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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/9108-0.txt b/9108-0.txt new file mode 100644 index 0000000..e29911d --- /dev/null +++ b/9108-0.txt @@ -0,0 +1,3855 @@ +The Project Gutenberg EBook of Emilia Lagotti, by Gotthold Ephraim Lessing + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Emilia Lagotti + +Author: Gotthold Ephraim Lessing + +Posting Date: February 24, 2015 [EBook #9108] +Release Date: October, 2005 +First Posted: September 7, 2003 +Last Updated: September 4, 2017 + +Language: German + + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EMILIA LAGOTTI *** + + + + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau + + + + + + + + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +EMILIA GALOTTI + +von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING + +Personen: + +Emilia Galotti +Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia +Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla +Marinelli, Kammerherr des Prinzen +Camillo Rota, einer von des Prinzen Räten +Conti, Maler +Graf Appiani +Gräfin Orsina +Angelo und einige Bediente + + + + +Erster Aufzug + +Die Szene: ein Kabinett des Prinzen. + + +Erster Auftritt + +Der Prinz (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere, +deren einige er durchläuft). Klagen, nichts als Klagen! +Bittschriften, nichts als Bittschriften!--Die traurigen Geschäfte; und +man beneidet uns noch!--Das glaub ich; wenn wir allen helfen könnten: +dann wären wir zu beneiden.--Emilia? (Indem er noch eine von den +Bittschriften aufschlägt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) +Eine Emilia?--Aber eine Emilia Bruneschi--nicht Galotti. Nicht Emilia +Galotti!--Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel +gefodert, sehr viel.--Doch sie heißt Emilia. Gewährt! (Er +unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es +ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer? + + +Der Kammerdiener. Nein. + +Der Prinz. Ich habe zu früh Tag gemacht.--Der Morgen ist so schön. +Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn +rufen. (Der Kammerdiener geht ab.)--Ich kann doch nicht mehr arbeiten. +--Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig--Auf einmal muß eine +arme Bruneschi Emilia heißen:--weg ist meine Ruhe, und alles!--Der +Kammerdiener (welcher wieder hereintritt). Nach dem Marchese ist +geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfin Orsina. + +Der Prinz. Der Orsina? Legt ihn hin. + +Der Kammerdiener. Ihr Läufer wartet. + +Der Prinz. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf.--Wo ist +sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa? + +Der Kammerdiener. Sie ist gestern in die Stadt gekommen. + +Der Prinz. Desto schlimmer--besser, wollt' ich sagen. So braucht der +Läufer um so weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine +teure Gräfin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut, +als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.)--Nun ja; ich habe sie zu +lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie +auch wirklich geliebt. Aber--ich habe! + +Der Kammerdiener (der nochmals hereintritt). Der Maler Conti will die +Gnade haben-Der Prinz. Conti? Recht wohl; laßt ihn hereinkommen. +--Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.) + + + +Zweiter Auftritt + +Conti. Der Prinz. + + +Der Prinz. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst? + +Conti. Prinz, die Kunst geht nach Brot. + +Der Prinz. Das muß sie nicht; das soll sie nicht--in meinem kleinen +Gebiete gewiß nicht.--Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen. + +Conti. Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen +kann ihn um den Namen Künstler bringen. + +Der Prinz. Ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges, aber +mit Fleiß.--Sie kommen doch nicht leer, Conti? + +Conti. Ich bringe das Porträt, welches Sie mir befohlen haben, +gnädiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: +aber weil es gesehen zu werden verdient. + +Der Prinz. Jenes ist?--Kann ich mich doch kaum erinnern. + +Conti. Die Gräfin Orsina. + +Der Prinz. Wahr!--Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her. + +Conti. Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die +Gräfin hat, seit drei Monaten, gerade einmal sich entschließen können +zu sitzen. + +Der Prinz. Wo sind die Stücke? + +Conti. In dem Vorzimmer, ich hole sie. + + + +Dritter Auftritt + +Der Prinz. Ihr Bild!--mag!--Ihr Bild, ist sie doch nicht selber.--Und +vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht +mehr erblicke.--Ich will es aber nicht wiederfinden.--Der +beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen.--Wär' es +auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen +andern Grund gemalet ist--in meinem Herzen wieder Platz machen will: +--Wahrlich, ich glaube, ich wär' es zufrieden. Als ich dort liebte, +war ich immer so leicht, so fröhlich, so ausgelassen.--Nun bin ich von +allem das Gegenteil.--Doch nein; nein, nein! Behäglicher oder nicht +behäglicher: ich bin so besser. + + + +Vierter Auftritt + +Der Prinz. Conti mit den Gemälden, wovon er das eine verwandt gegen +einen Stuhl lehnet. + + +Conti (indem er das andere zurechtstellet). Ich bitte, Prinz, daß Sie +die Schranken unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem +Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Grenzen derselben. +--Treten Sie so! + +Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung). +Vortrefflich, Conti--ganz vortrefflich!--Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem +Pinsel.--Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt! + +Conti. Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es +in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muß. +Die Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur--wenn es eine +gibt--das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende +Stoff unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit +dagegen ankämpfet. + +Der Prinz. Der denkende Künstler ist noch eins soviel wert.--Aber das +Original, sagen Sie, fand demungeachtet. + +Conti. Verzeihen Sie, Prinz. +Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe +nichts Nachteiliges von ihr äußern wollen. + +Der Prinz. Soviel als Ihnen beliebt!--Und was sagte das Original? + +Conti. Ich bin zufrieden, sagte die Gräfin, wenn ich nicht häßlicher +aussehe. + +Der Prinz. Nicht häßlicher?--O das wahre Original! + +Conti. Und mit einer Miene sagte sie das--von der freilich dieses ihr +Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget. + +Der Prinz. Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die +unendliche Schmeichelei finde.--Oh! ich kenne sie, jene stolze, +höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde! +--Ich leugne nicht, daß ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch +verziehet, nicht selten um so viel schöner ist. Aber, wohl gemerkt, +ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei +dieser Gräfin. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die +Aufsicht führen--Augen, wie sie die gute Gräfin nun gerade gar nicht +hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat. + +Conti. Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen. + +Der Prinz. Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen, +hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfin Gutes machen +kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht.--Redlich, sag ich? +--Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, +läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen? +Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln, +Ansatz zu trübsinniger Schwärmerei in sanfte Schwermut verwandelt. + +Conti (etwas ärgerlich). Ah, mein Prinz--wir Maler rechnen darauf, +daß das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm +er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe +müßten uns auch nur beurteilen. + +Der Prinz. Je nun, Conti--warum kamen Sie nicht einen Monat früher +damit?--Setzen Sie weg.--Was ist das andere Stück? + +Conti (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand hält). Auch ein +weibliches Porträt. + +Der Prinz. So möcht' ich es bald--lieber gar nicht sehen. Denn dem +Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne)--oder vielmehr hier (mit +dem Finger auf das Herz) kömmt es doch nicht bei.--Ich wünschte, Conti, +Ihre Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern. + +Conti. Eine bewundernswürdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen +bewundernswürdigern Gegenstand als diesen. + +Der Prinz. So wett ich, Conti, daß es des Künstlers eigene Gebieterin +ist.--(Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk, +Conti? oder das Werk meiner Phantasie?--Emilia Galotti! + +Conti. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel? + +Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem +Bilde zu verwenden). So halb!--um sie eben wiederzukennen.--Es ist +einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. +--Nachher ist sie mir nur an heiligen Stätten wieder vorgekommen--wo +das Angaffen sich weniger ziemet.--Auch kenn ich ihren Vater. Er ist +mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf +Sabionetta am meisten widersetzte.--Ein alter Degen, stolz und rauh, +sonst bieder und gut! + +Conti. Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter. + +Der Prinz. Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die +Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß +man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein +Lob vergißt. + +Conti. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir +gelassen.--Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner +Unzufriedenheit mit mir selbst.--Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den +Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den +Pinsel, wieviel geht da verloren!--Aber, wie ich sage, daß ich es weiß, +was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es +verlorengehen müssen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich +auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem +erkenne ich, mehr als aus diesem, daß ich wirklich ein großer Maler +bin, daß es aber meine Hand nur nicht immer ist.--Oder meinen Sie, +Prinz, daß Raffael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, +wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden? Meinen Sie, +Prinz? + +Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). Was sagen Sie, +Conti? Was wollen Sie wissen? + +Conti. O nichts, nichts!--Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz +in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen. + +Der Prinz (mit einer erzwungenen Kälte). Also, Conti, rechnen Sie +doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzüglichsten Schönheiten +unserer Stadt? + +Conti. Also? mit? mit zu den vorzüglichsten? und den vorzüglichsten +unserer Stadt?--Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze +Zeit ebensowenig, als Sie hörten. + +Der Prinz. Lieber Conti--(die Augen wieder auf das Bild gerichtet,) +wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur +allein ein Maler von der Schönheit zu urteilen. + +Conti. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines +Malers warten?--Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was +schön ist! Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: +eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, daß Emilia +Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne, +diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese +Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein +einziges Studium der weiblichen Schönheit.--Die Schilderei selbst, +wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese +Kopie. + +Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret). Nun, Conti? ist +doch nicht schon versagt? + +Conti. Ist für Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden. + +Der Prinz. Geschmack!--(Lächelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen +Schönheit, Conti, wie könnt' ich besser tun, als es auch zu dem +meinigen zu machen?--Dort, jenes Porträt nehmen Sie nur wieder +mit--einen Rahmen darum zu bestellen. + +Conti. Wohl! + +Der Prinz. So schön, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann. +Es soll in der Galerie aufgestellet werden.--Aber dieses bleibt hier. +Mit einem Studio macht man soviel Umstände nicht: auch läßt man das +nicht aufhängen, sondern hat es gern bei der Hand.--Ich danke Ihnen, +Conti; ich danke Ihnen recht sehr.--Und wie gesagt: in meinem Gebiete +soll die Kunst nicht nach Brot gehen--bis ich selbst keines habe. +--Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf +Ihre Quittung, für beide Porträte sich bezahlen--was Sie wollen. +Soviel Sie wollen, Conti. + +Conti. Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, daß Sie so noch +etwas anders belohnen wollen als die Kunst. + +Der Prinz. O des eifersüchtigen Künstlers! Nicht doch!--Hören Sie, +Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.) + + + +Fünfter Auftritt + +Der Prinz. Soviel er will!--(Gegen das Bild.) Dich hab ich für jeden +Preis noch zu wohlfeil.--Ah! schönes Werk der Kunst, ist es wahr, daß +ich dich besitze?--Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der +Natur!--Was Sie dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter +Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!--Am liebsten kauft' ich dich, +Zauberin, von dir selbst!--Dieses Auge voll Liebreiz und +Bescheidenheit! Dieser Mund!--Und wenn er sich zum Reden öffnet! wenn +er lächelt! Dieser Mund!--Ich höre kommen.--Noch bin ich mit dir zu +neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird +Marinelli sein. Hätt' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was für einen +Morgen könnt' ich haben! + + + +Sechster Auftritt + +Marinelli. Der Prinz. + + +Marinelli. Gnädiger Herr, Sie werden verzeihen.--Ich war mir eines so +frühen Befehls nicht gewärtig. + +Der Prinz. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schön. +--Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen. +--(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli? + +Marinelli. Nichts von Belang, das ich wüßte.--Die Gräfin Orsina ist +gestern zur Stadt gekommen. + +Der Prinz. Hier liegt auch schon ihr guter Morgen (auf ihren Brief +zeigend) oder was es sonst sein mag! Ich bin gar nicht neugierig +darauf.--Sie haben sie gesprochen? + +Marinelli. Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter?--Aber, wenn ich es +wieder von einer Dame werde, der es einkömmt, Sie in gutem Ernste zu +lieben, Prinz: so. + +Der Prinz. Nichts verschworen, Marinelli! + +Marinelli. Ja? In der Tat, Prinz? Könnt' es doch kommen?--Oh! so +mag die Gräfin auch so unrecht nicht haben. + +Der Prinz. Allerdings, sehr unrecht!--Meine nahe Vermählung mit der +Prinzessin von Massa will durchaus, daß ich alle dergleichen Händel +fürs erste abbreche. + +Marinelli. Wenn es nur das wäre: so müßte freilich Orsina sich in ihr +Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines. + +Der Prinz. Das unstreitig härter ist als ihres. Mein Herz wird das +Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf sie nur zurücknehmen, +aber nicht wider Willen verschenken. + +Marinelli. Zurücknehmen? Warum zurücknehmen? fragt die Gräfin: wenn +es weiter nichts als eine Gemahlin ist, die dem Prinzen nicht die +Liebe, sondern die Politik zuführet? Neben so einer Gemahlin sieht +die Geliebte noch immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlin fürchtet +sie aufgeopfert zu sein, sondern. + +Der Prinz. Einer neuen Geliebten. --Nun denn? Wollten Sie mir daraus +ein Verbrechen machen, Marinelli? + +Marinelli. Ich?--Oh! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der +Närrin, deren Wort ich führe--aus Mitleid führe. Denn gestern, +wahrlich, hat sie mich sonderbar gerühret. Sie wollte von ihrer +Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz +gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgültigsten +Gespräche entfuhr ihr eine Wendung, eine Beziehung über die andere, +die ihr gefoltertes Herz verriet. Mit dem lustigsten Wesen sagte sie +die melancholischsten Dinge: und wiederum die lächerlichsten Possen +mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Büchern ihre Zuflucht +genommen; und ich fürchte, die werden ihr den Rest geben. + +Der Prinz. So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoß +gegeben.--Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, das +wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr +zurückzubringen?--Wenn sie aus Liebe närrisch wird, so wäre sie es, +früher oder später, auch ohne Liebe geworden--Und nun, genug von ihr. +--Von etwas andern!--Geht denn gar nichts vor in der Stadt? + +Marinelli. +So gut wie gar nichts.--Denn daß die Verbindung des Grafen Appiani +heute vollzogen wird--ist nicht viel mehr als gar nichts. + +Der Prinz. Des Grafen Appiani? und mit wem denn?--Ich soll ja noch +hören, daß er versprochen ist. + +Marinelli. Die Sache ist sehr geheimgehalten worden. Auch war nicht +viel Aufhebens davon zu machen.--Sie werden lachen, Prinz.--Aber so +geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die +schlimmsten Streiche. Ein Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang hat ihn +in ihre Schlinge zu ziehen gewußt--mit ein wenig Larve, aber mit +vielem Prunke von Tugend und Gefühl und Witz--und was weiß ich? + +Der Prinz. Wer sich den Eindrücken, die Unschuld und Schönheit auf +ihn machen, ohne weitere Rücksicht, so ganz überlassen darf--ich +dächte, der wäre eher zu beneiden als zu belachen.--Und wie heißt denn +die Glückliche? Denn bei alledem ist Appiani--ich weiß wohl, daß Sie, +Marinelli, ihn nicht leiden können; ebensowenig als er Sie--, bei +alledem ist er doch ein sehr würdiger junger Mann, ein schöner Mann, +ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich hätte sehr gewünscht, ihn +mir verbinden zu können. Ich werde noch darauf denken. + +Marinelli. Wenn es nicht zu spät ist.--Denn soviel ich höre, ist sein +Plan gar nicht, bei Hofe sein Glück zu machen.--Er will mit seiner +Gebieterin nach seinen Tälern von Piemont--Gemsen zu jagen, auf den +Alpen, und Murmeltiere abzurichten.--Was kann er Besseres tun? Hier +ist es durch das Mißbündnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der +Zirkel der ersten Häuser ist ihm von nun an verschlossen. + +Der Prinz. Mit euren ersten Häusern!--in welchen das Zeremoniell, der +Zwang, die Langeweile und nicht selten die Dürftigkeit herrschet.--Aber +so nennen Sie mir sie doch, der er dieses so große Opfer bringt. + +Marinelli. Es ist eine gewisse Emilia Galotti. + +Der Prinz. Wie, Marinelli? eine gewisse. + +Marinelli. Emilia Galotti. + +Der Prinz. Emilia Galotti?--Nimmermehr! + +Marinelli. Zuverlässig, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein.--Sie +irren sich in dem Namen.--Das Geschlecht der Galotti ist groß.--Eine +Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia! + +Marinelli. Emilia--Emilia Galotti! + +Der Prinz. So gibt es noch eine, die beide Namen führt.--Sie sagten +ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti--eine gewisse. Von der rechten +kann nur ein Narr so sprechen. + +Marinelli. Sie sind außer sich, +gnädiger Herr.--Kennen Sie denn diese Emilia? + +Der Prinz. Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er.--Emilia Galotti? +Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Unfern der Kirche Allerheiligen? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Mit einem Worte--(Indem er nach dem Porträte springt und +es dem Marinelli in die Hand gibt.) Da!--Diese? Diese Emilia +Galotti?--Sprich dein verdammtes "Ebendie" noch einmal und stoß mir +den Dolch ins Herz! + +Marinelli. Ebendie! + +Der Prinz. Henker!--Diese?--Diese Emilia Galotti wird heute. + +Marinelli. +Gräfin Appiani!--(Hier reißt der Prinz dem Marinelli das Bild wieder +aus der Hand und wirft es beiseite.) Die Trauung geschiehet in der +Stille, auf dem Landgute des Vaters bei Sabionetta. Gegen Mittag +fahren Mutter und Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde +dahin ab. + +Der Prinz (der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft). So bin +ich verloren!--So will ich nicht leben! + +Marinelli. Aber was ist Ihnen, gnädiger Herr? + +Der Prinz (der gegen ihn wieder aufspringt). Verräter!--was mir +ist?--Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an. Mögt ihr es doch wissen! +Mögt ihr es doch längst gewußt haben, alle ihr, denen ich der tollen +Orsina schimpfliche Fesseln lieber ewig tragen sollte!--Nur daß Sie, +Marinelli, der Sie so oft mich Ihrer innigsten Freundschaft +versicherten--O ein Fürst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben! +--, daß Sie, Sie, so treulos, so hämisch mir bis auf diesen Augenblick +die Gefahr verhehlen dürfen, die meiner Liebe drohte: wenn ich Ihnen +jemals das vergebe--so werde mir meiner Sünden keine vergeben! + +Marinelli. Ich weiß kaum Worte zu finden, Prinz--wenn Sie mich auch +dazu kommen ließen--, Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen.--Sie lieben +Emilia Galotti!--Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieser Liebe +das geringste gewußt, das geringste vermutet habe, so möge weder Engel +noch Heiliger von mir wissen!--Ebendas wollt' ich in die Seele der +Orsina schwören. Ihr Verdacht schweift auf einer ganz andern Fährte. + +Der Prinz. So verzeihen Sie mir, Marinelli--(indem er sich ihm in die +Arme wirft) und bedaueren Sie mich. + +Marinelli. Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht Ihrer +Zurückhaltung!--"Fürsten haben keinen Freund! können keinen Freund +haben!"--Und die Ursache, wenn dem so ist?--Weil sie keinen haben +wollen.--Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre +geheimsten Wünsche mit, schließen uns ihre ganze Seele auf: und morgen +sind wir ihnen wieder so fremd, als hätten sie nie ein Wort mit uns +gewechselt. + +Der Prinz. Ah! Marinelli, wie konnt' ich Ihnen vertrauen, was ich +mir selbst kaum gestehen wollte? + +Marinelli. Und also wohl noch weniger der Urheberin Ihrer Qual +gestanden haben? + +Der Prinz. Ihr?--Alle meine Mühe ist vergebens gewesen, sie ein +zweites Mal zu sprechen. + +Marinelli. Und das erstemal. + +Der Prinz. +Sprach ich sie--Oh, ich komme von Sinnen! Und ich soll Ihnen noch +lange erzählen?--Sie sehen mich einen Raub der Wellen: was fragen Sie +viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie können: und +fragen Sie dann. + +Marinelli. Retten? ist da viel zu retten?--Was Sie versäumt haben, +gnädiger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun +der Gräfin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben +kann, kauft man aus der zweiten:--und solche Waren nicht selten aus +der zweiten um so viel wohlfeiler. + +Der Prinz. Ernsthaft, Marinelli, ernsthaft, oder-- + +Marinelli. Freilich, auch um so viel schlechter. + +Der Prinz. Sie werden unverschämt! + +Marinelli. Und dazu will der Graf damit aus dem Lande.--Ja, so müßte +man auf etwas anders denken. + +Der Prinz. Und auf was?--Liebster, bester Marinelli, denken Sie für +mich. Was würden Sie tun, wenn Sie +an meiner Stelle wären? + +Marinelli. Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit +ansehen--und mir sagen, daß ich nicht vergebens sein wolle, was ich +bin--Herr! + +Der Prinz. Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich +hier keinen Gebrauch absehe.--Heute, sagen Sie? schon heute? + +Marinelli. Erst heute--soll es geschehen. Und nur geschehenen Dingen +ist nicht zu raten.--(Nach einer kurzen Überlegung.) Wollen Sie mir +freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue? + +Der Prinz. Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann. + +Marinelli. So lassen Sie uns keine Zeit verlieren.--Aber bleiben Sie +nicht in der Stadt. Fahren Sie sogleich nach Ihrem Lustschlosse, nach +Dosalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vorbei. Wenn es mir nicht +gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: so denk ich--Doch, +doch; ich glaube, er geht in diese Falle gewiß. Sie wollen, Prinz, +wegen Ihrer Vermählung einen Gesandten nach Massa schicken? Lassen +Sie den Grafen dieser Gesandte sein; mit dem Bedinge, daß er noch +heute abreiset.--Verstehen Sie? + +Der Prinz. Vortrefflich!--Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie, +eilen Sie. Ich werfe mich sogleich in den Wagen. (Marinelli geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Der Prinz. Sogleich! sogleich!--Wo blieb es?--(Sich nach dem Porträte +umsehend.) Auf der Erde? das war zu arg! (Indem er es aufhebt.) Doch +betrachten? betrachten mag ich dich fürs erste nicht mehr.--Warum +sollt' ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde drücken? (Setzt es +beiseite)--Geschmachtet, geseufzet hab ich lange genug--länger als ich +gesollt hätte: aber nichts getan! und über die zärtliche Untätigkeit +bei einem Haar alles verloren!--Und wenn nun doch alles verloren wäre? +Wenn Marinelli nichts ausrichtete?--Warum will ich mich auch auf ihn +allein verlassen? Es fällt mir ein--um diese Stunde (nach der Uhr +sehend), um diese nämliche Stunde pflegt das fromme Mädchen alle +Morgen bei den Dominikanern die Messe zu hören.--Wie, wenn ich sie da +zu sprechen suchte?--Doch heute, heut an ihrem Hochzeittage--heute +werden ihr andere Dinge am Herzen liegen als die Messe.--Indes, wer +weiß?--Es ist ein Gang.--(Er klingelt, und indem er einige von den +Papieren auf dem Tische hastig zusammenrafft, tritt der Kammerdiener +herein.) Laßt vorfahren!--Ist noch keiner von den Räten da? + + +Der Kammerdiener. Camillo Rota. + +Der Prinz. Er soll hereinkommen. (Der Kammerdiener geht ab.) Nur +aufhalten muß er mich nicht wollen. Dasmal nicht!--Ich stehe gern +seinen Bedenklichkeiten ein andermal um so viel länger zu Diensten. +--Da war ja noch die Bittschrift einer Emilia Bruneschi.--(Sie suchend.) +Die ist's.--Aber, gute Bruneschi, wo deine Vorsprecherin Achter +Auftritt + +Camillo Rota, Schriften in der Hand. Der Prinz. + +Der Prinz. Kommen Sie, Rota, kommen Sie.--Hier ist, was ich diesen +Morgen erbrochen. Nicht viel Tröstliches!--Sie werden von selbst +sehen, was darauf zu verfügen.--Nehmen Sie nur. + +Camillo Rota. Gut, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilia Galot.. +Bruneschi will ich sagen.--Ich habe meine Bewilligung zwar schon +beigeschrieben. Aber doch--die Sache ist keine Kleinigkeit.--Lassen +Sie die Ausfertigung noch anstehen.--Oder auch nicht anstehen: wie +Sie wollen. + +Camillo Rota. Nicht wie ich will, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Was ist sonst? Etwas zu unterschreiben? + +Camillo Rota. Ein Todesurteil wäre zu unterschreiben. + +Der Prinz. Recht gern.--Nur her! geschwind. + +Camillo Rota (stutzig und den Prinzen starr ansehend). Ein +Todesurteil--sagt' ich. + +Der Prinz. Ich höre ja wohl.--Es könnte schon geschehen sein. Ich +bin eilig. + +Camillo Rota (seine Schriften nachsehend). Nun hab ich es doch wohl +nicht mitgenommen!--Verzeihen Sie, gnädiger Herr.--Es kann Anstand +damit haben bis morgen. + +Der Prinz. Auch das!--Packen Sie nur zusammen; ich muß fort--Morgen, +Rota, ein Mehres! (Geht ab.) + +Camillo Rota (den Kopf schüttelnd, indem er die Papiere zu sich nimmt +und abgeht). Recht gern?--Ein Todesurteil recht gern?--Ich hätt' es +ihn in diesem Augenblicke nicht mögen unterschreiben lassen, und wenn +es den Mörder meines einzigen Sohnes betroffen hätte.--Recht gern! +Recht gern!--Es geht mir durch die Seele dieses gräßliche Recht gern! + + + + +Zweiter Aufzug + +Die Szene: ein Saal in dem Hause der Galotti. + + + +Erster Auftritt + +Claudia Galotti. Pirro. + + +Claudia (im Heraustreten zu Pirro, der von der andern Seite +hereintritt). Wer sprengte da in den Hof? + +Pirro. Unser Herr, gnädige Frau. + +Claudia. Mein Gemahl? Ist es möglich? + +Pirro. Er folgt mir auf dem Fuße. + +Claudia. So unvermutet?--(Ihm entgegeneilend.) Ach! mein Bester! + + +Zweiter Auftritt + +Odoardo Galotti und die Vorigen. + + +Odoardo. Guten Morgen, meine Liebe!--Nicht wahr, das heißt +überraschen? + +Claudia. Und auf die angenehmste Art!--Wenn es anders +nur eine Überraschung sein soll. + +Odoardo. Nichts weiter! Sei unbesorgt.--Das Glück des heutigen Tages +weckte mich so früh; der Morgen war so schön; der Weg ist so kurz; ich +vermutete euch hier so geschäftig--Wie leicht vergessen sie etwas, +fiel mir ein.--Mit einem Worte: ich komme, und sehe, und kehre +sogleich wieder zurück.--Wo ist Emilia? Unstreitig beschäftigt mit +dem Putze? + +Claudia. Ihrer Seele!--Sie ist in der Messe.--"Ich habe +heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen", sagte +sie und ließ alles liegen und nahm ihren Schleier und eilte. + +Odoardo. +Ganz allein? + +Claudia. Die wenigen Schritte + +Odoardo. Einer ist genug zu einem Fehltritt! + +Claudia. Zürnen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie +herein--einen Augenblick auszuruhen und, wann Sie wollen, eine +Erfrischung zu nehmen. + +Odoardo. Wie du meinest, Claudia.--Aber sie sollte nicht allein +gegangen sein. + +Claudia. Und Ihr, Pirro, bleibt hier in dem Vorzimmer, +alle Besuche auf heute zu verbitten. + + + +Dritter Auftritt + +Pirro und bald darauf Angelo. + + +Pirro. Die sich nur aus Neugierde melden lassen.--Was bin ich seit +einer Stunde nicht alles ausgefragt worden!--Und wer kömmt da? + +Angelo (noch halb hinter der Szene, in einem kurzen Mantel, den er +über das Gesicht gezogen, den Hut in die Stirne). Pirro!--Pirro! + +Pirro. Ein Bekannter?--(Indem Angelo vollends hereintritt und den +Mantel auseinanderschlägt.) Himmel! Angelo?--Du? + +Angelo. Wie du siehst.--Ich bin lange genug um das Haus herumgegangen, +dich zu sprechen.--Auf ein Wort! + +Pirro. Und du wagst es, wieder ans Licht zu kommen?--Du bist seit +deiner letzten Mordtat vogelfrei erkläret; auf deinen Kopf steht eine +Belohnung. + +Angelo. Die doch du nicht wirst verdienen wollen? + +Pirro. Was willst du?--Ich bitte dich, mache mich nicht unglücklich. + +Angelo. Damit etwa? (Ihm einen Beutel mit Gelde zeigend.)--Nimm! Es +gehöret dir! + +Pirro. Mir? + +Angelo. Hast du vergessen? Der Deutsche, dein voriger Herr. + +Pirro. Schweig davon! + +Angelo. Den du uns, auf dem Wege nach Pisa, in die Falle +führtest. + +Pirro. Wenn uns jemand hörte! + +Angelo. Hatte ja die Güte, uns auch einen kostbaren Ring zu +hinterlassen.--Weißt du nicht?--Er war zu kostbar, der Ring, als daß +wir ihn sogleich ohne Verdacht hätten zu Gelde machen können. Endlich +ist mir es damit gelungen. Ich habe hundert Pistolen dafür erhalten, +und das ist dein Anteil. Nimm! + +Pirro. Ich mag nichts--behalt alles. + +Angelo. Meinetwegen!--wenn es dir gleichviel ist, wie hoch du deinen +Kopf feil trägst--(Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.) + +Pirro. So gib nur! (Nimmt ihn.)--Und was nun? Denn daß du bloß +deswegen mich aufgesucht haben solltest. + +Angelo. Das kömmt dir nicht +so recht glaublich vor?--Halunke! Was denkst du von uns?--daß wir +fähig sind, jemand seinen Verdienst vorzuenthalten? Das mag unter den +sogenannten ehrlichen Leuten Mode sein: unter uns nicht.--Leb wohl! +--(Tut, als ob er gehen wollte, und kehrt wieder um.) Eins muß ich +doch fragen.--Da kam ja der alte Galotti so ganz allein in die Stadt +gesprengt. Was will der? + +Pirro. Nichts will er; ein bloßer Spazierritt. Seine Tochter wird +heut abend auf dem Gute, von dem er herkömmt, dem Grafen Appiani +angetrauet. Er kann die Zeit nicht erwarten. + +Angelo. Und reitet bald wieder hinaus? + +Pirro. So bald, daß er dich hier trifft, wo du noch lange verziehest. +--Aber du hast doch keinen Anschlag auf ihn? Nimm dich in acht. Er +ist ein Mann. + +Angelo. Kenn ich ihn nicht? Hab ich nicht unter ihm +gedienet?--Wenn darum bei ihm nur viel zu holen wäre!--Wenn fahren die +junge Leute nach? + +Pirro. Gegen Mittag. + +Angelo. Mit viel Begleitung? + +Pirro. In einem einzigen Wagen.--die Mutter, die Tochter und der Graf. +Ein paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen. + +Angelo. Und Bediente? + +Pirro. Nur zwei; außer mir, der ich zu Pferde voraufreiten soll. + +Angelo. Das ist gut.--Noch eins: wessen ist die Equipage? Ist es +eure? oder des Grafen? + +Pirro. Des Grafen. + +Angelo. Schlimm! Da ist noch ein Vorreiter, außer einem handfesten +Kutscher. Doch! + +Pirro. Ich erstaune. Aber was willst du?--Das +bißchen Schmuck, das die Braut etwa haben dürfte, wird schwerlich der +Mühe lohnen. + +Angelo. So lohnt ihrer die Braut selbst! + +Pirro. Und auch bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger +sein? + +Angelo. Du reitest vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an +nichts! + +Pirro. Nimmermehr! + +Angelo. Wie? ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen. +Bursche! ich denke, du kennst mich.--Wo du plauderst! Wo sich ein +einziger Umstand anders findet, als du mir ihn angegeben!--Pirro. Aber, +Angelo, um des Himmels willen! + +Angelo. Tu, was du nicht lassen +kannst! (Geht ab.) + +Pirro. Ha! Laß dich den Teufel bei einem Haare fassen, und du bist +sein auf ewig! Ich Unglücklicher! + + + +Vierter Auftritt + +Odoardo und Claudia Galotti. Pirro. + + +Odoardo. Sie bleibt mir zu lang aus. + +Claudia. Noch einen Augenblick, +Odoardo! Es würde sie schmerzen, deines Anblicks so zu verfehlen. + +Odoardo. Ich muß auch bei dem Grafen noch einsprechen. Kaum kann +ich's erwarten, diesen würdigen jungen Mann meinen Sohn zu nennen. +Alles entzückt mich an ihm. Und vor allem der Entschluß, in seinen +väterlichen Tälern sich selbst zu leben. + +Claudia.--Das Herz bricht mir, wenn ich hieran gedenke.--So ganz +sollen wir sie verlieren, diese einzige, geliebte Tochter? + +Odoardo. Was nennst du, sie verlieren? Sie in den Armen der Liebe zu +wissen? Vermenge dein Vergnügen an ihr nicht mit ihrem Glücke.--Du +möchtest meinen alten Argwohn erneuern:--daß es mehr das Geräusch und +die Zerstreuung der Welt, mehr die Nähe des Hofes war als die +Notwendigkeit, unserer Tochter eine anständige Erziehung zu geben, was +dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben--fern von einem Manne +und Vater, der euch so herzlich liebet. + +Claudia. Wie ungerecht, Odoardo! Aber laß mich heute nur ein +einziges Wort für diese Stadt, für diese Nähe des Hofes sprechen, die +deiner strengen Tugend so verhaßt sind.--Hier, nur hier konnte die +Liebe zusammenbringen, was füreinander geschaffen war. Hier nur +konnte der Graf Emilien finden; und fand sie. + +Odoardo. Das räum ich ein. Aber, gute Claudia, hattest du darum +recht, weil dir der Ausgang recht gibt?--Gut, daß es mit dieser +Stadterziehung so abgelaufen! Laß uns nicht weise sein wollen, wo wir +nichts als glücklich gewesen! Gut, daß es so damit abgelaufen!--Nun +haben sie sich gefunden, die füreinander bestimmt waren: nun laß sie +ziehen, wohin Unschuld und Ruhe sie rufen.--Was sollte der Graf hier? +Sich bücken, schmeicheln und kriechen und die Marinellis auszustechen +suchen? um endlich ein Glück zu machen, dessen er nicht bedarf? um +endlich einer Ehre gewürdiget zu werden, die für ihn keine +wäre?--Pirro! + +Pirro. Hier bin ich. + +Odoardo. Geh und führe mein Pferd vor das Haus des Grafen. Ich komme +nach und will mich da wieder aufsetzen. (Pirro geht ab.)--Warum soll +der Graf hier dienen, wenn er dort selbst befehlen kann?--Dazu +bedenkest du nicht, Claudia, daß durch unsere Tochter er es vollends +mit dem Prinzen verderbt. Der Prinz haßt mich. + +Claudia. Vielleicht weniger, als du besorgest. + +Odoardo. Besorgest! Ich besorg auch so was! + +Claudia. Denn hab ich dir schon gesagt, daß der Prinz unsere Tochter +gesehen hat? + +Odoardo. Der Prinz? Und wo das? + +Claudia. In der letzten Vegghia, bei dem Kanzler Grimaldi, die er mit +seiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte sich gegen sie so gnädig. + +Odoardo. So gnädig? + +Claudia. Er unterhielt sich mit ihr so lange. + +Odoardo. Unterhielt sich mit ihr? + +Claudia. Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze so +bezaubert. + +Odoardo. So bezaubert? + +Claudia. Hat von ihrer Schönheit +mit so vielen Lobeserhebungen gesprochen. + +Odoardo. Lobeserhebungen? +Und das alles erzählst du mir in einem Tone der Entzückung? O Claudia! +eitle, törichte Mutter! + +Claudia. Wieso? + +Odoardo. Nun gut, nun gut! Auch das ist so abgelaufen.--Ha! wenn ich +mir einbilde--Das gerade wäre der Ort, wo ich am tödlichsten zu +verwunden bin!--Ein Wollüstling, der bewundert, begehrt.--Claudia! +Claudia! der bloße Gedanke setzt mich in Wut.--Du hättest mir das +sogleich sollen gemeldet haben.--Doch, ich möchte dir heute nicht gern +etwas Unangenehmes sagen. Und ich würde (indem sie ihn bei der Hand +ergreift), wenn ich länger bliebe.--Drum laß mich! laß mich!--Gott +befohlen, Claudia!--Kommt glücklich nach! + + + +Fünfter Auftritt + + +Claudia Galotti. Welch ein Mann!--Oh, der rauhen Tugend!--wenn anders +sie diesen Namen verdienet.--Alles scheint ihr verdächtig, alles +strafbar!--Oder, wenn das die Menschen kennen heißt:--wer sollte sich +wünschen, sie zu kennen?--Wo bleibt aber auch Emilia?--Er ist des +Vaters Feind: folglich--folglich, wenn er ein Auge für die Tochter hat, +so ist es einzig, um ihn zu beschimpfen? + + + +Sechster Auftritt + + +Emilia und Claudia Galotti. + +Emilia (stürzet in einer ängstlichen Verwirrung herein). Wohl mir! +wohl mir!--Nun bin ich in Sicherheit. Oder ist er mir gar gefolgt? +(Indem sie den Schleier zurückwirft und ihre Mutter erblicket.) Ist er, +meine Mutter? ist er? Nein, dem Himmel sei Dank! + +Claudia. Was ist dir, meine Tochter? was ist dir? + +Emilia. Nichts, nichts. + +Claudia. Und blickest so wild um dich? Und zitterst an jedem Gliede? + +Emilia. Was hab ich hören müssen? Und wo, wo hab ich es hören müssen? + +Claudia. Ich habe dich in der Kirche geglaubt. + +Emilia. Eben da! Was +ist dem Laster Kirch' und Altar?--Ach, meine Mutter! (Sich ihr in die +Arme werfend.) + +Claudia. Rede, meine Tochter!--Mach meiner Furcht ein Ende.--Was kann +dir da, an heiliger Stätte, so Schlimmes begegnet sein? + +Emilia. Nie hätte meine Andacht inniger, brünstiger sein sollen als +heute: nie ist sie weniger gewesen, was sie sein sollte. + +Claudia. Wir sind Menschen, Emilia. Die Gabe zu beten ist nicht +immer in unserer Gewalt. Dem Himmel ist beten wollen auch beten. + +Emilia. Und sündigen wollen auch sündigen. + +Claudia. Das hat meine Emilia nicht wollen! + +Emilia. Nein, meine Mutter; so tief ließ mich die Gnade nicht sinken. +--Aber daß fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen +machen kann! + +Claudia. Fasse dich!--Sammle deine Gedanken, soviel dir möglich.--Sag +es mir mit eins, was dir geschehen. + +Emilia. Eben hatt' ich mich--weiter von dem Altare, als ich sonst +pflege--denn ich kam zu spät--, auf meine Knie gelassen. Eben fing +ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas seinen Platz +nahm. So dicht hinter mir!--Ich konnte weder vor noch zur Seite +rücken--so gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines andern Andacht +mich in meiner stören möchte.--Andacht! das war das Schlimmste, was +ich besorgte.--Aber es währte nicht lange, so hört' ich, ganz nah an +meinem Ohre--nach einem tiefen Seufzer--nicht den Namen einer +Heiligen--den Namen--zürnen Sie nicht, meine Mutter--den Namen Ihrer +Tochter!--Meinen Namen!--O daß laute Donner mich verhindert hätten, +mehr zu hören!--Es sprach von Schönheit, von Liebe--Es klagte, daß +dieser Tag, welcher mein Glück mache--wenn er es anders mache--sein +Unglück auf immer entscheide.--Es beschwor mich--hören mußt' ich dies +alles. Aber ich blickte nicht um; ich wollte tun, als ob ich es nicht +hörte.--Was konnt' ich sonst?--Meinen guten Engel bitten, mich mit +Taubheit zu schlagen; und wann auch, wenn auch auf immer!--Das bat ich; +das war das einzige, was ich beten konnte.--Endlich ward es Zeit, +mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende. Ich zitterte, +mich umzukehren. Ich zitterte, ihn zu erblicken, der sich den Frevel +erlauben dürfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte. + +Claudia. Wen, meine Tochter? + +Emilia. Raten Sie, meine Mutter, raten Sie--Ich glaubte in die Erde +zu sinken--Ihn selbst. + +Claudia. Wen, ihn selbst? + +Emilia. Den Prinzen. + +Claudia. Den Prinzen!--O gesegnet sei die Ungeduld deines Vaters, der +eben hier war und dich nicht erwarten wollte! + +Emilia. Mein Vater hier?--und wollte mich nicht erwarten? + +Claudia. Wenn du in deiner Verwirrung auch ihn das hättest hören +lassen! + +Emilia. Nun, meine Mutter?--Was hätt' er an mir Strafbares finden +können? + +Claudia. Nichts; ebensowenig als an mir. Und doch, doch--Ha, du +kennest deinen Vater nicht! In seinem Zorne hätt' er den unschuldigen +Gegenstand des Verbrechens mit dem Verbrecher verwechselt. In seiner +Wut hätt' ich ihm geschienen, das veranlaßt zu haben, was ich weder +verhindern noch vorhersehen können.--Aber weiter, meine Tochter, +weiter! Als du den Prinzen erkanntest--Ich will hoffen, daß du deiner +mächtig genug warest, ihm in einem Blicke alle die Verachtung zu +bezeigen, die er verdienst. + +Emilia. Das war ich nicht, meine Mutter! Nach dem Blicke, mit dem +ich ihn erkannte, hatt' ich nicht das Herz, einen zweiten auf ihn zu +richten. Ich floh--Claudia. Und der Prinz dir nach--Emilia. Was ich +nicht wußte, bis ich in der Halle mich bei der Hand ergriffen fühlte. +Und von ihm! Aus Scham mußt' ich standhalten: mich von ihm +loszuwinden würde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht +haben. Das war die einzige Überlegung, deren ich fähig war--oder +deren ich nun mich wieder erinnere. Er sprach; und ich hab ihm +geantwortet. Aber was er sprach, was ich ihm geantwortet--fällt mir +es noch bei, so ist es gut, so will ich es Ihnen sagen, meine Mutter. +Jetzt weiß ich von dem allen nichts. Meine Sinne hatten mich +verlassen.--Umsonst denk ich nach, wie ich von ihm weg und aus der +Halle gekommen. Ich finde mich erst auf der Straße wieder, und höre +ihn hinter mir herkommen, und höre ihn mit mir zugleich in das Haus +treten, mit mir die Treppe hinaufsteigen. + +Claudia. Die Furcht hat +ihren besondern Sinn, meine Tochter! Ich werde es nie vergessen, mit +welcher Gebärde du hereinstürztest.--Nein, so weit durfte er nicht +wagen, dir zu folgen.--Gott! Gott! wenn dein Vater das wüßte!--Wie +wild er schon war, als er nur hörte, daß der Prinz dich jüngst nicht +ohne Mißfallen gesehen!--Indes, sei ruhig, meine Tochter! Nimm es für +einen Traum, was dir begegnet ist. Auch wird es noch weniger Folgen +haben als ein Traum. Du entgehest heute mit eins allen Nachstellungen. + +Emilia. Aber, nicht, meine Mutter? Der Graf muß das wissen. Ihm muß +ich es sagen. + +Claudia. Um alle Welt nicht!--Wozu? warum? Willst du für nichts und +wieder für nichts ihn unruhig machen? Und wann er es auch itzt nicht +würde: wisse, mein Kind, daß ein Gift, welches nicht gleich wirket, +darum kein minder gefährliches Gift ist. Was auf den Liebhaber keinen +Eindruck macht, kann ihn auf den Gemahl machen. Den Liebhaber könnt' +es sogar schmeicheln, einem so wichtigen Mitbewerber den Rang +abzulaufen. Aber wenn er ihm den nun einmal abgelaufen hat: ah! mein +Kind--so wird aus dem Liebhaber oft ein ganz anderes Geschöpf. Dein +gutes Gestirn behüte dich vor dieser Erfahrung. + +Emilia. Sie wissen, meine Mutter, wie gern ich Ihren bessern +Einsichten mich in allem unterwerfe.--Aber, wenn er es von einem +andern erführe, daß der Prinz mich heute gesprochen? Würde mein +Verschweigen nicht, früh oder spät, seine Unruhe vermehren?--Ich +dächte doch, ich behielte lieber vor ihm nichts auf dem Herzen. + +Claudia. Schwachheit! verliebte Schwachheit!--Nein, durchaus nicht, +meine Tochter! Sag ihm nichts. Laß ihn nichts merken! + +Emilia. Nun ja, meine Mutter! Ich habe keinen Willen gegen den +Ihrigen.--Aha! (Mit einem tiefen Atemzuge.) Auch wird mir wieder ganz +leicht.--Was für ein albernes, furchtsames Ding ich bin!--Nicht, meine +Mutter?--Ich hätte mich noch wohl anders dabei nehmen können und würde +mir ebensowenig vergeben haben. + +Claudia. Ich wollte dir das nicht sagen, meine Tochter, bevor dir es +dein eigner gesunder Verstand sagte. Und ich wußte, er wurde dir es +sagen, sobald du wieder zu dir selbst gekommen.--Der Prinz ist galant. +Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt. +Eine Höflichkeit wird in ihr zur Empfindung, eine Schmeichelei zur +Beteurung, ein Einfall zum Wunsche, ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts +klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in ihr so viel als +nichts. + +Emilia. O meine Mutter!--so müßte ich mir mit meiner Furcht vollends +lächerlich vorkommen!--Nun soll er gewiß nichts davon erfahren, mein +guter Appiani! Er könnte mich leicht für mehr eitel als tugendhaft +halten.--Hui! daß er da selbst kömmt! Es ist sein Gang. + + + +Siebenter Auftritt + +Graf Appiani. Die Vorigen. + + +Appiani (tritt tiefsinnig, mit vor sich hin geschlagenen Augen herein +und kömmt näher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegenspringt). +Ah, meine Teuerste!--Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend. + +Emilia. Ich wünschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht +vermuten.--So feierlich? so ernsthaft?--Ist dieser Tag keiner +freudigern Aufwallung wert? + +Appiani. Er ist mehr wert als mein ganzes Leben. Aber schwanger mit +so viel Glückseligkeit für mich--mag es wohl diese Glückseligkeit +selbst sein, die mich so ernst, die mich, wie Sie es nennen, mein +Fräulein, so feierlich macht.--(Indem er die Mutter erblickt.) Ha! +auch Sie hier, meine gnädige Frau!--nun bald mir mit einem innigern +Namen zu verehrende! + +Claudia. Der mein größter Stolz sein wird!--Wie glücklich bist du, +meine Emilia!--Warum hat dein Vater unsere Entzückung nicht teilen +wollen? + +Appiani. Eben habe ich mich aus seinen Armen gerissen:--oder vielmehr, +er sich aus meinen.--Welch ein Mann, meine Emilia, Ihr Vater! Das +Muster aller männlichen Tugend! Zu was für Gesinnungen erhebt sich +meine Seele in seiner Gegenwart! Nie ist mein Entschluß, immer gut, +immer edel zu sein, lebendiger, als wenn ich ihn sehe--wenn ich ihn +mir denke. Und womit sonst als mit der Erfüllung dieses Entschlusses +kann ich mich der Ehre würdig machen, sein Sohn zu heißen--der Ihrige +zu sein, meine Emilia? + +Emilia. Und er wollte mich nicht erwarten! + +Appiani. Ich urteile, weil ihn seine Emilia, für diesen +augenblicklichen Besuch, zu sehr erschüttert, zu sehr sich seiner +ganzen Seele bemächtiget hätte. + +Claudia. Er glaubte dich mit deinem Brautschmucke beschäftiget zu +finden und hörte. + +Appiani. Was ich mit der zärtlichsten Bewunderung +wieder von ihm gehört habe.--So recht, meine Emilia! Ich werde eine +fromme Frau an Ihnen haben, und die nicht stolz auf ihre Frömmigkeit +ist. + +Claudia. Aber, meine Kinder, eines tun und das andere nicht lassen! +--Nun ist es hohe Zeit; nun mach, Emilia! + +Appiani. Was? meine gnädige Frau. + +Claudia. Sie wollen sie doch nicht so, Herr Graf--so wie sie da ist, +zum Altare führen? + +Appiani. Wahrlich, das werd ich nun erst gewahr.--Wer kann Sie sehen, +Emilia, und auch auf Ihren Putz achten?--Und warum nicht so, so wie +sie da ist? + +Emilia. Nein, mein lieber Graf, nicht so; nicht ganz so. Aber auch +nicht viel prächtiger, nicht viel.--Husch, husch, und ich bin fertig! +--Nichts, gar nichts von dem Geschmeide, dem letzten Geschenke Ihrer +verschwenderischen Großmut! Nichts, gar nichts, was sich nur zu +solchem Geschmeide schickte!--Ich könnte ihm gram sein, diesem +Geschmeide, wenn es nicht von Ihnen wäre. Denn dreimal hat mir von +ihm geträumt. + +Claudia. Nun! davon weiß ich ja nichts. + +Emilia. Als ob ich es trüge, und als ob plötzlich sich jeder Stein +desselben in eine Perle verwandele.--Perlen aber, meine Mutter, Perlen +bedeuten Tränen. + +Claudia. Kind!--Die Bedeutung ist träumerischer als der Traum. +--Warest du nicht von jeher eine größere Liebhaberin von Perlen als +von Steinen?--Emilia. Freilich, meine Mutter, freilich. + +Appiani (nachdenkend und schwermütig). Bedeuten Tränen--bedeuten Tränen! + +Emilia. Wie? Ihnen fällt das auf? Ihnen? + +Appiani. Jawohl, ich sollte mich schämen.--Aber, wenn die +Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist. + +Emilia. +Warum ist sie das auch?--Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht +habe?--Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel?--Wissen +Sie es noch? + +Appiani. Ob ich es noch weiß? Ich sehe Sie in Gedanken nie anders +als so; und sehe Sie so, auch wenn ich Sie nicht so sehe. + +Emilia. Also, ein Kleid von der nämlichen Farbe, von dem nämlichen +Schnitte; fliegend und frei. + +Appiani. Vortrefflich! + +Emilia. Und das Haar. + +Appiani. In seinem eignen braunen Glanze; in +Locken, wie sie die Natur schlug. + +Emilia. Die Rose darin nicht zu +vergessen! Recht! recht!--Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor +Ihnen da! + + + +Achter Auftritt + +Graf Appiani. Claudia Galotti. + + +Appiani (indem er ihr mit einer niedergeschlagenen Miene nachsieht). +Perlen bedeuten Tränen!--Eine kleine Geduld!--Ja, wenn die Zeit nur +außer uns wäre!--Wenn eine Minute am Zeiger sich in uns nicht in Jahre +ausdehnen könnte! + +Claudia. Emiliens Beobachtung, Herr Graf, war so +schnell als richtig. Sie sind heut ernster als gewöhnlich. Nur noch +einen Schritt von dem Ziele Ihrer Wünsche--sollt' es Sie reuen, Herr +Graf, daß es das Ziel Ihrer Wünsche gewesen? + +Appiani. Ah, meine Mutter, und Sie können das von Ihrem Sohne +argwöhnen?--Aber, es ist wahr; ich bin heut ungewöhnlich trübe und +finster.--Nur sehen Sie, gnädig Frau:--noch einen Schritt vom Ziele +oder noch gar nicht ausgelaufen sein, ist im Grunde eines.--Alles was +ich sehe, alles was ich höre, alles was ich träume, prediget mir seit +gestern und ehegestern diese Wahrheit. Dieser eine Gedanke kettet +sich an jeden andern, den ich haben muß und haben will.--Was ist das? +Ich versteh es nicht. + +Claudia. Sie machen mich unruhig, Herr +Graf. + +Appiani. Eines kömmt dann zum andern!--Ich bin ärgerlich; +ärgerlich über meine Freunde, über mich selbst. + +Claudia. Wieso? + +Appiani. Meine Freunde verlangen schlechterdings, daß ich dem Prinzen +von meiner Heirat ein Wort sagen soll, ehe ich sie vollziehe. Sie +geben mir zu, ich sei es nicht schuldig; aber die Achtung gegen ihn +woll' es nicht anders.--Und ich bin schwach genug gewesen, es ihnen zu +versprechen. Eben wollt' ich noch bei ihm vorfahren. + +Claudia (stutzig). Bei dem Prinzen? + + + +Neunter Auftritt + +Pirro, gleich darauf Marinelli und die Vorigen. + + +Pirro. Gnädige Frau, der Marchese Marinelli hält vor dem Hause und +erkundiget sich nach dem Herrn Grafen. + +Appiani. Nach mir? + +Pirro. Hier ist er schon. (Öffnet ihm die Türe und gehet ab.) + +Marinelli. Ich bitt um Verzeihung, gnädige Frau.--Mein Herr Graf, ich +war vor Ihrem Hause und erfuhr, daß ich Sie hier treffen würde. Ich +hab ein dringendes Geschäft an Sie--Gnädige Frau, ich bitte nochmals +um Verzeihung; es ist in einigen Minuten geschehen. + +Claudia. Die ich nicht verzögern will. (Macht ihm eine Verbeugung +und geht ab.) + + + +Zehnter Auftritt + +Marinelli. Appiani. + + +Appiani. Nun, mein Herr? + +Marinelli. Ich komme von des Prinzen Durchlaucht. + +Appiani. Was ist zu seinem Befehle? + +Marinelli. Ich bin stolz, der Überbringer einer so vorzüglichen Gnade +zu sein.--Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner +ergebensten Freunde in mir verkennen will. + +Appiani. Ohne weitere Vorrede, wenn ich bitten darf. + +Marinelli. Auch das!--Der Prinz muß sogleich an den Herzog von Massa, +in Angelegenheit seiner Vermählung mit dessen Prinzessin Tochter, +einen Bevollmächtigten senden. Er war lange unschlüssig, wen er dazu +ernennen sollte. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen. + +Appiani. Auf mich? + +Marinelli. Und das--wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf--nicht +ohne mein Zutun. + +Appiani. Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes +in Verlegenheit.--Ich habe schon längst nicht mehr erwartet, daß der +Prinz mich zu brauchen geruhen werde. + +Marinelli. Ich bin versichert, +daß es ihm bloß an einer würdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn +auch diese so eines Mannes wie Graf Appiani noch nicht würdig genug +sein sollte, so ist freilich meine Freundschaft zu voreilig gewesen. + +Appiani. Freundschaft und Freundschaft um das dritte Wort!--Mit wem +red ich denn? Des Marchese Marinelli Freundschaft hätt' ich mir nie +träumen lassen. + +Marinelli. Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein +unverzeihliches Unrecht, daß ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein +wollen.--Bei dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen +angetragene Ehre bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie +werden sie mit Begierd' ergreifen. + +Appiani (nach einiger Überlegung). Allerdings. + +Marinelli. Nun so kommen Sie. + +Appiani. Wohin? + +Marinelli. Nach Dosalo, zu dem Prinzen.--Es liegt schon alles fertig; +und Sie müssen noch heut abreisen. + +Appiani. Was sagen Sie?--Noch heute? + +Marinelli. Lieber noch in dieser nämlichen Stunde als in der +folgenden. Die Sache ist von der äußersten Eil'. + +Appiani. In Wahrheit?--So tut es mir leid, daß ich die Ehre, welche +mir der Prinz zugedacht, verbitten muß. + +Marinelli. Wie? + +Appiani. Ich kann heute nicht abreisen--auch morgen nicht--auch +übermorgen noch nicht. + +Marinelli. Sie scherzen, Herr Graf. + +Appiani. Mit Ihnen? + +Marinelli. Unvergleichlich! Wenn der Scherz dem Prinzen gilt, so ist +er um so viel lustiger.--Sie können nicht? + +Appiani. Nein, mein Herr, nein.--Und ich hoffe, daß der Prinz selbst +meine Entschuldigung wird gelten lassen. + +Marinelli. Die bin ich begierig zu hören. + +Appiani. Oh, eine Kleinigkeit!--Sehen Sie; ich soll noch heut eine +Frau nehmen. + +Marinelli. Nun? und dann? + +Appiani. Und dann?--und dann?--Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv. + +Marinelli. Man hat Exempel, Herr Graf, daß sich Hochzeiten +aufschieben lassen.--Ich glaube freilich nicht, daß der Braut oder dem +Bräutigam immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes +haben. Aber doch, dächt' ich, der Befehl des Herrn. + +Appiani. Der +Befehl des Herrn?--des Herrn? Ein Herr, den man sich selber wählt, +ist unser Herr so eigentlich nicht--Ich gebe zu, daß Sie dem Prinzen +unbedingtem Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich.--Ich kam an +seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu +dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines +größern Herrn. + +Marinelli. Größer oder kleiner: Herr ist Herr. + +Appiani. Daß ich mit Ihnen darüber strittet--Genug, sagen Sie dem +Prinzen, was Sie gehört haben--daß es mir leid tut, seine Gnade nicht +annehmen zu können, weil ich eben heut eine Verbindung vollzöge, die +mein ganzes Glück ausmache. + +Marinelli. Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem? + +Appiani. Mit Emilia Galotti. + +Marinelli. Der Tochter aus diesem Hause? + +Appiani. Aus diesem Hause. + +Marinelli. Hm! Hm! + +Appiani. Was beliebt? + +Marinelli. Ich sollte meinen, daß es sonach um so weniger +Schwierigkeit haben könne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurückkunft +auszusetzen. + +Appiani. Die Zeremonie? Nur die Zeremonie? + +Marinelli. Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen. + +Appiani. Die guten Eltern? + +Marinelli. Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiß. + +Appiani. Ja wohl gewiß?--Sie sind mit Ihrem ja wohl--ja wohl ein +ganzer Affe! + +Marinelli. Mir das, Graf? + +Appiani. Warum nicht? + +Marinelli. Himmel und Hölle!--Wir werden uns sprechen. + +Appiani. Pah! Hämisch ist der Affe; aber. + +Marinelli. Tod und Verdammnis!--Graf, ich fodere Genugtuung. + +Appiani. Das versteht sich. + +Marinelli. Und würde sie gleich itzt nehmen--nur daß ich dem +zärtlichen Bräutigam den heutigen Tag nicht verderben mag. + +Appiani. Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch! (Indem er ihn +bei der Hand ergreift.) Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht +schicken lassen, aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit +übrig.--Kommen Sie, kommen Sie! + +Marinelli (der sich losreißt und abgeht). Nur Geduld, Graf, nur +Geduld! + + + +Elfter Auftritt + +Appiani. Claudia Galotti. + + +Appiani. Geh, Nichtswürdiger!--Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist +in Wallung gekommen. Ich fühle mich anders und besser. + +Claudia (eiligst und besorgt). Gott! Herr Graf--Ich hab einen +heftigen Wortwechsel gehört.--Ihr Gesicht glühet. Was ist vorgefallen? + +Appiani. Nichts, gnädige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli +hat mir einen großen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum +Prinzen überhoben. + +Claudia. In der Tat? + +Appiani. Wir können nun um so viel früher abfahren. Ich gehe, meine +Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes +auch fertig. + +Claudia. Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf? + +Appiani. Ganz ruhig, gnädige Frau. (Sie geht herein und er fort.) + + + + +Dritter Aufzug + +Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen. + + + +Erster Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Marinelli. Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der größten +Verachtung aus. + +Der Prinz. Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird +Emilia noch heute die Seinige? + +Marinelli. Allem Ansehen nach. + +Der Prinz. Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel!--Wer weiß, +wie albern Sie sich dabei genommen.--Wenn der Rat eines Toren einmal +gut ist, so muß ihn ein gescheiter Mann ausführen. Das hätt' ich +bedenken sollen. + +Marinelli. Da find ich mich schön belohnt! + +Der Prinz. Und wofür belohnt? + +Marinelli. Daß ich noch mein Leben darüber in die Schanze schlagen +wollte.--Als ich sahe, daß weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen +konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen, versucht' ich es, ihn in +Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, über die er sich vergaß. Er +stieß Beleidigungen gegen mich aus, und ich forderte Genugtuung--und +forderte sie gleich auf der Stelle.--Ich dachte so: entweder er mich +oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun, +wenn auch; so muß er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit. + +Der Prinz. Das hätten Sie getan, Marinelli? + +Marinelli. Ha! man sollt' es voraus wissen, wenn man so töricht +bereit ist, sich für die Großen aufzuopfern--man sollt' es voraus +wissen, wie erkenntlich sie sein würden. + +Der Prinz. Und der Graf?--Er +stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht zweimal sagen zu lassen. + +Marinelli. Nachdem es fällt, ohne Zweifel.--Wer kann es ihm +verdenken?--Er versetzte, daß er auf heute doch noch etwas Wichtigers +zu tun habe, als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er +mich auf die ersten acht Tage nach der Hochzeit. + +Der Prinz. Mit Emilia Galotti! Der Gedanke macht mich rasend! +--Darauf ließen Sie es gut sein und gingen--und kommen und prahlen, +daß Sie Ihr Leben für mich in die Schanze geschlagen, sich mir +aufgeopfert. + +Marinelli. Was wollen Sie aber, gnädiger Herr, das ich +weiter hätte tun sollen? + +Der Prinz. Weiter tun?--Als ob er etwas getan hätte! + +Marinelli. Und lassen Sie doch hören, gnädiger Herr, was Sie für sich +selbst getan haben.--Sie waren so glücklich, sie noch in der Kirche zu +sprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet? + +Der Prinz (höhnisch). Neugierde zur Genüge!--Die ich nur befriedigen +muß.--Oh, es ging alles nach Wunsch.--Sie brauchen sich nicht weiter +zu bemühen, mein allzu dienstfertiger Freund!--Sie kam meinem +Verlangen mehr als halbes Weges entgegen. Ich hätte sie nur gleich +mitnehmen dürfen. (Kalt und befehlend.) Nun wissen Sie, was Sie +wissen wollen--und können gehn! + +Marinelli. Und können gehn!--Ja, ja, das ist das Ende vom Liede! und +würd' es sein, gesetzt auch, ich wollte noch das Unmögliche versuchen. +--Das Unmögliche sag ich?--So unmöglich wär' es nun wohl nicht; aber +kühn!--Wenn wir die Braut in unserer Gewalt hätten, so stünd' ich +dafür, daß aus der Hochzeit nichts werden sollte. + +Der Prinz. Ei! wofür der Mann nicht alles stehen will! Nun dürft' +ich ihm nur noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte +sich an der Landstraße damit in Hinterhalt und fiele selbst funfziger +einen Wagen an, und riss' ein Mädchen heraus, das er im Triumphe mir +zubrächte. + +Marinelli. Es ist eher ein Mädchen mit Gewalt entführt worden, ohne +daß es einer gewaltsamen Entführung ähnlich gesehen. + +Der Prinz. Wenn Sie das zu machen wüßten, so würden Sie nicht erst +lange davon schwatzen. + +Marinelli. Aber für den Ausgang müßte man nicht stehen sollen.--Es +könnten sich Unglücksfälle dabei ereignen. + +Der Prinz. Und es ist meine +Art, daß ich Leute Dinge verantworten lasse, wofür sie nicht können! + +Marinelli. Also, gnädiger Herr--(Man hört von weitem einen Schuß.) Ha! +was war das?--Hört' ich recht?--Hörten Sie nicht auch, gnädiger Herr, +einen Schuß fallen?--Und da noch einen! + +Der Prinz. Was ist das? was gibt's? + +Marinelli. Was meinen Sie wohl?--Wie, wann ich tätiger wäre, als Sie +glauben? + +Der Prinz. Tätiger?--So sagen Sie doch. + +Marinelli. Kurz: wovon ich +gesprochen, geschieht. + +Der Prinz. Ist es möglich? + +Marinelli. Nur vergessen Sie nicht, Prinz, wessen Sie mich eben +versichert.--Ich habe nochmals Ihr Wort. + +Der Prinz. Aber die Anstalten sind doch so. + +Marinelli. Als sie nur immer sein können!--Die +Ausführung ist Leuten anvertrauet, auf die ich mich verlassen kann. +Der Weg geht hart an der Planke des Tiergartens vorbei. Da wird ein +Teil den Wagen angefallen haben; gleichsam, um ihn zu plündern. Und +ein anderer Teil, wobei einer von meinen Bedienten ist, wird aus dem +Tiergarten gestürzt sein; den Angefallenen gleichsam zur Hülfe. +Während des Handgemenges, in das beide Teile zum Schein geraten, soll +mein Bedienter Emilien ergreifen, als ob er sie retten wolle, und +durch den Tiergarten in das Schloß bringen.--So ist die Abrede.--Was +sagen Sie nun, Prinz? + +Der Prinz. Sie überraschen mich auf eine sonderbare Art.--Und eine +Bangigkeit überfällt mich. + +(Marinelli geht an das Fenster.) Wornach sehen Sie? + +Marinelli. Dahinaus muß es sein!--Recht!--und eine Maske kömmt +bereits um die Planke gesprengt--ohne Zweifel, mir den Erfolg zu +berichten.--Entfernen Sie sich, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Ah, Marinelli. + +Marinelli. Nun? Nicht wahr, nun hab ich zu +viel getan, und vorhin zu wenig? + +Der Prinz. Das nicht. Aber ich sehe bei alledem nicht ab. + +Marinelli. Absehn?--Lieber alles mit eins!--Geschwind, entfernen Sie +mich.--Die Maske muß Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Marinelli und bald darauf Angelo. + + +Marinelli (der wieder nach dem Fenster geht). Dort fährt der Wagen +langsam nach der Stadt zurück.--So langsam? Und in jedem Schlage ein +Bedienter?--Das sind Anzeichen, die mir nicht gefallen--daß der +Streich wohl nur halb gelungen ist:--daß man einen Verwundeten +gemächlich zurückführet--und keinen Toten.--Die Maske steigt ab.--Es +ist Angelo selbst. Der Tolldreiste!--Endlich, hier weiß er die +Schliche.--Er winkt mir zu. Er muß seiner Sache gewiß sein.--Ha, Herr +Graf, der Sie nicht nach Massa wollten, und nun noch einen weitern Weg +müssen!--Wer hatte Sie die Affen so kennen gelehrt? (Indem er nach +der Türe zugeht.) Jawohl sind sie hämisch.--Nun, Angelo? + +Angelo (der die Maske abgenommen). Passen Sie auf, Herr Kammerherr! +Man muß sie gleich bringen. + +Marinelli. Und wie lief es sonst ab? + +Angelo. Ich denke ja, recht gut. + +Marinelli. Wie steht es mit dem Grafen? + +Angelo. Zu dienen! So, so!--Aber er muß Wind gehabt haben. Denn er +war nicht so ganz unbereitet. + +Marinelli. Geschwind sage mir, was du mir zu sagen hast!--Ist er tot? + +Angelo. Es tut mir leid um den guten Herrn. + +Marinelli. Nun da, für dein mitleidiges Herz! (Gibt ihm einen Beutel +mit Gold.) + +Angelo. Vollends mein braver Nicolo! der das Bad mit bezahlen müssen. + +Marinelli. So? Verlust auf beiden Seiten? + +Angelo. Ich könnte weinen um den ehrlichen Jungen! Ob mir sein Tod +schon das (indem er den Beutel in der Hand wieget) um ein Vierteil +verbessert. Denn ich bin sein Erbe, weil ich ihn gerächet habe. Das +ist so unser Gesetz; ein so gutes, mein ich, als für Treu' und +Freundschaft je gemacht worden. Dieser Nicolo, Herr Kammerherr. + +Marinelli. Mit deinem Nicolo!--Aber der Graf, der Graf. + +Angelo. Blitz! der Graf hatte ihn gut gefaßt. Dafür faßt' ich auch wieder +den Grafen!--Er stürzte; und wenn er noch lebendig zurück in die +Kutsche kam, so steh ich dafür, daß er nicht lebendig wieder +herauskommt. + +Marinelli. Wenn das nur gewiß ist, Angelo. + +Angelo. Ich will Ihre Kundschaft verlieren, wenn es nicht gewiß ist! +--Haben Sie noch was zu befehlen? Denn mein Weg ist der weiteste: wir +wollen heute noch über die Grenze. + +Marinelli. So geh. + +Angelo. Wenn wieder was vorfällt, Herr Kammerherr--Sie wissen, wo ich +zu erfragen bin. Was sich ein andrer zu tun getrauet, wird für mich +auch keine Hexerei sein. Und billiger bin ich als jeder andere. +(Geht ab.) + +Marinelli. Gut das!--Aber doch nicht so recht gut.--Pfui, Angelo! so +ein Knicker zu sein! Einen zweiten Schuß wäre er ja wohl noch wert +gewesen.--Und wie er sich vielleicht nun martern muß, der arme Graf! +--Pfui, Angelo! Das heißt sein Handwerk sehr grausam treiben--und +verpfuschen.--Aber davon muß der Prinz noch nichts wissen. Er muß +erst selbst finden, wie zuträglich ihm dieser Tod ist.--Dieser Tod! +--Was gäb' ich um die Gewißheit! + + + +Dritter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Der Prinz. Dort kömmt sie die Allee herauf. Sie eilet vor dem +Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, beflügelt ihre Füße. Sie +muß noch nichts argwöhnen. Sie glaubt sich nur vor Räubern zu retten. +--Aber wie lange kann das dauren? + +Marinelli. So haben wir sie doch fürs erste. + +Der Prinz. Und wird die Mutter sie nicht aufsuchen? Wird der Graf +ihr nicht nachkommen? Was sind wir alsdenn weiter? Wie kann ich sie +ihnen vorenthalten? + +Marinelli. Auf das alles weiß ich freilich noch nichts zu antworten. +Aber wir müssen sehen. Gedulden Sie sich, gnädiger Herr. Der erste +Schritt mußte doch getan sein. + +Der Prinz. Wozu? wenn wir ihn zurücktun müssen. + +Marinelli. Vielleicht müssen wir nicht.--Da sind tausend Dinge, auf +die sich weiter fußen läßt.--Und vergessen Sie denn das Vornehmste? + +Der Prinz. Wie kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht +gedacht habe?--Das Vornehmste? was ist das? + +Marinelli. Die Kunst zu gefallen, zu überreden--die einem Prinzen, +welcher liebt, nie fehlet. + +Der Prinz. Nie fehlet? Außer, wo er sie gerade am nötigsten brauchte. +--Ich habe von dieser Kunst schon heut einen zu schlechten Versuch +gemacht. Mit allen Schmeicheleien und Beteuerungen konnt' ich ihr +auch nicht ein Wort auspressen. Stumm und niedergeschlagen und +zitternd stand sie da; wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil +höret. Ihre Angst steckte mich an, ich zitterte mit und schloß mit +einer Bitte um Vergebung. Kaum getrau ich mir, sie wieder anzureden. +--Bei ihrem Eintritte wenigstens wag ich es nicht zu sein. Sie, +Marinelli, müssen sie empfangen. Ich will hier in der Nähe hören, wie +es abläuft; und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe. + + + +Vierter Auftritt + +Marinelli, und bald darauf dessen Bedienter Battista mit Emilien. + + +Marinelli. Wenn sie ihn nicht selbst stürzen gesehen--Und das muß sie +wohl nicht; da sie so fortgeeilet--Sie kömmt. Auch ich will nicht das +erste sein, was ihr hier in die Augen fällt. (Er zieht sich in einen +Winkel des Saales zurück.) + +Battista. Nur hier herein, gnädiges Fräulein! + +Emilia (außer Atem). Ah!--Ah!--Ich danke Ihm, mein Freund--ich dank +Ihm.--Aber Gott, Gott! wo bin ich?--Und so ganz allein? Wo bleibt +meine Mutter? Wo blieb der Graf?--Sie kommen doch nach? mir auf dem +Fuße nach? + +Battista. Ich vermute. + +Emilia. Er vermutet? Er weiß es nicht? Er sah sie nicht?--Ward +nicht gar hinter uns geschossen? + +Battista. Geschossen?--Das wäre! + +Emilia. Ganz gewiß! Und das hat den Grafen oder meine Mutter +getroffen. + +Battista. Ich will gleich nach ihnen ausgehen. + +Emilia. Nicht ohne mich.--Ich will mit; ich muß mit: komm' Er, mein +Freund! + +Marinelli (der plötzlich herzutritt, als ob er eben hereinkäme). Ah, +gnädiges Fräulein! Was für ein Unglück, oder vielmehr, was für ein +Glück--was für ein glückliches Unglück verschafft uns die Ehre. + +Emilia (stutzend). Wie? Sie hier, mein Herr?--Ich bin also wohl bei +Ihnen?--Verzeihen Sie, Herr Kammerherr. Wir sind von Räubern ohnfern +überfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Hilfe--und dieser +ehrliche Mann hob mich aus dem Wagen und brachte mich hierher.--Aber +ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehen. Meine Mutter ist noch +in der Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht +tot--und ich lebe?--Verzeihen Sie. Ich muß fort; ich muß wieder +hin--wo ich gleich hätte bleiben sollen. + +Marinelli. Beruhigen Sie sich, gnädiges Fräulein. Es stehet alles +gut; sie werden bald bei Ihnen sein, die geliebten Personen, für die +Sie so viel zärtliche Angst empfinden.--Indes, Battista, geh, lauf: +sie dürften vielleicht nicht wissen, wo das Fräulein ist. Sie dürften +sie vielleicht in einem von den Wirtschaftshäusern des Gartens suchen. +Bringe sie unverzüglich hierher. (Battista geht ab.) + +Emilia. Gewiß? Sind sie alle geborgen? Ist ihnen nichts +widerfahren?--Ah, was ist dieser Tag für ein Tag des Schreckens für +mich!--Aber ich sollte nicht hier bleiben--ich sollte ihnen +entgegeneilen. + +Marinelli. Wozu das, gnädiges Fräulein? Sie sind +ohnedem schon ohne Atem und Kräfte. Erholen Sie sich vielmehr und +geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit ist.--Ich will +wetten, daß der Prinz schon selbst um Ihre teure, ehrwürdige Mutter +ist und sie Ihnen zuführet. + +Emilia. Wer, sagen Sie? + +Marinelli. Unser gnädigster Prinz selbst. + +Emilia (äußerst bestürzt). Der Prinz? + +Marinelli. Er floh auf die erste Nachricht Ihnen zu Hülfe.--Er ist +höchst ergrimmt, daß ein solches Verbrechen ihm so nahe, unter seinen +Augen gleichsam, hat dürfen gewagt werden. Er läßt den Tätern +nachsetzen, und ihre Strafe, wenn sie ergriffen werden, wird unerhört +sein. + +Emilia. Der Prinz!--Wo bin ich denn also? + +Marinelli. Auf Dosalo, dem Lustschlosse des Prinzen. + +Emilia. Welch ein Zufall!--Und Sie glauben, daß er gleich selbst +erscheinen könne?--Aber doch in Gesellschaft meiner Mutter? + +Marinelli. Hier ist er schon. + + + +Fünfter Auftritt + +Der Prinz. Emilia. Marinelli. + + +Der Prinz. Wo ist sie? wo?--Wir suchen Sie überall, schönstes +Fräulein.--Sie sind doch wohl?--Nun so ist alles wohl! Der Graf, Ihre +Mutter. + +Emilia. Ah, gnädigster Herr! Wo sind sie? Wo ist meine +Mutter? + +Der Prinz. Nicht weit; hier ganz in der Nähe. + +Emilia. Gott, in welchem Zustande werde ich die eine oder den andern +vielleicht treffen! Ganz gewiß treffen!--denn Sie verhehlen mir, +gnädiger Herr--ich seh es, Sie verhehlen mir. + +Der Prinz. Nicht doch, +bestes Fräulein.--Geben Sie mir Ihren Arm und folgen Sie mir getrost. + +Emilia (unentschlossen). Aber--wenn ihnen nichts widerfahren--wenn +meine Ahnungen mich trügen:--warum sind sie nicht schon hier? Warum +kamen sie nicht mit Ihnen, gnädiger Herr? + +Der Prinz. So eilen Sie doch, mein Fräulein, alle diese +Schreckenbilder mit eins verschwinden zu sehen. + +Emilia. Was soll ich tun? (Die Hände ringend.) + +Der Prinz. Wie, mein Fräulein? Sollten Sie einen Verdacht gegen mich +hegen? + +Emilia (die vor ihm niederfällt). Zu Ihren Füßen, gnädiger +Herr. + +Der Prinz (sie aufhebend). Ich bin äußerst beschämt.--Ja, Emilia, +ich verdiene diesen stummen Vorwurf.--Mein Betragen diesen Morgen ist +nicht zu rechtfertigen:--zu entschuldigen höchstens. Verzeihen Sie +meiner Schwachheit.--Ich hätte Sie mit keinem Geständnisse beunruhigen +sollen, von dem ich keinen Vorteil zu erwarten habe. Auch ward ich +durch die sprachlose Bestürzung, mit der Sie es anhörten, oder +vielmehr nicht anhörten, genugsam bestraft.--Und könnt' ich schon +diesen Zufall, der mir nochmals, ehe alle meine Hoffnung auf ewig +verschwindet--mir nochmals das Glück, Sie zu sehen und zu sprechen, +verschafft; könnt' ich schon diesen Zufall für den Wink eines +günstigen Glückes erklären--für den wunderbarsten Aufschub meiner +endlichen Verurteilung erklären, um nochmals um Gnade flehen zu dürfen: +so will ich doch--beben Sie nicht, mein Fräulein--einzig und allein +von Ihrem Blicke abhangen. Kein Wort, kein Seufzer soll Sie +beleidigen.--Nur kränke mich nicht Ihr Mißtrauen. Nur zweifeln Sie +keinen Augenblick an der unumschränktesten Gewalt, die Sie über mich +haben. Nur falle Ihnen nie bei, daß Sie eines andern Schutzes gegen +mich bedürfen.--Und nun kommen Sie, mein Fräulein--kommen Sie, wo +Entzückungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen. (Er führt sie, +nicht ohne Sträuben, ab.) Folgen Sie uns, Marinelli. + +Marinelli. Folgen Sie uns--das mag heißen: folgen Sie uns nicht!--Was +hätte ich ihnen auch zu folgen? Er mag sehen, wie weit er es unter +vier Augen mit ihr bringt.--Alles, was ich zu tun habe, ist--zu +verhindern, daß sie nicht gestöret werden. Von dem Grafen zwar hoffe +ich nun wohl nicht. Aber von der Mutter; von der Mutter! Es sollte +mich sehr wundern, wenn die so ruhig abgezogen wäre und ihre Tochter +im Stiche gelassen hätte.--Nun, Battista? was gibt's? + + + +Sechster Auftritt + +Battista. Marinelli. + + +Battista (eiligst). Die Mutter, Herr Kammerherr. + +Marinelli. Dacht' ich's doch!--Wo ist sie? + +Battista. Wann Sie ihr nicht zuvorkommen, so wird sie den Augenblick +hier sein.--Ich war gar nicht willens, wie Sie mir zum Schein geboten, +mich nach ihr umzusehen: als ich ihr Geschrei von weitem hörte. Sie +ist der Tochter auf der Spur, und wo nur nicht--unserm ganzen +Anschlage! Alles, was in dieser einsamen Gegend von Menschen ist, hat +sich um sie versammelt; und jeder will der sein, der ihr den Weg +weiset. Ob man ihr schon gesagt, daß der Prinz hier ist, daß Sie hier +sind, weiß ich nicht.--Was wollen Sie tun? + +Marinelli. Laß sehen!--(Er überlegt.) Sie nicht einlassen, wenn sie +weiß, daß die Tochter hier ist?--Das geht nicht.--Freilich, sie wird +Augen machen, wenn sie den Wolf bei dem Schäfchen sieht.--Augen? Das +möchte noch sein. Aber der Himmel sei unsern Ohren gnädig!--Nun was? +die beste Lunge erschöpft sich, auch sogar eine weibliche. Sie hören +alle auf zu schreien, wenn sie nicht mehr können.--Dazu, es ist doch +einmal die Mutter, die wir auf unserer Seite haben müssen.--Wenn ich +die Mütter recht kenne--so etwas von einer Schwiegermutter eines +Prinzen zu sein, schmeichelt die meisten.--Laß sie kommen, Battista, +laß sie kommen! + +Battista. Hören Sie! hören Sie! + +Claudia Galotti (innerhalb). Emilia! Emilia! Mein Kind, wo bist du? + +Marinelli. Geh, Battista, und suche nur ihre neugierigen Begleiter zu +entfernen. + + + +Siebenter Auftritt + +Claudia Galotti. Battista. Marinelli. + + +Claudia (die in die Tür tritt, indem Battista herausgehen will). Ha! +der hob sie aus dem Wagen! Der führte sie fort! Ich erkenne dich. +Wo ist sie? Sprich, Unglücklicher! + +Battista. Das ist mein Dank? + +Claudia. Oh, wenn du Dank verdienest (in einem gelinden Tone)--so +verzeihe mir, ehrlicher Mann!--Wo ist sie?--Laßt mich sie nicht länger +entbehren. Wo ist sie? + +Battista. Oh, Ihre Gnaden, sie könnte in dem Schoße der Seligkeit +nicht aufgehobner sein.--Hier mein Herr wird Ihre Gnaden zu ihr führen. +(Gegen einige Leute, die nachdringen wollen.) Zurück da! ihr! + + + +Achter Auftritt + +Claudia Galotti. Marinelli. + + +Claudia. Dein Herr?--(Erblickt den Marinelli und fährt zurück.) Ha! +--Das dein Herr?--Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und +Sie, Sie sollen mich zu ihr führen? + +Marinelli. Mit vielem Vergnügen, gnädige Frau. + +Claudia. Halten Sie!--Eben fällt mir es bei--Sie waren es +ja--nicht?--der den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte? +mit dem ich ihn allein ließ? mit dem er Streit bekam? + +Marinelli. Streit?--Was ich nicht wüßte: ein unbedeutender +Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten. + +Claudia. Und Marinelli heißen Sie? + +Marinelli. Marchese Marinelli. + +Claudia. So ist es richtig.--Hören Sie doch, Herr Marchese. +--Marinelli war--der Name Marinelli war--begleitet mit einer +Verwünschung--Nein, daß ich den edeln Mann nicht verleumde!--begleitet +mit keiner Verwünschung--Die Verwünschung denk ich hinzu--Der Name +Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen. + +Marinelli. Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani?--Sie hören, +gnädige Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffällt. +--Des sterbenden Grafen?--Was Sie sonst sagen wollen, versteh ich +nicht. + +Claudia (bitter und langsam). Der Name Marinelli war das letzte Wort +des sterbenden Grafen!--Verstehen Sie nun?--Ich verstand es erst auch +nicht, obschon mit einem Tone gesprochen--mit einem Tone!--Ich höre +ihn noch! Wo waren meine Sinne, daß sie diesen Ton nicht sogleich +verstanden? + +Marinelli. Nun, gnädige Frau?--Ich war von jeher des Grafen Freund; +sein vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben +nannte. + +Claudia. Mit dem Tone?--Ich kann ihn nicht nachmachen; ich +kann ihn nicht beschreiben: aber er enthielt alles! alles!--Was? +Räuber wären es gewesen, die uns anfielen?--Mörder waren es; erkaufte +Mörder!--Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden +Grafen! Mit einem Tone! + +Marinelli. Mit einem Tone?--Ist es erhört, auf einen Ton, in einem +Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen +Mannes zu gründen? + +Claudia. Ha, könnt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton! +--Doch, weh mir! Ich vergesse darüber meine Tochter.--Wo ist +sie?--Wie? auch tot?--Was konnte meine Tochter dafür, daß Appiani dein +Feind war? + +Marinelli. Ich verzeihe der bangen Mutter.--Kommen Sie, gnädige +Frau--Ihre Tochter ist hier; in einem von den nächsten Zimmern, und +hat sich hoffentlich von ihrem Schrecken schon völlig erholt. Mit der +zärtlichsten Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschäftiget. + +Claudia. Wer?--Wer selbst? + +Marinelli. Der Prinz. + +Claudia. Der Prinz?--Sagen Sie wirklich der Prinz?--Unser Prinz? + +Marinelli. Welcher sonst? + +Claudia. Nun dann!--Ich unglückselige Mutter!--Und ihr Vater! ihr +Vater!--Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich +verfluchen. + +Marinelli. Um des Himmels willen, gnädige Frau! Was fällt Ihnen nun +ein? + +Claudia. Es ist klar!--Ist es nicht?--Heute im Tempel! vor den Augen +der Allerreinesten! in der nähern Gegenwart des Ewigen!--begann das +Bubenstück, da brach es aus! (Gegen den Marinelli.) Ha, Mörder! +feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden, +aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu +morden!--morden zu lassen!--Abschaum aller Mörder!--Was ehrliche +Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich!--Denn +warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit +einem einzigen Worte ins Gesicht speien?--Dich! Dich Kuppler! + +Marinelli. Sie schwärmen, gute Frau.--Aber mäßigen Sie wenigstens Ihr +wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind. + +Claudia. Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin?--Was kümmert es die Löwin, +der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie brüllet? + +Emilia (innerhalb). Ha, meine Mutter! Ich höre meine Mutter! + +Claudia. Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehört, sie hat +mich gehört. Und ich sollte nicht schreien?--Wo bist du, mein Kind? +Ich komme, ich komme! (Sie stürzt in das Zimmer und Marinelli ihr +nach.) + + + + +Vierter Aufzug + +Die Szene bleibt. + + + +Erster Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Der Prinz (als aus dem Zimmer von Emilien kommend). Kommen Sie, +Marinelli! Ich muß mich erholen--und muß Licht von Ihnen haben. + +Marinelli. O der mütterlichen Wut! Ha! ha! ha! + +Der Prinz. Sie lachen? + +Marinelli. Wenn Sie gesehen hätten, Prinz, wie toll sich hier, hier +im Saale, die Mutter gebärdete--Sie hörten sie ja wohl schreien!--und +wie zahm sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen--Ha! +ha!--Das weiß ich ja wohl, daß keine Mutter einem Prinzen die Augen +auskratzt, weil er ihre Tochter schön findet. + +Der Prinz. Sie sind ein schlechter Beobachter!--Die Tochter stürzte +der Mutter ohnmächtig in die Arme. Darüber vergaß die Mutter ihre Wut, +nicht über mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich, wenn sie es +nicht lauter, nicht deutlicher sagte--was ich lieber selbst nicht +gehört, nicht verstanden haben will. + +Marinelli. Was, gnädiger Herr? + +Der Prinz. Wozu die Verstellung?--Heraus damit. Ist es wahr? oder +ist es nicht wahr? + +Marinelli. Und wenn es denn wäre! + +Der Prinz. Wenn es denn wäre?--Also ist es?--Er ist tot? +tot?--(Drohend.) Marinelli! Marinelli! + +Marinelli. Nun? + +Der Prinz. Bei Gott! Bei dem allgerechten Gott! Ich bin unschuldig +an diesem Blute.--Wenn Sie mir vorher gesagt hätten, daß es dem Grafen +das Leben kosten werde--Nein, nein! und wenn es mir selbst das Leben +gekostet hätte!. + +Marinelli. Wenn ich Ihnen vorher gesagt hätte?--Als +ob sein Tod in meinem Plane gewesen wäre! Ich hatte es dem Angelo auf +die Seele gebunden, zu verhüten, daß niemanden Leides geschähe. Es +würde auch ohne die geringste Gewalttätigkeit abgelaufen sein, wenn +sich der Graf nicht die erste erlaubt hätte. Er schoß Knall und Fall +den einen nieder. + +Der Prinz. Wahrlich, er hätte sollen Spaß verstehen! + +Marinelli. Daß Angelo sodann in Wut kam und den Tod seines Gefährten +rächte. + +Der Prinz. Freilich, das ist sehr natürlich! + +Marinelli. Ich hab es ihm genug verwiesen. + +Der Prinz. Verwiesen? Wie freundschaftlich!--Warnen Sie ihn, daß er +sich in meinem Gebiete nicht betreten läßt. Mein Verweis möchte so +freundschaftlich nicht sein. + +Marinelli. Recht wohl!--Ich und Angelo, Vorsatz und Zufall: alles ist +eins.--Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen, +daß keiner der Unglücksfälle, die sich dabei ereignen könnten, mir +zuschulden kommen solle. + +Der Prinz. Die sich dabei ereignen--könnten, +sagen Sie? oder sollten? + +Marinelli. Immer besser!--Doch, gnädiger Herr--ehe Sie mir es mit dem +trocknen Worte sagen, wofür Sie mich halten--eine einzige Vorstellung! +Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger als gleichgültig. Ich +hatte ihn ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig, er ist ohne +diese aus der Welt gegangen, und meine Ehre bleibt beleidiget. +Gesetzt, ich verdiente unter jeden andern Umständen den Verdacht, den +Sie gegen mich hegen, aber auch unter diesen?--(Mit einer angenommenen +Hitze.) Wer das von mir denken kann! + +Der Prinz (nachgebend). Nun gut, nun gut. + +Marinelli. Daß er noch lebtet. O daß er noch lebte! Alles, +alles in der Welt wollte ich darum geben--(bitter) selbst die Gnade +meines Prinzen--diese unschätzbare, nie zu verscherzende Gnade--wollt' +ich drum geben! + +Der Prinz. Ich verstehe.--Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, +bloßer Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub es.--Aber wer +mehr? Auch die Mutter? Auch Emilia?--Auch die Welt? + +Marinelli (kalt). Schwerlich. + +Der Prinz. Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn +glauben?--Sie zucken die Achsel?--Ihren Angelo wird man für das +Werkzeug und mich für den Täter halten. + +Marinelli (noch kälter). Wahrscheinlich genug. + +Der Prinz. Mich! mich selbst!--Oder ich muß von Stund' an alle +Absicht auf Emilien aufgeben. + +Marinelli (höchst gleichgültig). Was Sie +auch gemußt hätten--wenn der Graf noch lebte. + +Der Prinz (heftig, aber +sich gleich wieder fassend). Marinelli!--Doch Sie sollen mich nicht +wild machen.--Es sei so--Es ist so! Und das wollen Sie doch nur sagen: +der Tod des Grafen ist für mich ein Glück--das größte Glück, was mir +begegnen konnte--das einzige Glück, was meiner Liebe zustatten kommen +konnte. Und als dieses--mag er doch geschehen sein, wie er will!--Ein +Graf mehr in der Welt oder weniger! Denke ich Ihnen so recht?--Topp! +auch ich erschrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter +Freund, muß es ein kleines Verbrechen, ein kleines stilles, heilsames +Verbrechen sein. Und sehen Sie, unseres da, wäre nun gerade weder +stille noch heilsam. Es hätte den Weg zwar gereiniget, aber zugleich +gesperrt. Jedermann würde es uns auf den Kopf zusagen--und leider +hätten wir es gar nicht einmal begangen!--Das liegt doch wohl nur bloß +an Ihren weisen, wunderbaren Anstalten? + +Marinelli. Wenn Sie so befehlen. + +Der Prinz. Woran sonst?--Ich will Rede! + +Marinelli. Es kömmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehört. + +Der Prinz. Rede will ich! + +Marinelli. Nun dann! Was läge an meinen Anstalten? daß den Prinzen +bei diesem Unfalle ein so sichtbarer Verdacht trifft?--An dem +Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit +einzumengen die Gnade hatte. + +Der Prinz. Ich? + +Marinelli. Er erlaube mir, ihm zu sagen, daß der Schritt, den er +heute morgen in der Kirche getan--mit so vielem Anstande er ihn auch +getan--so unvermeidlich er ihn auch tun mußte--, daß dieser Schritt +dennoch nicht in den Tanz gehörte. + +Der Prinz. Was verdarb er denn auch? + +Marinelli. Freilich nicht den ganzen Tanz, aber doch voritzo den Takt. + +Der Prinz. Hm! Versteh ich Sie? + +Marinelli. Also, kurz und einfältig. Da ich die Sache übernahm, +nicht wahr, da wußte Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? +Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute? +und der Prinz indes den Grund meines Gebäudes untergrub? + +Der Prinz (sich vor die Stirne schlagend). Verwünscht! + +Marinelli. Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde führe? + +Der Prinz. Verdammter Einfall! + +Marinelli. Und wenn er es nicht selbst verraten hätte?--Traun! Ich +möchte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten Mutter oder Tochter +den geringsten Argwohn gegen ihn schöpfen könnte? + +Der Prinz. Daß Sie recht haben! + +Marinelli. Daran tu ich freilich sehr unrecht--Sie werden verzeihen, +gnädiger Herr. + + + +Zweiter Auftritt + +Battista. Der Prinz. Marinelli. + + +Battista (eiligst). Eben kömmt die Gräfin an. + +Der Prinz. Die Gräfin? Was für eine Gräfin? + +Battista. Orsina. + +Der Prinz. Orsina?--Marinelli!--Orsina?--Marinelli! + +Marinelli. Ich erstaune darüber nicht weniger als Sie selbst. + +Der Prinz. Geh, lauf, Battista: Sie soll nicht aussteigen. Ich bin +nicht hier. Ich bin für sie nicht hier. Sie soll augenblicklich +wieder umkehren. Geh, lauf!--(Battista geht ab.) Was will die Närrin? +Was untersteht sie sich? Wie weiß sie, daß wir hier sind? Sollte +sie wohl auf Kundschaft kommen? Sollte sie wohl schon etwas vernommen +haben?--Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch!--Ist er +beleidiget, der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen +elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten? + +Marinelli. Ah, mein Prinz, sobald Sie wieder Sie sind, bin ich mit +ganzer Seele wieder der Ihrige!--Die Ankunft der Orsina ist mir ein +Rätsel wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was +wollen Sie tun? + +Der Prinz. Sie durchaus nicht sprechen, mich entfernen. + +Marinelli. Wohl! und nur geschwind. Ich will sie empfangen. + +Der Prinz. Aber bloß, +um sie gehen zu heißen.--Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir +haben andere Dinge hier zu tun. + +Marinelli. Nicht doch, Prinz! Diese +andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, kömmt +sicherlich von selbst.--Aber hör ich sie nicht schon?--Eilen Sie, +Prinz!--Da (auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz +begibt), wenn Sie wollen, werden Sie uns hören können.--Ich fürchte, +ich fürchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren. + + + +Dritter Auftritt + +Die Gräfin Orsina. Marinelli. + + +Orsina (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken). Was ist +das?--Niemand kömmt mir entgegen, außer ein Unverschämter, der mir +lieber gar den Eintritt verweigert hätte?--Ich bin doch zu Dosalo? Zu +dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener +entgegenstürzte? wo mich sonst Liebe und Entzücken erwarteten?--Der +Ort ist es, aber, aber!--Sieh da, Marinelli!--Recht gut, daß der Prinz +Sie mitgenommen.--Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen hätte, +hätte ich nur mit ihm auszumachen.--Wo ist er? + +Marinelli. Der Prinz, meine gnädige Gräfin? + +Orsina. Wer sonst? + +Marinelli. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier?--Er +wenigstens ist der Gräfin Orsina hier nicht vermutend. + +Orsina. Nicht? So hat er meinen Brief heute morgen nicht erhalten? + +Marinelli. Ihren Brief? Doch ja, ich erinnere mich, daß er eines +Briefes von Ihnen erwähnte. + +Orsina. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine +Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten?--Es ist wahr, es hat ihm nicht +beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, daß er eine +Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei +Antworts genug, und ich komme. + +Marinelli. Ein sonderbarer Zufall! + +Orsina. Zufall?--Sie hören ja, daß es verabredet worden. So gut als +verabredet. Von meiner Seite der Brief, von seiner die Tat.--Wie er +dasteht, der Herr Marchese! Was er für Augen macht! Wundert sich das +Gehirnchen? und worüber denn? + +Marinelli. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals +wieder vor die Augen zu kommen. + +Orsina. Beßrer Rat kömmt über Nacht.--Wo ist er? wo ist er?--Was +gilt's, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequieke, das Gekreische +hörte?--Ich wollte herein, und der Schurke von Bedienten trat vor. + +Marinelli. Meine liebste, beste Gräfin. + +Orsina. Es war ein weibliches +Gekreische. Was gilt's, Marinelli?--O sagen Sie mir doch, sagen Sie +mir--wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin bin--Verdammt, über +das Hofgeschmeiß! Soviel Worte, soviel Lügen! Nun, was liegt daran, +ob Sie mir es voraussagen oder nicht? Ich werd es ja wohl sehen. +(Will gehen.) + +Marinelli (der sie zurückhält). Wohin? + +Orsina. Wo ich längst sein sollte.--Denken Sie, daß es schicklich ist, +mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu +halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet? + +Marinelli. Sie irren sich, gnädige Gräfin. Der Prinz erwartet Sie +nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen--will Sie nicht +sprechen. + +Orsina. Und wäre doch hier? und wäre doch auf meinen Brief hier? + +Marinelli. Nicht auf Ihren Brief. + +Orsina. Den er ja erhalten, sagen +Sie. + +Marinelli. Erhalten, aber nicht gelesen. + +Orsina (heftig). Nicht gelesen?--(Minder heftig.) Nicht +gelesen?--(Wehmütig und eine Träne aus dem Auge wischend.) Nicht +einmal gelesen? + +Marinelli. Aus Zerstreuung, weiß ich--Nicht aus Verachtung. + +Orsina (stolz). Verachtung?--Wer denkt daran?--Wem brauchen Sie das +zu sagen?--Sie sind ein unverschämter Tröster, Marinelli!--Verachtung! +Verachtung! Mich verachtet man auch! mich!--(Gelinder, bis zum Tone +der Schwermut.) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht. +Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das +ist natürlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur +Gleichgültigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli? + +Marinelli. Allerdings, allerdings. + +Orsina (höhnisch). Allerdings?--O des weisen Mannes, den man sagen +lassen kann, was man will!--Gleichgültigkeit! Gleichgültigkeit an die +Stelle der Liebe?--Das heißt, nichts an die Stelle von etwas. Denn +lernen Sie, nachplauderndes Hofmännchen, lernen Sie von einem Weibe, +daß Gleichgültigkeit ein leeres Wort, ein bloßer Schall ist, dem +nichts, gar nichts entspricht. Gleichgültig ist die Seele nur gegen +das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das für sie kein Ding +ist. Und nur gleichgültig für ein Ding, das kein Ding ist--das ist +soviel als gar nicht gleichgültig.--Ist dir das zu hoch, Mensch? + +Marinelli (vor sich). O weh! wie wahr ist es, was ich fürchtete! + +Orsina. Was murmeln Sie da? + +Marinelli. Lauter Bewunderung!--Und wem ist es nicht bekannt, gnädige +Gräfin, daß Sie eine Philosophin sind? + +Orsina. Nicht wahr?--Ja, ja, ich bin eine.--Aber habe ich mir es itzt +merken lassen, daß ich eine bin?--O pfui, wenn ich mir es habe merken +lassen, und wenn ich mir es öfterer habe merken lassen! Ist es wohl +noch Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding +lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das +denkt, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll +es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schöpfung +bei guter Laune zu erhalten.--Nun, worüber lach ich denn gleich, +Marinelli?--Ach, jawohl! Über den Zufall! daß ich dem Prinzen +schreibe, er soll nach Dosalo kommen; daß der Prinz meinen Brief nicht +lieset und daß er doch nach Dosalo kömmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein +sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr närrisch!--Und Sie lachen nicht +mit, Marinelli?--Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der +Schöpfung, ob wir arme Geschöpfe gleich nicht mitdenken dürfen. +--(Ernsthaft und befehlend.) So lachen Sie doch! + +Marinelli. Gleich, gnädige Gräfin, gleich! + +Orsina. Stock! Und darüber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein, +lachen Sie nur nicht.--Denn sehen Sie, Marinelli, (nachdenkend bis zur +Rührung) was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine +ernsthafte--sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt!--Zufall? +Ein Zufall wär' es, daß der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu +sprechen, und mich doch hier sprechen muß? Ein Zufall?--Glauben Sie +mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der +Sonne ist Zufall--am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die +Augen leuchtet.--Allmächtige, allgütige Vorsicht, vergib mir, daß ich +mit diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar +dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist!--(Hastig gegen +Marinelli.) Kommen Sie mir und verleiten Sie mich noch einmal zu so +einem Frevel! + +Marinelli (vor sich). Das geht weit!--Aber gnädige Gräfin.... + +Orsina. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Überlegung--und mein +Kopf! mein Kopf! (Sich mit der Hand die Stirne haltend.)--Machen Sie, +Marinelli, machen Sie, daß ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst +bin ich es wohl gar nicht imstande.--Sie sehen, wir sollen uns +sprechen, wir müssen uns sprechen! + + + +Vierter Auftritt + +Der Prinz. Orsina. Marinelli. + + +Der Prinz (indem er aus dem Kabinette tritt, vor sich). Ich muß ihm +zu Hilfe kommen + +Orsina (die ihn erblickt, aber unentschlüssig bleibt, ob sie auf ihn +zugeben soll). Ha! da ist er. + +Der Prinz (geht quer über den Saal, bei ihr vorbei, nach den andern +Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten). Sieh da! unsere schöne +Gräfin.--Wie sehr bedaure ich, Madame, daß ich mir die Ehre Ihres +Besuchs für heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschäftiget. +Ich bin nicht allein.--Ein andermal, meine liebe Gräfin! Ein +andermal.--Ich halten Sie länger sich nicht auf. Ja nicht länger! +--Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie. + + + +Fünfter Auftritt + +Orsina. Marinelli. + + +Marinelli. Haben Sie es, gnädige Gräfin, nun von ihm selbst gehört, +was Sie mir nicht glauben wollen? + +Orsina (wie betäubt). Hab ich? hab ich wirklich? + +Marinelli. Wirklich. + +Orsina (mit Rührung). "Ich bin beschäftiget. Ich bin nicht allein." +Ist das die Entschuldigung ganz, die ich wert bin? Wen weiset man +damit nicht ab? Jeden Überlästigen, jeden Bettler. Für mich keine +einzige Lüge mehr? Keine einzige kleine Lüge mehr, für mich? +--Beschäftiget? womit denn? Nicht allein? wer wäre denn bei +ihm?--Kommen Sie, Marinelli; aus Barmherzigkeit, lieber Marinelli! +Lügen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was kostet Ihnen denn +eine Lüge?--Was hat er zu tun? Wer ist bei ihm?--Sagen Sie mir, sagen +Sie mir, was Ihnen zuerst in den Mund kömmt--und ich gehe. + +Marinelli (vor sich). Mit dieser Bedingung kann ich ihr ja wohl einen +Teil der Wahrheit sagen. + +Orsina. Nun? Geschwind, Marinelli, und ich gehe.--Er sagte ohnedem, +der Prinz: "Ein andermal, meine liebe Gräfin!" Sagte er nicht +so?--Damit er mir Wort hält, damit er keinen Vorwand hat, mir nicht +Wort zu halten: geschwind, Marinelli, Ihre Lüge, und ich gehe. + +Marinelli. Der Prinz, liebe Gräfin, ist wahrlich nicht allein. Es +sind Personen bei ihm, von denen er sich keinen Augenblick abmüßigen +kann; Personen, die eben einer großen Gefahr entgangen sind. Der Graf +Appiani. + +Orsina. Wäre bei ihm?--Schade, daß ich über diese Lüge Sie ertappen +muß. Geschwind eine andere.--Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch +nicht wissen, ist eben von Räubern erschossen worden. Der Wagen mit +seinem Leichname begegnete mir kurz vor der Stadt.--Oder ist er nicht? +Hätte es mir bloß geträumt? + +Marinelli. Leider nicht bloß geträumt!--Aber die andern, die mit dem +Grafen waren, haben sich glücklich hieher nach dem Schlosse gerettet: +seine Braut nämlich und die Mutter der Braut, mit welchen er nach +Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte. + +Orsina. Also die? Die sind bei dem Prinzen? Die Braut? und die +Mutter der Braut?--Ist die Braut schön? + +Marinelli. Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe. + +Orsina. Ich will hoffen, auch wenn sie häßlich wäre. Denn ihr +Schicksal ist schrecklich.--Armes gutes Mädchen, eben da er dein auf +immer werden sollte, wird er dir auf immer entrissen!--Wer ist sie +denn, diese Braut? Kenn ich sie gar?--Ich bin so lange aus der Stadt, +daß ich von nichts weiß. + +Marinelli. Es ist Emilia Galotti. + +Orsina. Wer?--Emilia Galotti? Emilia Galotti?--Marinelli! daß ich +diese Lüge nicht für Wahrheit nehme! + +Marinelli. Wieso? + +Orsina. Emilia Galotti? + +Marinelli. Die Sie schwerlich kennen werden. + +Orsina. Doch! doch! +Wenn es auch nur von heute wäre.--Im Ernst, Marinelli? Emilia +Galotti?--Emilia Galotti wäre die unglückliche Braut, die der Prinz +tröstet? + +Marinelli (vor sich). Sollte ich ihr schon zuviel gesagt haben? + +Orsina. Und Graf Appiani war der Bräutigam dieser Braut? der eben +erschossene Appiani? + +Marinelli. Nicht anders. + +Orsina. Bravo! o bravo! bravo! (In die Hände schlagend.) + +Marinelli. Wie das? + +Orsina. Küssen möcht' ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat! + +Marinelli. Wen? verleitet? wozu? + +Orsina. Ja, küssen, küssen möcht' ich ihn--Und wenn Sie selbst dieser +Teufel wären, Marinelli. + +Marinelli. Gräfin! + +Orsina. Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! steif an! Aug' in Auge! + +Marinelli. Nun? + +Orsina. Wissen Sie nicht, was ich denke? + +Marinelli. Wie kann ich das? + +Orsina. Haben Sie keinen Anteil daran? + +Marinelli. Woran? + +Orsina. Schwören Sie!--Nein, schwören Sie nicht. Sie möchten eine +Sünde mehr begehen.--Oder ja, schwören Sie nur. Eine Sünde mehr oder +weniger für einen, der doch verdammt ist!--Haben Sie keinen Anteil +daran? + +Marinelli. Sie erschrecken mich, Gräfin. + +Orsina. Gewiß?--Nun, Marinelli, argwohnet Ihr gutes Herz auch nichts? + +Marinelli. Was? worüber? + +Orsina. Wohl--so will ich Ihnen etwas vertrauen--etwas, das Ihnen +jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge sträuben soll.--Aber hier, so nahe +an der Türe, möchte uns jemand hören. Kommen Sie hierher!--Und! +(Indem sie den Finger auf den Mund legt) Hören Sie! ganz in geheim! +ganz in geheim! (und ihren Mund seinem Ohre nähert, als ob sie ihm +zuflüstern wollte, was sie aber sehr laut ihm zuschreiet.) Der Prinz +ist ein Mörder! + +Marinelli. Gräfin--Gräfin--sind Sie ganz von Sinnen? + +Orsina. Von Sinnen? Ha! ha! ha! (Aus vollem Halse lachend.) Ich bin +selten oder nie mit meinem Verstande so wohl zufrieden gewesen als +eben itzt.--Zuverlässig, Marinelli--aber es bleibt unter uns--(leise) +der Prinz ist ein Mörder! des Grafen Appiani Mörder!--Den haben nicht +Räuber, den haben Helfershelfer des Prinzen, den hat der Prinz +umgebracht! + +Marinelli. Wie kann Ihnen so eine Abscheulichkeit in den Mund, in die +Gedanken kommen? + +Orsina. Wie?--Ganz natürlich.--Mit dieser Emilia Galotti--die hier +bei ihm ist--deren Bräutigam so über Hals über Kopf sich aus der Welt +trollen müssen--mit dieser Emilia Galotti hat der Prinz heute morgen, +in der Halle bei den Dominikanern, ein Langes und Breites gesprochen. +Das weiß ich, das haben meine Kundschafter gesehen. Sie haben auch +gehört, was er mit ihr gesprochen--Nun, guter Herr? Bin ich von +Sinnen? Ich reime, dächt' ich, doch noch ziemlich zusammen, was +zusammen gehört.--Oder trifft auch das nur so von ungefähr zu? Ist +Ihnen auch das Zufall? Oh, Marinelli, so verstehen Sie auf die +Bosheit der Menschheit sich ebenso schlecht als auf die Vorsicht. + +Marinelli. Gräfin, Sie würden sich um den Hals reden + +Orsina. Wenn ich das mehrern sagte?--Desto besser, desto besser! +--Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen.--Und wer mir +widerspricht--wer mir widerspricht, der war des Mörders Spießgeselle. +--Leben Sie wohl. (Indem sie fortgehen will, begegnet sie an der Türe +dem alten Galotti, der eiligst hereintritt.) + + + +Sechster Auftritt + +Odoardo Galotti. Die Gräfin. Marinelli. + + +Odoardo Galotti. Verzeihen Sie, gnädige Frau. + +Orsina. Ich habe hier +nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts übelzunehmen--An +diesen Herrn wenden Sie sich. (Ihn nach dem Marinelli weisend.) + +Marinelli (indem er ihn erblicket, vor sich). Nun vollends! der Alte! + +Odoardo. Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der äußersten +Bestürzung ist--daß er so unangemeldet hereintritt. + +Orsina. Vater? (Kehrt wieder um.) Der Emilia, ohne Zweifel.--Ha, +willkommen! + +Odoardo. Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht, +daß hierherum die Meinigen in Gefahr wären. Ich fliege herzu und höre, +daß der Graf Appiani verwundet worden, daß er nach der Stadt +zurückgekehret, daß meine Frau und Tochter sich in das Schloß gerettet. +--Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie? + +Marinelli. Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer +Tochter ist nichts Übels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie +befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich, +Sie zu melden. + +Odoardo. Warum melden? erst melden? + +Marinelli. Aus Ursachen--von wegen--Von wegen des Prinzen. Sie +wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem +freundschaftlichsten Fuße. So gnädig er sich gegen Ihre Gemahlin und +Tochter bezeiget--es sind Damen--Wird darum auch Ihr unvermuteter +Anblick ihm gelegen sein? + +Odoardo. Sie haben recht, mein Herr, Sie haben redet. + +Marinelli. Aber, gnädige Gräfin--kann ich vorher die Ehre haben, Sie +nach Ihrem Wagen zu begleiten? + +Orsina. Nicht doch, nicht doch. + +Marinelli (sie bei der Hand nicht unsanft ergreifend). Erlauben Sie, +daß ich meine Schuldigkeit beobachte. + +Orsina. Nur gemach!--Ich +erlasse Sie deren, mein Herr! Daß doch immer Ihresgleichen +Höflichkeit zur Schuldigkeit machen, um, was eigentlich ihre +Schuldigkeit wäre, als die Nebensache betreiben zu dürfen!--Diesen +würdigen Mann je eher, je lieber zu melden, das ist Ihre Schuldigkeit. + +Marinelli. Vergessen Sie, was Ihnen der Prinz selbst befohlen? + +Orsina. Er komme und befehle mir es noch einmal. Ich erwarte ihn. + +Marinelli (leise zu dem Obersten, den er beiseite ziehet). Mein Herr, +ich muß Sie hier mit einer Dame lassen, die--der--mit deren +Verstande--Sie verstehen mich. Ich sage Ihnen dieses, damit Sie +wissen, was Sie auf ihre Reden zu geben haben--deren sie oft sehr +seltsame führet. Am besten, Sie lassen sich mit ihr nicht ins Wort. + +Odoardo. Recht wohl.--Eilen Sie nur, mein Herr. + + + +Siebenter Auftritt + +Die Gräfin Orsina. Odoardo Galotti. + + +Orsina (nach einigem Stillschweigen, unter welchem sie den Obersten +mit Mitleid betrachtet, so wie er sie mit einer flüchtigen Neugierde). +Was er Ihnen auch da gesagt hat, unglücklicher Mann! + +Odoardo (halb vor sich, halb gegen sie). Unglücklicher? + +Orsina. Eine Wahrheit war es gewiß nicht--am wenigsten eine von denen, +die auf Sie warten. + +Odoardo. Auf mich warten?--Weiß ich nicht schon genug?--Madame!--Aber, +reden Sie nur, reden Sie nur. + +Orsina. Sie wissen nichts. + +Odoardo. Nichts? + +Orsina. Guter, lieber Vater!--Was gäbe ich darum, wenn Sie auch mein +Vater wären!--Verzeihen Sie! Die Unglücklichen ketten sich so gern +aneinander.--Ich wollte treulich Schmerz und Wut mit Ihnen teilen. + +Odoardo. Schmerz und Wut? Madame!--Aber ich vergesse--Reden Sie nur. + +Orsina. Wenn es gar Ihre einzige Tochter--Ihr einziges Kind wäre! +--Zwar einzig oder nicht. Das unglückliche Kind ist immer das einzige. + +Odoardo. Das unglückliche?--Madame!--Was will ich von ihr?--Doch, bei +Gott, so spricht keine Wahnwitzige! + +Orsina. Wahnwitzige? Das war es also, was er Ihnen von mir +vertraute?--Nun, nun, es mag leicht keine von seinen gröbsten Lügen +sein.--Ich fühle so was!--Und glauben Sie, glauben Sie mir: Wer über +gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu +verlieren. + +Odoardo. Was soll ich denken? + +Orsina. Daß Sie mich also ja nicht verachten!--Denn auch Sie haben +Verstand, guter Alter, auch Sie.--Ich seh es an dieser entschlossenen, +ehrwürdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein +Wort--so haben Sie keinen. + +Odoardo. Madame!--Madame!--Ich habe schon keinen mehr, noch ehe Sie +mir dieses Wort sagen, wenn Sie mir es nicht bald sagen.--Sagen Sie es! +sagen Sie es! Oder es ist nicht wahr--es ist nicht wahr, daß Sie von +jener guten, unsers Mitleids, unserer Hochachtung so würdigen Gattung +der Wahnwitzigen sind--Sie sind eine gemeine Törin. Sie haben nicht, +was Sie nie hatten. + +Orsina. So merken Sie auf!--Was wissen Sie, der Sie schon genug +wissen wollen? Daß Appiani verwundet worden? Nur verwundet?--Appiani +ist tot! + +Odoardo. Tot? tot?--Ha, Frau, das ist wider die Abrede. Sie wollten +mich um den Verstand bringen: und Sie brechen mir das Herz. + +Orsina. Das beiher!--Nur weiter.--Der Bräutigam ist tot, und die +Braut--Ihre Tochter--schlimmer als tot. + +Odoardo. Schlimmer? schlimmer als tot?--Aber doch zugleich auch +tot?--Denn ich kenne nur ein Schlimmeres. + +Orsina. Nicht zugleich auch +tot. Nein, guter Vater, nein!--Sie lebt, sie lebt. Sie wird nun erst +recht anfangen zu leben.--Ein Leben voll Wonne! Das schönste, +lustigste Schlaraffenleben--solang es dauert. + +Odoardo. Das Wort, Madame, das einzige Wort, das mich um den Verstand +bringen soll! heraus damit!--Schütten Sie nicht Ihren Tropfen Gift in +einen Eimer.--Das einzige Wort! geschwind. + +Orsina. Nun da, buchstabieren Sie es zusammen!--Des Morgens sprach +der Prinz Ihre Tochter in der Messe, des Nachmittags hat er sie auf +seinem Lust--Lustschlosse. + +Odoardo. Sprach sie in der Messe? Der Prinz meine Tochter? + +Orsina. Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Inbrunst!--Sie hatten +nichts Kleines abzureden. Und recht gut, wenn es abgeredet worden, +recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen +Sie: so ist es doch keine gewaltsame Entführung, sondern bloß ein +kleiner--kleiner Meuchelmord. + +Odoardo. Verleumdung! verdammte Verleumdung! Ich kenne meine Tochter. +Ist es Meuchelmord, so ist es auch Entführung.--(Blickt wild um sich +und stampft und schäumet.) Nun, Claudia? Nun, Mütterchen?--Haben wir +nicht Freude erlebt! O des gnädigen Prinzen! O der ganz besondern +Ehre! + +Orsina. Wirkt es, Alter! wirkt es? + +Odoardo. Da steh ich nun vor der Höhle des Räubers--(indem er den +Rock von beiden Seiten auseinanderschlägt und sich ohne Gewehr sieht.) +Wunder, daß ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Hände zurückgelassen! +--(An alle Schubsäcke fühlend, als etwas suchend.) Nichts! gar nichts! +nirgends! + +Orsina. Ha, ich verstehe!--Damit kann ich aushelfen!--Ich hab einen +mitgebracht. (Einen Dolch hervorziehend.) Da nehmen Sie! Nehmen Sie +geschwind, eh' uns jemand sieht!--Auch hätte ich noch etwas--Gift. +Aber Gift ist nur für uns Weiber, nicht für Männer.--Nehmen Sie ihn! +(Ihm den Dolch aufdrängend.) Nehmen Sie! + +Odoardo. Ich danke, ich danke.--Liebes Kind, wer wieder sagt, daß du +eine Närrin bist, der hat es mit mir zu tun. + +Orsina. Stecken Sie beiseite! geschwind beiseite!--Mir--wird die +Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen. Ihnen wird sie nicht +fehlen, diese Gelegenheit, und Sie werden sie ergreifen, die erste, +die beste--wenn Sie ein Mann sind.--Ich, ich bin nur ein Weib, aber so +kam ich her! fest entschlossen!--Wir, Alter, wir können uns alles +vertrauen. Denn wir sind beide beleidiget, von dem nämlichen +Verführer beleidiget.--Ah, wenn Sie wüßten--wenn sie wüßten, wie +überschwenglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm +beleidiget worden und noch werde--Sie könnten, Sie würden Ihre eigene +Beleidigung darüber vergessen.--Kennen Sie mich? Ich bin Orsina, die +betrogene, verlassene Orsina.--Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter +verlassen.--Doch was kann Ihre Tochter dafür?--Bald wird auch sie +verlassen sein.--Und dann wieder eine!--Und wieder eine!--Ha! (wie in +der Entzückung) welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal +alle--wir, das ganze Heer der Verlassenen--wir alle in Bacchantinnen, +in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns hätten, ihn unter +uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwühlten--um das +Herz zu finden, das der Verräter einer jeden versprach und keiner gab! +Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte! + + + +Achter Auftritt + +Claudia Galotti. Die Vorigen. + + +Claudia (die im Hereintreten sich umsiehet und, sobald sie ihren +Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget). Erraten!--Ah, unser Beschützer, +unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da?--Aus ihren Wispern, +aus ihren Mienen schloß ich es.--Was soll ich dir sagen, wenn du noch +nichts weißt?--Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles +weißt?--Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter +ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig! + +Odoardo (der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht). +Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig--und antworte mir. (Gegen die +Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte--Ist der Graf tot? + +Claudia. Tot. + +Odoardo. Ist es wahr, daß der Prinz heute morgen Emilien in der Messe +gesprochen? + +Claudia. Wahr. Aber wenn du wüßtest, welchen Schreck es ihr +verursacht, in welcher Bestürzung sie nach Hause kam-Orsina. Nun, hab +ich gelogen? + +Odoardo (mit einem bittern Lachen). Ich wollt' auch nicht, Sie hätten! +Um wie vieles nicht! + +Orsina. Bin ich wahnwitzig? + +Odoardo (wild hin und her gehend). Oh--noch bin ich es auch nicht. + +Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig.--Bester +Mann, darf auch ich--ich dich bitten. + +Odoardo. Was willst du? Bin ich +nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.) +Weiß es Emilia, daß Appiani tot ist? + +Claudia. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fürchte, daß sie es +argwohnet, weil er nicht erscheinet. + +Odoardo. Und sie jammert und winselt. + +Claudia. Nicht mehr.--Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du +kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers +Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig, aber nach der +geringsten Überlegung in alles sich findend, auf alles gefaßt. Sie +hält den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem +Tone--Mache nur, Odoardo, daß wir wegkommen. + +Odoardo. Ich bin zu Pferde.--Was zu tun?--Doch, Madame, Sie fahren ja +nach der Stadt zurück? + +Orsina. Nicht anders. + +Odoardo. Hätten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu +nehmen? + +Orsina. Warum nicht? Sehr gern. + +Odoardo. Claudia--(ihr die Gräfin bekannt machend) die Gräfin Orsina, +eine Dame von großem Verstande, meine Freundin, meine Wohltäterin.--Du +mußt mit ihr herein, um uns sogleich den Wagen herauszuschicken. +Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir. + +Claudia. Aber--wenn nur--Ich trenne mich ungern von dem Kinde. + +Odoardo. Bleibt der Vater nicht in der Nähe? Man wird ihn endlich +doch vorlassen. Keine Einwendung!--Kommen Sie, gnädige Frau. (Leise +zu ihr.) Sie werden von mir hören.--Komm, Claudia. (Er führt sie ab.) + + + + +Fünfter Aufzug + +Die Szene bleibt. + + + +Erster Auftritt + +Marinelli. Der Prinz. + + +Marinelli. Hier, gnädiger Herr, aus diesem Fenster können Sie ihn +sehen. Er geht die Arkade auf und nieder.--Eben biegt er ein, er +kömmt.--Nein, er kehrt wieder um.--Ganz einig ist er mit sich noch +nicht. Aber um ein Großes ruhiger ist er--oder scheinet er. Für uns +gleichviel!--Natürlich! Was ihm auch beide Weiber in den Kopf gesetzt +haben, wird er es wagen zu äußern?--Wie Battista gehört, soll ihm +seine Frau den Wagen sogleich heraussenden. Denn er kam zu Pferde. +--Geben Sie acht, wenn er nun vor Ihnen erscheinet, wird er ganz +untertänigst Eurer Durchlaucht für den gnädigen Schutz danken, den +seine Familie bei diesem so traurigen Zufalle hier gefunden; wird sich, +mitsamt seiner Tochter, zu fernerer Gnade empfehlen; wird sie ruhig +nach der Stadt bringen und es in tiefster Unterwerfung erwarten, +welchen weitern Anteil Euer Durchlaucht an seinem unglücklichen, +lieben Mädchen zu nehmen geruhen wollen. + +Der Prinz. Wenn er nun aber so zahm nicht ist? Und schwerlich, +schwerlich wird er es sein. Ich kenne ihn zu gut.--Wenn er höchstens +seinen Argwohn erstickt, seine Wut verbeißt: aber Emilien, anstatt sie +nach der Stadt zu führen, mit sich nimmt? bei sich behält? oder wohl +gar in ein Kloster, außer meinem Gebiete, verschließt? Wie dann? + +Marinelli. Die fürchtende Liebe sieht weit. Wahrlich!--Aber er wird +ja nicht. + +Der Prinz. Wenn er nun aber! Wie dann? Was wird es uns +dann helfen, daß der unglückliche Graf sein Leben darüber verloren? + +Marinelli. Wozu dieser traurige Seitenblick? Vorwärts! denkt der +Sieger, es falle neben ihm Feind oder Freund.--Und wenn auch! Wenn er +es auch wollte, der alte Neidhart, was Sie von ihm fürchten, Prinz. +--(Überlegend.) Das geht! Ich hab es!--Weiter als zum Wollen soll er +es gewiß nicht bringen. Gewiß nicht!--Aber daß wir ihn nicht aus dem +Gesichte verlieren.--(Tritt wieder ans Fenster.) Bald hätt' er uns +überrascht! Er kömmt.--Lassen Sie uns ihm noch ausweichen, und hören +Sie erst, Prinz, was wir auf den zu befürchtenden Fall tun müssen. + +Der Prinz (drohend). Nur, Marinelli! + +Marinelli. Das Unschuldigste +von der Welt! + + + +Zweiter Auftritt + + +Odoardo Galotti. Noch niemand hier?--Gut, ich soll noch kälter werden. +Es ist mein Glück.--Nichts verächtlicher als ein brausender +Jünglingskopf mit grauen Haaren! Ich hab es mir so oft gesagt. Und +doch ließ ich mich fortreißen: und von wem? Von einer Eifersüchtigen, +von einer für Eifersucht Wahnwitzigen.--Was hat die gekränkte Tugend +mit der Rache des Lasters zu schaffen? Jene allein hab ich zu retten. +--Und deine Sache--mein Sohn! mein Sohn!--Weinen konnt' ich nie--und +will es nun nicht erst lernen--Deine Sache wird ein ganz anderer zu +seiner machen! Genug für mich, wenn dein Mörder die Frucht seines +Verbrechens nicht genießt.--Dies martere ihn mehr als das Verbrechen! +Wenn nun bald ihn Sättigung und Ekel von Lüsten zu Lüsten treiben, so +vergälle die Erinnerung, diese eine Lust nicht gebüßet zu haben, ihm +den Genuß aller! In jedem Traume führe der blutige Bräutigam ihm die +Braut vor das Bette, und wann er dennoch den wollüstigen Arm nach ihr +ausstreckt, so höre er plötzlich das Hohngelächter der Hölle und +erwache! + + + +Dritter Auftritt + +Marinelli. Odoardo Galotti. + + +Marinelli. Wo blieben Sie, mein Herr? wo blieben Sie? + +Odoardo. War meine Tochter hier? + +Marinelli. Nicht sie, aber der Prinz. + +Odoardo. Er verzeihe.--Ich habe die Gräfin begleitet. + +Marinelli. Nun? + +Odoardo. Die gute Dame! + +Marinelli. Und Ihre Gemahlin? + +Odoardo. Ist mit der Gräfin--um uns den Wagen sogleich herauszusenden. +Der Prinz vergönne nur, daß ich mich so lange mit meiner Tochter +noch hier verweile. + +Marinelli. Wozu diese Umstände? Würde sich der Prinz nicht ein +Vergnügen daraus gemacht haben, sie beide, Mutter und Tochter, selbst +nach der Stadt zu bringen? + +Odoardo. Die Tochter wenigstens würde diese Ehre haben verbitten +müssen. + +Marinelli. Wieso? + +Odoardo. Sie soll nicht mehr nach Guastalla. + +Marinelli. Nicht? und warum nicht? + +Odoardo. Der Graf ist tot. + +Marinelli. Um so viel mehr. + +Odoardo. Sie soll mit mir. + +Marinelli. Mit Ihnen? + +Odoardo. Mit mir. Ich sage Ihnen ja, der Graf ist tot.--Wenn Sie es +noch nicht wissen--Was hat sie nun weiter in Guastalla zu tun?--Sie +soll mit mir. + +Marinelli. Allerdings wird der künftige Aufenthalt der Tochter einzig +von dem Willen des Vaters abhangen. Nur vors erste. + +Odoardo. Was vors erste? + +Marinelli. Werden Sie wohl erlauben müssen, Herr Oberster, daß sie +nach Guastalla gebracht wird. + +Odoardo. Meine Tochter? nach Guastalla gebracht wird? und warum? + +Marinelli. Warum? Erwägen Sie doch nur. + +Odoardo (hitzig). Erwägen! +erwägen! Ich erwäge, daß hier nichts zu erwägen ist.--Sie soll, sie +muß mit mir. + +Marinelli. O mein Herr--was brauchen wir uns hierüber zu ereifern? +Es kann sein, daß ich mich irre, daß es nicht nötig ist, was ich für +nötig halte.--Der Prinz wird es am besten zu beurteilen wissen. Der +Prinz entscheide.--Ich geh und hole ihn. + + + +Vierter Auftritt + +Odoardo Galotti. Wie?--Nimmermehr!--Mir vorschreiben, wo sie hin +soll?--Mir sie vorenthalten?--Wer will das? Wer darf das?--Der hier +alles darf, was er will? Gut, gut, so soll er sehen, wieviel auch ich +darf, ob ich es schon nicht dürfte! Kurzsichtiger Wüterich! Mit dir +will ich es wohl aufnehmen. Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso +mächtig, als wer kein Gesetz hat. Das weißt du nicht? Komm an! komm +an!--Aber, sieh da! Schon wieder, schon wieder rennet der Zorn mit +dem Verstande davon.--Was will ich? Erst müßt' es doch geschehen sein, +worüber ich tobe. Was plaudert nicht eine Hofschranze! Und hätte +ich ihn doch nur plaudern lassen! Hätte ich seinen Vorwand, warum sie +wieder nach Guastalla soll, doch nur angehört!--So könnte ich mich +itzt auf eine Antwort gefaßt machen.--Zwar auf welchen kann mir eine +fehlen?--Sollte sie mir aber fehlen, sollte sie--Man kömmt. Ruhig, +alter Knabe, ruhig! + + + +Fünfter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. Odoardo Galotti. + + +Der Prinz. Ah, mein lieber, rechtschaffner Galotti--so etwas muß auch +geschehen, wenn ich Sie bei mir sehen soll. Um ein Geringeres tun Sie +es nicht. Doch keine Vorwürfe! + +Odoardo. Gnädiger Herr, ich halte es in allen Fällen für unanständig, +sich zu seinem Fürsten zu drängen. Wen er kennt, den wird er fodern +lassen, wenn er seiner bedarf. Selbst itzt bitte ich um +Verzeihung. + +Der Prinz. Wie manchem andern wollte ich diese stolze +Bescheidenheit wünschen!--Doch zur Sache. Sie werden begierig sein, +Ihre Tochter zu sehen. Sie ist in neuer Unruhe wegen der plötzlichen +Entfernung einer so zärtlichen Mutter.--Wozu auch diese Entfernung? +Ich wartete nur, daß die liebenswürdige Emilie sich völlig erholet +hätte, um beide im Triumphe nach der Stadt zu bringen. Sie haben mir +diesen Triumph um die Hälfte verkümmert, aber ganz werde ich mir ihn +nicht nehmen lassen. + +Odoardo. Zu viel Gnade!--Erlauben Sie, Prinz, daß ich meinem +unglücklichen Kinde alle die mannigfaltigen Kränkungen erspare, die +Freund und Feind, Mitleid und Schadenfreude in Guastalla für sie +bereit halten. + +Der Prinz. Um die süßen Kränkungen des Freundes und des Mitleids, +würde es Grausamkeit sein, sie zu bringen. Daß aber die Kränkungen +des Feindes und der Schadenfreude sie nicht erreichen sollen, dafür, +lieber Galotti, lassen Sie mich sorgen. + +Odoardo. Prinz, die väterliche Liebe teilet ihre Sorgen nicht gern. +--Ich denke, ich weiß es, was meiner Tochter in ihren itzigen +Umständen einzig ziemet--Entfernung aus der Welt--ein Kloster--sobald +als möglich. + +Der Prinz. Ein Kloster? + +Odoardo. Bis dahin weine sie unter den Augen ihres Vaters. + +Der Prinz. So viel Schönheit soll in einem Kloster verblühen?--Darf +eine einzige fehlgeschlagene Hoffnung uns gegen die Welt so +unversöhnlich machen?--Doch allerdings: dem Vater hat niemand +einzureden. Bringen Sie Ihre Tochter, Galotti, wohin Sie wollen. + +Odoardo (gegen Marinelli). Nun, mein Herr? + +Marinelli. Wenn Sie mich sogar auffodern! + +Odoardo. O mitnichten, mitnichten. + +Der Prinz. Was haben Sie beide? + +Odoardo. Nichts, gnädiger Herr, nichts.--Wir erwägen bloß, welcher +von uns sich in Ihnen geirret hat. + +Der Prinz. Wieso?--Reden Sie, Marinelli. + +Marinelli. Es geht mir nahe, der Gnade meines Fürsten in den Weg zu +treten. Doch wenn die Freundschaft gebietet, vor allem in ihm den +Richter aufzufodern. + +Der Prinz. Welche Freundschaft? + +Marinelli. Sie wissen, gnädiger Herr, wie sehr ich den Grafen +Appiani liebte, wie sehr unser beider Seelen ineinander verwebt +schienen. + +Odoardo. Das wissen Sie, Prinz? So wissen Sie es wahrlich allein. + +Marinelli. Von ihm selbst zu seinem Rächer bestellet. + +Odoardo. Sie? + +Marinelli. Fragen Sie nur Ihre Gemahlin. Marinelli, der Name +Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen, und in einem Tone! +in einem Tone!--Daß er mir nie aus dem Gehöre komme, dieser +schreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende, daß seine Mörder +entdeckt und bestraft werden! + +Der Prinz. Rechnen Sie auf meine kräftigste Mitwirkung. + +Odoardo. Und meine heißesten Wünsche!--Gut, gut!--Aber was weiter? + +Der Prinz. Das frag ich, Marinelli. + +Marinelli. Man hat Verdacht, daß es nicht Räuber gewesen, welche den +Grafen angefallen. + +Odoardo (höhnisch). Nicht? Wirklich nicht? + +Marinelli. Daß ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege räumen lassen. + +Odoardo (bitter). Ei! Ein Nebenbuhler? + +Marinelli. Nicht anders. + +Odoardo. Nun dann--Gott verdamm' ihn, den meuchelmörderischen Buben! + +Marinelli. Ein Nebenbuhler, und ein begünstigter Nebenbuhler. + +Odoardo. Was? ein begünstigter?--Was sagen Sie? + +Marinelli. Nichts, als was das Gerüchte verbreitet. + +Odoardo. Ein begünstigter? von meiner Tochter begünstiget? + +Marinelli. Das ist gewiß nicht. Das kann nicht sein. Dem +widersprech ich, trotz Ihnen.--Aber bei dem allen, gnädiger Herr--denn +das gegründetste Vorurteil wieget auf der Waage der Gerechtigkeit +soviel als nichts--bei dem allen wird man doch nicht umhin können, die +schöne Unglückliche darüber zu vernehmen. + +Der Prinz. Jawohl, allerdings. + +Marinelli. Und wo anders? wo kann das anders geschehen als in +Guastalla? + +Der Prinz. Da haben Sie recht, Marinelli, da haben Sie recht.--Ja so, +das verändert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie sehen +selbst. + +Odoardo. O ja, ich sehe--Ich sehe, was ich sehe.--Gott! Gott! + +Der Prinz. Was ist Ihnen? was haben Sie mit sich? + +Odoardo. Daß ich es nicht vorausgesehen, was ich da sehe. Das ärgert +mich, weiter nichts.--Nun ja, sie soll wieder nach Guastalla. Ich +will sie wieder zu ihrer Mutter bringen, und bis die strengste +Untersuchung sie freigesprochen, will ich selbst aus Guastalla nicht +weichen. Denn wer weiß--(mit einem bittern Lachen) wer weiß, ob die +Gerechtigkeit nicht auch nötig findet, mich zu vernehmen. + +Marinelli. Sehr möglich! In solchen Fällen tut die Gerechtigkeit +lieber zuviel als zuwenig.--Daher fürchte ich sogar. + +Der Prinz. Was? was fürchten Sie? + +Marinelli. Man werde vor der Hand nicht verstatten können, daß Mutter +und Tochter sich sprechen. + +Odoardo. Sich nicht sprechen? + +Marinelli. Man werde genötiget sein, Mutter und Tochter zu trennen. + +Odoardo. Mutter und Tochter zu trennen? + +Marinelli. Mutter und Tochter und Vater. Die Form des Verhörs +erfodert diese Vorsichtigkeit schlechterdings. Und es tut mir leid, +gnädiger Herr, daß ich mich gezwungen sehe, ausdrücklich darauf +anzutragen, wenigstens Emilien in eine besondere Verwahrung zu bringen. + +Odoardo. Besondere Verwahrung?--Prinz! Prinz!--Doch ja, freilich, +freilich! Ganz recht: in eine besondere Verwahrung! Nicht, Prinz? +nicht?--O wie fein die Gerechtigkeit ist! Vortrefflich! (Fährt +schnell nach dem Schubsacke, in welchem er den Dolch hat.) + +Der Prinz (schmeichelhaft auf ihn zutretend). Fassen Sie sich, lieber +Galotti. + +Odoardo (beiseite, indem er die Hand leer wieder herauszieht). +Das sprach sein Engel! + +Der Prinz. Sie sind irrig, Sie verstehen ihn nicht. Sie denken bei +dem Worte Verwahrung wohl gar an Gefängnis und Kerker. + +Odoardo. Lassen Sie mich daran denken: und ich bin ruhig! + +Der Prinz. Kein Wort von Gefängnis, Marinelli! Hier ist die Strenge +der Gesetze mit der Achtung gegen unbescholtene Tugend leicht zu +vereinigen. Wenn Emilia in besondere Verwahrung gebracht werden muß, +so weiß ich schon--die alleranständigste. Das Haus meines +Kanzlers--Keinen Widerspruch, Marinelli!--Da will ich sie selbst +hinbringen, da will ich sie der Aufsicht einer der würdigsten Damen +übergeben. Die soll mir für sie bürgen, haften.--Sie gehen zu weit, +Marinelli, wirklich zu weit, wenn Sie mehr verlangen.--Sie kennen doch, +Galotti, meinen Kanzler Grimaldi und seine Gemahlin? + +Odoardo. Was sollt' ich nicht? Sogar die liebenswürdigen Töchter +dieses edeln Paares kenn ich. Wer kennt sie nicht?--(Zu Marinelli.) +Nein, mein Herr, geben Sie das nicht zu. Wenn Emilia verwahrt werden +muß, so müsse sie in dem tiefsten Kerker verwahret werden. Dringen +Sie darauf, ich bitte Sie.--Ich Tor, mit meiner Bitte! ich alter Geck! +--Jawohl hat sie recht die gute Sibylle: "Wer über gewisse Dinge +seinen Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren!" + +Der Prinz. Ich verstehe Sie nicht.--Lieber Galotti, was kann ich mehr +tun?--Lassen Sie es dabei, ich bitte Sie.--Ja, ja, in das Haus meines +Kanzlers! da soll sie hin; da bring ich sie selbst hin; und wenn ihr +da nicht mit der äußersten Achtung begegnet wird, so hat mein Wort +nichts gegolten. Aber sorgen Sie nicht.--Dabei bleibt es! dabei +bleibt es!--Sie selbst, Galotti, mit sich, können es halten, wie Sie +wollen.--Sie können uns nach Guastalla folgen, Sie können nach +Sabionetta zurückkehren: wie Sie wollen. Es wäre lächerlich, Ihnen +vorzuschreiben.--Und nun, auf Wiedersehen, lieber Galotti!--Kommen Sie, +Marinelli, es wird spät. + +Odoardo (der in tiefen Gedanken gestanden). Wie? so soll ich sie gar +nicht sprechen, meine Tochter? Auch hier nicht?--Ich lasse mir ja +alles gefallen, ich finde ja alles ganz vortrefflich. Das Haus eines +Kanzlers ist natürlicherweise eine Freistatt der Tugend. Oh, gnädiger +Herr, bringen Sie ja meine Tochter dahin, nirgends anders als dahin. +--Aber sprechen wollt' ich sie doch gerne vorher. Der Tod des Grafen +ist ihr noch unbekannt. Sie wird nicht begreifen können, warum man +sie von ihren Eltern trennet. Ihr jenen auf gute Art beizubringen, +sie dieser Trennung wegen zu beruhigen--muß ich sie sprechen, gnädiger +Herr, muß ich sie sprechen. + +Der Prinz. So kommen Sie denn. + +Odoardo. Oh, die Tochter kann auch wohl zu dem Vater kommen.--Hier, +unter vier Augen, bin ich gleich mit ihr fertig. Senden Sie mir sie +nur, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Auch das!--O Galotti, wenn Sie mein Freund, mein Führer, +mein Vater sein wollten! (Der Prinz und Marinelli geben ab.) + + + +Sechster Auftritt + +Odoardo Galotti (ihm nachsehend, nach einer Pause). Warum +nicht?--Herzlich gern.--Ha! ha! ha!--(Blickt wild umher.) Wer lacht +da?--Bei Gott, ich glaub, ich war es selbst.--Schon recht! Lustig, +lustig! Das Spiel geht zu Ende. So oder so!--Aber--(Pause) wenn sie +mit ihm sich verstünde? Wenn es das alltägliche Possenspiel wäre? +Wenn sie es nicht wert wäre, was ich für sie tun will?--(Pause.) Für +sie tun will? Was will ich denn für sie tun?--Hab ich das Herz, es +mir zu sagen?--Da denk ich so was: So was, was sich nur denken läßt. +--Gräßlich! Fort, fort! Ich will sie nicht erwarten. Nein!--(Gegen +den Himmel.) Wer sie unschuldig in diesen Abgrund gestürzt hat, der +ziehe sie wieder heraus. Was braucht er meine Hand dazu? Fort! (Er +will gehen und sieht Emilien kommen.) Zu spät! Ah! er will meine Hand, +er will sie! + + + +Siebenter Auftritt + +Emilia. Odoardo. + + +Emilia. Wie? Sie hier, mein Vater?--Und nur Sie?--Und meine Mutter? +nicht hier?--Und der Graf? nicht hier?--Und Sie so unruhig, mein Vater? + +Odoardo. Und du so ruhig, meine Tochter? + +Emilia. Warum nicht, mein +Vater?--Entweder ist nichts verloren: oder alles. Ruhig sein können +und ruhig sein müssen: kömmt es nicht auf eines? + +Odoardo. Aber, was meinest du, daß der Fall ist? + +Emilia. Daß alles verloren ist--und daß wir wohl ruhig sein müssen, +mein Vater. + +Odoardo. Und du wärest ruhig, weil du ruhig sein mußt?--Wer bist du? +Ein Mädchen? und meine Tochter? So sollte der Mann und der Vater sich +wohl vor dir schämen?--Aber laß doch hören, was nennest du, alles +verloren?--Daß der Graf tot ist? + +Emilia. Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein +Vater? So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in +dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las?--Wo ist meine Mutter? +Wo ist sie hin, mein Vater? + +Odoardo. Voraus--wenn wir anders ihr nachkommen. + +Emilia. Je eher, je besser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er +darum tot ist--darum! was verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns +fliehen, mein Vater! + +Odoardo. Fliehen?--Was hätt' es dann für Not?--Du bist, du bleibst in +den Händen deines Räubers. + +Emilia. Ich bleibe in seinen Händen? + +Odoardo. Und allein, ohne deine Mutter, ohne mich. + +Emilia. Ich allein in seinen Händen?--Nimmermehr, mein Vater.--Oder +Sie sind nicht mein Vater.--Ich allein in seinen Händen?--Gut, lassen +Sie mich nur, lassen Sie mich nur.--Ich will doch sehn, wer mich +hält--wer mich zwingt--wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen +kann. + +Odoardo. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind. + +Emilia. Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Hände in +den Schoß legen? Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht +dürfte? + +Odoardo. Ha! wenn du so denkest!--Laß dich umarmen, meine Tochter! +--Ich hab es immer gesagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem +Meisterstücke machen. Aber sie vergriff sich im Tone, sie nahm ihn zu +fein. Sonst ist alles besser an euch als an uns.--Ha, wenn das deine +Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wiedergefunden! Laß dich umarmen, +meine Tochter!--Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen +Untersuchung--o des höllischen Gaukelspieles!--reißt er dich aus +unsern Armen und bringt dich zur Grimaldi. + +Emilia. Reißt mich? bringt mich?--Will mich reißen, will mich bringen: +will! will!--Als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein Vater! + +Odoardo. Ich ward auch so wütend, daß ich schon nach diesem Dolche +griff (ihn herausziehend), um einem von beiden--beiden!--das Herz zu +durchstoßen. Emilia. Um des Himmels willen nicht, mein Vater! +--Dieses Leben ist alles, was die Lasterhaften haben.--Mir, mein Vater, +mir geben Sie diesen Dolch. + +Odoardo. Kind, es ist keine Haarnadel. + +Emilia. So werde die Haarnadel zum Dolche!--Gleichviel. + +Odoardo. Was? Dahin wäre es gekommen? Nicht doch; nicht doch! +Besinne dich.--Auch du hast nur ein Leben zu verlieren. + +Emilia. Und nur eine Unschuld! + +Odoardo. Die über alle Gewalt erhaben ist. + +Emilia. Aber nicht über +alle Verführung.--Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? +Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt.--Ich +habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes Blut als eine. Auch +meine Sinne sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. +Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine +Stunde da, unter den Augen meiner Mutter--und es erhob sich so mancher +Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum +in Wochen besänftigen konnten!--Der Religion! Und welcher +Religion?--Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die +Fluten und sind Heilige!--Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir +diesen Dolch. + +Odoardo. Und wenn du ihn kenntest, diesen Dolch! + +Emilia. Wenn ich +ihn auch nicht kenne!--Ein unbekannter Freund ist auch ein Freund. +--Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn. + +Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe--da! (Gibt ihr ihn.) + +Emilia. Und da! (Im Begriffe, sich damit zu durchstoßen, reißt der +Vater ihr ihn wieder aus der Hand.) + +Odoardo. Sieh, wie rasch!--Nein, das ist nicht für deine Hand. + +Emilia. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich--(Sie fährt mit der +Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.) +Du noch hier?--Herunter mit dir! Du gebötest nicht in das Haar +einer--wie mein Vater will, daß ich werden soll! + +Odoardo. Oh, meine Tochter! + +Emilia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie +erriete!--Doch nein, das wollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie +sonst?--(In einem bittern Tone, während daß sie die Rose zerpflückt.) +Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu +retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte--ihr zum +zweiten Male das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehedem! +Solcher Väter gibt es keinen mehr! + +Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (Indem er sie durchsticht.) +--Gott, was hab ich getan! (Sie will sinken, und er faßt sie in +seine Arme.) + +Emilia. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.--Lassen +Sie mich sie küssen, diese väterliche Hand. + + + +Achter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen. + + +Der Prinz (im Hereintreten). Was ist das?--Ist Emilien nicht wohl? + +Odoardo. Sehr wohl, sehr wohl! + +Der Prinz (indem er näher kömmt). Was seh ich?--Entsetzen! + +Marinelli. Weh mir! + +Der Prinz. Grausamer Vater, was haben Sie getan! + +Odoardo. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.--War es +nicht so, meine Tochter? + +Emilia. Nicht Sie, mein Vater--Ich selbst--ich selbst. + +Odoardo. Nicht +du, meine Tochter--nicht du!--Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt. +Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein unglücklicher Vater! + +Emilia. Ah--mein Vater--(Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den +Boden.) + +Odoardo. Zieh hin!--Nun da, Prinz! Gefällt sie Ihnen noch? Reizt +sie noch Ihre Lüste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache +schreiet? (Nach einer Pause.) Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus +soll? Sie erwarten vielleicht, daß ich den Stahl wider mich selbst +kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragödie zu beschließen? +Sie irren sich. Hier! (Indem er ihm den Dolch vor die Füße wirft.) +Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und +liefere mich selbst in das Gefängnis. Ich gehe und erwarte Sie als +Richter--Und dann dort--erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller! + +Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper +mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli). Hier! heb +ihn auf.--Nun? Du bedenkst dich?--Elender!--(Indem er ihm den Dolch +aus der Hand reißt.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht +mischen.--Geh, dich auf ewig zu verbergen!--Geh! sag ich.--Gott! Gott! +--Ist es, zum Unglücke so mancher, nicht genug, daß Fürsten Menschen +sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen? + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Emilia Galotti, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + + + + + + + +End of Project Gutenberg's Emilia Lagotti, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EMILIA LAGOTTI *** + +***** This file should be named 9108-8.txt or 9108-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/9/1/0/9108/ + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..123257c --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #9108 (https://www.gutenberg.org/ebooks/9108) diff --git a/old/2003-09-07-9108-8.zip b/old/2003-09-07-9108-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..b3a0164 --- /dev/null +++ b/old/2003-09-07-9108-8.zip diff --git a/old/7mlgl10.txt b/old/7mlgl10.txt new file mode 100644 index 0000000..3861af0 --- /dev/null +++ b/old/7mlgl10.txt @@ -0,0 +1,3598 @@ +The Project Gutenberg EBook of Emilia Galotti, by Gotthold Ephraim Lessing + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Emilia Galotti + +Author: Gotthold Ephraim Lessing + +Release Date: October, 2005 [EBook #9108] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on September 7, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ISO Latin-1 + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EMILIA GALOTTI *** + + + + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau. + + + + +This Etext is in German. + +We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, +known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- +and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- +which requires a binary transfer, or sent as email attachment and +may require more specialized programs to display the accents. +This is the 8-bit version. + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +EMILIA GALOTTI + +von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING + +Personen: + +Emilia Galotti +Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia +Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla +Marinelli, Kammerherr des Prinzen +Camillo Rota, einer von des Prinzen Raeten +Conti, Maler +Graf Appiani +Graefin Orsina +Angelo und einige Bediente + + + + +Erster Aufzug + +Die Szene: ein Kabinett des Prinzen. + + +Erster Auftritt + +Der Prinz (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere, +deren einige er durchlaeuft). Klagen, nichts als Klagen! +Bittschriften, nichts als Bittschriften!--Die traurigen Geschaefte; und +man beneidet uns noch!--Das glaub ich; wenn wir allen helfen koennten: +dann waeren wir zu beneiden.--Emilia? (Indem er noch eine von den +Bittschriften aufschlaegt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) +Eine Emilia?--Aber eine Emilia Bruneschi--nicht Galotti. Nicht Emilia +Galotti!--Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel +gefodert, sehr viel.--Doch sie heisst Emilia. Gewaehrt! (Er +unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es +ist wohl noch keiner von den Raeten in dem Vorzimmer? + + +Der Kammerdiener. Nein. + +Der Prinz. Ich habe zu frueh Tag gemacht.--Der Morgen ist so schoen. +Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Lasst ihn +rufen. (Der Kammerdiener geht ab.)--Ich kann doch nicht mehr arbeiten. +--Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig--Auf einmal muss eine +arme Bruneschi Emilia heissen:--weg ist meine Ruhe, und alles!--Der +Kammerdiener (welcher wieder hereintritt). Nach dem Marchese ist +geschickt. Und hier, ein Brief von der Graefin Orsina. + +Der Prinz. Der Orsina? Legt ihn hin. + +Der Kammerdiener. Ihr Laeufer wartet. + +Der Prinz. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf.--Wo ist +sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa? + +Der Kammerdiener. Sie ist gestern in die Stadt gekommen. + +Der Prinz. Desto schlimmer--besser, wollt' ich sagen. So braucht der +Laeufer um so weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine +teure Graefin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut, +als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.)--Nun ja; ich habe sie zu +lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie +auch wirklich geliebt. Aber--ich habe! + +Der Kammerdiener (der nochmals hereintritt). Der Maler Conti will die +Gnade haben-Der Prinz. Conti? Recht wohl; lasst ihn hereinkommen. +--Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.) + + + +Zweiter Auftritt + +Conti. Der Prinz. + + +Der Prinz. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst? + +Conti. Prinz, die Kunst geht nach Brot. + +Der Prinz. Das muss sie nicht; das soll sie nicht--in meinem kleinen +Gebiete gewiss nicht.--Aber der Kuenstler muss auch arbeiten wollen. + +Conti. Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten muessen +kann ihn um den Namen Kuenstler bringen. + +Der Prinz. Ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges, aber +mit Fleiss.--Sie kommen doch nicht leer, Conti? + +Conti. Ich bringe das Portraet, welches Sie mir befohlen haben, +gnaediger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: +aber weil es gesehen zu werden verdient--Der Prinz. Jenes ist?--Kann +ich mich doch kaum erinnern--Conti. Die Graefin Orsina. + +Der Prinz. Wahr!--Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her. + +Conti. Unsere schoenen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die +Graefin hat, seit drei Monaten, gerade einmal sich entschliessen koennen +zu sitzen. + +Der Prinz. Wo sind die Stuecke? + +Conti. In dem Vorzimmer, ich hole sie. + + + +Dritter Auftritt + +Der Prinz. Ihr Bild!--mag!--Ihr Bild, ist sie doch nicht selber.--Und +vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht +mehr erblicke.--Ich will es aber nicht wiederfinden.--Der +beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen.--Waer' es +auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen +andern Grund gemalet ist--in meinem Herzen wieder Platz machen will: +--Wahrlich, ich glaube, ich waer' es zufrieden. Als ich dort liebte, +war ich immer so leicht, so froehlich, so ausgelassen.--Nun bin ich von +allem das Gegenteil.--Doch nein; nein, nein! Behaeglicher oder nicht +behaeglicher: ich bin so besser. + + + +Vierter Auftritt + +Der Prinz. Conti mit den Gemaelden, wovon er das eine verwandt gegen +einen Stuhl lehnet. + + +Conti (indem er das andere zurechtstellet). Ich bitte, Prinz, dass Sie +die Schranken unserer Kunst erwaegen wollen. Vieles von dem +Anzueglichsten der Schoenheit liegt ganz ausser den Grenzen derselben. +--Treten Sie so!--Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung). +Vortrefflich, Conti--ganz vortrefflich!--Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem +Pinsel.--Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt! + +Conti. Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es +in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muss. +Die Kunst muss malen, wie sich die plastische Natur--wenn es eine +gibt--das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende +Stoff unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit +dagegen ankaempfet. + +Der Prinz. Der denkende Kuenstler ist noch eins soviel wert.--Aber das +Original, sagen Sie, fand demungeachtet--Conti. Verzeihen Sie, Prinz. +Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe +nichts Nachteiliges von ihr aeussern wollen. + +Der Prinz. Soviel als Ihnen beliebt!--Und was sagte das Original? + +Conti. Ich bin zufrieden, sagte die Graefin, wenn ich nicht haesslicher +aussehe. + +Der Prinz. Nicht haesslicher?--O das wahre Original! + +Conti. Und mit einer Miene sagte sie das--von der freilich dieses ihr +Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget. + +Der Prinz. Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die +unendliche Schmeichelei finde.--Oh! ich kenne sie, jene stolze, +hoehnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen wuerde! +--Ich leugne nicht, dass ein schoener Mund, der sich ein wenig spoettisch +verziehet, nicht selten um so viel schoener ist. Aber, wohl gemerkt, +ein wenig: die Verziehung muss nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei +dieser Graefin. Und Augen muessen ueber den wolluestigen Spoetter die +Aufsicht fuehren--Augen, wie sie die gute Graefin nun gerade gar nicht +hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat. + +Conti. Gnaediger Herr, ich bin aeusserst betroffen--Der Prinz. Und +worueber? Alles, was die Kunst aus den grossen, hervorragenden, stieren, +starren Medusenaugen der Graefin Gutes machen kann, das haben Sie, +Conti, redlich daraus gemacht.--Redlich, sag ich?--Nicht so redlich, +waere redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, laesst sich aus diesem +Bilde wohl der Charakter der Person schliessen? Und das sollte doch. +Stolz haben Sie in Wuerde, Hohn in Laecheln, Ansatz zu truebsinniger +Schwaermerei in sanfte Schwermut verwandelt. + +Conti (etwas aergerlich). Ah, mein Prinz--wir Maler rechnen darauf, +dass das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm +er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe +muessten uns auch nur beurteilen. + +Der Prinz. Je nun, Conti--warum kamen Sie nicht einen Monat frueher +damit?--Setzen Sie weg.--Was ist das andere Stueck? + +Conti (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand haelt). Auch ein +weibliches Portraet. + +Der Prinz. So moecht' ich es bald--lieber gar nicht sehen. Denn dem +Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne)--oder vielmehr hier (mit +dem Finger auf das Herz) koemmt es doch nicht bei.--Ich wuenschte, Conti, +Ihre Kunst in andern Vorwuerfen zu bewundern. + +Conti. Eine bewundernswuerdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen +bewundernswuerdigern Gegenstand als diesen. + +Der Prinz. So wett ich, Conti, dass es des Kuenstlers eigene Gebieterin +ist.--(Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk, +Conti? oder das Werk meiner Phantasie?--Emilia Galotti! + +Conti. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel? + +Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem +Bilde zu verwenden). So halb!--um sie eben wiederzukennen.--Es ist +einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. +--Nachher ist sie mir nur an heiligen Staetten wieder vorgekommen--wo +das Angaffen sich weniger ziemet.--Auch kenn ich ihren Vater. Er ist +mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Anspruechen auf +Sabionetta am meisten widersetzte.--Ein alter Degen, stolz und rauh, +sonst bieder und gut!-Conti. Der Vater! Aber hier haben wir seine +Tochter. + +Der Prinz. Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die +Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, dass +man den Kuenstler dann erst recht lobt, wenn man ueber sein Werk sein +Lob vergisst. + +Conti. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir +gelassen.--Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner +Unzufriedenheit mit mir selbst.--Ha! dass wir nicht unmittelbar mit den +Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den +Pinsel, wieviel geht da verloren!--Aber, wie ich sage, dass ich es weiss, +was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es +verlorengehen muessen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich +auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem +erkenne ich, mehr als aus diesem, dass ich wirklich ein grosser Maler +bin, dass es aber meine Hand nur nicht immer ist.--Oder meinen Sie, +Prinz, dass Raffael nicht das groesste malerische Genie gewesen waere, +wenn er ungluecklicherweise ohne Haende waere geboren worden? Meinen Sie, +Prinz? + +Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). Was sagen Sie, +Conti? Was wollen Sie wissen? + +Conti. O nichts, nichts!--Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz +in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen. + +Der Prinz (mit einer erzwungenen Kaelte). Also, Conti, rechnen Sie +doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzueglichsten Schoenheiten +unserer Stadt? + +Conti. Also? mit? mit zu den vorzueglichsten? und den vorzueglichsten +unserer Stadt?--Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze +Zeit ebensowenig, als Sie hoerten. + +Der Prinz. Lieber Conti--(die Augen wieder auf das Bild gerichtet,) +wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiss doch nur +allein ein Maler von der Schoenheit zu urteilen. + +Conti. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines +Malers warten?--Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was +schoen ist! Aber das muss ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: +eine von den groessten Glueckseligkeiten meines Lebens ist es, dass Emilia +Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne, +diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese +Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein +einziges Studium der weiblichen Schoenheit.--Die Schilderei selbst, +wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese +Kopie--Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret). Nun, Conti? ist +doch nicht schon versagt? + +Conti. Ist fuer Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden. + +Der Prinz. Geschmack!--(Laechelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen +Schoenheit, Conti, wie koennt' ich besser tun, als es auch zu dem +meinigen zu machen?--Dort, jenes Portraet nehmen Sie nur wieder +mit--einen Rahmen darum zu bestellen. + +Conti. Wohl! + +Der Prinz. So schoen, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann. +Es soll in der Galerie aufgestellet werden.--Aber dieses bleibt hier. +Mit einem Studio macht man soviel Umstaende nicht: auch laesst man das +nicht aufhaengen, sondern hat es gern bei der Hand.--Ich danke Ihnen, +Conti; ich danke Ihnen recht sehr.--Und wie gesagt: in meinem Gebiete +soll die Kunst nicht nach Brot gehen--bis ich selbst keines habe. +--Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf +Ihre Quittung, fuer beide Portraete sich bezahlen--was Sie wollen. +Soviel Sie wollen, Conti. + +Conti. Sollte ich doch nun bald fuerchten, Prinz, dass Sie so noch +etwas anders belohnen wollen als die Kunst. + +Der Prinz. O des eifersuechtigen Kuenstlers! Nicht doch!--Hoeren Sie, +Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.) + + + +Fuenfter Auftritt + +Der Prinz. Soviel er will!--(Gegen das Bild.) Dich hab ich fuer jeden +Preis noch zu wohlfeil.--Ah! schoenes Werk der Kunst, ist es wahr, dass +ich dich besitze?--Wer dich auch besaesse, schoenres Meisterstueck der +Natur!--Was Sie dafuer wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter +Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!--Am liebsten kauft' ich dich, +Zauberin, von dir selbst!--Dieses Auge voll Liebreiz und +Bescheidenheit! Dieser Mund!--Und wenn er sich zum Reden oeffnet! wenn +er laechelt! Dieser Mund!--Ich hoere kommen.--Noch bin ich mit dir zu +neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird +Marinelli sein. Haett' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was fuer einen +Morgen koennt' ich haben! + + + +Sechster Auftritt + +Marinelli. Der Prinz. + + +Marinelli. Gnaediger Herr, Sie werden verzeihen.--Ich war mir eines so +fruehen Befehls nicht gewaertig. + +Der Prinz. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schoen. +--Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen. +--(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli? + +Marinelli. Nichts von Belang, das ich wuesste.--Die Graefin Orsina ist +gestern zur Stadt gekommen. + +Der Prinz. Hier liegt auch schon ihr guter Morgen (auf ihren Brief +zeigend) oder was es sonst sein mag! Ich bin gar nicht neugierig +darauf.--Sie haben sie gesprochen? + +Marinelli. Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter?--Aber, wenn ich es +wieder von einer Dame werde, der es einkoemmt, Sie in gutem Ernste zu +lieben, Prinz: so--Der Prinz. Nichts verschworen, Marinelli! + +Marinelli. Ja? In der Tat, Prinz? Koennt' es doch kommen?--Oh! so +mag die Graefin auch so unrecht nicht haben. + +Der Prinz. Allerdings, sehr unrecht!--Meine nahe Vermaehlung mit der +Prinzessin von Massa will durchaus, dass ich alle dergleichen Haendel +fuers erste abbreche. + +Marinelli. Wenn es nur das waere: so muesste freilich Orsina sich in ihr +Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines. + +Der Prinz. Das unstreitig haerter ist als ihres. Mein Herz wird das +Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf sie nur zuruecknehmen, +aber nicht wider Willen verschenken. + +Marinelli. Zuruecknehmen? Warum zuruecknehmen? fragt die Graefin: wenn +es weiter nichts als eine Gemahlin ist, die dem Prinzen nicht die +Liebe, sondern die Politik zufuehret? Neben so einer Gemahlin sieht +die Geliebte noch immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlin fuerchtet +sie aufgeopfert zu sein, sondern--Der Prinz. Einer neuen Geliebten. +--Nun denn? Wollten Sie mir daraus ein Verbrechen machen, Marinelli? + +Marinelli. Ich?--Oh! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der +Naerrin, deren Wort ich fuehre--aus Mitleid fuehre. Denn gestern, +wahrlich, hat sie mich sonderbar geruehret. Sie wollte von ihrer +Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz +gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgueltigsten +Gespraeche entfuhr ihr eine Wendung, eine Beziehung ueber die andere, +die ihr gefoltertes Herz verriet. Mit dem lustigsten Wesen sagte sie +die melancholischsten Dinge: und wiederum die laecherlichsten Possen +mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Buechern ihre Zuflucht +genommen; und ich fuerchte, die werden ihr den Rest geben. + +Der Prinz. So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoss +gegeben.--Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, das +wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr +zurueckzubringen?--Wenn sie aus Liebe naerrisch wird, so waere sie es, +frueher oder spaeter, auch ohne Liebe geworden--Und nun, genug von ihr. +--Von etwas andern!--Geht denn gar nichts vor in der Stadt?--Marinelli. +So gut wie gar nichts.--Denn dass die Verbindung des Grafen Appiani +heute vollzogen wird--ist nicht viel mehr als gar nichts. + +Der Prinz. Des Grafen Appiani? und mit wem denn?--Ich soll ja noch +hoeren, dass er versprochen ist. + +Marinelli. Die Sache ist sehr geheimgehalten worden. Auch war nicht +viel Aufhebens davon zu machen.--Sie werden lachen, Prinz.--Aber so +geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die +schlimmsten Streiche. Ein Maedchen ohne Vermoegen und ohne Rang hat ihn +in ihre Schlinge zu ziehen gewusst--mit ein wenig Larve, aber mit +vielem Prunke von Tugend und Gefuehl und Witz--und was weiss ich? + +Der Prinz. Wer sich den Eindruecken, die Unschuld und Schoenheit auf +ihn machen, ohne weitere Ruecksicht, so ganz ueberlassen darf--ich +daechte, der waere eher zu beneiden als zu belachen.--Und wie heisst denn +die Glueckliche? Denn bei alledem ist Appiani--ich weiss wohl, dass Sie, +Marinelli, ihn nicht leiden koennen; ebensowenig als er Sie--, bei +alledem ist er doch ein sehr wuerdiger junger Mann, ein schoener Mann, +ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich haette sehr gewuenscht, ihn +mir verbinden zu koennen. Ich werde noch darauf denken. + +Marinelli. Wenn es nicht zu spaet ist.--Denn soviel ich hoere, ist sein +Plan gar nicht, bei Hofe sein Glueck zu machen.--Er will mit seiner +Gebieterin nach seinen Taelern von Piemont--Gemsen zu jagen, auf den +Alpen, und Murmeltiere abzurichten.--Was kann er Besseres tun? Hier +ist es durch das Missbuendnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der +Zirkel der ersten Haeuser ist ihm von nun an verschlossen--Der Prinz. +Mit euren ersten Haeusern!--in welchen das Zeremoniell, der Zwang, die +Langeweile und nicht selten die Duerftigkeit herrschet.--Aber so nennen +Sie mir sie doch, der er dieses so grosse Opfer bringt. + +Marinelli. Es ist eine gewisse Emilia Galotti. + +Der Prinz. Wie, Marinelli? eine gewisse--Marinelli. Emilia Galotti. + +Der Prinz. Emilia Galotti?--Nimmermehr! + +Marinelli. Zuverlaessig, gnaediger Herr. + +Der Prinz. Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein.--Sie +irren sich in dem Namen.--Das Geschlecht der Galotti ist gross.--Eine +Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia! + +Marinelli. Emilia--Emilia Galotti! + +Der Prinz. So gibt es noch eine, die beide Namen fuehrt.--Sie sagten +ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti--eine gewisse. Von der rechten +kann nur ein Narr so sprechen--Marinelli. Sie sind ausser sich, +gnaediger Herr.--Kennen Sie denn diese Emilia? + +Der Prinz. Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er.--Emilia Galotti? +Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Unfern der Kirche Allerheiligen? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Mit einem Worte--(Indem er nach dem Portraete springt und +es dem Marinelli in die Hand gibt.) Da!--Diese? Diese Emilia +Galotti?--Sprich dein verdammtes "Ebendie" noch einmal und stoss mir +den Dolch ins Herz! + +Marinelli. Ebendie! + +Der Prinz. Henker!--Diese?--Diese Emilia Galotti wird heute--Marinelli. +Graefin Appiani!--(Hier reisst der Prinz dem Marinelli das Bild wieder +aus der Hand und wirft es beiseite.) Die Trauung geschiehet in der +Stille, auf dem Landgute des Vaters bei Sabionetta. Gegen Mittag +fahren Mutter und Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde +dahin ab. + +Der Prinz (der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft). So bin +ich verloren!--So will ich nicht leben! + +Marinelli. Aber was ist Ihnen, gnaediger Herr? + +Der Prinz (der gegen ihn wieder aufspringt). Verraeter!--was mir +ist?--Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an. Moegt ihr es doch wissen! +Moegt ihr es doch laengst gewusst haben, alle ihr, denen ich der tollen +Orsina schimpfliche Fesseln lieber ewig tragen sollte!--Nur dass Sie, +Marinelli, der Sie so oft mich Ihrer innigsten Freundschaft +versicherten--O ein Fuerst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben! +--, dass Sie, Sie, so treulos, so haemisch mir bis auf diesen Augenblick +die Gefahr verhehlen duerfen, die meiner Liebe drohte: wenn ich Ihnen +jemals das vergebe--so werde mir meiner Suenden keine vergeben! + +Marinelli. Ich weiss kaum Worte zu finden, Prinz--wenn Sie mich auch +dazu kommen liessen--, Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen.--Sie lieben +Emilia Galotti!--Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieser Liebe +das geringste gewusst, das geringste vermutet habe, so moege weder Engel +noch Heiliger von mir wissen!--Ebendas wollt' ich in die Seele der +Orsina schwoeren. Ihr Verdacht schweift auf einer ganz andern Faehrte. + +Der Prinz. So verzeihen Sie mir, Marinelli--(indem er sich ihm in die +Arme wirft) und bedaueren Sie mich. + +Marinelli. Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht Ihrer +Zurueckhaltung!--"Fuersten haben keinen Freund! koennen keinen Freund +haben!"--Und die Ursache, wenn dem so ist?--Weil sie keinen haben +wollen.--Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre +geheimsten Wuensche mit, schliessen uns ihre ganze Seele auf: und morgen +sind wir ihnen wieder so fremd, als haetten sie nie ein Wort mit uns +gewechselt. + +Der Prinz. Ah! Marinelli, wie konnt' ich Ihnen vertrauen, was ich +mir selbst kaum gestehen wollte? + +Marinelli. Und also wohl noch weniger der Urheberin Ihrer Qual +gestanden haben? + +Der Prinz. Ihr?--Alle meine Muehe ist vergebens gewesen, sie ein +zweites Mal zu sprechen.--Marinelli. Und das erstemal--Der Prinz. +Sprach ich sie--Oh, ich komme von Sinnen! Und ich soll Ihnen noch +lange erzaehlen?--Sie sehen mich einen Raub der Wellen: was fragen Sie +viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie koennen: und +fragen Sie dann. + +Marinelli. Retten? ist da viel zu retten?--Was Sie versaeumt haben, +gnaediger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun +der Graefin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben +kann, kauft man aus der zweiten:--und solche Waren nicht selten aus +der zweiten um so viel wohlfeiler. + +Der Prinz. Ernsthaft, Marinelli, ernsthaft, oder--Marinelli. Freilich, +auch um so viel schlechter-Der Prinz. Sie werden unverschaemt! + +Marinelli. Und dazu will der Graf damit aus dem Lande.--Ja, so muesste +man auf etwas anders denken.--Der Prinz. Und auf was?--Liebster, +bester Marinelli, denken Sie fuer mich. Was wuerden Sie tun, wenn Sie +an meiner Stelle waeren? + +Marinelli. Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit +ansehen--und mir sagen, dass ich nicht vergebens sein wolle, was ich +bin--Herr! + +Der Prinz. Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich +hier keinen Gebrauch absehe.--Heute, sagen Sie? schon heute? + +Marinelli. Erst heute--soll es geschehen. Und nur geschehenen Dingen +ist nicht zu raten.--(Nach einer kurzen Ueberlegung.) Wollen Sie mir +freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue? + +Der Prinz. Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann. + +Marinelli. So lassen Sie uns keine Zeit verlieren.--Aber bleiben Sie +nicht in der Stadt. Fahren Sie sogleich nach Ihrem Lustschlosse, nach +Dosalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vorbei. Wenn es mir nicht +gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: so denk ich--Doch, +doch; ich glaube, er geht in diese Falle gewiss. Sie wollen, Prinz, +wegen Ihrer Vermaehlung einen Gesandten nach Massa schicken? Lassen +Sie den Grafen dieser Gesandte sein; mit dem Bedinge, dass er noch +heute abreiset.--Verstehen Sie? + +Der Prinz. Vortrefflich!--Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie, +eilen Sie. Ich werfe mich sogleich in den Wagen. (Marinelli geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Der Prinz. Sogleich! sogleich!--Wo blieb es?--(Sich nach dem Portraete +umsehend.) Auf der Erde? das war zu arg! (Indem er es aufhebt.) Doch +betrachten? betrachten mag ich dich fuers erste nicht mehr.--Warum +sollt' ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde druecken? (Setzt es +beiseite)--Geschmachtet, geseufzet hab ich lange genug--laenger als ich +gesollt haette: aber nichts getan! und ueber die zaertliche Untaetigkeit +bei einem Haar alles verloren!--Und wenn nun doch alles verloren waere? +Wenn Marinelli nichts ausrichtete?--Warum will ich mich auch auf ihn +allein verlassen? Es faellt mir ein--um diese Stunde (nach der Uhr +sehend), um diese naemliche Stunde pflegt das fromme Maedchen alle +Morgen bei den Dominikanern die Messe zu hoeren.--Wie, wenn ich sie da +zu sprechen suchte?--Doch heute, heut an ihrem Hochzeittage--heute +werden ihr andere Dinge am Herzen liegen als die Messe.--Indes, wer +weiss?--Es ist ein Gang.--(Er klingelt, und indem er einige von den +Papieren auf dem Tische hastig zusammenrafft, tritt der Kammerdiener +herein.) Lasst vorfahren!--Ist noch keiner von den Raeten da? + + +Der Kammerdiener. Camillo Rota. + +Der Prinz. Er soll hereinkommen. (Der Kammerdiener geht ab.) Nur +aufhalten muss er mich nicht wollen. Dasmal nicht!--Ich stehe gern +seinen Bedenklichkeiten ein andermal um so viel laenger zu Diensten. +--Da war ja noch die Bittschrift einer Emilia Bruneschi.--(Sie suchend. +) Die ist's.--Aber, gute Bruneschi, wo deine Vorsprecherin Achter +Auftritt + +Camillo Rota, Schriften in der Hand. Der Prinz. + +Der Prinz. Kommen Sie, Rota, kommen Sie.--Hier ist, was ich diesen +Morgen erbrochen. Nicht viel Troestliches!--Sie werden von selbst +sehen, was darauf zu verfuegen.--Nehmen Sie nur. + +Camillo Rota. Gut, gnaediger Herr. + +Der Prinz. Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilia Galot.. +Bruneschi will ich sagen.--Ich habe meine Bewilligung zwar schon +beigeschrieben. Aber doch--die Sache ist keine Kleinigkeit.--Lassen +Sie die Ausfertigung noch anstehen.--Oder auch nicht anstehen: wie +Sie wollen. + +Camillo Rota. Nicht wie ich will, gnaediger Herr. + +Der Prinz. Was ist sonst? Etwas zu unterschreiben? + +Camillo Rota. Ein Todesurteil waere zu unterschreiben. + +Der Prinz. Recht gern.--Nur her! geschwind. + +Camillo Rota (stutzig und den Prinzen starr ansehend). Ein +Todesurteil--sagt' ich. + +Der Prinz. Ich hoere ja wohl.--Es koennte schon geschehen sein. Ich +bin eilig. + +Camillo Rota (seine Schriften nachsehend). Nun hab ich es doch wohl +nicht mitgenommen!--Verzeihen Sie, gnaediger Herr.--Es kann Anstand +damit haben bis morgen. + +Der Prinz. Auch das!--Packen Sie nur zusammen; ich muss fort--Morgen, +Rota, ein Mehres! (Geht ab.) + +Camillo Rota (den Kopf schuettelnd, indem er die Papiere zu sich nimmt +und abgeht). Recht gern?--Ein Todesurteil recht gern?--Ich haett' es +ihn in diesem Augenblicke nicht moegen unterschreiben lassen, und wenn +es den Moerder meines einzigen Sohnes betroffen haette.--Recht gern! +Recht gern!--Es geht mir durch die Seele dieses graessliche Recht gern! + + + + +Zweiter Aufzug + +Die Szene: ein Saal in dem Hause der Galotti. + + + +Erster Auftritt + +Claudia Galotti. Pirro. + + +Claudia (im Heraustreten zu Pirro, der von der andern Seite +hereintritt). Wer sprengte da in den Hof? + +Pirro. Unser Herr, gnaedige Frau. + +Claudia. Mein Gemahl? Ist es moeglich? + +Pirro. Er folgt mir auf dem Fusse. + +Claudia. So unvermutet?--(Ihm entgegeneilend.) Ach! mein Bester! +Zweiter Auftritt + +Odoardo Galotti und die Vorigen. + + +Odoardo. Guten Morgen, meine Liebe!--Nicht wahr, das heisst +ueberraschen?--Claudia. Und auf die angenehmste Art!--Wenn es anders +nur eine Ueberraschung sein soll. + +Odoardo. Nichts weiter! Sei unbesorgt.--Das Glueck des heutigen Tages +weckte mich so frueh; der Morgen war so schoen; der Weg ist so kurz; ich +vermutete euch hier so geschaeftig--Wie leicht vergessen sie etwas, +fiel mir ein.--Mit einem Worte: ich komme, und sehe, und kehre +sogleich wieder zurueck.--Wo ist Emilia? Unstreitig beschaeftigt mit +dem Putze?--Claudia. Ihrer Seele!--Sie ist in der Messe.--"Ich habe +heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen", sagte +sie und liess alles liegen und nahm ihren Schleier und eilte--Odoardo. +Ganz allein? + +Claudia. Die wenigen Schritte--Odoardo. Einer ist genug zu einem +Fehltritt!--Claudia. Zuernen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie +herein--einen Augenblick auszuruhen und, wann Sie wollen, eine +Erfrischung zu nehmen. + +Odoardo. Wie du meinest, Claudia.--Aber sie sollte nicht allein +gegangen sein.--Claudia. Und Ihr, Pirro, bleibt hier in dem Vorzimmer, +alle Besuche auf heute zu verbitten. + + + +Dritter Auftritt + +Pirro und bald darauf Angelo. + + +Pirro. Die sich nur aus Neugierde melden lassen.--Was bin ich seit +einer Stunde nicht alles ausgefragt worden!--Und wer koemmt da? + +Angelo (noch halb hinter der Szene, in einem kurzen Mantel, den er +ueber das Gesicht gezogen, den Hut in die Stirne). Pirro!--Pirro! + +Pirro. Ein Bekannter?--(Indem Angelo vollends hereintritt und den +Mantel auseinanderschlaegt.) Himmel! Angelo?--Du? + +Angelo. Wie du siehst.--Ich bin lange genug um das Haus herumgegangen, +dich zu sprechen.--Auf ein Wort!--Pirro. Und du wagst es, wieder ans +Licht zu kommen?--Du bist seit deiner letzten Mordtat vogelfrei +erklaeret; auf deinen Kopf steht eine Belohnung + +Angelo. Die doch du nicht wirst verdienen wollen?--Pirro. Was willst +du?--Ich bitte dich, mache mich nicht ungluecklich. + +Angelo. Damit etwa? (Ihm einen Beutel mit Gelde zeigend.)--Nimm! Es +gehoeret dir! + +Pirro. Mir? + +Angelo. Hast du vergessen? Der Deutsche, dein voriger Herr--Pirro. +Schweig davon! + +Angelo. Den du uns, auf dem Wege nach Pisa, in die Falle +fuehrtest--Pirro. Wenn uns jemand hoerte! + +Angelo. Hatte ja die Guete, uns auch einen kostbaren Ring zu +hinterlassen.--Weisst du nicht?--Er war zu kostbar, der Ring, als dass +wir ihn sogleich ohne Verdacht haetten zu Gelde machen koennen. Endlich +ist mir es damit gelungen. Ich habe hundert Pistolen dafuer erhalten, +und das ist dein Anteil. Nimm! + +Pirro. Ich mag nichts--behalt alles. + +Angelo. Meinetwegen!--wenn es dir gleichviel ist, wie hoch du deinen +Kopf feil traegst--(Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.) + +Pirro. So gib nur! (Nimmt ihn.)--Und was nun? Denn dass du bloss +deswegen mich aufgesucht haben solltest--Angelo. Das koemmt dir nicht +so recht glaublich vor?--Halunke! Was denkst du von uns?--dass wir +faehig sind, jemand seinen Verdienst vorzuenthalten? Das mag unter den +sogenannten ehrlichen Leuten Mode sein: unter uns nicht.--Leb wohl! +--(Tut, als ob er gehen wollte, und kehrt wieder um.) Eins muss ich +doch fragen.--Da kam ja der alte Galotti so ganz allein in die Stadt +gesprengt. Was will der? + +Pirro. Nichts will er; ein blosser Spazierritt. Seine Tochter wird +heut abend auf dem Gute, von dem er herkoemmt, dem Grafen Appiani +angetrauet. Er kann die Zeit nicht erwarten--Angelo. Und reitet bald +wieder hinaus? + +Pirro. So bald, dass er dich hier trifft, wo du noch lange verziehest. +--Aber du hast doch keinen Anschlag auf ihn? Nimm dich in acht. Er +ist ein Mann--Angelo. Kenn ich ihn nicht? Hab ich nicht unter ihm +gedienet?--Wenn darum bei ihm nur viel zu holen waere!--Wenn fahren die +junge Leute nach? + +Pirro. Gegen Mittag. + +Angelo. Mit viel Begleitung? + +Pirro. In einem einzigen Wagen.--die Mutter, die Tochter und der Graf. +Ein paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen. + +Angelo. Und Bediente? + +Pirro. Nur zwei; ausser mir, der ich zu Pferde voraufreiten soll. + +Angelo. Das ist gut.--Noch eins: wessen ist die Equipage? Ist es +eure? oder des Grafen? + +Pirro. Des Grafen. + +Angelo. Schlimm! Da ist noch ein Vorreiter, ausser einem handfesten +Kutscher. Doch!--Pirro. Ich erstaune. Aber was willst du?--Das +bisschen Schmuck, das die Braut etwa haben duerfte, wird schwerlich der +Muehe lohnen--Angelo. So lohnt ihrer die Braut selbst! + +Pirro. Und auch bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger +sein? + +Angelo. Du reitest vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an +nichts! + +Pirro. Nimmermehr! + +Angelo. Wie? ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen. +Bursche! ich denke, du kennst mich.--Wo du plauderst! Wo sich ein +einziger Umstand anders findet, als du mir ihn angegeben!--Pirro. Aber, +Angelo, um des Himmels willen!--Angelo. Tu, was du nicht lassen +kannst! (Geht ab.) + +Pirro. Ha! Lass dich den Teufel bei einem Haare fassen, und du bist +sein auf ewig! Ich Ungluecklicher! + + + +Vierter Auftritt + +Odoardo und Claudia Galotti. Pirro. + + +Odoardo. Sie bleibt mir zu lang aus--Claudia. Noch einen Augenblick, +Odoardo! Es wuerde sie schmerzen, deines Anblicks so zu verfehlen. + +Odoardo. Ich muss auch bei dem Grafen noch einsprechen. Kaum kann +ich's erwarten, diesen wuerdigen jungen Mann meinen Sohn zu nennen. +Alles entzueckt mich an ihm. Und vor allem der Entschluss, in seinen +vaeterlichen Taelern sich selbst zu leben. + +Claudia.--Das Herz bricht mir, wenn ich hieran gedenke.--So ganz +sollen wir sie verlieren, diese einzige, geliebte Tochter? + +Odoardo. Was nennst du, sie verlieren? Sie in den Armen der Liebe zu +wissen? Vermenge dein Vergnuegen an ihr nicht mit ihrem Gluecke.--Du +moechtest meinen alten Argwohn erneuern:--dass es mehr das Geraeusch und +die Zerstreuung der Welt, mehr die Naehe des Hofes war als die +Notwendigkeit, unserer Tochter eine anstaendige Erziehung zu geben, was +dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben--fern von einem Manne +und Vater, der euch so herzlich liebet. + +Claudia. Wie ungerecht, Odoardo! Aber lass mich heute nur ein +einziges Wort fuer diese Stadt, fuer diese Naehe des Hofes sprechen, die +deiner strengen Tugend so verhasst sind.--Hier, nur hier konnte die +Liebe zusammenbringen, was fuereinander geschaffen war. Hier nur +konnte der Graf Emilien finden; und fand sie. + +Odoardo. Das raeum ich ein. Aber, gute Claudia, hattest du darum +recht, weil dir der Ausgang recht gibt?--Gut, dass es mit dieser +Stadterziehung so abgelaufen! Lass uns nicht weise sein wollen, wo wir +nichts als gluecklich gewesen! Gut, dass es so damit abgelaufen!--Nun +haben sie sich gefunden, die fuereinander bestimmt waren: nun lass sie +ziehen, wohin Unschuld und Ruhe sie rufen.--Was sollte der Graf hier? +Sich buecken, schmeicheln und kriechen und die Marinellis auszustechen +suchen? um endlich ein Glueck zu machen, dessen er nicht bedarf? um +endlich einer Ehre gewuerdiget zu werden, die fuer ihn keine +waere?--Pirro! + +Pirro. Hier bin ich. + +Odoardo. Geh und fuehre mein Pferd vor das Haus des Grafen. Ich komme +nach und will mich da wieder aufsetzen. (Pirro geht ab.)--Warum soll +der Graf hier dienen, wenn er dort selbst befehlen kann?--Dazu +bedenkest du nicht, Claudia, dass durch unsere Tochter er es vollends +mit dem Prinzen verderbt. Der Prinz hasst mich--Claudia. Vielleicht +weniger, als du besorgest. + +Odoardo. Besorgest! Ich besorg auch so was! + +Claudia. Denn hab ich dir schon gesagt, dass der Prinz unsere Tochter +gesehen hat? + +Odoardo. Der Prinz? Und wo das? + +Claudia. In der letzten Vegghia, bei dem Kanzler Grimaldi, die er mit +seiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte sich gegen sie so +gnaedig--Odoardo. So gnaedig? + +Claudia. Er unterhielt sich mit ihr so lange--Odoardo. Unterhielt +sich mit ihr? + +Claudia. Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze so +bezaubert--Odoardo. So bezaubert?--Claudia. Hat von ihrer Schoenheit +mit so vielen Lobeserhebungen gesprochen--Odoardo. Lobeserhebungen? +Und das alles erzaehlst du mir in einem Tone der Entzueckung? O Claudia! +eitle, toerichte Mutter! + +Claudia. Wieso? + +Odoardo. Nun gut, nun gut! Auch das ist so abgelaufen.--Ha! wenn ich +mir einbilde--Das gerade waere der Ort, wo ich am toedlichsten zu +verwunden bin!--Ein Wolluestling, der bewundert, begehrt.--Claudia! +Claudia! der blosse Gedanke setzt mich in Wut.--Du haettest mir das +sogleich sollen gemeldet haben.--Doch, ich moechte dir heute nicht gern +etwas Unangenehmes sagen. Und ich wuerde (indem sie ihn bei der Hand +ergreift), wenn ich laenger bliebe.--Drum lass mich! lass mich!--Gott +befohlen, Claudia!--Kommt gluecklich nach! + + + +Fuenfter Auftritt + + +Claudia Galotti. Welch ein Mann!--Oh, der rauhen Tugend!--wenn anders +sie diesen Namen verdienet.--Alles scheint ihr verdaechtig, alles +strafbar!--Oder, wenn das die Menschen kennen heisst:--wer sollte sich +wuenschen, sie zu kennen?--Wo bleibt aber auch Emilia?--Er ist des +Vaters Feind: folglich--folglich, wenn er ein Auge fuer die Tochter hat, +so ist es einzig, um ihn zu beschimpfen? + + + +Sechster Auftritt + + +Emilia und Claudia Galotti. + +Emilia (stuerzet in einer aengstlichen Verwirrung herein). Wohl mir! +wohl mir!--Nun bin ich in Sicherheit. Oder ist er mir gar gefolgt? +(Indem sie den Schleier zurueckwirft und ihre Mutter erblicket.) Ist er, +meine Mutter? ist er? Nein, dem Himmel sei Dank! + +Claudia. Was ist dir, meine Tochter? was ist dir? + +Emilia. Nichts, nichts--Claudia. Und blickest so wild um dich? Und +zitterst an jedem Gliede? + +Emilia. Was hab ich hoeren muessen? Und wo, wo hab ich es hoeren muessen? + +Claudia. Ich habe dich in der Kirche geglaubt--Emilia. Eben da! Was +ist dem Laster Kirch' und Altar?--Ach, meine Mutter! (Sich ihr in die +Arme werfend.) + +Claudia. Rede, meine Tochter!--Mach meiner Furcht ein Ende.--Was kann +dir da, an heiliger Staette, so Schlimmes begegnet sein? + +Emilia. Nie haette meine Andacht inniger, bruenstiger sein sollen als +heute: nie ist sie weniger gewesen, was sie sein sollte. + +Claudia. Wir sind Menschen, Emilia. Die Gabe zu beten ist nicht +immer in unserer Gewalt. Dem Himmel ist beten wollen auch beten. + +Emilia. Und suendigen wollen auch suendigen. + +Claudia. Das hat meine Emilia nicht wollen! + +Emilia. Nein, meine Mutter; so tief liess mich die Gnade nicht sinken. +--Aber dass fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen +machen kann! + +Claudia. Fasse dich!--Sammle deine Gedanken, soviel dir moeglich.--Sag +es mir mit eins, was dir geschehen. + +Emilia. Eben hatt' ich mich--weiter von dem Altare, als ich sonst +pflege--denn ich kam zu spaet--, auf meine Knie gelassen. Eben fing +ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas seinen Platz +nahm. So dicht hinter mir!--Ich konnte weder vor noch zur Seite +ruecken--so gern ich auch wollte; aus Furcht, dass eines andern Andacht +mich in meiner stoeren moechte.--Andacht! das war das Schlimmste, was +ich besorgte.--Aber es waehrte nicht lange, so hoert' ich, ganz nah an +meinem Ohre--nach einem tiefen Seufzer--nicht den Namen einer +Heiligen--den Namen--zuernen Sie nicht, meine Mutter--den Namen Ihrer +Tochter!--Meinen Namen!--O dass laute Donner mich verhindert haetten, +mehr zu hoeren!--Es sprach von Schoenheit, von Liebe--Es klagte, dass +dieser Tag, welcher mein Glueck mache--wenn er es anders mache--sein +Unglueck auf immer entscheide.--Es beschwor mich--hoeren musst' ich dies +alles. Aber ich blickte nicht um; ich wollte tun, als ob ich es nicht +hoerte.--Was konnt' ich sonst?--Meinen guten Engel bitten, mich mit +Taubheit zu schlagen; und wann auch, wenn auch auf immer!--Das bat ich; +das war das einzige, was ich beten konnte.--Endlich ward es Zeit, +mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende. Ich zitterte, +mich umzukehren. Ich zitterte, ihn zu erblicken, der sich den Frevel +erlauben duerfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte--Claudia. +Wen, meine Tochter? + +Emilia. Raten Sie, meine Mutter, raten Sie--Ich glaubte in die Erde +zu sinken--Ihn selbst. + +Claudia. Wen, ihn selbst? + +Emilia. Den Prinzen. + +Claudia. Den Prinzen!--O gesegnet sei die Ungeduld deines Vaters, der +eben hier war und dich nicht erwarten wollte! + +Emilia. Mein Vater hier?--und wollte mich nicht erwarten? + +Claudia. Wenn du in deiner Verwirrung auch ihn das haettest hoeren +lassen! + +Emilia. Nun, meine Mutter?--Was haett' er an mir Strafbares finden +koennen? + +Claudia. Nichts; ebensowenig als an mir. Und doch, doch--Ha, du +kennest deinen Vater nicht! In seinem Zorne haett' er den unschuldigen +Gegenstand des Verbrechens mit dem Verbrecher verwechselt. In seiner +Wut haett' ich ihm geschienen, das veranlasst zu haben, was ich weder +verhindern noch vorhersehen koennen.--Aber weiter, meine Tochter, +weiter! Als du den Prinzen erkanntest--Ich will hoffen, dass du deiner +maechtig genug warest, ihm in einem Blicke alle die Verachtung zu +bezeigen, die er verdienst. + +Emilia. Das war ich nicht, meine Mutter! Nach dem Blicke, mit dem +ich ihn erkannte, hatt' ich nicht das Herz, einen zweiten auf ihn zu +richten. Ich floh--Claudia. Und der Prinz dir nach--Emilia. Was ich +nicht wusste, bis ich in der Halle mich bei der Hand ergriffen fuehlte. +Und von ihm! Aus Scham musst' ich standhalten: mich von ihm +loszuwinden wuerde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht +haben. Das war die einzige Ueberlegung, deren ich faehig war--oder +deren ich nun mich wieder erinnere. Er sprach; und ich hab ihm +geantwortet. Aber was er sprach, was ich ihm geantwortet--faellt mir +es noch bei, so ist es gut, so will ich es Ihnen sagen, meine Mutter. +Jetzt weiss ich von dem allen nichts. Meine Sinne hatten mich +verlassen.--Umsonst denk ich nach, wie ich von ihm weg und aus der +Halle gekommen. Ich finde mich erst auf der Strasse wieder, und hoere +ihn hinter mir herkommen, und hoere ihn mit mir zugleich in das Haus +treten, mit mir die Treppe hinaufsteigen--Claudia. Die Furcht hat +ihren besondern Sinn, meine Tochter! Ich werde es nie vergessen, mit +welcher Gebaerde du hereinstuerztest.--Nein, so weit durfte er nicht +wagen, dir zu folgen.--Gott! Gott! wenn dein Vater das wuesste!--Wie +wild er schon war, als er nur hoerte, dass der Prinz dich juengst nicht +ohne Missfallen gesehen!--Indes, sei ruhig, meine Tochter! Nimm es fuer +einen Traum, was dir begegnet ist. Auch wird es noch weniger Folgen +haben als ein Traum. Du entgehest heute mit eins allen Nachstellungen. + +Emilia. Aber, nicht, meine Mutter? Der Graf muss das wissen. Ihm muss +ich es sagen. + +Claudia. Um alle Welt nicht!--Wozu? warum? Willst du fuer nichts und +wieder fuer nichts ihn unruhig machen? Und wann er es auch itzt nicht +wuerde: wisse, mein Kind, dass ein Gift, welches nicht gleich wirket, +darum kein minder gefaehrliches Gift ist. Was auf den Liebhaber keinen +Eindruck macht, kann ihn auf den Gemahl machen. Den Liebhaber koennt' +es sogar schmeicheln, einem so wichtigen Mitbewerber den Rang +abzulaufen. Aber wenn er ihm den nun einmal abgelaufen hat: ah! mein +Kind--so wird aus dem Liebhaber oft ein ganz anderes Geschoepf. Dein +gutes Gestirn behuete dich vor dieser Erfahrung. + +Emilia. Sie wissen, meine Mutter, wie gern ich Ihren bessern +Einsichten mich in allem unterwerfe.--Aber, wenn er es von einem +andern erfuehre, dass der Prinz mich heute gesprochen? Wuerde mein +Verschweigen nicht, frueh oder spaet, seine Unruhe vermehren?--Ich +daechte doch, ich behielte lieber vor ihm nichts auf dem Herzen. + +Claudia. Schwachheit! verliebte Schwachheit!--Nein, durchaus nicht, +meine Tochter! Sag ihm nichts. Lass ihn nichts merken! + +Emilia. Nun ja, meine Mutter! Ich habe keinen Willen gegen den +Ihrigen.--Aha! (Mit einem tiefen Atemzuge.) Auch wird mir wieder ganz +leicht.--Was fuer ein albernes, furchtsames Ding ich bin!--Nicht, meine +Mutter?--Ich haette mich noch wohl anders dabei nehmen koennen und wuerde +mir ebensowenig vergeben haben. + +Claudia. Ich wollte dir das nicht sagen, meine Tochter, bevor dir es +dein eigner gesunder Verstand sagte. Und ich wusste, er wurde dir es +sagen, sobald du wieder zu dir selbst gekommen.--Der Prinz ist galant. +Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt. +Eine Hoeflichkeit wird in ihr zur Empfindung, eine Schmeichelei zur +Beteurung, ein Einfall zum Wunsche, ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts +klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in ihr so viel als +nichts. + +Emilia. O meine Mutter!--so muesste ich mir mit meiner Furcht vollends +laecherlich vorkommen!--Nun soll er gewiss nichts davon erfahren, mein +guter Appiani! Er koennte mich leicht fuer mehr eitel als tugendhaft +halten.--Hui! dass er da selbst koemmt! Es ist sein Gang. + + + +Siebenter Auftritt + +Graf Appiani. Die Vorigen. + + +Appiani (tritt tiefsinnig, mit vor sich hin geschlagenen Augen herein +und koemmt naeher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegenspringt). +Ah, meine Teuerste!--Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend. + +Emilia. Ich wuenschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht +vermuten.--So feierlich? so ernsthaft?--Ist dieser Tag keiner +freudigern Aufwallung wert? + +Appiani. Er ist mehr wert als mein ganzes Leben. Aber schwanger mit +so viel Glueckseligkeit fuer mich--mag es wohl diese Glueckseligkeit +selbst sein, die mich so ernst, die mich, wie Sie es nennen, mein +Fraeulein, so feierlich macht.--(Indem er die Mutter erblickt.) Ha! +auch Sie hier, meine gnaedige Frau!--nun bald mir mit einem innigern +Namen zu verehrende! + +Claudia. Der mein groesster Stolz sein wird!--Wie gluecklich bist du, +meine Emilia!--Warum hat dein Vater unsere Entzueckung nicht teilen +wollen? + +Appiani. Eben habe ich mich aus seinen Armen gerissen:--oder vielmehr, +er sich aus meinen.--Welch ein Mann, meine Emilia, Ihr Vater! Das +Muster aller maennlichen Tugend! Zu was fuer Gesinnungen erhebt sich +meine Seele in seiner Gegenwart! Nie ist mein Entschluss, immer gut, +immer edel zu sein, lebendiger, als wenn ich ihn sehe--wenn ich ihn +mir denke. Und womit sonst als mit der Erfuellung dieses Entschlusses +kann ich mich der Ehre wuerdig machen, sein Sohn zu heissen--der Ihrige +zu sein, meine Emilia? + +Emilia. Und er wollte mich nicht erwarten! + +Appiani. Ich urteile, weil ihn seine Emilia, fuer diesen +augenblicklichen Besuch, zu sehr erschuettert, zu sehr sich seiner +ganzen Seele bemaechtiget haette. + +Claudia. Er glaubte dich mit deinem Brautschmucke beschaeftiget zu +finden und hoerte--Appiani. Was ich mit der zaertlichsten Bewunderung +wieder von ihm gehoert habe.--So recht, meine Emilia! Ich werde eine +fromme Frau an Ihnen haben, und die nicht stolz auf ihre Froemmigkeit +ist. + +Claudia. Aber, meine Kinder, eines tun und das andere nicht lassen! +--Nun ist es hohe Zeit; nun mach, Emilia! + +Appiani. Was? meine gnaedige Frau. + +Claudia. Sie wollen sie doch nicht so, Herr Graf--so wie sie da ist, +zum Altare fuehren? + +Appiani. Wahrlich, das werd ich nun erst gewahr.--Wer kann Sie sehen, +Emilia, und auch auf Ihren Putz achten?--Und warum nicht so, so wie +sie da ist? + +Emilia. Nein, mein lieber Graf, nicht so; nicht ganz so. Aber auch +nicht viel praechtiger, nicht viel.--Husch, husch, und ich bin fertig! +--Nichts, gar nichts von dem Geschmeide, dem letzten Geschenke Ihrer +verschwenderischen Grossmut! Nichts, gar nichts, was sich nur zu +solchem Geschmeide schickte!--Ich koennte ihm gram sein, diesem +Geschmeide, wenn es nicht von Ihnen waere. Denn dreimal hat mir von +ihm getraeumt--Claudia. Nun! davon weiss ich ja nichts. + +Emilia. Als ob ich es truege, und als ob ploetzlich sich jeder Stein +desselben in eine Perle verwandele.--Perlen aber, meine Mutter, Perlen +bedeuten Traenen. + +Claudia. Kind!--Die Bedeutung ist traeumerischer als der Traum. +--Warest du nicht von jeher eine groessere Liebhaberin von Perlen als +von Steinen?--Emilia. Freilich, meine Mutter, freilich--Appiani +(nachdenkend und schwermuetig). Bedeuten Traenen--bedeuten Traenen! + +Emilia. Wie? Ihnen faellt das auf? Ihnen? + +Appiani. Jawohl, ich sollte mich schaemen.--Aber, wenn die +Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist--Emilia. +Warum ist sie das auch?--Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht +habe?--Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel?--Wissen +Sie es noch? + +Appiani. Ob ich es noch weiss? Ich sehe Sie in Gedanken nie anders +als so; und sehe Sie so, auch wenn ich Sie nicht so sehe. + +Emilia. Also, ein Kleid von der naemlichen Farbe, von dem naemlichen +Schnitte; fliegend und frei--Appiani. Vortrefflich! + +Emilia. Und das Haar--Appiani. In seinem eignen braunen Glanze; in +Locken, wie sie die Natur schlug--Emilia. Die Rose darin nicht zu +vergessen! Recht! recht!--Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor +Ihnen da! + + + +Achter Auftritt + +Graf Appiani. Claudia Galotti. + + +Appiani (indem er ihr mit einer niedergeschlagenen Miene nachsieht). +Perlen bedeuten Traenen!--Eine kleine Geduld!--Ja, wenn die Zeit nur +ausser uns waere!--Wenn eine Minute am Zeiger sich in uns nicht in Jahre +ausdehnen koennte!--Claudia. Emiliens Beobachtung, Herr Graf, war so +schnell als richtig. Sie sind heut ernster als gewoehnlich. Nur noch +einen Schritt von dem Ziele Ihrer Wuensche--sollt' es Sie reuen, Herr +Graf, dass es das Ziel Ihrer Wuensche gewesen? + +Appiani. Ah, meine Mutter, und Sie koennen das von Ihrem Sohne +argwoehnen?--Aber, es ist wahr; ich bin heut ungewoehnlich truebe und +finster.--Nur sehen Sie, gnaedig Frau:--noch einen Schritt vom Ziele +oder noch gar nicht ausgelaufen sein, ist im Grunde eines.--Alles was +ich sehe, alles was ich hoere, alles was ich traeume, prediget mir seit +gestern und ehegestern diese Wahrheit. Dieser eine Gedanke kettet +sich an jeden andern, den ich haben muss und haben will.--Was ist das? +Ich versteh es nicht.--Claudia. Sie machen mich unruhig, Herr +Graf--Appiani. Eines koemmt dann zum andern!--Ich bin aergerlich; +aergerlich ueber meine Freunde, ueber mich selbst--Claudia. Wieso? + +Appiani. Meine Freunde verlangen schlechterdings, dass ich dem Prinzen +von meiner Heirat ein Wort sagen soll, ehe ich sie vollziehe. Sie +geben mir zu, ich sei es nicht schuldig; aber die Achtung gegen ihn +woll' es nicht anders.--Und ich bin schwach genug gewesen, es ihnen zu +versprechen. Eben wollt' ich noch bei ihm vorfahren. + +Claudia (stutzig). Bei dem Prinzen? + + + +Neunter Auftritt + +Pirro, gleich darauf Marinelli und die Vorigen. + + +Pirro. Gnaedige Frau, der Marchese Marinelli haelt vor dem Hause und +erkundiget sich nach dem Herrn Grafen. + +Appiani. Nach mir? + +Pirro. Hier ist er schon. (Oeffnet ihm die Tuere und gehet ab.) + +Marinelli. Ich bitt um Verzeihung, gnaedige Frau.--Mein Herr Graf, ich +war vor Ihrem Hause und erfuhr, dass ich Sie hier treffen wuerde. Ich +hab ein dringendes Geschaeft an Sie--Gnaedige Frau, ich bitte nochmals +um Verzeihung; es ist in einigen Minuten geschehen. + +Claudia. Die ich nicht verzoegern will. (Macht ihm eine Verbeugung +und geht ab.) + + + +Zehnter Auftritt + +Marinelli. Appiani. + + +Ap piani. Nun, mein Herr? + +Marinelli. Ich komme von des Prinzen Durchlaucht. + +Appiani. Was ist zu seinem Befehle? + +Marinelli. Ich bin stolz, der Ueberbringer einer so vorzueglichen Gnade +zu sein.--Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner +ergebensten Freunde in mir verkennen will--Appiani. Ohne weitere +Vorrede, wenn ich bitten darf. + +Marinelli. Auch das!--Der Prinz muss sogleich an den Herzog von Massa, +in Angelegenheit seiner Vermaehlung mit dessen Prinzessin Tochter, +einen Bevollmaechtigten senden. Er war lange unschluessig, wen er dazu +ernennen sollte. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen. + +Appiani. Auf mich? + +Marinelli. Und das--wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf--nicht +ohne mein Zutun--Appiani. Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes +in Verlegenheit.--Ich habe schon laengst nicht mehr erwartet, dass der +Prinz mich zu brauchen geruhen werde.--Marinelli. Ich bin versichert, +dass es ihm bloss an einer wuerdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn +auch diese so eines Mannes wie Graf Appiani noch nicht wuerdig genug +sein sollte, so ist freilich meine Freundschaft zu voreilig gewesen. + +Appiani. Freundschaft und Freundschaft um das dritte Wort!--Mit wem +red ich denn? Des Marchese Marinelli Freundschaft haett' ich mir nie +traeumen lassen.--Marinelli. Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein +unverzeihliches Unrecht, dass ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein +wollen.--Bei dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen +angetragene Ehre bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie +werden sie mit Begierd' ergreifen. + +Appiani (nach einiger Ueberlegung). Allerdings. + +Marinelli. Nun so kommen Sie. + +Appiani. Wohin? + +Marinelli. Nach Dosalo, zu dem Prinzen.--Es liegt schon alles fertig; +und Sie muessen noch heut abreisen. + +Appiani. Was sagen Sie?--Noch heute? + +Marinelli. Lieber noch in dieser naemlichen Stunde als in der +folgenden. Die Sache ist von der aeussersten Eil'. + +Appiani. In Wahrheit?--So tut es mir leid, dass ich die Ehre, welche +mir der Prinz zugedacht, verbitten muss. + +Marinelli. Wie? + +Appiani. Ich kann heute nicht abreisen--auch morgen nicht--auch +uebermorgen noch nicht.--Marinelli. Sie scherzen, Herr Graf. + +Appiani. Mit Ihnen? + +Marinelli. Unvergleichlich! Wenn der Scherz dem Prinzen gilt, so ist +er um so viel lustiger.--Sie koennen nicht? + +Appiani. Nein, mein Herr, nein.--Und ich hoffe, dass der Prinz selbst +meine Entschuldigung wird gelten lassen. + +Marinelli. Die bin ich begierig zu hoeren. + +Appiani. Oh, eine Kleinigkeit!--Sehen Sie; ich soll noch heut eine +Frau nehmen. + +Marinelli. Nun? und dann? + +Appiani. Und dann?--und dann?--Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv. + +Marinelli. Man hat Exempel, Herr Graf, dass sich Hochzeiten +aufschieben lassen.--Ich glaube freilich nicht, dass der Braut oder dem +Braeutigam immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes +haben. Aber doch, daecht' ich, der Befehl des Herrn--Appiani. Der +Befehl des Herrn?--des Herrn? Ein Herr, den man sich selber waehlt, +ist unser Herr so eigentlich nicht--Ich gebe zu, dass Sie dem Prinzen +unbedingtem Gehorsam schuldig waeren. Aber nicht ich.--Ich kam an +seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu +dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines +groessern Herrn--Marinelli. Groesser oder kleiner: Herr ist Herr. + +Appiani. Dass ich mit Ihnen darueber strittet--Genug, sagen Sie dem +Prinzen, was Sie gehoert haben--dass es mir leid tut, seine Gnade nicht +annehmen zu koennen, weil ich eben heut eine Verbindung vollzoege, die +mein ganzes Glueck ausmache. + +Marinelli. Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem? + +Appiani. Mit Emilia Galotti. + +Marinelli. Der Tochter aus diesem Hause? + +Appiani. Aus diesem Hause. + +Marinelli. Hm! Hm! + +Appiani. Was beliebt? + +Marinelli. Ich sollte meinen, dass es sonach um so weniger +Schwierigkeit haben koenne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurueckkunft +auszusetzen. + +Appiani. Die Zeremonie? Nur die Zeremonie? + +Marinelli. Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen. + +Appiani. Die guten Eltern? + +Marinelli. Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiss. + +Appiani. Ja wohl gewiss?--Sie sind mit Ihrem ja wohl--ja wohl ein +ganzer Affe! + +Marinelli. Mir das, Graf? + +Appiani. Warum nicht? + +Marinelli. Himmel und Hoelle!--Wir werden uns sprechen. + +Appiani. Pah! Haemisch ist der Affe; aber--Marinelli. Tod und +Verdammnis!--Graf, ich fodere Genugtuung. + +Appiani. Das versteht sich. + +Marinelli. Und wuerde sie gleich itzt nehmen--nur dass ich dem +zaertlichen Braeutigam den heutigen Tag nicht verderben mag. + +Appiani. Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch! (Indem er ihn +bei der Hand ergreift.) Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht +schicken lassen, aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit +uebrig.--Kommen Sie, kommen Sie! + +Marinelli (der sich losreisst und abgeht). Nur Geduld, Graf, nur +Geduld! + + + +Elfter Auftritt + +Appiani. Claudia Galotti. + + +Appiani. Geh, Nichtswuerdiger!--Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist +in Wallung gekommen. Ich fuehle mich anders und besser. + +Claudia (eiligst und besorgt). Gott! Herr Graf--Ich hab einen +heftigen Wortwechsel gehoert.--Ihr Gesicht gluehet. Was ist vorgefallen? + +Appiani. Nichts, gnaedige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli +hat mir einen grossen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum +Prinzen ueberhoben. + +Claudia. In der Tat? + +Appiani. Wir koennen nun um so viel frueher abfahren. Ich gehe, meine +Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes +auch fertig. + +Claudia. Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf? + +Appiani. Ganz ruhig, gnaedige Frau. (Sie geht herein und er fort.) + + + + +Dritter Aufzug + +Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen. + + + +Erster Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Marinelli. Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der groessten +Verachtung aus. + +Der Prinz. Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird +Emilia noch heute die Seinige? + +Marinelli. Allem Ansehen nach. + +Der Prinz. Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel!--Wer weiss, +wie albern Sie sich dabei genommen.--Wenn der Rat eines Toren einmal +gut ist, so muss ihn ein gescheiter Mann ausfuehren. Das haett' ich +bedenken sollen. + +Marinelli. Da find ich mich schoen belohnt! + +Der Prinz. Und wofuer belohnt? + +Marinelli. Dass ich noch mein Leben darueber in die Schanze schlagen +wollte.--Als ich sahe, dass weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen +konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen, versucht' ich es, ihn in +Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, ueber die er sich vergass. Er +stiess Beleidigungen gegen mich aus, und ich forderte Genugtuung--und +forderte sie gleich auf der Stelle.--Ich dachte so: entweder er mich +oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun, +wenn auch; so muss er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit. + +Der Prinz. Das haetten Sie getan, Marinelli? + +Marinelli. Ha! man sollt' es voraus wissen, wenn man so toericht +bereit ist, sich fuer die Grossen aufzuopfern--man sollt' es voraus +wissen, wie erkenntlich sie sein wuerden--Der Prinz. Und der Graf?--Er +stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht zweimal sagen zu lassen. + +Marinelli. Nachdem es faellt, ohne Zweifel.--Wer kann es ihm +verdenken?--Er versetzte, dass er auf heute doch noch etwas Wichtigers +zu tun habe, als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er +mich auf die ersten acht Tage nach der Hochzeit. + +Der Prinz. Mit Emilia Galotti! Der Gedanke macht mich rasend! +--Darauf liessen Sie es gut sein und gingen--und kommen und prahlen, +dass Sie Ihr Leben fuer mich in die Schanze geschlagen, sich mir +aufgeopfert--Marinelli. Was wollen Sie aber, gnaediger Herr, das ich +weiter haette tun sollen? + +Der Prinz. Weiter tun?--Als ob er etwas getan haette! + +Marinelli. Und lassen Sie doch hoeren, gnaediger Herr, was Sie fuer sich +selbst getan haben.--Sie waren so gluecklich, sie noch in der Kirche zu +sprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet? + +Der Prinz (hoehnisch). Neugierde zur Genuege!--Die ich nur befriedigen +muss.--Oh, es ging alles nach Wunsch.--Sie brauchen sich nicht weiter +zu bemuehen, mein allzu dienstfertiger Freund!--Sie kam meinem +Verlangen mehr als halbes Weges entgegen. Ich haette sie nur gleich +mitnehmen duerfen. (Kalt und befehlend.) Nun wissen Sie, was Sie +wissen wollen--und koennen gehn! + +Marinelli. Und koennen gehn!--Ja, ja, das ist das Ende vom Liede! und +wuerd' es sein, gesetzt auch, ich wollte noch das Unmoegliche versuchen. +--Das Unmoegliche sag ich?--So unmoeglich waer' es nun wohl nicht; aber +kuehn!--Wenn wir die Braut in unserer Gewalt haetten, so stuend' ich +dafuer, dass aus der Hochzeit nichts werden sollte. + +Der Prinz. Ei! wofuer der Mann nicht alles stehen will! Nun duerft' +ich ihm nur noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte +sich an der Landstrasse damit in Hinterhalt und fiele selbst funfziger +einen Wagen an, und riss' ein Maedchen heraus, das er im Triumphe mir +zubraechte. + +Marinelli. Es ist eher ein Maedchen mit Gewalt entfuehrt worden, ohne +dass es einer gewaltsamen Entfuehrung aehnlich gesehen. + +Der Prinz. Wenn Sie das zu machen wuessten, so wuerden Sie nicht erst +lange davon schwatzen. + +Marinelli. Aber fuer den Ausgang muesste man nicht stehen sollen.--Es +koennten sich Ungluecksfaelle dabei ereignen--Der Prinz. Und es ist meine +Art, dass ich Leute Dinge verantworten lasse, wofuer sie nicht koennen! + +Marinelli. Also, gnaediger Herr--(Man hoert von weitem einen Schuss.) Ha! +was war das?--Hoert' ich recht?--Hoerten Sie nicht auch, gnaediger Herr, +einen Schuss fallen?--Und da noch einen! + +Der Prinz. Was ist das? was gibt's? + +Marinelli. Was meinen Sie wohl?--Wie, wann ich taetiger waere, als Sie +glauben? + +Der Prinz. Taetiger?--So sagen Sie doch--Marinelli. Kurz: wovon ich +gesprochen, geschieht. + +Der Prinz. Ist es moeglich? + +Marinelli. Nur vergessen Sie nicht, Prinz, wessen Sie mich eben +versichert.--Ich habe nochmals Ihr Wort--Der Prinz. Aber die Anstalten +sind doch so--Marinelli. Als sie nur immer sein koennen!--Die +Ausfuehrung ist Leuten anvertrauet, auf die ich mich verlassen kann. +Der Weg geht hart an der Planke des Tiergartens vorbei. Da wird ein +Teil den Wagen angefallen haben; gleichsam, um ihn zu pluendern. Und +ein anderer Teil, wobei einer von meinen Bedienten ist, wird aus dem +Tiergarten gestuerzt sein; den Angefallenen gleichsam zur Huelfe. +Waehrend des Handgemenges, in das beide Teile zum Schein geraten, soll +mein Bedienter Emilien ergreifen, als ob er sie retten wolle, und +durch den Tiergarten in das Schloss bringen.--So ist die Abrede.--Was +sagen Sie nun, Prinz? + +Der Prinz. Sie ueberraschen mich auf eine sonderbare Art.--Und eine +Bangigkeit ueberfaellt mich--(Marinelli geht an das Fenster.) Wornach +sehen Sie? + +Marinelli. Dahinaus muss es sein!--Recht!--und eine Maske koemmt +bereits um die Planke gesprengt--ohne Zweifel, mir den Erfolg zu +berichten.--Entfernen Sie sich, gnaediger Herr. + +Der Prinz. Ah, Marinelli--Marinelli. Nun? Nicht wahr, nun hab ich zu +viel getan, und vorhin zu wenig? + +Der Prinz. Das nicht. Aber ich sehe bei alledem nicht ab--Marinelli. +Absehn?--Lieber alles mit eins!--Geschwind, entfernen Sie sich.--Die +Maske muss Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Marinelli und bald darauf Angelo. + + +Marinelli (der wieder nach dem Fenster geht). Dort faehrt der Wagen +langsam nach der Stadt zurueck.--So langsam? Und in jedem Schlage ein +Bedienter?--Das sind Anzeichen, die mir nicht gefallen--dass der +Streich wohl nur halb gelungen ist:--dass man einen Verwundeten +gemaechlich zurueckfuehret--und keinen Toten.--Die Maske steigt ab.--Es +ist Angelo selbst. Der Tolldreiste!--Endlich, hier weiss er die +Schliche.--Er winkt mir zu. Er muss seiner Sache gewiss sein.--Ha, Herr +Graf, der Sie nicht nach Massa wollten, und nun noch einen weitern Weg +muessen!--Wer hatte Sie die Affen so kennen gelehrt? (Indem er nach +der Tuere zugeht.) Jawohl sind sie haemisch.--Nun, Angelo? + +Angelo (der die Maske abgenommen). Passen Sie auf, Herr Kammerherr! +Man muss sie gleich bringen. + +Marinelli. Und wie lief es sonst ab? + +Angelo. Ich denke ja, recht gut. + +Marinelli. Wie steht es mit dem Grafen? + +Angelo. Zu dienen! So, so!--Aber er muss Wind gehabt haben. Denn er +war nicht so ganz unbereitet. + +Marinelli. Geschwind sage mir, was du mir zu sagen hast!--Ist er tot? + +Angelo. Es tut mir leid um den guten Herrn. + +Marinelli. Nun da, fuer dein mitleidiges Herz! (Gibt ihm einen Beutel +mit Gold.) + +Angelo. Vollends mein braver Nicolo! der das Bad mit bezahlen muessen. + +Marinelli. So? Verlust auf beiden Seiten? + +Angelo. Ich koennte weinen um den ehrlichen Jungen! Ob mir sein Tod +schon das (indem er den Beutel in der Hand wieget) um ein Vierteil +verbessert. Denn ich bin sein Erbe, weil ich ihn geraechet habe. Das +ist so unser Gesetz; ein so gutes, mein ich, als fuer Treu' und +Freundschaft je gemacht worden. Dieser Nicolo, Herr Kammerherr +--Marinelli. Mit deinem Nicolo!--Aber der Graf, der Graf--Angelo. +Blitz! der Graf hatte ihn gut gefasst. Dafuer fasst' ich auch wieder +den Grafen!--Er stuerzte; und wenn er noch lebendig zurueck in die +Kutsche kam, so steh ich dafuer, dass er nicht lebendig wieder +herauskommt. + +Marinelli. Wenn das nur gewiss ist, Angelo. + +Angelo. Ich will Ihre Kundschaft verlieren, wenn es nicht gewiss ist! +--Haben Sie noch was zu befehlen? Denn mein Weg ist der weiteste: wir +wollen heute noch ueber die Grenze. + +Marinelli. So geh. + +Angelo. Wenn wieder was vorfaellt, Herr Kammerherr--Sie wissen, wo ich +zu erfragen bin. Was sich ein andrer zu tun getrauet, wird fuer mich +auch keine Hexerei sein. Und billiger bin ich als jeder andere. +(Geht ab.) + +Marinelli. Gut das!--Aber doch nicht so recht gut.--Pfui, Angelo! so +ein Knicker zu sein! Einen zweiten Schuss waere er ja wohl noch wert +gewesen.--Und wie er sich vielleicht nun martern muss, der arme Graf! +--Pfui, Angelo! Das heisst sein Handwerk sehr grausam treiben--und +verpfuschen.--Aber davon muss der Prinz noch nichts wissen. Er muss +erst selbst finden, wie zutraeglich ihm dieser Tod ist.--Dieser Tod! +--Was gaeb' ich um die Gewissheit! + + + +Dritter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Der Prinz. Dort koemmt sie die Allee herauf. Sie eilet vor dem +Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, befluegelt ihre Fuesse. Sie +muss noch nichts argwoehnen. Sie glaubt sich nur vor Raeubern zu retten. +--Aber wie lange kann das dauren? + +Marinelli. So haben wir sie doch fuers erste. + +Der Prinz. Und wird die Mutter sie nicht aufsuchen? Wird der Graf +ihr nicht nachkommen? Was sind wir alsdenn weiter? Wie kann ich sie +ihnen vorenthalten? + +Marinelli. Auf das alles weiss ich freilich noch nichts zu antworten. +Aber wir muessen sehen. Gedulden Sie sich, gnaediger Herr. Der erste +Schritt musste doch getan sein.--Der Prinz. Wozu? wenn wir ihn +zuruecktun muessen. + +Marinelli. Vielleicht muessen wir nicht.--Da sind tausend Dinge, auf +die sich weiter fussen laesst.--Und vergessen Sie denn das Vornehmste? + +Der Prinz. Wie kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht +gedacht habe?--Das Vornehmste? was ist das? + +Marinelli. Die Kunst zu gefallen, zu ueberreden--die einem Prinzen, +welcher liebt, nie fehlet. + +Der Prinz. Nie fehlet? Ausser, wo er sie gerade am noetigsten brauchte. +--Ich habe von dieser Kunst schon heut einen zu schlechten Versuch +gemacht. Mit allen Schmeicheleien und Beteuerungen konnt' ich ihr +auch nicht ein Wort auspressen. Stumm und niedergeschlagen und +zitternd stand sie da; wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil +hoeret. Ihre Angst steckte mich an, ich zitterte mit und schloss mit +einer Bitte um Vergebung. Kaum getrau ich mir, sie wieder anzureden. +--Bei ihrem Eintritte wenigstens wag ich es nicht zu sein. Sie, +Marinelli, muessen sie empfangen. Ich will hier in der Naehe hoeren, wie +es ablaeuft; und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe. + + + +Vierter Auftritt + +Marinelli, und bald darauf dessen Bedienter Battista mit Emilien. + + +Marinelli. Wenn sie ihn nicht selbst stuerzen gesehen--Und das muss sie +wohl nicht; da sie so fortgeeilet--Sie koemmt. Auch ich will nicht das +erste sein, was ihr hier in die Augen faellt. (Er zieht sich in einen +Winkel des Saales zurueck.) + +Battista. Nur hier herein, gnaediges Fraeulein! + +Emilia (ausser Atem). Ah!--Ah!--Ich danke Ihm, mein Freund--ich dank +Ihm.--Aber Gott, Gott! wo bin ich?--Und so ganz allein? Wo bleibt +meine Mutter? Wo blieb der Graf?--Sie kommen doch nach? mir auf dem +Fusse nach? + +Battista. Ich vermute. + +Emilia. Er vermutet? Er weiss es nicht? Er sah sie nicht?--Ward +nicht gar hinter uns geschossen?--Battista. Geschossen?--Das waere! +--Emilia. Ganz gewiss! Und das hat den Grafen oder meine Mutter +getroffen.--Battista. Ich will gleich nach ihnen ausgehen. + +Emilia. Nicht ohne mich.--Ich will mit; ich muss mit: komm' Er, mein +Freund! + +Marinelli (der ploetzlich herzutritt, als ob er eben hereinkaeme). Ah, +gnaediges Fraeulein! Was fuer ein Unglueck, oder vielmehr, was fuer ein +Glueck--was fuer ein glueckliches Unglueck verschafft uns die Ehre--Emilia +(stutzend). Wie? Sie hier, mein Herr?--Ich bin also wohl bei +Ihnen?--Verzeihen Sie, Herr Kammerherr. Wir sind von Raeubern ohnfern +ueberfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Hilfe--und dieser +ehrliche Mann hob mich aus dem Wagen und brachte mich hierher.--Aber +ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehen. Meine Mutter ist noch +in der Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht +tot--und ich lebe?--Verzeihen Sie. Ich muss fort; ich muss wieder +hin--wo ich gleich haette bleiben sollen. + +Marinelli. Beruhigen Sie sich, gnaediges Fraeulein. Es stehet alles +gut; sie werden bald bei Ihnen sein, die geliebten Personen, fuer die +Sie so viel zaertliche Angst empfinden.--Indes, Battista, geh, lauf: +sie duerften vielleicht nicht wissen, wo das Fraeulein ist. Sie duerften +sie vielleicht in einem von den Wirtschaftshaeusern des Gartens suchen. +Bringe sie unverzueglich hierher. (Battista geht ab.) + +Emilia. Gewiss? Sind sie alle geborgen? Ist ihnen nichts +widerfahren?--Ah, was ist dieser Tag fuer ein Tag des Schreckens fuer +mich!--Aber ich sollte nicht hier bleiben--ich sollte ihnen +entgegeneilen--Marinelli. Wozu das, gnaediges Fraeulein? Sie sind +ohnedem schon ohne Atem und Kraefte. Erholen Sie sich vielmehr und +geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit ist.--Ich will +wetten, dass der Prinz schon selbst um Ihre teure, ehrwuerdige Mutter +ist und sie Ihnen zufuehret. + +Emilia. Wer, sagen Sie? + +Marinelli. Unser gnaedigster Prinz selbst. + +Emilia (aeusserst bestuerzt). Der Prinz? + +Marinelli. Er floh auf die erste Nachricht Ihnen zu Huelfe.--Er ist +hoechst ergrimmt, dass ein solches Verbrechen ihm so nahe, unter seinen +Augen gleichsam, hat duerfen gewagt werden. Er laesst den Taetern +nachsetzen, und ihre Strafe, wenn sie ergriffen werden, wird unerhoert +sein. + +Emilia. Der Prinz!--Wo bin ich denn also? + +Marinelli. Auf Dosalo, dem Lustschlosse des Prinzen. + +Emilia. Welch ein Zufall!--Und Sie glauben, dass er gleich selbst +erscheinen koenne?--Aber doch in Gesellschaft meiner Mutter? + +Marinelli. Hier ist er schon. + + + +Fuenfter Auftritt + +Der Prinz. Emilia. Marinelli. + + +Der Prinz. Wo ist sie? wo?--Wir suchen Sie ueberall, schoenstes +Fraeulein.--Sie sind doch wohl?--Nun so ist alles wohl! Der Graf, Ihre +Mutter--Emilia. Ah, gnaedigster Herr! Wo sind sie? Wo ist meine +Mutter? + +Der Prinz. Nicht weit; hier ganz in der Naehe. + +Emilia. Gott, in welchem Zustande werde ich die eine oder den andern +vielleicht treffen! Ganz gewiss treffen!--denn Sie verhehlen mir, +gnaediger Herr--ich seh es, Sie verhehlen mir--Der Prinz. Nicht doch, +bestes Fraeulein.--Geben Sie mir Ihren Arm und folgen Sie mir getrost. + +Emilia (unentschlossen). Aber--wenn ihnen nichts widerfahren--wenn +meine Ahnungen mich truegen:--warum sind sie nicht schon hier? Warum +kamen sie nicht mit Ihnen, gnaediger Herr? + +Der Prinz. So eilen Sie doch, mein Fraeulein, alle diese +Schreckenbilder mit eins verschwinden zu sehen. + +Emilia. Was soll ich tun? (Die Haende ringend.) + +Der Prinz. Wie, mein Fraeulein? Sollten Sie einen Verdacht gegen mich +hegen?--Emilia (die vor ihm niederfaellt). Zu Ihren Fuessen, gnaediger +Herr--Der Prinz (sie aufhebend). Ich bin aeusserst beschaemt.--Ja, Emilia, +ich verdiene diesen stummen Vorwurf.--Mein Betragen diesen Morgen ist +nicht zu rechtfertigen:--zu entschuldigen hoechstens. Verzeihen Sie +meiner Schwachheit.--Ich haette Sie mit keinem Gestaendnisse beunruhigen +sollen, von dem ich keinen Vorteil zu erwarten habe. Auch ward ich +durch die sprachlose Bestuerzung, mit der Sie es anhoerten, oder +vielmehr nicht anhoerten, genugsam bestraft.--Und koennt' ich schon +diesen Zufall, der mir nochmals, ehe alle meine Hoffnung auf ewig +verschwindet--mir nochmals das Glueck, Sie zu sehen und zu sprechen, +verschafft; koennt' ich schon diesen Zufall fuer den Wink eines +guenstigen Glueckes erklaeren--fuer den wunderbarsten Aufschub meiner +endlichen Verurteilung erklaeren, um nochmals um Gnade flehen zu duerfen: +so will ich doch--beben Sie nicht, mein Fraeulein--einzig und allein +von Ihrem Blicke abhangen. Kein Wort, kein Seufzer soll Sie +beleidigen.--Nur kraenke mich nicht Ihr Misstrauen. Nur zweifeln Sie +keinen Augenblick an der unumschraenktesten Gewalt, die Sie ueber mich +haben. Nur falle Ihnen nie bei, dass Sie eines andern Schutzes gegen +mich beduerfen.--Und nun kommen Sie, mein Fraeulein--kommen Sie, wo +Entzueckungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen. (Er fuehrt sie, +nicht ohne Straeuben, ab.) Folgen Sie uns, Marinelli.--Marinelli. +Folgen Sie uns--das mag heissen: folgen Sie uns nicht!--Was haette ich +ihnen auch zu folgen? Er mag sehen, wie weit er es unter vier Augen +mit ihr bringt.--Alles, was ich zu tun habe, ist--zu verhindern, dass +sie nicht gestoeret werden. Von dem Grafen zwar hoffe ich nun wohl +nicht. Aber von der Mutter; von der Mutter! Es sollte mich sehr +wundern, wenn die so ruhig abgezogen waere und ihre Tochter im Stiche +gelassen haette.--Nun, Battista? was gibt's? + + + +Sechster Auftritt + +Battista. Marinelli. + + +Battista (eiligst). Die Mutter, Herr Kammerherr--Marinelli. Dacht' +ich's doch!--Wo ist sie? + +Battista. Wann Sie ihr nicht zuvorkommen, so wird sie den Augenblick +hier sein.--Ich war gar nicht willens, wie Sie mir zum Schein geboten, +mich nach ihr umzusehen: als ich ihr Geschrei von weitem hoerte. Sie +ist der Tochter auf der Spur, und wo nur nicht--unserm ganzen +Anschlage! Alles, was in dieser einsamen Gegend von Menschen ist, hat +sich um sie versammelt; und jeder will der sein, der ihr den Weg +weiset. Ob man ihr schon gesagt, dass der Prinz hier ist, dass Sie hier +sind, weiss ich nicht.--Was wollen Sie tun? + +Marinelli. Lass sehen!--(Er ueberlegt.) Sie nicht einlassen, wenn sie +weiss, dass die Tochter hier ist?--Das geht nicht.--Freilich, sie wird +Augen machen, wenn sie den Wolf bei dem Schaefchen sieht.--Augen? Das +moechte noch sein. Aber der Himmel sei unsern Ohren gnaedig!--Nun was? +die beste Lunge erschoepft sich, auch sogar eine weibliche. Sie hoeren +alle auf zu schreien, wenn sie nicht mehr koennen.--Dazu, es ist doch +einmal die Mutter, die wir auf unserer Seite haben muessen.--Wenn ich +die Muetter recht kenne--so etwas von einer Schwiegermutter eines +Prinzen zu sein, schmeichelt die meisten.--Lass sie kommen, Battista, +lass sie kommen! + +Battista. Hoeren Sie! hoeren Sie! + +Claudia Galotti (innerhalb). Emilia! Emilia! Mein Kind, wo bist du? + +Marinelli. Geh, Battista, und suche nur ihre neugierigen Begleiter zu +entfernen. + + + +Siebenter Auftritt + +Claudia Galotti. Battista. Marinelli. + + +Claudia (die in die Tuer tritt, indem Battista herausgehen will). Ha! +der hob sie aus dem Wagen! Der fuehrte sie fort! Ich erkenne dich. +Wo ist sie? Sprich, Ungluecklicher! + +Battista. Das ist mein Dank? + +Claudia. Oh, wenn du Dank verdienest (in einem gelinden Tone)--so +verzeihe mir, ehrlicher Mann!--Wo ist sie?--Lasst mich sie nicht laenger +entbehren. Wo ist sie? + +Battista. Oh, Ihre Gnaden, sie koennte in dem Schosse der Seligkeit +nicht aufgehobner sein.--Hier mein Herr wird Ihre Gnaden zu ihr fuehren. +(Gegen einige Leute, die nachdringen wollen.) Zurueck da! ihr! + + + +Achter Auftritt + +Claudia Galotti. Marinelli. + + +Claudia. Dein Herr?--(Erblickt den Marinelli und faehrt zurueck.) Ha! +--Das dein Herr?--Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und +Sie, Sie sollen mich zu ihr fuehren? + +Marinelli. Mit vielem Vergnuegen, gnaedige Frau. + +Claudia. Halten Sie!--Eben faellt mir es bei--Sie waren es +ja--nicht?--der den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte? +mit dem ich ihn allein liess? mit dem er Streit bekam? + +Marinelli. Streit?--Was ich nicht wuesste: ein unbedeutender +Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten--Claudia. Und +Marinelli heissen Sie? + +Marinelli. Marchese Marinelli. + +Claudia. So ist es richtig.--Hoeren Sie doch, Herr Marchese. +--Marinelli war--der Name Marinelli war--begleitet mit einer +Verwuenschung--Nein, dass ich den edeln Mann nicht verleumde!--begleitet +mit keiner Verwuenschung--Die Verwuenschung denk ich hinzu--Der Name +Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen. + +Marinelli. Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani?--Sie hoeren, +gnaedige Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffaellt. +--Des sterbenden Grafen?--Was Sie sonst sagen wollen, versteh ich +nicht. + +Claudia (bitter und langsam). Der Name Marinelli war das letzte Wort +des sterbenden Grafen!--Verstehen Sie nun?--Ich verstand es erst auch +nicht, obschon mit einem Tone gesprochen--mit einem Tone!--Ich hoere +ihn noch! Wo waren meine Sinne, dass sie diesen Ton nicht sogleich +verstanden? + +Marinelli. Nun, gnaedige Frau?--Ich war von jeher des Grafen Freund; +sein vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben +nannte--Claudia. Mit dem Tone?--Ich kann ihn nicht nachmachen; ich +kann ihn nicht beschreiben: aber er enthielt alles! alles!--Was? +Raeuber waeren es gewesen, die uns anfielen?--Moerder waren es; erkaufte +Moerder!--Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden +Grafen! Mit einem Tone! + +Marinelli. Mit einem Tone?--Ist es erhoert, auf einen Ton, in einem +Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen +Mannes zu gruenden? + +Claudia. Ha, koennt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton! +--Doch, weh mir! Ich vergesse darueber meine Tochter.--Wo ist +sie?--Wie? auch tot?--Was konnte meine Tochter dafuer, dass Appiani dein +Feind war? + +Marinelli. Ich verzeihe der bangen Mutter.--Kommen Sie, gnaedige +Frau--Ihre Tochter ist hier; in einem von den naechsten Zimmern, und +hat sich hoffentlich von ihrem Schrecken schon voellig erholt. Mit der +zaertlichsten Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschaeftiget--Claudia. +Wer?--Wer selbst? + +Marinelli. Der Prinz. + +Claudia. Der Prinz?--Sagen Sie wirklich der Prinz?--Unser Prinz? + +Marinelli. Welcher sonst? + +Claudia. Nun dann!--Ich unglueckselige Mutter!--Und ihr Vater! ihr +Vater!--Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich +verfluchen. + +Marinelli. Um des Himmels willen, gnaedige Frau! Was faellt Ihnen nun +ein? + +Claudia. Es ist klar!--Ist es nicht?--Heute im Tempel! vor den Augen +der Allerreinesten! in der naehern Gegenwart des Ewigen!--begann das +Bubenstueck, da brach es aus! (Gegen den Marinelli.) Ha, Moerder! +feiger, elender Moerder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden, +aber nichtswuerdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu +morden!--morden zu lassen!--Abschaum aller Moerder!--Was ehrliche +Moerder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich!--Denn +warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit +einem einzigen Worte ins Gesicht speien?--Dich! Dich Kuppler! + +Marinelli. Sie schwaermen, gute Frau.--Aber maessigen Sie wenigstens Ihr +wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind. + +Claudia. Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin?--Was kuemmert es die Loewin, +der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie bruellet? + +Emilia (innerhalb). Ha, meine Mutter! Ich hoere meine Mutter! + +Claudia. Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehoert, sie hat +mich gehoert. Und ich sollte nicht schreien?--Wo bist du, mein Kind? +Ich komme, ich komme! (Sie stuerzt in das Zimmer und Marinelli ihr +nach.) + + + + +Vierter Aufzug + +Die Szene bleibt. + + + +Erster Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Der Prinz (als aus dem Zimmer von Emilien kommend). Kommen Sie, +Marinelli! Ich muss mich erholen--und muss Licht von Ihnen haben. + +Marinelli. O der muetterlichen Wut! Ha! ha! ha! + +Der Prinz. Sie lachen? + +Marinelli. Wenn Sie gesehen haetten, Prinz, wie toll sich hier, hier +im Saale, die Mutter gebaerdete--Sie hoerten sie ja wohl schreien!--und +wie zahm sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen--Ha! +ha!--Das weiss ich ja wohl, dass keine Mutter einem Prinzen die Augen +auskratzt, weil er ihre Tochter schoen findet. + +Der Prinz. Sie sind ein schlechter Beobachter!--Die Tochter stuerzte +der Mutter ohnmaechtig in die Arme. Darueber vergass die Mutter ihre Wut, +nicht ueber mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich, wenn sie es +nicht lauter, nicht deutlicher sagte--was ich lieber selbst nicht +gehoert, nicht verstanden haben will. + +Marinelli. Was, gnaediger Herr? + +Der Prinz. Wozu die Verstellung?--Heraus damit. Ist es wahr? oder +ist es nicht wahr? + +Marinelli. Und wenn es denn waere! + +Der Prinz. Wenn es denn waere?--Also ist es?--Er ist tot? +tot?--(Drohend.) Marinelli! Marinelli! + +Marinelli. Nun? + +Der Prinz. Bei Gott! Bei dem allgerechten Gott! Ich bin unschuldig +an diesem Blute.--Wenn Sie mir vorher gesagt haetten, dass es dem Grafen +das Leben kosten werde--Nein, nein! und wenn es mir selbst das Leben +gekostet haette!--Marinelli. Wenn ich Ihnen vorher gesagt haette?--Als +ob sein Tod in meinem Plane gewesen waere! Ich hatte es dem Angelo auf +die Seele gebunden, zu verhueten, dass niemanden Leides geschaehe. Es +wuerde auch ohne die geringste Gewalttaetigkeit abgelaufen sein, wenn +sich der Graf nicht die erste erlaubt haette. Er schoss Knall und Fall +den einen nieder. + +Der Prinz. Wahrlich, er haette sollen Spass verstehen! + +Marinelli. Dass Angelo sodann in Wut kam und den Tod seines Gefaehrten +raechte--Der Prinz. Freilich, das ist sehr natuerlich! + +Marinelli. Ich hab es ihm genug verwiesen. + +Der Prinz. Verwiesen? Wie freundschaftlich!--Warnen Sie ihn, dass er +sich in meinem Gebiete nicht betreten laesst. Mein Verweis moechte so +freundschaftlich nicht sein. + +Marinelli. Recht wohl!--Ich und Angelo, Vorsatz und Zufall: alles ist +eins.--Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen, +dass keiner der Ungluecksfaelle, die sich dabei ereignen koennten, mir +zuschulden kommen solle--Der Prinz. Die sich dabei ereignen--koennten, +sagen Sie? oder sollten? + +Marinelli. Immer besser!--Doch, gnaediger Herr--ehe Sie mir es mit dem +trocknen Worte sagen, wofuer Sie mich halten--eine einzige Vorstellung! +Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger als gleichgueltig. Ich +hatte ihn ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig, er ist ohne +diese aus der Welt gegangen, und meine Ehre bleibt beleidiget. +Gesetzt, ich verdiente unter jeden andern Umstaenden den Verdacht, den +Sie gegen mich hegen, aber auch unter diesen?--(Mit einer angenommenen +Hitze.) Wer das von mir denken kann!--Der Prinz (nachgebend). Nun gut, +nun gut--Marinelli. Dass er noch lebtet. O dass er noch lebte! Alles, +alles in der Welt wollte ich darum geben--(bitter) selbst die Gnade +meines Prinzen--diese unschaetzbare, nie zu verscherzende Gnade--wollt' +ich drum geben! + +Der Prinz. Ich verstehe.--Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, +blosser Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub es.--Aber wer +mehr? Auch die Mutter? Auch Emilia?--Auch die Welt? + +Marinelli (kalt). Schwerlich. + +Der Prinz. Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn +glauben?--Sie zucken die Achsel?--Ihren Angelo wird man fuer das +Werkzeug und mich fuer den Taeter halten--Marinelli (noch kaelter). +Wahrscheinlich genug. + +Der Prinz. Mich! mich selbst!--Oder ich muss von Stund' an alle +Absicht auf Emilien aufgeben--Marinelli (hoechst gleichgueltig). Was Sie +auch gemusst haetten--wenn der Graf noch lebte.--Der Prinz (heftig, aber +sich gleich wieder fassend). Marinelli!--Doch Sie sollen mich nicht +wild machen.--Es sei so--Es ist so! Und das wollen Sie doch nur sagen: +der Tod des Grafen ist fuer mich ein Glueck--das groesste Glueck, was mir +begegnen konnte--das einzige Glueck, was meiner Liebe zustatten kommen +konnte. Und als dieses--mag er doch geschehen sein, wie er will!--Ein +Graf mehr in der Welt oder weniger! Denke ich Ihnen so recht?--Topp! +auch ich erschrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter +Freund, muss es ein kleines Verbrechen, ein kleines stilles, heilsames +Verbrechen sein. Und sehen Sie, unseres da, waere nun gerade weder +stille noch heilsam. Es haette den Weg zwar gereiniget, aber zugleich +gesperrt. Jedermann wuerde es uns auf den Kopf zusagen--und leider +haetten wir es gar nicht einmal begangen!--Das liegt doch wohl nur bloss +an Ihren weisen, wunderbaren Anstalten? + +Marinelli. Wenn Sie so befehlen--Der Prinz. Woran sonst?--Ich will +Rede! + +Marinelli. Es koemmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehoert. + +Der Prinz. Rede will ich! + +Marinelli. Nun dann! Was laege an meinen Anstalten? dass den Prinzen +bei diesem Unfalle ein so sichtbarer Verdacht trifft?--An dem +Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit +einzumengen die Gnade hatte. + +Der Prinz. Ich? + +Marinelli. Er erlaube mir, ihm zu sagen, dass der Schritt, den er +heute morgen in der Kirche getan--mit so vielem Anstande er ihn auch +getan--so unvermeidlich er ihn auch tun musste--, dass dieser Schritt +dennoch nicht in den Tanz gehoerte. + +Der Prinz. Was verdarb er denn auch? + +Marinelli. Freilich nicht den ganzen Tanz, aber doch voritzo den Takt. + +Der Prinz. Hm! Versteh ich Sie? + +Marinelli. Also, kurz und einfaeltig. Da ich die Sache uebernahm, +nicht wahr, da wusste Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? +Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute? +und der Prinz indes den Grund meines Gebaeudes untergrub? + +Der Prinz (sich vor die Stirne schlagend). Verwuenscht! + +Marinelli. Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde fuehre? + +Der Prinz. Verdammter Einfall! + +Marinelli. Und wenn er es nicht selbst verraten haette?--Traun! Ich +moechte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten Mutter oder Tochter +den geringsten Argwohn gegen ihn schoepfen koennte? + +Der Prinz. Dass Sie recht haben! + +Marinelli. Daran tu ich freilich sehr unrecht--Sie werden verzeihen, +gnaediger Herr. + + + +Zweiter Auftritt + +Battista. Der Prinz. Marinelli. + + +Battista (eiligst). Eben koemmt die Graefin an. + +Der Prinz. Die Graefin? Was fuer eine Graefin? + +Battista. Orsina. + +Der Prinz. Orsina?--Marinelli!--Orsina?--Marinelli! + +Marinelli. Ich erstaune darueber nicht weniger als Sie selbst. + +Der Prinz. Geh, lauf, Battista: Sie soll nicht aussteigen. Ich bin +nicht hier. Ich bin fuer sie nicht hier. Sie soll augenblicklich +wieder umkehren. Geh, lauf!--(Battista geht ab.) Was will die Naerrin? +Was untersteht sie sich? Wie weiss sie, dass wir hier sind? Sollte +sie wohl auf Kundschaft kommen? Sollte sie wohl schon etwas vernommen +haben?--Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch!--Ist er +beleidiget, der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen +elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten? + +Marinelli. Ah, mein Prinz, sobald Sie wieder Sie sind, bin ich mit +ganzer Seele wieder der Ihrige!--Die Ankunft der Orsina ist mir ein +Raetsel wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was +wollen Sie tun? + +Der Prinz. Sie durchaus nicht sprechen, mich entfernen--Marinelli. +Wohl! und nur geschwind. Ich will sie empfangen--Der Prinz. Aber bloss, +um sie gehen zu heissen.--Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir +haben andere Dinge hier zu tun--Marinelli. Nicht doch, Prinz! Diese +andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, koemmt +sicherlich von selbst.--Aber hoer ich sie nicht schon?--Eilen Sie, +Prinz!--Da (auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz +begibt), wenn Sie wollen, werden Sie uns hoeren koennen.--Ich fuerchte, +ich fuerchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren. + + + +Dritter Auftritt + +Die Graefin Orsina. Marinelli. + + +Orsina (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken). Was ist +das?--Niemand koemmt mir entgegen, ausser ein Unverschaemter, der mir +lieber gar den Eintritt verweigert haette?--Ich bin doch zu Dosalo? Zu +dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschaeftiger Augendiener +entgegenstuerzte? wo mich sonst Liebe und Entzuecken erwarteten?--Der +Ort ist es, aber, aber!--Sieh da, Marinelli!--Recht gut, dass der Prinz +Sie mitgenommen.--Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen haette, +haette ich nur mit ihm auszumachen.--Wo ist er? + +Marinelli. Der Prinz, meine gnaedige Graefin? + +Orsina. Wer sonst? + +Marinelli. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier?--Er +wenigstens ist der Graefin Orsina hier nicht vermutend. + +Orsina. Nicht? So hat er meinen Brief heute morgen nicht erhalten? + +Marinelli. Ihren Brief? Doch ja, ich erinnere mich, dass er eines +Briefes von Ihnen erwaehnte. + +Orsina. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine +Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten?--Es ist wahr, es hat ihm nicht +beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, dass er eine +Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei +Antworts genug, und ich komme. + +Marinelli. Ein sonderbarer Zufall! + +Orsina. Zufall?--Sie hoeren ja, dass es verabredet worden. So gut als +verabredet. Von meiner Seite der Brief, von seiner die Tat.--Wie er +dasteht, der Herr Marchese! Was er fuer Augen macht! Wundert sich das +Gehirnchen? und worueber denn? + +Marinelli. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals +wieder vor die Augen zu kommen. + +Orsina. Bessrer Rat koemmt ueber Nacht.--Wo ist er? wo ist er?--Was +gilt's, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequieke, das Gekreische +hoerte?--Ich wollte herein, und der Schurke von Bedienten trat vor. + +Marinelli. Meine liebste, beste Graefin--Orsina. Es war ein weibliches +Gekreische. Was gilt's, Marinelli?--O sagen Sie mir doch, sagen Sie +mir--wenn ich anders Ihre liebste, beste Graefin bin--Verdammt, ueber +das Hofgeschmeiss! Soviel Worte, soviel Luegen! Nun, was liegt daran, +ob Sie mir es voraussagen oder nicht? Ich werd es ja wohl sehen. +(Will gehen.) + +Marinelli (der sie zurueckhaelt). Wohin? + +Orsina. Wo ich laengst sein sollte.--Denken Sie, dass es schicklich ist, +mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu +halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet? + +Marinelli. Sie irren sich, gnaedige Graefin. Der Prinz erwartet Sie +nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen--will Sie nicht +sprechen. + +Orsina. Und waere doch hier? und waere doch auf meinen Brief hier? + +Marinelli. Nicht auf Ihren Brief--Orsina. Den er ja erhalten, sagen +Sie--Marinelli. Erhalten, aber nicht gelesen. + +Orsina (heftig). Nicht gelesen?--(Minder heftig.) Nicht +gelesen?--(Wehmuetig und eine Traene aus dem Auge wischend.) Nicht +einmal gelesen? + +Marinelli. Aus Zerstreuung, weiss ich--Nicht aus Verachtung. + +Orsina (stolz). Verachtung?--Wer denkt daran?--Wem brauchen Sie das +zu sagen?--Sie sind ein unverschaemter Troester, Marinelli!--Verachtung! +Verachtung! Mich verachtet man auch! mich!--(Gelinder, bis zum Tone +der Schwermut.) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht. +Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das +ist natuerlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur +Gleichgueltigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli? + +Marinelli. Allerdings, allerdings. + +Orsina (hoehnisch). Allerdings?--O des weisen Mannes, den man sagen +lassen kann, was man will!--Gleichgueltigkeit! Gleichgueltigkeit an die +Stelle der Liebe?--Das heisst, nichts an die Stelle von etwas. Denn +lernen Sie, nachplauderndes Hofmaennchen, lernen Sie von einem Weibe, +dass Gleichgueltigkeit ein leeres Wort, ein blosser Schall ist, dem +nichts, gar nichts entspricht. Gleichgueltig ist die Seele nur gegen +das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das fuer sie kein Ding +ist. Und nur gleichgueltig fuer ein Ding, das kein Ding ist--das ist +soviel als gar nicht gleichgueltig.--Ist dir das zu hoch, Mensch? + +Marinelli (vor sich). O weh! wie wahr ist es, was ich fuerchtete! + +Orsina. Was murmeln Sie da? + +Marinelli. Lauter Bewunderung!--Und wem ist es nicht bekannt, gnaedige +Graefin, dass Sie eine Philosophin sind? + +Orsina. Nicht wahr?--Ja, ja, ich bin eine.--Aber habe ich mir es itzt +merken lassen, dass ich eine bin?--O pfui, wenn ich mir es habe merken +lassen, und wenn ich mir es oefterer habe merken lassen! Ist es wohl +noch Wunder, dass mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding +lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das +denkt, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll +es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schoepfung +bei guter Laune zu erhalten.--Nun, worueber lach ich denn gleich, +Marinelli?--Ach, jawohl! Ueber den Zufall! dass ich dem Prinzen +schreibe, er soll nach Dosalo kommen; dass der Prinz meinen Brief nicht +lieset und dass er doch nach Dosalo koemmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein +sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr naerrisch!--Und Sie lachen nicht +mit, Marinelli?--Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der +Schoepfung, ob wir arme Geschoepfe gleich nicht mitdenken duerfen. +--(Ernsthaft und befehlend.) So lachen Sie doch! + +Marinelli. Gleich, gnaedige Graefin, gleich! + +Orsina. Stock! Und darueber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein, +lachen Sie nur nicht.--Denn sehen Sie, Marinelli, (nachdenkend bis zur +Ruehrung) was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine +ernsthafte--sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt!--Zufall? +Ein Zufall waer' es, dass der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu +sprechen, und mich doch hier sprechen muss? Ein Zufall?--Glauben Sie +mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslaesterung. Nichts unter der +Sonne ist Zufall--am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die +Augen leuchtet.--Allmaechtige, allguetige Vorsicht, vergib mir, dass ich +mit diesem albernen Suender einen Zufall genennet habe, was so offenbar +dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist!--(Hastig gegen +Marinelli.) Kommen Sie mir und verleiten Sie mich noch einmal zu so +einem Frevel! + +Marinelli (vor sich). Das geht weit!--Aber gnaedige Graefin.... + +Orsina. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Ueberlegung--und mein +Kopf! mein Kopf! (Sich mit der Hand die Stirne haltend.)--Machen Sie, +Marinelli, machen Sie, dass ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst +bin ich es wohl gar nicht imstande.--Sie sehen, wir sollen uns +sprechen, wir muessen uns sprechen! + + + +Vierter Auftritt + +Der Prinz. Orsina. Marinelli. + + +Der Prinz (indem er aus dem Kabinette tritt, vor sich). Ich muss ihm +zu Hilfe kommen + +Orsina (die ihn erblickt, aber unentschluessig bleibt, ob sie auf ihn +zugeben soll). Ha! da ist er. + +Der Prinz (geht quer ueber den Saal, bei ihr vorbei, nach den andern +Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten). Sieh da! unsere schoene +Graefin.--Wie sehr bedaure ich, Madame, dass ich mir die Ehre Ihres +Besuchs fuer heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschaeftiget. +Ich bin nicht allein.--Ein andermal, meine liebe Graefin! Ein +andermal.--Itzt halten Sie laenger sich nicht auf. Ja nicht laenger! +--Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie. + + + +Fuenfter Auftritt + +Orsina. Marinelli. + + +Marinelli. Haben Sie es, gnaedige Graefin, nun von ihm selbst gehoert, +was Sie mir nicht glauben wollen? + +Orsina (wie betaeubt). Hab ich? hab ich wirklich? + +Marinelli. Wirklich. + +Orsina (mit Ruehrung). "Ich bin beschaeftiget. Ich bin nicht allein." +Ist das die Entschuldigung ganz, die ich wert bin? Wen weiset man +damit nicht ab? Jeden Ueberlaestigen, jeden Bettler. Fuer mich keine +einzige Luege mehr? Keine einzige kleine Luege mehr, fuer mich? +--Beschaeftiget? womit denn? Nicht allein? wer waere denn bei +ihm?--Kommen Sie, Marinelli; aus Barmherzigkeit, lieber Marinelli! +Luegen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was kostet Ihnen denn +eine Luege?--Was hat er zu tun? Wer ist bei ihm?--Sagen Sie mir, sagen +Sie mir, was Ihnen zuerst in den Mund koemmt--und ich gehe. + +Marinelli (vor sich). Mit dieser Bedingung kann ich ihr ja wohl einen +Teil der Wahrheit sagen. + +Orsina. Nun? Geschwind, Marinelli, und ich gehe.--Er sagte ohnedem, +der Prinz: "Ein andermal, meine liebe Graefin!" Sagte er nicht +so?--Damit er mir Wort haelt, damit er keinen Vorwand hat, mir nicht +Wort zu halten: geschwind, Marinelli, Ihre Luege, und ich gehe. + +Marinelli. Der Prinz, liebe Graefin, ist wahrlich nicht allein. Es +sind Personen bei ihm, von denen er sich keinen Augenblick abmuessigen +kann; Personen, die eben einer grossen Gefahr entgangen sind. Der Graf +Appiani. + +Orsina. Waere bei ihm?--Schade, dass ich ueber diese Luege Sie ertappen +muss. Geschwind eine andere.--Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch +nicht wissen, ist eben von Raeubern erschossen worden. Der Wagen mit +seinem Leichname begegnete mir kurz vor der Stadt.--Oder ist er nicht? +Haette es mir bloss getraeumt? + +Marinelli. Leider nicht bloss getraeumt!--Aber die andern, die mit dem +Grafen waren, haben sich gluecklich hieher nach dem Schlosse gerettet: +seine Braut naemlich und die Mutter der Braut, mit welchen er nach +Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte. + +Orsina. Also die? Die sind bei dem Prinzen? Die Braut? und die +Mutter der Braut?--Ist die Braut schoen? + +Marinelli. Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe. + +Orsina. Ich will hoffen, auch wenn sie haesslich waere. Denn ihr +Schicksal ist schrecklich.--Armes gutes Maedchen, eben da er dein auf +immer werden sollte, wird er dir auf immer entrissen!--Wer ist sie +denn, diese Braut? Kenn ich sie gar?--Ich bin so lange aus der Stadt, +dass ich von nichts weiss. + +Marinelli. Es ist Emilia Galotti. + +Orsina. Wer?--Emilia Galotti? Emilia Galotti?--Marinelli! dass ich +diese Luege nicht fuer Wahrheit nehme! + +Marinelli. Wieso? + +Orsina. Emilia Galotti? + +Marinelli. Die Sie schwerlich kennen werden--Orsina. Doch! doch! +Wenn es auch nur von heute waere.--Im Ernst, Marinelli? Emilia +Galotti?--Emilia Galotti waere die unglueckliche Braut, die der Prinz +troestet? + +Marinelli (vor sich). Sollte ich ihr schon zuviel gesagt haben? + +Orsina. Und Graf Appiani war der Braeutigam dieser Braut? der eben +erschossene Appiani? + +Marinelli. Nicht anders. + +Orsina. Bravo! o bravo! bravo! (In die Haende schlagend.) + +Marinelli. Wie das? + +Orsina. Kuessen moecht' ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat! + +Marinelli. Wen? verleitet? wozu? + +Orsina. Ja, kuessen, kuessen moecht' ich ihn--Und wenn Sie selbst dieser +Teufel waeren, Marinelli. + +Marinelli. Graefin! + +Orsina. Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! steif an! Aug' in Auge! + +Marinelli. Nun? + +Orsina. Wissen Sie nicht, was ich denke? + +Marinelli. Wie kann ich das? + +Orsina. Haben Sie keinen Anteil daran? + +Marinelli. Woran? + +Orsina. Schwoeren Sie!--Nein, schwoeren Sie nicht. Sie moechten eine +Suende mehr begehen.--Oder ja, schwoeren Sie nur. Eine Suende mehr oder +weniger fuer einen, der doch verdammt ist!--Haben Sie keinen Anteil +daran? + +Marinelli. Sie erschrecken mich, Graefin. + +Orsina. Gewiss?--Nun, Marinelli, argwohnet Ihr gutes Herz auch nichts? + +Marinelli. Was? worueber? + +Orsina. Wohl--so will ich Ihnen etwas vertrauen--etwas, das Ihnen +jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge straeuben soll.--Aber hier, so nahe +an der Tuere, moechte uns jemand hoeren. Kommen Sie hierher!--Und! +(Indem sie den Finger auf den Mund legt) Hoeren Sie! ganz in geheim! +ganz in geheim! (und ihren Mund seinem Ohre naehert, als ob sie ihm +zufluestern wollte, was sie aber sehr laut ihm zuschreiet.) Der Prinz +ist ein Moerder! + +Marinelli. Graefin--Graefin--sind Sie ganz von Sinnen? + +Orsina. Von Sinnen? Ha! ha! ha! (Aus vollem Halse lachend.) Ich bin +selten oder nie mit meinem Verstande so wohl zufrieden gewesen als +eben itzt.--Zuverlaessig, Marinelli--aber es bleibt unter uns--(leise) +der Prinz ist ein Moerder! des Grafen Appiani Moerder!--Den haben nicht +Raeuber, den haben Helfershelfer des Prinzen, den hat der Prinz +umgebracht! + +Marinelli. Wie kann Ihnen so eine Abscheulichkeit in den Mund, in die +Gedanken kommen? + +Orsina. Wie?--Ganz natuerlich.--Mit dieser Emilia Galotti--die hier +bei ihm ist--deren Braeutigam so ueber Hals ueber Kopf sich aus der Welt +trollen muessen--mit dieser Emilia Galotti hat der Prinz heute morgen, +in der Halle bei den Dominikanern, ein Langes und Breites gesprochen. +Das weiss ich, das haben meine Kundschafter gesehen. Sie haben auch +gehoert, was er mit ihr gesprochen--Nun, guter Herr? Bin ich von +Sinnen? Ich reime, daecht' ich, doch noch ziemlich zusammen, was +zusammen gehoert.--Oder trifft auch das nur so von ungefaehr zu? Ist +Ihnen auch das Zufall? Oh, Marinelli, so verstehen Sie auf die +Bosheit der Menschheit sich ebenso schlecht als auf die Vorsicht. + +Marinelli. Graefin, Sie wuerden sich um den Hals reden + +Orsina. Wenn ich das mehrern sagte?--Desto besser, desto besser! +--Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen.--Und wer mir +widerspricht--wer mir widerspricht, der war des Moerders Spiessgeselle. +--Leben Sie wohl. (Indem sie fortgehen will, begegnet sie an der Tuere +dem alten Galotti, der eiligst hereintritt.) + + + +Sechster Auftritt + +Odoardo Galotti. Die Graefin. Marinelli. + + +Odoardo Galotti. Verzeihen Sie, gnaedige Frau--Orsina. Ich habe hier +nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts uebelzunehmen--An +diesen Herrn wenden Sie sich. (Ihn nach dem Marinelli weisend.) + +Marinelli (indem er ihn erblicket, vor sich). Nun vollends! der Alte! +--Odoardo. Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der aeussersten +Bestuerzung ist--dass er so unangemeldet hereintritt. + +Orsina. Vater? (Kehrt wieder um.) Der Emilia, ohne Zweifel.--Ha, +willkommen! + +Odoardo. Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht, +dass hierherum die Meinigen in Gefahr waeren. Ich fliege herzu und hoere, +dass der Graf Appiani verwundet worden, dass er nach der Stadt +zurueckgekehret, dass meine Frau und Tochter sich in das Schloss gerettet. +--Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie? + +Marinelli. Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer +Tochter ist nichts Uebels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie +befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich, +Sie zu melden. + +Odoardo. Warum melden? erst melden? + +Marinelli. Aus Ursachen--von wegen--Von wegen des Prinzen. Sie +wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem +freundschaftlichsten Fusse. So gnaedig er sich gegen Ihre Gemahlin und +Tochter bezeiget--es sind Damen--Wird darum auch Ihr unvermuteter +Anblick ihm gelegen sein? + +Odoardo. Sie haben recht, mein Herr, Sie haben redet. + +Marinelli. Aber, gnaedige Graefin--kann ich vorher die Ehre haben, Sie +nach Ihrem Wagen zu begleiten? + +Orsina. Nicht doch, nicht doch. + +Marinelli (sie bei der Hand nicht unsanft ergreifend). Erlauben Sie, +dass ich meine Schuldigkeit beobachte.--Orsina. Nur gemach!--Ich +erlasse Sie deren, mein Herr! Dass doch immer Ihresgleichen +Hoeflichkeit zur Schuldigkeit machen, um, was eigentlich ihre +Schuldigkeit waere, als die Nebensache betreiben zu duerfen!--Diesen +wuerdigen Mann je eher, je lieber zu melden, das ist Ihre Schuldigkeit. + +Marinelli. Vergessen Sie, was Ihnen der Prinz selbst befohlen? + +Orsina. Er komme und befehle mir es noch einmal. Ich erwarte ihn. + +Marinelli (leise zu dem Obersten, den er beiseite ziehet). Mein Herr, +ich muss Sie hier mit einer Dame lassen, die--der--mit deren +Verstande--Sie verstehen mich. Ich sage Ihnen dieses, damit Sie +wissen, was Sie auf ihre Reden zu geben haben--deren sie oft sehr +seltsame fuehret. Am besten, Sie lassen sich mit ihr nicht ins Wort. + +Odoardo. Recht wohl.--Eilen Sie nur, mein Herr. + + + +Siebenter Auftritt + +Die Graefin Orsina. Odoardo Galotti. + + +Orsina (nach einigem Stillschweigen, unter welchem sie den Obersten +mit Mitleid betrachtet, so wie er sie mit einer fluechtigen Neugierde). +Was er Ihnen auch da gesagt hat, ungluecklicher Mann!--Odoardo (halb +vor sich, halb gegen sie). Ungluecklicher? + +Orsina. Eine Wahrheit war es gewiss nicht--am wenigsten eine von denen, +die auf Sie warten. + +Odoardo. Auf mich warten?--Weiss ich nicht schon genug?--Madame!--Aber, +reden Sie nur, reden Sie nur. + +Orsina. Sie wissen nichts. + +Odoardo. Nichts? + +Orsina. Guter, lieber Vater!--Was gaebe ich darum, wenn Sie auch mein +Vater waeren!--Verzeihen Sie! Die Ungluecklichen ketten sich so gern +aneinander.--Ich wollte treulich Schmerz und Wut mit Ihnen teilen. + +Odoardo. Schmerz und Wut? Madame!--Aber ich vergesse--Reden Sie nur. + +Orsina. Wenn es gar Ihre einzige Tochter--Ihr einziges Kind waere! +--Zwar einzig oder nicht. Das unglueckliche Kind ist immer das einzige. + +Odoardo. Das unglueckliche?--Madame!--Was will ich von ihr?--Doch, bei +Gott, so spricht keine Wahnwitzige! + +Orsina. Wahnwitzige? Das war es also, was er Ihnen von mir +vertraute?--Nun, nun, es mag leicht keine von seinen groebsten Luegen +sein.--Ich fuehle so was!--Und glauben Sie, glauben Sie mir: Wer ueber +gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu +verlieren.--Odoardo. Was soll ich denken? + +Orsina. Dass Sie mich also ja nicht verachten!--Denn auch Sie haben +Verstand, guter Alter, auch Sie.--Ich seh es an dieser entschlossenen, +ehrwuerdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein +Wort--so haben Sie keinen. + +Odoardo. Madame!--Madame!--Ich habe schon keinen mehr, noch ehe Sie +mir dieses Wort sagen, wenn Sie mir es nicht bald sagen.--Sagen Sie es! +sagen Sie es! Oder es ist nicht wahr--es ist nicht wahr, dass Sie von +jener guten, unsers Mitleids, unserer Hochachtung so wuerdigen Gattung +der Wahnwitzigen sind--Sie sind eine gemeine Toerin. Sie haben nicht, +was Sie nie hatten. + +Orsina. So merken Sie auf!--Was wissen Sie, der Sie schon genug +wissen wollen? Dass Appiani verwundet worden? Nur verwundet?--Appiani +ist tot! + +Odoardo. Tot? tot?--Ha, Frau, das ist wider die Abrede. Sie wollten +mich um den Verstand bringen: und Sie brechen mir das Herz. + +Orsina. Das beiher!--Nur weiter.--Der Braeutigam ist tot, und die +Braut--Ihre Tochter--schlimmer als tot. + +Odoardo. Schlimmer? schlimmer als tot?--Aber doch zugleich auch +tot?--Denn ich kenne nur ein Schlimmeres--Orsina. Nicht zugleich auch +tot. Nein, guter Vater, nein!--Sie lebt, sie lebt. Sie wird nun erst +recht anfangen zu leben.--Ein Leben voll Wonne! Das schoenste, +lustigste Schlaraffenleben--solang es dauert. + +Odoardo. Das Wort, Madame, das einzige Wort, das mich um den Verstand +bringen soll! heraus damit!--Schuetten Sie nicht Ihren Tropfen Gift in +einen Eimer.--Das einzige Wort! geschwind. + +Orsina. Nun da, buchstabieren Sie es zusammen!--Des Morgens sprach +der Prinz Ihre Tochter in der Messe, des Nachmittags hat er sie auf +seinem Lust--Lustschlosse. + +Odoardo. Sprach sie in der Messe? Der Prinz meine Tochter? + +Orsina. Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Inbrunst!--Sie hatten +nichts Kleines abzureden. Und recht gut, wenn es abgeredet worden, +recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen +Sie: so ist es doch keine gewaltsame Entfuehrung, sondern bloss ein +kleiner--kleiner Meuchelmord. + +Odoardo. Verleumdung! verdammte Verleumdung! Ich kenne meine Tochter. +Ist es Meuchelmord, so ist es auch Entfuehrung.--(Blickt wild um sich +und stampft und schaeumet.) Nun, Claudia? Nun, Muetterchen?--Haben wir +nicht Freude erlebt! O des gnaedigen Prinzen! O der ganz besondern +Ehre! + +Orsina. Wirkt es, Alter! wirkt es? + +Odoardo. Da steh ich nun vor der Hoehle des Raeubers--(indem er den +Rock von beiden Seiten auseinanderschlaegt und sich ohne Gewehr sieht.) +Wunder, dass ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Haende zurueckgelassen! +--(An alle Schubsaecke fuehlend, als etwas suchend.) Nichts! gar nichts! +nirgends! + +Orsina. Ha, ich verstehe!--Damit kann ich aushelfen!--Ich hab einen +mitgebracht. (Einen Dolch hervorziehend.) Da nehmen Sie! Nehmen Sie +geschwind, eh' uns jemand sieht!--Auch haette ich noch etwas--Gift. +Aber Gift ist nur fuer uns Weiber, nicht fuer Maenner.--Nehmen Sie ihn! +(Ihm den Dolch aufdraengend.) Nehmen Sie! + +Odoardo. Ich danke, ich danke.--Liebes Kind, wer wieder sagt, dass du +eine Naerrin bist, der hat es mit mir zu tun. + +Orsina. Stecken Sie beiseite! geschwind beiseite!--Mir--wird die +Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen. Ihnen wird sie nicht +fehlen, diese Gelegenheit, und Sie werden sie ergreifen, die erste, +die beste--wenn Sie ein Mann sind.--Ich, ich bin nur ein Weib, aber so +kam ich her! fest entschlossen!--Wir, Alter, wir koennen uns alles +vertrauen. Denn wir sind beide beleidiget, von dem naemlichen +Verfuehrer beleidiget.--Ah, wenn Sie wuessten--wenn sie wuessten, wie +ueberschwenglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm +beleidiget worden und noch werde--Sie koennten, Sie wuerden Ihre eigene +Beleidigung darueber vergessen.--Kennen Sie mich? Ich bin Orsina, die +betrogene, verlassene Orsina.--Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter +verlassen.--Doch was kann Ihre Tochter dafuer?--Bald wird auch sie +verlassen sein.--Und dann wieder eine!--Und wieder eine!--Ha! (wie in +der Entzueckung) welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal +alle--wir, das ganze Heer der Verlassenen--wir alle in Bacchantinnen, +in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns haetten, ihn unter +uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwuehlten--um das +Herz zu finden, das der Verraeter einer jeden versprach und keiner gab! +Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte! + + + +Achter Auftritt + +Claudia Galotti. Die Vorigen. + + +Claudia (die im Hereintreten sich umsiehet und, sobald sie ihren +Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget). Erraten!--Ah, unser Beschuetzer, +unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da?--Aus ihren Wispern, +aus ihren Mienen schloss ich es.--Was soll ich dir sagen, wenn du noch +nichts weisst?--Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles +weisst?--Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter +ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig! + +Odoardo (der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht). +Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig--und antworte mir. (Gegen die +Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte--Ist der Graf tot? + +Claudia. Tot. + +Odoardo. Ist es wahr, dass der Prinz heute morgen Emilien in der Messe +gesprochen? + +Claudia. Wahr. Aber wenn du wuesstest, welchen Schreck es ihr +verursacht, in welcher Bestuerzung sie nach Hause kam-Orsina. Nun, hab +ich gelogen? + +Odoardo (mit einem bittern Lachen). Ich wollt' auch nicht, Sie haetten! +Um wie vieles nicht! + +Orsina. Bin ich wahnwitzig? + +Odoardo (wild hin und her gehend). Oh--noch bin ich es auch nicht. +--Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig.--Bester +Mann, darf auch ich--ich dich bitten--Odoardo. Was willst du? Bin ich +nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.) +Weiss es Emilia, dass Appiani tot ist? + +Claudia. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fuerchte, dass sie es +argwohnet, weil er nicht erscheinet.--Odoardo. Und sie jammert und +winselt.--Claudia. Nicht mehr.--Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du +kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers +Geschlechts. Ihrer ersten Eindruecke nie maechtig, aber nach der +geringsten Ueberlegung in alles sich findend, auf alles gefasst. Sie +haelt den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem +Tone--Mache nur, Odoardo, dass wir wegkommen. + +Odoardo. Ich bin zu Pferde.--Was zu tun?--Doch, Madame, Sie fahren ja +nach der Stadt zurueck? + +Orsina. Nicht anders. + +Odoardo. Haetten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu +nehmen? + +Orsina. Warum nicht? Sehr gern. + +Odoardo. Claudia--(ihr die Graefin bekannt machend) die Graefin Orsina, +eine Dame von grossem Verstande, meine Freundin, meine Wohltaeterin.--Du +musst mit ihr herein, um uns sogleich den Wagen herauszuschicken. +Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir. + +Claudia. Aber--wenn nur--Ich trenne mich ungern von dem Kinde. + +Odoardo. Bleibt der Vater nicht in der Naehe? Man wird ihn endlich +doch vorlassen. Keine Einwendung!--Kommen Sie, gnaedige Frau. (Leise +zu ihr.) Sie werden von mir hoeren.--Komm, Claudia. (Er fuehrt sie ab.) + + + + +Fuenfter Aufzug + +Die Szene bleibt. + + + +Erster Auftritt + +Marinelli. Der Prinz. + + +Marinelli. Hier, gnaediger Herr, aus diesem Fenster koennen Sie ihn +sehen. Er geht die Arkade auf und nieder.--Eben biegt er ein, er +koemmt.--Nein, er kehrt wieder um.--Ganz einig ist er mit sich noch +nicht. Aber um ein Grosses ruhiger ist er--oder scheinet er. Fuer uns +gleichviel!--Natuerlich! Was ihm auch beide Weiber in den Kopf gesetzt +haben, wird er es wagen zu aeussern?--Wie Battista gehoert, soll ihm +seine Frau den Wagen sogleich heraussenden. Denn er kam zu Pferde. +--Geben Sie acht, wenn er nun vor Ihnen erscheinet, wird er ganz +untertaenigst Eurer Durchlaucht fuer den gnaedigen Schutz danken, den +seine Familie bei diesem so traurigen Zufalle hier gefunden; wird sich, +mitsamt seiner Tochter, zu fernerer Gnade empfehlen; wird sie ruhig +nach der Stadt bringen und es in tiefster Unterwerfung erwarten, +welchen weitern Anteil Euer Durchlaucht an seinem ungluecklichen, +lieben Maedchen zu nehmen geruhen wollen. + +Der Prinz. Wenn er nun aber so zahm nicht ist? Und schwerlich, +schwerlich wird er es sein. Ich kenne ihn zu gut.--Wenn er hoechstens +seinen Argwohn erstickt, seine Wut verbeisst: aber Emilien, anstatt sie +nach der Stadt zu fuehren, mit sich nimmt? bei sich behaelt? oder wohl +gar in ein Kloster, ausser meinem Gebiete, verschliesst? Wie dann? + +Marinelli. Die fuerchtende Liebe sieht weit. Wahrlich!--Aber er wird +ja nicht--Der Prinz. Wenn er nun aber! Wie dann? Was wird es uns +dann helfen, dass der unglueckliche Graf sein Leben darueber verloren? + +Marinelli. Wozu dieser traurige Seitenblick? Vorwaerts! denkt der +Sieger, es falle neben ihm Feind oder Freund.--Und wenn auch! Wenn er +es auch wollte, der alte Neidhart, was Sie von ihm fuerchten, Prinz. +--(Ueberlegend.) Das geht! Ich hab es!--Weiter als zum Wollen soll er +es gewiss nicht bringen. Gewiss nicht!--Aber dass wir ihn nicht aus dem +Gesichte verlieren.--(Tritt wieder ans Fenster.) Bald haett' er uns +ueberrascht! Er koemmt.--Lassen Sie uns ihm noch ausweichen, und hoeren +Sie erst, Prinz, was wir auf den zu befuerchtenden Fall tun muessen. + +Der Prinz (drohend). Nur, Marinelli!--Marinelli. Das Unschuldigste +von der Welt! + + + +Zweiter Auftritt + + +Odoardo Galotti. Noch niemand hier?--Gut, ich soll noch kaelter werden. +Es ist mein Glueck.--Nichts veraechtlicher als ein brausender +Juenglingskopf mit grauen Haaren! Ich hab es mir so oft gesagt. Und +doch liess ich mich fortreissen: und von wem? Von einer Eifersuechtigen, +von einer fuer Eifersucht Wahnwitzigen.--Was hat die gekraenkte Tugend +mit der Rache des Lasters zu schaffen? Jene allein hab ich zu retten. +--Und deine Sache--mein Sohn! mein Sohn!--Weinen konnt' ich nie--und +will es nun nicht erst lernen--Deine Sache wird ein ganz anderer zu +seiner machen! Genug fuer mich, wenn dein Moerder die Frucht seines +Verbrechens nicht geniesst.--Dies martere ihn mehr als das Verbrechen! +Wenn nun bald ihn Saettigung und Ekel von Luesten zu Luesten treiben, so +vergaelle die Erinnerung, diese eine Lust nicht gebuesset zu haben, ihm +den Genuss aller! In jedem Traume fuehre der blutige Braeutigam ihm die +Braut vor das Bette, und wann er dennoch den wolluestigen Arm nach ihr +ausstreckt, so hoere er ploetzlich das Hohngelaechter der Hoelle und +erwache! + + + +Dritter Auftritt + +Marinelli. Odoardo Galotti. + + +Marinelli. Wo blieben Sie, mein Herr? wo blieben Sie? + +Odoardo. War meine Tochter hier? + +Marinelli. Nicht sie, aber der Prinz. + +Odoardo. Er verzeihe.--Ich habe die Graefin begleitet. + +Marinelli. Nun? + +Odoardo. Die gute Dame! + +Marinelli. Und Ihre Gemahlin? + +Odoardo. Ist mit der Graefin--um uns den Wagen sogleich herauszusenden. +Der Prinz vergoenne nur, dass ich mich so lange mit meiner Tochter +noch hier verweile. + +Marinelli. Wozu diese Umstaende? Wuerde sich der Prinz nicht ein +Vergnuegen daraus gemacht haben, sie beide, Mutter und Tochter, selbst +nach der Stadt zu bringen? + +Odoardo. Die Tochter wenigstens wuerde diese Ehre haben verbitten +muessen. + +Marinelli. Wieso? + +Odoardo. Sie soll nicht mehr nach Guastalla. + +Marinelli. Nicht? und warum nicht? + +Odoardo. Der Graf ist tot. + +Marinelli. Um so viel mehr--Odoardo. Sie soll mit mir. + +Marinelli. Mit Ihnen? + +Odoardo. Mit mir. Ich sage Ihnen ja, der Graf ist tot.--Wenn Sie es +noch nicht wissen--Was hat sie nun weiter in Guastalla zu tun?--Sie +soll mit mir. + +Marinelli. Allerdings wird der kuenftige Aufenthalt der Tochter einzig +von dem Willen des Vaters abhangen. Nur vors erste--Odoardo. Was vors +erste? + +Marinelli. Werden Sie wohl erlauben muessen, Herr Oberster, dass sie +nach Guastalla gebracht wird. + +Odoardo. Meine Tochter? nach Guastalla gebracht wird? und warum? + +Marinelli. Warum? Erwaegen Sie doch nur--Odoardo (hitzig). Erwaegen! +erwaegen! Ich erwaege, dass hier nichts zu erwaegen ist.--Sie soll, sie +muss mit mir. + +Marinelli. O mein Herr--was brauchen wir uns hierueber zu ereifern? +Es kann sein, dass ich mich irre, dass es nicht noetig ist, was ich fuer +noetig halte.--Der Prinz wird es am besten zu beurteilen wissen. Der +Prinz entscheide.--Ich geh und hole ihn. + + + +Vierter Auftritt + +Odoardo Galotti. Wie?--Nimmermehr!--Mir vorschreiben, wo sie hin +soll?--Mir sie vorenthalten?--Wer will das? Wer darf das?--Der hier +alles darf, was er will? Gut, gut, so soll er sehen, wieviel auch ich +darf, ob ich es schon nicht duerfte! Kurzsichtiger Wueterich! Mit dir +will ich es wohl aufnehmen. Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso +maechtig, als wer kein Gesetz hat. Das weisst du nicht? Komm an! komm +an!--Aber, sieh da! Schon wieder, schon wieder rennet der Zorn mit +dem Verstande davon.--Was will ich? Erst muesst' es doch geschehen sein, +worueber ich tobe. Was plaudert nicht eine Hofschranze! Und haette +ich ihn doch nur plaudern lassen! Haette ich seinen Vorwand, warum sie +wieder nach Guastalla soll, doch nur angehoert!--So koennte ich mich +itzt auf eine Antwort gefasst machen.--Zwar auf welchen kann mir eine +fehlen?--Sollte sie mir aber fehlen, sollte sie--Man koemmt. Ruhig, +alter Knabe, ruhig! + + + +Fuenfter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. Odoardo Galotti. + + +Der Prinz. Ah, mein lieber, rechtschaffner Galotti--so etwas muss auch +geschehen, wenn ich Sie bei mir sehen soll. Um ein Geringeres tun Sie +es nicht. Doch keine Vorwuerfe! + +Odoardo. Gnaediger Herr, ich halte es in allen Faellen fuer unanstaendig, +sich zu seinem Fuersten zu draengen. Wen er kennt, den wird er fodern +lassen, wenn er seiner bedarf. Selbst itzt bitte ich um +Verzeihung--Der Prinz. Wie manchem andern wollte ich diese stolze +Bescheidenheit wuenschen!--Doch zur Sache. Sie werden begierig sein, +Ihre Tochter zu sehen. Sie ist in neuer Unruhe wegen der ploetzlichen +Entfernung einer so zaertlichen Mutter.--Wozu auch diese Entfernung? +Ich wartete nur, dass die liebenswuerdige Emilie sich voellig erholet +haette, um beide im Triumphe nach der Stadt zu bringen. Sie haben mir +diesen Triumph um die Haelfte verkuemmert, aber ganz werde ich mir ihn +nicht nehmen lassen. + +Odoardo. Zu viel Gnade!--Erlauben Sie, Prinz, dass ich meinem +ungluecklichen Kinde alle die mannigfaltigen Kraenkungen erspare, die +Freund und Feind, Mitleid und Schadenfreude in Guastalla fuer sie +bereit halten. + +Der Prinz. Um die suessen Kraenkungen des Freundes und des Mitleids, +wuerde es Grausamkeit sein, sie zu bringen. Dass aber die Kraenkungen +des Feindes und der Schadenfreude sie nicht erreichen sollen, dafuer, +lieber Galotti, lassen Sie mich sorgen. + +Odoardo. Prinz, die vaeterliche Liebe teilet ihre Sorgen nicht gern. +--Ich denke, ich weiss es, was meiner Tochter in ihren itzigen +Umstaenden einzig ziemet--Entfernung aus der Welt--ein Kloster--sobald +als moeglich. + +Der Prinz. Ein Kloster? + +Odoardo. Bis dahin weine sie unter den Augen ihres Vaters. + +Der Prinz. So viel Schoenheit soll in einem Kloster verbluehen?--Darf +eine einzige fehlgeschlagene Hoffnung uns gegen die Welt so +unversoehnlich machen?--Doch allerdings: dem Vater hat niemand +einzureden. Bringen Sie Ihre Tochter, Galotti, wohin Sie wollen. + +Odoardo (gegen Marinelli). Nun, mein Herr? + +Marinelli. Wenn Sie mich sogar auffodern! + +Odoardo. O mitnichten, mitnichten. + +Der Prinz. Was haben Sie beide? + +Odoardo. Nichts, gnaediger Herr, nichts.--Wir erwaegen bloss, welcher +von uns sich in Ihnen geirret hat. + +Der Prinz. Wieso?--Reden Sie, Marinelli. + +Marinelli. Es geht mir nahe, der Gnade meines Fuersten in den Weg zu +treten. Doch wenn die Freundschaft gebietet, vor allem in ihm den +Richter aufzufodern--Der Prinz. Welche Freundschaft?--Marinelli. Sie +wissen, gnaediger Herr, wie sehr ich den Grafen Appiani liebte, wie +sehr unser beider Seelen ineinander verwebt schienen--Odoardo. Das +wissen Sie, Prinz? So wissen Sie es wahrlich allein. + +Marinelli. Von ihm selbst zu seinem Raecher bestellet--Odoardo. Sie? + +Marinelli. Fragen Sie nur Ihre Gemahlin. Marinelli, der Name +Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen, und in einem Tone! +in einem Tone!--Dass er mir nie aus dem Gehoere komme, dieser +schreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende, dass seine Moerder +entdeckt und bestraft werden! + +Der Prinz. Rechnen Sie auf meine kraeftigste Mitwirkung. + +Odoardo. Und meine heissesten Wuensche!--Gut, gut!--Aber was weiter? + +Der Prinz. Das frag ich, Marinelli. + +Marinelli. Man hat Verdacht, dass es nicht Raeuber gewesen, welche den +Grafen angefallen. + +Odoardo (hoehnisch). Nicht? Wirklich nicht? + +Marinelli. Dass ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege raeumen lassen. + +Odoardo (bitter). Ei! Ein Nebenbuhler? + +Marinelli. Nicht anders. + +Odoardo. Nun dann--Gott verdamm' ihn, den meuchelmoerderischen Buben! + +Marinelli. Ein Nebenbuhler, und ein beguenstigter Nebenbuhler--Odoardo. +Was? ein beguenstigter?--Was sagen Sie? + +Marinelli. Nichts, als was das Geruechte verbreitet. + +Odoardo. Ein beguenstigter? von meiner Tochter beguenstiget? + +Marinelli. Das ist gewiss nicht. Das kann nicht sein. Dem +widersprech ich, trotz Ihnen.--Aber bei dem allen, gnaediger Herr--denn +das gegruendetste Vorurteil wieget auf der Waage der Gerechtigkeit +soviel als nichts--bei dem allen wird man doch nicht umhin koennen, die +schoene Unglueckliche darueber zu vernehmen. + +Der Prinz. Jawohl, allerdings. + +Marinelli. Und wo anders? wo kann das anders geschehen als in +Guastalla? + +Der Prinz. Da haben Sie recht, Marinelli, da haben Sie recht.--Ja so, +das veraendert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie sehen +selbst--Odoardo. O ja, ich sehe--Ich sehe, was ich sehe.--Gott! Gott! + +Der Prinz. Was ist Ihnen? was haben Sie mit sich? + +Odoardo. Dass ich es nicht vorausgesehen, was ich da sehe. Das aergert +mich, weiter nichts.--Nun ja, sie soll wieder nach Guastalla. Ich +will sie wieder zu ihrer Mutter bringen, und bis die strengste +Untersuchung sie freigesprochen, will ich selbst aus Guastalla nicht +weichen. Denn wer weiss--(mit einem bittern Lachen) wer weiss, ob die +Gerechtigkeit nicht auch noetig findet, mich zu vernehmen. + +Marinelli. Sehr moeglich! In solchen Faellen tut die Gerechtigkeit +lieber zuviel als zuwenig.--Daher fuerchte ich sogar--Der Prinz. Was? +was fuerchten Sie? + +Marinelli. Man werde vor der Hand nicht verstatten koennen, dass Mutter +und Tochter sich sprechen. + +Odoardo. Sich nicht sprechen? + +Marinelli. Man werde genoetiget sein, Mutter und Tochter zu trennen. + +Odoardo. Mutter und Tochter zu trennen? + +Marinelli. Mutter und Tochter und Vater. Die Form des Verhoers +erfodert diese Vorsichtigkeit schlechterdings. Und es tut mir leid, +gnaediger Herr, dass ich mich gezwungen sehe, ausdruecklich darauf +anzutragen, wenigstens Emilien in eine besondere Verwahrung zu bringen. + +Odoardo. Besondere Verwahrung?--Prinz! Prinz!--Doch ja, freilich, +freilich! Ganz recht: in eine besondere Verwahrung! Nicht, Prinz? +nicht?--O wie fein die Gerechtigkeit ist! Vortrefflich! (Faehrt +schnell nach dem Schubsacke, in welchem er den Dolch hat.) + +Der Prinz (schmeichelhaft auf ihn zutretend). Fassen Sie sich, lieber +Galotti--Odoardo (beiseite, indem er die Hand leer wieder herauszieht). +Das sprach sein Engel! + +Der Prinz. Sie sind irrig, Sie verstehen ihn nicht. Sie denken bei +dem Worte Verwahrung wohl gar an Gefaengnis und Kerker. + +Odoardo. Lassen Sie mich daran denken: und ich bin ruhig! + +Der Prinz. Kein Wort von Gefaengnis, Marinelli! Hier ist die Strenge +der Gesetze mit der Achtung gegen unbescholtene Tugend leicht zu +vereinigen. Wenn Emilia in besondere Verwahrung gebracht werden muss, +so weiss ich schon--die alleranstaendigste. Das Haus meines +Kanzlers--Keinen Widerspruch, Marinelli!--Da will ich sie selbst +hinbringen, da will ich sie der Aufsicht einer der wuerdigsten Damen +uebergeben. Die soll mir fuer sie buergen, haften.--Sie gehen zu weit, +Marinelli, wirklich zu weit, wenn Sie mehr verlangen.--Sie kennen doch, +Galotti, meinen Kanzler Grimaldi und seine Gemahlin? + +Odoardo. Was sollt' ich nicht? Sogar die liebenswuerdigen Toechter +dieses edeln Paares kenn ich. Wer kennt sie nicht?--(Zu Marinelli.) +Nein, mein Herr, geben Sie das nicht zu. Wenn Emilia verwahrt werden +muss, so muesse sie in dem tiefsten Kerker verwahret werden. Dringen +Sie darauf, ich bitte Sie.--Ich Tor, mit meiner Bitte! ich alter Geck! +--Jawohl hat sie recht die gute Sibylle: "Wer ueber gewisse Dinge +seinen Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren!" + +Der Prinz. Ich verstehe Sie nicht.--Lieber Galotti, was kann ich mehr +tun?--Lassen Sie es dabei, ich bitte Sie.--Ja, ja, in das Haus meines +Kanzlers! da soll sie hin; da bring ich sie selbst hin; und wenn ihr +da nicht mit der aeussersten Achtung begegnet wird, so hat mein Wort +nichts gegolten. Aber sorgen Sie nicht.--Dabei bleibt es! dabei +bleibt es!--Sie selbst, Galotti, mit sich, koennen es halten, wie Sie +wollen.--Sie koennen uns nach Guastalla folgen, Sie koennen nach +Sabionetta zurueckkehren: wie Sie wollen. Es waere laecherlich, Ihnen +vorzuschreiben.--Und nun, auf Wiedersehen, lieber Galotti!--Kommen Sie, +Marinelli, es wird spaet. + +Odoardo (der in tiefen Gedanken gestanden). Wie? so soll ich sie gar +nicht sprechen, meine Tochter? Auch hier nicht?--Ich lasse mir ja +alles gefallen, ich finde ja alles ganz vortrefflich. Das Haus eines +Kanzlers ist natuerlicherweise eine Freistatt der Tugend. Oh, gnaediger +Herr, bringen Sie ja meine Tochter dahin, nirgends anders als dahin. +--Aber sprechen wollt' ich sie doch gerne vorher. Der Tod des Grafen +ist ihr noch unbekannt. Sie wird nicht begreifen koennen, warum man +sie von ihren Eltern trennet. Ihr jenen auf gute Art beizubringen, +sie dieser Trennung wegen zu beruhigen--muss ich sie sprechen, gnaediger +Herr, muss ich sie sprechen. + +Der Prinz. So kommen Sie denn--Odoardo. Oh, die Tochter kann auch +wohl zu dem Vater kommen.--Hier, unter vier Augen, bin ich gleich mit +ihr fertig. Senden Sie mir sie nur, gnaediger Herr. + +Der Prinz. Auch das!--O Galotti, wenn Sie mein Freund, mein Fuehrer, +mein Vater sein wollten! (Der Prinz und Marinelli geben ab.) + + + +Sechster Auftritt + +Odoardo Galotti (ihm nachsehend, nach einer Pause). Warum +nicht?--Herzlich gern.--Ha! ha! ha!--(Blickt wild umher.) Wer lacht +da?--Bei Gott, ich glaub, ich war es selbst.--Schon recht! Lustig, +lustig! Das Spiel geht zu Ende. So oder so!--Aber--(Pause) wenn sie +mit ihm sich verstuende? Wenn es das alltaegliche Possenspiel waere? +Wenn sie es nicht wert waere, was ich fuer sie tun will?--(Pause.) Fuer +sie tun will? Was will ich denn fuer sie tun?--Hab ich das Herz, es +mir zu sagen?--Da denk ich so was: So was, was sich nur denken laesst. +--Graesslich! Fort, fort! Ich will sie nicht erwarten. Nein!--(Gegen +den Himmel.) Wer sie unschuldig in diesen Abgrund gestuerzt hat, der +ziehe sie wieder heraus. Was braucht er meine Hand dazu? Fort! (Er +will gehen und sieht Emilien kommen.) Zu spaet! Ah! er will meine Hand, +er will sie! + + + +Siebenter Auftritt + +Emilia. Odoardo. + + +Emilia. Wie? Sie hier, mein Vater?--Und nur Sie?--Und meine Mutter? +nicht hier?--Und der Graf? nicht hier?--Und Sie so unruhig, mein Vater? + +Odoardo. Und du so ruhig, meine Tochter?--Emilia. Warum nicht, mein +Vater?--Entweder ist nichts verloren: oder alles. Ruhig sein koennen +und ruhig sein muessen: koemmt es nicht auf eines? + +Odoardo. Aber, was meinest du, dass der Fall ist? + +Emilia. Dass alles verloren ist--und dass wir wohl ruhig sein muessen, +mein Vater. + +Odoardo. Und du waerest ruhig, weil du ruhig sein musst?--Wer bist du? +Ein Maedchen? und meine Tochter? So sollte der Mann und der Vater sich +wohl vor dir schaemen?--Aber lass doch hoeren, was nennest du, alles +verloren?--Dass der Graf tot ist? + +Emilia. Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein +Vater? So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in +dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las?--Wo ist meine Mutter? +Wo ist sie hin, mein Vater? + +Odoardo. Voraus--wenn wir anders ihr nachkommen. + +Emilia. Je eher, je besser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er +darum tot ist--darum! was verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns +fliehen, mein Vater! + +Odoardo. Fliehen?--Was haett' es dann fuer Not?--Du bist, du bleibst in +den Haenden deines Raeubers. + +Emilia. Ich bleibe in seinen Haenden? + +Odoardo. Und allein, ohne deine Mutter, ohne mich. + +Emilia. Ich allein in seinen Haenden?--Nimmermehr, mein Vater.--Oder +Sie sind nicht mein Vater.--Ich allein in seinen Haenden?--Gut, lassen +Sie mich nur, lassen Sie mich nur.--Ich will doch sehn, wer mich +haelt--wer mich zwingt--wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen +kann. + +Odoardo. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind. + +Emilia. Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Haende in +den Schoss legen? Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht +duerfte? + +Odoardo. Ha! wenn du so denkest!--Lass dich umarmen, meine Tochter! +--Ich hab es immer gesagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem +Meisterstuecke machen. Aber sie vergriff sich im Tone, sie nahm ihn zu +fein. Sonst ist alles besser an euch als an uns.--Ha, wenn das deine +Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wiedergefunden! Lass dich umarmen, +meine Tochter!--Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen +Untersuchung--o des hoellischen Gaukelspieles!--reisst er dich aus +unsern Armen und bringt dich zur Grimaldi. + +Emilia. Reisst mich? bringt mich?--Will mich reissen, will mich bringen: +will! will!--Als ob wir, wir keinen Willen haetten, mein Vater! + +Odoardo. Ich ward auch so wuetend, dass ich schon nach diesem Dolche +griff (ihn herausziehend), um einem von beiden--beiden!--das Herz zu +durchstossen. Emilia. Um des Himmels willen nicht, mein Vater! +--Dieses Leben ist alles, was die Lasterhaften haben.--Mir, mein Vater, +mir geben Sie diesen Dolch. + +Odoardo. Kind, es ist keine Haarnadel. + +Emilia. So werde die Haarnadel zum Dolche!--Gleichviel. + +Odoardo. Was? Dahin waere es gekommen? Nicht doch; nicht doch! +Besinne dich.--Auch du hast nur ein Leben zu verlieren. + +Emilia. Und nur eine Unschuld! + +Odoardo. Die ueber alle Gewalt erhaben ist.--Emilia. Aber nicht ueber +alle Verfuehrung.--Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? +Was Gewalt heisst, ist nichts: Verfuehrung ist die wahre Gewalt.--Ich +habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes Blut als eine. Auch +meine Sinne sind Sinne. Ich stehe fuer nichts. Ich bin fuer nichts gut. +Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine +Stunde da, unter den Augen meiner Mutter--und es erhob sich so mancher +Tumult in meiner Seele, den die strengsten Uebungen der Religion kaum +in Wochen besaenftigen konnten!--Der Religion! Und welcher +Religion?--Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die +Fluten und sind Heilige!--Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir +diesen Dolch. + +Odoardo. Und wenn du ihn kenntest, diesen Dolch!--Emilia. Wenn ich +ihn auch nicht kenne!--Ein unbekannter Freund ist auch ein Freund. +--Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn. + +Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe--da! (Gibt ihr ihn.) + +Emilia. Und da! (Im Begriffe, sich damit zu durchstossen, reisst der +Vater ihr ihn wieder aus der Hand.) + +Odoardo. Sieh, wie rasch!--Nein, das ist nicht fuer deine Hand. + +Emilia. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich--(Sie faehrt mit der +Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.) +Du noch hier?--Herunter mit dir! Du geboetest nicht in das Haar +einer--wie mein Vater will, dass ich werden soll! + +Odoardo. Oh, meine Tochter!--Emilia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie +erriete!--Doch nein, das wollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie +sonst?--(In einem bittern Tone, waehrend dass sie die Rose zerpflueckt.) +Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu +retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte--ihr zum +zweiten Male das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehedem! +Solcher Vaeter gibt es keinen mehr! + +Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (Indem er sie durchsticht.) +--Gott, was hab ich getan! (Sie will sinken, und er fasst sie in +seine Arme.) + +Emilia. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblaettert.--Lassen +Sie mich sie kuessen, diese vaeterliche Hand. + + + +Achter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen. + + +Der Prinz (im Hereintreten). Was ist das?--Ist Emilien nicht wohl? + +Odoardo. Sehr wohl, sehr wohl! + +Der Prinz (indem er naeher koemmt). Was seh ich?--Entsetzen! + +Marinelli. Weh mir! + +Der Prinz. Grausamer Vater, was haben Sie getan! + +Odoardo. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblaettert.--War es +nicht so, meine Tochter? + +Emilia. Nicht Sie, mein Vater--Ich selbst--ich selbst--Odoardo. Nicht +du, meine Tochter--nicht du!--Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt. +Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein ungluecklicher Vater! + +Emilia. Ah--mein Vater--(Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den +Boden.) + +Odoardo. Zieh hin!--Nun da, Prinz! Gefaellt sie Ihnen noch? Reizt +sie noch Ihre Lueste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache +schreiet? (Nach einer Pause.) Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus +soll? Sie erwarten vielleicht, dass ich den Stahl wider mich selbst +kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragoedie zu beschliessen? +Sie irren sich. Hier! (Indem er ihm den Dolch vor die Fuesse wirft.) +Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und +liefere mich selbst in das Gefaengnis. Ich gehe und erwarte Sie als +Richter--Und dann dort--erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller! + +Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Koerper +mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli). Hier! heb +ihn auf.--Nun? Du bedenkst dich?--Elender!--(Indem er ihm den Dolch +aus der Hand reisst.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht +mischen.--Geh, dich auf ewig zu verbergen!--Geh! sag ich.--Gott! Gott! +--Ist es, zum Ungluecke so mancher, nicht genug, dass Fuersten Menschen +sind: muessen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen? + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Emilia Galotti, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + + + +End of Project Gutenberg's Emilia Galotti, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EMILIA GALOTTI *** + +This file should be named 7mlgl10.txt or 7mlgl10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7mlgl11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7mlgl10a.txt + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau. + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext03 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext03 + +Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +EMILIA GALOTTI + +von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING + +Personen: + +Emilia Galotti +Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia +Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla +Marinelli, Kammerherr des Prinzen +Camillo Rota, einer von des Prinzen Räten +Conti, Maler +Graf Appiani +Gräfin Orsina +Angelo und einige Bediente + + + + +Erster Aufzug + +Die Szene: ein Kabinett des Prinzen. + + +Erster Auftritt + +Der Prinz (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere, +deren einige er durchläuft). Klagen, nichts als Klagen! +Bittschriften, nichts als Bittschriften!--Die traurigen Geschäfte; und +man beneidet uns noch!--Das glaub ich; wenn wir allen helfen könnten: +dann wären wir zu beneiden.--Emilia? (Indem er noch eine von den +Bittschriften aufschlägt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) +Eine Emilia?--Aber eine Emilia Bruneschi--nicht Galotti. Nicht Emilia +Galotti!--Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel +gefodert, sehr viel.--Doch sie heißt Emilia. Gewährt! (Er +unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es +ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer? + + +Der Kammerdiener. Nein. + +Der Prinz. Ich habe zu früh Tag gemacht.--Der Morgen ist so schön. +Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn +rufen. (Der Kammerdiener geht ab.)--Ich kann doch nicht mehr arbeiten. +--Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig--Auf einmal muß eine +arme Bruneschi Emilia heißen:--weg ist meine Ruhe, und alles!--Der +Kammerdiener (welcher wieder hereintritt). Nach dem Marchese ist +geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfin Orsina. + +Der Prinz. Der Orsina? Legt ihn hin. + +Der Kammerdiener. Ihr Läufer wartet. + +Der Prinz. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf.--Wo ist +sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa? + +Der Kammerdiener. Sie ist gestern in die Stadt gekommen. + +Der Prinz. Desto schlimmer--besser, wollt' ich sagen. So braucht der +Läufer um so weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine +teure Gräfin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut, +als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.)--Nun ja; ich habe sie zu +lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie +auch wirklich geliebt. Aber--ich habe! + +Der Kammerdiener (der nochmals hereintritt). Der Maler Conti will die +Gnade haben-Der Prinz. Conti? Recht wohl; laßt ihn hereinkommen. +--Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.) + + + +Zweiter Auftritt + +Conti. Der Prinz. + + +Der Prinz. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst? + +Conti. Prinz, die Kunst geht nach Brot. + +Der Prinz. Das muß sie nicht; das soll sie nicht--in meinem kleinen +Gebiete gewiß nicht.--Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen. + +Conti. Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen +kann ihn um den Namen Künstler bringen. + +Der Prinz. Ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges, aber +mit Fleiß.--Sie kommen doch nicht leer, Conti? + +Conti. Ich bringe das Porträt, welches Sie mir befohlen haben, +gnädiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: +aber weil es gesehen zu werden verdient--Der Prinz. Jenes ist?--Kann +ich mich doch kaum erinnern--Conti. Die Gräfin Orsina. + +Der Prinz. Wahr!--Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her. + +Conti. Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die +Gräfin hat, seit drei Monaten, gerade einmal sich entschließen können +zu sitzen. + +Der Prinz. Wo sind die Stücke? + +Conti. In dem Vorzimmer, ich hole sie. + + + +Dritter Auftritt + +Der Prinz. Ihr Bild!--mag!--Ihr Bild, ist sie doch nicht selber.--Und +vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht +mehr erblicke.--Ich will es aber nicht wiederfinden.--Der +beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen.--Wär' es +auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen +andern Grund gemalet ist--in meinem Herzen wieder Platz machen will: +--Wahrlich, ich glaube, ich wär' es zufrieden. Als ich dort liebte, +war ich immer so leicht, so fröhlich, so ausgelassen.--Nun bin ich von +allem das Gegenteil.--Doch nein; nein, nein! Behäglicher oder nicht +behäglicher: ich bin so besser. + + + +Vierter Auftritt + +Der Prinz. Conti mit den Gemälden, wovon er das eine verwandt gegen +einen Stuhl lehnet. + + +Conti (indem er das andere zurechtstellet). Ich bitte, Prinz, daß Sie +die Schranken unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem +Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Grenzen derselben. +--Treten Sie so!--Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung). +Vortrefflich, Conti--ganz vortrefflich!--Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem +Pinsel.--Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt! + +Conti. Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es +in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muß. +Die Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur--wenn es eine +gibt--das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende +Stoff unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit +dagegen ankämpfet. + +Der Prinz. Der denkende Künstler ist noch eins soviel wert.--Aber das +Original, sagen Sie, fand demungeachtet--Conti. Verzeihen Sie, Prinz. +Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe +nichts Nachteiliges von ihr äußern wollen. + +Der Prinz. Soviel als Ihnen beliebt!--Und was sagte das Original? + +Conti. Ich bin zufrieden, sagte die Gräfin, wenn ich nicht häßlicher +aussehe. + +Der Prinz. Nicht häßlicher?--O das wahre Original! + +Conti. Und mit einer Miene sagte sie das--von der freilich dieses ihr +Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget. + +Der Prinz. Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die +unendliche Schmeichelei finde.--Oh! ich kenne sie, jene stolze, +höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde! +--Ich leugne nicht, daß ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch +verziehet, nicht selten um so viel schöner ist. Aber, wohl gemerkt, +ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei +dieser Gräfin. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die +Aufsicht führen--Augen, wie sie die gute Gräfin nun gerade gar nicht +hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat. + +Conti. Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen--Der Prinz. Und +worüber? Alles, was die Kunst aus den großen, hervorragenden, stieren, +starren Medusenaugen der Gräfin Gutes machen kann, das haben Sie, +Conti, redlich daraus gemacht.--Redlich, sag ich?--Nicht so redlich, +wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, läßt sich aus diesem +Bilde wohl der Charakter der Person schließen? Und das sollte doch. +Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln, Ansatz zu trübsinniger +Schwärmerei in sanfte Schwermut verwandelt. + +Conti (etwas ärgerlich). Ah, mein Prinz--wir Maler rechnen darauf, +daß das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm +er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe +müßten uns auch nur beurteilen. + +Der Prinz. Je nun, Conti--warum kamen Sie nicht einen Monat früher +damit?--Setzen Sie weg.--Was ist das andere Stück? + +Conti (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand hält). Auch ein +weibliches Porträt. + +Der Prinz. So möcht' ich es bald--lieber gar nicht sehen. Denn dem +Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne)--oder vielmehr hier (mit +dem Finger auf das Herz) kömmt es doch nicht bei.--Ich wünschte, Conti, +Ihre Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern. + +Conti. Eine bewundernswürdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen +bewundernswürdigern Gegenstand als diesen. + +Der Prinz. So wett ich, Conti, daß es des Künstlers eigene Gebieterin +ist.--(Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk, +Conti? oder das Werk meiner Phantasie?--Emilia Galotti! + +Conti. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel? + +Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem +Bilde zu verwenden). So halb!--um sie eben wiederzukennen.--Es ist +einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. +--Nachher ist sie mir nur an heiligen Stätten wieder vorgekommen--wo +das Angaffen sich weniger ziemet.--Auch kenn ich ihren Vater. Er ist +mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf +Sabionetta am meisten widersetzte.--Ein alter Degen, stolz und rauh, +sonst bieder und gut!-Conti. Der Vater! Aber hier haben wir seine +Tochter. + +Der Prinz. Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die +Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß +man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein +Lob vergißt. + +Conti. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir +gelassen.--Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner +Unzufriedenheit mit mir selbst.--Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den +Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den +Pinsel, wieviel geht da verloren!--Aber, wie ich sage, daß ich es weiß, +was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es +verlorengehen müssen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich +auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem +erkenne ich, mehr als aus diesem, daß ich wirklich ein großer Maler +bin, daß es aber meine Hand nur nicht immer ist.--Oder meinen Sie, +Prinz, daß Raffael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, +wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden? Meinen Sie, +Prinz? + +Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). Was sagen Sie, +Conti? Was wollen Sie wissen? + +Conti. O nichts, nichts!--Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz +in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen. + +Der Prinz (mit einer erzwungenen Kälte). Also, Conti, rechnen Sie +doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzüglichsten Schönheiten +unserer Stadt? + +Conti. Also? mit? mit zu den vorzüglichsten? und den vorzüglichsten +unserer Stadt?--Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze +Zeit ebensowenig, als Sie hörten. + +Der Prinz. Lieber Conti--(die Augen wieder auf das Bild gerichtet,) +wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur +allein ein Maler von der Schönheit zu urteilen. + +Conti. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines +Malers warten?--Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was +schön ist! Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: +eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, daß Emilia +Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne, +diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese +Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein +einziges Studium der weiblichen Schönheit.--Die Schilderei selbst, +wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese +Kopie--Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret). Nun, Conti? ist +doch nicht schon versagt? + +Conti. Ist für Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden. + +Der Prinz. Geschmack!--(Lächelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen +Schönheit, Conti, wie könnt' ich besser tun, als es auch zu dem +meinigen zu machen?--Dort, jenes Porträt nehmen Sie nur wieder +mit--einen Rahmen darum zu bestellen. + +Conti. Wohl! + +Der Prinz. So schön, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann. +Es soll in der Galerie aufgestellet werden.--Aber dieses bleibt hier. +Mit einem Studio macht man soviel Umstände nicht: auch läßt man das +nicht aufhängen, sondern hat es gern bei der Hand.--Ich danke Ihnen, +Conti; ich danke Ihnen recht sehr.--Und wie gesagt: in meinem Gebiete +soll die Kunst nicht nach Brot gehen--bis ich selbst keines habe. +--Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf +Ihre Quittung, für beide Porträte sich bezahlen--was Sie wollen. +Soviel Sie wollen, Conti. + +Conti. Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, daß Sie so noch +etwas anders belohnen wollen als die Kunst. + +Der Prinz. O des eifersüchtigen Künstlers! Nicht doch!--Hören Sie, +Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.) + + + +Fünfter Auftritt + +Der Prinz. Soviel er will!--(Gegen das Bild.) Dich hab ich für jeden +Preis noch zu wohlfeil.--Ah! schönes Werk der Kunst, ist es wahr, daß +ich dich besitze?--Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der +Natur!--Was Sie dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter +Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!--Am liebsten kauft' ich dich, +Zauberin, von dir selbst!--Dieses Auge voll Liebreiz und +Bescheidenheit! Dieser Mund!--Und wenn er sich zum Reden öffnet! wenn +er lächelt! Dieser Mund!--Ich höre kommen.--Noch bin ich mit dir zu +neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird +Marinelli sein. Hätt' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was für einen +Morgen könnt' ich haben! + + + +Sechster Auftritt + +Marinelli. Der Prinz. + + +Marinelli. Gnädiger Herr, Sie werden verzeihen.--Ich war mir eines so +frühen Befehls nicht gewärtig. + +Der Prinz. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schön. +--Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen. +--(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli? + +Marinelli. Nichts von Belang, das ich wüßte.--Die Gräfin Orsina ist +gestern zur Stadt gekommen. + +Der Prinz. Hier liegt auch schon ihr guter Morgen (auf ihren Brief +zeigend) oder was es sonst sein mag! Ich bin gar nicht neugierig +darauf.--Sie haben sie gesprochen? + +Marinelli. Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter?--Aber, wenn ich es +wieder von einer Dame werde, der es einkömmt, Sie in gutem Ernste zu +lieben, Prinz: so--Der Prinz. Nichts verschworen, Marinelli! + +Marinelli. Ja? In der Tat, Prinz? Könnt' es doch kommen?--Oh! so +mag die Gräfin auch so unrecht nicht haben. + +Der Prinz. Allerdings, sehr unrecht!--Meine nahe Vermählung mit der +Prinzessin von Massa will durchaus, daß ich alle dergleichen Händel +fürs erste abbreche. + +Marinelli. Wenn es nur das wäre: so müßte freilich Orsina sich in ihr +Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines. + +Der Prinz. Das unstreitig härter ist als ihres. Mein Herz wird das +Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf sie nur zurücknehmen, +aber nicht wider Willen verschenken. + +Marinelli. Zurücknehmen? Warum zurücknehmen? fragt die Gräfin: wenn +es weiter nichts als eine Gemahlin ist, die dem Prinzen nicht die +Liebe, sondern die Politik zuführet? Neben so einer Gemahlin sieht +die Geliebte noch immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlin fürchtet +sie aufgeopfert zu sein, sondern--Der Prinz. Einer neuen Geliebten. +--Nun denn? Wollten Sie mir daraus ein Verbrechen machen, Marinelli? + +Marinelli. Ich?--Oh! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der +Närrin, deren Wort ich führe--aus Mitleid führe. Denn gestern, +wahrlich, hat sie mich sonderbar gerühret. Sie wollte von ihrer +Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz +gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgültigsten +Gespräche entfuhr ihr eine Wendung, eine Beziehung über die andere, +die ihr gefoltertes Herz verriet. Mit dem lustigsten Wesen sagte sie +die melancholischsten Dinge: und wiederum die lächerlichsten Possen +mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Büchern ihre Zuflucht +genommen; und ich fürchte, die werden ihr den Rest geben. + +Der Prinz. So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoß +gegeben.--Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, das +wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr +zurückzubringen?--Wenn sie aus Liebe närrisch wird, so wäre sie es, +früher oder später, auch ohne Liebe geworden--Und nun, genug von ihr. +--Von etwas andern!--Geht denn gar nichts vor in der Stadt?--Marinelli. +So gut wie gar nichts.--Denn daß die Verbindung des Grafen Appiani +heute vollzogen wird--ist nicht viel mehr als gar nichts. + +Der Prinz. Des Grafen Appiani? und mit wem denn?--Ich soll ja noch +hören, daß er versprochen ist. + +Marinelli. Die Sache ist sehr geheimgehalten worden. Auch war nicht +viel Aufhebens davon zu machen.--Sie werden lachen, Prinz.--Aber so +geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die +schlimmsten Streiche. Ein Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang hat ihn +in ihre Schlinge zu ziehen gewußt--mit ein wenig Larve, aber mit +vielem Prunke von Tugend und Gefühl und Witz--und was weiß ich? + +Der Prinz. Wer sich den Eindrücken, die Unschuld und Schönheit auf +ihn machen, ohne weitere Rücksicht, so ganz überlassen darf--ich +dächte, der wäre eher zu beneiden als zu belachen.--Und wie heißt denn +die Glückliche? Denn bei alledem ist Appiani--ich weiß wohl, daß Sie, +Marinelli, ihn nicht leiden können; ebensowenig als er Sie--, bei +alledem ist er doch ein sehr würdiger junger Mann, ein schöner Mann, +ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich hätte sehr gewünscht, ihn +mir verbinden zu können. Ich werde noch darauf denken. + +Marinelli. Wenn es nicht zu spät ist.--Denn soviel ich höre, ist sein +Plan gar nicht, bei Hofe sein Glück zu machen.--Er will mit seiner +Gebieterin nach seinen Tälern von Piemont--Gemsen zu jagen, auf den +Alpen, und Murmeltiere abzurichten.--Was kann er Besseres tun? Hier +ist es durch das Mißbündnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der +Zirkel der ersten Häuser ist ihm von nun an verschlossen--Der Prinz. +Mit euren ersten Häusern!--in welchen das Zeremoniell, der Zwang, die +Langeweile und nicht selten die Dürftigkeit herrschet.--Aber so nennen +Sie mir sie doch, der er dieses so große Opfer bringt. + +Marinelli. Es ist eine gewisse Emilia Galotti. + +Der Prinz. Wie, Marinelli? eine gewisse--Marinelli. Emilia Galotti. + +Der Prinz. Emilia Galotti?--Nimmermehr! + +Marinelli. Zuverlässig, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein.--Sie +irren sich in dem Namen.--Das Geschlecht der Galotti ist groß.--Eine +Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia! + +Marinelli. Emilia--Emilia Galotti! + +Der Prinz. So gibt es noch eine, die beide Namen führt.--Sie sagten +ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti--eine gewisse. Von der rechten +kann nur ein Narr so sprechen--Marinelli. Sie sind außer sich, +gnädiger Herr.--Kennen Sie denn diese Emilia? + +Der Prinz. Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er.--Emilia Galotti? +Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Unfern der Kirche Allerheiligen? + +Marinelli. Ebendie. + +Der Prinz. Mit einem Worte--(Indem er nach dem Porträte springt und +es dem Marinelli in die Hand gibt.) Da!--Diese? Diese Emilia +Galotti?--Sprich dein verdammtes "Ebendie" noch einmal und stoß mir +den Dolch ins Herz! + +Marinelli. Ebendie! + +Der Prinz. Henker!--Diese?--Diese Emilia Galotti wird heute--Marinelli. +Gräfin Appiani!--(Hier reißt der Prinz dem Marinelli das Bild wieder +aus der Hand und wirft es beiseite.) Die Trauung geschiehet in der +Stille, auf dem Landgute des Vaters bei Sabionetta. Gegen Mittag +fahren Mutter und Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde +dahin ab. + +Der Prinz (der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft). So bin +ich verloren!--So will ich nicht leben! + +Marinelli. Aber was ist Ihnen, gnädiger Herr? + +Der Prinz (der gegen ihn wieder aufspringt). Verräter!--was mir +ist?--Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an. Mögt ihr es doch wissen! +Mögt ihr es doch längst gewußt haben, alle ihr, denen ich der tollen +Orsina schimpfliche Fesseln lieber ewig tragen sollte!--Nur daß Sie, +Marinelli, der Sie so oft mich Ihrer innigsten Freundschaft +versicherten--O ein Fürst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben! +--, daß Sie, Sie, so treulos, so hämisch mir bis auf diesen Augenblick +die Gefahr verhehlen dürfen, die meiner Liebe drohte: wenn ich Ihnen +jemals das vergebe--so werde mir meiner Sünden keine vergeben! + +Marinelli. Ich weiß kaum Worte zu finden, Prinz--wenn Sie mich auch +dazu kommen ließen--, Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen.--Sie lieben +Emilia Galotti!--Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieser Liebe +das geringste gewußt, das geringste vermutet habe, so möge weder Engel +noch Heiliger von mir wissen!--Ebendas wollt' ich in die Seele der +Orsina schwören. Ihr Verdacht schweift auf einer ganz andern Fährte. + +Der Prinz. So verzeihen Sie mir, Marinelli--(indem er sich ihm in die +Arme wirft) und bedaueren Sie mich. + +Marinelli. Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht Ihrer +Zurückhaltung!--"Fürsten haben keinen Freund! können keinen Freund +haben!"--Und die Ursache, wenn dem so ist?--Weil sie keinen haben +wollen.--Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre +geheimsten Wünsche mit, schließen uns ihre ganze Seele auf: und morgen +sind wir ihnen wieder so fremd, als hätten sie nie ein Wort mit uns +gewechselt. + +Der Prinz. Ah! Marinelli, wie konnt' ich Ihnen vertrauen, was ich +mir selbst kaum gestehen wollte? + +Marinelli. Und also wohl noch weniger der Urheberin Ihrer Qual +gestanden haben? + +Der Prinz. Ihr?--Alle meine Mühe ist vergebens gewesen, sie ein +zweites Mal zu sprechen.--Marinelli. Und das erstemal--Der Prinz. +Sprach ich sie--Oh, ich komme von Sinnen! Und ich soll Ihnen noch +lange erzählen?--Sie sehen mich einen Raub der Wellen: was fragen Sie +viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie können: und +fragen Sie dann. + +Marinelli. Retten? ist da viel zu retten?--Was Sie versäumt haben, +gnädiger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun +der Gräfin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben +kann, kauft man aus der zweiten:--und solche Waren nicht selten aus +der zweiten um so viel wohlfeiler. + +Der Prinz. Ernsthaft, Marinelli, ernsthaft, oder--Marinelli. Freilich, +auch um so viel schlechter-Der Prinz. Sie werden unverschämt! + +Marinelli. Und dazu will der Graf damit aus dem Lande.--Ja, so müßte +man auf etwas anders denken.--Der Prinz. Und auf was?--Liebster, +bester Marinelli, denken Sie für mich. Was würden Sie tun, wenn Sie +an meiner Stelle wären? + +Marinelli. Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit +ansehen--und mir sagen, daß ich nicht vergebens sein wolle, was ich +bin--Herr! + +Der Prinz. Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich +hier keinen Gebrauch absehe.--Heute, sagen Sie? schon heute? + +Marinelli. Erst heute--soll es geschehen. Und nur geschehenen Dingen +ist nicht zu raten.--(Nach einer kurzen Überlegung.) Wollen Sie mir +freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue? + +Der Prinz. Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann. + +Marinelli. So lassen Sie uns keine Zeit verlieren.--Aber bleiben Sie +nicht in der Stadt. Fahren Sie sogleich nach Ihrem Lustschlosse, nach +Dosalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vorbei. Wenn es mir nicht +gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: so denk ich--Doch, +doch; ich glaube, er geht in diese Falle gewiß. Sie wollen, Prinz, +wegen Ihrer Vermählung einen Gesandten nach Massa schicken? Lassen +Sie den Grafen dieser Gesandte sein; mit dem Bedinge, daß er noch +heute abreiset.--Verstehen Sie? + +Der Prinz. Vortrefflich!--Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie, +eilen Sie. Ich werfe mich sogleich in den Wagen. (Marinelli geht ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Der Prinz. Sogleich! sogleich!--Wo blieb es?--(Sich nach dem Porträte +umsehend.) Auf der Erde? das war zu arg! (Indem er es aufhebt.) Doch +betrachten? betrachten mag ich dich fürs erste nicht mehr.--Warum +sollt' ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde drücken? (Setzt es +beiseite)--Geschmachtet, geseufzet hab ich lange genug--länger als ich +gesollt hätte: aber nichts getan! und über die zärtliche Untätigkeit +bei einem Haar alles verloren!--Und wenn nun doch alles verloren wäre? +Wenn Marinelli nichts ausrichtete?--Warum will ich mich auch auf ihn +allein verlassen? Es fällt mir ein--um diese Stunde (nach der Uhr +sehend), um diese nämliche Stunde pflegt das fromme Mädchen alle +Morgen bei den Dominikanern die Messe zu hören.--Wie, wenn ich sie da +zu sprechen suchte?--Doch heute, heut an ihrem Hochzeittage--heute +werden ihr andere Dinge am Herzen liegen als die Messe.--Indes, wer +weiß?--Es ist ein Gang.--(Er klingelt, und indem er einige von den +Papieren auf dem Tische hastig zusammenrafft, tritt der Kammerdiener +herein.) Laßt vorfahren!--Ist noch keiner von den Räten da? + + +Der Kammerdiener. Camillo Rota. + +Der Prinz. Er soll hereinkommen. (Der Kammerdiener geht ab.) Nur +aufhalten muß er mich nicht wollen. Dasmal nicht!--Ich stehe gern +seinen Bedenklichkeiten ein andermal um so viel länger zu Diensten. +--Da war ja noch die Bittschrift einer Emilia Bruneschi.--(Sie suchend. +) Die ist's.--Aber, gute Bruneschi, wo deine Vorsprecherin Achter +Auftritt + +Camillo Rota, Schriften in der Hand. Der Prinz. + +Der Prinz. Kommen Sie, Rota, kommen Sie.--Hier ist, was ich diesen +Morgen erbrochen. Nicht viel Tröstliches!--Sie werden von selbst +sehen, was darauf zu verfügen.--Nehmen Sie nur. + +Camillo Rota. Gut, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilia Galot.. +Bruneschi will ich sagen.--Ich habe meine Bewilligung zwar schon +beigeschrieben. Aber doch--die Sache ist keine Kleinigkeit.--Lassen +Sie die Ausfertigung noch anstehen.--Oder auch nicht anstehen: wie +Sie wollen. + +Camillo Rota. Nicht wie ich will, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Was ist sonst? Etwas zu unterschreiben? + +Camillo Rota. Ein Todesurteil wäre zu unterschreiben. + +Der Prinz. Recht gern.--Nur her! geschwind. + +Camillo Rota (stutzig und den Prinzen starr ansehend). Ein +Todesurteil--sagt' ich. + +Der Prinz. Ich höre ja wohl.--Es könnte schon geschehen sein. Ich +bin eilig. + +Camillo Rota (seine Schriften nachsehend). Nun hab ich es doch wohl +nicht mitgenommen!--Verzeihen Sie, gnädiger Herr.--Es kann Anstand +damit haben bis morgen. + +Der Prinz. Auch das!--Packen Sie nur zusammen; ich muß fort--Morgen, +Rota, ein Mehres! (Geht ab.) + +Camillo Rota (den Kopf schüttelnd, indem er die Papiere zu sich nimmt +und abgeht). Recht gern?--Ein Todesurteil recht gern?--Ich hätt' es +ihn in diesem Augenblicke nicht mögen unterschreiben lassen, und wenn +es den Mörder meines einzigen Sohnes betroffen hätte.--Recht gern! +Recht gern!--Es geht mir durch die Seele dieses gräßliche Recht gern! + + + + +Zweiter Aufzug + +Die Szene: ein Saal in dem Hause der Galotti. + + + +Erster Auftritt + +Claudia Galotti. Pirro. + + +Claudia (im Heraustreten zu Pirro, der von der andern Seite +hereintritt). Wer sprengte da in den Hof? + +Pirro. Unser Herr, gnädige Frau. + +Claudia. Mein Gemahl? Ist es möglich? + +Pirro. Er folgt mir auf dem Fuße. + +Claudia. So unvermutet?--(Ihm entgegeneilend.) Ach! mein Bester! +Zweiter Auftritt + +Odoardo Galotti und die Vorigen. + + +Odoardo. Guten Morgen, meine Liebe!--Nicht wahr, das heißt +überraschen?--Claudia. Und auf die angenehmste Art!--Wenn es anders +nur eine Überraschung sein soll. + +Odoardo. Nichts weiter! Sei unbesorgt.--Das Glück des heutigen Tages +weckte mich so früh; der Morgen war so schön; der Weg ist so kurz; ich +vermutete euch hier so geschäftig--Wie leicht vergessen sie etwas, +fiel mir ein.--Mit einem Worte: ich komme, und sehe, und kehre +sogleich wieder zurück.--Wo ist Emilia? Unstreitig beschäftigt mit +dem Putze?--Claudia. Ihrer Seele!--Sie ist in der Messe.--"Ich habe +heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen", sagte +sie und ließ alles liegen und nahm ihren Schleier und eilte--Odoardo. +Ganz allein? + +Claudia. Die wenigen Schritte--Odoardo. Einer ist genug zu einem +Fehltritt!--Claudia. Zürnen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie +herein--einen Augenblick auszuruhen und, wann Sie wollen, eine +Erfrischung zu nehmen. + +Odoardo. Wie du meinest, Claudia.--Aber sie sollte nicht allein +gegangen sein.--Claudia. Und Ihr, Pirro, bleibt hier in dem Vorzimmer, +alle Besuche auf heute zu verbitten. + + + +Dritter Auftritt + +Pirro und bald darauf Angelo. + + +Pirro. Die sich nur aus Neugierde melden lassen.--Was bin ich seit +einer Stunde nicht alles ausgefragt worden!--Und wer kömmt da? + +Angelo (noch halb hinter der Szene, in einem kurzen Mantel, den er +über das Gesicht gezogen, den Hut in die Stirne). Pirro!--Pirro! + +Pirro. Ein Bekannter?--(Indem Angelo vollends hereintritt und den +Mantel auseinanderschlägt.) Himmel! Angelo?--Du? + +Angelo. Wie du siehst.--Ich bin lange genug um das Haus herumgegangen, +dich zu sprechen.--Auf ein Wort!--Pirro. Und du wagst es, wieder ans +Licht zu kommen?--Du bist seit deiner letzten Mordtat vogelfrei +erkläret; auf deinen Kopf steht eine Belohnung + +Angelo. Die doch du nicht wirst verdienen wollen?--Pirro. Was willst +du?--Ich bitte dich, mache mich nicht unglücklich. + +Angelo. Damit etwa? (Ihm einen Beutel mit Gelde zeigend.)--Nimm! Es +gehöret dir! + +Pirro. Mir? + +Angelo. Hast du vergessen? Der Deutsche, dein voriger Herr--Pirro. +Schweig davon! + +Angelo. Den du uns, auf dem Wege nach Pisa, in die Falle +führtest--Pirro. Wenn uns jemand hörte! + +Angelo. Hatte ja die Güte, uns auch einen kostbaren Ring zu +hinterlassen.--Weißt du nicht?--Er war zu kostbar, der Ring, als daß +wir ihn sogleich ohne Verdacht hätten zu Gelde machen können. Endlich +ist mir es damit gelungen. Ich habe hundert Pistolen dafür erhalten, +und das ist dein Anteil. Nimm! + +Pirro. Ich mag nichts--behalt alles. + +Angelo. Meinetwegen!--wenn es dir gleichviel ist, wie hoch du deinen +Kopf feil trägst--(Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.) + +Pirro. So gib nur! (Nimmt ihn.)--Und was nun? Denn daß du bloß +deswegen mich aufgesucht haben solltest--Angelo. Das kömmt dir nicht +so recht glaublich vor?--Halunke! Was denkst du von uns?--daß wir +fähig sind, jemand seinen Verdienst vorzuenthalten? Das mag unter den +sogenannten ehrlichen Leuten Mode sein: unter uns nicht.--Leb wohl! +--(Tut, als ob er gehen wollte, und kehrt wieder um.) Eins muß ich +doch fragen.--Da kam ja der alte Galotti so ganz allein in die Stadt +gesprengt. Was will der? + +Pirro. Nichts will er; ein bloßer Spazierritt. Seine Tochter wird +heut abend auf dem Gute, von dem er herkömmt, dem Grafen Appiani +angetrauet. Er kann die Zeit nicht erwarten--Angelo. Und reitet bald +wieder hinaus? + +Pirro. So bald, daß er dich hier trifft, wo du noch lange verziehest. +--Aber du hast doch keinen Anschlag auf ihn? Nimm dich in acht. Er +ist ein Mann--Angelo. Kenn ich ihn nicht? Hab ich nicht unter ihm +gedienet?--Wenn darum bei ihm nur viel zu holen wäre!--Wenn fahren die +junge Leute nach? + +Pirro. Gegen Mittag. + +Angelo. Mit viel Begleitung? + +Pirro. In einem einzigen Wagen.--die Mutter, die Tochter und der Graf. +Ein paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen. + +Angelo. Und Bediente? + +Pirro. Nur zwei; außer mir, der ich zu Pferde voraufreiten soll. + +Angelo. Das ist gut.--Noch eins: wessen ist die Equipage? Ist es +eure? oder des Grafen? + +Pirro. Des Grafen. + +Angelo. Schlimm! Da ist noch ein Vorreiter, außer einem handfesten +Kutscher. Doch!--Pirro. Ich erstaune. Aber was willst du?--Das +bißchen Schmuck, das die Braut etwa haben dürfte, wird schwerlich der +Mühe lohnen--Angelo. So lohnt ihrer die Braut selbst! + +Pirro. Und auch bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger +sein? + +Angelo. Du reitest vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an +nichts! + +Pirro. Nimmermehr! + +Angelo. Wie? ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen. +Bursche! ich denke, du kennst mich.--Wo du plauderst! Wo sich ein +einziger Umstand anders findet, als du mir ihn angegeben!--Pirro. Aber, +Angelo, um des Himmels willen!--Angelo. Tu, was du nicht lassen +kannst! (Geht ab.) + +Pirro. Ha! Laß dich den Teufel bei einem Haare fassen, und du bist +sein auf ewig! Ich Unglücklicher! + + + +Vierter Auftritt + +Odoardo und Claudia Galotti. Pirro. + + +Odoardo. Sie bleibt mir zu lang aus--Claudia. Noch einen Augenblick, +Odoardo! Es würde sie schmerzen, deines Anblicks so zu verfehlen. + +Odoardo. Ich muß auch bei dem Grafen noch einsprechen. Kaum kann +ich's erwarten, diesen würdigen jungen Mann meinen Sohn zu nennen. +Alles entzückt mich an ihm. Und vor allem der Entschluß, in seinen +väterlichen Tälern sich selbst zu leben. + +Claudia.--Das Herz bricht mir, wenn ich hieran gedenke.--So ganz +sollen wir sie verlieren, diese einzige, geliebte Tochter? + +Odoardo. Was nennst du, sie verlieren? Sie in den Armen der Liebe zu +wissen? Vermenge dein Vergnügen an ihr nicht mit ihrem Glücke.--Du +möchtest meinen alten Argwohn erneuern:--daß es mehr das Geräusch und +die Zerstreuung der Welt, mehr die Nähe des Hofes war als die +Notwendigkeit, unserer Tochter eine anständige Erziehung zu geben, was +dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben--fern von einem Manne +und Vater, der euch so herzlich liebet. + +Claudia. Wie ungerecht, Odoardo! Aber laß mich heute nur ein +einziges Wort für diese Stadt, für diese Nähe des Hofes sprechen, die +deiner strengen Tugend so verhaßt sind.--Hier, nur hier konnte die +Liebe zusammenbringen, was füreinander geschaffen war. Hier nur +konnte der Graf Emilien finden; und fand sie. + +Odoardo. Das räum ich ein. Aber, gute Claudia, hattest du darum +recht, weil dir der Ausgang recht gibt?--Gut, daß es mit dieser +Stadterziehung so abgelaufen! Laß uns nicht weise sein wollen, wo wir +nichts als glücklich gewesen! Gut, daß es so damit abgelaufen!--Nun +haben sie sich gefunden, die füreinander bestimmt waren: nun laß sie +ziehen, wohin Unschuld und Ruhe sie rufen.--Was sollte der Graf hier? +Sich bücken, schmeicheln und kriechen und die Marinellis auszustechen +suchen? um endlich ein Glück zu machen, dessen er nicht bedarf? um +endlich einer Ehre gewürdiget zu werden, die für ihn keine +wäre?--Pirro! + +Pirro. Hier bin ich. + +Odoardo. Geh und führe mein Pferd vor das Haus des Grafen. Ich komme +nach und will mich da wieder aufsetzen. (Pirro geht ab.)--Warum soll +der Graf hier dienen, wenn er dort selbst befehlen kann?--Dazu +bedenkest du nicht, Claudia, daß durch unsere Tochter er es vollends +mit dem Prinzen verderbt. Der Prinz haßt mich--Claudia. Vielleicht +weniger, als du besorgest. + +Odoardo. Besorgest! Ich besorg auch so was! + +Claudia. Denn hab ich dir schon gesagt, daß der Prinz unsere Tochter +gesehen hat? + +Odoardo. Der Prinz? Und wo das? + +Claudia. In der letzten Vegghia, bei dem Kanzler Grimaldi, die er mit +seiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte sich gegen sie so +gnädig--Odoardo. So gnädig? + +Claudia. Er unterhielt sich mit ihr so lange--Odoardo. Unterhielt +sich mit ihr? + +Claudia. Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze so +bezaubert--Odoardo. So bezaubert?--Claudia. Hat von ihrer Schönheit +mit so vielen Lobeserhebungen gesprochen--Odoardo. Lobeserhebungen? +Und das alles erzählst du mir in einem Tone der Entzückung? O Claudia! +eitle, törichte Mutter! + +Claudia. Wieso? + +Odoardo. Nun gut, nun gut! Auch das ist so abgelaufen.--Ha! wenn ich +mir einbilde--Das gerade wäre der Ort, wo ich am tödlichsten zu +verwunden bin!--Ein Wollüstling, der bewundert, begehrt.--Claudia! +Claudia! der bloße Gedanke setzt mich in Wut.--Du hättest mir das +sogleich sollen gemeldet haben.--Doch, ich möchte dir heute nicht gern +etwas Unangenehmes sagen. Und ich würde (indem sie ihn bei der Hand +ergreift), wenn ich länger bliebe.--Drum laß mich! laß mich!--Gott +befohlen, Claudia!--Kommt glücklich nach! + + + +Fünfter Auftritt + + +Claudia Galotti. Welch ein Mann!--Oh, der rauhen Tugend!--wenn anders +sie diesen Namen verdienet.--Alles scheint ihr verdächtig, alles +strafbar!--Oder, wenn das die Menschen kennen heißt:--wer sollte sich +wünschen, sie zu kennen?--Wo bleibt aber auch Emilia?--Er ist des +Vaters Feind: folglich--folglich, wenn er ein Auge für die Tochter hat, +so ist es einzig, um ihn zu beschimpfen? + + + +Sechster Auftritt + + +Emilia und Claudia Galotti. + +Emilia (stürzet in einer ängstlichen Verwirrung herein). Wohl mir! +wohl mir!--Nun bin ich in Sicherheit. Oder ist er mir gar gefolgt? +(Indem sie den Schleier zurückwirft und ihre Mutter erblicket.) Ist er, +meine Mutter? ist er? Nein, dem Himmel sei Dank! + +Claudia. Was ist dir, meine Tochter? was ist dir? + +Emilia. Nichts, nichts--Claudia. Und blickest so wild um dich? Und +zitterst an jedem Gliede? + +Emilia. Was hab ich hören müssen? Und wo, wo hab ich es hören müssen? + +Claudia. Ich habe dich in der Kirche geglaubt--Emilia. Eben da! Was +ist dem Laster Kirch' und Altar?--Ach, meine Mutter! (Sich ihr in die +Arme werfend.) + +Claudia. Rede, meine Tochter!--Mach meiner Furcht ein Ende.--Was kann +dir da, an heiliger Stätte, so Schlimmes begegnet sein? + +Emilia. Nie hätte meine Andacht inniger, brünstiger sein sollen als +heute: nie ist sie weniger gewesen, was sie sein sollte. + +Claudia. Wir sind Menschen, Emilia. Die Gabe zu beten ist nicht +immer in unserer Gewalt. Dem Himmel ist beten wollen auch beten. + +Emilia. Und sündigen wollen auch sündigen. + +Claudia. Das hat meine Emilia nicht wollen! + +Emilia. Nein, meine Mutter; so tief ließ mich die Gnade nicht sinken. +--Aber daß fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen +machen kann! + +Claudia. Fasse dich!--Sammle deine Gedanken, soviel dir möglich.--Sag +es mir mit eins, was dir geschehen. + +Emilia. Eben hatt' ich mich--weiter von dem Altare, als ich sonst +pflege--denn ich kam zu spät--, auf meine Knie gelassen. Eben fing +ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas seinen Platz +nahm. So dicht hinter mir!--Ich konnte weder vor noch zur Seite +rücken--so gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines andern Andacht +mich in meiner stören möchte.--Andacht! das war das Schlimmste, was +ich besorgte.--Aber es währte nicht lange, so hört' ich, ganz nah an +meinem Ohre--nach einem tiefen Seufzer--nicht den Namen einer +Heiligen--den Namen--zürnen Sie nicht, meine Mutter--den Namen Ihrer +Tochter!--Meinen Namen!--O daß laute Donner mich verhindert hätten, +mehr zu hören!--Es sprach von Schönheit, von Liebe--Es klagte, daß +dieser Tag, welcher mein Glück mache--wenn er es anders mache--sein +Unglück auf immer entscheide.--Es beschwor mich--hören mußt' ich dies +alles. Aber ich blickte nicht um; ich wollte tun, als ob ich es nicht +hörte.--Was konnt' ich sonst?--Meinen guten Engel bitten, mich mit +Taubheit zu schlagen; und wann auch, wenn auch auf immer!--Das bat ich; +das war das einzige, was ich beten konnte.--Endlich ward es Zeit, +mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende. Ich zitterte, +mich umzukehren. Ich zitterte, ihn zu erblicken, der sich den Frevel +erlauben dürfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte--Claudia. +Wen, meine Tochter? + +Emilia. Raten Sie, meine Mutter, raten Sie--Ich glaubte in die Erde +zu sinken--Ihn selbst. + +Claudia. Wen, ihn selbst? + +Emilia. Den Prinzen. + +Claudia. Den Prinzen!--O gesegnet sei die Ungeduld deines Vaters, der +eben hier war und dich nicht erwarten wollte! + +Emilia. Mein Vater hier?--und wollte mich nicht erwarten? + +Claudia. Wenn du in deiner Verwirrung auch ihn das hättest hören +lassen! + +Emilia. Nun, meine Mutter?--Was hätt' er an mir Strafbares finden +können? + +Claudia. Nichts; ebensowenig als an mir. Und doch, doch--Ha, du +kennest deinen Vater nicht! In seinem Zorne hätt' er den unschuldigen +Gegenstand des Verbrechens mit dem Verbrecher verwechselt. In seiner +Wut hätt' ich ihm geschienen, das veranlaßt zu haben, was ich weder +verhindern noch vorhersehen können.--Aber weiter, meine Tochter, +weiter! Als du den Prinzen erkanntest--Ich will hoffen, daß du deiner +mächtig genug warest, ihm in einem Blicke alle die Verachtung zu +bezeigen, die er verdienst. + +Emilia. Das war ich nicht, meine Mutter! Nach dem Blicke, mit dem +ich ihn erkannte, hatt' ich nicht das Herz, einen zweiten auf ihn zu +richten. Ich floh--Claudia. Und der Prinz dir nach--Emilia. Was ich +nicht wußte, bis ich in der Halle mich bei der Hand ergriffen fühlte. +Und von ihm! Aus Scham mußt' ich standhalten: mich von ihm +loszuwinden würde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht +haben. Das war die einzige Überlegung, deren ich fähig war--oder +deren ich nun mich wieder erinnere. Er sprach; und ich hab ihm +geantwortet. Aber was er sprach, was ich ihm geantwortet--fällt mir +es noch bei, so ist es gut, so will ich es Ihnen sagen, meine Mutter. +Jetzt weiß ich von dem allen nichts. Meine Sinne hatten mich +verlassen.--Umsonst denk ich nach, wie ich von ihm weg und aus der +Halle gekommen. Ich finde mich erst auf der Straße wieder, und höre +ihn hinter mir herkommen, und höre ihn mit mir zugleich in das Haus +treten, mit mir die Treppe hinaufsteigen--Claudia. Die Furcht hat +ihren besondern Sinn, meine Tochter! Ich werde es nie vergessen, mit +welcher Gebärde du hereinstürztest.--Nein, so weit durfte er nicht +wagen, dir zu folgen.--Gott! Gott! wenn dein Vater das wüßte!--Wie +wild er schon war, als er nur hörte, daß der Prinz dich jüngst nicht +ohne Mißfallen gesehen!--Indes, sei ruhig, meine Tochter! Nimm es für +einen Traum, was dir begegnet ist. Auch wird es noch weniger Folgen +haben als ein Traum. Du entgehest heute mit eins allen Nachstellungen. + +Emilia. Aber, nicht, meine Mutter? Der Graf muß das wissen. Ihm muß +ich es sagen. + +Claudia. Um alle Welt nicht!--Wozu? warum? Willst du für nichts und +wieder für nichts ihn unruhig machen? Und wann er es auch itzt nicht +würde: wisse, mein Kind, daß ein Gift, welches nicht gleich wirket, +darum kein minder gefährliches Gift ist. Was auf den Liebhaber keinen +Eindruck macht, kann ihn auf den Gemahl machen. Den Liebhaber könnt' +es sogar schmeicheln, einem so wichtigen Mitbewerber den Rang +abzulaufen. Aber wenn er ihm den nun einmal abgelaufen hat: ah! mein +Kind--so wird aus dem Liebhaber oft ein ganz anderes Geschöpf. Dein +gutes Gestirn behüte dich vor dieser Erfahrung. + +Emilia. Sie wissen, meine Mutter, wie gern ich Ihren bessern +Einsichten mich in allem unterwerfe.--Aber, wenn er es von einem +andern erführe, daß der Prinz mich heute gesprochen? Würde mein +Verschweigen nicht, früh oder spät, seine Unruhe vermehren?--Ich +dächte doch, ich behielte lieber vor ihm nichts auf dem Herzen. + +Claudia. Schwachheit! verliebte Schwachheit!--Nein, durchaus nicht, +meine Tochter! Sag ihm nichts. Laß ihn nichts merken! + +Emilia. Nun ja, meine Mutter! Ich habe keinen Willen gegen den +Ihrigen.--Aha! (Mit einem tiefen Atemzuge.) Auch wird mir wieder ganz +leicht.--Was für ein albernes, furchtsames Ding ich bin!--Nicht, meine +Mutter?--Ich hätte mich noch wohl anders dabei nehmen können und würde +mir ebensowenig vergeben haben. + +Claudia. Ich wollte dir das nicht sagen, meine Tochter, bevor dir es +dein eigner gesunder Verstand sagte. Und ich wußte, er wurde dir es +sagen, sobald du wieder zu dir selbst gekommen.--Der Prinz ist galant. +Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt. +Eine Höflichkeit wird in ihr zur Empfindung, eine Schmeichelei zur +Beteurung, ein Einfall zum Wunsche, ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts +klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in ihr so viel als +nichts. + +Emilia. O meine Mutter!--so müßte ich mir mit meiner Furcht vollends +lächerlich vorkommen!--Nun soll er gewiß nichts davon erfahren, mein +guter Appiani! Er könnte mich leicht für mehr eitel als tugendhaft +halten.--Hui! daß er da selbst kömmt! Es ist sein Gang. + + + +Siebenter Auftritt + +Graf Appiani. Die Vorigen. + + +Appiani (tritt tiefsinnig, mit vor sich hin geschlagenen Augen herein +und kömmt näher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegenspringt). +Ah, meine Teuerste!--Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend. + +Emilia. Ich wünschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht +vermuten.--So feierlich? so ernsthaft?--Ist dieser Tag keiner +freudigern Aufwallung wert? + +Appiani. Er ist mehr wert als mein ganzes Leben. Aber schwanger mit +so viel Glückseligkeit für mich--mag es wohl diese Glückseligkeit +selbst sein, die mich so ernst, die mich, wie Sie es nennen, mein +Fräulein, so feierlich macht.--(Indem er die Mutter erblickt.) Ha! +auch Sie hier, meine gnädige Frau!--nun bald mir mit einem innigern +Namen zu verehrende! + +Claudia. Der mein größter Stolz sein wird!--Wie glücklich bist du, +meine Emilia!--Warum hat dein Vater unsere Entzückung nicht teilen +wollen? + +Appiani. Eben habe ich mich aus seinen Armen gerissen:--oder vielmehr, +er sich aus meinen.--Welch ein Mann, meine Emilia, Ihr Vater! Das +Muster aller männlichen Tugend! Zu was für Gesinnungen erhebt sich +meine Seele in seiner Gegenwart! Nie ist mein Entschluß, immer gut, +immer edel zu sein, lebendiger, als wenn ich ihn sehe--wenn ich ihn +mir denke. Und womit sonst als mit der Erfüllung dieses Entschlusses +kann ich mich der Ehre würdig machen, sein Sohn zu heißen--der Ihrige +zu sein, meine Emilia? + +Emilia. Und er wollte mich nicht erwarten! + +Appiani. Ich urteile, weil ihn seine Emilia, für diesen +augenblicklichen Besuch, zu sehr erschüttert, zu sehr sich seiner +ganzen Seele bemächtiget hätte. + +Claudia. Er glaubte dich mit deinem Brautschmucke beschäftiget zu +finden und hörte--Appiani. Was ich mit der zärtlichsten Bewunderung +wieder von ihm gehört habe.--So recht, meine Emilia! Ich werde eine +fromme Frau an Ihnen haben, und die nicht stolz auf ihre Frömmigkeit +ist. + +Claudia. Aber, meine Kinder, eines tun und das andere nicht lassen! +--Nun ist es hohe Zeit; nun mach, Emilia! + +Appiani. Was? meine gnädige Frau. + +Claudia. Sie wollen sie doch nicht so, Herr Graf--so wie sie da ist, +zum Altare führen? + +Appiani. Wahrlich, das werd ich nun erst gewahr.--Wer kann Sie sehen, +Emilia, und auch auf Ihren Putz achten?--Und warum nicht so, so wie +sie da ist? + +Emilia. Nein, mein lieber Graf, nicht so; nicht ganz so. Aber auch +nicht viel prächtiger, nicht viel.--Husch, husch, und ich bin fertig! +--Nichts, gar nichts von dem Geschmeide, dem letzten Geschenke Ihrer +verschwenderischen Großmut! Nichts, gar nichts, was sich nur zu +solchem Geschmeide schickte!--Ich könnte ihm gram sein, diesem +Geschmeide, wenn es nicht von Ihnen wäre. Denn dreimal hat mir von +ihm geträumt--Claudia. Nun! davon weiß ich ja nichts. + +Emilia. Als ob ich es trüge, und als ob plötzlich sich jeder Stein +desselben in eine Perle verwandele.--Perlen aber, meine Mutter, Perlen +bedeuten Tränen. + +Claudia. Kind!--Die Bedeutung ist träumerischer als der Traum. +--Warest du nicht von jeher eine größere Liebhaberin von Perlen als +von Steinen?--Emilia. Freilich, meine Mutter, freilich--Appiani +(nachdenkend und schwermütig). Bedeuten Tränen--bedeuten Tränen! + +Emilia. Wie? Ihnen fällt das auf? Ihnen? + +Appiani. Jawohl, ich sollte mich schämen.--Aber, wenn die +Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist--Emilia. +Warum ist sie das auch?--Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht +habe?--Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel?--Wissen +Sie es noch? + +Appiani. Ob ich es noch weiß? Ich sehe Sie in Gedanken nie anders +als so; und sehe Sie so, auch wenn ich Sie nicht so sehe. + +Emilia. Also, ein Kleid von der nämlichen Farbe, von dem nämlichen +Schnitte; fliegend und frei--Appiani. Vortrefflich! + +Emilia. Und das Haar--Appiani. In seinem eignen braunen Glanze; in +Locken, wie sie die Natur schlug--Emilia. Die Rose darin nicht zu +vergessen! Recht! recht!--Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor +Ihnen da! + + + +Achter Auftritt + +Graf Appiani. Claudia Galotti. + + +Appiani (indem er ihr mit einer niedergeschlagenen Miene nachsieht). +Perlen bedeuten Tränen!--Eine kleine Geduld!--Ja, wenn die Zeit nur +außer uns wäre!--Wenn eine Minute am Zeiger sich in uns nicht in Jahre +ausdehnen könnte!--Claudia. Emiliens Beobachtung, Herr Graf, war so +schnell als richtig. Sie sind heut ernster als gewöhnlich. Nur noch +einen Schritt von dem Ziele Ihrer Wünsche--sollt' es Sie reuen, Herr +Graf, daß es das Ziel Ihrer Wünsche gewesen? + +Appiani. Ah, meine Mutter, und Sie können das von Ihrem Sohne +argwöhnen?--Aber, es ist wahr; ich bin heut ungewöhnlich trübe und +finster.--Nur sehen Sie, gnädig Frau:--noch einen Schritt vom Ziele +oder noch gar nicht ausgelaufen sein, ist im Grunde eines.--Alles was +ich sehe, alles was ich höre, alles was ich träume, prediget mir seit +gestern und ehegestern diese Wahrheit. Dieser eine Gedanke kettet +sich an jeden andern, den ich haben muß und haben will.--Was ist das? +Ich versteh es nicht.--Claudia. Sie machen mich unruhig, Herr +Graf--Appiani. Eines kömmt dann zum andern!--Ich bin ärgerlich; +ärgerlich über meine Freunde, über mich selbst--Claudia. Wieso? + +Appiani. Meine Freunde verlangen schlechterdings, daß ich dem Prinzen +von meiner Heirat ein Wort sagen soll, ehe ich sie vollziehe. Sie +geben mir zu, ich sei es nicht schuldig; aber die Achtung gegen ihn +woll' es nicht anders.--Und ich bin schwach genug gewesen, es ihnen zu +versprechen. Eben wollt' ich noch bei ihm vorfahren. + +Claudia (stutzig). Bei dem Prinzen? + + + +Neunter Auftritt + +Pirro, gleich darauf Marinelli und die Vorigen. + + +Pirro. Gnädige Frau, der Marchese Marinelli hält vor dem Hause und +erkundiget sich nach dem Herrn Grafen. + +Appiani. Nach mir? + +Pirro. Hier ist er schon. (Öffnet ihm die Türe und gehet ab.) + +Marinelli. Ich bitt um Verzeihung, gnädige Frau.--Mein Herr Graf, ich +war vor Ihrem Hause und erfuhr, daß ich Sie hier treffen würde. Ich +hab ein dringendes Geschäft an Sie--Gnädige Frau, ich bitte nochmals +um Verzeihung; es ist in einigen Minuten geschehen. + +Claudia. Die ich nicht verzögern will. (Macht ihm eine Verbeugung +und geht ab.) + + + +Zehnter Auftritt + +Marinelli. Appiani. + + +Ap piani. Nun, mein Herr? + +Marinelli. Ich komme von des Prinzen Durchlaucht. + +Appiani. Was ist zu seinem Befehle? + +Marinelli. Ich bin stolz, der Überbringer einer so vorzüglichen Gnade +zu sein.--Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner +ergebensten Freunde in mir verkennen will--Appiani. Ohne weitere +Vorrede, wenn ich bitten darf. + +Marinelli. Auch das!--Der Prinz muß sogleich an den Herzog von Massa, +in Angelegenheit seiner Vermählung mit dessen Prinzessin Tochter, +einen Bevollmächtigten senden. Er war lange unschlüssig, wen er dazu +ernennen sollte. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen. + +Appiani. Auf mich? + +Marinelli. Und das--wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf--nicht +ohne mein Zutun--Appiani. Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes +in Verlegenheit.--Ich habe schon längst nicht mehr erwartet, daß der +Prinz mich zu brauchen geruhen werde.--Marinelli. Ich bin versichert, +daß es ihm bloß an einer würdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn +auch diese so eines Mannes wie Graf Appiani noch nicht würdig genug +sein sollte, so ist freilich meine Freundschaft zu voreilig gewesen. + +Appiani. Freundschaft und Freundschaft um das dritte Wort!--Mit wem +red ich denn? Des Marchese Marinelli Freundschaft hätt' ich mir nie +träumen lassen.--Marinelli. Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein +unverzeihliches Unrecht, daß ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein +wollen.--Bei dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen +angetragene Ehre bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie +werden sie mit Begierd' ergreifen. + +Appiani (nach einiger Überlegung). Allerdings. + +Marinelli. Nun so kommen Sie. + +Appiani. Wohin? + +Marinelli. Nach Dosalo, zu dem Prinzen.--Es liegt schon alles fertig; +und Sie müssen noch heut abreisen. + +Appiani. Was sagen Sie?--Noch heute? + +Marinelli. Lieber noch in dieser nämlichen Stunde als in der +folgenden. Die Sache ist von der äußersten Eil'. + +Appiani. In Wahrheit?--So tut es mir leid, daß ich die Ehre, welche +mir der Prinz zugedacht, verbitten muß. + +Marinelli. Wie? + +Appiani. Ich kann heute nicht abreisen--auch morgen nicht--auch +übermorgen noch nicht.--Marinelli. Sie scherzen, Herr Graf. + +Appiani. Mit Ihnen? + +Marinelli. Unvergleichlich! Wenn der Scherz dem Prinzen gilt, so ist +er um so viel lustiger.--Sie können nicht? + +Appiani. Nein, mein Herr, nein.--Und ich hoffe, daß der Prinz selbst +meine Entschuldigung wird gelten lassen. + +Marinelli. Die bin ich begierig zu hören. + +Appiani. Oh, eine Kleinigkeit!--Sehen Sie; ich soll noch heut eine +Frau nehmen. + +Marinelli. Nun? und dann? + +Appiani. Und dann?--und dann?--Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv. + +Marinelli. Man hat Exempel, Herr Graf, daß sich Hochzeiten +aufschieben lassen.--Ich glaube freilich nicht, daß der Braut oder dem +Bräutigam immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes +haben. Aber doch, dächt' ich, der Befehl des Herrn--Appiani. Der +Befehl des Herrn?--des Herrn? Ein Herr, den man sich selber wählt, +ist unser Herr so eigentlich nicht--Ich gebe zu, daß Sie dem Prinzen +unbedingtem Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich.--Ich kam an +seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu +dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines +größern Herrn--Marinelli. Größer oder kleiner: Herr ist Herr. + +Appiani. Daß ich mit Ihnen darüber strittet--Genug, sagen Sie dem +Prinzen, was Sie gehört haben--daß es mir leid tut, seine Gnade nicht +annehmen zu können, weil ich eben heut eine Verbindung vollzöge, die +mein ganzes Glück ausmache. + +Marinelli. Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem? + +Appiani. Mit Emilia Galotti. + +Marinelli. Der Tochter aus diesem Hause? + +Appiani. Aus diesem Hause. + +Marinelli. Hm! Hm! + +Appiani. Was beliebt? + +Marinelli. Ich sollte meinen, daß es sonach um so weniger +Schwierigkeit haben könne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurückkunft +auszusetzen. + +Appiani. Die Zeremonie? Nur die Zeremonie? + +Marinelli. Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen. + +Appiani. Die guten Eltern? + +Marinelli. Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiß. + +Appiani. Ja wohl gewiß?--Sie sind mit Ihrem ja wohl--ja wohl ein +ganzer Affe! + +Marinelli. Mir das, Graf? + +Appiani. Warum nicht? + +Marinelli. Himmel und Hölle!--Wir werden uns sprechen. + +Appiani. Pah! Hämisch ist der Affe; aber--Marinelli. Tod und +Verdammnis!--Graf, ich fodere Genugtuung. + +Appiani. Das versteht sich. + +Marinelli. Und würde sie gleich itzt nehmen--nur daß ich dem +zärtlichen Bräutigam den heutigen Tag nicht verderben mag. + +Appiani. Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch! (Indem er ihn +bei der Hand ergreift.) Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht +schicken lassen, aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit +übrig.--Kommen Sie, kommen Sie! + +Marinelli (der sich losreißt und abgeht). Nur Geduld, Graf, nur +Geduld! + + + +Elfter Auftritt + +Appiani. Claudia Galotti. + + +Appiani. Geh, Nichtswürdiger!--Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist +in Wallung gekommen. Ich fühle mich anders und besser. + +Claudia (eiligst und besorgt). Gott! Herr Graf--Ich hab einen +heftigen Wortwechsel gehört.--Ihr Gesicht glühet. Was ist vorgefallen? + +Appiani. Nichts, gnädige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli +hat mir einen großen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum +Prinzen überhoben. + +Claudia. In der Tat? + +Appiani. Wir können nun um so viel früher abfahren. Ich gehe, meine +Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes +auch fertig. + +Claudia. Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf? + +Appiani. Ganz ruhig, gnädige Frau. (Sie geht herein und er fort.) + + + + +Dritter Aufzug + +Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen. + + + +Erster Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Marinelli. Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der größten +Verachtung aus. + +Der Prinz. Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird +Emilia noch heute die Seinige? + +Marinelli. Allem Ansehen nach. + +Der Prinz. Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel!--Wer weiß, +wie albern Sie sich dabei genommen.--Wenn der Rat eines Toren einmal +gut ist, so muß ihn ein gescheiter Mann ausführen. Das hätt' ich +bedenken sollen. + +Marinelli. Da find ich mich schön belohnt! + +Der Prinz. Und wofür belohnt? + +Marinelli. Daß ich noch mein Leben darüber in die Schanze schlagen +wollte.--Als ich sahe, daß weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen +konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen, versucht' ich es, ihn in +Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, über die er sich vergaß. Er +stieß Beleidigungen gegen mich aus, und ich forderte Genugtuung--und +forderte sie gleich auf der Stelle.--Ich dachte so: entweder er mich +oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun, +wenn auch; so muß er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit. + +Der Prinz. Das hätten Sie getan, Marinelli? + +Marinelli. Ha! man sollt' es voraus wissen, wenn man so töricht +bereit ist, sich für die Großen aufzuopfern--man sollt' es voraus +wissen, wie erkenntlich sie sein würden--Der Prinz. Und der Graf?--Er +stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht zweimal sagen zu lassen. + +Marinelli. Nachdem es fällt, ohne Zweifel.--Wer kann es ihm +verdenken?--Er versetzte, daß er auf heute doch noch etwas Wichtigers +zu tun habe, als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er +mich auf die ersten acht Tage nach der Hochzeit. + +Der Prinz. Mit Emilia Galotti! Der Gedanke macht mich rasend! +--Darauf ließen Sie es gut sein und gingen--und kommen und prahlen, +daß Sie Ihr Leben für mich in die Schanze geschlagen, sich mir +aufgeopfert--Marinelli. Was wollen Sie aber, gnädiger Herr, das ich +weiter hätte tun sollen? + +Der Prinz. Weiter tun?--Als ob er etwas getan hätte! + +Marinelli. Und lassen Sie doch hören, gnädiger Herr, was Sie für sich +selbst getan haben.--Sie waren so glücklich, sie noch in der Kirche zu +sprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet? + +Der Prinz (höhnisch). Neugierde zur Genüge!--Die ich nur befriedigen +muß.--Oh, es ging alles nach Wunsch.--Sie brauchen sich nicht weiter +zu bemühen, mein allzu dienstfertiger Freund!--Sie kam meinem +Verlangen mehr als halbes Weges entgegen. Ich hätte sie nur gleich +mitnehmen dürfen. (Kalt und befehlend.) Nun wissen Sie, was Sie +wissen wollen--und können gehn! + +Marinelli. Und können gehn!--Ja, ja, das ist das Ende vom Liede! und +würd' es sein, gesetzt auch, ich wollte noch das Unmögliche versuchen. +--Das Unmögliche sag ich?--So unmöglich wär' es nun wohl nicht; aber +kühn!--Wenn wir die Braut in unserer Gewalt hätten, so stünd' ich +dafür, daß aus der Hochzeit nichts werden sollte. + +Der Prinz. Ei! wofür der Mann nicht alles stehen will! Nun dürft' +ich ihm nur noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte +sich an der Landstraße damit in Hinterhalt und fiele selbst funfziger +einen Wagen an, und riss' ein Mädchen heraus, das er im Triumphe mir +zubrächte. + +Marinelli. Es ist eher ein Mädchen mit Gewalt entführt worden, ohne +daß es einer gewaltsamen Entführung ähnlich gesehen. + +Der Prinz. Wenn Sie das zu machen wüßten, so würden Sie nicht erst +lange davon schwatzen. + +Marinelli. Aber für den Ausgang müßte man nicht stehen sollen.--Es +könnten sich Unglücksfälle dabei ereignen--Der Prinz. Und es ist meine +Art, daß ich Leute Dinge verantworten lasse, wofür sie nicht können! + +Marinelli. Also, gnädiger Herr--(Man hört von weitem einen Schuß.) Ha! +was war das?--Hört' ich recht?--Hörten Sie nicht auch, gnädiger Herr, +einen Schuß fallen?--Und da noch einen! + +Der Prinz. Was ist das? was gibt's? + +Marinelli. Was meinen Sie wohl?--Wie, wann ich tätiger wäre, als Sie +glauben? + +Der Prinz. Tätiger?--So sagen Sie doch--Marinelli. Kurz: wovon ich +gesprochen, geschieht. + +Der Prinz. Ist es möglich? + +Marinelli. Nur vergessen Sie nicht, Prinz, wessen Sie mich eben +versichert.--Ich habe nochmals Ihr Wort--Der Prinz. Aber die Anstalten +sind doch so--Marinelli. Als sie nur immer sein können!--Die +Ausführung ist Leuten anvertrauet, auf die ich mich verlassen kann. +Der Weg geht hart an der Planke des Tiergartens vorbei. Da wird ein +Teil den Wagen angefallen haben; gleichsam, um ihn zu plündern. Und +ein anderer Teil, wobei einer von meinen Bedienten ist, wird aus dem +Tiergarten gestürzt sein; den Angefallenen gleichsam zur Hülfe. +Während des Handgemenges, in das beide Teile zum Schein geraten, soll +mein Bedienter Emilien ergreifen, als ob er sie retten wolle, und +durch den Tiergarten in das Schloß bringen.--So ist die Abrede.--Was +sagen Sie nun, Prinz? + +Der Prinz. Sie überraschen mich auf eine sonderbare Art.--Und eine +Bangigkeit überfällt mich--(Marinelli geht an das Fenster.) Wornach +sehen Sie? + +Marinelli. Dahinaus muß es sein!--Recht!--und eine Maske kömmt +bereits um die Planke gesprengt--ohne Zweifel, mir den Erfolg zu +berichten.--Entfernen Sie sich, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Ah, Marinelli--Marinelli. Nun? Nicht wahr, nun hab ich zu +viel getan, und vorhin zu wenig? + +Der Prinz. Das nicht. Aber ich sehe bei alledem nicht ab--Marinelli. +Absehn?--Lieber alles mit eins!--Geschwind, entfernen Sie sich.--Die +Maske muß Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Marinelli und bald darauf Angelo. + + +Marinelli (der wieder nach dem Fenster geht). Dort fährt der Wagen +langsam nach der Stadt zurück.--So langsam? Und in jedem Schlage ein +Bedienter?--Das sind Anzeichen, die mir nicht gefallen--daß der +Streich wohl nur halb gelungen ist:--daß man einen Verwundeten +gemächlich zurückführet--und keinen Toten.--Die Maske steigt ab.--Es +ist Angelo selbst. Der Tolldreiste!--Endlich, hier weiß er die +Schliche.--Er winkt mir zu. Er muß seiner Sache gewiß sein.--Ha, Herr +Graf, der Sie nicht nach Massa wollten, und nun noch einen weitern Weg +müssen!--Wer hatte Sie die Affen so kennen gelehrt? (Indem er nach +der Türe zugeht.) Jawohl sind sie hämisch.--Nun, Angelo? + +Angelo (der die Maske abgenommen). Passen Sie auf, Herr Kammerherr! +Man muß sie gleich bringen. + +Marinelli. Und wie lief es sonst ab? + +Angelo. Ich denke ja, recht gut. + +Marinelli. Wie steht es mit dem Grafen? + +Angelo. Zu dienen! So, so!--Aber er muß Wind gehabt haben. Denn er +war nicht so ganz unbereitet. + +Marinelli. Geschwind sage mir, was du mir zu sagen hast!--Ist er tot? + +Angelo. Es tut mir leid um den guten Herrn. + +Marinelli. Nun da, für dein mitleidiges Herz! (Gibt ihm einen Beutel +mit Gold.) + +Angelo. Vollends mein braver Nicolo! der das Bad mit bezahlen müssen. + +Marinelli. So? Verlust auf beiden Seiten? + +Angelo. Ich könnte weinen um den ehrlichen Jungen! Ob mir sein Tod +schon das (indem er den Beutel in der Hand wieget) um ein Vierteil +verbessert. Denn ich bin sein Erbe, weil ich ihn gerächet habe. Das +ist so unser Gesetz; ein so gutes, mein ich, als für Treu' und +Freundschaft je gemacht worden. Dieser Nicolo, Herr Kammerherr +--Marinelli. Mit deinem Nicolo!--Aber der Graf, der Graf--Angelo. +Blitz! der Graf hatte ihn gut gefaßt. Dafür faßt' ich auch wieder +den Grafen!--Er stürzte; und wenn er noch lebendig zurück in die +Kutsche kam, so steh ich dafür, daß er nicht lebendig wieder +herauskommt. + +Marinelli. Wenn das nur gewiß ist, Angelo. + +Angelo. Ich will Ihre Kundschaft verlieren, wenn es nicht gewiß ist! +--Haben Sie noch was zu befehlen? Denn mein Weg ist der weiteste: wir +wollen heute noch über die Grenze. + +Marinelli. So geh. + +Angelo. Wenn wieder was vorfällt, Herr Kammerherr--Sie wissen, wo ich +zu erfragen bin. Was sich ein andrer zu tun getrauet, wird für mich +auch keine Hexerei sein. Und billiger bin ich als jeder andere. +(Geht ab.) + +Marinelli. Gut das!--Aber doch nicht so recht gut.--Pfui, Angelo! so +ein Knicker zu sein! Einen zweiten Schuß wäre er ja wohl noch wert +gewesen.--Und wie er sich vielleicht nun martern muß, der arme Graf! +--Pfui, Angelo! Das heißt sein Handwerk sehr grausam treiben--und +verpfuschen.--Aber davon muß der Prinz noch nichts wissen. Er muß +erst selbst finden, wie zuträglich ihm dieser Tod ist.--Dieser Tod! +--Was gäb' ich um die Gewißheit! + + + +Dritter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Der Prinz. Dort kömmt sie die Allee herauf. Sie eilet vor dem +Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, beflügelt ihre Füße. Sie +muß noch nichts argwöhnen. Sie glaubt sich nur vor Räubern zu retten. +--Aber wie lange kann das dauren? + +Marinelli. So haben wir sie doch fürs erste. + +Der Prinz. Und wird die Mutter sie nicht aufsuchen? Wird der Graf +ihr nicht nachkommen? Was sind wir alsdenn weiter? Wie kann ich sie +ihnen vorenthalten? + +Marinelli. Auf das alles weiß ich freilich noch nichts zu antworten. +Aber wir müssen sehen. Gedulden Sie sich, gnädiger Herr. Der erste +Schritt mußte doch getan sein.--Der Prinz. Wozu? wenn wir ihn +zurücktun müssen. + +Marinelli. Vielleicht müssen wir nicht.--Da sind tausend Dinge, auf +die sich weiter fußen läßt.--Und vergessen Sie denn das Vornehmste? + +Der Prinz. Wie kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht +gedacht habe?--Das Vornehmste? was ist das? + +Marinelli. Die Kunst zu gefallen, zu überreden--die einem Prinzen, +welcher liebt, nie fehlet. + +Der Prinz. Nie fehlet? Außer, wo er sie gerade am nötigsten brauchte. +--Ich habe von dieser Kunst schon heut einen zu schlechten Versuch +gemacht. Mit allen Schmeicheleien und Beteuerungen konnt' ich ihr +auch nicht ein Wort auspressen. Stumm und niedergeschlagen und +zitternd stand sie da; wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil +höret. Ihre Angst steckte mich an, ich zitterte mit und schloß mit +einer Bitte um Vergebung. Kaum getrau ich mir, sie wieder anzureden. +--Bei ihrem Eintritte wenigstens wag ich es nicht zu sein. Sie, +Marinelli, müssen sie empfangen. Ich will hier in der Nähe hören, wie +es abläuft; und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe. + + + +Vierter Auftritt + +Marinelli, und bald darauf dessen Bedienter Battista mit Emilien. + + +Marinelli. Wenn sie ihn nicht selbst stürzen gesehen--Und das muß sie +wohl nicht; da sie so fortgeeilet--Sie kömmt. Auch ich will nicht das +erste sein, was ihr hier in die Augen fällt. (Er zieht sich in einen +Winkel des Saales zurück.) + +Battista. Nur hier herein, gnädiges Fräulein! + +Emilia (außer Atem). Ah!--Ah!--Ich danke Ihm, mein Freund--ich dank +Ihm.--Aber Gott, Gott! wo bin ich?--Und so ganz allein? Wo bleibt +meine Mutter? Wo blieb der Graf?--Sie kommen doch nach? mir auf dem +Fuße nach? + +Battista. Ich vermute. + +Emilia. Er vermutet? Er weiß es nicht? Er sah sie nicht?--Ward +nicht gar hinter uns geschossen?--Battista. Geschossen?--Das wäre! +--Emilia. Ganz gewiß! Und das hat den Grafen oder meine Mutter +getroffen.--Battista. Ich will gleich nach ihnen ausgehen. + +Emilia. Nicht ohne mich.--Ich will mit; ich muß mit: komm' Er, mein +Freund! + +Marinelli (der plötzlich herzutritt, als ob er eben hereinkäme). Ah, +gnädiges Fräulein! Was für ein Unglück, oder vielmehr, was für ein +Glück--was für ein glückliches Unglück verschafft uns die Ehre--Emilia +(stutzend). Wie? Sie hier, mein Herr?--Ich bin also wohl bei +Ihnen?--Verzeihen Sie, Herr Kammerherr. Wir sind von Räubern ohnfern +überfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Hilfe--und dieser +ehrliche Mann hob mich aus dem Wagen und brachte mich hierher.--Aber +ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehen. Meine Mutter ist noch +in der Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht +tot--und ich lebe?--Verzeihen Sie. Ich muß fort; ich muß wieder +hin--wo ich gleich hätte bleiben sollen. + +Marinelli. Beruhigen Sie sich, gnädiges Fräulein. Es stehet alles +gut; sie werden bald bei Ihnen sein, die geliebten Personen, für die +Sie so viel zärtliche Angst empfinden.--Indes, Battista, geh, lauf: +sie dürften vielleicht nicht wissen, wo das Fräulein ist. Sie dürften +sie vielleicht in einem von den Wirtschaftshäusern des Gartens suchen. +Bringe sie unverzüglich hierher. (Battista geht ab.) + +Emilia. Gewiß? Sind sie alle geborgen? Ist ihnen nichts +widerfahren?--Ah, was ist dieser Tag für ein Tag des Schreckens für +mich!--Aber ich sollte nicht hier bleiben--ich sollte ihnen +entgegeneilen--Marinelli. Wozu das, gnädiges Fräulein? Sie sind +ohnedem schon ohne Atem und Kräfte. Erholen Sie sich vielmehr und +geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit ist.--Ich will +wetten, daß der Prinz schon selbst um Ihre teure, ehrwürdige Mutter +ist und sie Ihnen zuführet. + +Emilia. Wer, sagen Sie? + +Marinelli. Unser gnädigster Prinz selbst. + +Emilia (äußerst bestürzt). Der Prinz? + +Marinelli. Er floh auf die erste Nachricht Ihnen zu Hülfe.--Er ist +höchst ergrimmt, daß ein solches Verbrechen ihm so nahe, unter seinen +Augen gleichsam, hat dürfen gewagt werden. Er läßt den Tätern +nachsetzen, und ihre Strafe, wenn sie ergriffen werden, wird unerhört +sein. + +Emilia. Der Prinz!--Wo bin ich denn also? + +Marinelli. Auf Dosalo, dem Lustschlosse des Prinzen. + +Emilia. Welch ein Zufall!--Und Sie glauben, daß er gleich selbst +erscheinen könne?--Aber doch in Gesellschaft meiner Mutter? + +Marinelli. Hier ist er schon. + + + +Fünfter Auftritt + +Der Prinz. Emilia. Marinelli. + + +Der Prinz. Wo ist sie? wo?--Wir suchen Sie überall, schönstes +Fräulein.--Sie sind doch wohl?--Nun so ist alles wohl! Der Graf, Ihre +Mutter--Emilia. Ah, gnädigster Herr! Wo sind sie? Wo ist meine +Mutter? + +Der Prinz. Nicht weit; hier ganz in der Nähe. + +Emilia. Gott, in welchem Zustande werde ich die eine oder den andern +vielleicht treffen! Ganz gewiß treffen!--denn Sie verhehlen mir, +gnädiger Herr--ich seh es, Sie verhehlen mir--Der Prinz. Nicht doch, +bestes Fräulein.--Geben Sie mir Ihren Arm und folgen Sie mir getrost. + +Emilia (unentschlossen). Aber--wenn ihnen nichts widerfahren--wenn +meine Ahnungen mich trügen:--warum sind sie nicht schon hier? Warum +kamen sie nicht mit Ihnen, gnädiger Herr? + +Der Prinz. So eilen Sie doch, mein Fräulein, alle diese +Schreckenbilder mit eins verschwinden zu sehen. + +Emilia. Was soll ich tun? (Die Hände ringend.) + +Der Prinz. Wie, mein Fräulein? Sollten Sie einen Verdacht gegen mich +hegen?--Emilia (die vor ihm niederfällt). Zu Ihren Füßen, gnädiger +Herr--Der Prinz (sie aufhebend). Ich bin äußerst beschämt.--Ja, Emilia, +ich verdiene diesen stummen Vorwurf.--Mein Betragen diesen Morgen ist +nicht zu rechtfertigen:--zu entschuldigen höchstens. Verzeihen Sie +meiner Schwachheit.--Ich hätte Sie mit keinem Geständnisse beunruhigen +sollen, von dem ich keinen Vorteil zu erwarten habe. Auch ward ich +durch die sprachlose Bestürzung, mit der Sie es anhörten, oder +vielmehr nicht anhörten, genugsam bestraft.--Und könnt' ich schon +diesen Zufall, der mir nochmals, ehe alle meine Hoffnung auf ewig +verschwindet--mir nochmals das Glück, Sie zu sehen und zu sprechen, +verschafft; könnt' ich schon diesen Zufall für den Wink eines +günstigen Glückes erklären--für den wunderbarsten Aufschub meiner +endlichen Verurteilung erklären, um nochmals um Gnade flehen zu dürfen: +so will ich doch--beben Sie nicht, mein Fräulein--einzig und allein +von Ihrem Blicke abhangen. Kein Wort, kein Seufzer soll Sie +beleidigen.--Nur kränke mich nicht Ihr Mißtrauen. Nur zweifeln Sie +keinen Augenblick an der unumschränktesten Gewalt, die Sie über mich +haben. Nur falle Ihnen nie bei, daß Sie eines andern Schutzes gegen +mich bedürfen.--Und nun kommen Sie, mein Fräulein--kommen Sie, wo +Entzückungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen. (Er führt sie, +nicht ohne Sträuben, ab.) Folgen Sie uns, Marinelli.--Marinelli. +Folgen Sie uns--das mag heißen: folgen Sie uns nicht!--Was hätte ich +ihnen auch zu folgen? Er mag sehen, wie weit er es unter vier Augen +mit ihr bringt.--Alles, was ich zu tun habe, ist--zu verhindern, daß +sie nicht gestöret werden. Von dem Grafen zwar hoffe ich nun wohl +nicht. Aber von der Mutter; von der Mutter! Es sollte mich sehr +wundern, wenn die so ruhig abgezogen wäre und ihre Tochter im Stiche +gelassen hätte.--Nun, Battista? was gibt's? + + + +Sechster Auftritt + +Battista. Marinelli. + + +Battista (eiligst). Die Mutter, Herr Kammerherr--Marinelli. Dacht' +ich's doch!--Wo ist sie? + +Battista. Wann Sie ihr nicht zuvorkommen, so wird sie den Augenblick +hier sein.--Ich war gar nicht willens, wie Sie mir zum Schein geboten, +mich nach ihr umzusehen: als ich ihr Geschrei von weitem hörte. Sie +ist der Tochter auf der Spur, und wo nur nicht--unserm ganzen +Anschlage! Alles, was in dieser einsamen Gegend von Menschen ist, hat +sich um sie versammelt; und jeder will der sein, der ihr den Weg +weiset. Ob man ihr schon gesagt, daß der Prinz hier ist, daß Sie hier +sind, weiß ich nicht.--Was wollen Sie tun? + +Marinelli. Laß sehen!--(Er überlegt.) Sie nicht einlassen, wenn sie +weiß, daß die Tochter hier ist?--Das geht nicht.--Freilich, sie wird +Augen machen, wenn sie den Wolf bei dem Schäfchen sieht.--Augen? Das +möchte noch sein. Aber der Himmel sei unsern Ohren gnädig!--Nun was? +die beste Lunge erschöpft sich, auch sogar eine weibliche. Sie hören +alle auf zu schreien, wenn sie nicht mehr können.--Dazu, es ist doch +einmal die Mutter, die wir auf unserer Seite haben müssen.--Wenn ich +die Mütter recht kenne--so etwas von einer Schwiegermutter eines +Prinzen zu sein, schmeichelt die meisten.--Laß sie kommen, Battista, +laß sie kommen! + +Battista. Hören Sie! hören Sie! + +Claudia Galotti (innerhalb). Emilia! Emilia! Mein Kind, wo bist du? + +Marinelli. Geh, Battista, und suche nur ihre neugierigen Begleiter zu +entfernen. + + + +Siebenter Auftritt + +Claudia Galotti. Battista. Marinelli. + + +Claudia (die in die Tür tritt, indem Battista herausgehen will). Ha! +der hob sie aus dem Wagen! Der führte sie fort! Ich erkenne dich. +Wo ist sie? Sprich, Unglücklicher! + +Battista. Das ist mein Dank? + +Claudia. Oh, wenn du Dank verdienest (in einem gelinden Tone)--so +verzeihe mir, ehrlicher Mann!--Wo ist sie?--Laßt mich sie nicht länger +entbehren. Wo ist sie? + +Battista. Oh, Ihre Gnaden, sie könnte in dem Schoße der Seligkeit +nicht aufgehobner sein.--Hier mein Herr wird Ihre Gnaden zu ihr führen. +(Gegen einige Leute, die nachdringen wollen.) Zurück da! ihr! + + + +Achter Auftritt + +Claudia Galotti. Marinelli. + + +Claudia. Dein Herr?--(Erblickt den Marinelli und fährt zurück.) Ha! +--Das dein Herr?--Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und +Sie, Sie sollen mich zu ihr führen? + +Marinelli. Mit vielem Vergnügen, gnädige Frau. + +Claudia. Halten Sie!--Eben fällt mir es bei--Sie waren es +ja--nicht?--der den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte? +mit dem ich ihn allein ließ? mit dem er Streit bekam? + +Marinelli. Streit?--Was ich nicht wüßte: ein unbedeutender +Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten--Claudia. Und +Marinelli heißen Sie? + +Marinelli. Marchese Marinelli. + +Claudia. So ist es richtig.--Hören Sie doch, Herr Marchese. +--Marinelli war--der Name Marinelli war--begleitet mit einer +Verwünschung--Nein, daß ich den edeln Mann nicht verleumde!--begleitet +mit keiner Verwünschung--Die Verwünschung denk ich hinzu--Der Name +Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen. + +Marinelli. Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani?--Sie hören, +gnädige Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffällt. +--Des sterbenden Grafen?--Was Sie sonst sagen wollen, versteh ich +nicht. + +Claudia (bitter und langsam). Der Name Marinelli war das letzte Wort +des sterbenden Grafen!--Verstehen Sie nun?--Ich verstand es erst auch +nicht, obschon mit einem Tone gesprochen--mit einem Tone!--Ich höre +ihn noch! Wo waren meine Sinne, daß sie diesen Ton nicht sogleich +verstanden? + +Marinelli. Nun, gnädige Frau?--Ich war von jeher des Grafen Freund; +sein vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben +nannte--Claudia. Mit dem Tone?--Ich kann ihn nicht nachmachen; ich +kann ihn nicht beschreiben: aber er enthielt alles! alles!--Was? +Räuber wären es gewesen, die uns anfielen?--Mörder waren es; erkaufte +Mörder!--Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden +Grafen! Mit einem Tone! + +Marinelli. Mit einem Tone?--Ist es erhört, auf einen Ton, in einem +Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen +Mannes zu gründen? + +Claudia. Ha, könnt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton! +--Doch, weh mir! Ich vergesse darüber meine Tochter.--Wo ist +sie?--Wie? auch tot?--Was konnte meine Tochter dafür, daß Appiani dein +Feind war? + +Marinelli. Ich verzeihe der bangen Mutter.--Kommen Sie, gnädige +Frau--Ihre Tochter ist hier; in einem von den nächsten Zimmern, und +hat sich hoffentlich von ihrem Schrecken schon völlig erholt. Mit der +zärtlichsten Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschäftiget--Claudia. +Wer?--Wer selbst? + +Marinelli. Der Prinz. + +Claudia. Der Prinz?--Sagen Sie wirklich der Prinz?--Unser Prinz? + +Marinelli. Welcher sonst? + +Claudia. Nun dann!--Ich unglückselige Mutter!--Und ihr Vater! ihr +Vater!--Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich +verfluchen. + +Marinelli. Um des Himmels willen, gnädige Frau! Was fällt Ihnen nun +ein? + +Claudia. Es ist klar!--Ist es nicht?--Heute im Tempel! vor den Augen +der Allerreinesten! in der nähern Gegenwart des Ewigen!--begann das +Bubenstück, da brach es aus! (Gegen den Marinelli.) Ha, Mörder! +feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden, +aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu +morden!--morden zu lassen!--Abschaum aller Mörder!--Was ehrliche +Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich!--Denn +warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit +einem einzigen Worte ins Gesicht speien?--Dich! Dich Kuppler! + +Marinelli. Sie schwärmen, gute Frau.--Aber mäßigen Sie wenigstens Ihr +wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind. + +Claudia. Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin?--Was kümmert es die Löwin, +der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie brüllet? + +Emilia (innerhalb). Ha, meine Mutter! Ich höre meine Mutter! + +Claudia. Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehört, sie hat +mich gehört. Und ich sollte nicht schreien?--Wo bist du, mein Kind? +Ich komme, ich komme! (Sie stürzt in das Zimmer und Marinelli ihr +nach.) + + + + +Vierter Aufzug + +Die Szene bleibt. + + + +Erster Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. + + +Der Prinz (als aus dem Zimmer von Emilien kommend). Kommen Sie, +Marinelli! Ich muß mich erholen--und muß Licht von Ihnen haben. + +Marinelli. O der mütterlichen Wut! Ha! ha! ha! + +Der Prinz. Sie lachen? + +Marinelli. Wenn Sie gesehen hätten, Prinz, wie toll sich hier, hier +im Saale, die Mutter gebärdete--Sie hörten sie ja wohl schreien!--und +wie zahm sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen--Ha! +ha!--Das weiß ich ja wohl, daß keine Mutter einem Prinzen die Augen +auskratzt, weil er ihre Tochter schön findet. + +Der Prinz. Sie sind ein schlechter Beobachter!--Die Tochter stürzte +der Mutter ohnmächtig in die Arme. Darüber vergaß die Mutter ihre Wut, +nicht über mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich, wenn sie es +nicht lauter, nicht deutlicher sagte--was ich lieber selbst nicht +gehört, nicht verstanden haben will. + +Marinelli. Was, gnädiger Herr? + +Der Prinz. Wozu die Verstellung?--Heraus damit. Ist es wahr? oder +ist es nicht wahr? + +Marinelli. Und wenn es denn wäre! + +Der Prinz. Wenn es denn wäre?--Also ist es?--Er ist tot? +tot?--(Drohend.) Marinelli! Marinelli! + +Marinelli. Nun? + +Der Prinz. Bei Gott! Bei dem allgerechten Gott! Ich bin unschuldig +an diesem Blute.--Wenn Sie mir vorher gesagt hätten, daß es dem Grafen +das Leben kosten werde--Nein, nein! und wenn es mir selbst das Leben +gekostet hätte!--Marinelli. Wenn ich Ihnen vorher gesagt hätte?--Als +ob sein Tod in meinem Plane gewesen wäre! Ich hatte es dem Angelo auf +die Seele gebunden, zu verhüten, daß niemanden Leides geschähe. Es +würde auch ohne die geringste Gewalttätigkeit abgelaufen sein, wenn +sich der Graf nicht die erste erlaubt hätte. Er schoß Knall und Fall +den einen nieder. + +Der Prinz. Wahrlich, er hätte sollen Spaß verstehen! + +Marinelli. Daß Angelo sodann in Wut kam und den Tod seines Gefährten +rächte--Der Prinz. Freilich, das ist sehr natürlich! + +Marinelli. Ich hab es ihm genug verwiesen. + +Der Prinz. Verwiesen? Wie freundschaftlich!--Warnen Sie ihn, daß er +sich in meinem Gebiete nicht betreten läßt. Mein Verweis möchte so +freundschaftlich nicht sein. + +Marinelli. Recht wohl!--Ich und Angelo, Vorsatz und Zufall: alles ist +eins.--Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen, +daß keiner der Unglücksfälle, die sich dabei ereignen könnten, mir +zuschulden kommen solle--Der Prinz. Die sich dabei ereignen--könnten, +sagen Sie? oder sollten? + +Marinelli. Immer besser!--Doch, gnädiger Herr--ehe Sie mir es mit dem +trocknen Worte sagen, wofür Sie mich halten--eine einzige Vorstellung! +Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger als gleichgültig. Ich +hatte ihn ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig, er ist ohne +diese aus der Welt gegangen, und meine Ehre bleibt beleidiget. +Gesetzt, ich verdiente unter jeden andern Umständen den Verdacht, den +Sie gegen mich hegen, aber auch unter diesen?--(Mit einer angenommenen +Hitze.) Wer das von mir denken kann!--Der Prinz (nachgebend). Nun gut, +nun gut--Marinelli. Daß er noch lebtet. O daß er noch lebte! Alles, +alles in der Welt wollte ich darum geben--(bitter) selbst die Gnade +meines Prinzen--diese unschätzbare, nie zu verscherzende Gnade--wollt' +ich drum geben! + +Der Prinz. Ich verstehe.--Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, +bloßer Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub es.--Aber wer +mehr? Auch die Mutter? Auch Emilia?--Auch die Welt? + +Marinelli (kalt). Schwerlich. + +Der Prinz. Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn +glauben?--Sie zucken die Achsel?--Ihren Angelo wird man für das +Werkzeug und mich für den Täter halten--Marinelli (noch kälter). +Wahrscheinlich genug. + +Der Prinz. Mich! mich selbst!--Oder ich muß von Stund' an alle +Absicht auf Emilien aufgeben--Marinelli (höchst gleichgültig). Was Sie +auch gemußt hätten--wenn der Graf noch lebte.--Der Prinz (heftig, aber +sich gleich wieder fassend). Marinelli!--Doch Sie sollen mich nicht +wild machen.--Es sei so--Es ist so! Und das wollen Sie doch nur sagen: +der Tod des Grafen ist für mich ein Glück--das größte Glück, was mir +begegnen konnte--das einzige Glück, was meiner Liebe zustatten kommen +konnte. Und als dieses--mag er doch geschehen sein, wie er will!--Ein +Graf mehr in der Welt oder weniger! Denke ich Ihnen so recht?--Topp! +auch ich erschrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter +Freund, muß es ein kleines Verbrechen, ein kleines stilles, heilsames +Verbrechen sein. Und sehen Sie, unseres da, wäre nun gerade weder +stille noch heilsam. Es hätte den Weg zwar gereiniget, aber zugleich +gesperrt. Jedermann würde es uns auf den Kopf zusagen--und leider +hätten wir es gar nicht einmal begangen!--Das liegt doch wohl nur bloß +an Ihren weisen, wunderbaren Anstalten? + +Marinelli. Wenn Sie so befehlen--Der Prinz. Woran sonst?--Ich will +Rede! + +Marinelli. Es kömmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehört. + +Der Prinz. Rede will ich! + +Marinelli. Nun dann! Was läge an meinen Anstalten? daß den Prinzen +bei diesem Unfalle ein so sichtbarer Verdacht trifft?--An dem +Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit +einzumengen die Gnade hatte. + +Der Prinz. Ich? + +Marinelli. Er erlaube mir, ihm zu sagen, daß der Schritt, den er +heute morgen in der Kirche getan--mit so vielem Anstande er ihn auch +getan--so unvermeidlich er ihn auch tun mußte--, daß dieser Schritt +dennoch nicht in den Tanz gehörte. + +Der Prinz. Was verdarb er denn auch? + +Marinelli. Freilich nicht den ganzen Tanz, aber doch voritzo den Takt. + +Der Prinz. Hm! Versteh ich Sie? + +Marinelli. Also, kurz und einfältig. Da ich die Sache übernahm, +nicht wahr, da wußte Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? +Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute? +und der Prinz indes den Grund meines Gebäudes untergrub? + +Der Prinz (sich vor die Stirne schlagend). Verwünscht! + +Marinelli. Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde führe? + +Der Prinz. Verdammter Einfall! + +Marinelli. Und wenn er es nicht selbst verraten hätte?--Traun! Ich +möchte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten Mutter oder Tochter +den geringsten Argwohn gegen ihn schöpfen könnte? + +Der Prinz. Daß Sie recht haben! + +Marinelli. Daran tu ich freilich sehr unrecht--Sie werden verzeihen, +gnädiger Herr. + + + +Zweiter Auftritt + +Battista. Der Prinz. Marinelli. + + +Battista (eiligst). Eben kömmt die Gräfin an. + +Der Prinz. Die Gräfin? Was für eine Gräfin? + +Battista. Orsina. + +Der Prinz. Orsina?--Marinelli!--Orsina?--Marinelli! + +Marinelli. Ich erstaune darüber nicht weniger als Sie selbst. + +Der Prinz. Geh, lauf, Battista: Sie soll nicht aussteigen. Ich bin +nicht hier. Ich bin für sie nicht hier. Sie soll augenblicklich +wieder umkehren. Geh, lauf!--(Battista geht ab.) Was will die Närrin? +Was untersteht sie sich? Wie weiß sie, daß wir hier sind? Sollte +sie wohl auf Kundschaft kommen? Sollte sie wohl schon etwas vernommen +haben?--Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch!--Ist er +beleidiget, der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen +elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten? + +Marinelli. Ah, mein Prinz, sobald Sie wieder Sie sind, bin ich mit +ganzer Seele wieder der Ihrige!--Die Ankunft der Orsina ist mir ein +Rätsel wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was +wollen Sie tun? + +Der Prinz. Sie durchaus nicht sprechen, mich entfernen--Marinelli. +Wohl! und nur geschwind. Ich will sie empfangen--Der Prinz. Aber bloß, +um sie gehen zu heißen.--Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir +haben andere Dinge hier zu tun--Marinelli. Nicht doch, Prinz! Diese +andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, kömmt +sicherlich von selbst.--Aber hör ich sie nicht schon?--Eilen Sie, +Prinz!--Da (auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz +begibt), wenn Sie wollen, werden Sie uns hören können.--Ich fürchte, +ich fürchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren. + + + +Dritter Auftritt + +Die Gräfin Orsina. Marinelli. + + +Orsina (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken). Was ist +das?--Niemand kömmt mir entgegen, außer ein Unverschämter, der mir +lieber gar den Eintritt verweigert hätte?--Ich bin doch zu Dosalo? Zu +dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener +entgegenstürzte? wo mich sonst Liebe und Entzücken erwarteten?--Der +Ort ist es, aber, aber!--Sieh da, Marinelli!--Recht gut, daß der Prinz +Sie mitgenommen.--Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen hätte, +hätte ich nur mit ihm auszumachen.--Wo ist er? + +Marinelli. Der Prinz, meine gnädige Gräfin? + +Orsina. Wer sonst? + +Marinelli. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier?--Er +wenigstens ist der Gräfin Orsina hier nicht vermutend. + +Orsina. Nicht? So hat er meinen Brief heute morgen nicht erhalten? + +Marinelli. Ihren Brief? Doch ja, ich erinnere mich, daß er eines +Briefes von Ihnen erwähnte. + +Orsina. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine +Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten?--Es ist wahr, es hat ihm nicht +beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, daß er eine +Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei +Antworts genug, und ich komme. + +Marinelli. Ein sonderbarer Zufall! + +Orsina. Zufall?--Sie hören ja, daß es verabredet worden. So gut als +verabredet. Von meiner Seite der Brief, von seiner die Tat.--Wie er +dasteht, der Herr Marchese! Was er für Augen macht! Wundert sich das +Gehirnchen? und worüber denn? + +Marinelli. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals +wieder vor die Augen zu kommen. + +Orsina. Beßrer Rat kömmt über Nacht.--Wo ist er? wo ist er?--Was +gilt's, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequieke, das Gekreische +hörte?--Ich wollte herein, und der Schurke von Bedienten trat vor. + +Marinelli. Meine liebste, beste Gräfin--Orsina. Es war ein weibliches +Gekreische. Was gilt's, Marinelli?--O sagen Sie mir doch, sagen Sie +mir--wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin bin--Verdammt, über +das Hofgeschmeiß! Soviel Worte, soviel Lügen! Nun, was liegt daran, +ob Sie mir es voraussagen oder nicht? Ich werd es ja wohl sehen. +(Will gehen.) + +Marinelli (der sie zurückhält). Wohin? + +Orsina. Wo ich längst sein sollte.--Denken Sie, daß es schicklich ist, +mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu +halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet? + +Marinelli. Sie irren sich, gnädige Gräfin. Der Prinz erwartet Sie +nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen--will Sie nicht +sprechen. + +Orsina. Und wäre doch hier? und wäre doch auf meinen Brief hier? + +Marinelli. Nicht auf Ihren Brief--Orsina. Den er ja erhalten, sagen +Sie--Marinelli. Erhalten, aber nicht gelesen. + +Orsina (heftig). Nicht gelesen?--(Minder heftig.) Nicht +gelesen?--(Wehmütig und eine Träne aus dem Auge wischend.) Nicht +einmal gelesen? + +Marinelli. Aus Zerstreuung, weiß ich--Nicht aus Verachtung. + +Orsina (stolz). Verachtung?--Wer denkt daran?--Wem brauchen Sie das +zu sagen?--Sie sind ein unverschämter Tröster, Marinelli!--Verachtung! +Verachtung! Mich verachtet man auch! mich!--(Gelinder, bis zum Tone +der Schwermut.) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht. +Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das +ist natürlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur +Gleichgültigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli? + +Marinelli. Allerdings, allerdings. + +Orsina (höhnisch). Allerdings?--O des weisen Mannes, den man sagen +lassen kann, was man will!--Gleichgültigkeit! Gleichgültigkeit an die +Stelle der Liebe?--Das heißt, nichts an die Stelle von etwas. Denn +lernen Sie, nachplauderndes Hofmännchen, lernen Sie von einem Weibe, +daß Gleichgültigkeit ein leeres Wort, ein bloßer Schall ist, dem +nichts, gar nichts entspricht. Gleichgültig ist die Seele nur gegen +das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das für sie kein Ding +ist. Und nur gleichgültig für ein Ding, das kein Ding ist--das ist +soviel als gar nicht gleichgültig.--Ist dir das zu hoch, Mensch? + +Marinelli (vor sich). O weh! wie wahr ist es, was ich fürchtete! + +Orsina. Was murmeln Sie da? + +Marinelli. Lauter Bewunderung!--Und wem ist es nicht bekannt, gnädige +Gräfin, daß Sie eine Philosophin sind? + +Orsina. Nicht wahr?--Ja, ja, ich bin eine.--Aber habe ich mir es itzt +merken lassen, daß ich eine bin?--O pfui, wenn ich mir es habe merken +lassen, und wenn ich mir es öfterer habe merken lassen! Ist es wohl +noch Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding +lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das +denkt, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll +es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schöpfung +bei guter Laune zu erhalten.--Nun, worüber lach ich denn gleich, +Marinelli?--Ach, jawohl! Über den Zufall! daß ich dem Prinzen +schreibe, er soll nach Dosalo kommen; daß der Prinz meinen Brief nicht +lieset und daß er doch nach Dosalo kömmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein +sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr närrisch!--Und Sie lachen nicht +mit, Marinelli?--Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der +Schöpfung, ob wir arme Geschöpfe gleich nicht mitdenken dürfen. +--(Ernsthaft und befehlend.) So lachen Sie doch! + +Marinelli. Gleich, gnädige Gräfin, gleich! + +Orsina. Stock! Und darüber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein, +lachen Sie nur nicht.--Denn sehen Sie, Marinelli, (nachdenkend bis zur +Rührung) was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine +ernsthafte--sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt!--Zufall? +Ein Zufall wär' es, daß der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu +sprechen, und mich doch hier sprechen muß? Ein Zufall?--Glauben Sie +mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der +Sonne ist Zufall--am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die +Augen leuchtet.--Allmächtige, allgütige Vorsicht, vergib mir, daß ich +mit diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar +dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist!--(Hastig gegen +Marinelli.) Kommen Sie mir und verleiten Sie mich noch einmal zu so +einem Frevel! + +Marinelli (vor sich). Das geht weit!--Aber gnädige Gräfin.... + +Orsina. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Überlegung--und mein +Kopf! mein Kopf! (Sich mit der Hand die Stirne haltend.)--Machen Sie, +Marinelli, machen Sie, daß ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst +bin ich es wohl gar nicht imstande.--Sie sehen, wir sollen uns +sprechen, wir müssen uns sprechen! + + + +Vierter Auftritt + +Der Prinz. Orsina. Marinelli. + + +Der Prinz (indem er aus dem Kabinette tritt, vor sich). Ich muß ihm +zu Hilfe kommen + +Orsina (die ihn erblickt, aber unentschlüssig bleibt, ob sie auf ihn +zugeben soll). Ha! da ist er. + +Der Prinz (geht quer über den Saal, bei ihr vorbei, nach den andern +Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten). Sieh da! unsere schöne +Gräfin.--Wie sehr bedaure ich, Madame, daß ich mir die Ehre Ihres +Besuchs für heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschäftiget. +Ich bin nicht allein.--Ein andermal, meine liebe Gräfin! Ein +andermal.--Itzt halten Sie länger sich nicht auf. Ja nicht länger! +--Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie. + + + +Fünfter Auftritt + +Orsina. Marinelli. + + +Marinelli. Haben Sie es, gnädige Gräfin, nun von ihm selbst gehört, +was Sie mir nicht glauben wollen? + +Orsina (wie betäubt). Hab ich? hab ich wirklich? + +Marinelli. Wirklich. + +Orsina (mit Rührung). "Ich bin beschäftiget. Ich bin nicht allein." +Ist das die Entschuldigung ganz, die ich wert bin? Wen weiset man +damit nicht ab? Jeden Überlästigen, jeden Bettler. Für mich keine +einzige Lüge mehr? Keine einzige kleine Lüge mehr, für mich? +--Beschäftiget? womit denn? Nicht allein? wer wäre denn bei +ihm?--Kommen Sie, Marinelli; aus Barmherzigkeit, lieber Marinelli! +Lügen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was kostet Ihnen denn +eine Lüge?--Was hat er zu tun? Wer ist bei ihm?--Sagen Sie mir, sagen +Sie mir, was Ihnen zuerst in den Mund kömmt--und ich gehe. + +Marinelli (vor sich). Mit dieser Bedingung kann ich ihr ja wohl einen +Teil der Wahrheit sagen. + +Orsina. Nun? Geschwind, Marinelli, und ich gehe.--Er sagte ohnedem, +der Prinz: "Ein andermal, meine liebe Gräfin!" Sagte er nicht +so?--Damit er mir Wort hält, damit er keinen Vorwand hat, mir nicht +Wort zu halten: geschwind, Marinelli, Ihre Lüge, und ich gehe. + +Marinelli. Der Prinz, liebe Gräfin, ist wahrlich nicht allein. Es +sind Personen bei ihm, von denen er sich keinen Augenblick abmüßigen +kann; Personen, die eben einer großen Gefahr entgangen sind. Der Graf +Appiani. + +Orsina. Wäre bei ihm?--Schade, daß ich über diese Lüge Sie ertappen +muß. Geschwind eine andere.--Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch +nicht wissen, ist eben von Räubern erschossen worden. Der Wagen mit +seinem Leichname begegnete mir kurz vor der Stadt.--Oder ist er nicht? +Hätte es mir bloß geträumt? + +Marinelli. Leider nicht bloß geträumt!--Aber die andern, die mit dem +Grafen waren, haben sich glücklich hieher nach dem Schlosse gerettet: +seine Braut nämlich und die Mutter der Braut, mit welchen er nach +Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte. + +Orsina. Also die? Die sind bei dem Prinzen? Die Braut? und die +Mutter der Braut?--Ist die Braut schön? + +Marinelli. Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe. + +Orsina. Ich will hoffen, auch wenn sie häßlich wäre. Denn ihr +Schicksal ist schrecklich.--Armes gutes Mädchen, eben da er dein auf +immer werden sollte, wird er dir auf immer entrissen!--Wer ist sie +denn, diese Braut? Kenn ich sie gar?--Ich bin so lange aus der Stadt, +daß ich von nichts weiß. + +Marinelli. Es ist Emilia Galotti. + +Orsina. Wer?--Emilia Galotti? Emilia Galotti?--Marinelli! daß ich +diese Lüge nicht für Wahrheit nehme! + +Marinelli. Wieso? + +Orsina. Emilia Galotti? + +Marinelli. Die Sie schwerlich kennen werden--Orsina. Doch! doch! +Wenn es auch nur von heute wäre.--Im Ernst, Marinelli? Emilia +Galotti?--Emilia Galotti wäre die unglückliche Braut, die der Prinz +tröstet? + +Marinelli (vor sich). Sollte ich ihr schon zuviel gesagt haben? + +Orsina. Und Graf Appiani war der Bräutigam dieser Braut? der eben +erschossene Appiani? + +Marinelli. Nicht anders. + +Orsina. Bravo! o bravo! bravo! (In die Hände schlagend.) + +Marinelli. Wie das? + +Orsina. Küssen möcht' ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat! + +Marinelli. Wen? verleitet? wozu? + +Orsina. Ja, küssen, küssen möcht' ich ihn--Und wenn Sie selbst dieser +Teufel wären, Marinelli. + +Marinelli. Gräfin! + +Orsina. Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! steif an! Aug' in Auge! + +Marinelli. Nun? + +Orsina. Wissen Sie nicht, was ich denke? + +Marinelli. Wie kann ich das? + +Orsina. Haben Sie keinen Anteil daran? + +Marinelli. Woran? + +Orsina. Schwören Sie!--Nein, schwören Sie nicht. Sie möchten eine +Sünde mehr begehen.--Oder ja, schwören Sie nur. Eine Sünde mehr oder +weniger für einen, der doch verdammt ist!--Haben Sie keinen Anteil +daran? + +Marinelli. Sie erschrecken mich, Gräfin. + +Orsina. Gewiß?--Nun, Marinelli, argwohnet Ihr gutes Herz auch nichts? + +Marinelli. Was? worüber? + +Orsina. Wohl--so will ich Ihnen etwas vertrauen--etwas, das Ihnen +jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge sträuben soll.--Aber hier, so nahe +an der Türe, möchte uns jemand hören. Kommen Sie hierher!--Und! +(Indem sie den Finger auf den Mund legt) Hören Sie! ganz in geheim! +ganz in geheim! (und ihren Mund seinem Ohre nähert, als ob sie ihm +zuflüstern wollte, was sie aber sehr laut ihm zuschreiet.) Der Prinz +ist ein Mörder! + +Marinelli. Gräfin--Gräfin--sind Sie ganz von Sinnen? + +Orsina. Von Sinnen? Ha! ha! ha! (Aus vollem Halse lachend.) Ich bin +selten oder nie mit meinem Verstande so wohl zufrieden gewesen als +eben itzt.--Zuverlässig, Marinelli--aber es bleibt unter uns--(leise) +der Prinz ist ein Mörder! des Grafen Appiani Mörder!--Den haben nicht +Räuber, den haben Helfershelfer des Prinzen, den hat der Prinz +umgebracht! + +Marinelli. Wie kann Ihnen so eine Abscheulichkeit in den Mund, in die +Gedanken kommen? + +Orsina. Wie?--Ganz natürlich.--Mit dieser Emilia Galotti--die hier +bei ihm ist--deren Bräutigam so über Hals über Kopf sich aus der Welt +trollen müssen--mit dieser Emilia Galotti hat der Prinz heute morgen, +in der Halle bei den Dominikanern, ein Langes und Breites gesprochen. +Das weiß ich, das haben meine Kundschafter gesehen. Sie haben auch +gehört, was er mit ihr gesprochen--Nun, guter Herr? Bin ich von +Sinnen? Ich reime, dächt' ich, doch noch ziemlich zusammen, was +zusammen gehört.--Oder trifft auch das nur so von ungefähr zu? Ist +Ihnen auch das Zufall? Oh, Marinelli, so verstehen Sie auf die +Bosheit der Menschheit sich ebenso schlecht als auf die Vorsicht. + +Marinelli. Gräfin, Sie würden sich um den Hals reden + +Orsina. Wenn ich das mehrern sagte?--Desto besser, desto besser! +--Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen.--Und wer mir +widerspricht--wer mir widerspricht, der war des Mörders Spießgeselle. +--Leben Sie wohl. (Indem sie fortgehen will, begegnet sie an der Türe +dem alten Galotti, der eiligst hereintritt.) + + + +Sechster Auftritt + +Odoardo Galotti. Die Gräfin. Marinelli. + + +Odoardo Galotti. Verzeihen Sie, gnädige Frau--Orsina. Ich habe hier +nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts übelzunehmen--An +diesen Herrn wenden Sie sich. (Ihn nach dem Marinelli weisend.) + +Marinelli (indem er ihn erblicket, vor sich). Nun vollends! der Alte! +--Odoardo. Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der äußersten +Bestürzung ist--daß er so unangemeldet hereintritt. + +Orsina. Vater? (Kehrt wieder um.) Der Emilia, ohne Zweifel.--Ha, +willkommen! + +Odoardo. Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht, +daß hierherum die Meinigen in Gefahr wären. Ich fliege herzu und höre, +daß der Graf Appiani verwundet worden, daß er nach der Stadt +zurückgekehret, daß meine Frau und Tochter sich in das Schloß gerettet. +--Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie? + +Marinelli. Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer +Tochter ist nichts Übels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie +befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich, +Sie zu melden. + +Odoardo. Warum melden? erst melden? + +Marinelli. Aus Ursachen--von wegen--Von wegen des Prinzen. Sie +wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem +freundschaftlichsten Fuße. So gnädig er sich gegen Ihre Gemahlin und +Tochter bezeiget--es sind Damen--Wird darum auch Ihr unvermuteter +Anblick ihm gelegen sein? + +Odoardo. Sie haben recht, mein Herr, Sie haben redet. + +Marinelli. Aber, gnädige Gräfin--kann ich vorher die Ehre haben, Sie +nach Ihrem Wagen zu begleiten? + +Orsina. Nicht doch, nicht doch. + +Marinelli (sie bei der Hand nicht unsanft ergreifend). Erlauben Sie, +daß ich meine Schuldigkeit beobachte.--Orsina. Nur gemach!--Ich +erlasse Sie deren, mein Herr! Daß doch immer Ihresgleichen +Höflichkeit zur Schuldigkeit machen, um, was eigentlich ihre +Schuldigkeit wäre, als die Nebensache betreiben zu dürfen!--Diesen +würdigen Mann je eher, je lieber zu melden, das ist Ihre Schuldigkeit. + +Marinelli. Vergessen Sie, was Ihnen der Prinz selbst befohlen? + +Orsina. Er komme und befehle mir es noch einmal. Ich erwarte ihn. + +Marinelli (leise zu dem Obersten, den er beiseite ziehet). Mein Herr, +ich muß Sie hier mit einer Dame lassen, die--der--mit deren +Verstande--Sie verstehen mich. Ich sage Ihnen dieses, damit Sie +wissen, was Sie auf ihre Reden zu geben haben--deren sie oft sehr +seltsame führet. Am besten, Sie lassen sich mit ihr nicht ins Wort. + +Odoardo. Recht wohl.--Eilen Sie nur, mein Herr. + + + +Siebenter Auftritt + +Die Gräfin Orsina. Odoardo Galotti. + + +Orsina (nach einigem Stillschweigen, unter welchem sie den Obersten +mit Mitleid betrachtet, so wie er sie mit einer flüchtigen Neugierde). +Was er Ihnen auch da gesagt hat, unglücklicher Mann!--Odoardo (halb +vor sich, halb gegen sie). Unglücklicher? + +Orsina. Eine Wahrheit war es gewiß nicht--am wenigsten eine von denen, +die auf Sie warten. + +Odoardo. Auf mich warten?--Weiß ich nicht schon genug?--Madame!--Aber, +reden Sie nur, reden Sie nur. + +Orsina. Sie wissen nichts. + +Odoardo. Nichts? + +Orsina. Guter, lieber Vater!--Was gäbe ich darum, wenn Sie auch mein +Vater wären!--Verzeihen Sie! Die Unglücklichen ketten sich so gern +aneinander.--Ich wollte treulich Schmerz und Wut mit Ihnen teilen. + +Odoardo. Schmerz und Wut? Madame!--Aber ich vergesse--Reden Sie nur. + +Orsina. Wenn es gar Ihre einzige Tochter--Ihr einziges Kind wäre! +--Zwar einzig oder nicht. Das unglückliche Kind ist immer das einzige. + +Odoardo. Das unglückliche?--Madame!--Was will ich von ihr?--Doch, bei +Gott, so spricht keine Wahnwitzige! + +Orsina. Wahnwitzige? Das war es also, was er Ihnen von mir +vertraute?--Nun, nun, es mag leicht keine von seinen gröbsten Lügen +sein.--Ich fühle so was!--Und glauben Sie, glauben Sie mir: Wer über +gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu +verlieren.--Odoardo. Was soll ich denken? + +Orsina. Daß Sie mich also ja nicht verachten!--Denn auch Sie haben +Verstand, guter Alter, auch Sie.--Ich seh es an dieser entschlossenen, +ehrwürdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein +Wort--so haben Sie keinen. + +Odoardo. Madame!--Madame!--Ich habe schon keinen mehr, noch ehe Sie +mir dieses Wort sagen, wenn Sie mir es nicht bald sagen.--Sagen Sie es! +sagen Sie es! Oder es ist nicht wahr--es ist nicht wahr, daß Sie von +jener guten, unsers Mitleids, unserer Hochachtung so würdigen Gattung +der Wahnwitzigen sind--Sie sind eine gemeine Törin. Sie haben nicht, +was Sie nie hatten. + +Orsina. So merken Sie auf!--Was wissen Sie, der Sie schon genug +wissen wollen? Daß Appiani verwundet worden? Nur verwundet?--Appiani +ist tot! + +Odoardo. Tot? tot?--Ha, Frau, das ist wider die Abrede. Sie wollten +mich um den Verstand bringen: und Sie brechen mir das Herz. + +Orsina. Das beiher!--Nur weiter.--Der Bräutigam ist tot, und die +Braut--Ihre Tochter--schlimmer als tot. + +Odoardo. Schlimmer? schlimmer als tot?--Aber doch zugleich auch +tot?--Denn ich kenne nur ein Schlimmeres--Orsina. Nicht zugleich auch +tot. Nein, guter Vater, nein!--Sie lebt, sie lebt. Sie wird nun erst +recht anfangen zu leben.--Ein Leben voll Wonne! Das schönste, +lustigste Schlaraffenleben--solang es dauert. + +Odoardo. Das Wort, Madame, das einzige Wort, das mich um den Verstand +bringen soll! heraus damit!--Schütten Sie nicht Ihren Tropfen Gift in +einen Eimer.--Das einzige Wort! geschwind. + +Orsina. Nun da, buchstabieren Sie es zusammen!--Des Morgens sprach +der Prinz Ihre Tochter in der Messe, des Nachmittags hat er sie auf +seinem Lust--Lustschlosse. + +Odoardo. Sprach sie in der Messe? Der Prinz meine Tochter? + +Orsina. Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Inbrunst!--Sie hatten +nichts Kleines abzureden. Und recht gut, wenn es abgeredet worden, +recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen +Sie: so ist es doch keine gewaltsame Entführung, sondern bloß ein +kleiner--kleiner Meuchelmord. + +Odoardo. Verleumdung! verdammte Verleumdung! Ich kenne meine Tochter. +Ist es Meuchelmord, so ist es auch Entführung.--(Blickt wild um sich +und stampft und schäumet.) Nun, Claudia? Nun, Mütterchen?--Haben wir +nicht Freude erlebt! O des gnädigen Prinzen! O der ganz besondern +Ehre! + +Orsina. Wirkt es, Alter! wirkt es? + +Odoardo. Da steh ich nun vor der Höhle des Räubers--(indem er den +Rock von beiden Seiten auseinanderschlägt und sich ohne Gewehr sieht.) +Wunder, daß ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Hände zurückgelassen! +--(An alle Schubsäcke fühlend, als etwas suchend.) Nichts! gar nichts! +nirgends! + +Orsina. Ha, ich verstehe!--Damit kann ich aushelfen!--Ich hab einen +mitgebracht. (Einen Dolch hervorziehend.) Da nehmen Sie! Nehmen Sie +geschwind, eh' uns jemand sieht!--Auch hätte ich noch etwas--Gift. +Aber Gift ist nur für uns Weiber, nicht für Männer.--Nehmen Sie ihn! +(Ihm den Dolch aufdrängend.) Nehmen Sie! + +Odoardo. Ich danke, ich danke.--Liebes Kind, wer wieder sagt, daß du +eine Närrin bist, der hat es mit mir zu tun. + +Orsina. Stecken Sie beiseite! geschwind beiseite!--Mir--wird die +Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen. Ihnen wird sie nicht +fehlen, diese Gelegenheit, und Sie werden sie ergreifen, die erste, +die beste--wenn Sie ein Mann sind.--Ich, ich bin nur ein Weib, aber so +kam ich her! fest entschlossen!--Wir, Alter, wir können uns alles +vertrauen. Denn wir sind beide beleidiget, von dem nämlichen +Verführer beleidiget.--Ah, wenn Sie wüßten--wenn sie wüßten, wie +überschwenglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm +beleidiget worden und noch werde--Sie könnten, Sie würden Ihre eigene +Beleidigung darüber vergessen.--Kennen Sie mich? Ich bin Orsina, die +betrogene, verlassene Orsina.--Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter +verlassen.--Doch was kann Ihre Tochter dafür?--Bald wird auch sie +verlassen sein.--Und dann wieder eine!--Und wieder eine!--Ha! (wie in +der Entzückung) welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal +alle--wir, das ganze Heer der Verlassenen--wir alle in Bacchantinnen, +in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns hätten, ihn unter +uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwühlten--um das +Herz zu finden, das der Verräter einer jeden versprach und keiner gab! +Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte! + + + +Achter Auftritt + +Claudia Galotti. Die Vorigen. + + +Claudia (die im Hereintreten sich umsiehet und, sobald sie ihren +Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget). Erraten!--Ah, unser Beschützer, +unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da?--Aus ihren Wispern, +aus ihren Mienen schloß ich es.--Was soll ich dir sagen, wenn du noch +nichts weißt?--Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles +weißt?--Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter +ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig! + +Odoardo (der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht). +Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig--und antworte mir. (Gegen die +Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte--Ist der Graf tot? + +Claudia. Tot. + +Odoardo. Ist es wahr, daß der Prinz heute morgen Emilien in der Messe +gesprochen? + +Claudia. Wahr. Aber wenn du wüßtest, welchen Schreck es ihr +verursacht, in welcher Bestürzung sie nach Hause kam-Orsina. Nun, hab +ich gelogen? + +Odoardo (mit einem bittern Lachen). Ich wollt' auch nicht, Sie hätten! +Um wie vieles nicht! + +Orsina. Bin ich wahnwitzig? + +Odoardo (wild hin und her gehend). Oh--noch bin ich es auch nicht. +--Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig.--Bester +Mann, darf auch ich--ich dich bitten--Odoardo. Was willst du? Bin ich +nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.) +Weiß es Emilia, daß Appiani tot ist? + +Claudia. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fürchte, daß sie es +argwohnet, weil er nicht erscheinet.--Odoardo. Und sie jammert und +winselt.--Claudia. Nicht mehr.--Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du +kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers +Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig, aber nach der +geringsten Überlegung in alles sich findend, auf alles gefaßt. Sie +hält den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem +Tone--Mache nur, Odoardo, daß wir wegkommen. + +Odoardo. Ich bin zu Pferde.--Was zu tun?--Doch, Madame, Sie fahren ja +nach der Stadt zurück? + +Orsina. Nicht anders. + +Odoardo. Hätten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu +nehmen? + +Orsina. Warum nicht? Sehr gern. + +Odoardo. Claudia--(ihr die Gräfin bekannt machend) die Gräfin Orsina, +eine Dame von großem Verstande, meine Freundin, meine Wohltäterin.--Du +mußt mit ihr herein, um uns sogleich den Wagen herauszuschicken. +Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir. + +Claudia. Aber--wenn nur--Ich trenne mich ungern von dem Kinde. + +Odoardo. Bleibt der Vater nicht in der Nähe? Man wird ihn endlich +doch vorlassen. Keine Einwendung!--Kommen Sie, gnädige Frau. (Leise +zu ihr.) Sie werden von mir hören.--Komm, Claudia. (Er führt sie ab.) + + + + +Fünfter Aufzug + +Die Szene bleibt. + + + +Erster Auftritt + +Marinelli. Der Prinz. + + +Marinelli. Hier, gnädiger Herr, aus diesem Fenster können Sie ihn +sehen. Er geht die Arkade auf und nieder.--Eben biegt er ein, er +kömmt.--Nein, er kehrt wieder um.--Ganz einig ist er mit sich noch +nicht. Aber um ein Großes ruhiger ist er--oder scheinet er. Für uns +gleichviel!--Natürlich! Was ihm auch beide Weiber in den Kopf gesetzt +haben, wird er es wagen zu äußern?--Wie Battista gehört, soll ihm +seine Frau den Wagen sogleich heraussenden. Denn er kam zu Pferde. +--Geben Sie acht, wenn er nun vor Ihnen erscheinet, wird er ganz +untertänigst Eurer Durchlaucht für den gnädigen Schutz danken, den +seine Familie bei diesem so traurigen Zufalle hier gefunden; wird sich, +mitsamt seiner Tochter, zu fernerer Gnade empfehlen; wird sie ruhig +nach der Stadt bringen und es in tiefster Unterwerfung erwarten, +welchen weitern Anteil Euer Durchlaucht an seinem unglücklichen, +lieben Mädchen zu nehmen geruhen wollen. + +Der Prinz. Wenn er nun aber so zahm nicht ist? Und schwerlich, +schwerlich wird er es sein. Ich kenne ihn zu gut.--Wenn er höchstens +seinen Argwohn erstickt, seine Wut verbeißt: aber Emilien, anstatt sie +nach der Stadt zu führen, mit sich nimmt? bei sich behält? oder wohl +gar in ein Kloster, außer meinem Gebiete, verschließt? Wie dann? + +Marinelli. Die fürchtende Liebe sieht weit. Wahrlich!--Aber er wird +ja nicht--Der Prinz. Wenn er nun aber! Wie dann? Was wird es uns +dann helfen, daß der unglückliche Graf sein Leben darüber verloren? + +Marinelli. Wozu dieser traurige Seitenblick? Vorwärts! denkt der +Sieger, es falle neben ihm Feind oder Freund.--Und wenn auch! Wenn er +es auch wollte, der alte Neidhart, was Sie von ihm fürchten, Prinz. +--(Überlegend.) Das geht! Ich hab es!--Weiter als zum Wollen soll er +es gewiß nicht bringen. Gewiß nicht!--Aber daß wir ihn nicht aus dem +Gesichte verlieren.--(Tritt wieder ans Fenster.) Bald hätt' er uns +überrascht! Er kömmt.--Lassen Sie uns ihm noch ausweichen, und hören +Sie erst, Prinz, was wir auf den zu befürchtenden Fall tun müssen. + +Der Prinz (drohend). Nur, Marinelli!--Marinelli. Das Unschuldigste +von der Welt! + + + +Zweiter Auftritt + + +Odoardo Galotti. Noch niemand hier?--Gut, ich soll noch kälter werden. +Es ist mein Glück.--Nichts verächtlicher als ein brausender +Jünglingskopf mit grauen Haaren! Ich hab es mir so oft gesagt. Und +doch ließ ich mich fortreißen: und von wem? Von einer Eifersüchtigen, +von einer für Eifersucht Wahnwitzigen.--Was hat die gekränkte Tugend +mit der Rache des Lasters zu schaffen? Jene allein hab ich zu retten. +--Und deine Sache--mein Sohn! mein Sohn!--Weinen konnt' ich nie--und +will es nun nicht erst lernen--Deine Sache wird ein ganz anderer zu +seiner machen! Genug für mich, wenn dein Mörder die Frucht seines +Verbrechens nicht genießt.--Dies martere ihn mehr als das Verbrechen! +Wenn nun bald ihn Sättigung und Ekel von Lüsten zu Lüsten treiben, so +vergälle die Erinnerung, diese eine Lust nicht gebüßet zu haben, ihm +den Genuß aller! In jedem Traume führe der blutige Bräutigam ihm die +Braut vor das Bette, und wann er dennoch den wollüstigen Arm nach ihr +ausstreckt, so höre er plötzlich das Hohngelächter der Hölle und +erwache! + + + +Dritter Auftritt + +Marinelli. Odoardo Galotti. + + +Marinelli. Wo blieben Sie, mein Herr? wo blieben Sie? + +Odoardo. War meine Tochter hier? + +Marinelli. Nicht sie, aber der Prinz. + +Odoardo. Er verzeihe.--Ich habe die Gräfin begleitet. + +Marinelli. Nun? + +Odoardo. Die gute Dame! + +Marinelli. Und Ihre Gemahlin? + +Odoardo. Ist mit der Gräfin--um uns den Wagen sogleich herauszusenden. +Der Prinz vergönne nur, daß ich mich so lange mit meiner Tochter +noch hier verweile. + +Marinelli. Wozu diese Umstände? Würde sich der Prinz nicht ein +Vergnügen daraus gemacht haben, sie beide, Mutter und Tochter, selbst +nach der Stadt zu bringen? + +Odoardo. Die Tochter wenigstens würde diese Ehre haben verbitten +müssen. + +Marinelli. Wieso? + +Odoardo. Sie soll nicht mehr nach Guastalla. + +Marinelli. Nicht? und warum nicht? + +Odoardo. Der Graf ist tot. + +Marinelli. Um so viel mehr--Odoardo. Sie soll mit mir. + +Marinelli. Mit Ihnen? + +Odoardo. Mit mir. Ich sage Ihnen ja, der Graf ist tot.--Wenn Sie es +noch nicht wissen--Was hat sie nun weiter in Guastalla zu tun?--Sie +soll mit mir. + +Marinelli. Allerdings wird der künftige Aufenthalt der Tochter einzig +von dem Willen des Vaters abhangen. Nur vors erste--Odoardo. Was vors +erste? + +Marinelli. Werden Sie wohl erlauben müssen, Herr Oberster, daß sie +nach Guastalla gebracht wird. + +Odoardo. Meine Tochter? nach Guastalla gebracht wird? und warum? + +Marinelli. Warum? Erwägen Sie doch nur--Odoardo (hitzig). Erwägen! +erwägen! Ich erwäge, daß hier nichts zu erwägen ist.--Sie soll, sie +muß mit mir. + +Marinelli. O mein Herr--was brauchen wir uns hierüber zu ereifern? +Es kann sein, daß ich mich irre, daß es nicht nötig ist, was ich für +nötig halte.--Der Prinz wird es am besten zu beurteilen wissen. Der +Prinz entscheide.--Ich geh und hole ihn. + + + +Vierter Auftritt + +Odoardo Galotti. Wie?--Nimmermehr!--Mir vorschreiben, wo sie hin +soll?--Mir sie vorenthalten?--Wer will das? Wer darf das?--Der hier +alles darf, was er will? Gut, gut, so soll er sehen, wieviel auch ich +darf, ob ich es schon nicht dürfte! Kurzsichtiger Wüterich! Mit dir +will ich es wohl aufnehmen. Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso +mächtig, als wer kein Gesetz hat. Das weißt du nicht? Komm an! komm +an!--Aber, sieh da! Schon wieder, schon wieder rennet der Zorn mit +dem Verstande davon.--Was will ich? Erst müßt' es doch geschehen sein, +worüber ich tobe. Was plaudert nicht eine Hofschranze! Und hätte +ich ihn doch nur plaudern lassen! Hätte ich seinen Vorwand, warum sie +wieder nach Guastalla soll, doch nur angehört!--So könnte ich mich +itzt auf eine Antwort gefaßt machen.--Zwar auf welchen kann mir eine +fehlen?--Sollte sie mir aber fehlen, sollte sie--Man kömmt. Ruhig, +alter Knabe, ruhig! + + + +Fünfter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. Odoardo Galotti. + + +Der Prinz. Ah, mein lieber, rechtschaffner Galotti--so etwas muß auch +geschehen, wenn ich Sie bei mir sehen soll. Um ein Geringeres tun Sie +es nicht. Doch keine Vorwürfe! + +Odoardo. Gnädiger Herr, ich halte es in allen Fällen für unanständig, +sich zu seinem Fürsten zu drängen. Wen er kennt, den wird er fodern +lassen, wenn er seiner bedarf. Selbst itzt bitte ich um +Verzeihung--Der Prinz. Wie manchem andern wollte ich diese stolze +Bescheidenheit wünschen!--Doch zur Sache. Sie werden begierig sein, +Ihre Tochter zu sehen. Sie ist in neuer Unruhe wegen der plötzlichen +Entfernung einer so zärtlichen Mutter.--Wozu auch diese Entfernung? +Ich wartete nur, daß die liebenswürdige Emilie sich völlig erholet +hätte, um beide im Triumphe nach der Stadt zu bringen. Sie haben mir +diesen Triumph um die Hälfte verkümmert, aber ganz werde ich mir ihn +nicht nehmen lassen. + +Odoardo. Zu viel Gnade!--Erlauben Sie, Prinz, daß ich meinem +unglücklichen Kinde alle die mannigfaltigen Kränkungen erspare, die +Freund und Feind, Mitleid und Schadenfreude in Guastalla für sie +bereit halten. + +Der Prinz. Um die süßen Kränkungen des Freundes und des Mitleids, +würde es Grausamkeit sein, sie zu bringen. Daß aber die Kränkungen +des Feindes und der Schadenfreude sie nicht erreichen sollen, dafür, +lieber Galotti, lassen Sie mich sorgen. + +Odoardo. Prinz, die väterliche Liebe teilet ihre Sorgen nicht gern. +--Ich denke, ich weiß es, was meiner Tochter in ihren itzigen +Umständen einzig ziemet--Entfernung aus der Welt--ein Kloster--sobald +als möglich. + +Der Prinz. Ein Kloster? + +Odoardo. Bis dahin weine sie unter den Augen ihres Vaters. + +Der Prinz. So viel Schönheit soll in einem Kloster verblühen?--Darf +eine einzige fehlgeschlagene Hoffnung uns gegen die Welt so +unversöhnlich machen?--Doch allerdings: dem Vater hat niemand +einzureden. Bringen Sie Ihre Tochter, Galotti, wohin Sie wollen. + +Odoardo (gegen Marinelli). Nun, mein Herr? + +Marinelli. Wenn Sie mich sogar auffodern! + +Odoardo. O mitnichten, mitnichten. + +Der Prinz. Was haben Sie beide? + +Odoardo. Nichts, gnädiger Herr, nichts.--Wir erwägen bloß, welcher +von uns sich in Ihnen geirret hat. + +Der Prinz. Wieso?--Reden Sie, Marinelli. + +Marinelli. Es geht mir nahe, der Gnade meines Fürsten in den Weg zu +treten. Doch wenn die Freundschaft gebietet, vor allem in ihm den +Richter aufzufodern--Der Prinz. Welche Freundschaft?--Marinelli. Sie +wissen, gnädiger Herr, wie sehr ich den Grafen Appiani liebte, wie +sehr unser beider Seelen ineinander verwebt schienen--Odoardo. Das +wissen Sie, Prinz? So wissen Sie es wahrlich allein. + +Marinelli. Von ihm selbst zu seinem Rächer bestellet--Odoardo. Sie? + +Marinelli. Fragen Sie nur Ihre Gemahlin. Marinelli, der Name +Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen, und in einem Tone! +in einem Tone!--Daß er mir nie aus dem Gehöre komme, dieser +schreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende, daß seine Mörder +entdeckt und bestraft werden! + +Der Prinz. Rechnen Sie auf meine kräftigste Mitwirkung. + +Odoardo. Und meine heißesten Wünsche!--Gut, gut!--Aber was weiter? + +Der Prinz. Das frag ich, Marinelli. + +Marinelli. Man hat Verdacht, daß es nicht Räuber gewesen, welche den +Grafen angefallen. + +Odoardo (höhnisch). Nicht? Wirklich nicht? + +Marinelli. Daß ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege räumen lassen. + +Odoardo (bitter). Ei! Ein Nebenbuhler? + +Marinelli. Nicht anders. + +Odoardo. Nun dann--Gott verdamm' ihn, den meuchelmörderischen Buben! + +Marinelli. Ein Nebenbuhler, und ein begünstigter Nebenbuhler--Odoardo. +Was? ein begünstigter?--Was sagen Sie? + +Marinelli. Nichts, als was das Gerüchte verbreitet. + +Odoardo. Ein begünstigter? von meiner Tochter begünstiget? + +Marinelli. Das ist gewiß nicht. Das kann nicht sein. Dem +widersprech ich, trotz Ihnen.--Aber bei dem allen, gnädiger Herr--denn +das gegründetste Vorurteil wieget auf der Waage der Gerechtigkeit +soviel als nichts--bei dem allen wird man doch nicht umhin können, die +schöne Unglückliche darüber zu vernehmen. + +Der Prinz. Jawohl, allerdings. + +Marinelli. Und wo anders? wo kann das anders geschehen als in +Guastalla? + +Der Prinz. Da haben Sie recht, Marinelli, da haben Sie recht.--Ja so, +das verändert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie sehen +selbst--Odoardo. O ja, ich sehe--Ich sehe, was ich sehe.--Gott! Gott! + +Der Prinz. Was ist Ihnen? was haben Sie mit sich? + +Odoardo. Daß ich es nicht vorausgesehen, was ich da sehe. Das ärgert +mich, weiter nichts.--Nun ja, sie soll wieder nach Guastalla. Ich +will sie wieder zu ihrer Mutter bringen, und bis die strengste +Untersuchung sie freigesprochen, will ich selbst aus Guastalla nicht +weichen. Denn wer weiß--(mit einem bittern Lachen) wer weiß, ob die +Gerechtigkeit nicht auch nötig findet, mich zu vernehmen. + +Marinelli. Sehr möglich! In solchen Fällen tut die Gerechtigkeit +lieber zuviel als zuwenig.--Daher fürchte ich sogar--Der Prinz. Was? +was fürchten Sie? + +Marinelli. Man werde vor der Hand nicht verstatten können, daß Mutter +und Tochter sich sprechen. + +Odoardo. Sich nicht sprechen? + +Marinelli. Man werde genötiget sein, Mutter und Tochter zu trennen. + +Odoardo. Mutter und Tochter zu trennen? + +Marinelli. Mutter und Tochter und Vater. Die Form des Verhörs +erfodert diese Vorsichtigkeit schlechterdings. Und es tut mir leid, +gnädiger Herr, daß ich mich gezwungen sehe, ausdrücklich darauf +anzutragen, wenigstens Emilien in eine besondere Verwahrung zu bringen. + +Odoardo. Besondere Verwahrung?--Prinz! Prinz!--Doch ja, freilich, +freilich! Ganz recht: in eine besondere Verwahrung! Nicht, Prinz? +nicht?--O wie fein die Gerechtigkeit ist! Vortrefflich! (Fährt +schnell nach dem Schubsacke, in welchem er den Dolch hat.) + +Der Prinz (schmeichelhaft auf ihn zutretend). Fassen Sie sich, lieber +Galotti--Odoardo (beiseite, indem er die Hand leer wieder herauszieht). +Das sprach sein Engel! + +Der Prinz. Sie sind irrig, Sie verstehen ihn nicht. Sie denken bei +dem Worte Verwahrung wohl gar an Gefängnis und Kerker. + +Odoardo. Lassen Sie mich daran denken: und ich bin ruhig! + +Der Prinz. Kein Wort von Gefängnis, Marinelli! Hier ist die Strenge +der Gesetze mit der Achtung gegen unbescholtene Tugend leicht zu +vereinigen. Wenn Emilia in besondere Verwahrung gebracht werden muß, +so weiß ich schon--die alleranständigste. Das Haus meines +Kanzlers--Keinen Widerspruch, Marinelli!--Da will ich sie selbst +hinbringen, da will ich sie der Aufsicht einer der würdigsten Damen +übergeben. Die soll mir für sie bürgen, haften.--Sie gehen zu weit, +Marinelli, wirklich zu weit, wenn Sie mehr verlangen.--Sie kennen doch, +Galotti, meinen Kanzler Grimaldi und seine Gemahlin? + +Odoardo. Was sollt' ich nicht? Sogar die liebenswürdigen Töchter +dieses edeln Paares kenn ich. Wer kennt sie nicht?--(Zu Marinelli.) +Nein, mein Herr, geben Sie das nicht zu. Wenn Emilia verwahrt werden +muß, so müsse sie in dem tiefsten Kerker verwahret werden. Dringen +Sie darauf, ich bitte Sie.--Ich Tor, mit meiner Bitte! ich alter Geck! +--Jawohl hat sie recht die gute Sibylle: "Wer über gewisse Dinge +seinen Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren!" + +Der Prinz. Ich verstehe Sie nicht.--Lieber Galotti, was kann ich mehr +tun?--Lassen Sie es dabei, ich bitte Sie.--Ja, ja, in das Haus meines +Kanzlers! da soll sie hin; da bring ich sie selbst hin; und wenn ihr +da nicht mit der äußersten Achtung begegnet wird, so hat mein Wort +nichts gegolten. Aber sorgen Sie nicht.--Dabei bleibt es! dabei +bleibt es!--Sie selbst, Galotti, mit sich, können es halten, wie Sie +wollen.--Sie können uns nach Guastalla folgen, Sie können nach +Sabionetta zurückkehren: wie Sie wollen. Es wäre lächerlich, Ihnen +vorzuschreiben.--Und nun, auf Wiedersehen, lieber Galotti!--Kommen Sie, +Marinelli, es wird spät. + +Odoardo (der in tiefen Gedanken gestanden). Wie? so soll ich sie gar +nicht sprechen, meine Tochter? Auch hier nicht?--Ich lasse mir ja +alles gefallen, ich finde ja alles ganz vortrefflich. Das Haus eines +Kanzlers ist natürlicherweise eine Freistatt der Tugend. Oh, gnädiger +Herr, bringen Sie ja meine Tochter dahin, nirgends anders als dahin. +--Aber sprechen wollt' ich sie doch gerne vorher. Der Tod des Grafen +ist ihr noch unbekannt. Sie wird nicht begreifen können, warum man +sie von ihren Eltern trennet. Ihr jenen auf gute Art beizubringen, +sie dieser Trennung wegen zu beruhigen--muß ich sie sprechen, gnädiger +Herr, muß ich sie sprechen. + +Der Prinz. So kommen Sie denn--Odoardo. Oh, die Tochter kann auch +wohl zu dem Vater kommen.--Hier, unter vier Augen, bin ich gleich mit +ihr fertig. Senden Sie mir sie nur, gnädiger Herr. + +Der Prinz. Auch das!--O Galotti, wenn Sie mein Freund, mein Führer, +mein Vater sein wollten! (Der Prinz und Marinelli geben ab.) + + + +Sechster Auftritt + +Odoardo Galotti (ihm nachsehend, nach einer Pause). Warum +nicht?--Herzlich gern.--Ha! ha! ha!--(Blickt wild umher.) Wer lacht +da?--Bei Gott, ich glaub, ich war es selbst.--Schon recht! Lustig, +lustig! Das Spiel geht zu Ende. So oder so!--Aber--(Pause) wenn sie +mit ihm sich verstünde? Wenn es das alltägliche Possenspiel wäre? +Wenn sie es nicht wert wäre, was ich für sie tun will?--(Pause.) Für +sie tun will? Was will ich denn für sie tun?--Hab ich das Herz, es +mir zu sagen?--Da denk ich so was: So was, was sich nur denken läßt. +--Gräßlich! Fort, fort! Ich will sie nicht erwarten. Nein!--(Gegen +den Himmel.) Wer sie unschuldig in diesen Abgrund gestürzt hat, der +ziehe sie wieder heraus. Was braucht er meine Hand dazu? Fort! (Er +will gehen und sieht Emilien kommen.) Zu spät! Ah! er will meine Hand, +er will sie! + + + +Siebenter Auftritt + +Emilia. Odoardo. + + +Emilia. Wie? Sie hier, mein Vater?--Und nur Sie?--Und meine Mutter? +nicht hier?--Und der Graf? nicht hier?--Und Sie so unruhig, mein Vater? + +Odoardo. Und du so ruhig, meine Tochter?--Emilia. Warum nicht, mein +Vater?--Entweder ist nichts verloren: oder alles. Ruhig sein können +und ruhig sein müssen: kömmt es nicht auf eines? + +Odoardo. Aber, was meinest du, daß der Fall ist? + +Emilia. Daß alles verloren ist--und daß wir wohl ruhig sein müssen, +mein Vater. + +Odoardo. Und du wärest ruhig, weil du ruhig sein mußt?--Wer bist du? +Ein Mädchen? und meine Tochter? So sollte der Mann und der Vater sich +wohl vor dir schämen?--Aber laß doch hören, was nennest du, alles +verloren?--Daß der Graf tot ist? + +Emilia. Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein +Vater? So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in +dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las?--Wo ist meine Mutter? +Wo ist sie hin, mein Vater? + +Odoardo. Voraus--wenn wir anders ihr nachkommen. + +Emilia. Je eher, je besser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er +darum tot ist--darum! was verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns +fliehen, mein Vater! + +Odoardo. Fliehen?--Was hätt' es dann für Not?--Du bist, du bleibst in +den Händen deines Räubers. + +Emilia. Ich bleibe in seinen Händen? + +Odoardo. Und allein, ohne deine Mutter, ohne mich. + +Emilia. Ich allein in seinen Händen?--Nimmermehr, mein Vater.--Oder +Sie sind nicht mein Vater.--Ich allein in seinen Händen?--Gut, lassen +Sie mich nur, lassen Sie mich nur.--Ich will doch sehn, wer mich +hält--wer mich zwingt--wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen +kann. + +Odoardo. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind. + +Emilia. Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Hände in +den Schoß legen? Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht +dürfte? + +Odoardo. Ha! wenn du so denkest!--Laß dich umarmen, meine Tochter! +--Ich hab es immer gesagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem +Meisterstücke machen. Aber sie vergriff sich im Tone, sie nahm ihn zu +fein. Sonst ist alles besser an euch als an uns.--Ha, wenn das deine +Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wiedergefunden! Laß dich umarmen, +meine Tochter!--Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen +Untersuchung--o des höllischen Gaukelspieles!--reißt er dich aus +unsern Armen und bringt dich zur Grimaldi. + +Emilia. Reißt mich? bringt mich?--Will mich reißen, will mich bringen: +will! will!--Als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein Vater! + +Odoardo. Ich ward auch so wütend, daß ich schon nach diesem Dolche +griff (ihn herausziehend), um einem von beiden--beiden!--das Herz zu +durchstoßen. Emilia. Um des Himmels willen nicht, mein Vater! +--Dieses Leben ist alles, was die Lasterhaften haben.--Mir, mein Vater, +mir geben Sie diesen Dolch. + +Odoardo. Kind, es ist keine Haarnadel. + +Emilia. So werde die Haarnadel zum Dolche!--Gleichviel. + +Odoardo. Was? Dahin wäre es gekommen? Nicht doch; nicht doch! +Besinne dich.--Auch du hast nur ein Leben zu verlieren. + +Emilia. Und nur eine Unschuld! + +Odoardo. Die über alle Gewalt erhaben ist.--Emilia. Aber nicht über +alle Verführung.--Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen? +Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt.--Ich +habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes Blut als eine. Auch +meine Sinne sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. +Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine +Stunde da, unter den Augen meiner Mutter--und es erhob sich so mancher +Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum +in Wochen besänftigen konnten!--Der Religion! Und welcher +Religion?--Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die +Fluten und sind Heilige!--Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir +diesen Dolch. + +Odoardo. Und wenn du ihn kenntest, diesen Dolch!--Emilia. Wenn ich +ihn auch nicht kenne!--Ein unbekannter Freund ist auch ein Freund. +--Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn. + +Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe--da! (Gibt ihr ihn.) + +Emilia. Und da! (Im Begriffe, sich damit zu durchstoßen, reißt der +Vater ihr ihn wieder aus der Hand.) + +Odoardo. Sieh, wie rasch!--Nein, das ist nicht für deine Hand. + +Emilia. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich--(Sie fährt mit der +Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.) +Du noch hier?--Herunter mit dir! Du gebötest nicht in das Haar +einer--wie mein Vater will, daß ich werden soll! + +Odoardo. Oh, meine Tochter!--Emilia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie +erriete!--Doch nein, das wollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie +sonst?--(In einem bittern Tone, während daß sie die Rose zerpflückt.) +Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu +retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte--ihr zum +zweiten Male das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehedem! +Solcher Väter gibt es keinen mehr! + +Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (Indem er sie durchsticht.) +--Gott, was hab ich getan! (Sie will sinken, und er faßt sie in +seine Arme.) + +Emilia. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.--Lassen +Sie mich sie küssen, diese väterliche Hand. + + + +Achter Auftritt + +Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen. + + +Der Prinz (im Hereintreten). Was ist das?--Ist Emilien nicht wohl? + +Odoardo. Sehr wohl, sehr wohl! + +Der Prinz (indem er näher kömmt). Was seh ich?--Entsetzen! + +Marinelli. Weh mir! + +Der Prinz. Grausamer Vater, was haben Sie getan! + +Odoardo. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.--War es +nicht so, meine Tochter? + +Emilia. Nicht Sie, mein Vater--Ich selbst--ich selbst--Odoardo. Nicht +du, meine Tochter--nicht du!--Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt. +Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein unglücklicher Vater! + +Emilia. Ah--mein Vater--(Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den +Boden.) + +Odoardo. Zieh hin!--Nun da, Prinz! Gefällt sie Ihnen noch? Reizt +sie noch Ihre Lüste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache +schreiet? (Nach einer Pause.) Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus +soll? Sie erwarten vielleicht, daß ich den Stahl wider mich selbst +kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragödie zu beschließen? +Sie irren sich. Hier! (Indem er ihm den Dolch vor die Füße wirft.) +Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und +liefere mich selbst in das Gefängnis. Ich gehe und erwarte Sie als +Richter--Und dann dort--erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller! + +Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper +mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli). Hier! heb +ihn auf.--Nun? Du bedenkst dich?--Elender!--(Indem er ihm den Dolch +aus der Hand reißt.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht +mischen.--Geh, dich auf ewig zu verbergen!--Geh! sag ich.--Gott! Gott! +--Ist es, zum Unglücke so mancher, nicht genug, daß Fürsten Menschen +sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen? + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Emilia Galotti, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + + + +End of Project Gutenberg's Emilia Galotti, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EMILIA GALOTTI *** + +This file should be named 8mlgl10.txt or 8mlgl10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8mlgl11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8mlgl10a.txt + +Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau. + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A +preliminary version may often be posted for suggestion, comment +and editing by those who wish to do so. + +Most people start at our Web sites at: +http://gutenberg.net or +http://promo.net/pg + +These Web sites include award-winning information about Project +Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new +eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). + + +Those of you who want to download any eBook before announcement +can get to them as follows, and just download by date. This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext03 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext03 + +Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. If your state is not listed and +you would like to know if we have added it since the list you have, +just ask. + +While we cannot solicit donations from people in states where we are +not yet registered, we know of no prohibition against accepting +donations from donors in these states who approach us with an offer to +donate. + +International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about +how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made +deductible, and don't have the staff to handle it even if there are +ways. + +Donations by check or money order may be sent to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation +PMB 113 +1739 University Ave. +Oxford, MS 38655-4109 + +Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment +method other than by check or money order. + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by +the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN +[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are +tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising +requirements for other states are met, additions to this list will be +made and fund-raising will begin in the additional states. + +We need your donations more than ever! + +You can get up to date donation information online at: + +http://www.gutenberg.net/donation.html + + +*** + +If you can't reach Project Gutenberg, +you can always email directly to: + +Michael S. Hart <hart@pobox.com> + +Prof. Hart will answer or forward your message. + +We would prefer to send you information by email. + + +**The Legal Small Print** + + +(Three Pages) + +***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** +Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. +They tell us you might sue us if there is something wrong with +your copy of this eBook, even if you got it for free from +someone other than us, and even if what's wrong is not our +fault. 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