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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:32:44 -0700 |
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If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Die Juden + Ein Lustspiel in einem Aufzuge verfertiget im Jahre 1749. + +Author: Gotthold Ephraim Lessing + +Posting Date: February 24, 2015 [EBook #9110] +Release Date: October, 2005 +First Posted: September 7, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE JUDEN *** + + + + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau + + + + + + + + + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +DIE JUDEN + +von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING + +Ein Lustspiel in einem Aufzuge +Verfertiget im Jahre 1749. + + +Personen: + +Michel Stich +Martin Krumm +Ein Reisender +Christoph, dessen Bedienter +Der Baron +Ein junges Fräulein, dessen Tochter +Lisette + + + + +Erster Auftritt + +Michel Stich. Martin Krumm. + + +Martin Krumm. Du dummer Michel Stich! + +Michel Stich. Du dummer Martin Krumm! + +Martin Krumm. Wir wollen's nur gestehen, wir sind beide erzdumm +gewesen. Es wäre ja auf einen nicht angekommen, den wir mehr +totgeschlagen hätten! + +Michel Stich. Wie hätten wir es aber klüger können anfangen? Waren +wir nicht gut vermummt? war nicht der Kutscher auf unsrer Seite? +konnten wir was dafür, daß uns das Glück so einen Querstrich machte? +Habe ich doch vielhundertmal gesagt: das verdammte Glücke! ohne das +kann man nicht einmal ein guter Spitzbube sein. + +Martin Krumm. Je nu, wenn ich's beim Lichte besehe, so sind wir kaum +dadurch auf ein paar Tage länger dem Stricke entgangen. + +Michel Stich. Ah, es hat sich was mit dem Stricke! Wenn alle Diebe +gehangen würden, die Galgen müßten dichter stehn. Man sieht ja kaum +aller zwei Meilen einen; und wo auch einer steht, steht er meist leer. +Ich glaube, die Herren Richter werden, aus Höflichkeit, die Dinger +gar eingehen lassen. Zu was sind sie auch nütze? Zu nichts, als aufs +höchste, daß unsereiner, wenn er vorbeigeht, die Augen zublinzt. + +Martin Krumm. Oh! das tu ich nicht einmal. Mein Vater und mein +Großvater sind daran gestorben, was will ich's besser verlangen? Ich +schäme mich meiner Eltern nicht. + +Michel Stich. Aber die ehrlichen Leute werden sich deiner schämen. +Du hast noch lange nicht so viel getan, daß man dich für ihren rechten +und echten Sohn halten kann. + +Martin Krumm. Oh! denkst du denn, daß es deswegen unserm Herrn soll +geschenkt sein? Und an dem verzweifelten Fremden, der uns so einen +fetten Bissen aus dem Munde gerissen hat, will ich mich gewiß auch +rächen. Seine Uhr soll er so richtig müssen dalassen--Ha! sieh, da +kömmt er gleich. Hurtig geh fort! ich will mein Meisterstück machen. + +Michel Stich. Aber halbpart! halbpart! + + + +Zweiter Auftritt + +Martin Krumm. Der Reisende. + + +Martin Krumm. Ich will mich dumm stellen.--Ganz dienstwilliger Diener, +mein Herr,--ich werde Martin Krumm heißen, und werde, auf diesem Gute +hier, wohlbestallter Vogt sein. + +Der Reisende. Das glaube ich Euch, mein Freund. Aber habt Ihr nicht +meinen Bedienten gesehen? + +Martin Krumm. Ihnen zu dienen, nein; aber ich habe wohl von Dero +preiswürdigen Person sehr viel Gutes zu hören die Ehre gehabt. Und es +erfreut mich also, daß ich die Ehre habe, die Ehre Ihrer Bekanntschaft +zu genießen. Man sagt, daß Sie unsern Herrn gestern abends, auf der +Reise, aus einer sehr gefährlichen Gefahr sollen gerissen haben. Wie +ich nun nicht anders kann, als mich des Glücks meines Herrn zu +erfreuen, so erfreu ich mich-- + +Der Reisende. Ich errate, was Ihr wollt; +Ihr wollt Euch bei mir bedanken, daß ich Eurem Herrn beigestanden +habe-- + +Martin Krumm. Ja, ganz recht; eben das! + +Der Reisende. Ihr seid ein ehrlicher Mann-- + +Martin Krumm. Das bin ich! Und mit der Ehrlichkeit kömmt man immer +auch am weitesten. + +Der Reisende. Es ist mir kein geringes Vergnügen, daß ich mir, durch +eine so kleine Gefälligkeit, so viel rechtschaffne Leute verbindlich +gemacht habe. Ihre Erkenntlichkeit ist eine überflüssige Belohnung +dessen, was ich getan habe. Die allgemeine Menschenliebe verband mich +darzu. Es war meine Schuldigkeit; und ich müßte zufrieden sein, wenn +man es auch für nichts anders, als dafür, angesehen hätte. Ihr seid +allzu gütig, ihr lieben Leute, daß ihr euch dafür bei mir bedanket, +was ihr mir, ohne Zweifel, mit ebenso vielem Eifer würdet erwiesen +haben, wenn ich mich in ähnlicher Gefahr befunden hätte. Kann ich +Euch sonst worin dienen, mein Freund? + +Martin Krumm. Oh! mit dem Dienen, mein Herr, will ich Sie nicht +beschweren. Ich habe meinen Knecht, der mich bedienen muß, wann's +nötig ist. Aber--wissen möcht ich wohl gern, wie es doch dabei +zugegangen wäre? Wo war's denn? Waren's viel Spitzbuben? Wollten +sie unsern guten Herrn gar ums Leben bringen, oder wollten sie ihm nur +sein Geld abnehmen? Es wäre doch wohl eins besser gewesen, als das +andre. + +Der Reisende. Ich will Euch mit wenigem den ganzen Verlauf erzählen. +Es mag ohngefähr eine Stunde von hier sein, wo die Räuber Euren Herrn, +in einem hohlen Wege, angefallen hatten. Ich reisete eben diesen Weg, +und sein ängstliches Schreien um Hülfe bewog mich, daß ich nebst +meinem Bedienten eilends herzuritt. + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Ich fand ihn in einem offnen Wagen-- + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Zwei vermummte Kerle-- + +Martin Krumm. Vermummte? ei! ei! + +Der Reisende. Ja! machten sich schon über ihn her. + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Ob sie ihn umbringen, oder ob sie ihn nur binden +wollten, ihn alsdann desto sichrer zu plündern, weiß ich nicht. + +Martin Krumm. Ei! ei! Ach freilich werden sie ihn wohl haben +umbringen wollen: die gottlosen Leute! + +Der Reisende. Das will ich eben nicht behaupten, aus Furcht ihnen +zuviel zu tun. + +Martin Krumm. Ja, ja, glauben Sie mir nur, sie haben ihn umbringen +wollen. Ich weiß, ich weiß ganz gewiß-- + +Der Reisende. Woher könnt Ihr +das wissen? Doch es sei. Sobald mich die Räuber ansichtig wurden, +verließen sie ihre Beute, und liefen über Macht dem nahen Gebüsche zu. +Ich lösete das Pistol auf einen. Doch es war schon zu dunkel, und er +schon zu weit entfernt, daß ich also zweifeln muß, ob ich ihn +getroffen habe. + +Martin Krumm. Nein, getroffen haben Sie ihn nicht;-- + +Der Reisende. Wißt Ihr es? + +Martin Krumm. Ich meine nur so, weil's doch schon finster gewesen ist: +und im Finstern soll man, hör ich, nicht gut zielen können. + +Der Reisende. Ich kann Euch nicht beschreiben, wie erkenntlich sich +Euer Herr gegen mich bezeugte. Er nannte mich hundertmal seinen +Erretter und nötigte mich, mit ihm auf sein Gut zurückzukehren. Ich +wollte wünschen, daß es meine Umstände zuließen, länger um diesen +angenehmen Mann zu sein; so aber muß ich mich noch heute wieder auf +den Weg machen--Und eben deswegen suche ich meinen Bedienten. + +Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich doch die Zeit bei mir nicht so lang +werden. Verziehen Sie noch ein wenig--Ja! was wollte ich denn noch +fragen? Die Räuber,--sagen Sie mir doch--wie sahen sie denn aus? Wie +gingen sie denn? Sie hatten sich verkleidet; aber wie? + +Der Reisende. Euer Herr will durchaus behaupten, es wären Juden +gewesen. Bärte hatten sie, das ist wahr; aber ihre Sprache war die +ordentliche hiesige Baurensprache. Wenn sie vermummt waren, wie ich +gewiß glaube, so ist ihnen die Dämmerung sehr wohl zustatten gekommen. +Denn ich begreife nicht, wie Juden die Straßen sollten können +unsicher machen, da doch in diesem Lande so wenige geduldet werden. + +Martin Krumm. Ja, ja, das glaub ich ganz gewiß auch, daß es Juden +gewesen sind. Sie mögen das gottlose Gesindel noch nicht so kennen. +So viel als ihrer sind, keinen ausgenommen, sind Betrüger, Diebe und +Straßenräuber. Darum ist es auch ein Volk, das der liebe Gott +verflucht hat. Ich dürfte nicht König sein: ich ließ' keinen, keinen +einzigen am Leben. Ach! Gott behüte alle rechtschaffne Christen vor +diesen Leuten! Wenn sie der liebe Gott nicht selber haßte, weswegen +wären denn nur vor kurzem, bei dem Unglücke in Breslau, ihrer bald +noch einmal soviel als Christen geblieben? Unser Herr Pfarr erinnerte +das sehr weislich in der letzten Predigt. Es ist, als wenn sie +zugehört hätten, daß sie sich gleich deswegen an unserm guten Herrn +haben rächen wollen. Ach! mein lieber Herr, wenn Sie wollen Glück und +Segen in der Welt haben, so hüten Sie sich vor den Juden ärger als vor +der Pest. + +Der Reisende. Wollte Gott, daß das nur die Sprache des Pöbels wäre! + +Martin Krumm. Mein Herr, zum Exempel: Ich bin einmal auf der Messe +gewesen--ja! wenn ich an die Messe gedenke, so möchte ich gleich die +verdammten Juden alle auf einmal mit Gift vergeben, wenn ich nur +könnte. Dem einen hatten sie im Gedränge das Schnupftuch, dem andern +die Tobaksdose, dem dritten die Uhr, und ich weiß nicht was sonst mehr, +wegstibitzt. Geschwind sind sie, ochsenmäßig geschwind, wenn es aufs +Stehlen ankömmt. So behende, als unser Schulmeister nimmermehr auf +der Orgel ist. Zum Exempel, mein Herr: Erstlich drängen sie sich an +einen heran, so wie ich mich ungefähr jetzt an Sie-- + +Der Reisende. Nur ein wenig höflicher, mein Freund!-- + +Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich's doch nur weisen. Wenn sie nun so +stehen,--sehen Sie,--wie der Blitz sind sie mit der Hand nach der +Uhrtasche. (Er fährt mit der Hand, anstatt nach der Uhr, in die +Rocktasche, und nimmt ihm seine Tobaksdose heraus.) Das können sie nun +aber alles so geschickt machen, daß man schwören sollte, sie führen +mit der Hand dahin, wenn sie dorthin fahren. Wenn sie von der +Tobaksdose reden, so zielen sie gewiß nach der Uhr, und wenn sie von +der Uhr reden, so haben sie gewiß die Tobaksdose zu stehlen im Sinne. +(Er will ganz sauber nach der Uhr greifen, wird aber ertappt.) + +Der Reisende. Sachte! sachte! Was hat Eure Hand hier zu suchen? + +Martin Krumm. Da können Sie sehn, mein Herr, was ich für ein +ungeschickter Spitzbube sein würde. Wenn ein Jude schon so einen +Griff getan hätte, so wäre es gewiß um die gute Uhr geschehn +gewesen--Doch weil ich sehe, daß ich Ihnen beschwerlich falle, so +nehme ich mir die Freiheit, mich Ihnen bestens zu empfehlen, und +verbleibe zeitlebens für Dero erwiesene Wohltaten, meines +hochzuehrenden Herrn gehorsamster Diener, Martin Krumm, wohlbestallter +Vogt auf diesem hochadeligen Rittergute. + +Der Reisende. Geht nur, geht. + +Martin Krumm. Erinnern Sie sich ja, was ich Ihnen von den Juden +gesagt habe. Es ist lauter gottloses diebisches Volk. + + + +Dritter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Vielleicht ist dieser Kerl, so dumm er ist, oder sich +stellt, ein boshafterer Schelm, als je einer unter den Juden gewesen +ist. Wenn ein Jude betrügt, so hat ihn, unter neun Malen, der Christ +vielleicht siebenmal dazu genötiget. Ich zweifle, ob viel Christen +sich rühmen können, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu sein: und +sie wundern sich, wenn er ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten +sucht? Sollen Treu' und Redlichkeit unter zwei Völkerschaften +herrschen, so müssen beide gleich viel dazu beitragen. Wie aber, wenn +es bei der einen ein Religionspunkt und beinahe ein verdienstliches +Werk wäre, die andre zu verfolgen? Doch-- + + + +Vierter Auftritt + +Der Reisende. Christoph. + + +Der Reisende. Daß man Euch doch allezeit eine Stunde suchen muß, wenn +man Euch haben will. + +Christoph. Sie scherzen, mein Herr. Nicht wahr, ich kann nicht mehr, +als an einem Orte zugleich sein? Ist es also meine Schuld, daß Sie +sich nicht an diesen Ort begeben? Gewiß Sie finden mich allezeit da, +wo ich bin. + +Der Reisende. So? und Ihr taumelt gar? Nun begreif ich, warum Ihr so +sinnreich seid. Müßt Ihr Euch denn schon frühmorgens besaufen? + +Christoph. Sie reden von Besaufen, und ich habe kaum zu trinken +angefangen. Ein paar Flaschen guten Landwein, ein paar Gläser +Branntwein, und eine Mundsemmel ausgenommen, habe ich, so wahr ich ein +ehrlicher Mann bin, nicht das geringste zu mir genommen. Ich bin noch +ganz nüchtern. + +Der Reisende. Oh! das sieht man Euch an. Und ich rate Euch, als ein +Freund, die Portion zu verdoppeln. + +Christoph. Vortrefflicher Rat! Ich werde nicht unterlassen, ihn, +nach meiner Schuldigkeit, als einen Befehl anzusehen. Ich gehe, und +Sie sollen sehen, wie gehorsam ich zu sein weiß. + +Der Reisende. Seid klug! Ihr könnt dafür gehn, und die Pferde +satteln und aufpacken. Ich will noch diesen Vormittag fort. + +Christoph. Wenn Sie mir im Scherze geraten haben, ein doppeltes +Frühstück zu nehmen, wie kann ich mir einbilden, daß Sie jetzt im +Ernste reden? Sie scheinen sich heute mit mir erlustigen zu wollen. +Macht Sie etwa das junge Fräulein so aufgeräumt? Oh! es ist ein +allerliebstes Kind.--Nur noch ein wenig älter, ein klein wenig älter +sollte sie sein. Nicht wahr, mein Herr? wenn das Frauenzimmer nicht +zu einer gewissen Reife gelangt ist,-- + +Der Reisende. Geht, und tut, was ich Euch befohlen habe. + +Christoph. Sie werden ernsthaft. Nichtsdestoweniger werde ich warten, +bis Sie mir es das drittemal befehlen. Der Punkt ist zu wichtig! +Sie könnten sich übereilt haben. Und ich bin allezeit gewohnt gewesen, +meinen Herren Bedenkzeit zu gönnen. Überlegen Sie es wohl, einen +Ort, wo wir fast auf den Händen getragen werden, so zeitig wieder zu +verlassen? Gestern sind wir erst gekommen. Wir haben uns um den +Herrn unendlich verdient gemacht, und gleichwohl bei ihm kaum eine +Abendmahlzeit und ein Frühstück genossen. + +Der Reisende. Eure Grobheit ist unerträglich. Wenn man sich zu +dienen entschließt, sollte man sich gewöhnen, weniger Umstände zu +machen. + +Christoph. Gut, mein Herr! Sie fangen an zu moralisieren, das ist: +Sie werden zornig. Mäßigen Sie sich; ich gehe schon-- + +Der Reisende. Ihr müßt wenig Überlegungen zu machen gewohnt sein. +Das, was wir diesem Herrn erwiesen haben, verlieret den Namen einer +Wohltat, sobald wir die geringste Erkenntlichkeit dafür zu erwarten +scheinen. Ich hätte mich nicht einmal sollen mit hieher nötigen +lassen. Das Vergnügen, einem Unbekannten ohne Absicht beigestanden zu +haben, ist schon vor sich so groß! Und er selbst würde uns mehr Segen +nachgewünscht haben, als er uns jetzt übertriebene Danksagung hält. +Wen man in die Verbindlichkeit setzt, sich weitläuftig, und mit dabei +verknüpften Kosten zu bedanken, der erweiset uns einen Gegendienst, +der ihm vielleicht saurer wird, als uns unsere Wohltat geworden. Die +meisten Menschen sind zu verderbt, als daß ihnen die Anwesenheit eines +Wohltäters nicht höchst beschwerlich sein sollte. Sie scheint ihren +Stolz zu erniedrigen;-- + +Christoph. Ihre Philosophie, mein Herr, bringt Sie um den Atem. Gut! +Sie sollen sehen, daß ich ebenso großmütig bin, als Sie. Ich gehe; +in einer Viertelstunde sollen Sie sich aufsetzen können. + + + +Fünfter Auftritt + +Der Reisende. Das Fräulein. + + +Der Reisende. So wenig ich mich mit diesem Menschen gemein gemacht +habe, so gemein macht er sich mit mir. + +Das Fräulein. Warum verlassen Sie uns, mein Herr? Warum sind Sie +hier so allein? Ist Ihnen unser Umgang schon die wenigen Stunden, die +Sie bei uns sind, zuwider geworden? Es sollte mir leid tun. Ich +suche aller Welt zu gefallen; und Ihnen möchte ich, vor allen andern, +nicht gern mißfallen. + +Der Reisende. Verzeihen Sie mir, Fräulein. Ich habe nur meinem +Bedienten befehlen wollen, alles zur Abreise fertig zu halten. + +Das Fräulein. Wovon reden Sie? von Ihrer Abreise? Wenn war denn Ihre +Ankunft? Es sei noch, wenn Sie über Jahr und Tag eine melancholische +Stunde auf diesen Einfall brächte. Aber wie, nicht einmal einen +völligen Tag aushalten wollen? Das ist zu arg. Ich sage es ihnen, +ich werde böse, wenn Sie noch einmal daran gedenken. + +Der Reisende. Sie könnten mir nichts Empfindlichers drohen. + +Das Fräulein. Nein? im Ernst? ist es wahr, würden Sie empfindlich +sein, wenn ich böse auf Sie würde? + +Der Reisende. Wem sollte der Zorn eines liebenswürdigen Frauenzimmers +gleichgültig sein können? + +Das Fräulein. Was Sie sagen, klingt zwar beinahe, als wenn Sie +spotten wollten, doch ich will es für Ernst aufnehmen; gesetzt, ich +irrte mich auch. Also, mein Herr,--ich bin ein wenig liebenswürdig, +wie man mir gesagt hat,--und ich sage Ihnen noch einmal, ich werde +entsetzlich, entsetzlich zornig werden, wenn Sie, binnen hier und dem +neuen Jahr, wieder an Ihre Abreise gedenken. + +Der Reisende. Der Termin ist sehr liebreich bestimmt. Alsdann +wollten Sie mir, mitten im Winter, die Türe weisen; und bei dem +unbequemsten Wetter-Das Fräulein. Ei! wer sagt das? Ich sage nur, +daß Sie alsdann, des Wohlstands halber, etwa einmal an die Abreise +denken können. Wir werden Sie deswegen nicht fortlassen; wir wollen +Sie schon bitten-- + +Der Reisende. Vielleicht auch des Wohlstands halber? + +Das Fräulein. Ei! seht, man sollte nicht glauben, daß ein so +ehrliches Gesicht auch spotten könnte.--Ah! da kömmt der Papa. Ich +muß fort! Sagen Sie ja nicht, daß ich bei Ihnen gewesen bin. Er +wirft mir so oft genug vor, daß ich gern um Mannspersonen wäre. + + + +Sechster Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. + + +Der Baron. War nicht meine Tochter bei Ihnen? Warum läuft denn das +wilde Ding? + +Der Reisende. Das Glück ist unschätzbar, eine so angenehme und muntre +Tochter zu haben. Sie bezaubert durch ihre Reden, in welchen die +liebenswürdigste Unschuld, der ungekünsteltste Witz herrschst. + +Der Baron. Sie urteilen zu gütig von ihr. Sie ist wenig unter +ihresgleichen gewesen, und besitzt die Kunst zu gefallen, die man +schwerlich auf dem Lande erlernen kann, und die doch oft mehr, als die +Schönheit selbst vermag, in einem sehr geringen Grade. Es ist alles +bei ihr noch die sich selbst gelaßne Natur. + +Der Reisende. Und diese ist desto einnehmender, je weniger man sie in +den Städten antrifft. Alles ist da verstellt, gezwungen und erlernt. +Ja man ist schon so weit darin gekommen, daß man Dummheit, Grobheit +und Natur für gleich viel bedeutende Wörter hält. + +Der Baron. Was könnte mir angenehmer sein, als daß ich sehe, wie +unsre Gedanken und Urteile so sehr übereinstimmen? Oh! daß ich nicht +längst einen Freund Ihresgleichen gehabt habe! + +Der Reisende. Sie werden ungerecht gegen Ihre übrigen Freunde. + +Der Baron. Gegen meine übrigen Freunde, sagen Sie? Ich bin funfzig +Jahr alt.--Bekannte habe ich gehabt, aber noch keinen Freund. Und +niemals ist mir die Freundschaft so reizend vorgekommen, als seit den +wenigen Stunden, da ich nach der Ihrigen strebe. Wodurch kann ich sie +verdienen? + +Der Reisende. Meine Freundschaft bedeutet so wenig; daß das bloße +Verlangen darnach ein genugsames Verdienst ist, sie zu erhalten. Ihre +Bitte ist weit mehr wert, als das, was Sie bitten. + +Der Baron. Oh, mein Herr, die Freundschaft eines Wohltäters-Der +Reisende. Erlauben Sie,--ist keine Freundschaft. Wenn Sie mich unter +dieser falschen Gestalt betrachten, so kann ich Ihr Freund nicht sein. +Gesetzt einen Augenblick, ich wäre Ihr Wohltäter: würde ich nicht zu +befürchten haben, daß Ihre Freundschaft nichts, als eine wirksame +Dankbarkeit wäre? + +Der Baron. Sollte sich beides nicht verbinden lassen? + +Der Reisende. Sehr schwer! Diese hält ein edles Gemüt für seine +Pflicht; jene erfodert lauter willkürliche Bewegungen der Seele. + +Der Baron. Aber wie sollte ich--Ihr allzu zärtlicher Geschmack macht +mich ganz verwirrt.-- + +Der Reisende. Schätzen Sie mich nur nicht höher, als ich es verdiene. +Aufs höchste bin ich ein Mensch, der seine Schuldigkeit mit Vergnügen +getan hat. Die Schuldigkeit an sich selbst ist keiner Dankbarkeit +wert. Daß ich sie aber mit Vergnügen getan habe, dafür bin ich +genugsam durch Ihre Freundschaft belohnt. + +Der Baron. Diese Großmut verwirrt mich nur noch mehr.--Aber ich bin +vielleicht zu verwegen.--Ich habe mich noch nicht unterstehen wollen, +nach Ihrem Namen, nach Ihrem Stande zu fragen.--Vielleicht biete ich +meine Freundschaft einem an, der--der sie zu verachten-- + +Der Reisende. Verzeihen Sie, mein Herr!--Sie--Sie machen sich--Sie +haben allzu große Gedanken von mir. + +Der Baron (beiseite). Soll ich ihn wohl fragen? Er kann meine +Neugierde übelnehmen. + +Der Reisende (beiseite). Wenn er mich fragt, was werde ich ihm +antworten? + +Der Baron (beiseite). Frage ich ihn nicht, so kann er es als eine +Grobheit auslegen. + +Der Reisende (beiseite). Soll ich ihm die Wahrheit sagen? + +Der Baron (beiseite). Doch ich will den sichersten Weg gehen. Ich +will erst seinen Bedienten ausfragen lassen. + +Der Reisende (beiseite). Könnte ich doch dieser Verwirrung überhoben +sein!-- + +Der Baron. Warum so nachdenkend? + +Der Reisende. Ich war gleich bereit, diese Frage an Sie zu tun, mein +Herr-- + +Der Baron. Ich weiß es, man vergißt sich dann und wann. Lassen Sie +uns von etwas andern reden--Sehen Sie, daß es wirkliche Juden gewesen +sind, die mich angefallen haben? Nur jetzt hat mir mein Schulze +gesagt, daß er vor einigen Tagen ihrer drei auf der Landstraße +angetroffen. Wie er sie mir beschreibt, haben sie Spitzbuben +ähnlicher, als ehrlichen Leuten, gesehen. Und warum sollte ich auch +daran zweifeln? Ein Volk, das auf den Gewinst so erpicht ist, fragt +wenig darnach, ob es ihn mit Recht oder Unrecht, mit List oder +Gewaltsamkeit erhält.--Es scheinet auch zur Handelschaft, oder deutsch +zu reden, zur Betrügerei gemacht zu sein. Höflich, frei, unternehmend, +verschwiegen, sind Eigenschaften, die es schätzbar machen würden, +wenn es sie nicht allzusehr zu unserm Unglück anwendete--(Er hält +etwas inne.)--Die Juden haben mir sonst schon nicht wenig Schaden und +Verdruß gemacht. Als ich noch in Kriegsdiensten war, ließ ich mich +bereden, einen Wechsel für einen meiner Bekannten mit zu +unterschreiben; und der Jude, an den er ausgestellet war, brachte mich +nicht allein dahin, daß ich ihn bezahlen, sondern, daß ich ihn sogar +zweimal bezahlen mußte.--Oh! es sind die allerboshaftesten, +niederträchtigsten Leute.--Was sagen sie dazu? Sie scheinen ganz +niedergeschlagen. + +Der Reisende. Was soll ich sagen? Ich muß sagen, daß ich diese Klage +sehr oft gehört habe-- + +Der Baron. Und ist es nicht wahr, ihre Gesichtsbildung hat gleich +etwas, das uns wider sie einnimmt? Das Tückische, das Ungewissenhafte, +das Eigennützige, Betrug und Meineid, sollte man sehr deutlich aus +ihren Augen zu lesen glauben.--Aber, warum kehren Sie sich von mir? + +Der Reisende. Wie ich höre, mein Herr, so sind Sie ein großer Kenner +der Physiognomie, und ich besorge, daß die meinige-- + +Der Baron. Oh! Sie kränken mich. Wie können Sie auf dergleichen +Verdacht kommen? Ohne ein Kenner der Physiognomie zu sein, muß ich +Ihnen sagen, daß ich nie eine so aufrichtige, großmütige und gefällige +Miene gefunden habe, als die Ihrige. + +Der Reisende. Ihnen die Wahrheit zu gestehn: ich bin kein Freund +allgemeiner Urteile über ganze Völker--Sie werden meine Freiheit nicht +übelnehmen.--Ich sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute und +böse Seelen geben könne. Und unter den Juden-- + + + +Siebenter Auftritt + +Das Fräulein. Der Reisende. Der Baron. + + +Das Fräulein. Ach! Papa-- + +Der Baron. Nu, nu! fein wild, fein wild! Vorhin liefst du vor mir: +was sollte das bedeuten?-Das Fräulein. Vor Ihnen bin ich nicht +gelaufen, Papa: sondern nur vor Ihrem Verweise. + +Der Baron. Der Unterscheid ist sehr subtil. Aber was war es denn, +das meinen Verweis verdiente? + +Das Fräulein. Oh! Sie werden es schon wissen. Sie sahen es ja! Ich +war bei dem Herrn-- + +Der Baron. Nun? und-Das Fräulein. Und der Herr ist eine Mannsperson, +und mit den Mannspersonen, haben Sie befohlen, mir nicht allzuviel zu +tun zu machen.-- + +Der Baron. Daß dieser Herr eine Ausnahme sei, hättest du wohl merken +sollen. Ich wollte wünschen, daß er dich leiden könnte--Ich werde es +mit Vergnügen sehen, wenn du auch beständig um ihn bist. + +Das Fräulein. Ach!--es wird wohl das erste- und letztemal gewesen +sein. Sein Diener packt schon auf--Und das wollte ich Ihnen eben +sagen. + +Der Baron. Was? wer? sein Diener? + +Der Reisende. Ja, mein Herr, ich hab es ihm befohlen. Meine +Verrichtungen und die Besorgnis, Ihnen beschwerlich zu fallen-Der +Baron. Was soll ich ewig davon denken? Soll ich das Glück nicht +haben, Ihnen näher zu zeigen, daß Sie sich ein erkenntliches Herz +verbindlich gemacht haben? Oh! ich bitte Sie, fügen Sie zu Ihrer +Wohltat noch die andre hinzu, die mir ebenso schätzbar, als die +Erhaltung meines Lebens, sein wird; bleiben Sie einige Zeit +--wenigstens einige Tage bei mir; ich würde mir es ewig vorzuwerfen +haben, daß ich einen Mann, wie Sie, ungekannt, ungeehrt, unbelohnt, +wenn es anders in meinem Vermögen steht, von mir gelassen hätte. +Ich habe einige meiner Anverwandten auf heute einladen lassen, mein +Vergnügen mit ihnen zu teilen, und ihnen das Glück zu verschaffen, +meinen Schutzengel kennenzulernen. + +Der Reisende. Mein Herr, ich muß notwendig-Das Fräulein. Dableiben, +mein Herr, dableiben! Ich laufe, Ihrem Bedienten zu sagen, daß er +wieder abpacken soll. Doch da ist er schon. + + + +Achter Auftritt + +Christoph (in Stiefeln und Sporen, und zwei Mantelsäcke unter den +Armen). Die Vorigen. + + +Christoph. Nun! mein Herr, es ist alles fertig. Fort! kürzen Sie +Ihre Abschiedsformeln ein wenig ab. Was soll das viele Reden, wenn +wir nicht dableiben können? + +Der Baron. Was hindert euch denn, hierzubleiben? + +Christoph. Gewisse Betrachtungen, mein Herr Baron, die den Eigensinn +meines Herrn zum Grunde, und seine Großmut zum Vorwande haben. + +Der Reisende. Mein Diener ist öfters nicht klug: verzeihen Sie ihm. +Ich sehe, daß Ihre Bitten in der Tat mehr als Komplimente sind. Ich +ergebe mich; damit ich nicht aus Furcht grob zu sein, eine Grobheit +begehen möge. + +Der Baron. Oh! was für Dank bin ich Ihnen schuldig! + +Der Reisende. Ihr könnt nur gehen, und wieder abpacken! Wir wollen +erst morgen fort. + +Das Fräulein. Nu! hört Er nicht? Was steht Er denn da? Er soll gehn, +und wieder abpacken. + +Christoph. Von Rechts wegen sollte ich böse werden. Es ist mir auch +beinahe, als ob mein Zorn erwachen wollte; doch weil nichts Schlimmers +daraus erfolgt, als daß wir hier bleiben, und zu essen und zu trinken +bekommen, und wohl gepflegt werden, so mag es sein! Sonst laß ich mir +nicht gern unnötige Mühe machen: wissen Sie das? + +Der Reisende. Schweigt! Ihr seid zu unverschämt. + +Christoph. Denn ich sage die Wahrheit. + +Das Fräulein. Oh! das ist vortrefflich, daß Sie bei uns bleiben. Nun +bin ich Ihnen noch einmal so gut. Kommen Sie, ich will Ihnen unsern +Garten zeigen; er wird Ihnen gefallen. + +Der Reisende. Wenn er Ihnen gefällt, Fräulein, so ist es schon so gut, +als gewiß. + +Das Fräulein. Kommen Sie nur;--unterdessen wird es Essenszeit. Papa, +Sie erlauben es doch? + +Der Baron. Ich werde euch sogar begleiten. + +Das Fräulein. Nein, nein, das wollen wir Ihnen nicht zumuten. Sie +werden zu tun haben. + +Der Baron. Ich habe jetzt nichts Wichtigers zu tun, als meinen Gast +zu vergnügen. + +Das Fräulein. Er wird es Ihnen nicht übelnehmen: nicht wahr, mein +Herr? (Sachte zu ihm.) Sprechen Sie doch Nein. Ich möchte gern mit +Ihnen allein gehen. + +Der Reisende. Es wird mich gereuen, daß ich mich so leicht habe +bewegen lassen, hierzubleiben, sobald ich sehe, daß ich Ihnen im +geringsten verhinderlich bin. Ich bitte also-- + +Der Baron. Oh! warum kehren Sie sich an des Kindes Rede? + +Das Fräulein. Kind?--Papa!--beschämen Sie mich doch nicht so!--Der +Herr wird denken, wie jung ich bin!--Lassen Sie es gut sein; ich bin +alt genug, mit Ihnen spazieren zu gehen.--Kommen Sie!--Aber sehen Sie +einmal: Ihr Diener steht noch da, und hat die Mantelsäcke unter den +Armen. + +Christoph. Ich dächte, das ginge nur den an, dem es sauer wird? + +Der Reisende. Schweigt! Man erzeigt Euch zuviel Ehre-- + + + +Neunter Auftritt + +Lisette. Die Vorigen. + + +Der Baron (indem er Lisetten kommen sieht). Mein Herr, ich werde +Ihnen gleich nachfolgen, wann es Ihnen gefällig ist, meine Tochter in +den Garten zu begleiten. + +Das Fräulein. Oh! bleiben Sie so lange, als es Ihnen gefällt. Wir +wollen uns schon die Zeit vertreiben. Kommen Sie! + +(Das Fräulein und der Reisende gehen ab.) + +Der Baron. Lisette, dir habe ich etwas zu sagen!-- + +Lisette. Nu? + +Der Baron (sachte zu ihr). Ich weiß noch nicht, wer unser Gast ist. +Gewisser Ursachen wegen mag ich ihn auch nicht fragen. Könntest du +nicht von seinem Diener-- + +Lisette. Ich weiß, was Sie wollen. Dazu trieb mich meine +Neugierigkeit von selbst, und deswegen kam ich hieher.-- + +Der Baron. Bemühe dich also,--und gib mir Nachricht davon. Du wirst +Dank bei mir verdienen. + +Lisette. Gehen Sie nur. + +Christoph. Sie werden es also nicht übelnehmen, mein Herr, daß wir es +uns bei Ihnen gefallen lassen. Aber ich bitte, machen Sie sich +meinetwegen keine Ungelegenheit; ich bin mit allem zufrieden, was da +ist. + +Der Baron. Lisette, ich übergebe ihn deiner Aufsicht. Laß ihn an +nichts Mangel leiden. (Geht ab.) + +Christoph. Ich empfehle mich also, Mademoisell, Dero gütigen Aufsicht, +die mich an nichts wird Mangel leiden lassen (will abgehen). + + + +Zehnter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette (hält ihn auf). Nein, mein Herr, ich kann es unmöglich über +mein Herz bringen, Sie so unhöflich sein zu lassen--Bin ich denn nicht +Frauenzimmers genug, um einer kurzen Unterhaltung wert zu sein? + +Christoph. Der Geier! Sie nehmen die Sache genau, Mamsell. Ob Sie +Frauenzimmers genug oder zuviel sind, kann ich nicht sagen. Wenn ich +zwar aus Ihrem gesprächigen Munde schließen sollte, so dürfte ich +beinahe das letzte behaupten. Doch dem sei, wie ihm wolle; jetzt +werden Sie mich beurlauben;--Sie sehen, ich habe Hände und Arme voll. +--Sobald mich hungert oder dürstet, werde ich bei Ihnen sein. + +Lisette. So macht's unser Schirrmeister auch. + +Christoph. Der Henker! das muß ein gescheuter Mann sein: er macht's +wie ich! + +Lisette. Wenn Sie ihn wollen kennenlernen: er liegt vor dem +Hinterhause an der Kette. + +Christoph. Verdammt! ich glaube gar, Sie meinen den Hund. Ich merke +also wohl, Sie werden den leiblichen Hunger und Durst verstanden haben. +Den aber habe ich nicht verstanden; sondern den Hunger und Durst der +Liebe. Den, Mamsell, den! Sind Sie nun mit meiner Erklärung +zufrieden? + +Lisette. Besser als mit dem Erklärten. + +Christoph. Ei! im Vertrauen:--Sagen Sie etwa zugleich auch damit so +viel, daß Ihnen ein Liebesantrag von mir nicht zuwider sein würde? + +Lisette. Vielleicht! Wollen Sie mir einen tun? im Ernst? + +Christoph. Vielleicht! + +Lisette. Pfui! was das für eine Antwort ist! vielleicht! + +Christoph. Und sie war doch nicht ein Haar anders, als die Ihrige. + +Lisette. In meinem Munde will sie aber ganz etwas anders sagen. +Vielleicht, ist eines Frauenzimmers größte Versicherung. Denn so +schlecht unser Spiel auch ist, so müssen wir uns doch niemals in die +Karte sehen lassen. + +Christoph. Ja, wenn das ist!--Ich dächte, wir kämen also zur Sache. +--(Er schmeißt beide Mantelsäcke auf die Erde.) Ich weiß nicht, warum +ich mir's so sauer mache? Da liegt!--Ich liebe Sie, Mamsell. + +Lisette. Das heiß ich, mit wenigen viel sagen. Wir wollen's +zergliedern-- + +Christoph. Nein, wir wollen's lieber ganz lassen. Doch,--damit wir +in Ruhe einander unsre Gedanken eröffnen können;--belieben Sie sich +niederzulassen!--Das Stehn ermüdet mich.--Ohne Umstände!--(Er nötiget +sie auf den Mantelsack zu sitzen.)--Ich liebe Sie, Mamsell.-- + +Lisette. Aber,--ich sitze verzweifelt hart.--Ich glaube gar, es sind +Bücher darin-- + +Christoph. Darzu recht zärtliche und witzige;--und gleichwohl sitzen +Sie hart darauf? Es ist meines Herrn Reisebibliothek. Sie besteht +aus Lustspielen, die zum Weinen, und aus Trauerspielen, die zum Lachen +bewegen; aus zärtlichen Heldengedichten; aus tiefsinnigen Trinkliedern, +und was dergleichen neue Siebensachen mehr sind.--Doch wir wollen +umwechseln. Setzen Sie sich auf meinen;--ohne Umstände!--meiner ist +der weichste. + +Lisette. Verzeihen Sie! So grob werde ich nicht sein-- + +Christoph. Ohne Umstände,--ohne Komplimente!--Wollen Sie nicht?--So +werde ich Sie hintragen.-- + +Lisette. Weil Sie es denn befehlen--(Sie steht auf und will sich auf +den andern setzen.) + +Christoph. Befehlen? behüte Gott!--Nein! befehlen will viel sagen. +--Wenn Sie es so nehmen wollen, so bleiben Sie lieber sitzen.--(Er +setzt sich wieder auf seinen Mantelsack.) + +Lisette (beiseite). Der Grobian! Doch ich muß es gut sein lassen-- + +Christoph. Wo blieben wir denn?--Ja,--bei der Liebe--Ich liebe Sie +also, Mamsell. Je vous aime, würde ich sagen, wenn Sie eine +französische Marquisin wären. + +Lisette. Der Geier! Sie sind wohl gar ein Franzose? + +Christoph. Nein, ich muß meine Schande gestehn: ich bin nur ein +Deutscher.--Aber ich habe das Glück gehabt, mit verschiedenen +Franzosen umgehen zu können, und da habe ich denn so ziemlich gelernt, +was zu einem rechtschaffnen Kerl gehört. Ich glaube, man sieht mir es +auch gleich an. + +Lisette. Sie kommen also vielleicht mit Ihrem Herrn aus Frankreich? + +Christoph. Ach nein!-- + +Lisette. Wo sonst her? freilich wohl!-- + +Christoph. Es liegt noch einige Meilen hinter Frankreich, wo wir +herkommen. + +Lisette. Aus Italien doch wohl nicht? + +Christoph. Nicht weit davon. + +Lisette. Aus Engeland also? + +Christoph. Beinahe; Engeland ist eine Provinz davon. Wir sind über +funfzig Meilen von hier zu Hause.--Aber, daß Gott!--meine Pferde,--die +armen Tiere stehen noch gesattelt. Verzeihen Sie, Mamsell!--Hurtig! +stehen Sie auf!--(Er nimmt die Mantelsäcke wieder untern Arm. )--Trotz +meiner inbrünstigen Liebe muß ich doch gehn, und erst das Nötige +verrichten.--Wir haben noch den ganzen Tag, und, was das meiste ist, +noch die ganze Nacht vor uns. Wir wollen schon noch eins werden.--Ich +werde sie wohl wieder zu finden wissen. + + + +Eilfter Auftritt + +Martin Krumm. Lisette. + + +Lisette. Von dem werde ich wenig erfahren können. Entweder, er ist +zu dumm, oder zu fein. Und beides macht unergründlich. + +Martin Krumm. So, Jungfer Lisette? Das ist auch der Kerl darnach, +daß er mich ausstechen sollte! + +Lisette. Das hat er nicht nötig gehabt. + +Martin Krumm. Nicht nötig gehabt? Und ich denke, wer weiß wie fest +ich in Ihrem Herzen sitze. + +Lisette. Das macht, Herr Vogt, Er denkt's. Leute von Seiner Art +haben das Recht, abgeschmackt zu denken. Drum ärgre ich mich auch +nicht darüber, daß Er's gedacht hat; sondern, daß Er mir's gesagt hat. +Ich möchte wissen, was Ihn mein Herz angeht? Mit was für +Gefälligkeiten, mit was für Geschenken hat Er sich denn ein Recht +darauf erworben?--Man gibt die Herzen jetzt nicht mehr, so in den Tag +hinein, weg. Und glaubt Er etwa, daß ich so verlegen mit dem meinigen +bin? Ich werde schon noch einen ehrlichen Mann dazu finden, ehe ich's +vor die Säue werfe. + +Martin Krumm. Der Teufel, das verschnupft! Ich muß eine Prise Tabak +darauf nehmen.--Vielleicht geht es wieder mit dem Niesen fort.--(Er +zieht die entwende Dose hervor, spielt einige Zeit in den Händen damit, +und nimmt endlich, auf eine lächerlich hochmütige Art, eine Prise.) + +Lisette (schielt ihn von der Seite an). Verzweifelt! wo bekömmt der +Kerl die Dose her? + +Martin Krumm. Belieben Sie ein Prischen? + +Lisette. Oh, Ihre untertänige Magd, mein Herr Vogt! (Sie nimmt.) + +Martin Krumm. Was eine silberne Dose nicht kann!--Könnte ein +Ohrwürmchen geschmeidiger sein? + +Lisette. Ist es eine silberne Dose? + +Martin Krumm. Wann's keine silberne wäre, so würde sie Martin Krumm +nicht haben. + +Lisette. Ist es nicht erlaubt, sie zu besehn? + +Martin Krumm. Ja, aber nur in meinen Händen. + +Lisette. Die Fasson ist vortrefflich. + +Martin Krumm. Ja, sie wiegt ganzer fünf Lot. + +Lisette. Nur der Fasson wegen möchte ich so ein Döschen haben. + +Martin Krumm. Wenn ich sie zusammenschmelzen lasse, steht Ihnen die +Fasson davon zu Dienste. + +Lisette. Sie sind allzu gütig!--Es ist ohne Zweifel ein Geschenk? + +Martin Krumm. Ja, sie kostet mir nicht einen Heller. + +Lisette. Wahrhaftig, so ein Geschenk könnte ein Frauenzimmer recht +verblenden! Sie können Ihr Glück damit machen, Herr Vogt. Ich +wenigstens würde mich, wenn man mich mit silbernen Dosen anfiele, sehr +schlecht verteidigen können. Mit so einer Dose hätte ein Liebhaber +gegen mich gewonnen Spiel. + +Martin Krumm. Ich versteh's, ich versteh's! + +Lisette. Da sie Ihnen so nichts kostet, wollte ich Ihnen raten, Herr +Vogt, sich eine gute Freundin damit zu machen-- + +Martin Krumm. Ich versteh's, ich versteh's!-Lisette (schmeichelnd). +Wollten Sie mir sie wohl schenken?-- + +Martin Krumm. O um Verzeihung!--Man gibt die silbernen Dosen jetzt +nicht mehr, so in den Tag hinein, weg. Und glaubt Sie denn, Jungfer +Lisette, daß ich so verlegen mit der meinigen bin? Ich werde schon +noch einen ehrlichen Mann dazu finden, ehe ich sie vor die Säue werfe. + +Lisette. Hat man jemals eine dümmre Grobheit gefunden!--Ein Herz +einer Schnupftabaksdose gleich zu schätzen? + +Martin Krumm. Ja, ein steinern Herz einer silbern Schnupftabaksdose-- + +Lisette. Vielleicht würde es aufhören, steinern zu sein, wenn--Doch +alle meine Reden sind vergebens--Er ist meiner Liebe nicht wert--Was +ich für eine gutherzige Närrin bin!--(will weinen) beinahe hätte ich +geglaubt, der Vogt wäre noch einer von den ehrlichen Leuten, die es +meinen, wie sie es reden-- + +Martin Krumm. Und was ich für ein gutherziger Narre bin, daß ich +glaube, ein Frauenzimmer meine es, wie sie es red't!--Da, mein +Lisettchen, weine Sie nicht!--(Er gibt ihr die Dose.)--Aber nun bin +ich doch wohl Ihrer Liebe wert?--Zum Anfange verlange ich nichts, als +nur ein Küßchen auf Ihre schöne Hand!--(Er küßt sie.) Ah, wie schmeckt +das! + + + +Zwölfter Auftritt + +Das Fräulein. Lisette. Martin Krumm. + + +Das Fräulein (sie kömmt dazu geschlichen, und stößt ihn mit dem Kopfe +auf die Hand). Ei! Herr Vogt,--küß Er mir doch meine Hand auch! + +Lisette. Daß doch!-- + +Martin Krumm. Ganz gern, gnädiges Fräulein--(Er will ihr die Hand +küssen.) + +Das Fräulein (gibt ihm eine Ohrfeige). Ihr Flegel, versteht Ihr denn +keinen Spaß? + +Martin Krumm. Den Teufel mag das Spaß sein! + +Lisette. Ha! ha! ha! (Lacht ihn aus.) O ich bedaure Ihn, mein lieber +Vogt--Ha! ha! ha! + +Martin Krumm. So? und Sie lacht noch dazu? Ist das mein Dank? Schon +gut, schon gut! (Gehet ab.) + +Lisette. Ha! ha! ha! + + + +Dreizehnter Auftritt + +Lisette. Das Fräulein. + + +Das Fräulein. Hätte ich's doch nicht geglaubt, wenn ich's nicht +selbst gesehen hätte. Du läßt dich küssen? und noch dazu vom Vogt? + +Lisette. Ich weiß auch gar nicht, was Sie für Recht haben, mich zu +belauschen? Ich denke, Sie gehen im Garten mit dem Fremden spazieren. + +Das Fräulein. Ja, und ich wäre noch bei ihm, wenn der Papa nicht +nachgekommen wäre. Aber so kann ich ja kein kluges Wort mit ihm +sprechen. Der Papa ist gar zu ernsthaft-- + +Lisette. Ei, was nennen Sie denn ein kluges Wort? Was haben Sie denn +wohl mit ihm zu sprechen, das der Papa nicht hören dürfte? + +Das Fräulein. Tausenderlei!--Aber du machst mich böse, wo du mich +noch mehr fragst. Genug, ich bin dem fremden Herrn gut. Das darf ich +doch wohl gestehn? + +Lisette. Sie würden wohl greulich mit dem Papa zanken, wenn er Ihnen +einmal so einen Bräutigam verschaffte? Und im Ernst, wer weiß, was er +tut. Schade nur, daß Sie nicht einige Jahre älter sind: es könnte +vielleicht bald zustande kommen. + +Das Fräulein. Oh, wenn es nur am Alter liegt, so kann mich ja der +Papa einige Jahr älter machen. Ich werde ihm gewiß nicht +widersprechen. + +Lisette. Nein, ich weiß noch einen bessern Rat. Ich will Ihnen +einige Jahre von den meinigen geben, so ist uns allen beiden geholfen. +Ich bin alsdann nicht zu alt, und Sie nicht zu jung. + +Das Fräulein. Das ist auch wahr; das geht ja an! + +Lisette. Da kömmt des Fremden Bedienter; ich muß mit ihm sprechen. +Es ist alles zu Ihrem Besten--Lassen Sie mich mit ihm allein.--Gehen +Sie. + +Das Fräulein. Vergiß es aber nicht, wegen der Jahre--Hörst du, +Lisette? + + + +Vierzehnter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette. Mein Herr, Sie hungert oder durstet gewiß, daß Sie schon +wiederkommen? nicht? + +Christoph. Ja freilich!--Aber wohlgemerkt, wie ich den Hunger und +Durst erklärt habe. Ihr die Wahrheit zu gestehn, meine liebe Jungfer, +so hatte ich schon, sobald ich gestern vom Pferde stieg, ein Auge auf +Sie geworfen. Doch weil ich nur einige Stunden hierzubleiben +vermeinte, so glaubte ich, es verlohne sich nicht der Mühe, mich mit +Ihr bekannt zu machen. Was hätten wir in so kurzer Zeit können +ausrichten? Wir hätten unsern Roman von hinten müssen anfangen. +Allein es ist auch nicht allzusicher, die Katze bei dem Schwanze aus +dem Ofen zu ziehen. + +Lisette. Das ist wahr! nun aber können wir schon ordentlicher +verfahren. Sie können mir Ihren Antrag tun; ich kann darauf antworten. +Ich kann Ihnen meine Zweifel machen; Sie können mir sie auflösen. +Wir können uns bei jedem Schritte, den wir tun, bedenken, und dürfen +einander nicht den Affen im Sacke verkaufen. Hätten Sie mir gestern +gleich Ihren Liebesantrag getan; es ist wahr, ich würde ihn angenommen +haben. Aber überlegen Sie einmal, wieviel ich gewagt hätte, wenn ich +mich nicht einmal nach Ihrem Stande, Vermögen, Vaterlande, Bedienungen +und dergleichen mehr zu erkundigen Zeit gehabt hätte? + +Christoph. Der Geier! wäre das aber auch so nötig gewesen? So viel +Umstände? Sie könnten ja bei dem Heiraten nicht mehrere machen?-- + +Lisette. Oh! wenn es nur auf eine kahle Heirat angesehen wäre, so +wär' es lächerlich, wenn ich so gewissenhaft sein wollte. Allein mit +einem Liebesverständnisse ist es ganz etwas anders! Hier wird die +schlechteste Kleinigkeit zu einem wichtigen Punkte. Also glauben Sie +nur nicht, daß Sie die geringste Gefälligkeit von mir erhalten werden, +wenn Sie meiner Neugierde nicht in allen Stücken ein Gnüge tun. + +Christoph. Nu? wie weit erstreckt sich denn die? + +Lisette. Weil man doch einen Diener am besten nach seinem Herrn +beurteilen kann, so verlange ich vor allen Dingen zu wissen-- + +Christoph. Wer mein Herr ist? Ha! ha! das ist lustig. Sie fragen +mich etwas, das ich Sie gern selbst fragen möchte, wenn ich glaubte, +daß Sie mehr wüßten, als ich. + +Lisette. Und mit dieser abgedroschnen Ausflucht denken Sie +durchzukommen? Kurz, ich muß wissen, wer Ihr Herr ist, oder unsre +ganze Freundschaft hat ein Ende. + +Christoph. Ich kenne meinen Herrn nicht länger, als seit vier Wochen. +So lange ist es, daß er mich in Hamburg in seine Dienste genommen hat. +Von da aus habe ich ihn begleitet, niemals mir aber die Mühe +genommen, nach seinem Stande oder Namen zu fragen. So viel ist gewiß, +reich muß er sein; denn er hat weder mich noch sich auf der Reise +notleiden lassen. Und was brauch ich mich mehr zu bekümmern? + +Lisette. Was soll ich mir von Ihrer Liebe versprechen, da Sie meiner +Verschwiegenheit nicht einmal eine solche Kleinigkeit anvertrauen +wollen? Ich würde nimmermehr gegen Sie so sein. Zum Exempel, hier +habe ich eine schöne silberne Schnupftabaksdose-- + +Christoph. Ja? nu?-- + +Lisette. Sie dürften mich ein klein wenig bitten, so sagte ich Ihnen, +von wem ich sie bekommen habe-- + +Christoph. Oh! daran ist mir nun eben so viel nicht gelegen. Lieber +möchte ich wissen, wer sie von Ihnen bekommen sollte? + +Lisette. Über den Punkt habe ich eigentlich noch nichts +beschlossen. Doch wenn Sie sie nicht sollten bekommen, so haben Sie +es niemanden anders, als sich selbst zuzuschreiben. Ich würde Ihre +Aufrichtigkeit gewiß nicht unbelohnt lassen. + +Christoph. Oder vielmehr meine Schwatzhaftigkeit! Doch, so wahr ich +ein ehrlicher Kerl bin, wann ich dasmal verschwiegen bin, so bin ich's +aus Not. Denn ich weiß nichts, was ich ausplaudern könnte. Verdammt! +wie gern wollte ich meine Geheimnisse ausschütten, wann ich nur welche +hätte. + +Lisette. Adieu! ich will Ihre Tugend nicht länger bestürmen. Nur +wünsch ich, daß sie Ihnen bald zu einer silbernen Dose und einer +Liebsten verhelfen möge, so wie sie Sie jetzt um beides gebracht hat. +(Will geben.) + +Christoph. Wohin? wohin? Geduld! (Beiseite.) Ich sehe mich genötigt, +zu lügen. Denn so ein Geschenk werde ich mir doch nicht sollen +entgehn lassen? Was wird's auch viel schaden? + +Lisette. Nun, wollen Sie es näher geben? Aber,--ich sehe schon, es +wird Ihnen sauer. Nein, nein; ich mag nichts wissen-- + +Christoph. Ja, ja, Sie soll alles wissen!--(Beiseite.) Wer doch recht +viel lügen könnte!--Hören Sie nur!--Mein Herr ist--ist einer von Adel. +Er kömmt,--wir kommen miteinander aus--aus--Holland. Er hat +müssen--gewisser Verdrüßlichkeiten wegen--einer Kleinigkeit--eines +Mords wegen--entfliehen-- + +Lisette. Was? eines Mords wegen? + +Christoph. Ja,--aber eines honetten Mords--eines Duells wegen +entfliehen.--Und jetzt eben--ist er auf der Flucht-- + +Lisette. Und Sie, mein Freund?-- + +Christoph. Ich, bin auch mit ihm auf der Flucht. Der Entleibte hat +uns--will ich sagen, die Freunde des Entleibten haben uns sehr +verfolgen lassen; und dieser Verfolgung wegen--Nun können Sie leicht +das übrige erraten.--Was Geier, soll man auch tun? Überlegen Sie +es selbst; ein junger naseweiser Laffe schimpft uns. Mein Herr stößt +ihn übern Haufen. Das kann nicht anders sein!--Schimpft mich jemand, +so tu ich's auch,--oder--oder schlage ihn hinter die Ohren. Ein +ehrlicher Kerl muß nichts auf sich sitzen lassen. + +Lisette. Das ist brav! solchen Leuten bin ich gut; denn ich bin auch +ein wenig unleidlich. Aber sehen Sie einmal, da kömmt Ihr Herr! +sollte man es ihm wohl ansehn, daß er so zornig, so grausam wäre? + +Christoph. O kommen Sie! wir wollen ihm aus dem Wege gehn. Er möchte +mir es ansehn, daß ich ihn verraten habe. + +Lisette. Ich bin's zufrieden-- + +Christoph. Aber die silberne Dose-- + +Lisette. Kommen Sie nur. (Beiseite.) Ich will erst sehen, was mir von +meinem Herrn für mein entdecktes Geheimnis werden wird: Lohnt sich das +der Mühe, so soll er sie haben. + + + +Funfzehnter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Ich vermisse meine Dose. Es ist eine Kleinigkeit; +gleichwohl ist mir der Verlust empfindlich. Sollte mir sie wohl der +Vogt?--Doch ich kann sie verloren haben,--ich kann sie aus +Unvorsichtigkeit herausgerissen haben.--Auch mit seinem Verdachte muß +man niemand beleidigen.--Gleichwohl,--er drängte sich an mich heran; +--er griff nach der Uhr:--ich ertappte ihn; könnte er auch nicht nach +der Dose gegriffen haben, ohne daß ich ihn ertappt hätte? + + + +Sechzehnter Auftritt + +Martin Krumm. Der Reisende. + + +Martin Krumm (als er den Reisenden gewahr wird, will er wieder +umkehren). Hui! + +Der Reisende. Nu, nu, immer näher, mein Freund!--(Beiseite.) Ist er +doch so schüchtern, als ob er meine Gedanken wüßte!--Nu? nur näher! + +Martin Krumm (trotzig). Ach! ich habe nicht Zeit! Ich weiß schon, +Sie wollen mit mir plaudern. Ich habe wichtigere Sachen zu tun. Ich +mag Ihre Heldentaten nicht zehnmal hören. Erzählen Sie sie jemanden, +der sie noch nicht weiß. + +Der Reisende. Was höre ich? vorhin war der Vogt einfältig und höflich, +jetzt ist er unverschämt und grob. Welches ist denn Eure rechte +Larve? + +Martin Krumm. Ei! das hat Sie der Geier gelernt, mein Gesicht eine +Larve zu schimpfen. Ich mag mit Ihnen nicht zanken,--sonst--(Er will +fortgehen.) + +Der Reisende. Sein unverschämtes Verfahren bestärkt mich in meinem +Argwohne.--Nein, nein, Geduld! Ich habe Euch etwas Notwendiges zu +fragen-- + +Martin Krumm. Und ich werde nichts drauf zu antworten haben, es mag +so notwendig sein, als es will. Drum sparen Sie nur die Frage. + +Der Reisende. Ich will es wagen--Allein, wie leid würde mir es sein, +wann ich ihm unrecht täte.--Mein Freund, habt Ihr nicht meine Dose +gesehn?--Ich vermisse sie.-- + +Martin Krumm. Was ist das für eine Frage? Kann ich etwas dafür, daß +man sie Ihnen gestohlen hat?--Für was sehen Sie mich an? für den +Hehler? oder für den Dieb? + +Der Reisende. Wer redt denn vom Stehlen? Ihr verratet Euch fast +selbst-- + +Martin Krumm. Ich verrate mich selbst? Also meinen Sie, daß ich sie +habe? Wissen Sie auch, was das zu bedeuten hat, wenn man einen +ehrlichen Kerl dergleichen beschuldigt. Wissen Sie's? + +Der Reisende. Warum müßt Ihr so schreien? Ich habe Euch noch nichts +beschuldigt. Ihr seid Euer eigner Ankläger. Dazu weiß ich eben nicht, +ob ich großes Unrecht haben würde? Wen ertappte ich denn vorhin, als +er nach meiner Uhr greifen wollte? + +Martin Krumm. Oh! Sie sind ein Mann, der gar keinen Spaß versteht. +Hören Sie's!--(Beiseite.) Wo er sie nur nicht bei Lisetten gesehen +hat--Das Mädel wird doch nicht närrisch sein, und sich damit breit +machen-- + +Der Reisende. Oh! ich verstehe den Spaß so wohl, daß ich glaube, Ihr +wollt mit meiner Dose auch spaßen. Allein wenn man den Spaß zu weit +treibt, verwandelt er sich endlich in Ernst. Es ist mir um Euren +guten Namen leid. Gesetzt, ich wäre überzeugt, daß Ihr es nicht böse +gemeint hättet, würden auch andre-- + +Martin Krumm. Ach,--andre!--andre!--andre wären es längst überdrüssig, +sich so etwas vorwerfen zu lassen. Doch, wenn Sie denken, daß ich +sie habe: befühlen Sie mich,--visitieren Sie mich-- + +Der Reisende. Das ist meines Amts nicht. Dazu trägt man auch nicht +alles bei sich in der Tasche. + +Martin Krumm. Nun gut! damit Sie sehen, daß ich ein ehrlicher Kerl +bin, so will ich meine Schubsäcke selber umwenden.--Geben Sie acht! +--(Beiseite.) Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn sie herausfiele. + +Der Reisende. O macht Euch keine Mühe! + +Martin Krumm. Nein, nein: Sie sollen's sehn, Sie sollen's sehn. (Er +wendet die eine Tasche um.) Ist da eine Dose? Brotkrümel sind drinne: +das liebe Gut! (Er wendet die andere um.) Da ist auch nichts! Ja; +--doch! ein Stückchen Kalender.--Ich hebe es der Verse wegen auf, die +über den Monaten stehen. Sie sind recht schnurrig.--Nu, aber daß wir +weiterkommen. Geben sie acht: da will ich den dritten umwenden. (Bei +dem Umwenden fallen zwei große Bärte heraus.) Der Henker! was laß ich +da fallen? + +(Er will sie hurtig aufheben, der Reisende aber ist hurtiger, und +erwischt einen davon.) + +Der Reisende. Was soll das vorstellen? + +Martin Krumm (beiseite). O verdammt! ich denke, ich habe den Quark +lange von mir gelegt. + +Der Reisende. Das ist ja gar ein Bart. (Er macht ihn vors Kinn.) Sehe +ich bald einem Juden so ähnlich?-- + +Martin Krumm. Ach geben Sie her! geben Sie her! Wer weiß, was Sie +wieder denken? Ich schrecke meinen kleinen Jungen manchmal damit. +Dazu ist er. + +Der Reisende. Ihr werdet so gut sein, und mir ihn lassen. Ich will +auch damit schrecken. + +Martin Krumm. Ach! vexieren Sie sich nicht mit mir. Ich muß ihn +wiederhaben. (Er will ihn aus der Hand reißen.) + +Der Reisende. Geht, oder-Martin Krumm (beiseite). Der Geier! nun mag +ich sehen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.--Es ist schon gut; +es ist schon gut! Ich seh's, Sie sind zu meinem Unglücke +hiehergekommen. Aber, hol mich alle Teufel, ich bin ein ehrlicher +Kerl! und den will ich sehn, der mir etwas Schlimmes nachreden kann. +Merken Sie sich das! Es mag kommen zu was es will, so kann ich es +beschwören, daß ich den Bart zu nichts Bösem gebraucht habe.--(Geht ab.) + + + +Siebzehnter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Der Mensch bringt mich selbst auf einen Argwohn, der +ihm höchst nachteilig ist.--Könnte er nicht einer von den verkappten +Räubern gewesen sein?--Doch ich will in meiner Vermutung behutsam +gehen. + + + +Achtzehnter Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. + + +Der Reisende. Sollten Sie nicht glauben, ich wäre gestern mit den +jüdischen Straßenräubern ins Handgemenge gekommen, daß ich einem davon +den Bart ausgerissen hätte? (Er zeigt ihm den Bart.) + +Der Baron. Wie verstehn Sie das, mein Herr?--Allein, warum haben Sie +mich so geschwind im Garten verlassen? + +Der Reisende. Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Ich wollte gleich +wieder bei Ihnen sein. Ich ging nur meine Dose zu suchen, die ich +hier herum muß verloren haben. + +Der Baron. Das ist mir höchst empfindlich. Sie sollten noch bei mir +zu Schaden kommen? + +Der Reisende. Der Schade würde so groß nicht sein--Allein betrachten +Sie doch einmal diesen ansehnlichen Bart! + +Der Baron. Sie haben mir ihn schon einmal gezeigt. Warum? + +Der Reisende. Ich will mich Ihnen deutlicher erklären. Ich +glaube--Doch nein, ich will meine Vermutungen zurückhalten.-- + +Der Baron. Ihre Vermutungen? Erklären Sie sich! + +Der Reisende. Nein; ich habe mich übereilt. Ich könnte mich irren-- + +Der Baron. Sie machen mich unruhig. + +Der Reisende. Was halten Sie von Ihrem Vogt? + +Der Baron. Nein, nein; wir wollen das Gespräch auf nichts anders +lenken--Ich beschwöre Sie bei der Wohltat, die Sie mir erzeigt haben, +entdecken Sie mir, was Sie glauben, was Sie vermuten, worinne Sie sich +könnten geirrt haben! + +Der Reisende. Nur die Beantwortung meiner Frage kann mich antreiben, +es Ihnen zu entdecken. + +Der Baron. Was ich von meinem Vogte halte?--Ich halte ihn für einen +ganz ehrlichen und rechtschaffnen Mann. + +Der Reisende. Vergessen Sie also, daß ich etwas habe sagen wollen. + +Der Baron. Ein Bart,--Vermutungen,--der Vogt,--wie soll ich diese +Dinge verbinden?--Vermögen meine Bitten nichts bei Ihnen?--Sie könnten +sich geirrt haben? Gesetzt, Sie haben sich geirrt; was können Sie bei +einem Freunde für Gefahr laufen? + +Der Reisende. Sie dringen zu stark in mich. Ich sage Ihnen also, daß +der Vogt diesen Bart aus Unvorsichtigkeit hat fallen lassen; daß er +noch einen hatte, den er aber in der Geschwindigkeit wieder zu sich +steckte; daß seine Reden einen Menschen verrieten, welcher glaubt, man +denke von ihm ebensoviel Übels, als er tut; daß ich ihn auch sonst +über einem nicht allzugewissenhaften--wenigstens nicht allzuklugen +Griffe, ertappt habe. + +Der Baron. Es ist als ob mir die Augen auf einmal aufgingen. Ich +besorge,--Sie werden sich nicht geirrt haben. Und Sie trugen Bedenken, +mir so etwas zu entdecken?--Den Augenblick will ich gehn, und alles +anwenden, hinter die Wahrheit zu kommen. Sollte ich meinen Mörder in +meinem eignen Hause haben? + +Der Reisende. Doch zürnen Sie nicht auf mich, wenn Sie, zum Glücke, +meine Vermutungen falsch befinden sollten. Sie haben mir sie +ausgepreßt, sonst würde ich sie gewiß verschwiegen haben. + +Der Baron. Ich mag sie wahr oder falsch befinden, ich werde Ihnen +allzeit dafür danken. + + + +Neunzehnter Auftritt + +Der Reisende (und hernach) Christoph. + + +Der Reisende. Wo er nur nicht zu hastig mit ihm verfährt! Denn so +groß auch der Verdacht ist, so könnte der Mann doch wohl noch +unschuldig sein.--Ich bin ganz verlegen.--In der Tat ist es nichts +Geringes, einem Herrn seine Untergebnen so verdächtig zu machen. Wenn +er sie auch unschuldig befindet, so verliert er doch auf immer das +Vertrauen zu ihnen.--Gewiß, wenn ich es recht bedenke, ich hätte +schweigen sollen--Wird man nicht Eigennutz und Rache für die Ursachen +meines Argwohns halten, wenn man erfährt, daß ich ihm meinen Verlust +zugeschrieben habe?--Ich wollte ein Vieles darum schuldig sein, wenn +ich die Untersuchung noch hintertreiben könnte-Christoph (kömmt +gelacht). Ha! ha! ha! wissen Sie, wer Sie sind, mein Herr? + +Der Reisende. Wißt Ihr, daß Ihr ein Narr seid? Was fragt Ihr? + +Christoph. Gut! wenn Sie es denn nicht wissen, so will ich es Ihnen +sagen. Sie sind einer von Adel. Sie kommen aus Holland. Allda haben +Sie Verdrüßlichkeiten und ein Duell gehabt. Sie sind so glücklich +gewesen, einen jungen Naseweis zu erstechen. Die Freunde des +Entleibten haben Sie heftig verfolgt. Sie haben sich auf die Flucht +begeben. Und ich habe die Ehre, Sie auf der Flucht zu begleiten. + +Der Reisende. Träumt Ihr, oder raset Ihr? + +Christoph. Keines von beiden. Denn für einen Rasenden wäre meine +Rede zu klug, und für einen Träumenden zu toll. + +Der Reisende. Wer hat Euch solch unsinniges Zeug weisgemacht? + +Christoph. O dafür ist gebeten, daß man mir's weismacht. Allein +finden Sie es nicht recht wohl ausgesonnen? In der kurzen Zeit, die +man mir zum Lügen ließ, hätte ich gewiß auf nichts Bessers fallen +können. So sind Sie doch wenigstens vor weitrer Neugierigkeit sicher! + +Der Reisende. Was soll ich mir aber aus alledem nehmen? + +Christoph. Nichts mehr, als was Ihnen gefällt; das übrige lassen Sie +mir. Hören Sie nur, wie es zuging. Man fragte mich nach Ihrem Namen, +Stande, Vaterlande, Verrichtungen; ich ließ mich nicht lange bitten, +ich sagte alles, was ich davon wußte; das ist: ich sagte, ich wüßte +nichts. Sie können leicht glauben, daß diese Nachricht sehr +unzulänglich war, und daß man wenig Ursache hatte, damit zufrieden zu +sein. Man drang also weiter in mich; allein umsonst! Ich blieb +verschwiegen, weil ich nichts zu verschweigen hatte. Doch endlich +brachte mich ein Geschenk, welches man mir anbot, dahin, daß ich mehr +sagte, als ich wußte; das ist: ich log. + +Der Reisende. Schurke! ich befinde mich, wie ich sehe, bei Euch in +feinen Händen. + +Christoph. Ich will doch nimmermehr glauben, daß ich von ohngefähr +die Wahrheit sollte gelogen haben? + +Der Reisende. Unverschämter Lügner, Ihr habt mich in eine Verwirrung +gesetzt, aus der-- + +Christoph. Aus der Sie sich gleich helfen können, sobald Sie das +schöne Beiwort, das Sie mir jetzt zu geben beliebten, bekannter machen. + +Der Reisende. Werde ich aber alsdenn nicht genötiget sein, mich zu +entdecken? + +Christoph. Desto besser! so lerne ich Sie bei Gelegenheit auch kennen. +--Allein, urteilen Sie einmal selbst, ob ich mir wohl, mit gutem +Gewissen, dieser Lügen wegen ein Gewissen machen konnte? (Er zieht +die Dose heraus.) Betrachten Sie diese Dose! Hätte ich Sie leichter +verdienen können? + +Der Reisende. Zeigt mir sie doch!--(Er nimmt sie in die Hand.) Was +seh ich? + +Christoph. Ha! ha! ha! Das dachte ich, daß Sie erstaunen würden. +Nicht wahr, Sie lögen selber ein Gesetzchen, wenn Sie so eine Dose +verdienen könnten. + +Der Reisende. Und also habt Ihr mir sie entwendet? + +Christoph. Wie? was? + +Der Reisende. Eure Treulosigkeit ärgert mich nicht so sehr, als der +übereilte Verdacht, den ich deswegen einem ehrlichen Mann zugezogen +habe. Und Ihr könnt noch so rasend frech sein, mich überreden zu +wollen, sie wäre ein,--obgleich beinahe ebenso schimpflich erlangtes, +--Geschenk? Geht! kommt mir nicht wieder vor die Augen! + +Christoph. Träumen Sie, oder--aus Respekt will ich das andre noch +verschweigen. Der Neid bringt Sie doch nicht auf solche +Ausschweifungen? Die Dose soll Ihre sein? Ich soll sie Ihnen, salva +venia, gestohlen haben? Wenn das wäre; ich müßte ein dummer Teufel +sein, daß ich gegen Sie selbst damit prahlen sollte.--Gut, da kömmt +Lisette! Hurtig komm Sie; helf Sie mir doch, meinen Herrn wieder +zurechte bringen. + + + +Zwanzigster Auftritt + +Lisette. Der Reisende. Christoph. + + +Lisette. O mein Herr, was stiften Sie bei uns für Unruhe! Was hat +Ihnen denn unser Vogt getan? Sie haben den Herrn ganz rasend auf ihn +gemacht. Man redt von Bärten, von Dosen, von Plündern; der Vogt weint +und flucht, daß er unschuldig wäre, daß Sie die Unwahrheit redten. +Der Herr ist nicht zu besänftigen, und jetzt hat er sogar nach dem +Schulzen und den Gerichten geschickt, ihn schließen zu lassen. Was +soll denn das alles heißen? + +Christoph. Oh! das ist alles noch nichts, hör Sie nur, hör Sie, was +er jetzt gar mit mir vorhat-- + +Der Reisende. Ja freilich, meine liebe Lisette, ich habe mich +übereilt. Der Vogt ist unschuldig. Nur mein gottloser Bedienter hat +mich in diese Verdrüßlichkeiten gestürzt. Er ist's, der mir meine +Dose entwandt hat, derenwegen ich den Vogt im Verdacht hatte; und der +Bart kann allerdings ein Kinderspiel gewesen sein, wie er sagte. Ich +geh, ich will ihm Genugtuung geben, ich will meinen Irrtum gestehn, +ich will ihm, was er nur verlangen kann-- + +Christoph. Nein, nein, bleiben Sie! Sie müssen mir erst Genugtuung +geben. Zum Henker, so rede Sie doch, Lisette, und sage Sie, wie die +Sache ist. Ich wollte, daß Sie mit Ihrer Dose am Galgen wäre! Soll +ich mich deswegen zum Diebe machen lassen? Hat Sie mir sie nicht +geschenkt? + +Lisette. Ja freilich! und sie soll Ihm auch geschenkt bleiben. + +Der Reisende. So ist es doch wahr? Die Dose gehört aber mir. + +Lisette. Ihnen? das habe ich nicht gewußt. + +Der Reisende. Und also hat sie wohl Lisette gefunden? und meine +Unachtsamkeit ist an allen den Verwirrungen schuld? (Zu Christophen.) +Ich habe Euch auch zuviel getan! Verzeiht mir! Ich muß mich schämen, +daß ich mich so übereilen können. + +Lisette (beiseite). Der Geier! nun werde ich bald klug. Oh! er wird +sich nicht übereilt haben. + +Der Reisende. Kommt, wir wollen-- + + + +Einundzwanzigster Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. Lisette. Christoph. + + +Der Baron (kömmt hastig herzu). Den Augenblick, Lisette, stelle dem +Herrn seine Dose wieder zu! Es ist alles offenbar; er hat alles +gestanden. Und du hast dich nicht geschämt, von so einem Menschen +Geschenke anzunehmen? Nun? wo ist die Dose? + +Der Reisende. Es ist also doch wahr?-- + +Lisette. Der Herr hat sie lange wieder. Ich habe geglaubt, von wem +Sie Dienste annehmen können, von dem könne ich auch Geschenke annehmen. +Ich habe ihn sowenig gekannt, wie Sie. + +Christoph. Also ist mein Geschenk zum Teufel? Wie gewonnen, so +zerronnen! + +Der Baron. Wie aber soll ich, teuerster Freund, mich gegen Sie +erkenntlich erzeigen? Sie reißen mich zum zweitenmal aus einer gleich +großen Gefahr. Ich bin Ihnen mein Leben schuldig. Nimmermehr würde +ich, ohne Sie, mein so nahes Unglück entdeckt haben. Der Schulze, ein +Mann, den ich für den ehrlichsten auf allen meinen Gütern hielt, ist +sein gottloser Gehilfe gewesen. Bedenken Sie also, ob ich jemals dies +hätte vermuten können! Wären Sie heute von mir gereiset-- + +Der Reisende. Es ist wahr--so wäre die Hilfe, die ich Ihnen gestern +zu erweisen glaubte, sehr unvollkommen geblieben. Ich schätze mich +also höchst glücklich, daß mich der Himmel zu dieser unvermuteten +Entdeckung ausersehen hat; und ich freue mich jetzt so sehr, als ich +vorher, aus Furcht zu irren, zitterte. + +Der Baron. Ich bewundre Ihre Menschenliebe, wie Ihre Großmut. O +möchte es wahr sein, was mir Lisette berichtet hat! + + + +Zweiundzwanzigster Auftritt + +Das Fräulein und die Vorigen. + + +Lisette. Nun, warum sollte es nicht wahr sein? + +Der Baron. Komm, meine Tochter, komm! Verbinde deine Bitte mit der +meinigen: ersuche meinen Erretter, deine Hand, und mit deiner Hand +mein Vermögen anzunehmen. Was kann ihm meine Dankbarkeit Kostbarers +schenken, als dich, die ich ebensosehr liebe, als ihn? Wundern Sie +sich nur nicht, wie ich Ihnen so einen Antrag tun könne. Ihr +Bedienter hat uns entdeckt, wer Sie sind. Gönnen Sie mir das +unschätzbare Vergnügen, erkenntlich zu sein! Mein Vermögen ist meinem +Stande, und dieser dem Ihrigen gleich. Hier sind Sie vor Ihren +Feinden sicher und kommen unter Freunde, die Sie anbeten werden. +Allein Sie werden niedergeschlagen? Was soll ich denken? + +Das Fräulein. Sind Sie etwa meinetwegen in Sorgen? Ich versichere +Sie, ich werde dem Papa mit Vergnügen gehorchen. + +Der Reisende. Ihre Großmut setzt mich in Erstaunen. Aus der Größe +der Vergeltung, die Sie mir anbieten, erkenne ich erst, wie klein +meine Wohltat ist. Allein, was soll ich Ihnen antworten? Mein +Bedienter hat die Unwahrheit gered't, und ich-- + +Der Baron. Wollte der Himmel, daß Sie das nicht einmal wären, wofür +er Sie ausgibt! Wollte der Himmel, Ihr Stand wäre geringer, als der +meinige! So würde doch meine Vergeltung etwas kostbarer, und Sie +würden vielleicht weniger ungeneigt sein, meine Bitte stattfinden zu +lassen. + +Der Reisende (beiseite). Warum entdecke ich mich auch nicht?--Mein +Herr, Ihre Edelmütigkeit durchdringet meine ganze Seele. Allein +schreiben Sie es dem Schicksale, nicht mir zu, daß Ihr Anerbieten +vergebens ist. Ich bin--Der Baron. Vielleicht schon verheiratet? + +Der Reisende. Nein-- + +Der Baron. Nun? was? + +Der Reisende. Ich bin ein Jude. + +Der Baron. Ein Jude? grausamer Zufall! + +Christoph. Ein Jude? + +Lisette. Ein Jude? + +Das Fräulein. Ei, was tut das? + +Lisette. St! Fräulein, st! ich will es Ihnen hernach sagen, was das +tut. + +Der Baron. So gibt es denn Fälle, wo uns der Himmel selbst verhindert, +dankbar zu sein? + +Der Reisende. Sie sind es überflüssig dadurch, daß Sie es sein wollen. + +Der Baron. So will ich wenigstens soviel tun, als mir das Schicksal +zu tun erlaubt. Nehmen Sie mein ganzes Vermögen. Ich will lieber arm +und dankbar, als reich und undankbar sein. + +Der Reisende. Auch dieses Anerbieten ist bei mir umsonst, da mir der +Gott meiner Väter mehr gegeben hat, als ich brauche. Zu aller +Vergeltung bitte ich nichts, als daß Sie künftig von meinem Volke +etwas gelinder und weniger allgemein urteilen. Ich habe mich nicht +vor Ihnen verborgen, weil ich mich meiner Religion schäme. Nein! Ich +sahe aber, daß Sie Neigung zu mir, und Abneigung gegen meine Nation +hatten. Und die Freundschaft eines Menschen, er sei wer er wolle, ist +mir allezeit unschätzbar gewesen. + +Der Baron. Ich schäme mich meines Verfahrens. + +Christoph. Nun komm ich erst von meinem Erstaunen wieder zu mir +selber. Was? Sie sind ein Jude, und haben das Herz gehabt, einen +ehrlichen Christen in Ihre Dienste zu nehmen? Sie hätten mir dienen +sollen. So wär' es nach der Bibel recht gewesen. Potz Stern! Sie +haben in mir die ganze Christenheit beleidigt--Drum habe ich nicht +gewußt, warum der Herr, auf der Reise, kein Schweinfleisch essen +wollte, und sonst hundert Alfanzereien machte.--Glauben Sie nur nicht, +daß ich Sie länger begleiten werde! Verklagen will ich Sie noch dazu. + +Der Reisende. Ich kann es Euch nicht zumuten, daß Ihr besser, als der +andre christliche Pöbel, denken sollt. Ich will Euch nicht zu Gemüte +führen, aus was für erbärmlichen Umständen ich Euch in Hamburg riß. +Ich will Euch auch nicht zwingen, länger bei mir zu bleiben. Doch +weil ich mit Euren Diensten so ziemlich zufrieden bin, und ich Euch +vorhin außerdem in einem ungegründeten Verdachte hatte, so behaltet +zur Vergeltung, was diesen Verdacht verursachte. (Gibt ihm die Dose.) +Euren Lohn könnt Ihr auch haben. Sodann geht, wohin Ihr wollt! + +Christoph. Nein, der Henker! es gibt doch wohl auch Juden, die keine +Juden sind. Sie sind ein braver Mann. Topp, ich bleibe bei Ihnen! +Ein Christ hätte mir einen Fuß in die Rippen gegeben, und keine Dose! + +Der Baron. Alles was ich von Ihnen sehe, entzückt mich. Kommen Sie, +wir wollen Anstalt machen, daß die Schuldigen in sichere Verwahrung +gebracht werden. O wie achtungswürdig wären die Juden, wenn sie alle +Ihnen glichen! + +Der Reisende. Und wie liebenswürdig die Christen, wenn sie alle Ihre +Eigenschaften besäßen! (Der Baron, das Fräulein und der Reisende +gehen ab.) + + + +Letzter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette. Also, mein Freund, hat Er mich vorhin belogen? + +Christoph. Ja, und das aus zweierlei Ursachen. Erstlich, weil ich +die Wahrheit nicht wußte; und anderns, weil man für eine Dose, die man +wiedergeben muß, nicht viel Wahrheit sagen kann. + +Lisette. Und wann's dazu kömmt, ist Er wohl gar auch ein Jude, so +sehr Er sich verstellt? + +Christoph. Das ist zu neugierig für eine Jungfer gefragt! Komm Sie +nur! + +(Er nimmt sie untern Arm, und sie gehen ab.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die Juden, von Gotthold Ephraim +Lessing. + + + + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Die Juden, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE JUDEN *** + +***** This file should be named 9110-8.txt or 9110-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/9/1/1/9110/ + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +DIE JUDEN + +von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING + +Ein Lustspiel in einem Aufzuge +Verfertiget im Jahre 1749. + + +Personen: + +Michel Stich +Martin Krumm +Ein Reisender +Christoph, dessen Bedienter +Der Baron +Ein junges Fraeulein, dessen Tochter +Lisette + + + + +Erster Auftritt + +Michel Stich. Martin Krumm. + + +Martin Krumm. Du dummer Michel Stich! + +Michel Stich. Du dummer Martin Krumm! + +Martin Krumm. Wir wollen's nur gestehen, wir sind beide erzdumm +gewesen. Es waere ja auf einen nicht angekommen, den wir mehr +totgeschlagen haetten! + +Michel Stich. Wie haetten wir es aber klueger koennen anfangen? Waren +wir nicht gut vermummt? war nicht der Kutscher auf unsrer Seite? +konnten wir was dafuer, dass uns das Glueck so einen Querstrich machte? +Habe ich doch vielhundertmal gesagt: das verdammte Gluecke! ohne das +kann man nicht einmal ein guter Spitzbube sein. + +Martin Krumm. Je nu, wenn ich's beim Lichte besehe, so sind wir kaum +dadurch auf ein paar Tage laenger dem Stricke entgangen. + +Michel Stich. Ah, es hat sich was mit dem Stricke! Wenn alle Diebe +gehangen wuerden, die Galgen muessten dichter stehn. Man sieht ja kaum +aller zwei Meilen einen; und wo auch einer steht, steht er meist leer. +Ich glaube, die Herren Richter werden, aus Hoeflichkeit, die Dinger +gar eingehen lassen. Zu was sind sie auch nuetze? Zu nichts, als aufs +hoechste, dass unsereiner, wenn er vorbeigeht, die Augen zublinzt. + +Martin Krumm. Oh! das tu ich nicht einmal. Mein Vater und mein +Grossvater sind daran gestorben, was will ich's besser verlangen? Ich +schaeme mich meiner Eltern nicht. + +Michel Stich. Aber die ehrlichen Leute werden sich deiner schaemen. +Du hast noch lange nicht so viel getan, dass man dich fuer ihren rechten +und echten Sohn halten kann. + +Martin Krumm. Oh! denkst du denn, dass es deswegen unserm Herrn soll +geschenkt sein? Und an dem verzweifelten Fremden, der uns so einen +fetten Bissen aus dem Munde gerissen hat, will ich mich gewiss auch +raechen. Seine Uhr soll er so richtig muessen dalassen--Ha! sieh, da +koemmt er gleich. Hurtig geh fort! ich will mein Meisterstueck machen. + +Michel Stich. Aber halbpart! halbpart! + + + +Zweiter Auftritt + +Martin Krumm. Der Reisende. + + +Martin Krumm. Ich will mich dumm stellen.--Ganz dienstwilliger Diener, +mein Herr,--ich werde Martin Krumm heissen, und werde, auf diesem Gute +hier, wohlbestallter Vogt sein. + +Der Reisende. Das glaube ich Euch, mein Freund. Aber habt Ihr nicht +meinen Bedienten gesehen? + +Martin Krumm. Ihnen zu dienen, nein; aber ich habe wohl von Dero +preiswuerdigen Person sehr viel Gutes zu hoeren die Ehre gehabt. Und es +erfreut mich also, dass ich die Ehre habe, die Ehre Ihrer Bekanntschaft +zu geniessen. Man sagt, dass Sie unsern Herrn gestern abends, auf der +Reise, aus einer sehr gefaehrlichen Gefahr sollen gerissen haben. Wie +ich nun nicht anders kann, als mich des Gluecks meines Herrn zu +erfreuen, so erfreu ich mich-- + +Der Reisende. Ich errate, was Ihr wollt; +Ihr wollt Euch bei mir bedanken, dass ich Eurem Herrn beigestanden +habe-- + +Martin Krumm. Ja, ganz recht; eben das! + +Der Reisende. Ihr seid ein ehrlicher Mann-- + +Martin Krumm. Das bin ich! Und mit der Ehrlichkeit koemmt man immer +auch am weitesten. + +Der Reisende. Es ist mir kein geringes Vergnuegen, dass ich mir, durch +eine so kleine Gefaelligkeit, so viel rechtschaffne Leute verbindlich +gemacht habe. Ihre Erkenntlichkeit ist eine ueberfluessige Belohnung +dessen, was ich getan habe. Die allgemeine Menschenliebe verband mich +darzu. Es war meine Schuldigkeit; und ich muesste zufrieden sein, wenn +man es auch fuer nichts anders, als dafuer, angesehen haette. Ihr seid +allzu guetig, ihr lieben Leute, dass ihr euch dafuer bei mir bedanket, +was ihr mir, ohne Zweifel, mit ebenso vielem Eifer wuerdet erwiesen +haben, wenn ich mich in aehnlicher Gefahr befunden haette. Kann ich +Euch sonst worin dienen, mein Freund? + +Martin Krumm. Oh! mit dem Dienen, mein Herr, will ich Sie nicht +beschweren. Ich habe meinen Knecht, der mich bedienen muss, wann's +noetig ist. Aber--wissen moecht ich wohl gern, wie es doch dabei +zugegangen waere? Wo war's denn? Waren's viel Spitzbuben? Wollten +sie unsern guten Herrn gar ums Leben bringen, oder wollten sie ihm nur +sein Geld abnehmen? Es waere doch wohl eins besser gewesen, als das +andre. + +Der Reisende. Ich will Euch mit wenigem den ganzen Verlauf erzaehlen. +Es mag ohngefaehr eine Stunde von hier sein, wo die Raeuber Euren Herrn, +in einem hohlen Wege, angefallen hatten. Ich reisete eben diesen Weg, +und sein aengstliches Schreien um Huelfe bewog mich, dass ich nebst +meinem Bedienten eilends herzuritt. + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Ich fand ihn in einem offnen Wagen-- + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Zwei vermummte Kerle-- + +Martin Krumm. Vermummte? ei! ei! + +Der Reisende. Ja! machten sich schon ueber ihn her. + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Ob sie ihn umbringen, oder ob sie ihn nur binden +wollten, ihn alsdann desto sichrer zu pluendern, weiss ich nicht. + +Martin Krumm. Ei! ei! Ach freilich werden sie ihn wohl haben +umbringen wollen: die gottlosen Leute! + +Der Reisende. Das will ich eben nicht behaupten, aus Furcht ihnen +zuviel zu tun. + +Martin Krumm. Ja, ja, glauben Sie mir nur, sie haben ihn umbringen +wollen. Ich weiss, ich weiss ganz gewiss-- + +Der Reisende. Woher koennt Ihr +das wissen? Doch es sei. Sobald mich die Raeuber ansichtig wurden, +verliessen sie ihre Beute, und liefen ueber Macht dem nahen Gebuesche zu. +Ich loesete das Pistol auf einen. Doch es war schon zu dunkel, und er +schon zu weit entfernt, dass ich also zweifeln muss, ob ich ihn +getroffen habe. + +Martin Krumm. Nein, getroffen haben Sie ihn nicht;-- + +Der Reisende. Wisst Ihr es? + +Martin Krumm. Ich meine nur so, weil's doch schon finster gewesen ist: +und im Finstern soll man, hoer ich, nicht gut zielen koennen. + +Der Reisende. Ich kann Euch nicht beschreiben, wie erkenntlich sich +Euer Herr gegen mich bezeugte. Er nannte mich hundertmal seinen +Erretter und noetigte mich, mit ihm auf sein Gut zurueckzukehren. Ich +wollte wuenschen, dass es meine Umstaende zuliessen, laenger um diesen +angenehmen Mann zu sein; so aber muss ich mich noch heute wieder auf +den Weg machen--Und eben deswegen suche ich meinen Bedienten. + +Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich doch die Zeit bei mir nicht so lang +werden. Verziehen Sie noch ein wenig--Ja! was wollte ich denn noch +fragen? Die Raeuber,--sagen Sie mir doch--wie sahen sie denn aus? Wie +gingen sie denn? Sie hatten sich verkleidet; aber wie? + +Der Reisende. Euer Herr will durchaus behaupten, es waeren Juden +gewesen. Baerte hatten sie, das ist wahr; aber ihre Sprache war die +ordentliche hiesige Baurensprache. Wenn sie vermummt waren, wie ich +gewiss glaube, so ist ihnen die Daemmerung sehr wohl zustatten gekommen. +Denn ich begreife nicht, wie Juden die Strassen sollten koennen +unsicher machen, da doch in diesem Lande so wenige geduldet werden. + +Martin Krumm. Ja, ja, das glaub ich ganz gewiss auch, dass es Juden +gewesen sind. Sie moegen das gottlose Gesindel noch nicht so kennen. +So viel als ihrer sind, keinen ausgenommen, sind Betrueger, Diebe und +Strassenraeuber. Darum ist es auch ein Volk, das der liebe Gott +verflucht hat. Ich duerfte nicht Koenig sein: ich liess' keinen, keinen +einzigen am Leben. Ach! Gott behuete alle rechtschaffne Christen vor +diesen Leuten! Wenn sie der liebe Gott nicht selber hasste, weswegen +waeren denn nur vor kurzem, bei dem Ungluecke in Breslau, ihrer bald +noch einmal soviel als Christen geblieben? Unser Herr Pfarr erinnerte +das sehr weislich in der letzten Predigt. Es ist, als wenn sie +zugehoert haetten, dass sie sich gleich deswegen an unserm guten Herrn +haben raechen wollen. Ach! mein lieber Herr, wenn Sie wollen Glueck und +Segen in der Welt haben, so hueten Sie sich vor den Juden aerger als vor +der Pest. + +Der Reisende. Wollte Gott, dass das nur die Sprache des Poebels waere! + +Martin Krumm. Mein Herr, zum Exempel: Ich bin einmal auf der Messe +gewesen--ja! wenn ich an die Messe gedenke, so moechte ich gleich die +verdammten Juden alle auf einmal mit Gift vergeben, wenn ich nur +koennte. Dem einen hatten sie im Gedraenge das Schnupftuch, dem andern +die Tobaksdose, dem dritten die Uhr, und ich weiss nicht was sonst mehr, +wegstibitzt. Geschwind sind sie, ochsenmaessig geschwind, wenn es aufs +Stehlen ankoemmt. So behende, als unser Schulmeister nimmermehr auf +der Orgel ist. Zum Exempel, mein Herr: Erstlich draengen sie sich an +einen heran, so wie ich mich ungefaehr jetzt an Sie-- + +Der Reisende. Nur ein wenig hoeflicher, mein Freund!-- + +Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich's doch nur weisen. Wenn sie nun so +stehen,--sehen Sie,--wie der Blitz sind sie mit der Hand nach der +Uhrtasche. (Er faehrt mit der Hand, anstatt nach der Uhr, in die +Rocktasche, und nimmt ihm seine Tobaksdose heraus.) Das koennen sie nun +aber alles so geschickt machen, dass man schwoeren sollte, sie fuehren +mit der Hand dahin, wenn sie dorthin fahren. Wenn sie von der +Tobaksdose reden, so zielen sie gewiss nach der Uhr, und wenn sie von +der Uhr reden, so haben sie gewiss die Tobaksdose zu stehlen im Sinne. +(Er will ganz sauber nach der Uhr greifen, wird aber ertappt.) + +Der Reisende. Sachte! sachte! Was hat Eure Hand hier zu suchen? + +Martin Krumm. Da koennen Sie sehn, mein Herr, was ich fuer ein +ungeschickter Spitzbube sein wuerde. Wenn ein Jude schon so einen +Griff getan haette, so waere es gewiss um die gute Uhr geschehn +gewesen--Doch weil ich sehe, dass ich Ihnen beschwerlich falle, so +nehme ich mir die Freiheit, mich Ihnen bestens zu empfehlen, und +verbleibe zeitlebens fuer Dero erwiesene Wohltaten, meines +hochzuehrenden Herrn gehorsamster Diener, Martin Krumm, wohlbestallter +Vogt auf diesem hochadeligen Rittergute. + +Der Reisende. Geht nur, geht. + +Martin Krumm. Erinnern Sie sich ja, was ich Ihnen von den Juden +gesagt habe. Es ist lauter gottloses diebisches Volk. + + + +Dritter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Vielleicht ist dieser Kerl, so dumm er ist, oder sich +stellt, ein boshafterer Schelm, als je einer unter den Juden gewesen +ist. Wenn ein Jude betruegt, so hat ihn, unter neun Malen, der Christ +vielleicht siebenmal dazu genoetiget. Ich zweifle, ob viel Christen +sich ruehmen koennen, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu sein: und +sie wundern sich, wenn er ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten +sucht? Sollen Treu' und Redlichkeit unter zwei Voelkerschaften +herrschen, so muessen beide gleich viel dazu beitragen. Wie aber, wenn +es bei der einen ein Religionspunkt und beinahe ein verdienstliches +Werk waere, die andre zu verfolgen? Doch-- + + + +Vierter Auftritt + +Der Reisende. Christoph. + + +Der Reisende. Dass man Euch doch allezeit eine Stunde suchen muss, wenn +man Euch haben will. + +Christoph. Sie scherzen, mein Herr. Nicht wahr, ich kann nicht mehr, +als an einem Orte zugleich sein? Ist es also meine Schuld, dass Sie +sich nicht an diesen Ort begeben? Gewiss Sie finden mich allezeit da, +wo ich bin. + +Der Reisende. So? und Ihr taumelt gar? Nun begreif ich, warum Ihr so +sinnreich seid. Muesst Ihr Euch denn schon fruehmorgens besaufen? + +Christoph. Sie reden von Besaufen, und ich habe kaum zu trinken +angefangen. Ein paar Flaschen guten Landwein, ein paar Glaeser +Branntwein, und eine Mundsemmel ausgenommen, habe ich, so wahr ich ein +ehrlicher Mann bin, nicht das geringste zu mir genommen. Ich bin noch +ganz nuechtern. + +Der Reisende. Oh! das sieht man Euch an. Und ich rate Euch, als ein +Freund, die Portion zu verdoppeln. + +Christoph. Vortrefflicher Rat! Ich werde nicht unterlassen, ihn, +nach meiner Schuldigkeit, als einen Befehl anzusehen. Ich gehe, und +Sie sollen sehen, wie gehorsam ich zu sein weiss. + +Der Reisende. Seid klug! Ihr koennt dafuer gehn, und die Pferde +satteln und aufpacken. Ich will noch diesen Vormittag fort. + +Christoph. Wenn Sie mir im Scherze geraten haben, ein doppeltes +Fruehstueck zu nehmen, wie kann ich mir einbilden, dass Sie jetzt im +Ernste reden? Sie scheinen sich heute mit mir erlustigen zu wollen. +Macht Sie etwa das junge Fraeulein so aufgeraeumt? Oh! es ist ein +allerliebstes Kind.--Nur noch ein wenig aelter, ein klein wenig aelter +sollte sie sein. Nicht wahr, mein Herr? wenn das Frauenzimmer nicht +zu einer gewissen Reife gelangt ist,-- + +Der Reisende. Geht, und tut, was ich Euch befohlen habe. + +Christoph. Sie werden ernsthaft. Nichtsdestoweniger werde ich warten, +bis Sie mir es das drittemal befehlen. Der Punkt ist zu wichtig! +Sie koennten sich uebereilt haben. Und ich bin allezeit gewohnt gewesen, +meinen Herren Bedenkzeit zu goennen. Ueberlegen Sie es wohl, einen +Ort, wo wir fast auf den Haenden getragen werden, so zeitig wieder zu +verlassen? Gestern sind wir erst gekommen. Wir haben uns um den +Herrn unendlich verdient gemacht, und gleichwohl bei ihm kaum eine +Abendmahlzeit und ein Fruehstueck genossen. + +Der Reisende. Eure Grobheit ist unertraeglich. Wenn man sich zu +dienen entschliesst, sollte man sich gewoehnen, weniger Umstaende zu +machen. + +Christoph. Gut, mein Herr! Sie fangen an zu moralisieren, das ist: +Sie werden zornig. Maessigen Sie sich; ich gehe schon-- + +Der Reisende. Ihr muesst wenig Ueberlegungen zu machen gewohnt sein. +Das, was wir diesem Herrn erwiesen haben, verlieret den Namen einer +Wohltat, sobald wir die geringste Erkenntlichkeit dafuer zu erwarten +scheinen. Ich haette mich nicht einmal sollen mit hieher noetigen +lassen. Das Vergnuegen, einem Unbekannten ohne Absicht beigestanden zu +haben, ist schon vor sich so gross! Und er selbst wuerde uns mehr Segen +nachgewuenscht haben, als er uns jetzt uebertriebene Danksagung haelt. +Wen man in die Verbindlichkeit setzt, sich weitlaeuftig, und mit dabei +verknuepften Kosten zu bedanken, der erweiset uns einen Gegendienst, +der ihm vielleicht saurer wird, als uns unsere Wohltat geworden. Die +meisten Menschen sind zu verderbt, als dass ihnen die Anwesenheit eines +Wohltaeters nicht hoechst beschwerlich sein sollte. Sie scheint ihren +Stolz zu erniedrigen;-- + +Christoph. Ihre Philosophie, mein Herr, bringt Sie um den Atem. Gut! +Sie sollen sehen, dass ich ebenso grossmuetig bin, als Sie. Ich gehe; +in einer Viertelstunde sollen Sie sich aufsetzen koennen. + + + +Fuenfter Auftritt + +Der Reisende. Das Fraeulein. + + +Der Reisende. So wenig ich mich mit diesem Menschen gemein gemacht +habe, so gemein macht er sich mit mir. + +Das Fraeulein. Warum verlassen Sie uns, mein Herr? Warum sind Sie +hier so allein? Ist Ihnen unser Umgang schon die wenigen Stunden, die +Sie bei uns sind, zuwider geworden? Es sollte mir leid tun. Ich +suche aller Welt zu gefallen; und Ihnen moechte ich, vor allen andern, +nicht gern missfallen. + +Der Reisende. Verzeihen Sie mir, Fraeulein. Ich habe nur meinem +Bedienten befehlen wollen, alles zur Abreise fertig zu halten. + +Das Fraeulein. Wovon reden Sie? von Ihrer Abreise? Wenn war denn Ihre +Ankunft? Es sei noch, wenn Sie ueber Jahr und Tag eine melancholische +Stunde auf diesen Einfall braechte. Aber wie, nicht einmal einen +voelligen Tag aushalten wollen? Das ist zu arg. Ich sage es ihnen, +ich werde boese, wenn Sie noch einmal daran gedenken. + +Der Reisende. Sie koennten mir nichts Empfindlichers drohen. + +Das Fraeulein. Nein? im Ernst? ist es wahr, wuerden Sie empfindlich +sein, wenn ich boese auf Sie wuerde? + +Der Reisende. Wem sollte der Zorn eines liebenswuerdigen Frauenzimmers +gleichgueltig sein koennen? + +Das Fraeulein. Was Sie sagen, klingt zwar beinahe, als wenn Sie +spotten wollten, doch ich will es fuer Ernst aufnehmen; gesetzt, ich +irrte mich auch. Also, mein Herr,--ich bin ein wenig liebenswuerdig, +wie man mir gesagt hat,--und ich sage Ihnen noch einmal, ich werde +entsetzlich, entsetzlich zornig werden, wenn Sie, binnen hier und dem +neuen Jahr, wieder an Ihre Abreise gedenken. + +Der Reisende. Der Termin ist sehr liebreich bestimmt. Alsdann +wollten Sie mir, mitten im Winter, die Tuere weisen; und bei dem +unbequemsten Wetter-Das Fraeulein. Ei! wer sagt das? Ich sage nur, +dass Sie alsdann, des Wohlstands halber, etwa einmal an die Abreise +denken koennen. Wir werden Sie deswegen nicht fortlassen; wir wollen +Sie schon bitten-- + +Der Reisende. Vielleicht auch des Wohlstands halber? + +Das Fraeulein. Ei! seht, man sollte nicht glauben, dass ein so +ehrliches Gesicht auch spotten koennte.--Ah! da koemmt der Papa. Ich +muss fort! Sagen Sie ja nicht, dass ich bei Ihnen gewesen bin. Er +wirft mir so oft genug vor, dass ich gern um Mannspersonen waere. + + + +Sechster Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. + + +Der Baron. War nicht meine Tochter bei Ihnen? Warum laeuft denn das +wilde Ding? + +Der Reisende. Das Glueck ist unschaetzbar, eine so angenehme und muntre +Tochter zu haben. Sie bezaubert durch ihre Reden, in welchen die +liebenswuerdigste Unschuld, der ungekuensteltste Witz herrschst. + +Der Baron. Sie urteilen zu guetig von ihr. Sie ist wenig unter +ihresgleichen gewesen, und besitzt die Kunst zu gefallen, die man +schwerlich auf dem Lande erlernen kann, und die doch oft mehr, als die +Schoenheit selbst vermag, in einem sehr geringen Grade. Es ist alles +bei ihr noch die sich selbst gelassne Natur. + +Der Reisende. Und diese ist desto einnehmender, je weniger man sie in +den Staedten antrifft. Alles ist da verstellt, gezwungen und erlernt. +Ja man ist schon so weit darin gekommen, dass man Dummheit, Grobheit +und Natur fuer gleich viel bedeutende Woerter haelt. + +Der Baron. Was koennte mir angenehmer sein, als dass ich sehe, wie +unsre Gedanken und Urteile so sehr uebereinstimmen? Oh! dass ich nicht +laengst einen Freund Ihresgleichen gehabt habe! + +Der Reisende. Sie werden ungerecht gegen Ihre uebrigen Freunde. + +Der Baron. Gegen meine uebrigen Freunde, sagen Sie? Ich bin funfzig +Jahr alt.--Bekannte habe ich gehabt, aber noch keinen Freund. Und +niemals ist mir die Freundschaft so reizend vorgekommen, als seit den +wenigen Stunden, da ich nach der Ihrigen strebe. Wodurch kann ich sie +verdienen? + +Der Reisende. Meine Freundschaft bedeutet so wenig; dass das blosse +Verlangen darnach ein genugsames Verdienst ist, sie zu erhalten. Ihre +Bitte ist weit mehr wert, als das, was Sie bitten. + +Der Baron. Oh, mein Herr, die Freundschaft eines Wohltaeters-Der +Reisende. Erlauben Sie,--ist keine Freundschaft. Wenn Sie mich unter +dieser falschen Gestalt betrachten, so kann ich Ihr Freund nicht sein. +Gesetzt einen Augenblick, ich waere Ihr Wohltaeter: wuerde ich nicht zu +befuerchten haben, dass Ihre Freundschaft nichts, als eine wirksame +Dankbarkeit waere? + +Der Baron. Sollte sich beides nicht verbinden lassen? + +Der Reisende. Sehr schwer! Diese haelt ein edles Gemuet fuer seine +Pflicht; jene erfodert lauter willkuerliche Bewegungen der Seele. + +Der Baron. Aber wie sollte ich--Ihr allzu zaertlicher Geschmack macht +mich ganz verwirrt.-- + +Der Reisende. Schaetzen Sie mich nur nicht hoeher, als ich es verdiene. +Aufs hoechste bin ich ein Mensch, der seine Schuldigkeit mit Vergnuegen +getan hat. Die Schuldigkeit an sich selbst ist keiner Dankbarkeit +wert. Dass ich sie aber mit Vergnuegen getan habe, dafuer bin ich +genugsam durch Ihre Freundschaft belohnt. + +Der Baron. Diese Grossmut verwirrt mich nur noch mehr.--Aber ich bin +vielleicht zu verwegen.--Ich habe mich noch nicht unterstehen wollen, +nach Ihrem Namen, nach Ihrem Stande zu fragen.--Vielleicht biete ich +meine Freundschaft einem an, der--der sie zu verachten-- + +Der Reisende. Verzeihen Sie, mein Herr!--Sie--Sie machen sich--Sie +haben allzu grosse Gedanken von mir. + +Der Baron (beiseite). Soll ich ihn wohl fragen? Er kann meine +Neugierde uebelnehmen. + +Der Reisende (beiseite). Wenn er mich fragt, was werde ich ihm +antworten? + +Der Baron (beiseite). Frage ich ihn nicht, so kann er es als eine +Grobheit auslegen. + +Der Reisende (beiseite). Soll ich ihm die Wahrheit sagen? + +Der Baron (beiseite). Doch ich will den sichersten Weg gehen. Ich +will erst seinen Bedienten ausfragen lassen. + +Der Reisende (beiseite). Koennte ich doch dieser Verwirrung ueberhoben +sein!-- + +Der Baron. Warum so nachdenkend? + +Der Reisende. Ich war gleich bereit, diese Frage an Sie zu tun, mein +Herr-- + +Der Baron. Ich weiss es, man vergisst sich dann und wann. Lassen Sie +uns von etwas andern reden--Sehen Sie, dass es wirkliche Juden gewesen +sind, die mich angefallen haben? Nur jetzt hat mir mein Schulze +gesagt, dass er vor einigen Tagen ihrer drei auf der Landstrasse +angetroffen. Wie er sie mir beschreibt, haben sie Spitzbuben +aehnlicher, als ehrlichen Leuten, gesehen. Und warum sollte ich auch +daran zweifeln? Ein Volk, das auf den Gewinst so erpicht ist, fragt +wenig darnach, ob es ihn mit Recht oder Unrecht, mit List oder +Gewaltsamkeit erhaelt.--Es scheinet auch zur Handelschaft, oder deutsch +zu reden, zur Betruegerei gemacht zu sein. Hoeflich, frei, unternehmend, +verschwiegen, sind Eigenschaften, die es schaetzbar machen wuerden, +wenn es sie nicht allzusehr zu unserm Unglueck anwendete--(Er haelt +etwas inne.)--Die Juden haben mir sonst schon nicht wenig Schaden und +Verdruss gemacht. Als ich noch in Kriegsdiensten war, liess ich mich +bereden, einen Wechsel fuer einen meiner Bekannten mit zu +unterschreiben; und der Jude, an den er ausgestellet war, brachte mich +nicht allein dahin, dass ich ihn bezahlen, sondern, dass ich ihn sogar +zweimal bezahlen musste.--Oh! es sind die allerboshaftesten, +niedertraechtigsten Leute.--Was sagen sie dazu? Sie scheinen ganz +niedergeschlagen. + +Der Reisende. Was soll ich sagen? Ich muss sagen, dass ich diese Klage +sehr oft gehoert habe-- + +Der Baron. Und ist es nicht wahr, ihre Gesichtsbildung hat gleich +etwas, das uns wider sie einnimmt? Das Tueckische, das Ungewissenhafte, +das Eigennuetzige, Betrug und Meineid, sollte man sehr deutlich aus +ihren Augen zu lesen glauben.--Aber, warum kehren Sie sich von mir? + +Der Reisende. Wie ich hoere, mein Herr, so sind Sie ein grosser Kenner +der Physiognomie, und ich besorge, dass die meinige-- + +Der Baron. Oh! Sie kraenken mich. Wie koennen Sie auf dergleichen +Verdacht kommen? Ohne ein Kenner der Physiognomie zu sein, muss ich +Ihnen sagen, dass ich nie eine so aufrichtige, grossmuetige und gefaellige +Miene gefunden habe, als die Ihrige. + +Der Reisende. Ihnen die Wahrheit zu gestehn: ich bin kein Freund +allgemeiner Urteile ueber ganze Voelker--Sie werden meine Freiheit nicht +uebelnehmen.--Ich sollte glauben, dass es unter allen Nationen gute und +boese Seelen geben koenne. Und unter den Juden-- + + + +Siebenter Auftritt + +Das Fraeulein. Der Reisende. Der Baron. + + +Das Fraeulein. Ach! Papa-- + +Der Baron. Nu, nu! fein wild, fein wild! Vorhin liefst du vor mir: +was sollte das bedeuten?-Das Fraeulein. Vor Ihnen bin ich nicht +gelaufen, Papa: sondern nur vor Ihrem Verweise. + +Der Baron. Der Unterscheid ist sehr subtil. Aber was war es denn, +das meinen Verweis verdiente? + +Das Fraeulein. Oh! Sie werden es schon wissen. Sie sahen es ja! Ich +war bei dem Herrn-- + +Der Baron. Nun? und-Das Fraeulein. Und der Herr ist eine Mannsperson, +und mit den Mannspersonen, haben Sie befohlen, mir nicht allzuviel zu +tun zu machen.-- + +Der Baron. Dass dieser Herr eine Ausnahme sei, haettest du wohl merken +sollen. Ich wollte wuenschen, dass er dich leiden koennte--Ich werde es +mit Vergnuegen sehen, wenn du auch bestaendig um ihn bist. + +Das Fraeulein. Ach!--es wird wohl das erste- und letztemal gewesen +sein. Sein Diener packt schon auf--Und das wollte ich Ihnen eben +sagen. + +Der Baron. Was? wer? sein Diener? + +Der Reisende. Ja, mein Herr, ich hab es ihm befohlen. Meine +Verrichtungen und die Besorgnis, Ihnen beschwerlich zu fallen-Der +Baron. Was soll ich ewig davon denken? Soll ich das Glueck nicht +haben, Ihnen naeher zu zeigen, dass Sie sich ein erkenntliches Herz +verbindlich gemacht haben? Oh! ich bitte Sie, fuegen Sie zu Ihrer +Wohltat noch die andre hinzu, die mir ebenso schaetzbar, als die +Erhaltung meines Lebens, sein wird; bleiben Sie einige Zeit +--wenigstens einige Tage bei mir; ich wuerde mir es ewig vorzuwerfen +haben, dass ich einen Mann, wie Sie, ungekannt, ungeehrt, unbelohnt, +wenn es anders in meinem Vermoegen steht, von mir gelassen haette. +Ich habe einige meiner Anverwandten auf heute einladen lassen, mein +Vergnuegen mit ihnen zu teilen, und ihnen das Glueck zu verschaffen, +meinen Schutzengel kennenzulernen. + +Der Reisende. Mein Herr, ich muss notwendig-Das Fraeulein. Dableiben, +mein Herr, dableiben! Ich laufe, Ihrem Bedienten zu sagen, dass er +wieder abpacken soll. Doch da ist er schon. + + + +Achter Auftritt + +Christoph (in Stiefeln und Sporen, und zwei Mantelsaecke unter den +Armen). Die Vorigen. + + +Christoph. Nun! mein Herr, es ist alles fertig. Fort! kuerzen Sie +Ihre Abschiedsformeln ein wenig ab. Was soll das viele Reden, wenn +wir nicht dableiben koennen? + +Der Baron. Was hindert euch denn, hierzubleiben? + +Christoph. Gewisse Betrachtungen, mein Herr Baron, die den Eigensinn +meines Herrn zum Grunde, und seine Grossmut zum Vorwande haben. + +Der Reisende. Mein Diener ist oefters nicht klug: verzeihen Sie ihm. +Ich sehe, dass Ihre Bitten in der Tat mehr als Komplimente sind. Ich +ergebe mich; damit ich nicht aus Furcht grob zu sein, eine Grobheit +begehen moege. + +Der Baron. Oh! was fuer Dank bin ich Ihnen schuldig! + +Der Reisende. Ihr koennt nur gehen, und wieder abpacken! Wir wollen +erst morgen fort. + +Das Fraeulein. Nu! hoert Er nicht? Was steht Er denn da? Er soll gehn, +und wieder abpacken. + +Christoph. Von Rechts wegen sollte ich boese werden. Es ist mir auch +beinahe, als ob mein Zorn erwachen wollte; doch weil nichts Schlimmers +daraus erfolgt, als dass wir hier bleiben, und zu essen und zu trinken +bekommen, und wohl gepflegt werden, so mag es sein! Sonst lass ich mir +nicht gern unnoetige Muehe machen: wissen Sie das? + +Der Reisende. Schweigt! Ihr seid zu unverschaemt. + +Christoph. Denn ich sage die Wahrheit. + +Das Fraeulein. Oh! das ist vortrefflich, dass Sie bei uns bleiben. Nun +bin ich Ihnen noch einmal so gut. Kommen Sie, ich will Ihnen unsern +Garten zeigen; er wird Ihnen gefallen. + +Der Reisende. Wenn er Ihnen gefaellt, Fraeulein, so ist es schon so gut, +als gewiss. + +Das Fraeulein. Kommen Sie nur;--unterdessen wird es Essenszeit. Papa, +Sie erlauben es doch? + +Der Baron. Ich werde euch sogar begleiten. + +Das Fraeulein. Nein, nein, das wollen wir Ihnen nicht zumuten. Sie +werden zu tun haben. + +Der Baron. Ich habe jetzt nichts Wichtigers zu tun, als meinen Gast +zu vergnuegen. + +Das Fraeulein. Er wird es Ihnen nicht uebelnehmen: nicht wahr, mein +Herr? (Sachte zu ihm.) Sprechen Sie doch Nein. Ich moechte gern mit +Ihnen allein gehen. + +Der Reisende. Es wird mich gereuen, dass ich mich so leicht habe +bewegen lassen, hierzubleiben, sobald ich sehe, dass ich Ihnen im +geringsten verhinderlich bin. Ich bitte also-- + +Der Baron. Oh! warum kehren Sie sich an des Kindes Rede? + +Das Fraeulein. Kind?--Papa!--beschaemen Sie mich doch nicht so!--Der +Herr wird denken, wie jung ich bin!--Lassen Sie es gut sein; ich bin +alt genug, mit Ihnen spazieren zu gehen.--Kommen Sie!--Aber sehen Sie +einmal: Ihr Diener steht noch da, und hat die Mantelsaecke unter den +Armen. + +Christoph. Ich daechte, das ginge nur den an, dem es sauer wird? + +Der Reisende. Schweigt! Man erzeigt Euch zuviel Ehre-- + + + +Neunter Auftritt + +Lisette. Die Vorigen. + + +Der Baron (indem er Lisetten kommen sieht). Mein Herr, ich werde +Ihnen gleich nachfolgen, wann es Ihnen gefaellig ist, meine Tochter in +den Garten zu begleiten. + +Das Fraeulein. Oh! bleiben Sie so lange, als es Ihnen gefaellt. Wir +wollen uns schon die Zeit vertreiben. Kommen Sie! + +(Das Fraeulein und der Reisende gehen ab.) + +Der Baron. Lisette, dir habe ich etwas zu sagen!-- + +Lisette. Nu? + +Der Baron (sachte zu ihr). Ich weiss noch nicht, wer unser Gast ist. +Gewisser Ursachen wegen mag ich ihn auch nicht fragen. Koenntest du +nicht von seinem Diener-- + +Lisette. Ich weiss, was Sie wollen. Dazu trieb mich meine +Neugierigkeit von selbst, und deswegen kam ich hieher.-- + +Der Baron. Bemuehe dich also,--und gib mir Nachricht davon. Du wirst +Dank bei mir verdienen. + +Lisette. Gehen Sie nur. + +Christoph. Sie werden es also nicht uebelnehmen, mein Herr, dass wir es +uns bei Ihnen gefallen lassen. Aber ich bitte, machen Sie sich +meinetwegen keine Ungelegenheit; ich bin mit allem zufrieden, was da +ist. + +Der Baron. Lisette, ich uebergebe ihn deiner Aufsicht. Lass ihn an +nichts Mangel leiden. (Geht ab.) + +Christoph. Ich empfehle mich also, Mademoisell, Dero guetigen Aufsicht, +die mich an nichts wird Mangel leiden lassen (will abgehen). + + + +Zehnter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette (haelt ihn auf). Nein, mein Herr, ich kann es unmoeglich ueber +mein Herz bringen, Sie so unhoeflich sein zu lassen--Bin ich denn nicht +Frauenzimmers genug, um einer kurzen Unterhaltung wert zu sein? + +Christoph. Der Geier! Sie nehmen die Sache genau, Mamsell. Ob Sie +Frauenzimmers genug oder zuviel sind, kann ich nicht sagen. Wenn ich +zwar aus Ihrem gespraechigen Munde schliessen sollte, so duerfte ich +beinahe das letzte behaupten. Doch dem sei, wie ihm wolle; jetzt +werden Sie mich beurlauben;--Sie sehen, ich habe Haende und Arme voll. +--Sobald mich hungert oder duerstet, werde ich bei Ihnen sein. + +Lisette. So macht's unser Schirrmeister auch. + +Christoph. Der Henker! das muss ein gescheuter Mann sein: er macht's +wie ich! + +Lisette. Wenn Sie ihn wollen kennenlernen: er liegt vor dem +Hinterhause an der Kette. + +Christoph. Verdammt! ich glaube gar, Sie meinen den Hund. Ich merke +also wohl, Sie werden den leiblichen Hunger und Durst verstanden haben. +Den aber habe ich nicht verstanden; sondern den Hunger und Durst der +Liebe. Den, Mamsell, den! Sind Sie nun mit meiner Erklaerung +zufrieden? + +Lisette. Besser als mit dem Erklaerten. + +Christoph. Ei! im Vertrauen:--Sagen Sie etwa zugleich auch damit so +viel, dass Ihnen ein Liebesantrag von mir nicht zuwider sein wuerde? + +Lisette. Vielleicht! Wollen Sie mir einen tun? im Ernst? + +Christoph. Vielleicht! + +Lisette. Pfui! was das fuer eine Antwort ist! vielleicht! + +Christoph. Und sie war doch nicht ein Haar anders, als die Ihrige. + +Lisette. In meinem Munde will sie aber ganz etwas anders sagen. +Vielleicht, ist eines Frauenzimmers groesste Versicherung. Denn so +schlecht unser Spiel auch ist, so muessen wir uns doch niemals in die +Karte sehen lassen. + +Christoph. Ja, wenn das ist!--Ich daechte, wir kaemen also zur Sache. +--(Er schmeisst beide Mantelsaecke auf die Erde.) Ich weiss nicht, warum +ich mir's so sauer mache? Da liegt!--Ich liebe Sie, Mamsell. + +Lisette. Das heiss ich, mit wenigen viel sagen. Wir wollen's +zergliedern-- + +Christoph. Nein, wir wollen's lieber ganz lassen. Doch,--damit wir +in Ruhe einander unsre Gedanken eroeffnen koennen;--belieben Sie sich +niederzulassen!--Das Stehn ermuedet mich.--Ohne Umstaende!--(Er noetiget +sie auf den Mantelsack zu sitzen.)--Ich liebe Sie, Mamsell.-- + +Lisette. Aber,--ich sitze verzweifelt hart.--Ich glaube gar, es sind +Buecher darin-- + +Christoph. Darzu recht zaertliche und witzige;--und gleichwohl sitzen +Sie hart darauf? Es ist meines Herrn Reisebibliothek. Sie besteht +aus Lustspielen, die zum Weinen, und aus Trauerspielen, die zum Lachen +bewegen; aus zaertlichen Heldengedichten; aus tiefsinnigen Trinkliedern, +und was dergleichen neue Siebensachen mehr sind.--Doch wir wollen +umwechseln. Setzen Sie sich auf meinen;--ohne Umstaende!--meiner ist +der weichste. + +Lisette. Verzeihen Sie! So grob werde ich nicht sein-- + +Christoph. Ohne Umstaende,--ohne Komplimente!--Wollen Sie nicht?--So +werde ich Sie hintragen.-- + +Lisette. Weil Sie es denn befehlen--(Sie steht auf und will sich auf +den andern setzen.) + +Christoph. Befehlen? behuete Gott!--Nein! befehlen will viel sagen. +--Wenn Sie es so nehmen wollen, so bleiben Sie lieber sitzen.--(Er +setzt sich wieder auf seinen Mantelsack.) + +Lisette (beiseite). Der Grobian! Doch ich muss es gut sein lassen-- + +Christoph. Wo blieben wir denn?--Ja,--bei der Liebe--Ich liebe Sie +also, Mamsell. Je vous aime, wuerde ich sagen, wenn Sie eine +franzoesische Marquisin waeren. + +Lisette. Der Geier! Sie sind wohl gar ein Franzose? + +Christoph. Nein, ich muss meine Schande gestehn: ich bin nur ein +Deutscher.--Aber ich habe das Glueck gehabt, mit verschiedenen +Franzosen umgehen zu koennen, und da habe ich denn so ziemlich gelernt, +was zu einem rechtschaffnen Kerl gehoert. Ich glaube, man sieht mir es +auch gleich an. + +Lisette. Sie kommen also vielleicht mit Ihrem Herrn aus Frankreich? + +Christoph. Ach nein!-- + +Lisette. Wo sonst her? freilich wohl!-- + +Christoph. Es liegt noch einige Meilen hinter Frankreich, wo wir +herkommen. + +Lisette. Aus Italien doch wohl nicht? + +Christoph. Nicht weit davon. + +Lisette. Aus Engeland also? + +Christoph. Beinahe; Engeland ist eine Provinz davon. Wir sind ueber +funfzig Meilen von hier zu Hause.--Aber, dass Gott!--meine Pferde,--die +armen Tiere stehen noch gesattelt. Verzeihen Sie, Mamsell!--Hurtig! +stehen Sie auf!--(Er nimmt die Mantelsaecke wieder untern Arm. )--Trotz +meiner inbruenstigen Liebe muss ich doch gehn, und erst das Noetige +verrichten.--Wir haben noch den ganzen Tag, und, was das meiste ist, +noch die ganze Nacht vor uns. Wir wollen schon noch eins werden.--Ich +werde sie wohl wieder zu finden wissen. + + + +Eilfter Auftritt + +Martin Krumm. Lisette. + + +Lisette. Von dem werde ich wenig erfahren koennen. Entweder, er ist +zu dumm, oder zu fein. Und beides macht unergruendlich. + +Martin Krumm. So, Jungfer Lisette? Das ist auch der Kerl darnach, +dass er mich ausstechen sollte! + +Lisette. Das hat er nicht noetig gehabt. + +Martin Krumm. Nicht noetig gehabt? Und ich denke, wer weiss wie fest +ich in Ihrem Herzen sitze. + +Lisette. Das macht, Herr Vogt, Er denkt's. Leute von Seiner Art +haben das Recht, abgeschmackt zu denken. Drum aergre ich mich auch +nicht darueber, dass Er's gedacht hat; sondern, dass Er mir's gesagt hat. +Ich moechte wissen, was Ihn mein Herz angeht? Mit was fuer +Gefaelligkeiten, mit was fuer Geschenken hat Er sich denn ein Recht +darauf erworben?--Man gibt die Herzen jetzt nicht mehr, so in den Tag +hinein, weg. Und glaubt Er etwa, dass ich so verlegen mit dem meinigen +bin? Ich werde schon noch einen ehrlichen Mann dazu finden, ehe ich's +vor die Saeue werfe. + +Martin Krumm. Der Teufel, das verschnupft! Ich muss eine Prise Tabak +darauf nehmen.--Vielleicht geht es wieder mit dem Niesen fort.--(Er +zieht die entwende Dose hervor, spielt einige Zeit in den Haenden damit, +und nimmt endlich, auf eine laecherlich hochmuetige Art, eine Prise.) + +Lisette (schielt ihn von der Seite an). Verzweifelt! wo bekoemmt der +Kerl die Dose her? + +Martin Krumm. Belieben Sie ein Prischen? + +Lisette. Oh, Ihre untertaenige Magd, mein Herr Vogt! (Sie nimmt.) + +Martin Krumm. Was eine silberne Dose nicht kann!--Koennte ein +Ohrwuermchen geschmeidiger sein? + +Lisette. Ist es eine silberne Dose? + +Martin Krumm. Wann's keine silberne waere, so wuerde sie Martin Krumm +nicht haben. + +Lisette. Ist es nicht erlaubt, sie zu besehn? + +Martin Krumm. Ja, aber nur in meinen Haenden. + +Lisette. Die Fasson ist vortrefflich. + +Martin Krumm. Ja, sie wiegt ganzer fuenf Lot. + +Lisette. Nur der Fasson wegen moechte ich so ein Doeschen haben. + +Martin Krumm. Wenn ich sie zusammenschmelzen lasse, steht Ihnen die +Fasson davon zu Dienste. + +Lisette. Sie sind allzu guetig!--Es ist ohne Zweifel ein Geschenk? + +Martin Krumm. Ja, sie kostet mir nicht einen Heller. + +Lisette. Wahrhaftig, so ein Geschenk koennte ein Frauenzimmer recht +verblenden! Sie koennen Ihr Glueck damit machen, Herr Vogt. Ich +wenigstens wuerde mich, wenn man mich mit silbernen Dosen anfiele, sehr +schlecht verteidigen koennen. Mit so einer Dose haette ein Liebhaber +gegen mich gewonnen Spiel. + +Martin Krumm. Ich versteh's, ich versteh's! + +Lisette. Da sie Ihnen so nichts kostet, wollte ich Ihnen raten, Herr +Vogt, sich eine gute Freundin damit zu machen-- + +Martin Krumm. Ich versteh's, ich versteh's!-Lisette (schmeichelnd). +Wollten Sie mir sie wohl schenken?-- + +Martin Krumm. O um Verzeihung!--Man gibt die silbernen Dosen jetzt +nicht mehr, so in den Tag hinein, weg. Und glaubt Sie denn, Jungfer +Lisette, dass ich so verlegen mit der meinigen bin? Ich werde schon +noch einen ehrlichen Mann dazu finden, ehe ich sie vor die Saeue werfe. + +Lisette. Hat man jemals eine duemmre Grobheit gefunden!--Ein Herz +einer Schnupftabaksdose gleich zu schaetzen? + +Martin Krumm. Ja, ein steinern Herz einer silbern Schnupftabaksdose-- + +Lisette. Vielleicht wuerde es aufhoeren, steinern zu sein, wenn--Doch +alle meine Reden sind vergebens--Er ist meiner Liebe nicht wert--Was +ich fuer eine gutherzige Naerrin bin!--(will weinen) beinahe haette ich +geglaubt, der Vogt waere noch einer von den ehrlichen Leuten, die es +meinen, wie sie es reden-- + +Martin Krumm. Und was ich fuer ein gutherziger Narre bin, dass ich +glaube, ein Frauenzimmer meine es, wie sie es red't!--Da, mein +Lisettchen, weine Sie nicht!--(Er gibt ihr die Dose.)--Aber nun bin +ich doch wohl Ihrer Liebe wert?--Zum Anfange verlange ich nichts, als +nur ein Kuesschen auf Ihre schoene Hand!--(Er kuesst sie.) Ah, wie schmeckt +das! + + + +Zwoelfter Auftritt + +Das Fraeulein. Lisette. Martin Krumm. + + +Das Fraeulein (sie koemmt dazu geschlichen, und stoesst ihn mit dem Kopfe +auf die Hand). Ei! Herr Vogt,--kuess Er mir doch meine Hand auch! + +Lisette. Dass doch!-- + +Martin Krumm. Ganz gern, gnaediges Fraeulein--(Er will ihr die Hand +kuessen.) + +Das Fraeulein (gibt ihm eine Ohrfeige). Ihr Flegel, versteht Ihr denn +keinen Spass? + +Martin Krumm. Den Teufel mag das Spass sein! + +Lisette. Ha! ha! ha! (Lacht ihn aus.) O ich bedaure Ihn, mein lieber +Vogt--Ha! ha! ha! + +Martin Krumm. So? und Sie lacht noch dazu? Ist das mein Dank? Schon +gut, schon gut! (Gehet ab.) + +Lisette. Ha! ha! ha! + + + +Dreizehnter Auftritt + +Lisette. Das Fraeulein. + + +Das Fraeulein. Haette ich's doch nicht geglaubt, wenn ich's nicht +selbst gesehen haette. Du laesst dich kuessen? und noch dazu vom Vogt? + +Lisette. Ich weiss auch gar nicht, was Sie fuer Recht haben, mich zu +belauschen? Ich denke, Sie gehen im Garten mit dem Fremden spazieren. + +Das Fraeulein. Ja, und ich waere noch bei ihm, wenn der Papa nicht +nachgekommen waere. Aber so kann ich ja kein kluges Wort mit ihm +sprechen. Der Papa ist gar zu ernsthaft-- + +Lisette. Ei, was nennen Sie denn ein kluges Wort? Was haben Sie denn +wohl mit ihm zu sprechen, das der Papa nicht hoeren duerfte? + +Das Fraeulein. Tausenderlei!--Aber du machst mich boese, wo du mich +noch mehr fragst. Genug, ich bin dem fremden Herrn gut. Das darf ich +doch wohl gestehn? + +Lisette. Sie wuerden wohl greulich mit dem Papa zanken, wenn er Ihnen +einmal so einen Braeutigam verschaffte? Und im Ernst, wer weiss, was er +tut. Schade nur, dass Sie nicht einige Jahre aelter sind: es koennte +vielleicht bald zustande kommen. + +Das Fraeulein. Oh, wenn es nur am Alter liegt, so kann mich ja der +Papa einige Jahr aelter machen. Ich werde ihm gewiss nicht +widersprechen. + +Lisette. Nein, ich weiss noch einen bessern Rat. Ich will Ihnen +einige Jahre von den meinigen geben, so ist uns allen beiden geholfen. +Ich bin alsdann nicht zu alt, und Sie nicht zu jung. + +Das Fraeulein. Das ist auch wahr; das geht ja an! + +Lisette. Da koemmt des Fremden Bedienter; ich muss mit ihm sprechen. +Es ist alles zu Ihrem Besten--Lassen Sie mich mit ihm allein.--Gehen +Sie. + +Das Fraeulein. Vergiss es aber nicht, wegen der Jahre--Hoerst du, +Lisette? + + + +Vierzehnter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette. Mein Herr, Sie hungert oder durstet gewiss, dass Sie schon +wiederkommen? nicht? + +Christoph. Ja freilich!--Aber wohlgemerkt, wie ich den Hunger und +Durst erklaert habe. Ihr die Wahrheit zu gestehn, meine liebe Jungfer, +so hatte ich schon, sobald ich gestern vom Pferde stieg, ein Auge auf +Sie geworfen. Doch weil ich nur einige Stunden hierzubleiben +vermeinte, so glaubte ich, es verlohne sich nicht der Muehe, mich mit +Ihr bekannt zu machen. Was haetten wir in so kurzer Zeit koennen +ausrichten? Wir haetten unsern Roman von hinten muessen anfangen. +Allein es ist auch nicht allzusicher, die Katze bei dem Schwanze aus +dem Ofen zu ziehen. + +Lisette. Das ist wahr! nun aber koennen wir schon ordentlicher +verfahren. Sie koennen mir Ihren Antrag tun; ich kann darauf antworten. +Ich kann Ihnen meine Zweifel machen; Sie koennen mir sie aufloesen. +Wir koennen uns bei jedem Schritte, den wir tun, bedenken, und duerfen +einander nicht den Affen im Sacke verkaufen. Haetten Sie mir gestern +gleich Ihren Liebesantrag getan; es ist wahr, ich wuerde ihn angenommen +haben. Aber ueberlegen Sie einmal, wieviel ich gewagt haette, wenn ich +mich nicht einmal nach Ihrem Stande, Vermoegen, Vaterlande, Bedienungen +und dergleichen mehr zu erkundigen Zeit gehabt haette? + +Christoph. Der Geier! waere das aber auch so noetig gewesen? So viel +Umstaende? Sie koennten ja bei dem Heiraten nicht mehrere machen?-- + +Lisette. Oh! wenn es nur auf eine kahle Heirat angesehen waere, so +waer' es laecherlich, wenn ich so gewissenhaft sein wollte. Allein mit +einem Liebesverstaendnisse ist es ganz etwas anders! Hier wird die +schlechteste Kleinigkeit zu einem wichtigen Punkte. Also glauben Sie +nur nicht, dass Sie die geringste Gefaelligkeit von mir erhalten werden, +wenn Sie meiner Neugierde nicht in allen Stuecken ein Gnuege tun. + +Christoph. Nu? wie weit erstreckt sich denn die? + +Lisette. Weil man doch einen Diener am besten nach seinem Herrn +beurteilen kann, so verlange ich vor allen Dingen zu wissen-- + +Christoph. Wer mein Herr ist? Ha! ha! das ist lustig. Sie fragen +mich etwas, das ich Sie gern selbst fragen moechte, wenn ich glaubte, +dass Sie mehr wuessten, als ich. + +Lisette. Und mit dieser abgedroschnen Ausflucht denken Sie +durchzukommen? Kurz, ich muss wissen, wer Ihr Herr ist, oder unsre +ganze Freundschaft hat ein Ende. + +Christoph. Ich kenne meinen Herrn nicht laenger, als seit vier Wochen. +So lange ist es, dass er mich in Hamburg in seine Dienste genommen hat. +Von da aus habe ich ihn begleitet, niemals mir aber die Muehe +genommen, nach seinem Stande oder Namen zu fragen. So viel ist gewiss, +reich muss er sein; denn er hat weder mich noch sich auf der Reise +notleiden lassen. Und was brauch ich mich mehr zu bekuemmern? + +Lisette. Was soll ich mir von Ihrer Liebe versprechen, da Sie meiner +Verschwiegenheit nicht einmal eine solche Kleinigkeit anvertrauen +wollen? Ich wuerde nimmermehr gegen Sie so sein. Zum Exempel, hier +habe ich eine schoene silberne Schnupftabaksdose-- + +Christoph. Ja? nu?-- + +Lisette. Sie duerften mich ein klein wenig bitten, so sagte ich Ihnen, +von wem ich sie bekommen habe-- + +Christoph. Oh! daran ist mir nun eben so viel nicht gelegen. Lieber +moechte ich wissen, wer sie von Ihnen bekommen sollte? + +Lisette. Ueber den Punkt habe ich eigentlich noch nichts +beschlossen. Doch wenn Sie sie nicht sollten bekommen, so haben Sie +es niemanden anders, als sich selbst zuzuschreiben. Ich wuerde Ihre +Aufrichtigkeit gewiss nicht unbelohnt lassen. + +Christoph. Oder vielmehr meine Schwatzhaftigkeit! Doch, so wahr ich +ein ehrlicher Kerl bin, wann ich dasmal verschwiegen bin, so bin ich's +aus Not. Denn ich weiss nichts, was ich ausplaudern koennte. Verdammt! +wie gern wollte ich meine Geheimnisse ausschuetten, wann ich nur welche +haette. + +Lisette. Adieu! ich will Ihre Tugend nicht laenger bestuermen. Nur +wuensch ich, dass sie Ihnen bald zu einer silbernen Dose und einer +Liebsten verhelfen moege, so wie sie Sie jetzt um beides gebracht hat. +(Will geben.) + +Christoph. Wohin? wohin? Geduld! (Beiseite.) Ich sehe mich genoetigt, +zu luegen. Denn so ein Geschenk werde ich mir doch nicht sollen +entgehn lassen? Was wird's auch viel schaden? + +Lisette. Nun, wollen Sie es naeher geben? Aber,--ich sehe schon, es +wird Ihnen sauer. Nein, nein; ich mag nichts wissen-- + +Christoph. Ja, ja, Sie soll alles wissen!--(Beiseite.) Wer doch recht +viel luegen koennte!--Hoeren Sie nur!--Mein Herr ist--ist einer von Adel. +Er koemmt,--wir kommen miteinander aus--aus--Holland. Er hat +muessen--gewisser Verdruesslichkeiten wegen--einer Kleinigkeit--eines +Mords wegen--entfliehen-- + +Lisette. Was? eines Mords wegen? + +Christoph. Ja,--aber eines honetten Mords--eines Duells wegen +entfliehen.--Und jetzt eben--ist er auf der Flucht-- + +Lisette. Und Sie, mein Freund?-- + +Christoph. Ich, bin auch mit ihm auf der Flucht. Der Entleibte hat +uns--will ich sagen, die Freunde des Entleibten haben uns sehr +verfolgen lassen; und dieser Verfolgung wegen--Nun koennen Sie leicht +das uebrige erraten.--Was Geier, soll man auch tun? Ueberlegen Sie +es selbst; ein junger naseweiser Laffe schimpft uns. Mein Herr stoesst +ihn uebern Haufen. Das kann nicht anders sein!--Schimpft mich jemand, +so tu ich's auch,--oder--oder schlage ihn hinter die Ohren. Ein +ehrlicher Kerl muss nichts auf sich sitzen lassen. + +Lisette. Das ist brav! solchen Leuten bin ich gut; denn ich bin auch +ein wenig unleidlich. Aber sehen Sie einmal, da koemmt Ihr Herr! +sollte man es ihm wohl ansehn, dass er so zornig, so grausam waere? + +Christoph. O kommen Sie! wir wollen ihm aus dem Wege gehn. Er moechte +mir es ansehn, dass ich ihn verraten habe. + +Lisette. Ich bin's zufrieden-- + +Christoph. Aber die silberne Dose-- + +Lisette. Kommen Sie nur. (Beiseite.) Ich will erst sehen, was mir von +meinem Herrn fuer mein entdecktes Geheimnis werden wird: Lohnt sich das +der Muehe, so soll er sie haben. + + + +Funfzehnter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Ich vermisse meine Dose. Es ist eine Kleinigkeit; +gleichwohl ist mir der Verlust empfindlich. Sollte mir sie wohl der +Vogt?--Doch ich kann sie verloren haben,--ich kann sie aus +Unvorsichtigkeit herausgerissen haben.--Auch mit seinem Verdachte muss +man niemand beleidigen.--Gleichwohl,--er draengte sich an mich heran; +--er griff nach der Uhr:--ich ertappte ihn; koennte er auch nicht nach +der Dose gegriffen haben, ohne dass ich ihn ertappt haette? + + + +Sechzehnter Auftritt + +Martin Krumm. Der Reisende. + + +Martin Krumm (als er den Reisenden gewahr wird, will er wieder +umkehren). Hui! + +Der Reisende. Nu, nu, immer naeher, mein Freund!--(Beiseite.) Ist er +doch so schuechtern, als ob er meine Gedanken wuesste!--Nu? nur naeher! + +Martin Krumm (trotzig). Ach! ich habe nicht Zeit! Ich weiss schon, +Sie wollen mit mir plaudern. Ich habe wichtigere Sachen zu tun. Ich +mag Ihre Heldentaten nicht zehnmal hoeren. Erzaehlen Sie sie jemanden, +der sie noch nicht weiss. + +Der Reisende. Was hoere ich? vorhin war der Vogt einfaeltig und hoeflich, +jetzt ist er unverschaemt und grob. Welches ist denn Eure rechte +Larve? + +Martin Krumm. Ei! das hat Sie der Geier gelernt, mein Gesicht eine +Larve zu schimpfen. Ich mag mit Ihnen nicht zanken,--sonst--(Er will +fortgehen.) + +Der Reisende. Sein unverschaemtes Verfahren bestaerkt mich in meinem +Argwohne.--Nein, nein, Geduld! Ich habe Euch etwas Notwendiges zu +fragen-- + +Martin Krumm. Und ich werde nichts drauf zu antworten haben, es mag +so notwendig sein, als es will. Drum sparen Sie nur die Frage. + +Der Reisende. Ich will es wagen--Allein, wie leid wuerde mir es sein, +wann ich ihm unrecht taete.--Mein Freund, habt Ihr nicht meine Dose +gesehn?--Ich vermisse sie.-- + +Martin Krumm. Was ist das fuer eine Frage? Kann ich etwas dafuer, dass +man sie Ihnen gestohlen hat?--Fuer was sehen Sie mich an? fuer den +Hehler? oder fuer den Dieb? + +Der Reisende. Wer redt denn vom Stehlen? Ihr verratet Euch fast +selbst-- + +Martin Krumm. Ich verrate mich selbst? Also meinen Sie, dass ich sie +habe? Wissen Sie auch, was das zu bedeuten hat, wenn man einen +ehrlichen Kerl dergleichen beschuldigt. Wissen Sie's? + +Der Reisende. Warum muesst Ihr so schreien? Ich habe Euch noch nichts +beschuldigt. Ihr seid Euer eigner Anklaeger. Dazu weiss ich eben nicht, +ob ich grosses Unrecht haben wuerde? Wen ertappte ich denn vorhin, als +er nach meiner Uhr greifen wollte? + +Martin Krumm. Oh! Sie sind ein Mann, der gar keinen Spass versteht. +Hoeren Sie's!--(Beiseite.) Wo er sie nur nicht bei Lisetten gesehen +hat--Das Maedel wird doch nicht naerrisch sein, und sich damit breit +machen-- + +Der Reisende. Oh! ich verstehe den Spass so wohl, dass ich glaube, Ihr +wollt mit meiner Dose auch spassen. Allein wenn man den Spass zu weit +treibt, verwandelt er sich endlich in Ernst. Es ist mir um Euren +guten Namen leid. Gesetzt, ich waere ueberzeugt, dass Ihr es nicht boese +gemeint haettet, wuerden auch andre-- + +Martin Krumm. Ach,--andre!--andre!--andre waeren es laengst ueberdruessig, +sich so etwas vorwerfen zu lassen. Doch, wenn Sie denken, dass ich +sie habe: befuehlen Sie mich,--visitieren Sie mich-- + +Der Reisende. Das ist meines Amts nicht. Dazu traegt man auch nicht +alles bei sich in der Tasche. + +Martin Krumm. Nun gut! damit Sie sehen, dass ich ein ehrlicher Kerl +bin, so will ich meine Schubsaecke selber umwenden.--Geben Sie acht! +--(Beiseite.) Es muesste mit dem Teufel zugehen, wenn sie herausfiele. + +Der Reisende. O macht Euch keine Muehe! + +Martin Krumm. Nein, nein: Sie sollen's sehn, Sie sollen's sehn. (Er +wendet die eine Tasche um.) Ist da eine Dose? Brotkruemel sind drinne: +das liebe Gut! (Er wendet die andere um.) Da ist auch nichts! Ja; +--doch! ein Stueckchen Kalender.--Ich hebe es der Verse wegen auf, die +ueber den Monaten stehen. Sie sind recht schnurrig.--Nu, aber dass wir +weiterkommen. Geben sie acht: da will ich den dritten umwenden. (Bei +dem Umwenden fallen zwei grosse Baerte heraus.) Der Henker! was lass ich +da fallen? + +(Er will sie hurtig aufheben, der Reisende aber ist hurtiger, und +erwischt einen davon.) + +Der Reisende. Was soll das vorstellen? + +Martin Krumm (beiseite). O verdammt! ich denke, ich habe den Quark +lange von mir gelegt. + +Der Reisende. Das ist ja gar ein Bart. (Er macht ihn vors Kinn.) Sehe +ich bald einem Juden so aehnlich?-- + +Martin Krumm. Ach geben Sie her! geben Sie her! Wer weiss, was Sie +wieder denken? Ich schrecke meinen kleinen Jungen manchmal damit. +Dazu ist er. + +Der Reisende. Ihr werdet so gut sein, und mir ihn lassen. Ich will +auch damit schrecken. + +Martin Krumm. Ach! vexieren Sie sich nicht mit mir. Ich muss ihn +wiederhaben. (Er will ihn aus der Hand reissen.) + +Der Reisende. Geht, oder-Martin Krumm (beiseite). Der Geier! nun mag +ich sehen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.--Es ist schon gut; +es ist schon gut! Ich seh's, Sie sind zu meinem Ungluecke +hiehergekommen. Aber, hol mich alle Teufel, ich bin ein ehrlicher +Kerl! und den will ich sehn, der mir etwas Schlimmes nachreden kann. +Merken Sie sich das! Es mag kommen zu was es will, so kann ich es +beschwoeren, dass ich den Bart zu nichts Boesem gebraucht habe.--(Geht ab.) + + + +Siebzehnter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Der Mensch bringt mich selbst auf einen Argwohn, der +ihm hoechst nachteilig ist.--Koennte er nicht einer von den verkappten +Raeubern gewesen sein?--Doch ich will in meiner Vermutung behutsam +gehen. + + + +Achtzehnter Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. + + +Der Reisende. Sollten Sie nicht glauben, ich waere gestern mit den +juedischen Strassenraeubern ins Handgemenge gekommen, dass ich einem davon +den Bart ausgerissen haette? (Er zeigt ihm den Bart.) + +Der Baron. Wie verstehn Sie das, mein Herr?--Allein, warum haben Sie +mich so geschwind im Garten verlassen? + +Der Reisende. Verzeihen Sie meine Unhoeflichkeit. Ich wollte gleich +wieder bei Ihnen sein. Ich ging nur meine Dose zu suchen, die ich +hier herum muss verloren haben. + +Der Baron. Das ist mir hoechst empfindlich. Sie sollten noch bei mir +zu Schaden kommen? + +Der Reisende. Der Schade wuerde so gross nicht sein--Allein betrachten +Sie doch einmal diesen ansehnlichen Bart! + +Der Baron. Sie haben mir ihn schon einmal gezeigt. Warum? + +Der Reisende. Ich will mich Ihnen deutlicher erklaeren. Ich +glaube--Doch nein, ich will meine Vermutungen zurueckhalten.-- + +Der Baron. Ihre Vermutungen? Erklaeren Sie sich! + +Der Reisende. Nein; ich habe mich uebereilt. Ich koennte mich irren-- + +Der Baron. Sie machen mich unruhig. + +Der Reisende. Was halten Sie von Ihrem Vogt? + +Der Baron. Nein, nein; wir wollen das Gespraech auf nichts anders +lenken--Ich beschwoere Sie bei der Wohltat, die Sie mir erzeigt haben, +entdecken Sie mir, was Sie glauben, was Sie vermuten, worinne Sie sich +koennten geirrt haben! + +Der Reisende. Nur die Beantwortung meiner Frage kann mich antreiben, +es Ihnen zu entdecken. + +Der Baron. Was ich von meinem Vogte halte?--Ich halte ihn fuer einen +ganz ehrlichen und rechtschaffnen Mann. + +Der Reisende. Vergessen Sie also, dass ich etwas habe sagen wollen. + +Der Baron. Ein Bart,--Vermutungen,--der Vogt,--wie soll ich diese +Dinge verbinden?--Vermoegen meine Bitten nichts bei Ihnen?--Sie koennten +sich geirrt haben? Gesetzt, Sie haben sich geirrt; was koennen Sie bei +einem Freunde fuer Gefahr laufen? + +Der Reisende. Sie dringen zu stark in mich. Ich sage Ihnen also, dass +der Vogt diesen Bart aus Unvorsichtigkeit hat fallen lassen; dass er +noch einen hatte, den er aber in der Geschwindigkeit wieder zu sich +steckte; dass seine Reden einen Menschen verrieten, welcher glaubt, man +denke von ihm ebensoviel Uebels, als er tut; dass ich ihn auch sonst +ueber einem nicht allzugewissenhaften--wenigstens nicht allzuklugen +Griffe, ertappt habe. + +Der Baron. Es ist als ob mir die Augen auf einmal aufgingen. Ich +besorge,--Sie werden sich nicht geirrt haben. Und Sie trugen Bedenken, +mir so etwas zu entdecken?--Den Augenblick will ich gehn, und alles +anwenden, hinter die Wahrheit zu kommen. Sollte ich meinen Moerder in +meinem eignen Hause haben? + +Der Reisende. Doch zuernen Sie nicht auf mich, wenn Sie, zum Gluecke, +meine Vermutungen falsch befinden sollten. Sie haben mir sie +ausgepresst, sonst wuerde ich sie gewiss verschwiegen haben. + +Der Baron. Ich mag sie wahr oder falsch befinden, ich werde Ihnen +allzeit dafuer danken. + + + +Neunzehnter Auftritt + +Der Reisende (und hernach) Christoph. + + +Der Reisende. Wo er nur nicht zu hastig mit ihm verfaehrt! Denn so +gross auch der Verdacht ist, so koennte der Mann doch wohl noch +unschuldig sein.--Ich bin ganz verlegen.--In der Tat ist es nichts +Geringes, einem Herrn seine Untergebnen so verdaechtig zu machen. Wenn +er sie auch unschuldig befindet, so verliert er doch auf immer das +Vertrauen zu ihnen.--Gewiss, wenn ich es recht bedenke, ich haette +schweigen sollen--Wird man nicht Eigennutz und Rache fuer die Ursachen +meines Argwohns halten, wenn man erfaehrt, dass ich ihm meinen Verlust +zugeschrieben habe?--Ich wollte ein Vieles darum schuldig sein, wenn +ich die Untersuchung noch hintertreiben koennte-Christoph (koemmt +gelacht). Ha! ha! ha! wissen Sie, wer Sie sind, mein Herr? + +Der Reisende. Wisst Ihr, dass Ihr ein Narr seid? Was fragt Ihr? + +Christoph. Gut! wenn Sie es denn nicht wissen, so will ich es Ihnen +sagen. Sie sind einer von Adel. Sie kommen aus Holland. Allda haben +Sie Verdruesslichkeiten und ein Duell gehabt. Sie sind so gluecklich +gewesen, einen jungen Naseweis zu erstechen. Die Freunde des +Entleibten haben Sie heftig verfolgt. Sie haben sich auf die Flucht +begeben. Und ich habe die Ehre, Sie auf der Flucht zu begleiten. + +Der Reisende. Traeumt Ihr, oder raset Ihr? + +Christoph. Keines von beiden. Denn fuer einen Rasenden waere meine +Rede zu klug, und fuer einen Traeumenden zu toll. + +Der Reisende. Wer hat Euch solch unsinniges Zeug weisgemacht? + +Christoph. O dafuer ist gebeten, dass man mir's weismacht. Allein +finden Sie es nicht recht wohl ausgesonnen? In der kurzen Zeit, die +man mir zum Luegen liess, haette ich gewiss auf nichts Bessers fallen +koennen. So sind Sie doch wenigstens vor weitrer Neugierigkeit sicher! + +Der Reisende. Was soll ich mir aber aus alledem nehmen? + +Christoph. Nichts mehr, als was Ihnen gefaellt; das uebrige lassen Sie +mir. Hoeren Sie nur, wie es zuging. Man fragte mich nach Ihrem Namen, +Stande, Vaterlande, Verrichtungen; ich liess mich nicht lange bitten, +ich sagte alles, was ich davon wusste; das ist: ich sagte, ich wuesste +nichts. Sie koennen leicht glauben, dass diese Nachricht sehr +unzulaenglich war, und dass man wenig Ursache hatte, damit zufrieden zu +sein. Man drang also weiter in mich; allein umsonst! Ich blieb +verschwiegen, weil ich nichts zu verschweigen hatte. Doch endlich +brachte mich ein Geschenk, welches man mir anbot, dahin, dass ich mehr +sagte, als ich wusste; das ist: ich log. + +Der Reisende. Schurke! ich befinde mich, wie ich sehe, bei Euch in +feinen Haenden. + +Christoph. Ich will doch nimmermehr glauben, dass ich von ohngefaehr +die Wahrheit sollte gelogen haben? + +Der Reisende. Unverschaemter Luegner, Ihr habt mich in eine Verwirrung +gesetzt, aus der-- + +Christoph. Aus der Sie sich gleich helfen koennen, sobald Sie das +schoene Beiwort, das Sie mir jetzt zu geben beliebten, bekannter machen. + +Der Reisende. Werde ich aber alsdenn nicht genoetiget sein, mich zu +entdecken? + +Christoph. Desto besser! so lerne ich Sie bei Gelegenheit auch kennen. +--Allein, urteilen Sie einmal selbst, ob ich mir wohl, mit gutem +Gewissen, dieser Luegen wegen ein Gewissen machen konnte? (Er zieht +die Dose heraus.) Betrachten Sie diese Dose! Haette ich Sie leichter +verdienen koennen? + +Der Reisende. Zeigt mir sie doch!--(Er nimmt sie in die Hand.) Was +seh ich? + +Christoph. Ha! ha! ha! Das dachte ich, dass Sie erstaunen wuerden. +Nicht wahr, Sie loegen selber ein Gesetzchen, wenn Sie so eine Dose +verdienen koennten. + +Der Reisende. Und also habt Ihr mir sie entwendet? + +Christoph. Wie? was? + +Der Reisende. Eure Treulosigkeit aergert mich nicht so sehr, als der +uebereilte Verdacht, den ich deswegen einem ehrlichen Mann zugezogen +habe. Und Ihr koennt noch so rasend frech sein, mich ueberreden zu +wollen, sie waere ein,--obgleich beinahe ebenso schimpflich erlangtes, +--Geschenk? Geht! kommt mir nicht wieder vor die Augen! + +Christoph. Traeumen Sie, oder--aus Respekt will ich das andre noch +verschweigen. Der Neid bringt Sie doch nicht auf solche +Ausschweifungen? Die Dose soll Ihre sein? Ich soll sie Ihnen, salva +venia, gestohlen haben? Wenn das waere; ich muesste ein dummer Teufel +sein, dass ich gegen Sie selbst damit prahlen sollte.--Gut, da koemmt +Lisette! Hurtig komm Sie; helf Sie mir doch, meinen Herrn wieder +zurechte bringen. + + + +Zwanzigster Auftritt + +Lisette. Der Reisende. Christoph. + + +Lisette. O mein Herr, was stiften Sie bei uns fuer Unruhe! Was hat +Ihnen denn unser Vogt getan? Sie haben den Herrn ganz rasend auf ihn +gemacht. Man redt von Baerten, von Dosen, von Pluendern; der Vogt weint +und flucht, dass er unschuldig waere, dass Sie die Unwahrheit redten. +Der Herr ist nicht zu besaenftigen, und jetzt hat er sogar nach dem +Schulzen und den Gerichten geschickt, ihn schliessen zu lassen. Was +soll denn das alles heissen? + +Christoph. Oh! das ist alles noch nichts, hoer Sie nur, hoer Sie, was +er jetzt gar mit mir vorhat-- + +Der Reisende. Ja freilich, meine liebe Lisette, ich habe mich +uebereilt. Der Vogt ist unschuldig. Nur mein gottloser Bedienter hat +mich in diese Verdruesslichkeiten gestuerzt. Er ist's, der mir meine +Dose entwandt hat, derenwegen ich den Vogt im Verdacht hatte; und der +Bart kann allerdings ein Kinderspiel gewesen sein, wie er sagte. Ich +geh, ich will ihm Genugtuung geben, ich will meinen Irrtum gestehn, +ich will ihm, was er nur verlangen kann-- + +Christoph. Nein, nein, bleiben Sie! Sie muessen mir erst Genugtuung +geben. Zum Henker, so rede Sie doch, Lisette, und sage Sie, wie die +Sache ist. Ich wollte, dass Sie mit Ihrer Dose am Galgen waere! Soll +ich mich deswegen zum Diebe machen lassen? Hat Sie mir sie nicht +geschenkt? + +Lisette. Ja freilich! und sie soll Ihm auch geschenkt bleiben. + +Der Reisende. So ist es doch wahr? Die Dose gehoert aber mir. + +Lisette. Ihnen? das habe ich nicht gewusst. + +Der Reisende. Und also hat sie wohl Lisette gefunden? und meine +Unachtsamkeit ist an allen den Verwirrungen schuld? (Zu Christophen.) +Ich habe Euch auch zuviel getan! Verzeiht mir! Ich muss mich schaemen, +dass ich mich so uebereilen koennen. + +Lisette (beiseite). Der Geier! nun werde ich bald klug. Oh! er wird +sich nicht uebereilt haben. + +Der Reisende. Kommt, wir wollen-- + + + +Einundzwanzigster Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. Lisette. Christoph. + + +Der Baron (koemmt hastig herzu). Den Augenblick, Lisette, stelle dem +Herrn seine Dose wieder zu! Es ist alles offenbar; er hat alles +gestanden. Und du hast dich nicht geschaemt, von so einem Menschen +Geschenke anzunehmen? Nun? wo ist die Dose? + +Der Reisende. Es ist also doch wahr?-- + +Lisette. Der Herr hat sie lange wieder. Ich habe geglaubt, von wem +Sie Dienste annehmen koennen, von dem koenne ich auch Geschenke annehmen. +Ich habe ihn sowenig gekannt, wie Sie. + +Christoph. Also ist mein Geschenk zum Teufel? Wie gewonnen, so +zerronnen! + +Der Baron. Wie aber soll ich, teuerster Freund, mich gegen Sie +erkenntlich erzeigen? Sie reissen mich zum zweitenmal aus einer gleich +grossen Gefahr. Ich bin Ihnen mein Leben schuldig. Nimmermehr wuerde +ich, ohne Sie, mein so nahes Unglueck entdeckt haben. Der Schulze, ein +Mann, den ich fuer den ehrlichsten auf allen meinen Guetern hielt, ist +sein gottloser Gehilfe gewesen. Bedenken Sie also, ob ich jemals dies +haette vermuten koennen! Waeren Sie heute von mir gereiset-- + +Der Reisende. Es ist wahr--so waere die Hilfe, die ich Ihnen gestern +zu erweisen glaubte, sehr unvollkommen geblieben. Ich schaetze mich +also hoechst gluecklich, dass mich der Himmel zu dieser unvermuteten +Entdeckung ausersehen hat; und ich freue mich jetzt so sehr, als ich +vorher, aus Furcht zu irren, zitterte. + +Der Baron. Ich bewundre Ihre Menschenliebe, wie Ihre Grossmut. O +moechte es wahr sein, was mir Lisette berichtet hat! + + + +Zweiundzwanzigster Auftritt + +Das Fraeulein und die Vorigen. + + +Lisette. Nun, warum sollte es nicht wahr sein? + +Der Baron. Komm, meine Tochter, komm! Verbinde deine Bitte mit der +meinigen: ersuche meinen Erretter, deine Hand, und mit deiner Hand +mein Vermoegen anzunehmen. Was kann ihm meine Dankbarkeit Kostbarers +schenken, als dich, die ich ebensosehr liebe, als ihn? Wundern Sie +sich nur nicht, wie ich Ihnen so einen Antrag tun koenne. Ihr +Bedienter hat uns entdeckt, wer Sie sind. Goennen Sie mir das +unschaetzbare Vergnuegen, erkenntlich zu sein! Mein Vermoegen ist meinem +Stande, und dieser dem Ihrigen gleich. Hier sind Sie vor Ihren +Feinden sicher und kommen unter Freunde, die Sie anbeten werden. +Allein Sie werden niedergeschlagen? Was soll ich denken? + +Das Fraeulein. Sind Sie etwa meinetwegen in Sorgen? Ich versichere +Sie, ich werde dem Papa mit Vergnuegen gehorchen. + +Der Reisende. Ihre Grossmut setzt mich in Erstaunen. Aus der Groesse +der Vergeltung, die Sie mir anbieten, erkenne ich erst, wie klein +meine Wohltat ist. Allein, was soll ich Ihnen antworten? Mein +Bedienter hat die Unwahrheit gered't, und ich-- + +Der Baron. Wollte der Himmel, dass Sie das nicht einmal waeren, wofuer +er Sie ausgibt! Wollte der Himmel, Ihr Stand waere geringer, als der +meinige! So wuerde doch meine Vergeltung etwas kostbarer, und Sie +wuerden vielleicht weniger ungeneigt sein, meine Bitte stattfinden zu +lassen. + +Der Reisende (beiseite). Warum entdecke ich mich auch nicht?--Mein +Herr, Ihre Edelmuetigkeit durchdringet meine ganze Seele. Allein +schreiben Sie es dem Schicksale, nicht mir zu, dass Ihr Anerbieten +vergebens ist. Ich bin--Der Baron. Vielleicht schon verheiratet? + +Der Reisende. Nein-- + +Der Baron. Nun? was? + +Der Reisende. Ich bin ein Jude. + +Der Baron. Ein Jude? grausamer Zufall! + +Christoph. Ein Jude? + +Lisette. Ein Jude? + +Das Fraeulein. Ei, was tut das? + +Lisette. St! Fraeulein, st! ich will es Ihnen hernach sagen, was das +tut. + +Der Baron. So gibt es denn Faelle, wo uns der Himmel selbst verhindert, +dankbar zu sein? + +Der Reisende. Sie sind es ueberfluessig dadurch, dass Sie es sein wollen. + +Der Baron. So will ich wenigstens soviel tun, als mir das Schicksal +zu tun erlaubt. Nehmen Sie mein ganzes Vermoegen. Ich will lieber arm +und dankbar, als reich und undankbar sein. + +Der Reisende. Auch dieses Anerbieten ist bei mir umsonst, da mir der +Gott meiner Vaeter mehr gegeben hat, als ich brauche. Zu aller +Vergeltung bitte ich nichts, als dass Sie kuenftig von meinem Volke +etwas gelinder und weniger allgemein urteilen. Ich habe mich nicht +vor Ihnen verborgen, weil ich mich meiner Religion schaeme. Nein! Ich +sahe aber, dass Sie Neigung zu mir, und Abneigung gegen meine Nation +hatten. Und die Freundschaft eines Menschen, er sei wer er wolle, ist +mir allezeit unschaetzbar gewesen. + +Der Baron. Ich schaeme mich meines Verfahrens. + +Christoph. Nun komm ich erst von meinem Erstaunen wieder zu mir +selber. Was? Sie sind ein Jude, und haben das Herz gehabt, einen +ehrlichen Christen in Ihre Dienste zu nehmen? Sie haetten mir dienen +sollen. So waer' es nach der Bibel recht gewesen. Potz Stern! Sie +haben in mir die ganze Christenheit beleidigt--Drum habe ich nicht +gewusst, warum der Herr, auf der Reise, kein Schweinfleisch essen +wollte, und sonst hundert Alfanzereien machte.--Glauben Sie nur nicht, +dass ich Sie laenger begleiten werde! Verklagen will ich Sie noch dazu. + +Der Reisende. Ich kann es Euch nicht zumuten, dass Ihr besser, als der +andre christliche Poebel, denken sollt. Ich will Euch nicht zu Gemuete +fuehren, aus was fuer erbaermlichen Umstaenden ich Euch in Hamburg riss. +Ich will Euch auch nicht zwingen, laenger bei mir zu bleiben. Doch +weil ich mit Euren Diensten so ziemlich zufrieden bin, und ich Euch +vorhin ausserdem in einem ungegruendeten Verdachte hatte, so behaltet +zur Vergeltung, was diesen Verdacht verursachte. (Gibt ihm die Dose.) +Euren Lohn koennt Ihr auch haben. Sodann geht, wohin Ihr wollt! + +Christoph. Nein, der Henker! es gibt doch wohl auch Juden, die keine +Juden sind. Sie sind ein braver Mann. Topp, ich bleibe bei Ihnen! +Ein Christ haette mir einen Fuss in die Rippen gegeben, und keine Dose! + +Der Baron. Alles was ich von Ihnen sehe, entzueckt mich. Kommen Sie, +wir wollen Anstalt machen, dass die Schuldigen in sichere Verwahrung +gebracht werden. O wie achtungswuerdig waeren die Juden, wenn sie alle +Ihnen glichen! + +Der Reisende. Und wie liebenswuerdig die Christen, wenn sie alle Ihre +Eigenschaften besaessen! (Der Baron, das Fraeulein und der Reisende +gehen ab.) + + + +Letzter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette. Also, mein Freund, hat Er mich vorhin belogen? + +Christoph. Ja, und das aus zweierlei Ursachen. Erstlich, weil ich +die Wahrheit nicht wusste; und anderns, weil man fuer eine Dose, die man +wiedergeben muss, nicht viel Wahrheit sagen kann. + +Lisette. Und wann's dazu koemmt, ist Er wohl gar auch ein Jude, so +sehr Er sich verstellt? + +Christoph. Das ist zu neugierig fuer eine Jungfer gefragt! Komm Sie +nur! + +(Er nimmt sie untern Arm, und sie gehen ab.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die Juden, von Gotthold Ephraim +Lessing. + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Die Juden, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE JUDEN *** + +This file should be named 7djdn10.txt or 7djdn10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7djdn11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7djdn10a.txt + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau. + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +DIE JUDEN + +von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING + +Ein Lustspiel in einem Aufzuge +Verfertiget im Jahre 1749. + + +Personen: + +Michel Stich +Martin Krumm +Ein Reisender +Christoph, dessen Bedienter +Der Baron +Ein junges Fräulein, dessen Tochter +Lisette + + + + +Erster Auftritt + +Michel Stich. Martin Krumm. + + +Martin Krumm. Du dummer Michel Stich! + +Michel Stich. Du dummer Martin Krumm! + +Martin Krumm. Wir wollen's nur gestehen, wir sind beide erzdumm +gewesen. Es wäre ja auf einen nicht angekommen, den wir mehr +totgeschlagen hätten! + +Michel Stich. Wie hätten wir es aber klüger können anfangen? Waren +wir nicht gut vermummt? war nicht der Kutscher auf unsrer Seite? +konnten wir was dafür, daß uns das Glück so einen Querstrich machte? +Habe ich doch vielhundertmal gesagt: das verdammte Glücke! ohne das +kann man nicht einmal ein guter Spitzbube sein. + +Martin Krumm. Je nu, wenn ich's beim Lichte besehe, so sind wir kaum +dadurch auf ein paar Tage länger dem Stricke entgangen. + +Michel Stich. Ah, es hat sich was mit dem Stricke! Wenn alle Diebe +gehangen würden, die Galgen müßten dichter stehn. Man sieht ja kaum +aller zwei Meilen einen; und wo auch einer steht, steht er meist leer. +Ich glaube, die Herren Richter werden, aus Höflichkeit, die Dinger +gar eingehen lassen. Zu was sind sie auch nütze? Zu nichts, als aufs +höchste, daß unsereiner, wenn er vorbeigeht, die Augen zublinzt. + +Martin Krumm. Oh! das tu ich nicht einmal. Mein Vater und mein +Großvater sind daran gestorben, was will ich's besser verlangen? Ich +schäme mich meiner Eltern nicht. + +Michel Stich. Aber die ehrlichen Leute werden sich deiner schämen. +Du hast noch lange nicht so viel getan, daß man dich für ihren rechten +und echten Sohn halten kann. + +Martin Krumm. Oh! denkst du denn, daß es deswegen unserm Herrn soll +geschenkt sein? Und an dem verzweifelten Fremden, der uns so einen +fetten Bissen aus dem Munde gerissen hat, will ich mich gewiß auch +rächen. Seine Uhr soll er so richtig müssen dalassen--Ha! sieh, da +kömmt er gleich. Hurtig geh fort! ich will mein Meisterstück machen. + +Michel Stich. Aber halbpart! halbpart! + + + +Zweiter Auftritt + +Martin Krumm. Der Reisende. + + +Martin Krumm. Ich will mich dumm stellen.--Ganz dienstwilliger Diener, +mein Herr,--ich werde Martin Krumm heißen, und werde, auf diesem Gute +hier, wohlbestallter Vogt sein. + +Der Reisende. Das glaube ich Euch, mein Freund. Aber habt Ihr nicht +meinen Bedienten gesehen? + +Martin Krumm. Ihnen zu dienen, nein; aber ich habe wohl von Dero +preiswürdigen Person sehr viel Gutes zu hören die Ehre gehabt. Und es +erfreut mich also, daß ich die Ehre habe, die Ehre Ihrer Bekanntschaft +zu genießen. Man sagt, daß Sie unsern Herrn gestern abends, auf der +Reise, aus einer sehr gefährlichen Gefahr sollen gerissen haben. Wie +ich nun nicht anders kann, als mich des Glücks meines Herrn zu +erfreuen, so erfreu ich mich-- + +Der Reisende. Ich errate, was Ihr wollt; +Ihr wollt Euch bei mir bedanken, daß ich Eurem Herrn beigestanden +habe-- + +Martin Krumm. Ja, ganz recht; eben das! + +Der Reisende. Ihr seid ein ehrlicher Mann-- + +Martin Krumm. Das bin ich! Und mit der Ehrlichkeit kömmt man immer +auch am weitesten. + +Der Reisende. Es ist mir kein geringes Vergnügen, daß ich mir, durch +eine so kleine Gefälligkeit, so viel rechtschaffne Leute verbindlich +gemacht habe. Ihre Erkenntlichkeit ist eine überflüssige Belohnung +dessen, was ich getan habe. Die allgemeine Menschenliebe verband mich +darzu. Es war meine Schuldigkeit; und ich müßte zufrieden sein, wenn +man es auch für nichts anders, als dafür, angesehen hätte. Ihr seid +allzu gütig, ihr lieben Leute, daß ihr euch dafür bei mir bedanket, +was ihr mir, ohne Zweifel, mit ebenso vielem Eifer würdet erwiesen +haben, wenn ich mich in ähnlicher Gefahr befunden hätte. Kann ich +Euch sonst worin dienen, mein Freund? + +Martin Krumm. Oh! mit dem Dienen, mein Herr, will ich Sie nicht +beschweren. Ich habe meinen Knecht, der mich bedienen muß, wann's +nötig ist. Aber--wissen möcht ich wohl gern, wie es doch dabei +zugegangen wäre? Wo war's denn? Waren's viel Spitzbuben? Wollten +sie unsern guten Herrn gar ums Leben bringen, oder wollten sie ihm nur +sein Geld abnehmen? Es wäre doch wohl eins besser gewesen, als das +andre. + +Der Reisende. Ich will Euch mit wenigem den ganzen Verlauf erzählen. +Es mag ohngefähr eine Stunde von hier sein, wo die Räuber Euren Herrn, +in einem hohlen Wege, angefallen hatten. Ich reisete eben diesen Weg, +und sein ängstliches Schreien um Hülfe bewog mich, daß ich nebst +meinem Bedienten eilends herzuritt. + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Ich fand ihn in einem offnen Wagen-- + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Zwei vermummte Kerle-- + +Martin Krumm. Vermummte? ei! ei! + +Der Reisende. Ja! machten sich schon über ihn her. + +Martin Krumm. Ei! ei! + +Der Reisende. Ob sie ihn umbringen, oder ob sie ihn nur binden +wollten, ihn alsdann desto sichrer zu plündern, weiß ich nicht. + +Martin Krumm. Ei! ei! Ach freilich werden sie ihn wohl haben +umbringen wollen: die gottlosen Leute! + +Der Reisende. Das will ich eben nicht behaupten, aus Furcht ihnen +zuviel zu tun. + +Martin Krumm. Ja, ja, glauben Sie mir nur, sie haben ihn umbringen +wollen. Ich weiß, ich weiß ganz gewiß-- + +Der Reisende. Woher könnt Ihr +das wissen? Doch es sei. Sobald mich die Räuber ansichtig wurden, +verließen sie ihre Beute, und liefen über Macht dem nahen Gebüsche zu. +Ich lösete das Pistol auf einen. Doch es war schon zu dunkel, und er +schon zu weit entfernt, daß ich also zweifeln muß, ob ich ihn +getroffen habe. + +Martin Krumm. Nein, getroffen haben Sie ihn nicht;-- + +Der Reisende. Wißt Ihr es? + +Martin Krumm. Ich meine nur so, weil's doch schon finster gewesen ist: +und im Finstern soll man, hör ich, nicht gut zielen können. + +Der Reisende. Ich kann Euch nicht beschreiben, wie erkenntlich sich +Euer Herr gegen mich bezeugte. Er nannte mich hundertmal seinen +Erretter und nötigte mich, mit ihm auf sein Gut zurückzukehren. Ich +wollte wünschen, daß es meine Umstände zuließen, länger um diesen +angenehmen Mann zu sein; so aber muß ich mich noch heute wieder auf +den Weg machen--Und eben deswegen suche ich meinen Bedienten. + +Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich doch die Zeit bei mir nicht so lang +werden. Verziehen Sie noch ein wenig--Ja! was wollte ich denn noch +fragen? Die Räuber,--sagen Sie mir doch--wie sahen sie denn aus? Wie +gingen sie denn? Sie hatten sich verkleidet; aber wie? + +Der Reisende. Euer Herr will durchaus behaupten, es wären Juden +gewesen. Bärte hatten sie, das ist wahr; aber ihre Sprache war die +ordentliche hiesige Baurensprache. Wenn sie vermummt waren, wie ich +gewiß glaube, so ist ihnen die Dämmerung sehr wohl zustatten gekommen. +Denn ich begreife nicht, wie Juden die Straßen sollten können +unsicher machen, da doch in diesem Lande so wenige geduldet werden. + +Martin Krumm. Ja, ja, das glaub ich ganz gewiß auch, daß es Juden +gewesen sind. Sie mögen das gottlose Gesindel noch nicht so kennen. +So viel als ihrer sind, keinen ausgenommen, sind Betrüger, Diebe und +Straßenräuber. Darum ist es auch ein Volk, das der liebe Gott +verflucht hat. Ich dürfte nicht König sein: ich ließ' keinen, keinen +einzigen am Leben. Ach! Gott behüte alle rechtschaffne Christen vor +diesen Leuten! Wenn sie der liebe Gott nicht selber haßte, weswegen +wären denn nur vor kurzem, bei dem Unglücke in Breslau, ihrer bald +noch einmal soviel als Christen geblieben? Unser Herr Pfarr erinnerte +das sehr weislich in der letzten Predigt. Es ist, als wenn sie +zugehört hätten, daß sie sich gleich deswegen an unserm guten Herrn +haben rächen wollen. Ach! mein lieber Herr, wenn Sie wollen Glück und +Segen in der Welt haben, so hüten Sie sich vor den Juden ärger als vor +der Pest. + +Der Reisende. Wollte Gott, daß das nur die Sprache des Pöbels wäre! + +Martin Krumm. Mein Herr, zum Exempel: Ich bin einmal auf der Messe +gewesen--ja! wenn ich an die Messe gedenke, so möchte ich gleich die +verdammten Juden alle auf einmal mit Gift vergeben, wenn ich nur +könnte. Dem einen hatten sie im Gedränge das Schnupftuch, dem andern +die Tobaksdose, dem dritten die Uhr, und ich weiß nicht was sonst mehr, +wegstibitzt. Geschwind sind sie, ochsenmäßig geschwind, wenn es aufs +Stehlen ankömmt. So behende, als unser Schulmeister nimmermehr auf +der Orgel ist. Zum Exempel, mein Herr: Erstlich drängen sie sich an +einen heran, so wie ich mich ungefähr jetzt an Sie-- + +Der Reisende. Nur ein wenig höflicher, mein Freund!-- + +Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich's doch nur weisen. Wenn sie nun so +stehen,--sehen Sie,--wie der Blitz sind sie mit der Hand nach der +Uhrtasche. (Er fährt mit der Hand, anstatt nach der Uhr, in die +Rocktasche, und nimmt ihm seine Tobaksdose heraus.) Das können sie nun +aber alles so geschickt machen, daß man schwören sollte, sie führen +mit der Hand dahin, wenn sie dorthin fahren. Wenn sie von der +Tobaksdose reden, so zielen sie gewiß nach der Uhr, und wenn sie von +der Uhr reden, so haben sie gewiß die Tobaksdose zu stehlen im Sinne. +(Er will ganz sauber nach der Uhr greifen, wird aber ertappt.) + +Der Reisende. Sachte! sachte! Was hat Eure Hand hier zu suchen? + +Martin Krumm. Da können Sie sehn, mein Herr, was ich für ein +ungeschickter Spitzbube sein würde. Wenn ein Jude schon so einen +Griff getan hätte, so wäre es gewiß um die gute Uhr geschehn +gewesen--Doch weil ich sehe, daß ich Ihnen beschwerlich falle, so +nehme ich mir die Freiheit, mich Ihnen bestens zu empfehlen, und +verbleibe zeitlebens für Dero erwiesene Wohltaten, meines +hochzuehrenden Herrn gehorsamster Diener, Martin Krumm, wohlbestallter +Vogt auf diesem hochadeligen Rittergute. + +Der Reisende. Geht nur, geht. + +Martin Krumm. Erinnern Sie sich ja, was ich Ihnen von den Juden +gesagt habe. Es ist lauter gottloses diebisches Volk. + + + +Dritter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Vielleicht ist dieser Kerl, so dumm er ist, oder sich +stellt, ein boshafterer Schelm, als je einer unter den Juden gewesen +ist. Wenn ein Jude betrügt, so hat ihn, unter neun Malen, der Christ +vielleicht siebenmal dazu genötiget. Ich zweifle, ob viel Christen +sich rühmen können, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu sein: und +sie wundern sich, wenn er ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten +sucht? Sollen Treu' und Redlichkeit unter zwei Völkerschaften +herrschen, so müssen beide gleich viel dazu beitragen. Wie aber, wenn +es bei der einen ein Religionspunkt und beinahe ein verdienstliches +Werk wäre, die andre zu verfolgen? Doch-- + + + +Vierter Auftritt + +Der Reisende. Christoph. + + +Der Reisende. Daß man Euch doch allezeit eine Stunde suchen muß, wenn +man Euch haben will. + +Christoph. Sie scherzen, mein Herr. Nicht wahr, ich kann nicht mehr, +als an einem Orte zugleich sein? Ist es also meine Schuld, daß Sie +sich nicht an diesen Ort begeben? Gewiß Sie finden mich allezeit da, +wo ich bin. + +Der Reisende. So? und Ihr taumelt gar? Nun begreif ich, warum Ihr so +sinnreich seid. Müßt Ihr Euch denn schon frühmorgens besaufen? + +Christoph. Sie reden von Besaufen, und ich habe kaum zu trinken +angefangen. Ein paar Flaschen guten Landwein, ein paar Gläser +Branntwein, und eine Mundsemmel ausgenommen, habe ich, so wahr ich ein +ehrlicher Mann bin, nicht das geringste zu mir genommen. Ich bin noch +ganz nüchtern. + +Der Reisende. Oh! das sieht man Euch an. Und ich rate Euch, als ein +Freund, die Portion zu verdoppeln. + +Christoph. Vortrefflicher Rat! Ich werde nicht unterlassen, ihn, +nach meiner Schuldigkeit, als einen Befehl anzusehen. Ich gehe, und +Sie sollen sehen, wie gehorsam ich zu sein weiß. + +Der Reisende. Seid klug! Ihr könnt dafür gehn, und die Pferde +satteln und aufpacken. Ich will noch diesen Vormittag fort. + +Christoph. Wenn Sie mir im Scherze geraten haben, ein doppeltes +Frühstück zu nehmen, wie kann ich mir einbilden, daß Sie jetzt im +Ernste reden? Sie scheinen sich heute mit mir erlustigen zu wollen. +Macht Sie etwa das junge Fräulein so aufgeräumt? Oh! es ist ein +allerliebstes Kind.--Nur noch ein wenig älter, ein klein wenig älter +sollte sie sein. Nicht wahr, mein Herr? wenn das Frauenzimmer nicht +zu einer gewissen Reife gelangt ist,-- + +Der Reisende. Geht, und tut, was ich Euch befohlen habe. + +Christoph. Sie werden ernsthaft. Nichtsdestoweniger werde ich warten, +bis Sie mir es das drittemal befehlen. Der Punkt ist zu wichtig! +Sie könnten sich übereilt haben. Und ich bin allezeit gewohnt gewesen, +meinen Herren Bedenkzeit zu gönnen. Überlegen Sie es wohl, einen +Ort, wo wir fast auf den Händen getragen werden, so zeitig wieder zu +verlassen? Gestern sind wir erst gekommen. Wir haben uns um den +Herrn unendlich verdient gemacht, und gleichwohl bei ihm kaum eine +Abendmahlzeit und ein Frühstück genossen. + +Der Reisende. Eure Grobheit ist unerträglich. Wenn man sich zu +dienen entschließt, sollte man sich gewöhnen, weniger Umstände zu +machen. + +Christoph. Gut, mein Herr! Sie fangen an zu moralisieren, das ist: +Sie werden zornig. Mäßigen Sie sich; ich gehe schon-- + +Der Reisende. Ihr müßt wenig Überlegungen zu machen gewohnt sein. +Das, was wir diesem Herrn erwiesen haben, verlieret den Namen einer +Wohltat, sobald wir die geringste Erkenntlichkeit dafür zu erwarten +scheinen. Ich hätte mich nicht einmal sollen mit hieher nötigen +lassen. Das Vergnügen, einem Unbekannten ohne Absicht beigestanden zu +haben, ist schon vor sich so groß! Und er selbst würde uns mehr Segen +nachgewünscht haben, als er uns jetzt übertriebene Danksagung hält. +Wen man in die Verbindlichkeit setzt, sich weitläuftig, und mit dabei +verknüpften Kosten zu bedanken, der erweiset uns einen Gegendienst, +der ihm vielleicht saurer wird, als uns unsere Wohltat geworden. Die +meisten Menschen sind zu verderbt, als daß ihnen die Anwesenheit eines +Wohltäters nicht höchst beschwerlich sein sollte. Sie scheint ihren +Stolz zu erniedrigen;-- + +Christoph. Ihre Philosophie, mein Herr, bringt Sie um den Atem. Gut! +Sie sollen sehen, daß ich ebenso großmütig bin, als Sie. Ich gehe; +in einer Viertelstunde sollen Sie sich aufsetzen können. + + + +Fünfter Auftritt + +Der Reisende. Das Fräulein. + + +Der Reisende. So wenig ich mich mit diesem Menschen gemein gemacht +habe, so gemein macht er sich mit mir. + +Das Fräulein. Warum verlassen Sie uns, mein Herr? Warum sind Sie +hier so allein? Ist Ihnen unser Umgang schon die wenigen Stunden, die +Sie bei uns sind, zuwider geworden? Es sollte mir leid tun. Ich +suche aller Welt zu gefallen; und Ihnen möchte ich, vor allen andern, +nicht gern mißfallen. + +Der Reisende. Verzeihen Sie mir, Fräulein. Ich habe nur meinem +Bedienten befehlen wollen, alles zur Abreise fertig zu halten. + +Das Fräulein. Wovon reden Sie? von Ihrer Abreise? Wenn war denn Ihre +Ankunft? Es sei noch, wenn Sie über Jahr und Tag eine melancholische +Stunde auf diesen Einfall brächte. Aber wie, nicht einmal einen +völligen Tag aushalten wollen? Das ist zu arg. Ich sage es ihnen, +ich werde böse, wenn Sie noch einmal daran gedenken. + +Der Reisende. Sie könnten mir nichts Empfindlichers drohen. + +Das Fräulein. Nein? im Ernst? ist es wahr, würden Sie empfindlich +sein, wenn ich böse auf Sie würde? + +Der Reisende. Wem sollte der Zorn eines liebenswürdigen Frauenzimmers +gleichgültig sein können? + +Das Fräulein. Was Sie sagen, klingt zwar beinahe, als wenn Sie +spotten wollten, doch ich will es für Ernst aufnehmen; gesetzt, ich +irrte mich auch. Also, mein Herr,--ich bin ein wenig liebenswürdig, +wie man mir gesagt hat,--und ich sage Ihnen noch einmal, ich werde +entsetzlich, entsetzlich zornig werden, wenn Sie, binnen hier und dem +neuen Jahr, wieder an Ihre Abreise gedenken. + +Der Reisende. Der Termin ist sehr liebreich bestimmt. Alsdann +wollten Sie mir, mitten im Winter, die Türe weisen; und bei dem +unbequemsten Wetter-Das Fräulein. Ei! wer sagt das? Ich sage nur, +daß Sie alsdann, des Wohlstands halber, etwa einmal an die Abreise +denken können. Wir werden Sie deswegen nicht fortlassen; wir wollen +Sie schon bitten-- + +Der Reisende. Vielleicht auch des Wohlstands halber? + +Das Fräulein. Ei! seht, man sollte nicht glauben, daß ein so +ehrliches Gesicht auch spotten könnte.--Ah! da kömmt der Papa. Ich +muß fort! Sagen Sie ja nicht, daß ich bei Ihnen gewesen bin. Er +wirft mir so oft genug vor, daß ich gern um Mannspersonen wäre. + + + +Sechster Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. + + +Der Baron. War nicht meine Tochter bei Ihnen? Warum läuft denn das +wilde Ding? + +Der Reisende. Das Glück ist unschätzbar, eine so angenehme und muntre +Tochter zu haben. Sie bezaubert durch ihre Reden, in welchen die +liebenswürdigste Unschuld, der ungekünsteltste Witz herrschst. + +Der Baron. Sie urteilen zu gütig von ihr. Sie ist wenig unter +ihresgleichen gewesen, und besitzt die Kunst zu gefallen, die man +schwerlich auf dem Lande erlernen kann, und die doch oft mehr, als die +Schönheit selbst vermag, in einem sehr geringen Grade. Es ist alles +bei ihr noch die sich selbst gelaßne Natur. + +Der Reisende. Und diese ist desto einnehmender, je weniger man sie in +den Städten antrifft. Alles ist da verstellt, gezwungen und erlernt. +Ja man ist schon so weit darin gekommen, daß man Dummheit, Grobheit +und Natur für gleich viel bedeutende Wörter hält. + +Der Baron. Was könnte mir angenehmer sein, als daß ich sehe, wie +unsre Gedanken und Urteile so sehr übereinstimmen? Oh! daß ich nicht +längst einen Freund Ihresgleichen gehabt habe! + +Der Reisende. Sie werden ungerecht gegen Ihre übrigen Freunde. + +Der Baron. Gegen meine übrigen Freunde, sagen Sie? Ich bin funfzig +Jahr alt.--Bekannte habe ich gehabt, aber noch keinen Freund. Und +niemals ist mir die Freundschaft so reizend vorgekommen, als seit den +wenigen Stunden, da ich nach der Ihrigen strebe. Wodurch kann ich sie +verdienen? + +Der Reisende. Meine Freundschaft bedeutet so wenig; daß das bloße +Verlangen darnach ein genugsames Verdienst ist, sie zu erhalten. Ihre +Bitte ist weit mehr wert, als das, was Sie bitten. + +Der Baron. Oh, mein Herr, die Freundschaft eines Wohltäters-Der +Reisende. Erlauben Sie,--ist keine Freundschaft. Wenn Sie mich unter +dieser falschen Gestalt betrachten, so kann ich Ihr Freund nicht sein. +Gesetzt einen Augenblick, ich wäre Ihr Wohltäter: würde ich nicht zu +befürchten haben, daß Ihre Freundschaft nichts, als eine wirksame +Dankbarkeit wäre? + +Der Baron. Sollte sich beides nicht verbinden lassen? + +Der Reisende. Sehr schwer! Diese hält ein edles Gemüt für seine +Pflicht; jene erfodert lauter willkürliche Bewegungen der Seele. + +Der Baron. Aber wie sollte ich--Ihr allzu zärtlicher Geschmack macht +mich ganz verwirrt.-- + +Der Reisende. Schätzen Sie mich nur nicht höher, als ich es verdiene. +Aufs höchste bin ich ein Mensch, der seine Schuldigkeit mit Vergnügen +getan hat. Die Schuldigkeit an sich selbst ist keiner Dankbarkeit +wert. Daß ich sie aber mit Vergnügen getan habe, dafür bin ich +genugsam durch Ihre Freundschaft belohnt. + +Der Baron. Diese Großmut verwirrt mich nur noch mehr.--Aber ich bin +vielleicht zu verwegen.--Ich habe mich noch nicht unterstehen wollen, +nach Ihrem Namen, nach Ihrem Stande zu fragen.--Vielleicht biete ich +meine Freundschaft einem an, der--der sie zu verachten-- + +Der Reisende. Verzeihen Sie, mein Herr!--Sie--Sie machen sich--Sie +haben allzu große Gedanken von mir. + +Der Baron (beiseite). Soll ich ihn wohl fragen? Er kann meine +Neugierde übelnehmen. + +Der Reisende (beiseite). Wenn er mich fragt, was werde ich ihm +antworten? + +Der Baron (beiseite). Frage ich ihn nicht, so kann er es als eine +Grobheit auslegen. + +Der Reisende (beiseite). Soll ich ihm die Wahrheit sagen? + +Der Baron (beiseite). Doch ich will den sichersten Weg gehen. Ich +will erst seinen Bedienten ausfragen lassen. + +Der Reisende (beiseite). Könnte ich doch dieser Verwirrung überhoben +sein!-- + +Der Baron. Warum so nachdenkend? + +Der Reisende. Ich war gleich bereit, diese Frage an Sie zu tun, mein +Herr-- + +Der Baron. Ich weiß es, man vergißt sich dann und wann. Lassen Sie +uns von etwas andern reden--Sehen Sie, daß es wirkliche Juden gewesen +sind, die mich angefallen haben? Nur jetzt hat mir mein Schulze +gesagt, daß er vor einigen Tagen ihrer drei auf der Landstraße +angetroffen. Wie er sie mir beschreibt, haben sie Spitzbuben +ähnlicher, als ehrlichen Leuten, gesehen. Und warum sollte ich auch +daran zweifeln? Ein Volk, das auf den Gewinst so erpicht ist, fragt +wenig darnach, ob es ihn mit Recht oder Unrecht, mit List oder +Gewaltsamkeit erhält.--Es scheinet auch zur Handelschaft, oder deutsch +zu reden, zur Betrügerei gemacht zu sein. Höflich, frei, unternehmend, +verschwiegen, sind Eigenschaften, die es schätzbar machen würden, +wenn es sie nicht allzusehr zu unserm Unglück anwendete--(Er hält +etwas inne.)--Die Juden haben mir sonst schon nicht wenig Schaden und +Verdruß gemacht. Als ich noch in Kriegsdiensten war, ließ ich mich +bereden, einen Wechsel für einen meiner Bekannten mit zu +unterschreiben; und der Jude, an den er ausgestellet war, brachte mich +nicht allein dahin, daß ich ihn bezahlen, sondern, daß ich ihn sogar +zweimal bezahlen mußte.--Oh! es sind die allerboshaftesten, +niederträchtigsten Leute.--Was sagen sie dazu? Sie scheinen ganz +niedergeschlagen. + +Der Reisende. Was soll ich sagen? Ich muß sagen, daß ich diese Klage +sehr oft gehört habe-- + +Der Baron. Und ist es nicht wahr, ihre Gesichtsbildung hat gleich +etwas, das uns wider sie einnimmt? Das Tückische, das Ungewissenhafte, +das Eigennützige, Betrug und Meineid, sollte man sehr deutlich aus +ihren Augen zu lesen glauben.--Aber, warum kehren Sie sich von mir? + +Der Reisende. Wie ich höre, mein Herr, so sind Sie ein großer Kenner +der Physiognomie, und ich besorge, daß die meinige-- + +Der Baron. Oh! Sie kränken mich. Wie können Sie auf dergleichen +Verdacht kommen? Ohne ein Kenner der Physiognomie zu sein, muß ich +Ihnen sagen, daß ich nie eine so aufrichtige, großmütige und gefällige +Miene gefunden habe, als die Ihrige. + +Der Reisende. Ihnen die Wahrheit zu gestehn: ich bin kein Freund +allgemeiner Urteile über ganze Völker--Sie werden meine Freiheit nicht +übelnehmen.--Ich sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute und +böse Seelen geben könne. Und unter den Juden-- + + + +Siebenter Auftritt + +Das Fräulein. Der Reisende. Der Baron. + + +Das Fräulein. Ach! Papa-- + +Der Baron. Nu, nu! fein wild, fein wild! Vorhin liefst du vor mir: +was sollte das bedeuten?-Das Fräulein. Vor Ihnen bin ich nicht +gelaufen, Papa: sondern nur vor Ihrem Verweise. + +Der Baron. Der Unterscheid ist sehr subtil. Aber was war es denn, +das meinen Verweis verdiente? + +Das Fräulein. Oh! Sie werden es schon wissen. Sie sahen es ja! Ich +war bei dem Herrn-- + +Der Baron. Nun? und-Das Fräulein. Und der Herr ist eine Mannsperson, +und mit den Mannspersonen, haben Sie befohlen, mir nicht allzuviel zu +tun zu machen.-- + +Der Baron. Daß dieser Herr eine Ausnahme sei, hättest du wohl merken +sollen. Ich wollte wünschen, daß er dich leiden könnte--Ich werde es +mit Vergnügen sehen, wenn du auch beständig um ihn bist. + +Das Fräulein. Ach!--es wird wohl das erste- und letztemal gewesen +sein. Sein Diener packt schon auf--Und das wollte ich Ihnen eben +sagen. + +Der Baron. Was? wer? sein Diener? + +Der Reisende. Ja, mein Herr, ich hab es ihm befohlen. Meine +Verrichtungen und die Besorgnis, Ihnen beschwerlich zu fallen-Der +Baron. Was soll ich ewig davon denken? Soll ich das Glück nicht +haben, Ihnen näher zu zeigen, daß Sie sich ein erkenntliches Herz +verbindlich gemacht haben? Oh! ich bitte Sie, fügen Sie zu Ihrer +Wohltat noch die andre hinzu, die mir ebenso schätzbar, als die +Erhaltung meines Lebens, sein wird; bleiben Sie einige Zeit +--wenigstens einige Tage bei mir; ich würde mir es ewig vorzuwerfen +haben, daß ich einen Mann, wie Sie, ungekannt, ungeehrt, unbelohnt, +wenn es anders in meinem Vermögen steht, von mir gelassen hätte. +Ich habe einige meiner Anverwandten auf heute einladen lassen, mein +Vergnügen mit ihnen zu teilen, und ihnen das Glück zu verschaffen, +meinen Schutzengel kennenzulernen. + +Der Reisende. Mein Herr, ich muß notwendig-Das Fräulein. Dableiben, +mein Herr, dableiben! Ich laufe, Ihrem Bedienten zu sagen, daß er +wieder abpacken soll. Doch da ist er schon. + + + +Achter Auftritt + +Christoph (in Stiefeln und Sporen, und zwei Mantelsäcke unter den +Armen). Die Vorigen. + + +Christoph. Nun! mein Herr, es ist alles fertig. Fort! kürzen Sie +Ihre Abschiedsformeln ein wenig ab. Was soll das viele Reden, wenn +wir nicht dableiben können? + +Der Baron. Was hindert euch denn, hierzubleiben? + +Christoph. Gewisse Betrachtungen, mein Herr Baron, die den Eigensinn +meines Herrn zum Grunde, und seine Großmut zum Vorwande haben. + +Der Reisende. Mein Diener ist öfters nicht klug: verzeihen Sie ihm. +Ich sehe, daß Ihre Bitten in der Tat mehr als Komplimente sind. Ich +ergebe mich; damit ich nicht aus Furcht grob zu sein, eine Grobheit +begehen möge. + +Der Baron. Oh! was für Dank bin ich Ihnen schuldig! + +Der Reisende. Ihr könnt nur gehen, und wieder abpacken! Wir wollen +erst morgen fort. + +Das Fräulein. Nu! hört Er nicht? Was steht Er denn da? Er soll gehn, +und wieder abpacken. + +Christoph. Von Rechts wegen sollte ich böse werden. Es ist mir auch +beinahe, als ob mein Zorn erwachen wollte; doch weil nichts Schlimmers +daraus erfolgt, als daß wir hier bleiben, und zu essen und zu trinken +bekommen, und wohl gepflegt werden, so mag es sein! Sonst laß ich mir +nicht gern unnötige Mühe machen: wissen Sie das? + +Der Reisende. Schweigt! Ihr seid zu unverschämt. + +Christoph. Denn ich sage die Wahrheit. + +Das Fräulein. Oh! das ist vortrefflich, daß Sie bei uns bleiben. Nun +bin ich Ihnen noch einmal so gut. Kommen Sie, ich will Ihnen unsern +Garten zeigen; er wird Ihnen gefallen. + +Der Reisende. Wenn er Ihnen gefällt, Fräulein, so ist es schon so gut, +als gewiß. + +Das Fräulein. Kommen Sie nur;--unterdessen wird es Essenszeit. Papa, +Sie erlauben es doch? + +Der Baron. Ich werde euch sogar begleiten. + +Das Fräulein. Nein, nein, das wollen wir Ihnen nicht zumuten. Sie +werden zu tun haben. + +Der Baron. Ich habe jetzt nichts Wichtigers zu tun, als meinen Gast +zu vergnügen. + +Das Fräulein. Er wird es Ihnen nicht übelnehmen: nicht wahr, mein +Herr? (Sachte zu ihm.) Sprechen Sie doch Nein. Ich möchte gern mit +Ihnen allein gehen. + +Der Reisende. Es wird mich gereuen, daß ich mich so leicht habe +bewegen lassen, hierzubleiben, sobald ich sehe, daß ich Ihnen im +geringsten verhinderlich bin. Ich bitte also-- + +Der Baron. Oh! warum kehren Sie sich an des Kindes Rede? + +Das Fräulein. Kind?--Papa!--beschämen Sie mich doch nicht so!--Der +Herr wird denken, wie jung ich bin!--Lassen Sie es gut sein; ich bin +alt genug, mit Ihnen spazieren zu gehen.--Kommen Sie!--Aber sehen Sie +einmal: Ihr Diener steht noch da, und hat die Mantelsäcke unter den +Armen. + +Christoph. Ich dächte, das ginge nur den an, dem es sauer wird? + +Der Reisende. Schweigt! Man erzeigt Euch zuviel Ehre-- + + + +Neunter Auftritt + +Lisette. Die Vorigen. + + +Der Baron (indem er Lisetten kommen sieht). Mein Herr, ich werde +Ihnen gleich nachfolgen, wann es Ihnen gefällig ist, meine Tochter in +den Garten zu begleiten. + +Das Fräulein. Oh! bleiben Sie so lange, als es Ihnen gefällt. Wir +wollen uns schon die Zeit vertreiben. Kommen Sie! + +(Das Fräulein und der Reisende gehen ab.) + +Der Baron. Lisette, dir habe ich etwas zu sagen!-- + +Lisette. Nu? + +Der Baron (sachte zu ihr). Ich weiß noch nicht, wer unser Gast ist. +Gewisser Ursachen wegen mag ich ihn auch nicht fragen. Könntest du +nicht von seinem Diener-- + +Lisette. Ich weiß, was Sie wollen. Dazu trieb mich meine +Neugierigkeit von selbst, und deswegen kam ich hieher.-- + +Der Baron. Bemühe dich also,--und gib mir Nachricht davon. Du wirst +Dank bei mir verdienen. + +Lisette. Gehen Sie nur. + +Christoph. Sie werden es also nicht übelnehmen, mein Herr, daß wir es +uns bei Ihnen gefallen lassen. Aber ich bitte, machen Sie sich +meinetwegen keine Ungelegenheit; ich bin mit allem zufrieden, was da +ist. + +Der Baron. Lisette, ich übergebe ihn deiner Aufsicht. Laß ihn an +nichts Mangel leiden. (Geht ab.) + +Christoph. Ich empfehle mich also, Mademoisell, Dero gütigen Aufsicht, +die mich an nichts wird Mangel leiden lassen (will abgehen). + + + +Zehnter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette (hält ihn auf). Nein, mein Herr, ich kann es unmöglich über +mein Herz bringen, Sie so unhöflich sein zu lassen--Bin ich denn nicht +Frauenzimmers genug, um einer kurzen Unterhaltung wert zu sein? + +Christoph. Der Geier! Sie nehmen die Sache genau, Mamsell. Ob Sie +Frauenzimmers genug oder zuviel sind, kann ich nicht sagen. Wenn ich +zwar aus Ihrem gesprächigen Munde schließen sollte, so dürfte ich +beinahe das letzte behaupten. Doch dem sei, wie ihm wolle; jetzt +werden Sie mich beurlauben;--Sie sehen, ich habe Hände und Arme voll. +--Sobald mich hungert oder dürstet, werde ich bei Ihnen sein. + +Lisette. So macht's unser Schirrmeister auch. + +Christoph. Der Henker! das muß ein gescheuter Mann sein: er macht's +wie ich! + +Lisette. Wenn Sie ihn wollen kennenlernen: er liegt vor dem +Hinterhause an der Kette. + +Christoph. Verdammt! ich glaube gar, Sie meinen den Hund. Ich merke +also wohl, Sie werden den leiblichen Hunger und Durst verstanden haben. +Den aber habe ich nicht verstanden; sondern den Hunger und Durst der +Liebe. Den, Mamsell, den! Sind Sie nun mit meiner Erklärung +zufrieden? + +Lisette. Besser als mit dem Erklärten. + +Christoph. Ei! im Vertrauen:--Sagen Sie etwa zugleich auch damit so +viel, daß Ihnen ein Liebesantrag von mir nicht zuwider sein würde? + +Lisette. Vielleicht! Wollen Sie mir einen tun? im Ernst? + +Christoph. Vielleicht! + +Lisette. Pfui! was das für eine Antwort ist! vielleicht! + +Christoph. Und sie war doch nicht ein Haar anders, als die Ihrige. + +Lisette. In meinem Munde will sie aber ganz etwas anders sagen. +Vielleicht, ist eines Frauenzimmers größte Versicherung. Denn so +schlecht unser Spiel auch ist, so müssen wir uns doch niemals in die +Karte sehen lassen. + +Christoph. Ja, wenn das ist!--Ich dächte, wir kämen also zur Sache. +--(Er schmeißt beide Mantelsäcke auf die Erde.) Ich weiß nicht, warum +ich mir's so sauer mache? Da liegt!--Ich liebe Sie, Mamsell. + +Lisette. Das heiß ich, mit wenigen viel sagen. Wir wollen's +zergliedern-- + +Christoph. Nein, wir wollen's lieber ganz lassen. Doch,--damit wir +in Ruhe einander unsre Gedanken eröffnen können;--belieben Sie sich +niederzulassen!--Das Stehn ermüdet mich.--Ohne Umstände!--(Er nötiget +sie auf den Mantelsack zu sitzen.)--Ich liebe Sie, Mamsell.-- + +Lisette. Aber,--ich sitze verzweifelt hart.--Ich glaube gar, es sind +Bücher darin-- + +Christoph. Darzu recht zärtliche und witzige;--und gleichwohl sitzen +Sie hart darauf? Es ist meines Herrn Reisebibliothek. Sie besteht +aus Lustspielen, die zum Weinen, und aus Trauerspielen, die zum Lachen +bewegen; aus zärtlichen Heldengedichten; aus tiefsinnigen Trinkliedern, +und was dergleichen neue Siebensachen mehr sind.--Doch wir wollen +umwechseln. Setzen Sie sich auf meinen;--ohne Umstände!--meiner ist +der weichste. + +Lisette. Verzeihen Sie! So grob werde ich nicht sein-- + +Christoph. Ohne Umstände,--ohne Komplimente!--Wollen Sie nicht?--So +werde ich Sie hintragen.-- + +Lisette. Weil Sie es denn befehlen--(Sie steht auf und will sich auf +den andern setzen.) + +Christoph. Befehlen? behüte Gott!--Nein! befehlen will viel sagen. +--Wenn Sie es so nehmen wollen, so bleiben Sie lieber sitzen.--(Er +setzt sich wieder auf seinen Mantelsack.) + +Lisette (beiseite). Der Grobian! Doch ich muß es gut sein lassen-- + +Christoph. Wo blieben wir denn?--Ja,--bei der Liebe--Ich liebe Sie +also, Mamsell. Je vous aime, würde ich sagen, wenn Sie eine +französische Marquisin wären. + +Lisette. Der Geier! Sie sind wohl gar ein Franzose? + +Christoph. Nein, ich muß meine Schande gestehn: ich bin nur ein +Deutscher.--Aber ich habe das Glück gehabt, mit verschiedenen +Franzosen umgehen zu können, und da habe ich denn so ziemlich gelernt, +was zu einem rechtschaffnen Kerl gehört. Ich glaube, man sieht mir es +auch gleich an. + +Lisette. Sie kommen also vielleicht mit Ihrem Herrn aus Frankreich? + +Christoph. Ach nein!-- + +Lisette. Wo sonst her? freilich wohl!-- + +Christoph. Es liegt noch einige Meilen hinter Frankreich, wo wir +herkommen. + +Lisette. Aus Italien doch wohl nicht? + +Christoph. Nicht weit davon. + +Lisette. Aus Engeland also? + +Christoph. Beinahe; Engeland ist eine Provinz davon. Wir sind über +funfzig Meilen von hier zu Hause.--Aber, daß Gott!--meine Pferde,--die +armen Tiere stehen noch gesattelt. Verzeihen Sie, Mamsell!--Hurtig! +stehen Sie auf!--(Er nimmt die Mantelsäcke wieder untern Arm. )--Trotz +meiner inbrünstigen Liebe muß ich doch gehn, und erst das Nötige +verrichten.--Wir haben noch den ganzen Tag, und, was das meiste ist, +noch die ganze Nacht vor uns. Wir wollen schon noch eins werden.--Ich +werde sie wohl wieder zu finden wissen. + + + +Eilfter Auftritt + +Martin Krumm. Lisette. + + +Lisette. Von dem werde ich wenig erfahren können. Entweder, er ist +zu dumm, oder zu fein. Und beides macht unergründlich. + +Martin Krumm. So, Jungfer Lisette? Das ist auch der Kerl darnach, +daß er mich ausstechen sollte! + +Lisette. Das hat er nicht nötig gehabt. + +Martin Krumm. Nicht nötig gehabt? Und ich denke, wer weiß wie fest +ich in Ihrem Herzen sitze. + +Lisette. Das macht, Herr Vogt, Er denkt's. Leute von Seiner Art +haben das Recht, abgeschmackt zu denken. Drum ärgre ich mich auch +nicht darüber, daß Er's gedacht hat; sondern, daß Er mir's gesagt hat. +Ich möchte wissen, was Ihn mein Herz angeht? Mit was für +Gefälligkeiten, mit was für Geschenken hat Er sich denn ein Recht +darauf erworben?--Man gibt die Herzen jetzt nicht mehr, so in den Tag +hinein, weg. Und glaubt Er etwa, daß ich so verlegen mit dem meinigen +bin? Ich werde schon noch einen ehrlichen Mann dazu finden, ehe ich's +vor die Säue werfe. + +Martin Krumm. Der Teufel, das verschnupft! Ich muß eine Prise Tabak +darauf nehmen.--Vielleicht geht es wieder mit dem Niesen fort.--(Er +zieht die entwende Dose hervor, spielt einige Zeit in den Händen damit, +und nimmt endlich, auf eine lächerlich hochmütige Art, eine Prise.) + +Lisette (schielt ihn von der Seite an). Verzweifelt! wo bekömmt der +Kerl die Dose her? + +Martin Krumm. Belieben Sie ein Prischen? + +Lisette. Oh, Ihre untertänige Magd, mein Herr Vogt! (Sie nimmt.) + +Martin Krumm. Was eine silberne Dose nicht kann!--Könnte ein +Ohrwürmchen geschmeidiger sein? + +Lisette. Ist es eine silberne Dose? + +Martin Krumm. Wann's keine silberne wäre, so würde sie Martin Krumm +nicht haben. + +Lisette. Ist es nicht erlaubt, sie zu besehn? + +Martin Krumm. Ja, aber nur in meinen Händen. + +Lisette. Die Fasson ist vortrefflich. + +Martin Krumm. Ja, sie wiegt ganzer fünf Lot. + +Lisette. Nur der Fasson wegen möchte ich so ein Döschen haben. + +Martin Krumm. Wenn ich sie zusammenschmelzen lasse, steht Ihnen die +Fasson davon zu Dienste. + +Lisette. Sie sind allzu gütig!--Es ist ohne Zweifel ein Geschenk? + +Martin Krumm. Ja, sie kostet mir nicht einen Heller. + +Lisette. Wahrhaftig, so ein Geschenk könnte ein Frauenzimmer recht +verblenden! Sie können Ihr Glück damit machen, Herr Vogt. Ich +wenigstens würde mich, wenn man mich mit silbernen Dosen anfiele, sehr +schlecht verteidigen können. Mit so einer Dose hätte ein Liebhaber +gegen mich gewonnen Spiel. + +Martin Krumm. Ich versteh's, ich versteh's! + +Lisette. Da sie Ihnen so nichts kostet, wollte ich Ihnen raten, Herr +Vogt, sich eine gute Freundin damit zu machen-- + +Martin Krumm. Ich versteh's, ich versteh's!-Lisette (schmeichelnd). +Wollten Sie mir sie wohl schenken?-- + +Martin Krumm. O um Verzeihung!--Man gibt die silbernen Dosen jetzt +nicht mehr, so in den Tag hinein, weg. Und glaubt Sie denn, Jungfer +Lisette, daß ich so verlegen mit der meinigen bin? Ich werde schon +noch einen ehrlichen Mann dazu finden, ehe ich sie vor die Säue werfe. + +Lisette. Hat man jemals eine dümmre Grobheit gefunden!--Ein Herz +einer Schnupftabaksdose gleich zu schätzen? + +Martin Krumm. Ja, ein steinern Herz einer silbern Schnupftabaksdose-- + +Lisette. Vielleicht würde es aufhören, steinern zu sein, wenn--Doch +alle meine Reden sind vergebens--Er ist meiner Liebe nicht wert--Was +ich für eine gutherzige Närrin bin!--(will weinen) beinahe hätte ich +geglaubt, der Vogt wäre noch einer von den ehrlichen Leuten, die es +meinen, wie sie es reden-- + +Martin Krumm. Und was ich für ein gutherziger Narre bin, daß ich +glaube, ein Frauenzimmer meine es, wie sie es red't!--Da, mein +Lisettchen, weine Sie nicht!--(Er gibt ihr die Dose.)--Aber nun bin +ich doch wohl Ihrer Liebe wert?--Zum Anfange verlange ich nichts, als +nur ein Küßchen auf Ihre schöne Hand!--(Er küßt sie.) Ah, wie schmeckt +das! + + + +Zwölfter Auftritt + +Das Fräulein. Lisette. Martin Krumm. + + +Das Fräulein (sie kömmt dazu geschlichen, und stößt ihn mit dem Kopfe +auf die Hand). Ei! Herr Vogt,--küß Er mir doch meine Hand auch! + +Lisette. Daß doch!-- + +Martin Krumm. Ganz gern, gnädiges Fräulein--(Er will ihr die Hand +küssen.) + +Das Fräulein (gibt ihm eine Ohrfeige). Ihr Flegel, versteht Ihr denn +keinen Spaß? + +Martin Krumm. Den Teufel mag das Spaß sein! + +Lisette. Ha! ha! ha! (Lacht ihn aus.) O ich bedaure Ihn, mein lieber +Vogt--Ha! ha! ha! + +Martin Krumm. So? und Sie lacht noch dazu? Ist das mein Dank? Schon +gut, schon gut! (Gehet ab.) + +Lisette. Ha! ha! ha! + + + +Dreizehnter Auftritt + +Lisette. Das Fräulein. + + +Das Fräulein. Hätte ich's doch nicht geglaubt, wenn ich's nicht +selbst gesehen hätte. Du läßt dich küssen? und noch dazu vom Vogt? + +Lisette. Ich weiß auch gar nicht, was Sie für Recht haben, mich zu +belauschen? Ich denke, Sie gehen im Garten mit dem Fremden spazieren. + +Das Fräulein. Ja, und ich wäre noch bei ihm, wenn der Papa nicht +nachgekommen wäre. Aber so kann ich ja kein kluges Wort mit ihm +sprechen. Der Papa ist gar zu ernsthaft-- + +Lisette. Ei, was nennen Sie denn ein kluges Wort? Was haben Sie denn +wohl mit ihm zu sprechen, das der Papa nicht hören dürfte? + +Das Fräulein. Tausenderlei!--Aber du machst mich böse, wo du mich +noch mehr fragst. Genug, ich bin dem fremden Herrn gut. Das darf ich +doch wohl gestehn? + +Lisette. Sie würden wohl greulich mit dem Papa zanken, wenn er Ihnen +einmal so einen Bräutigam verschaffte? Und im Ernst, wer weiß, was er +tut. Schade nur, daß Sie nicht einige Jahre älter sind: es könnte +vielleicht bald zustande kommen. + +Das Fräulein. Oh, wenn es nur am Alter liegt, so kann mich ja der +Papa einige Jahr älter machen. Ich werde ihm gewiß nicht +widersprechen. + +Lisette. Nein, ich weiß noch einen bessern Rat. Ich will Ihnen +einige Jahre von den meinigen geben, so ist uns allen beiden geholfen. +Ich bin alsdann nicht zu alt, und Sie nicht zu jung. + +Das Fräulein. Das ist auch wahr; das geht ja an! + +Lisette. Da kömmt des Fremden Bedienter; ich muß mit ihm sprechen. +Es ist alles zu Ihrem Besten--Lassen Sie mich mit ihm allein.--Gehen +Sie. + +Das Fräulein. Vergiß es aber nicht, wegen der Jahre--Hörst du, +Lisette? + + + +Vierzehnter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette. Mein Herr, Sie hungert oder durstet gewiß, daß Sie schon +wiederkommen? nicht? + +Christoph. Ja freilich!--Aber wohlgemerkt, wie ich den Hunger und +Durst erklärt habe. Ihr die Wahrheit zu gestehn, meine liebe Jungfer, +so hatte ich schon, sobald ich gestern vom Pferde stieg, ein Auge auf +Sie geworfen. Doch weil ich nur einige Stunden hierzubleiben +vermeinte, so glaubte ich, es verlohne sich nicht der Mühe, mich mit +Ihr bekannt zu machen. Was hätten wir in so kurzer Zeit können +ausrichten? Wir hätten unsern Roman von hinten müssen anfangen. +Allein es ist auch nicht allzusicher, die Katze bei dem Schwanze aus +dem Ofen zu ziehen. + +Lisette. Das ist wahr! nun aber können wir schon ordentlicher +verfahren. Sie können mir Ihren Antrag tun; ich kann darauf antworten. +Ich kann Ihnen meine Zweifel machen; Sie können mir sie auflösen. +Wir können uns bei jedem Schritte, den wir tun, bedenken, und dürfen +einander nicht den Affen im Sacke verkaufen. Hätten Sie mir gestern +gleich Ihren Liebesantrag getan; es ist wahr, ich würde ihn angenommen +haben. Aber überlegen Sie einmal, wieviel ich gewagt hätte, wenn ich +mich nicht einmal nach Ihrem Stande, Vermögen, Vaterlande, Bedienungen +und dergleichen mehr zu erkundigen Zeit gehabt hätte? + +Christoph. Der Geier! wäre das aber auch so nötig gewesen? So viel +Umstände? Sie könnten ja bei dem Heiraten nicht mehrere machen?-- + +Lisette. Oh! wenn es nur auf eine kahle Heirat angesehen wäre, so +wär' es lächerlich, wenn ich so gewissenhaft sein wollte. Allein mit +einem Liebesverständnisse ist es ganz etwas anders! Hier wird die +schlechteste Kleinigkeit zu einem wichtigen Punkte. Also glauben Sie +nur nicht, daß Sie die geringste Gefälligkeit von mir erhalten werden, +wenn Sie meiner Neugierde nicht in allen Stücken ein Gnüge tun. + +Christoph. Nu? wie weit erstreckt sich denn die? + +Lisette. Weil man doch einen Diener am besten nach seinem Herrn +beurteilen kann, so verlange ich vor allen Dingen zu wissen-- + +Christoph. Wer mein Herr ist? Ha! ha! das ist lustig. Sie fragen +mich etwas, das ich Sie gern selbst fragen möchte, wenn ich glaubte, +daß Sie mehr wüßten, als ich. + +Lisette. Und mit dieser abgedroschnen Ausflucht denken Sie +durchzukommen? Kurz, ich muß wissen, wer Ihr Herr ist, oder unsre +ganze Freundschaft hat ein Ende. + +Christoph. Ich kenne meinen Herrn nicht länger, als seit vier Wochen. +So lange ist es, daß er mich in Hamburg in seine Dienste genommen hat. +Von da aus habe ich ihn begleitet, niemals mir aber die Mühe +genommen, nach seinem Stande oder Namen zu fragen. So viel ist gewiß, +reich muß er sein; denn er hat weder mich noch sich auf der Reise +notleiden lassen. Und was brauch ich mich mehr zu bekümmern? + +Lisette. Was soll ich mir von Ihrer Liebe versprechen, da Sie meiner +Verschwiegenheit nicht einmal eine solche Kleinigkeit anvertrauen +wollen? Ich würde nimmermehr gegen Sie so sein. Zum Exempel, hier +habe ich eine schöne silberne Schnupftabaksdose-- + +Christoph. Ja? nu?-- + +Lisette. Sie dürften mich ein klein wenig bitten, so sagte ich Ihnen, +von wem ich sie bekommen habe-- + +Christoph. Oh! daran ist mir nun eben so viel nicht gelegen. Lieber +möchte ich wissen, wer sie von Ihnen bekommen sollte? + +Lisette. Über den Punkt habe ich eigentlich noch nichts +beschlossen. Doch wenn Sie sie nicht sollten bekommen, so haben Sie +es niemanden anders, als sich selbst zuzuschreiben. Ich würde Ihre +Aufrichtigkeit gewiß nicht unbelohnt lassen. + +Christoph. Oder vielmehr meine Schwatzhaftigkeit! Doch, so wahr ich +ein ehrlicher Kerl bin, wann ich dasmal verschwiegen bin, so bin ich's +aus Not. Denn ich weiß nichts, was ich ausplaudern könnte. Verdammt! +wie gern wollte ich meine Geheimnisse ausschütten, wann ich nur welche +hätte. + +Lisette. Adieu! ich will Ihre Tugend nicht länger bestürmen. Nur +wünsch ich, daß sie Ihnen bald zu einer silbernen Dose und einer +Liebsten verhelfen möge, so wie sie Sie jetzt um beides gebracht hat. +(Will geben.) + +Christoph. Wohin? wohin? Geduld! (Beiseite.) Ich sehe mich genötigt, +zu lügen. Denn so ein Geschenk werde ich mir doch nicht sollen +entgehn lassen? Was wird's auch viel schaden? + +Lisette. Nun, wollen Sie es näher geben? Aber,--ich sehe schon, es +wird Ihnen sauer. Nein, nein; ich mag nichts wissen-- + +Christoph. Ja, ja, Sie soll alles wissen!--(Beiseite.) Wer doch recht +viel lügen könnte!--Hören Sie nur!--Mein Herr ist--ist einer von Adel. +Er kömmt,--wir kommen miteinander aus--aus--Holland. Er hat +müssen--gewisser Verdrüßlichkeiten wegen--einer Kleinigkeit--eines +Mords wegen--entfliehen-- + +Lisette. Was? eines Mords wegen? + +Christoph. Ja,--aber eines honetten Mords--eines Duells wegen +entfliehen.--Und jetzt eben--ist er auf der Flucht-- + +Lisette. Und Sie, mein Freund?-- + +Christoph. Ich, bin auch mit ihm auf der Flucht. Der Entleibte hat +uns--will ich sagen, die Freunde des Entleibten haben uns sehr +verfolgen lassen; und dieser Verfolgung wegen--Nun können Sie leicht +das übrige erraten.--Was Geier, soll man auch tun? Überlegen Sie +es selbst; ein junger naseweiser Laffe schimpft uns. Mein Herr stößt +ihn übern Haufen. Das kann nicht anders sein!--Schimpft mich jemand, +so tu ich's auch,--oder--oder schlage ihn hinter die Ohren. Ein +ehrlicher Kerl muß nichts auf sich sitzen lassen. + +Lisette. Das ist brav! solchen Leuten bin ich gut; denn ich bin auch +ein wenig unleidlich. Aber sehen Sie einmal, da kömmt Ihr Herr! +sollte man es ihm wohl ansehn, daß er so zornig, so grausam wäre? + +Christoph. O kommen Sie! wir wollen ihm aus dem Wege gehn. Er möchte +mir es ansehn, daß ich ihn verraten habe. + +Lisette. Ich bin's zufrieden-- + +Christoph. Aber die silberne Dose-- + +Lisette. Kommen Sie nur. (Beiseite.) Ich will erst sehen, was mir von +meinem Herrn für mein entdecktes Geheimnis werden wird: Lohnt sich das +der Mühe, so soll er sie haben. + + + +Funfzehnter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Ich vermisse meine Dose. Es ist eine Kleinigkeit; +gleichwohl ist mir der Verlust empfindlich. Sollte mir sie wohl der +Vogt?--Doch ich kann sie verloren haben,--ich kann sie aus +Unvorsichtigkeit herausgerissen haben.--Auch mit seinem Verdachte muß +man niemand beleidigen.--Gleichwohl,--er drängte sich an mich heran; +--er griff nach der Uhr:--ich ertappte ihn; könnte er auch nicht nach +der Dose gegriffen haben, ohne daß ich ihn ertappt hätte? + + + +Sechzehnter Auftritt + +Martin Krumm. Der Reisende. + + +Martin Krumm (als er den Reisenden gewahr wird, will er wieder +umkehren). Hui! + +Der Reisende. Nu, nu, immer näher, mein Freund!--(Beiseite.) Ist er +doch so schüchtern, als ob er meine Gedanken wüßte!--Nu? nur näher! + +Martin Krumm (trotzig). Ach! ich habe nicht Zeit! Ich weiß schon, +Sie wollen mit mir plaudern. Ich habe wichtigere Sachen zu tun. Ich +mag Ihre Heldentaten nicht zehnmal hören. Erzählen Sie sie jemanden, +der sie noch nicht weiß. + +Der Reisende. Was höre ich? vorhin war der Vogt einfältig und höflich, +jetzt ist er unverschämt und grob. Welches ist denn Eure rechte +Larve? + +Martin Krumm. Ei! das hat Sie der Geier gelernt, mein Gesicht eine +Larve zu schimpfen. Ich mag mit Ihnen nicht zanken,--sonst--(Er will +fortgehen.) + +Der Reisende. Sein unverschämtes Verfahren bestärkt mich in meinem +Argwohne.--Nein, nein, Geduld! Ich habe Euch etwas Notwendiges zu +fragen-- + +Martin Krumm. Und ich werde nichts drauf zu antworten haben, es mag +so notwendig sein, als es will. Drum sparen Sie nur die Frage. + +Der Reisende. Ich will es wagen--Allein, wie leid würde mir es sein, +wann ich ihm unrecht täte.--Mein Freund, habt Ihr nicht meine Dose +gesehn?--Ich vermisse sie.-- + +Martin Krumm. Was ist das für eine Frage? Kann ich etwas dafür, daß +man sie Ihnen gestohlen hat?--Für was sehen Sie mich an? für den +Hehler? oder für den Dieb? + +Der Reisende. Wer redt denn vom Stehlen? Ihr verratet Euch fast +selbst-- + +Martin Krumm. Ich verrate mich selbst? Also meinen Sie, daß ich sie +habe? Wissen Sie auch, was das zu bedeuten hat, wenn man einen +ehrlichen Kerl dergleichen beschuldigt. Wissen Sie's? + +Der Reisende. Warum müßt Ihr so schreien? Ich habe Euch noch nichts +beschuldigt. Ihr seid Euer eigner Ankläger. Dazu weiß ich eben nicht, +ob ich großes Unrecht haben würde? Wen ertappte ich denn vorhin, als +er nach meiner Uhr greifen wollte? + +Martin Krumm. Oh! Sie sind ein Mann, der gar keinen Spaß versteht. +Hören Sie's!--(Beiseite.) Wo er sie nur nicht bei Lisetten gesehen +hat--Das Mädel wird doch nicht närrisch sein, und sich damit breit +machen-- + +Der Reisende. Oh! ich verstehe den Spaß so wohl, daß ich glaube, Ihr +wollt mit meiner Dose auch spaßen. Allein wenn man den Spaß zu weit +treibt, verwandelt er sich endlich in Ernst. Es ist mir um Euren +guten Namen leid. Gesetzt, ich wäre überzeugt, daß Ihr es nicht böse +gemeint hättet, würden auch andre-- + +Martin Krumm. Ach,--andre!--andre!--andre wären es längst überdrüssig, +sich so etwas vorwerfen zu lassen. Doch, wenn Sie denken, daß ich +sie habe: befühlen Sie mich,--visitieren Sie mich-- + +Der Reisende. Das ist meines Amts nicht. Dazu trägt man auch nicht +alles bei sich in der Tasche. + +Martin Krumm. Nun gut! damit Sie sehen, daß ich ein ehrlicher Kerl +bin, so will ich meine Schubsäcke selber umwenden.--Geben Sie acht! +--(Beiseite.) Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn sie herausfiele. + +Der Reisende. O macht Euch keine Mühe! + +Martin Krumm. Nein, nein: Sie sollen's sehn, Sie sollen's sehn. (Er +wendet die eine Tasche um.) Ist da eine Dose? Brotkrümel sind drinne: +das liebe Gut! (Er wendet die andere um.) Da ist auch nichts! Ja; +--doch! ein Stückchen Kalender.--Ich hebe es der Verse wegen auf, die +über den Monaten stehen. Sie sind recht schnurrig.--Nu, aber daß wir +weiterkommen. Geben sie acht: da will ich den dritten umwenden. (Bei +dem Umwenden fallen zwei große Bärte heraus.) Der Henker! was laß ich +da fallen? + +(Er will sie hurtig aufheben, der Reisende aber ist hurtiger, und +erwischt einen davon.) + +Der Reisende. Was soll das vorstellen? + +Martin Krumm (beiseite). O verdammt! ich denke, ich habe den Quark +lange von mir gelegt. + +Der Reisende. Das ist ja gar ein Bart. (Er macht ihn vors Kinn.) Sehe +ich bald einem Juden so ähnlich?-- + +Martin Krumm. Ach geben Sie her! geben Sie her! Wer weiß, was Sie +wieder denken? Ich schrecke meinen kleinen Jungen manchmal damit. +Dazu ist er. + +Der Reisende. Ihr werdet so gut sein, und mir ihn lassen. Ich will +auch damit schrecken. + +Martin Krumm. Ach! vexieren Sie sich nicht mit mir. Ich muß ihn +wiederhaben. (Er will ihn aus der Hand reißen.) + +Der Reisende. Geht, oder-Martin Krumm (beiseite). Der Geier! nun mag +ich sehen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.--Es ist schon gut; +es ist schon gut! Ich seh's, Sie sind zu meinem Unglücke +hiehergekommen. Aber, hol mich alle Teufel, ich bin ein ehrlicher +Kerl! und den will ich sehn, der mir etwas Schlimmes nachreden kann. +Merken Sie sich das! Es mag kommen zu was es will, so kann ich es +beschwören, daß ich den Bart zu nichts Bösem gebraucht habe.--(Geht ab.) + + + +Siebzehnter Auftritt + +Der Reisende. + + +Der Reisende. Der Mensch bringt mich selbst auf einen Argwohn, der +ihm höchst nachteilig ist.--Könnte er nicht einer von den verkappten +Räubern gewesen sein?--Doch ich will in meiner Vermutung behutsam +gehen. + + + +Achtzehnter Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. + + +Der Reisende. Sollten Sie nicht glauben, ich wäre gestern mit den +jüdischen Straßenräubern ins Handgemenge gekommen, daß ich einem davon +den Bart ausgerissen hätte? (Er zeigt ihm den Bart.) + +Der Baron. Wie verstehn Sie das, mein Herr?--Allein, warum haben Sie +mich so geschwind im Garten verlassen? + +Der Reisende. Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Ich wollte gleich +wieder bei Ihnen sein. Ich ging nur meine Dose zu suchen, die ich +hier herum muß verloren haben. + +Der Baron. Das ist mir höchst empfindlich. Sie sollten noch bei mir +zu Schaden kommen? + +Der Reisende. Der Schade würde so groß nicht sein--Allein betrachten +Sie doch einmal diesen ansehnlichen Bart! + +Der Baron. Sie haben mir ihn schon einmal gezeigt. Warum? + +Der Reisende. Ich will mich Ihnen deutlicher erklären. Ich +glaube--Doch nein, ich will meine Vermutungen zurückhalten.-- + +Der Baron. Ihre Vermutungen? Erklären Sie sich! + +Der Reisende. Nein; ich habe mich übereilt. Ich könnte mich irren-- + +Der Baron. Sie machen mich unruhig. + +Der Reisende. Was halten Sie von Ihrem Vogt? + +Der Baron. Nein, nein; wir wollen das Gespräch auf nichts anders +lenken--Ich beschwöre Sie bei der Wohltat, die Sie mir erzeigt haben, +entdecken Sie mir, was Sie glauben, was Sie vermuten, worinne Sie sich +könnten geirrt haben! + +Der Reisende. Nur die Beantwortung meiner Frage kann mich antreiben, +es Ihnen zu entdecken. + +Der Baron. Was ich von meinem Vogte halte?--Ich halte ihn für einen +ganz ehrlichen und rechtschaffnen Mann. + +Der Reisende. Vergessen Sie also, daß ich etwas habe sagen wollen. + +Der Baron. Ein Bart,--Vermutungen,--der Vogt,--wie soll ich diese +Dinge verbinden?--Vermögen meine Bitten nichts bei Ihnen?--Sie könnten +sich geirrt haben? Gesetzt, Sie haben sich geirrt; was können Sie bei +einem Freunde für Gefahr laufen? + +Der Reisende. Sie dringen zu stark in mich. Ich sage Ihnen also, daß +der Vogt diesen Bart aus Unvorsichtigkeit hat fallen lassen; daß er +noch einen hatte, den er aber in der Geschwindigkeit wieder zu sich +steckte; daß seine Reden einen Menschen verrieten, welcher glaubt, man +denke von ihm ebensoviel Übels, als er tut; daß ich ihn auch sonst +über einem nicht allzugewissenhaften--wenigstens nicht allzuklugen +Griffe, ertappt habe. + +Der Baron. Es ist als ob mir die Augen auf einmal aufgingen. Ich +besorge,--Sie werden sich nicht geirrt haben. Und Sie trugen Bedenken, +mir so etwas zu entdecken?--Den Augenblick will ich gehn, und alles +anwenden, hinter die Wahrheit zu kommen. Sollte ich meinen Mörder in +meinem eignen Hause haben? + +Der Reisende. Doch zürnen Sie nicht auf mich, wenn Sie, zum Glücke, +meine Vermutungen falsch befinden sollten. Sie haben mir sie +ausgepreßt, sonst würde ich sie gewiß verschwiegen haben. + +Der Baron. Ich mag sie wahr oder falsch befinden, ich werde Ihnen +allzeit dafür danken. + + + +Neunzehnter Auftritt + +Der Reisende (und hernach) Christoph. + + +Der Reisende. Wo er nur nicht zu hastig mit ihm verfährt! Denn so +groß auch der Verdacht ist, so könnte der Mann doch wohl noch +unschuldig sein.--Ich bin ganz verlegen.--In der Tat ist es nichts +Geringes, einem Herrn seine Untergebnen so verdächtig zu machen. Wenn +er sie auch unschuldig befindet, so verliert er doch auf immer das +Vertrauen zu ihnen.--Gewiß, wenn ich es recht bedenke, ich hätte +schweigen sollen--Wird man nicht Eigennutz und Rache für die Ursachen +meines Argwohns halten, wenn man erfährt, daß ich ihm meinen Verlust +zugeschrieben habe?--Ich wollte ein Vieles darum schuldig sein, wenn +ich die Untersuchung noch hintertreiben könnte-Christoph (kömmt +gelacht). Ha! ha! ha! wissen Sie, wer Sie sind, mein Herr? + +Der Reisende. Wißt Ihr, daß Ihr ein Narr seid? Was fragt Ihr? + +Christoph. Gut! wenn Sie es denn nicht wissen, so will ich es Ihnen +sagen. Sie sind einer von Adel. Sie kommen aus Holland. Allda haben +Sie Verdrüßlichkeiten und ein Duell gehabt. Sie sind so glücklich +gewesen, einen jungen Naseweis zu erstechen. Die Freunde des +Entleibten haben Sie heftig verfolgt. Sie haben sich auf die Flucht +begeben. Und ich habe die Ehre, Sie auf der Flucht zu begleiten. + +Der Reisende. Träumt Ihr, oder raset Ihr? + +Christoph. Keines von beiden. Denn für einen Rasenden wäre meine +Rede zu klug, und für einen Träumenden zu toll. + +Der Reisende. Wer hat Euch solch unsinniges Zeug weisgemacht? + +Christoph. O dafür ist gebeten, daß man mir's weismacht. Allein +finden Sie es nicht recht wohl ausgesonnen? In der kurzen Zeit, die +man mir zum Lügen ließ, hätte ich gewiß auf nichts Bessers fallen +können. So sind Sie doch wenigstens vor weitrer Neugierigkeit sicher! + +Der Reisende. Was soll ich mir aber aus alledem nehmen? + +Christoph. Nichts mehr, als was Ihnen gefällt; das übrige lassen Sie +mir. Hören Sie nur, wie es zuging. Man fragte mich nach Ihrem Namen, +Stande, Vaterlande, Verrichtungen; ich ließ mich nicht lange bitten, +ich sagte alles, was ich davon wußte; das ist: ich sagte, ich wüßte +nichts. Sie können leicht glauben, daß diese Nachricht sehr +unzulänglich war, und daß man wenig Ursache hatte, damit zufrieden zu +sein. Man drang also weiter in mich; allein umsonst! Ich blieb +verschwiegen, weil ich nichts zu verschweigen hatte. Doch endlich +brachte mich ein Geschenk, welches man mir anbot, dahin, daß ich mehr +sagte, als ich wußte; das ist: ich log. + +Der Reisende. Schurke! ich befinde mich, wie ich sehe, bei Euch in +feinen Händen. + +Christoph. Ich will doch nimmermehr glauben, daß ich von ohngefähr +die Wahrheit sollte gelogen haben? + +Der Reisende. Unverschämter Lügner, Ihr habt mich in eine Verwirrung +gesetzt, aus der-- + +Christoph. Aus der Sie sich gleich helfen können, sobald Sie das +schöne Beiwort, das Sie mir jetzt zu geben beliebten, bekannter machen. + +Der Reisende. Werde ich aber alsdenn nicht genötiget sein, mich zu +entdecken? + +Christoph. Desto besser! so lerne ich Sie bei Gelegenheit auch kennen. +--Allein, urteilen Sie einmal selbst, ob ich mir wohl, mit gutem +Gewissen, dieser Lügen wegen ein Gewissen machen konnte? (Er zieht +die Dose heraus.) Betrachten Sie diese Dose! Hätte ich Sie leichter +verdienen können? + +Der Reisende. Zeigt mir sie doch!--(Er nimmt sie in die Hand.) Was +seh ich? + +Christoph. Ha! ha! ha! Das dachte ich, daß Sie erstaunen würden. +Nicht wahr, Sie lögen selber ein Gesetzchen, wenn Sie so eine Dose +verdienen könnten. + +Der Reisende. Und also habt Ihr mir sie entwendet? + +Christoph. Wie? was? + +Der Reisende. Eure Treulosigkeit ärgert mich nicht so sehr, als der +übereilte Verdacht, den ich deswegen einem ehrlichen Mann zugezogen +habe. Und Ihr könnt noch so rasend frech sein, mich überreden zu +wollen, sie wäre ein,--obgleich beinahe ebenso schimpflich erlangtes, +--Geschenk? Geht! kommt mir nicht wieder vor die Augen! + +Christoph. Träumen Sie, oder--aus Respekt will ich das andre noch +verschweigen. Der Neid bringt Sie doch nicht auf solche +Ausschweifungen? Die Dose soll Ihre sein? Ich soll sie Ihnen, salva +venia, gestohlen haben? Wenn das wäre; ich müßte ein dummer Teufel +sein, daß ich gegen Sie selbst damit prahlen sollte.--Gut, da kömmt +Lisette! Hurtig komm Sie; helf Sie mir doch, meinen Herrn wieder +zurechte bringen. + + + +Zwanzigster Auftritt + +Lisette. Der Reisende. Christoph. + + +Lisette. O mein Herr, was stiften Sie bei uns für Unruhe! Was hat +Ihnen denn unser Vogt getan? Sie haben den Herrn ganz rasend auf ihn +gemacht. Man redt von Bärten, von Dosen, von Plündern; der Vogt weint +und flucht, daß er unschuldig wäre, daß Sie die Unwahrheit redten. +Der Herr ist nicht zu besänftigen, und jetzt hat er sogar nach dem +Schulzen und den Gerichten geschickt, ihn schließen zu lassen. Was +soll denn das alles heißen? + +Christoph. Oh! das ist alles noch nichts, hör Sie nur, hör Sie, was +er jetzt gar mit mir vorhat-- + +Der Reisende. Ja freilich, meine liebe Lisette, ich habe mich +übereilt. Der Vogt ist unschuldig. Nur mein gottloser Bedienter hat +mich in diese Verdrüßlichkeiten gestürzt. Er ist's, der mir meine +Dose entwandt hat, derenwegen ich den Vogt im Verdacht hatte; und der +Bart kann allerdings ein Kinderspiel gewesen sein, wie er sagte. Ich +geh, ich will ihm Genugtuung geben, ich will meinen Irrtum gestehn, +ich will ihm, was er nur verlangen kann-- + +Christoph. Nein, nein, bleiben Sie! Sie müssen mir erst Genugtuung +geben. Zum Henker, so rede Sie doch, Lisette, und sage Sie, wie die +Sache ist. Ich wollte, daß Sie mit Ihrer Dose am Galgen wäre! Soll +ich mich deswegen zum Diebe machen lassen? Hat Sie mir sie nicht +geschenkt? + +Lisette. Ja freilich! und sie soll Ihm auch geschenkt bleiben. + +Der Reisende. So ist es doch wahr? Die Dose gehört aber mir. + +Lisette. Ihnen? das habe ich nicht gewußt. + +Der Reisende. Und also hat sie wohl Lisette gefunden? und meine +Unachtsamkeit ist an allen den Verwirrungen schuld? (Zu Christophen.) +Ich habe Euch auch zuviel getan! Verzeiht mir! Ich muß mich schämen, +daß ich mich so übereilen können. + +Lisette (beiseite). Der Geier! nun werde ich bald klug. Oh! er wird +sich nicht übereilt haben. + +Der Reisende. Kommt, wir wollen-- + + + +Einundzwanzigster Auftritt + +Der Baron. Der Reisende. Lisette. Christoph. + + +Der Baron (kömmt hastig herzu). Den Augenblick, Lisette, stelle dem +Herrn seine Dose wieder zu! Es ist alles offenbar; er hat alles +gestanden. Und du hast dich nicht geschämt, von so einem Menschen +Geschenke anzunehmen? Nun? wo ist die Dose? + +Der Reisende. Es ist also doch wahr?-- + +Lisette. Der Herr hat sie lange wieder. Ich habe geglaubt, von wem +Sie Dienste annehmen können, von dem könne ich auch Geschenke annehmen. +Ich habe ihn sowenig gekannt, wie Sie. + +Christoph. Also ist mein Geschenk zum Teufel? Wie gewonnen, so +zerronnen! + +Der Baron. Wie aber soll ich, teuerster Freund, mich gegen Sie +erkenntlich erzeigen? Sie reißen mich zum zweitenmal aus einer gleich +großen Gefahr. Ich bin Ihnen mein Leben schuldig. Nimmermehr würde +ich, ohne Sie, mein so nahes Unglück entdeckt haben. Der Schulze, ein +Mann, den ich für den ehrlichsten auf allen meinen Gütern hielt, ist +sein gottloser Gehilfe gewesen. Bedenken Sie also, ob ich jemals dies +hätte vermuten können! Wären Sie heute von mir gereiset-- + +Der Reisende. Es ist wahr--so wäre die Hilfe, die ich Ihnen gestern +zu erweisen glaubte, sehr unvollkommen geblieben. Ich schätze mich +also höchst glücklich, daß mich der Himmel zu dieser unvermuteten +Entdeckung ausersehen hat; und ich freue mich jetzt so sehr, als ich +vorher, aus Furcht zu irren, zitterte. + +Der Baron. Ich bewundre Ihre Menschenliebe, wie Ihre Großmut. O +möchte es wahr sein, was mir Lisette berichtet hat! + + + +Zweiundzwanzigster Auftritt + +Das Fräulein und die Vorigen. + + +Lisette. Nun, warum sollte es nicht wahr sein? + +Der Baron. Komm, meine Tochter, komm! Verbinde deine Bitte mit der +meinigen: ersuche meinen Erretter, deine Hand, und mit deiner Hand +mein Vermögen anzunehmen. Was kann ihm meine Dankbarkeit Kostbarers +schenken, als dich, die ich ebensosehr liebe, als ihn? Wundern Sie +sich nur nicht, wie ich Ihnen so einen Antrag tun könne. Ihr +Bedienter hat uns entdeckt, wer Sie sind. Gönnen Sie mir das +unschätzbare Vergnügen, erkenntlich zu sein! Mein Vermögen ist meinem +Stande, und dieser dem Ihrigen gleich. Hier sind Sie vor Ihren +Feinden sicher und kommen unter Freunde, die Sie anbeten werden. +Allein Sie werden niedergeschlagen? Was soll ich denken? + +Das Fräulein. Sind Sie etwa meinetwegen in Sorgen? Ich versichere +Sie, ich werde dem Papa mit Vergnügen gehorchen. + +Der Reisende. Ihre Großmut setzt mich in Erstaunen. Aus der Größe +der Vergeltung, die Sie mir anbieten, erkenne ich erst, wie klein +meine Wohltat ist. Allein, was soll ich Ihnen antworten? Mein +Bedienter hat die Unwahrheit gered't, und ich-- + +Der Baron. Wollte der Himmel, daß Sie das nicht einmal wären, wofür +er Sie ausgibt! Wollte der Himmel, Ihr Stand wäre geringer, als der +meinige! So würde doch meine Vergeltung etwas kostbarer, und Sie +würden vielleicht weniger ungeneigt sein, meine Bitte stattfinden zu +lassen. + +Der Reisende (beiseite). Warum entdecke ich mich auch nicht?--Mein +Herr, Ihre Edelmütigkeit durchdringet meine ganze Seele. Allein +schreiben Sie es dem Schicksale, nicht mir zu, daß Ihr Anerbieten +vergebens ist. Ich bin--Der Baron. Vielleicht schon verheiratet? + +Der Reisende. Nein-- + +Der Baron. Nun? was? + +Der Reisende. Ich bin ein Jude. + +Der Baron. Ein Jude? grausamer Zufall! + +Christoph. Ein Jude? + +Lisette. Ein Jude? + +Das Fräulein. Ei, was tut das? + +Lisette. St! Fräulein, st! ich will es Ihnen hernach sagen, was das +tut. + +Der Baron. So gibt es denn Fälle, wo uns der Himmel selbst verhindert, +dankbar zu sein? + +Der Reisende. Sie sind es überflüssig dadurch, daß Sie es sein wollen. + +Der Baron. So will ich wenigstens soviel tun, als mir das Schicksal +zu tun erlaubt. Nehmen Sie mein ganzes Vermögen. Ich will lieber arm +und dankbar, als reich und undankbar sein. + +Der Reisende. Auch dieses Anerbieten ist bei mir umsonst, da mir der +Gott meiner Väter mehr gegeben hat, als ich brauche. Zu aller +Vergeltung bitte ich nichts, als daß Sie künftig von meinem Volke +etwas gelinder und weniger allgemein urteilen. Ich habe mich nicht +vor Ihnen verborgen, weil ich mich meiner Religion schäme. Nein! Ich +sahe aber, daß Sie Neigung zu mir, und Abneigung gegen meine Nation +hatten. Und die Freundschaft eines Menschen, er sei wer er wolle, ist +mir allezeit unschätzbar gewesen. + +Der Baron. Ich schäme mich meines Verfahrens. + +Christoph. Nun komm ich erst von meinem Erstaunen wieder zu mir +selber. Was? Sie sind ein Jude, und haben das Herz gehabt, einen +ehrlichen Christen in Ihre Dienste zu nehmen? Sie hätten mir dienen +sollen. So wär' es nach der Bibel recht gewesen. Potz Stern! Sie +haben in mir die ganze Christenheit beleidigt--Drum habe ich nicht +gewußt, warum der Herr, auf der Reise, kein Schweinfleisch essen +wollte, und sonst hundert Alfanzereien machte.--Glauben Sie nur nicht, +daß ich Sie länger begleiten werde! Verklagen will ich Sie noch dazu. + +Der Reisende. Ich kann es Euch nicht zumuten, daß Ihr besser, als der +andre christliche Pöbel, denken sollt. Ich will Euch nicht zu Gemüte +führen, aus was für erbärmlichen Umständen ich Euch in Hamburg riß. +Ich will Euch auch nicht zwingen, länger bei mir zu bleiben. Doch +weil ich mit Euren Diensten so ziemlich zufrieden bin, und ich Euch +vorhin außerdem in einem ungegründeten Verdachte hatte, so behaltet +zur Vergeltung, was diesen Verdacht verursachte. (Gibt ihm die Dose.) +Euren Lohn könnt Ihr auch haben. Sodann geht, wohin Ihr wollt! + +Christoph. Nein, der Henker! es gibt doch wohl auch Juden, die keine +Juden sind. Sie sind ein braver Mann. Topp, ich bleibe bei Ihnen! +Ein Christ hätte mir einen Fuß in die Rippen gegeben, und keine Dose! + +Der Baron. Alles was ich von Ihnen sehe, entzückt mich. Kommen Sie, +wir wollen Anstalt machen, daß die Schuldigen in sichere Verwahrung +gebracht werden. O wie achtungswürdig wären die Juden, wenn sie alle +Ihnen glichen! + +Der Reisende. Und wie liebenswürdig die Christen, wenn sie alle Ihre +Eigenschaften besäßen! (Der Baron, das Fräulein und der Reisende +gehen ab.) + + + +Letzter Auftritt + +Lisette. Christoph. + + +Lisette. Also, mein Freund, hat Er mich vorhin belogen? + +Christoph. Ja, und das aus zweierlei Ursachen. Erstlich, weil ich +die Wahrheit nicht wußte; und anderns, weil man für eine Dose, die man +wiedergeben muß, nicht viel Wahrheit sagen kann. + +Lisette. Und wann's dazu kömmt, ist Er wohl gar auch ein Jude, so +sehr Er sich verstellt? + +Christoph. Das ist zu neugierig für eine Jungfer gefragt! Komm Sie +nur! + +(Er nimmt sie untern Arm, und sie gehen ab.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die Juden, von Gotthold Ephraim +Lessing. + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Die Juden, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE JUDEN *** + +This file should be named 8djdn10.txt or 8djdn10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8djdn11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8djdn10a.txt + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau. + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. 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