein Zelt in dem Lager des Aridäus.
+
+
+
+Erster Auftritt.
+
+Philotas.
+
+So bin ich wirklich gefangen?--Gefangen!--Ein würdiger Anfang meiner
+kriegerischen Lehrjahre!--O ihr Götter! O mein Vater!--Wie gern
+überredte ich mich, daß alles ein Traum sei! Meine frühste Kindheit
+hat nie etwas anders, als Waffen, und Läger, und Schlachten und Stürme
+geträumet. Könnte der Jüngling nicht von Verlust und Entwaffnung
+träumen?--Schmeichle dir nur, Philotas! Wenn ich sie nicht sähe,
+nicht fühlte, die Wunde, durch die der erstarrten Hand das Schwert
+entsank!--Man hat sie mir wider Willen verbunden. O der grausamen
+Barmherzigkeit eines listigen Feindes! Sie ist nicht tödlich, sagte
+der Arzt, und glaubte mich zu trösten.--Nichtswürdiger, sie sollte
+tödlich sein!--Und nur eine Wunde, nur eine!--Wüßte ich, daß ich sie
+tödlich machte, wenn ich sie wieder aufriss', und wieder verbinden
+ließ', und wieder aufriss'--Ich rase, ich Unglücklicher!--Und was für
+ein höhnisches Gesicht--itzt fällt mir es ein--mir der alte Krieger
+machte, der mich vom Pferde riß! Er nannte mich: Kind!--Auch sein
+König muß mich für ein Kind, für ein verzärteltes Kind halten. In was
+für ein Zelt hat er mich bringen lassen! Aufgeputzt, mit allen
+Bequemlichkeiten versehen! Es muß einer von seinen Beischläferinnen
+gehören. Ein ekler Aufenthalt für einen Soldaten! Und anstatt
+bewacht zu werden, werde ich bedienet. Hohnsprechende Höflichkeit!--
+
+
+
+Zweiter Auftritt.
+
+Strato. Philotas.
+
+
+Strato. Prinz--
+
+Philotas. Schon wieder ein Besuch? Alter, ich bin gern allein.
+
+Strato. Prinz, ich komme auf Befehl des Königs--
+
+Philotas. Ich verstehe dich! Es ist wahr, ich bin deines Königs
+Gefangener, und es stehet bei ihm, wie er mir will begegnen lassen--
+Aber höre, wenn du der bist, dessen Miene du trägst--bist du ein alter
+ehrlicher Kriegsmann, so nimm dich meiner an, und bitte den König, daß
+er mir als einem Soldaten, und nicht als einem Weibe begegnen lasse.
+
+Strato. Er wird gleich bei dir sein; ich komme, ihn zu melden.
+
+Philotas. Der König bei mir? und du kömmst, ihn zu melden?--Ich will
+nicht, daß er mir eine von den Erniedrigungen erspare, die sich ein
+Gefangener muß gefallen lassen.--Komm, führe mich zu ihm! Nach dem
+Schimpfe, entwaffnet zu sein, ist mir nichts mehr schimpflich.
+
+Strato. Prinz, deine Bildung, voll jugendlicher Anmut, verspricht ein
+sanftres Gemüt.
+
+Philotas. Laß meine Bildung unverspottet! Dein Gesicht voll Narben
+ist freilich ein schöners Gesicht--
+
+Strato. Bei den Göttern! eine große Antwort! Ich muß dich bewundern
+und lieben.
+
+Philotas. Möchtest du doch, wenn du mich nur erst gefürchtet hättest.
+
+
+Strato. Immer heldenmütiger! Wir haben den schrecklichsten Feind vor
+uns, wenn unter seiner Jugend der Philotas viel sind.
+
+Philotas. Schmeichle mir nicht!--Euch schrecklich zu werden, müssen
+sie mit meinen Gesinnungen größre Taten verbinden. Darf ich deinen
+Namen wissen?
+
+Strato. Strato.
+
+Philotas. Strato? Der tapfre Strato, der meinen Vater am Lykus
+schlug?--
+
+Strato. Gedenke mir dieses zweideutigen Sieges nicht! Und wie blutig
+rächte sich dein Vater in der Ebene Methymna! So ein Vater muß so
+einen Sohn haben.
+
+Philotas. O dir darf ich es klagen, du würdigster der Feinde meines
+Vaters, dir darf ich mein Schicksal klagen.--Nur du kannst mich ganz
+verstehen; denn auch dich, auch dich hat das herrschende Feuer der
+Ehre, der Ehre fürs Vaterland zu bluten, in deiner Jugend verzehrt.
+Wärest du sonst, was du bist?--Wie habe ich ihn nicht, meinen Vater,
+seit sieben Tagen--denn erst sieben Tage kleidet mich die männliche
+Toga--wie habe ich ihn nicht gebeten, gefleht, beschworen, siebenmal
+alle sieben Tage auf den Knieen beschworen, zu verstatten, daß ich
+nicht umsonst der Kindheit entwachsen sei, und mich mit seinen
+Streitern ausziehen zu lassen, die mir schon längst so manche Träne
+der Nacheiferung gekostet. Gestern bewegte ich ihn, den besten Vater,
+denn Aristodem half mir bitten.--Du kennst ihn, den Aristodem; er ist
+meines Vaters Strato.--"Gib mir, König, den Jüngling morgen mit,"
+sprach Aristodem; "ich will das Gebirge durchstreifen, um den Weg nach
+Cäsarea offen zu halten."--"Wenn ich euch nur begleiten könnte",
+seufzte mein Vater.--Er liegt noch an seinen Wunden krank.--"Doch es
+sei!" und hiermit umarmte mich mein Vater. O was fühlte der
+glückliche Sohn in dieser Umarmung!--Und die Nacht, die darauf folgte!
+Ich schloß kein Auge; doch verweilten mich Träume der Ehre und des
+Sieges bis zur zweiten Nachtwache auf dem Lager.--Da sprang ich auf,
+warf mich in den neuen Panzer, strich die ungelockten Haare unter den
+Helm, wählte unter den Schwertern meines Vaters, dem ich gewachsen zu
+sein glaubte, stieg zu Pferde; und hatte ein Roß schon müde gespornt,
+noch ehe die silberne Drommete die befohlne Mannschaft weckte. Sie
+kamen, und ich sprach mit jedem meiner Begleiter, und da drückte mich
+mancher wackere Krieger an seine narbigte Brust! Nur mit meinem Vater
+sprach ich nicht; denn ich zitterte, wenn er mich noch einmal sähe, er
+möchte sein Wort widerrufen.--Nun zogen wir aus! An der Seite der
+unsterblichen Götter kann man nicht glücklicher sein, als ich an der
+Seite Aristodems mich fühlte! Auf jeden seiner anfeuernden Blicke
+hätte ich, ich allein, ein Heer angegriffen und mich in der
+feindlichen Eisen gewissesten Tod gestürzet. In stiller
+Entschlossenheit freute ich mich auf jeden Hügel, von dem ich in der
+Ebene Feinde zu entdecken hoffte; auf jede Krümmung des Tals, hinter
+der ich auf sie zu stoßen mir schmeichelte. Und da ich sie endlich
+von der waldigten Höhe auf uns stürzen sahe; ihnen bergan entgegen
+flog--rufe dir, ruhmvoller Greis, die seligste deiner jugendlichen
+Entzückungen zurück--du konntest nie entzückter sein!--Aber nun, nun
+sieh mich, Strato, sieh mich von dem Gipfel meiner hohen Erwartungen
+schimpflich herabstürzen! O wie schaudert mich, diesen Fall in
+Gedanken noch einmal zu stürzen!--Ich war zu weit vorausgeeilt; ich
+ward verwundet und--gefangen! Armseliger Jüngling, nur auf Wunden
+hieltest du dich, nur auf den Tod gefaßt,--und wirst gefangen. So
+schicken die strengen Götter, unsere Fassung zu vereiteln, nur immer
+unvorhergesehenes Übel?--Ich weine; ich muß weinen, ob ich mich schon,
+von dir darum verachtet zu werden, scheue. Aber verachte mich nicht!--
+Du wendest dich weg?
+
+Strato. Ich bin unwillig; du hättest mich nicht so bewegen sollen.--
+Ich werde mit dir zum Kinde--
+
+Philotas. Nein; höre, warum ich weine! Es ist kein kindisches Weinen,
+das du mit deiner männlichen Träne zu begleiten würdigest--Was ich
+für mein größtes Glück hielt, die zärtliche Liebe, mit der mich mein
+Vater liebt, wird mein größtes Unglück. Ich fürchte, ich fürchte; er
+liebt mich mehr, als er sein Reich liebt! Wozu wird er sich nicht
+verstehen, was wird ihm dein König nicht abdringen, mich aus der
+Gefangenschaft zu retten! Durch mich Elenden wird er an einem Tage
+mehr verlieren, als er in drei langen mühsamen Jahren, durch das Blut
+seiner Edeln, durch sein eignes Blut gewonnen hat. Mit was für einem
+Angesichte soll ich wieder vor ihm erscheinen; ich, sein schlimmster
+Feind? Und meines Vaters Untertanen--künftig einmal die meinigen,
+wenn ich sie zu regieren mich würdig gemacht hätte--wie werden sie den
+ausgelösten Prinzen ohne die spöttischste Verachtung unter sich dulden
+können? Wann ich denn vor Scham sterbe und unbedauert hinab zu den
+Schatten schleiche, wie finster und stolz werden die Seelen der Helden
+bei mir vorbeiziehen, die dem Könige die Vorteile mit ihrem Leben
+erkaufen mußten, deren er sich als Vater für einen unwürdigen Sohn
+begibt.--O das ist mehr, als eine fühlende Seele ertragen kann!
+
+Strato. Fasse dich, lieber Prinz! Es ist der Fehler des Jünglings,
+sich immer für glücklicher, oder unglücklicher zu halten, als er ist.
+Dein Schicksal ist so grausam noch nicht; der König nähert sich, und
+du wirst aus seinem Munde mehr Trost hören.
+
+
+
+Dritter Auftritt.
+
+König Aridäus. Philotas. Strato.
+
+
+Aridäus. Kriege, die Könige unter sich zu führen gezwungen werden,
+sind keine persönliche Feindschaften.--Laß dich umarmen, mein Prinz!
+O welcher glücklichen Tage erinnert mich deine blühende Jugend! So
+blühte die Jugend deines Vaters! Dies war sein offenes, sprechendes
+Auge; dies seine ernste, redliche Miene; dies sein edler Anstand!--
+Noch einmal laß dich umarmen; ich umarme deinen jüngern Vater in dir.
+--Hast du es nie von ihm gehört, Prinz, wie vertraute Freunde wir in
+deinem Alter waren? Das war das selige Alter, da wir uns noch ganz
+unserm Herzen überlassen durften. Bald aber wurden wir beide zum
+Throne gerufen, und der sorgende König, der eifersüchtige Nachbar
+unterdrückte, leider! den gefälligen Freund.--
+
+Philotas. Verzeih, o König, wenn du mich in Erwiderung so süßer Worte
+zu kalt findest. Man hat meine Jugend denken, aber nicht reden
+gelehrt.--Was kann es mir itzt helfen, daß du und mein Vater einst
+Freunde waren? Waren: so sagst du selbst. Der Haß, den man auf
+verloschne Freundschaft pfropfet, muß, unter allen, die tödlichsten
+Früchte bringen;--oder ich kenne das menschliche Herz zu wenig.--
+Verzögere daher, König, verzögere meine Verzweiflung nur nicht. Du
+hast als der höfliche Staatsmann gesprochen; sprich nun als der
+Monarch, der den Nebenbuhler seiner Größe ganz in seiner Gewalt hat.
+
+Strato. O laß ihn, König, die Ungewißheit seines Schicksals nicht
+länger peinigen.--
+
+Philotas. Ich danke, Strato!--Ja, laß mich es nur gleich hören, wie
+verabscheuungswürdig du einen unglücklichen Sohn seinem Vater machen
+willst. Mit welchem schimpflichen Frieden, mit welchen Ländern soll
+er ihn erkaufen? Wie klein und verächtlich soll er werden, um nicht
+verwaist zu bleiben?--O mein Vater!--
+
+Aridäus. Auch diese frühe, männliche Sprache, Prinz, war deines
+Vaters! So höre ich dich gern! Und möchte, meiner nicht minder
+würdig, auch mein Sohn itzt vor deinem Vater so sprechen!--
+
+Philotas. Wie meinst du das?--
+
+Aridäus. Die Götter--ich bin es überzeugt--wachen für unsere Tugend,
+wie sie für unser Leben wachen. Die so lang als mögliche Erhaltung
+beider ist ihr geheimes, ewiges Geschäft. Wo weiß ein Sterblicher,
+wie böse er im Grunde ist, wie schlecht er handeln würde, ließen sie
+jeden verführerischen Anlaß, sich durch kleine Taten zu beschimpfen,
+ganz auf ihn wirken?--Ja, Prinz, vielleicht wäre ich der, den du mich
+glaubst; vielleicht hätte ich nicht edel genug gedacht, das
+wunderliche Kriegesglück, das dich mir in die Hände liefert,
+bescheiden zu nützen; vielleicht würde ich durch dich ertrotzt haben,
+was ich zu erfechten nicht länger wagen mögen; vielleicht--Doch
+fürchte nichts; allen diesen "Vielleicht" hat eine höhere Macht
+vorgebauet; ich kann deinen Vater seinen Sohn nicht teurer erkaufen
+lassen als--durch den meinigen.
+
+Philotas. Ich erstaune! Du gibst mir zu verstehen--
+
+Aridäus. Daß mein Sohn deines Vaters Gefangener ist, wie du meiner.--
+
+Philotas. Dein Sohn meines Vaters? Dein Polytimet?--Seit wenn? Wie?
+Wo?
+
+Aridäus. So wollt' es das Schicksal! Aus gleichen Wagschalen nahm es
+auf einmal gleiche Gewichte, und die Schalen blieben noch gleich.
+
+Strato. Du willst nähere Umstände wissen.--Eben dasselbe Geschwader,
+dem du zu hitzig entgegen eiltest, führte Polytimet; und als dich die
+Deinigen verloren erblickten, erhob sie Wut und Verzweiflung über alle
+menschliche Stärke. Sie brachen ein, und alle stürmten sie auf den
+einen, in welchem sie ihres Verlustes Ersetzung sahen. Das Ende weißt
+du.--Nun nimm noch von einem alten Soldaten die Lehre an: Der Angriff
+ist kein Wettrennen; nicht der, welcher zuerst, sondern welcher zum
+sichersten auf den Feind trifft, hat sich dem Siege genähert. Das
+merke dir, zu feuriger Prinz; sonst möchte der werdende Held im ersten
+Keime ersticken.
+
+Aridäus. Strato, du machst den Prinzen durch deine, zwar
+freundschaftliche, Warnung verdrießlich. Wie finster er da steht!--
+
+Philotas. Nicht das! Aber laß mich; in tiefe Anbetung der Vorsicht
+verloren--
+
+Aridäus. Die beste Anbetung, Prinz, ist dankbare Freude. Ermuntere
+dich! Wir Väter wollen uns unsere Söhne nicht lange vorenthalten.
+Mein Herold hält sich bereits fertig; er soll gehen und die
+Auswechselung beschleunigen. Aber du weißt wohl, freudige Nachrichten,
+die wir allein vom Feinde erfahren, scheinen Fallstricke. Man könnte
+argwohnen, du seist vielleicht an deiner Wunde gestorben. Es wird
+daher nötig sein, daß du selbst mit dem Herolde einen unverdächtigen
+Boten an deinen Vater sendest. Komm mit mir! Suche dir einen unter
+den Gefangenen, den du deines Vertrauens würdigen kannst.--
+
+Philotas. So willst du, daß ich mich vervielfältiget verabscheuen
+soll? In jedem der Gefangenen werde ich mich selbst erblicken.--
+Schenke mir diese Verwirrung.
+
+Aridäus. Aber--
+
+Philotas. Unter den Gefangenen muß sich Parmenio befinden. Den
+schicke mir her; ich will ihn abfertigen.
+
+Aridäus. Wohl; auch so! Komm, Strato! Prinz wir sehen uns bald
+wieder.
+
+
+
+Vierter Auftritt.
+
+Philotas.
+
+
+Götter! Näher konnte der Blitz, ohne mich ganz zu zerschmettern,
+nicht vor mir niederschlagen. Wunderbare Götter! Die Flamme kehrt
+zurück; der Dampf verfliegt, und ich war nur betäubt.--So war das mein
+ganzes Elend, zu sehen, wie elend ich hätte werden können? Wie elend
+mein Vater durch mich!--Nun darf ich wieder vor dir erscheinen, mein
+Vater! Zwar noch mit niedergeschlagenen Augen; doch nur die Scham
+wird sie niederschlagen, nicht das brennende Bewußtsein, dich mit mir
+ins Verderben gerissen zu haben. Nun darf ich nichts von dir fürchten,
+als einen Verweis mit Lächeln; kein stummes Trauren; keine, durch die
+stärkere Gewalt der väterlichen Liebe erstickte Verwünschungen.--
+
+Aber--ja, bei dem Himmel! ich bin zu gütig gegen mich. Darf ich mir
+alle Fehler vergeben, die mir die Vorsicht zu vergeben scheinet? Soll
+ich mich nicht strenger richten, als sie und mein Vater mich richten?
+Die allzugütigen!--Sonst jede der traurigen Folgen meiner
+Gefangenschaft konnten die Götter vernichten; nur eine konnten sie
+nicht: die Schande! Zwar jene leicht verfliegende wohl, die von der
+Zunge des Pöbels strömt; aber nicht die wahre dauernde Schande, die
+hier der innere Richter, mein unparteiisches Selbst, über mich
+ausspricht!--
+
+Und wie leicht ich mich verblende! Verlieret mein Vater durch mich
+nichts? Der Ausschlag, den der gefangene Polytimet,--wenn ich nicht
+gefangen wäre,--auf seine Seite brächte, der ist nichts!--Nur durch
+mich wird er nichts!--Das Glück hätte sich erkläret, für wen es sich
+erklären sollte; das Recht meines Vaters triumphierte, wäre Polytimet,
+nicht Philotas und Polytimet gefangen!--
+
+Und nun--welcher Gedanke war es, den ich itzt dachte? Nein; den ein
+Gott in mir dachte--Ich muß ihm nachhängen! Laß dich fesseln,
+flüchtiger Gedanke!--Itzt denke ich ihn wieder! Wie weit er sich
+verbreitet, und immer weiter; und nun durchstrahlt er meine ganze
+Seele!--
+
+Was sagte der König? Warum wollte er, daß ich zugleich selbst einen
+unverdächtigen Boten an meinen Vater schicken sollte? Damit mein
+Vater nicht argwohne--wo waren ja seine eigne Worte--, ich sei bereits
+an meiner Wunde gestorben.--Also meint er doch, wenn ich bereits an
+meiner Wunde gestorben wäre, so würde die Sache ein ganz anders Ansehn
+gewinnen? Würde sie das? Tausend Dank für diese Nachricht! Tausend
+Dank!--Und freilich! Denn mein Vater hätte alsdenn einen gefangenen
+Prinzen, für den er sich alles bedingen könnte; und der König, sein
+Feind, hätte--den Leichnam eines gefangenen Prinzen, für den er nichts
+fordern könnte; den er--müßte begraben oder verbrennen lassen, wenn er
+ihm nicht zum Abscheu werden sollte.
+
+Gut! das begreif' ich! Folglich, wenn ich, ich elender Gefangener,
+meinem Vater den Sieg noch in die Hände spielen will, worauf kömmt es
+an? Aufs Sterben. Auf weiter nichts?--O fürwahr; der Mensch ist
+mächtiger, als er glaubt, der Mensch, der zu sterben weiß!
+
+Aber ich? ich, der Keim, die Knospe eines Menschen, weiß ich zu
+sterben? Nicht der Mensch, der vollendete Mensch allein, muß es
+wissen; auch der Jüngling, auch der Knabe; oder er weiß gar nichts.
+Wer zehn Jahre gelebt hat, hat zehn Jahre Zeit gehabt, sterben zu
+lernen; und was man in zehn Jahren nicht lernt, das lernt man auch in
+zwanzig, in dreißig und mehrern nicht.
+
+Alles, was ich werden können, muß ich durch das zeigen, was ich schon
+bin. Und was könnte ich, was wollte ich werden? Ein Held.--Wer ist
+ein Held?--O mein abwesender vortrefflicher Vater, itzt sei ganz in
+meiner Seele gegenwärtig!--Hast du mich nicht gelehrt, ein Held sei
+ein Mann, der höhere Güter kennt als das Leben? Ein Mann, der sein
+Leben dem Wohle des Staats geweihet; sich, den einzeln, dem Wohle
+vieler? Ein Held sei ein Mann--Ein Mann? Also kein Jüngling, mein
+Vater?--Seltsame Frage! Gut, daß sie mein Vater nicht gehöret hat!
+Er müßte glauben, ich sähe es gern, wenn er Nein darauf antwortete.--
+Wie alt muß die Fichte sein, die zum Maste dienen soll? Wie alt? Sie
+muß hoch genug, und muß stark genug sein.
+
+Jedes Ding, sagte der Weltweise, der mich erzog, ist vollkommen, wenn
+es seinen Zweck erfüllen kann. Ich kann meinen Zweck erfüllen, ich
+kann zum Besten des Staats sterben: ich bin vollkommen also, ich bin
+ein Mann. Ein Mann, ob ich gleich noch vor wenig Tagen ein Knabe war.
+
+
+Welch Feuer tobt in meinen Adern? Welche Begeisterung befällt mich?
+Die Brust wird dem Herzen zu eng!--Geduld, mein Herz! Bald will ich
+dir Luft machen! Bald will ich dich deines einförmigen langweiligen
+Dienstes erlassen! Bald sollst du ruhen, und lange ruhen--
+
+Wer kömmt? Es ist Parmenio.--Geschwind entschlossen!--Was muß ich zu
+ihm sagen? Was muß ich durch ihn meinem Vater sagen lassen?--Recht!
+das muß ich sagen, das muß ich sagen lassen.
+
+
+
+Fünfter Auftritt.
+
+Parmenio. Philotas.
+
+
+Philotas. Tritt näher, Parmenio.--Nun? warum so schüchtern? So
+voller Scham? Wessen schämst du dich? Deiner, oder meiner?
+
+Parmenio: Unser beider, Prinz.
+
+Philotas. Immer sprich, wie du denkst. Freilich, Parmenio, müssen
+wir beide nicht viel taugen, weil wir uns hier befinden. Hast du
+meine Geschichte bereits gehört?
+
+Parmenio. Leider!
+
+Philotas. Und als du sie hörtest?--
+
+Parmenio. Ich bedauerte dich, ich bewunderte dich, ich verwünschte
+dich, ich weiß selbst nicht, was ich alles tat.
+
+Philotas. Ja, ja! Nun aber, da du doch wohl auch erfahren, daß das
+Unglück so groß nicht ist, weil gleich darauf Polytimet von den
+Unserigen--
+
+Parmenio. Ja nun; nun möchte ich fast lachen. Ich finde, daß das
+Glück zu einem kleinen Schlage, den es uns versetzen will, oft
+erschrecklich weit ausholt. Man sollte glauben, es wolle uns
+zerschmettern, und hat uns am Ende nichts, als eine Mücke auf der
+Stirne totgeschlagen.
+
+Philotas. Zur Sache!--Ich soll dich mit dem Herolde des Königs zu
+meinem Vater schicken.
+
+Parmenio. Gut! So wird deine Gefangenschaft der meinigen das Wort
+sprechen. Ohne die gute Nachricht, die ich ihm von dir bringen werde,
+und die eine freundliche Miene wohl wert ist, hätte ich mir eine
+ziemlich frostige von ihm versprechen müssen.
+
+Philotas. Nein, ehrlicher Parmenio; nun im Ernst! Mein Vater weiß es,
+daß dich der Feind verblutet und schon halb erstarrt von der Walstatt
+aufgehoben. Laß prahlen, wer prahlen will; der ist leicht gefangen zu
+nehmen, den der nahende Tod schon entwaffnet hat.--Wie viele Wunden
+hast du nun, alter Knecht?--
+
+Parmenio. O, davon konnte ich sonst eine lange Liste hersagen. Itzt
+aber habe ich sie um ein gut Teil verkürzt.
+
+Philotas. Wie das?
+
+Parmenio. Ha! Ich rechne nun nicht mehr die Glieder, an welchen ich
+verwundet bin; Zeit und Atem zu ersparen, zähle ich die, an welchen
+ich es nicht bin.--Kleinigkeiten bei dem allem! Wozu hat man die
+Knochen anders, als daß sich die feindlichen Eisen darauf schartig
+hauen sollen?
+
+Philotas. Das ist wacker!--Aber nun--was willst du meinem Vater
+sagen?
+
+Parmenio. Was ich sehe; daß du dich wohl befindest. Denn deine Wunde,
+wenn man mir anders die Wahrheit gesagt hat,--
+
+Philotas. Ist so gut als keine.
+
+Parmenio. Ein kleines liebes Andenken. Dergleichen uns ein
+inbrünstiges Mädchen in die Lippe beißt. Nicht wahr, Prinz?
+
+Philotas. Was weiß ich davon?
+
+Parmenio. Nu, nu; kömmt Zeit, kömmt Erfahrung.--Ferner will ich
+deinem Vater sagen, was ich glaube, daß du wünschest--
+
+Philotas. Und was ist das?
+
+Parmenio. Je eher, je lieber wieder bei ihm zu sein. Deine kindliche
+Sehnsucht, deine bange Ungeduld--
+
+Philotas. Mein Heimweh lieber gar. Schalk! warte, ich will dich
+anders denken lehren!
+
+Parmenio. Bei dem Himmel, das mußt du nicht! Mein lieber
+frühzeitiger Held, laß dir das sagen: Du bist noch Kind! Gib nicht zu,
+daß der rauhe Soldat das zärtliche Kind so bald in dir ersticke. Man
+möchte sonst von deinem Herzen nicht zum besten denken; man möchte
+deine Tapferkeit für angeborne Wildheit halten. Ich bin auch Vater,
+Vater eines einzigen Sohnes, der nur wenig älter als du, mit gleicher
+Hitze--du kennst ihn ja.
+
+Philotas. Ich kenne ihn. Er verspricht alles, was sein Vater
+geleistet hat.
+
+Parmenio. Aber wüßte ich, daß sich der junge Wildfang nicht in allen
+Augenblicken, die ihm der Dienst frei läßt, nach seinem Vater sehnte,
+und sich nicht so nach ihm sehnte, wie sich ein Lamm nach seiner
+Mutter sehnet: so möchte ich ihn gleich--siehst du!--nicht erzeugt
+haben. Itzt muß er mich noch mehr lieben, als ehren. Mit dem Ehren
+werde ich mich so Zeit genug müssen begnügen lassen; wenn nämlich die
+Natur den Strom seiner Zärtlichkeit einen andern Weg leitet; wenn er
+selbst Vater wird.--Werde nicht ungehalten, Prinz.
+
+Philotas. Wer kann auf dich ungehalten werden?--Du hast recht! Sage
+meinem Vater alles, was du glaubest, daß ihm ein zärtlicher Sohn bei
+dieser Gelegenheit muß sagen lassen. Entschuldige meine jugendliche
+Unbedachtsamkeit, die ihn und sein Reich fast ins Verderben gestürzt
+hätte. Bitte ihn, mir meinen Fehler zu vergeben. Versichere ihn, daß
+ich ihn nie durch einen ähnlichen Fehler wieder daran erinnern will;
+daß ich alles tun will, damit er ihn auch vergessen kann. Beschwöre
+ihn--
+
+Parmenio. Laß mich nur machen! So etwas können wir Soldaten recht
+gut sagen.--Und besser als ein gelehrter Schwätzer; denn wir sagen es
+treuherziger.--Laß mich nur machen! Ich weiß schon alles.--Lebe wohl,
+Prinz; ich eile--
+
+Philotas. Verzieh!
+
+Parmenio. Nun?--Und welch feierliches Ansehen gibst du dir auf
+einmal?
+
+Philotas. Der Sohn hat dich abgefertiget, aber noch nicht der Prinz.--
+Jener mußte fühlen; dieser muß überlegen. Wie gern wollte der Sohn
+gleich itzt, wie gern wollte er noch eher, als möglich, wieder um
+seinen Vater, um seinen geliebten Vater sein; aber der Prinz--der
+Prinz kann nicht.--Höre!
+
+Parmenio. Der Prinz kann nicht?
+
+Philotas. Und will nicht.
+
+Parmenio. Will nicht?
+
+Philotas. Höre!
+
+Parmenio. Ich erstaune--
+
+Philotas. Ich sage, du sollst hören und nicht erstaunen. Höre!
+
+Parmenio. Ich erstaune, weil ich höre. Es hat geblitzt, und ich
+erwarte den Schlag.--Rede!--Aber, junger Prinz, keine zweite
+Übereilung!--
+
+Philotas. Aber, Soldat, kein Vernünfteln!--Höre! Ich habe meine
+Ursachen, nicht eher ausgelöset zu sein, als morgen. Nicht eher als
+morgen! Hörst du?--Sage also unserm Könige, daß er sich an die
+Eilfertigkeit des feindlichen Herolds nicht kehre. Eine gewisse
+Bedenklichkeit, ein gewisser Anschlag nötige den Philotas zu dieser
+Verzögerung.--Hast du mich verstanden?
+
+Parmenio. Nein!
+
+Philotas. Nicht? Verräter!--
+
+Parmenio. Sachte, Prinz! Ein Papagei versteht nicht, aber er behält,
+was man ihm vorsagt. Sei unbesorgt. Ich will deinem Vater alles
+wieder herplappern, was ich von dir höre.
+
+Philotas. Ha! ich untersagte dir, zu vernünfteln, und das verdreußt
+dich. Aber wie bist denn du so verwöhnt? Haben dir alle deine
+Befehlshaber Gründe gesagt?--
+
+Parmenio. Alle, Prinz; ausgenommen die jungen.
+
+Philotas. Vortrefflich! Parmenio, wenn ich so empfindlich wäre, als
+du--
+
+Parmenio. Und doch kann nur derjenige meinen blinden Gehorsam
+heischen, dem die Erfahrung doppelte Augen gegeben.
+
+Philotas. Bald werde ich dich also um Verzeihung bitten müssen.--Nun
+wohl, ich bitte dich um Verzeihung, Parmenio. Murre nicht, Alter!
+Sei wieder gut, alter Vater!--Du bist freilich klüger, als ich. Aber
+nicht die Klügsten allein haben die besten Einfälle. Gute Einfälle
+sind Geschenke des Glückes; und das Glück, weißt du wohl, beschenkt
+den Jüngling oft lieber, als den Greis. Denn das Glück ist blind.
+Blind, Parmenio; stockblind gegen alles Verdienst. Wenn es das nicht
+wäre, müßtest du nicht schon lange Feldherr sein?
+
+Parmenio. Sieh, wie du zu schmeicheln weißt, Prinz--Aber im Vertrauen,
+lieber Prinz! Willst du mich nicht etwa bestechen? mit
+Schmeicheleien bestechen?
+
+Philotas. Ich, schmeicheln! Und dich bestechen! Du bist der Mann,
+der sich bestechen läßt!
+
+Parmenio. Wenn du so fortfährest, so kann ich es werden. Schon traue
+ich mir selbst nicht mehr recht!
+
+Philotas. Was wollte ich also sagen?--So einen guten Einfall nun,
+wollte ich sagen, als das Glück oft in das albernste Gehirn wirft, so
+einen habe ich itzo ertappt. Bloß ertappt; von dem Meinigen ist nicht
+das geringste dazugekommen. Denn hätte mein Verstand, meine
+Erfindungskraft einigen Anteil daran; würde ich ihn nicht gern mit dir
+überlegen wollen? Aber so kann ich ihn nicht mit dir überlegen; er
+verschwindet, wenn ich ihn mitteile; so zärtlich, so fein ist er, ich
+getraue mir ihn nicht in Worte zu kleiden; ich denke ihn nur, wie mich
+der Philosoph Gott zu denken gelehrt hat, und aufs höchste könnte ich
+dir nur sagen, was er nicht ist--Möglich zwar genug, daß es im Grunde
+ein kindischer Einfall ist; ein Einfall, den ich für einen glücklichen
+Einfall halte, weil ich noch keinen glücklichern gehabt habe. Aber
+mag er doch; kann er nichts nützen, so kann er doch auch nichts
+schaden. Das weiß ich gewiß; es ist der unschädlichste Einfall von
+der Welt; so unschädlich als--als ein Gebet. Wirst du deswegen zu
+beten unterlassen, weil du nicht ganz gewiß weißt, ob dir das Gebet
+helfen wird?--Verdirb mir immer also meine Freude nicht, Parmenio,
+ehrlicher Parmenio! Ich bitte dich, ich umarme dich--Wenn du mich nur
+ein klein wenig lieb hast--Willst du? Kann ich mich darauf verlassen?
+Willst du machen, daß ich erst morgen ausgewechselt werde? Willst
+du?
+
+Parmenio. Ob ich will? Muß ich nicht? muß ich nicht?--Höre, Prinz,
+wenn du einmal König wirst, gib dich nicht mit dem Befehlen ab.
+Befehlen ist ein unsicheres Mittel, befolgt zu werden. Wem du etwas
+recht Schweres aufzulegen hast, mit dem mache es, wie du es itzt mit
+mir gemacht hast, und wenn er dir alsdenn seinen Gehorsam verweigert--
+Unmöglich! Er kann dir ihn nicht verweigern! Ich muß auch wissen,
+was ein Mann verweigern kann.
+
+Philotas. Was Gehorsam? Was hat die Freundschaft, die du mir
+erweisest, mit dem Gehorsam zu tun? Willst du, mein Freund?--
+
+Parmenio. Hör' auf! hör' auf! Du hast mich schon ganz. Ja doch,
+ich will alles. Ich will es, ich will es deinem Vater sagen, daß er
+dich erst morgen auslösen soll. Warum zwar erst morgen,--das weiß ich
+nicht! Das brauch' ich nicht zu wissen! Das braucht auch er nicht zu
+wissen. Genug, ich weiß, daß du es willst. Und ich will alles, was
+du willst. Willst du sonst nichts? Soll ich sonst nichts tun? Soll
+ich für dich durchs Feuer rennen? Mich für dich vom Felsen
+herabstürzen? Befiehl nur, mein lieber kleiner Freund, befiehl! Itzt
+tu' ich dir alles! Sogar--sage ein Wort, und ich will für dich ein
+Verbrechen, ein Bubenstück begehen! Die Haut schaudert mir zwar; aber
+doch Prinz, wenn du willst, ich will, ich will--
+
+Philotas. O mein bester, feuriger Freund! O du--wie soll ich dich
+nennen?--du Schöpfer meines künftigen Ruhmes! Dir schwöre ich bei
+allem, was mir heilig ist, bei der Ehre meines Vaters, bei dem Glücke
+seiner Waffen, bei der Wohlfahrt seines Landes schwöre ich dir, nie in
+meinem Leben diese deine Bereitwilligkeit, deinen Eifer zu vergessen!
+Möchte ich ihn auch würdig genug belohnen können!--Höret, ihr Götter,
+meinen Schwur!--Und nun Parmenio, schwöre auch du! Schwöre mir, dein
+Wort treulich zu halten.--
+
+Parmenio. Ich schwören? Ich bin zu alt zum Schwören.
+
+Philotas. Und ich bin zu jung, dir ohne Schwur zu trauen. Schwöre
+mir! Ich habe dir bei meinem Vater geschworen, schwöre du mir bei
+deinem Sohne. Du liebst ihn doch, deinen Sohn? Du liebst ihn doch
+recht herzlich?
+
+Parmenio. So herzlich, wie dich!--Du willst es, und ich schwöre. Ich
+schwöre dir, bei meinem einzigen Sohne, bei meinem Blute, das in
+seinen Adern wallet, bei dem Blute, das ich gern für deinen Vater
+geblutet, das auch er gern für dich einst bluten wird, bei diesem
+Blute schwöre ich dir, mein Wort zu halten! Und wenn ich es nicht
+halte, so falle mein Sohn in seiner ersten Schlacht, und erlebe sie
+nicht, die glorreichen Tage deiner Regierung!--Höret, ihr Götter,
+meinen Schwur--
+
+Philotas. Höret ihn noch nicht, ihr Götter!--Du hast mich zum besten,
+Alter. In der ersten Schlacht fallen; meine Regierung nicht erleben:
+ist das ein Unglück? Ist früh sterben ein Unglück?
+
+Parmenio. Das sag' ich nicht. Doch nur deswegen, um dich auf dem
+Throne zu sehen, um dir zu dienen, möchte ich--was ich sonst durchaus
+nicht möchte--noch einmal junge werden--Dein Vater ist gut; aber du
+wirst besser, als er.
+
+Philotas. Kein Lob zum Nachteile meines Vaters!--Ändere deinen Schwur!
+Komm, ändere ihn so: Wenn du dein Wort nicht hältst, so möge dein
+Sohn ein Feiger, ein Nichtswürdiger werden; er möge, wenn er zwischen
+Tod und Schande zu wählen hat, die Schande wählen; er möge neunzig
+Jahre ein Spott der Weiber leben, und noch im neunzigsten Jahre ungern
+sterben.
+
+Parmenio. Ich entsetze mich--doch schwöre ich: das mög' er!--Höret
+den gräßlichsten der Schwüre, ihr Götter!
+
+Philotas. Höret ihn!--Nun gut, nun kannst du gehen, Parmenio. Wir
+haben einander lange genug aufgehalten, und fast zu viel Umstände über
+eine Kleinigkeit gemacht. Denn ist es nicht eine wahre Kleinigkeit,
+meinem Vater zu sagen, ihn zu überreden, daß er mich nicht eher als
+morgen auswechsle? Und wenn er ja die Ursache wissen will; wohl, so
+erdenke dir unter Weges eine Ursache.
+
+Parmenio. Das will ich auch! Ich habe zwar, so alt ich geworden bin,
+noch nie eine Unwahrheit gesonnen. Aber doch, dir zuliebe, Prinz--Laß
+mich nur; das Böse lernt sich auch noch im Alter.--Lebe wohl!
+
+Philotas. Umarme mich!--Geh!
+
+
+
+Sechster Auftritt.
+
+Philotas.
+
+
+Es soll so viele Betrüger in der Welt geben, und das Betrügen ist doch
+so schwer, wenn es auch in der besten Absicht geschieht.--Habe ich
+mich nicht wenden und winden müssen!--Mache nur, guter Parmenio, daß
+mich mein Vater erst morgen auslöset, und er soll mich gar nicht
+auszulösen brauchen.--Nun habe ich Zeit genug gewonnen! Zeit genug,
+mich in meinem Vorsatze zu bestärken--Zeit genug, die sichersten
+Mittel zu wählen.--Mich in meinem Vorsatze zu bestärken?--Wehe mir,
+wenn ich dessen bedarf!--Standhaftigkeit des Alters, wenn du mein Teil
+nicht bist, o so stehe du mir bei, Hartnäckigkeit des Jünglings!
+
+Ja, es bleibt dabei! es bleibt fest dabei!--Ich fühl' es, ich werde
+ruhig,--ich bin ruhig!--Der du itzt da stehest, Philotas--(indem er
+sich selbst betrachtet)--Ha! es muß ein trefflicher, ein großer
+Anblick sein: ein Jüngling gestreckt auf den Boden, das Schwert in der
+Brust!--
+
+Das Schwert? Götter! o ich Elender! ich Ärmster!--Und itzt erst
+werde ich es gewahr? Ich habe kein Schwert; ich habe nichts! Es ward
+die Beute des Kriegers, der mich gefangen nahm.--Vielleicht hätte er
+es mir gelassen, aber Gold war der Heft.--Unseliges Gold, bist du denn
+immer das Verderben der Tugend!
+
+Kein Schwert? Ich kein Schwert?--Götter, barmherzige Götter, dies
+einzige schenket mir! Mächtige Götter, die ihr Erde und Himmel
+erschaffen, ihr könntet mir kein Schwert schaffen,--wenn ihr wolltet?--
+Was ist nun mein großer, schimmernder Entschluß? Ich werde mir selbst
+ein bitteres Gelächter--
+
+Und da kömmt er auch schon wieder, der König.--Still! Wenn ich das
+Kind spielte?--Dieser Gedanke verspricht etwas.--Ja! Vielleicht bin
+ich glücklich--
+
+
+
+Siebenter Auftritt.
+
+Aridäus. Philotas.
+
+
+Aridäus. Nun sind die Boten fort, mein Prinz. Sie sind auf den
+schnellesten Pferden abgegangen, und das Hauptlager deines Vaters ist
+so nahe, daß wir in wenig Stunden Antwort erhalten können.
+
+Philotas. Du bist also, König, wohl sehr ungeduldig, deinen Sohn
+wieder zu umarmen?
+
+Aridäus. Wird es dein Vater weniger sein, dich wieder an seine Brust
+zu drücken?--Laß mich aber, liebster Prinz, deine Gesellschaft
+genießen. In ihr wird mir die Zeit schneller verschwinden; und
+vielleicht, daß es auch sonst glückliche Folgen hat, wenn wir uns
+näher kennen. Liebenswürdige Kinder sind schon oft die
+Mittelspersonen zwischen veruneinigten Vätern gewesen. Folge mir also
+in mein Zelt, wo die besten meiner Befehlshaber deiner warten. Sie
+brennen vor Begierde, dich zu sehen und zu bewundern.
+
+Philotas. Männer, König, müssen kein Kind bewundern. Laß mich also
+nur immer hier. Scham und Ärgernis würden mich eine sehr einfältige
+Person spielen lassen. Und was deine Unterredung mit mir anbelangt--
+da seh' ich vollends nicht, was daraus kommen könnte. Ich weiß weiter
+nichts, als daß du und mein Vater in Krieg verwickelt sind; und das
+Recht--das Recht, glaub' ich, ist auf seiten meines Vaters. Das
+glaub' ich, König, und will es nun einmal glauben--wenn du mir auch
+das Gegenteil unwidersprechlich zeigen könntest. Ich bin Sohn und
+Soldat, und habe weiter keine Einsicht, als die Einsicht meines Vaters
+und meines Feldherrn.
+
+Aridäus. Prinz, es zeiget einen großen Verstand, seinen Verstand so
+zu verleugnen. Doch tut es mir leid, daß ich mich also auch vor dir
+nicht soll rechtfertigen können.--Unseliger Krieg!--
+
+Philotas. Jawohl, unseliger Krieg!--Und wehe seinem Urheber!
+
+Aridäus. Prinz! Prinz! erinnere dich, daß dein Vater das Schwert
+zuerst gezogen. Ich mag in deine Verwünschung nicht einstimmen. Er
+hatte sich übereilt, er war zu argwöhnisch--
+
+Philotas. Nun ja; mein Vater hat das Schwert zuerst gezogen. Aber
+entsteht die Feuersbrunst erst dann, wenn die lichte Flamme durch das
+Dach schlägt? Wo ist das geduldige, gallose, unempfindliche Geschöpf,
+das durch unaufhörliches Necken nicht zu erbittern wäre?--Bedenke,--
+denn du zwingst mich mit aller Gewalt von Dingen zu reden, die mir
+nicht zukommen--bedenke, welch eine stolze, verächtliche Antwort du
+ihm erteiltest, als er--Doch du sollst mich nicht zwingen; ich will
+nicht davon sprechen! Unsere Schuld und Unschuld sind unendlicher
+Mißdeutungen, unendlicher Beschönigungen fähig. Nur dem untrüglichen
+Auge der Götter erscheinen wir, wie wir sind; nur das kann uns richten.
+Die Götter aber, du weißt es, König, sprechen ihr Urteil durch das
+Schwert des Tapfersten. Laß uns den blutigen Spruch aushören! Warum
+wollen wir uns kleinmütig von diesem höchsten Gerichte wieder zu den
+niedrigern wenden? Sind unsere Fäuste schon so müde, daß die
+geschmeidige Zunge sie ablösen müsse?
+
+Aridäus. Prinz, ich höre dich mit Erstaunen--
+
+Philotas. Ach!--Auch ein Weib kann man mit Erstaunen hören!
+
+Aridäus. Mit Erstaunen, Prinz, und nicht ohne Jammer!--Dich hat das
+Schicksal zur Krone bestimmt, dich!--Dir will es die Glückseligkeit
+eines ganzen, mächtigen, edeln Volkes anvertrauen; dir!--Welch eine
+schreckliche Zukunft enthüllt sich mir! Du wirst dein Volk mit
+Lorbeern und Elend überhäufen. Du wirst mehr Siege, als glückliche
+Untertanen zählen.--Wohl mir, daß meine Tage in die deinigen nicht
+reichen werden! Aber wehe meinem Sohne, meinem redlichen Sohne! Du
+wirst es ihm schwerlich vergönnen, den Harnisch abzulegen--
+
+Philotas. Beruhige den Vater, o König! Ich werde deinem Sohne weit
+mehr vergönnen! weit mehr!
+
+Aridäus. Weit mehr? Erkläre dich--
+
+Philotas. Habe ich ein Rätsel gesprochen?--O verlange nicht, König,
+daß ein Jüngling, wie ich, alles mit Bedacht und Absicht sprechen soll.
+--Ich wollte nur sagen: Die Frucht ist oft ganz anders, als die Blüte
+sie verspricht. Ein weibischer Prinz, hat mich die Geschichte gelehrt,
+ward oft ein kriegerischer König. Könnte mit mir sich nicht das
+Gegenteil zutragen?--Oder vielleicht war auch diese meine Meinung, daß
+ich noch einen weiten und gefährlichen Weg zum Throne habe. Wer weiß,
+ob die Götter mich ihn vollenden lassen?--Und laß mich ihn nicht
+vollenden, Vater der Götter und Menschen, wenn du in der Zukunft mich
+als einen Verschwender des Kostbarsten, was du mir anvertrauet, des
+Blutes meiner Untertanen, siehest!--
+
+Aridäus. Ja, Prinz; was ist ein König, wenn er kein Vater ist! Was
+ist ein Held ohne Menschenliebe! Nun erkenne ich auch diese in dir,
+und bin wieder ganz dein Freund!--Aber komm, komm; wir müssen hier
+nicht allein bleiben. Wir sind einer dem andern zu ernsthaft. Folge
+mir!
+
+Philotas. Verzeih, König--
+
+Aridäus. Weigere dich nicht!
+
+Philotas. So wie ich bin, mich vor vielen sehen zu lassen?--
+
+Aridäus. Warum nicht?
+
+Philotas. Ich kann nicht, König; ich kann nicht.
+
+Aridäus. Und die Ursache?
+
+Philotas. O die Ursache!--Sie würde dich zum Lachen bewegen.
+
+Aridäus. Um so viel lieber laß sie mich hören. Ich bin ein Mensch,
+und weine und lache gern.
+
+Philotas. Nun so lache denn!--Sieh, König, ich habe kein Schwert, und
+ich möchte nicht gern, ohne dieses Kennzeichen des Soldaten, unter
+Soldaten erscheinen.
+
+Aridäus. Mein Lachen wird zur Freude. Ich habe in voraus hierauf
+gedacht, und du wirst sogleich befriediget werden. Strato hat Befehl,
+dir dein Schwert wieder zu schaffen.
+
+Philotas. Also laß uns ihn hier erwarten.
+
+Aridäus. Und alsdenn begleitest du mich doch?--
+
+Philotas. Alsdenn werde ich dir auf dem Fuße nachfolgen.
+
+Aridäus. Gewünscht! da kömmt er! Nun, Strato--
+
+
+
+Achter Auftritt.
+
+Strato (mit einem Schwerte in der Hand). Aridäus. Philotas.
+
+
+Strato. König, ich kam zu dem Soldaten, der den Prinzen gefangen
+genommen, und forderte des Prinzen Schwert in deinem Namen von ihm
+zurück. Aber höre, wie edel sich der Soldat weigerte. "Der König",
+sprach er, "muß mir das Schwert nicht nehmen. Es ist ein gutes
+Schwert, und ich werde es für ihn brauchen. Auch muß ich ein Andenken
+von dieser meiner Tat behalten. Bei den Göttern, sie war keine von
+meinen geringsten! Der Prinz ist ein kleiner Dämon. Vielleicht aber
+ist es euch nur um den kostbaren Heft zu tun--" Und hiermit, ehe ich
+es verhindern konnte, hatte seine starke Hand den Heft abgewunden, und
+warf mir ihn verächtlich zu Füßen--"Da ist er!" fuhr er fort. "Was
+kümmert mich euer Gold?"
+
+Aridäus. O Strato, mache mir den Mann wieder gut!--
+
+Strato. Ich tat es. Und hier ist eines von deinen Schwertern!
+
+Aridäus. Gibt her!--Willst du es, Prinz, für das deinige annehmen?
+
+Philotas. Laß sehen!--Ha!--(Beiseite.) Habet Dank, ihr Götter!
+(Indem er es lange und ernsthaft betrachtet.)--Ein Schwert!
+
+Strato. Habe ich nicht gut gewählet, Prinz?
+
+Aridäus. Was findest du deiner tiefsinnigen Aufmerksamkeit so wert
+daran?
+
+Philotas. Daß es ein Schwert ist!--(Indem er wieder zu sich kömmt.)
+Und ein schönes Schwert! Ich werde bei diesem Tausche nichts
+verlieren.--Ein Schwert!
+
+Aridäus. Du zitterst, Prinz.
+
+Philotas. Vor Freuden!--Ein wenig zu kurz scheinet es mir bei alledem.
+Aber was zu kurz? Ein Schritt näher auf den Feind ersetzt, was ihm
+am Eisen abgehet.--Liebes Schwert! Welche eine schöne Sache ist ein
+Schwert, zum Spiele und zum Gebrauche! Ich habe nie mit etwas andern
+gespielt.--
+
+Aridäus (zum Strato). O der wunderbaren Vermischung von Kind und Held!
+
+
+Philotas (beiseite). Liebes Schwert! Wer doch bald mit dir allein
+wäre!--Aber, gewagt!
+
+Aridäus. Nun lege das Schwert an, Prinz; und folge mir.
+
+Philotas. Sogleich!--Doch seinen Freund und sein Schwert muß man
+nicht bloß von außen kennen. (Er zieht es, und Strato tritt zwischen
+ihn und den König.)
+
+Strato. Ich verstehe mich mehr auf den Stahl, als auf die Arbeit.
+Glaube mir Prinz; der Stahl ist gut. Der König hat, in seinen
+männlichen Jahren, mehr als einen Helm damit gespalten.
+
+Philotas. So stark werde ich nicht werden! Immerhin!--Tritt mir
+nicht so nahe, Strato.
+
+Strato. Warum nicht?
+
+Philotas. So! (Indem er zurückspringt, und mit dem Schwerte einen
+Streich durch die Luft tut.) Es hat den Zug, wie es ihn haben muß.
+
+Aridäus. Prinz, schone deines verwundeten Armes! Du wirst dich
+erhitzen!--
+
+Philotas. Woran erinnerst du mich, König?--An mein Unglück; nein, an
+meine Schande! Ich ward verwundet und gefangen! Ja! Aber ich will
+es nie wieder werden! Bei diesem meinem Schwerte, ich will es nie
+wieder werden! Nein, mein Vater, nein! Heut sparet dir ein Wunder
+das schimpfliche Lösegeld für deinen Sohn; künftig spar' es dir sein
+Tor! Sein gewisser Tod, wenn er sich wieder umringt siehet!--Wieder
+umringt?--Entsetzen!--Ich bin es! Ich bin umringt! Was nun?
+Gefährte! Freunde! Brüder! Wo seid ihr? Alle tot? Überall Feinde?--
+Überall! Hier durch, Philotas! Ha! Nimm das, Verwegner!--Und du
+das!--Und du das! (Um sich hauend.)
+
+Strato. Prinz! was geschieht dir? Fasse dich! (Geht auf ihn zu.)
+
+Philotas (sich von ihm entfernend). Auch du, Strato? auch du?--O
+Feind, sei großmütig! Töte mich! Nimm mich nicht gefangen!--Nein,
+ich gebe mich nicht gefangen! Und wenn ihr alle Stratos wäret, die
+ihr mich umringet! Doch will ich mich gegen euch alle, gegen eine
+Welt will ich mich wehren!--Tut euer Bestes, Feinde!--Aber ihr wollt
+nicht? Ihr wollt mich nicht töten, Grausame? Ihr wollt mich mit
+Gewalt lebendig?--Ich lache nur! Mich lebendig gefangen? Mich?--Eher
+will ich dieses mein Schwert, will ich--in diese meine Brust--eher--
+(Er durchsticht sich.)
+
+Aridäus. Götter! Strato!
+
+Strato. König!
+
+Philotas. Das wollt' ich! (Zurücksinkend.)
+
+Aridäus. Halt ihn, Strato!--Hilfe! dem Prinzen zur Hilfe!--Prinz,
+welche wütende Schwermut--
+
+Philotas. Vergib mir, König! ich habe dir einen tödlichern Streich
+versetzt, als mir!--Ich sterbe; und bald werden beruhigte Länder die
+Frucht meines Todes genießen.--Dein Sohn, König, ist gefangen; und der
+Sohn meines Vaters ist frei--
+
+Aridäus. Was hör' ich?
+
+Strato. So war es Vorsatz, Prinz?--Aber als unser Gefangener hattest
+du kein Recht über dich selbst.
+
+Philotas. Sage das nicht, Strato!--Sollte die Freiheit zu sterben,
+die uns die Götter in allen Umständen des Lebens gelassen haben,
+sollte diese ein Mensch dem andern verkümmern können?--
+
+Strato. O König!--Das Schrecken hat ihn versteinert!--König!
+
+Aridäus. Wer ruft?
+
+Strato. König!
+
+Aridäus. Schweig!
+
+Strato. Der Krieg ist aus, König!
+
+Aridäus. Aus? Das leugst du, Strato!--Der Krieg ist nicht aus, Prinz!
+--Stirb nur! stirb! Aber nimm das mit, nimm den quälenden Gedanken
+mit: Als ein wahrer unerfahrner Knabe hast du geglaubt, daß die Väter
+alle von einer Art, alle von der weichlichen, weiblichen Art deines
+Vaters sind.--Sie sind es nicht alle! Ich bin es nicht! Was liegt
+mir an meinem Sohne? Und denkst du, daß er nicht ebensowohl zum
+Besten seines Vaters sterben kann, als du zum Besten des deinigen?--Er
+sterbe! Auch sein Tod erspare mir das schimpfliche Lösegeld!--Strato,
+ich bin nun verwaiset, ich armer Mann!--Du hast einen Sohn; er sei der
+meinige!--Denn einen Sohn muß man doch haben.--Glücklicher Strato!
+
+Philotas. Noch lebt auch dein Sohn, König! Und wird leben! Ich hör'
+es!
+
+Aridäus. Lebt er noch?--So muß ich ihn wieder haben. Stirb du nur!
+Ich will ihn doch wieder haben! Und für dich!--Oder ich will deinem
+toten Körper so viel Unehre, so viel Schmach erzeigen lassen!--Ich
+will ihn--
+
+Philotas. Den toten Körper!--Wenn du dich rächen willst, König, so
+erwecke ihn wieder!--
+
+Aridäus. Ach!--Wo gerat' ich hin!
+
+Philotas. Du daurest mich!--Lebe wohl, Strato! Dort, wo alle
+Tugendhafte Freunde, und alle Tapfere Glieder eines seligen Staates
+sind, im Elysium sehen wir uns wieder!--Auch wir, König, sehen uns
+wieder--
+
+Aridäus. Und versöhnt!--Prinz!--
+
+Philotas. O so empfanget meine triumphierende Seele, ihr Götter; und
+dein Opfer, Göttin des Friedens!
+
+Aridäus. Höre mich, Prinz!--
+
+Strato. Er stirbt!--Bin ich ein Verräter, König, wenn ich deinen
+Feind beweine? Ich kann mich nicht halten. Ein wunderbarer Jüngling!
+
+
+Aridäus. Beweine ihn nur!--Auch ich!--Komm! Ich muß meinen Sohn
+wieder haben! Aber rede mir nicht ein, wenn ich ihn zu teuer erkaufe!--
+Umsonst haben wir Ströme Bluts vergossen; umsonst Länder erobert. Da
+zieht er mit unserer Beute davon, der größere Sieger!--Komm! Schaffe
+mir meinen Sohn! Und wenn ich ihn habe, will ich nicht mehr König
+sein. Glaubt ihr Menschen, daß man es nicht satt wird?--(Gehen ab.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Philotas, von Gotthold Ephraim
+Lessing.
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Philotas, by Gotthold Ephraim Lessing
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK PHILOTAS ***
+
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+Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
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+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
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+Information about Project Gutenberg (one page)
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+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
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