diff options
Diffstat (limited to '75569-0.txt')
| -rw-r--r-- | 75569-0.txt | 3971 |
1 files changed, 3971 insertions, 0 deletions
diff --git a/75569-0.txt b/75569-0.txt new file mode 100644 index 0000000..e36dfa4 --- /dev/null +++ b/75569-0.txt @@ -0,0 +1,3971 @@ + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75569 *** + + + +======================================================================= + + Anmerkungen zur Transkription: + +Das Original ist in Fraktur gesetzt. Die Schreibweise und Interpunktion +des Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler +sind stillschweigend korrigiert worden. + +Folgende Zeichen sind für die verschiedenen Schriftformen benutzt +worden: =fett gedruckter Text=; +gesperrt gedruckter Text+ + _kursiv gedruckter Text_ + +======================================================================= + + + + + [Illustration] + + + + + Als ich noch der + + Waldbauernbub war. + + + Von =Peter Rosegger=. + + + + + Für die Jugend ausgewählt + aus den Schriften Roseggers + vom Hamburger Jugendschriftenausschuß. + + + Sechsundvierzigstes bis siebenundfünfzigstes Tausend. + + + [Illustration] + + + Leipzig, + + Verlag von L. Staackmann. + + 1905. + + + + + Alle Rechte vorbehalten. + + + + + Inhalt. + + + Seite + + 1. In der Christnacht 1 + + 2. Was bei den Sternen war 23 + + 3. Auf der Wacht 30 + + 4. Wie ich mit der Thresel ausging und mit dem + Maischel heimkam 39 + + 5. Als ich das Ofenhückerl war 54 + + 6. Als ich um Hasenöl geschickt wurde 64 + + 7. Als ich mir die Welt am Himmel baute 76 + + 8. Von meiner Mutter 88 + + + Nr. 1, 2, 3, 7 sind dem Buche »Waldheimat I« + + Nr. 8 ist dem Buche »Waldheimat II« + + Nr. 4 ist dem Buche »Neue Waldgeschichten« + + Nr 5, 6 sind dem Buche »Als ich jung noch war« + entnommen. + + + + +Außerdem erschien noch: + + Als ich noch der Waldbauernbub war + + I. Teil u. III. Teil. + + Von + + Peter Rosegger. + + Für die Jugend ausgewählt vom Hamburger Jugendschriftenausschuß. + + Elegant kartoniert 70 Pf. + + Elegant und dauerhaft gebunden 90 Pf. + + +Inhalt des I. Teiles: + + Vom Urgroßvater, der auf der Tanne saß. -- Ums Vaterwort. -- + Allerlei Spielzeug. -- Wie der Meisensepp gestorben ist. -- + Wie ich dem ieben Herrgott mein Sonntagsjöppl schenkte. + -- Wie das Zicklein starb. -- 364 und eine Nacht. -- Als + ich Bettelbub gewesen. -- Als ich zur Drachenbinderin ritt. + -- Als dem kleinen Maxel sein Haus niederbrannte. -- Als + ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß. -- Als ich ... --. + + +Inhalt des III. Teiles: + + Als ich Christtagsfreude holen ging. -- Das Schläfchen auf dem + Semmering. -- Als ich nach Emaus zog. -- Am Tage, da die Ahne fort + war. -- Der Fronleichnamsaltar. -- Weg nach Maria Zell. -- Als ich + der Müller war. -- Als ich den Himmlischen Altäre gebaut. -- Als + ich im Walde beim Käthele war. -- Als die hellen Nächte waren. + -- Aus der Eisenhämmerzeit. -- Als ich zum Pfluge kam. + + + [Illustration] + + + + + In der Christnacht. + + +In unserer Stube, an der mit grauem Lehm übertünchten Ofenmauer, stand +jahraus, jahrein ein Schemel aus Eichenholz. Er war immer glatt und +rein gescheuert, denn er wurde, wie die anderen Stubengeräte, jeden +Samstag mit feinem Bachsande und einem Strohwisch abgerieben. In der +Zeit des Frühlings, des Sommers und des Herbstes stand dieser Schemel +leer und einsam in seinem Winkel, nur an jedem Tag zur Abendzeit +zog ihn die Ahne etwas weiter hervor, kniete auf denselben hin und +verrichtete ihr Abendgebet. Auch an den Samstagen, wenn der Vater an +dem Tisch die Feierabendandacht vorbetete, kniete die Ahne auf dem +Schemel. + +Als aber der Spätherbst kam mit den langen Abenden, an welchen die +Knechte in der Stube aus Kienscheiten Leuchtspäne schnitzten und die +Mägde, sowie auch meine Mutter und Ahne Wolle und Flachs spannen, und +als die Adventszeit kam, in welcher an solchen Span- und Spinnabenden +alte Märchen erzählt und geistliche Lieder gesungen wurden, da saß ich +beständig auf dem Schemel am Ofen. + +Ich hörte von da aus den Geschichten und Gesängen zu, und wenn solche +schauerlich wurden und sich meine kleine Seele aufzuregen und zu +fürchten begann, rückte ich den Schemel näher der Mutter und begann +mich ängstlich an ihr Kleid zu halten, und ich konnte gar nicht mehr +begreifen, wie die andern über mich oder über ihre schrecklichen +Geschichten noch zu lachen vermochten. Zuletzt als es zum Schlafengehen +kam und mir die Mutter mein Ladbettchen hervorzog, wollte ich schon +gar nicht mehr allein in das Bett gehen, und es mußte die Ahne neben +mir liegen, bis die fürchterlichen Bilder in mir vergingen und ich +einschlief. + +Aber die langen Adventsnächte waren bei uns immer sehr kurz. Bald nach +zwei Uhr begann es im Hause unruhig zu werden. Oben auf dem Dachboden +hörte man die Knechte, wie sie sich ankleideten und umhergingen, und in +der Küche brachen die Mägde Späne ab und schürten am Herde. Dann gingen +sie alle auf die Tenne zum Dreschen. + +Auch die Mutter war aufgestanden und hatte in der Stube Licht gemacht; +bald darauf erhob sich der Vater, und sie zogen Kleider an, die nicht +ganz für den Werktag und auch nicht ganz für den Feiertag waren. Dann +sprach die Mutter zur Ahne, die im Bette lag, einige Worte, und wenn +ich, erweckt durch die Unruhe, auch irgend eine Bemerkung that, so gab +sie mir bloß zur Antwort: »Sei Du nur schön still und schlaf!« -- Dann +zündeten meine Eltern eine Laterne an, löschten das Licht in der Stube +aus und gingen aus dem Hause. Ich hörte noch die äußere Thür gehen, +und ich sah an den Fenstern den Lichtschimmer vorüberflimmern, und ich +hörte das Ächzen der Tritte im Schnee, und ich hörte noch das Rasseln +des Kettenhundes. -- Dann wurde es wieder ruhig, nur war das dumpfe, +gleichmäßige Pochen der Drescher zu vernehmen, dann schlief ich wieder +ein. + +Der Vater und die Mutter gingen in die fast drei Stunden entfernte +Pfarrkirche zur Rorate. Ich träumte ihnen nach, ich hörte die +Kirchenglocken, ich hörte den Ton der Orgel und das Adventslied: Maria +sei gegrüßet, du lichter Morgenstern! Und ich sah die Lichter am +Hochaltare, und die Engelein, die über demselben standen, breiteten +ihre goldenen Flügel aus und flogen in der Kirche umher, und einer, der +mit der Posaune über dem Predigtstuhl stand, zog hinaus in die Heiden +und in die Wälder und blies es durch die ganze Welt, daß die Ankunft +des Heilandes nahe sei. + +Als ich erwachte, strahlte die Sonne schon lange zu den Fenstern +herein, und draußen glitzerte und flimmerte der Schnee, und die Mutter +ging wieder in der Stube umher und war in Werktagskleidern und that +häusliche Arbeiten. Das Bett der Ahne neben dem meinigen war auch schon +geschichtet, und die Ahne kam nun von der Küche herein und half mir +die Höschen anziehen und wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser, daß ich +aus Empfindsamkeit zugleich weinte und lachte. Als dieses geschehen +war, kniete ich auf meinen Schemel hin und betete mit der Ahne den +Morgensegen: + + In Gottes Namen aufstehen, + Gegen Gott gehen, + Gegen Gott treten, + Zum himmlischen Vater beten, + Daß er uns verleih' + Lieb' Englein drei: + Der erste, der uns weist, + Der zweite, der uns speist, + Der dritt', der uns behüt' und bewahrt, + Daß uns an Leib und Seel' nichts widerfahrt. + +Nach dieser Andacht erhielt ich meine Morgensuppe, und nach derselben +kam die Ahne mit einem Kübel Rüben, die wir nun zusammen zu schälen +hatten. Ich saß dabei auf meinem Schemel. Aber bei dem Schälen der +Rüben konnte ich die Ahne nie vollkommen befriedigen; ich schnitt stets +eine zu dicke Schale, ließ sie aber stellenweise doch wieder ganz auf +der Rübe. Wenn ich mich dabei gar in den Finger schnitt und sofort +zu weinen begann, so sagte die Ahne immer sehr unwirsch: »Mit Dir ist +wohl ein rechtes Kreuz, man soll Dich frei hinauswerfen in den Schnee!« +Dabei verband sie mir die Wunde mit unsäglicher Sorgfalt und Liebe. + +So vergingen die Tage des Advents, und ich und die Ahne sprachen immer +häufiger und häufiger von dem Weihnachtsfeste und von dem Christkinde, +das nun bald kommen werde zu den Menschen. + +Je mehr wir dem Feste nahten, um so unruhiger wurde es im Hause. Die +Knechte trieben das Vieh aus dem Stalle und gaben frische Streu hinein +und stellten die Barren und Krippen zurecht; der Halterbub striegelte +die Ochsen, daß sie ein glattes Aussehen bekamen; der Futterbub mischte +mehr Heu in das Stroh als gewöhnlich und bereitete davon einen ganzen +Stoß in der Futterkammer. Die Kuhmagd that das Gleiche. Das Dreschen +hatte schon einige Tage früher aufgehört, weil man durch den Lärm die +nahen Feiertage zu entheiligen geglaubt hätte. + +Im ganzen Hause wurde gewaschen und gescheuert, selbst in die Stube +kamen die Mägde mit ihren Wasserkübeln und Strohwischen und Besen +hinein. Ich freute mich immer sehr auf dieses Waschen, weil ich es +gern hatte, wie alles drunter und drüber gekehrt wurde, und weil die +Glasbilder im Tischwinkel, die braune Schwarzwälderuhr mit ihrer +Metallschelle und andere Dinge, die ich sonst immer nur von der Höhe +zu sehen bekam, herabgenommen und mir näher gebracht wurden, so daß +ich alles viel genauer und von verschiedenen Seiten betrachten konnte. +Freilich war mir nicht erlaubt dergleichen Dinge anzurühren, weil ich +noch zu ungeschickt und unbesonnen dafür wäre und die Gegenstände +leicht beschädigen könne. Aber es gab doch Augenblicke, in welchen man +im eifrigen Waschen und Scheuern nicht auf mich achtete. + +In einem solchen Augenblick kletterte ich einmal über den Schemel auf +die Bank und von der Bank auf den Tisch, der aus seiner gewöhnlichen +Stellung gerückt war und auf dem die Schwarzwälderuhr lag. Ich machte +mich an die Uhr, von der die Gewichte über den Tisch hingen, sah durch +ein offenes Seitenthürchen in das messingene, sehr bestaubte Räderwerk +hinein, tupfte einigemale an die kleinen Blätter des Windrädchens +und legte die Finger endlich selbst an das Rädchen, ob es denn nicht +gehe; aber es ging nicht. Zuletzt rückte ich auch ein wenig an einem +Holzstäbchen, und als ich das that, begann es im Werk fürchterlich +zu rasseln. Einige Räder gingen langsam, andere schneller, und das +Windrädchen flog, daß man es kaum sehen konnte. Ich war unbeschreiblich +erschrocken, ich kollerte vom Tisch über Bank und Schemel auf den +nassen, schmutzigen Boden hinab; da faßte mich schon die Mutter am +Röcklein, und die »birkene Liesel« war da. Das Rasseln in der Uhr +wollte gar nicht aufhören, und zuletzt nahm mich die Mutter mit beiden +Händen und trug mich in das Vorhaus und schob mich durch die Thür +hinaus in den Schnee und schlug die Thür hinter mir zu. Ich stand wie +vernichtet da, ich hörte von innen noch das Greinen der Mutter, die ich +sehr beleidigt haben mußte, und ich hörte das Scheuern und Lachen der +Mägde, und ich hörte noch immer das Rasseln der Uhr. + +Als ich eine Weile dagestanden und geschluchzt hatte, und als gar +niemand gekommen war, der mich wieder in das Haus gerufen hätte, ging +ich fort nach dem Pfade, der in den Schnee getreten war, und ich ging +über den Hausanger und über das Feld dem Walde zu. Ich wußte nicht, +wohin ich wollte, ich bildete mir nur ein, daß mir ein großes Unrecht +geschehen sei, und daß ich nun nicht mehr in das Haus zurückkehren +könne. + +Aber ich war noch nicht zu dem Walde gekommen, als ich hinter mir ein +grelles Pfeifen hörte. Das war das Pfeifen der Ahne, wie sie es machte, +wenn sie zwei Finger in den Mund nahm und die Zunge spitzte und blies. +»Wo willst Du denn hin, Du dummes Kind«, rief sie, »wart', wenn Du so +im Wald herumlaufen willst, so wird Dich schon die Mooswaberl abfangen, +wart' nur!« + +Auf dieses Wort kehrte ich augenblicklich um, denn die Mooswaberl +fürchtete ich unsäglich. + +Ich ging aber immer noch nicht in das Haus, ich blieb im Hofe stehen, +wo der Vater und zwei Knechte gerade ein Schwein aus dem Stalle +zogen, um es abzustechen. Über das ohrenzerreißende Schreien des +Tieres und über das Blut, das ich nun sah, und das eine Magd in einen +Topf auffing, vergaß ich auf das Vorgefallene, und als der Vater im +Vorhause das Schwein abhäutete, stand ich schon wieder dabei und hielt +die Hautzipfel, die er mit einem großen Messer von dem speckigen +Fleisch immer mehr und mehr lostrennte. Als später die Eingeweide +herausgenommen waren und die Mutter Wasser in das Becken goß, sagte sie +zu mir: »Geh' weg da, sonst wirst Du ganz angespritzt!« + +Aus diesen Worten entnahm ich, daß die Mutter mit mir wieder versöhnt +sei, und nun war alles gut, und als ich wieder in die Stube kam, um +mich ein wenig zu erwärmen, stand da alles an seinem gewöhnlichen +Platz. Boden und Wände waren noch feucht, aber rein gescheuert, und die +Schwarzwälderuhr hing wieder an der Wand und tickte. Und sie tickte +viel lauter und heller durch die neu hergestellte Stube als früher. + +Endlich nahm das Waschen und Scheuern und Glätten ein Ende, im Hause +wurde es ruhiger, fast still, und der heilige Abend war da. Das +Mittagsmahl am heiligen Abend wurde nicht in der Stube eingenommen, +sondern in der Küche, wo man das Nudelbrett als Tisch eignete und sich +um dasselbe herumsetzte und das einfache Fastengericht still, aber mit +gehobener Stimmung verzehrte. + +Der Tisch in der Stube war mit einem schneeweißen Tuche bedeckt, und +vor dem Tische stand mein Schemel, auf welchen sich zum Abend, als die +Dämmerung einbrach, die Ahne hinkniete und still betete. + +Mägde gingen leise durch das Haus und bereiteten ihre Festtagskleider +vor, und die Mutter that in einen großen Topf Fleischstücke, goß Wasser +daran und stellte sie zum Herdfeuer. Ich schlich in der Stube auf den +Zehenspitzen herum und hörte nichts als das lustige Prasseln des Feuers +in der Küche. Ich blickte auf meine Sonntagshöschen und auf das Jöppel +und auf das schwarze Filzhütlein, das schon an einem Nagel der Wand +hing, und dann blickte ich durch das Fenster in die hereinbrechende +Dunkelheit hinaus. Wenn kein ungestümes Wetter eintrat, so durfte ich +in der Nacht mit dem Großknecht in die Kirche gehen. Und das Wetter war +ruhig, und es würde auch, wie der Vater sagte, nicht allzu kalt werden, +weil auf den Bergen Nebel lag. + +Unmittelbar vor dem »Rauchengehen«, in welchem Haus und Hof nach alter +Sitte mit Weihwasser und Weihrauch besegnet wird, hatten der Vater +und die Mutter einen kleinen Streit. Die Mooswaberl war dagewesen, +hatte glückselige Feiertage gewünscht, und die Mutter hatte ihr für +den Festtag ein Stück Fleisch geschenkt. Darüber war der Vater etwas +ungehalten; er war sonst ein Freund der Armen und gab ihnen nicht +selten mehr, als unsere Verhältnisse erlauben wollten, aber der +Mooswaberl sollte man seiner Meinung nach kein Almosen reichen. Die +Mooswaberl war ein Weib, welches gar nicht in die Gegend gehörte, +welches unbefugt in den Wäldern umherstrich, Moos und Wurzeln +sammelte, in halbverfallenen Köhlerhütten Feuer machte und schlief. +Daneben zog sie bettelnd zu den Bauernhöfen, wollte Moos verkaufen, und +da sie keine Geschäfte machte, weinte sie und verfluchte das Leben. +Kinder, die sie ansah, fürchteten sich entsetzlich vor ihr, und viele +wurden gar krank; Kühen that sie an, daß sie rote Milch gaben. + +Wer ihr eine Wohlthat erwies, den verfolgte sie einige Minuten und +sagte ihm: »Tausend und tausend vergelt's Gott bis in den Himmel +hinauf.« + +Wer sie aber verspottete oder sonst auf irgend eine Art beleidigte, zu +dem sagte sie: »Ich bete Dich hinab in die unterste Hölle!« + +Die Mooswaberl kam oft zu unserem Hause und saß gern vor demselben auf +dem grünen Rasen oder auf dem Querbrett der Zaunstiegel, trotz des +heftigen Bellens und Rasselns unseres Kettenhundes, der sich gegen +dieses Weib besonders unbändig zeigte. Aber die Mooswaberl saß so lange +vor dem Hause, bis die Mutter ihr eine Schale Milch, oder ein Stück +Brot, oder beides hinaustrug. Meine Mutter hatte es gern, wenn das +Weib sie durch ein tausendfaches Vergeltsgott bis in den Himmel hinauf +wünschte. Der Vater legte dem Wunsche dieser Person keinen Wert bei, +war er ein Segensspruch oder ein Fluch. + +Als man draußen im Dorfe vor Jahren das Schulhaus gebaut, war dieses +Weib mit dem Manne in die Gegend gekommen und hatte dabei geholfen, +bis einst der Mann bei einer Steinsprengung getötet wurde. Seit dieser +Zeit arbeitete sie nicht mehr, und sie zog auch nicht fort, sondern +trieb sich herum, ohne daß man wußte, was sie that und was sie wollte. +Zum Arbeiten war sie nicht mehr zu bringen; sie schien geisteskrank zu +sein. + +Der Richter hatte die Mooswaberl schon mehrmals aus der Gemeinde +gewiesen, aber sie war immer wieder zurückgekommen. »Sie würde nicht +immer zurückgekommen sein«, sagte mein Vater, »wenn sie in dieser +Gegend nichts gebettelt bekäme. So wird sie hier verbleiben, und wenn +sie alt und krank ist, müssen wir sie auch hegen und pflegen; das ist +ein Kreuz, welches wir uns selbst an den Hals gebunden haben.« + +Die Mutter sagte nichts zu solchen Worten, sondern sie gab der +Mooswaberl, wenn sie kam, immer das gewohnte Almosen und heute noch +etwas mehr, zu Ehren des hohen Festes. + +Darum also war der kleine Streit zwischen Vater und Mutter, der +aber allsogleich verstummte, als zwei Knechte mit dem Rauch- und +Weihwassergefäß in das Haus kamen. + +Nach dem Rauchen stellte der Vater ein Kerzenlicht auf den Tisch, Späne +durften heute nur in der Küche gebrannt werden. Das Nachtmahl wurde +schon wieder in der Stube eingenommen. Der Großknecht erzählte während +desselben wundersame Geschichten. + +Nach dem Abendmahle sang die Mutter ein Hirtenlied. So wonnevoll ich +sonst diesen Liedern lauschte, aber heute dachte ich nur immer an +den Kirchgang, und ich wollte durchaus schon das Sonntagskleidchen +anziehen. Man sagte, es sei noch später Zeit dazu, aber endlich gab +die Ahne meinem Drängen doch nach und zog mich an. Der Stallknecht +kleidete sich sehr sorgsam in seinen Festtagsstaat, weil er nach dem +Mitternachtsgottesdienst nicht nach Hause gehen, sondern im Dorfe den +Morgen abwarten wollte. Gegen neun Uhr waren auch die anderen Knechte +und Mägde bereit und zündeten am Kerzenlicht eine Spanlunte an. Ich +hielt mich an den Großknecht, und meine Eltern und meine Großmutter, +welche daheim blieben, um das Haus zu hüten, besprengten mich mit +Weihwasser und sagten, daß ich nicht fallen und nicht erfrieren möge. + +Dann gingen wir. + +Es war sehr finster, und die Lunte, welche der Stallknecht vorantrug, +warf ihr rotes Licht in einer großen Scheibe auf den Schnee und auf +den Zaun und auf die Steinhaufen und Bäume, an denen wir vorüberkamen. +Mir kam dieses rote Leuchten, das zudem noch durch die großen Schatten +unserer Körper unterbrochen war, grauenhaft vor, und ich hielt mich +sehr ängstlich an den Großknecht, so daß dieser einmal sagte: »Aber +hörst, meine Joppe mußt Du mir lassen, was thät' ich denn, wenn Du mir +sie abrissest?« + +Der Pfad war eine Zeitlang sehr schmal, so daß wir hintereinander gehen +mußten, wobei ich nur froh war, daß ich nicht der Letzte war, denn ich +bildete mir ein, daß dieser unendlichen Gefahren wegen der Gespenster +ausgesetzt sein müsse. + +Eine schneidende Luft ging, und die glimmenden Splitter der Lunte +flogen weithin, und selbst, als sie auf die harte Schneekruste +niederfielen, glimmten sie noch eine Weile fort. + +Wir waren bisher über Blößen und durch Gesträuche und Wälder abwärts +gegangen; jetzt kamen wir zu einem Bache, den ich sehr gut kannte, er +floß durch die Wiese, auf welcher wir im Sommer das Heu machten. Im +Sommer rauschte dieser Bach sehr, aber heute hörte man ihn nur murmeln +und gurgeln, weil er überfroren war. Auch an einer Mühle kamen wir +vorüber, an welcher ich gar heftig erschrak, weil einige Funken auf das +Dach flogen; aber auf dem Dache lag Schnee, und die Funken erloschen. +Als wir eine Weile durch das Thal gegangen waren, verließen wir den +Bach, und der Weg führte aufwärts durch einen finsteren Wald, in +welchem der Schnee sehr seicht lag, aber auch keine so feste Kruste +hatte als auf den Blößen. + +Endlich kamen wir zu einer breiten Straße, wo wir nebeneinander gehen +konnten und wo wir dann und wann ein Schlittengeschelle hörten. Dem +Stallknecht war die Lunte bereits bis zu der Hand herabgebrannt, und er +zündete nun eine neue an, die er vorrätig hatte. Auf der Straße sah man +nun auch mehrere andere Lichter, große rote Fackeln, die heranloderten, +als schwämmen sie in der schwarzen Luft, und hinter denen nach und +nach ein Gesicht und mehrere Gesichter auftauchten, von Kirchengehern, +die sich nun auch zu uns gesellten. Und wir sahen Lichter von anderen +Bergen und Höhen, die noch so weit entfernt waren, daß wir nicht +erkennen konnten, ob sie standen oder sich bewegten. + +So gingen wir weiter. Der Schnee knirschte unter unseren Füßen, und wo +ihn der Wind weggetragen hatte, da war der schwarze Fleck des nackten +Bodens so hart, daß unsere Schuhe an ihm klangen. Die Leute sprachen +und lachten viel, aber mir war, als sei das in der heiligen Christnacht +gar nicht recht; ich dachte nur immer schon an die Kirche und wie das +doch sein werde, wenn mitten in der Nacht Musik und ein Hochamt ist. + +Als wir eine lange Weile auf der Straße fortgegangen und an einzelnen +Bäumen und an Häusern vorüber und dann wieder über Felder und durch +einen Wald gekommen waren, hörte ich auf den Baumwipfeln plötzlich +ein leises Klingen. Als ich horchen wollte, hörte ich es nicht, aber +bald darauf hörte ich es wieder und deutlicher als das erstemal. Es +war der Ton des kleinen Glöckleins vom Turme der Kirche. Die Lichter, +die wir nun auf den Bergen und im Thale sahen, wurden immer häufiger, +und nun merkten wir es auch, daß sie alle der Kirche zueilten. Auch +die kleinen, ruhigen Sterne der Laternen schwebten heran, und auf der +Straße wurde es immer lebhafter. Das kleine Glöcklein wurde durch ein +größeres abgelöst, und das läutete so lange, bis wir fast nahe zur +Kirche kamen. -- Also war es doch wahr, wie die Ahne gesagt hatte: Um +Mitternacht fangen die Glocken zu läuten an und läuten so lange, bis +aus den fernen Thälern der letzte Bewohner der Hütten zur Kirche kommt. + +Die Kirche steht auf einem mit Birken und Tannen bewachsenen Hügel, +und um sie liegt der kleine Friedhof, welcher mit einer niederen Mauer +umgeben ist. Die wenigen Häuser stehen im Thale. + +Als die Leute an die Kirche gekommen waren, steckten sie ihre Lunten +umgekehrt in den Schnee, daß sie erloschen, nur eine wurde zwischen +zwei Steine der Friedhofmauer geklemmt und brennen gelassen. + +Jetzt klang auf dem Turme in langsamem, gleichmäßigem Wiegen schon +die große Glocke. Aus den schmalen, hohen Kirchenfenstern fiel heller +Schein. Ich wollte in die Kirche, aber der Großknecht sagte, es habe +noch Zeit, und blieb stehen und sprach und lachte mit anderen Burschen +und stopfte sich eine Pfeife an. + +Endlich klangen alle Glocken zusammen, in der Kirche begann die Orgel +zu tönen, und nun gingen wir hinein. + +Das sah ganz anders aus wie an den Sonntagen. Die Lichter, die auf dem +Altare brannten, waren hellweiße, funkelnde Sterne, und der vergoldete +Tabernakel strahlte gar herrlich zurück. Die Ampel des ewigen Lichtes +war rot. Der obere Raum der Kirche war so dunkel, daß man die schönen +Verzierungen des Schiffes nicht sehen konnte. Die dunklen Gestalten der +Menschen saßen in den Stühlen oder standen neben denselben; die Weiber +waren sehr in Tücher eingeschlagen und husteten. Viele hatten Kerzen +vor sich brennen und sangen aus ihren Büchern mit, als auf dem Chore +das Tedeum ertönte. Der Großknecht führte mich durch die zwei Reihen +der Stühle gegen einen Nebenaltar, wo schon mehrere Leute standen. Dort +hob er mich auf einen Schemel zu einem Glaskasten empor, der, von zwei +Kerzen beleuchtet, zwischen zwei aufgesteckten Tannenwipfeln stand und +den ich früher, wenn ich mit den Eltern in die Kirche kam, nie gesehen +hatte. Als mich der Großknecht auf den Schemel gehoben hatte, sagte er +mir leise in's Ohr: »So, jetzt kannst das Krippel anschauen.« Dann ließ +er mich stehen, und ich schaute durch das Glas. Da kam ein Weiblein zu +mir herbei und sagte leise: »Ja, Kind, wenn Du das anschauen willst, +so muß Dir's auch jemand auslegen.« Und sie erklärte mir die kleinen +Gestalten. + +Ich sah die Dinge an. Außer der Mutter Maria, welche über den Kopf ein +blaues Tuch geschlagen hatte, das bis zu den Füßen hinabging, waren +alle Gestalten, welche Menschen vorstellen sollten, so gekleidet wie +unsere Knechte oder wie ältere Bauern. Der heilige Joseph selbst trug +grüne Strümpfe und eine kurze Gemslederhose. + +Als das Tedeum zu Ende war, kam der Großknecht wieder, hob mich von dem +Schemel, und wir setzten uns in einen Stuhl. Dann ging der Kirchenmann +herum und zündete alle Kerzen an, die in der Kirche waren, und jeder +Mensch, auch der Großknecht, zog nun ein Kerzlein aus dem Sack und +zündete es an und klebte es vor sich auf das Pult. Jetzt war es so hell +in der Kirche, daß man auch die Verzierungen an der Decke genau sehen +konnte. + +Auf dem Chore stimmte man Geigen und Trompeten und Pauken, und +als an der Sakristeithür das Glöcklein klang und der Pfarrer in +funkelndem Meßkleide, begleitet von Ministranten und rotbemäntelten +Windlichtträgern, über den purpurroten Fußteppich zum Altare ging, da +rauschte die Orgel in ihrem ganzen Vollklang, da wirbelten die Pauken +und schmetterten die Trompeten. + +Weihrauch stieg auf und hüllte den ganzen lichterstrahlenden Hochaltar +in einen Schleier. -- So begann das Hochamt, und so strahlte und tönte +und klang es um Mitternacht. Beim Offertorium waren alle Instrumente +still, nur zwei helle Stimmen sangen ein liebliches Hirtenlied, und +während des Benedictus jodelten eine Klarinette und zwei Flügelhörner +langsam und leise den Wiegengesang. Während des Evangeliums und der +Wandlung hörte man auf dem Chore den Kuckuck und die Nachtigall wie +mitten im sonnigen Frühling. + +Tief nahm ich sie auf in meine Seele, die wunderbare Herrlichkeit der +Christnacht, aber ich jauchzte nicht auf vor Entzücken, ich blieb +ernst, ruhig, ich fühlte die Weihe. + +Aber während die Musik tönte, dachte ich an Vater und Mutter und +Großmutter daheim. Die knieen jetzt um den Tisch bei dem einzigen +Kerzenlichtlein und beten, oder sie schlafen gar, und es ist finster +in der Stube, und nur die Uhr geht, sonst ist es still, und es liegt +eine tiefe Ruhe über den waldigen Bergen, und die Christnacht ist +ausgebreitet über die ganze Welt. + +Als endlich das Amt seinem Ende nahte, erloschen nach und nach die +Kerzlein in den Stühlen, und der Kirchenmann ging wieder herum und +dämpfte mit seinem Blechkäppchen an den Wänden und Bildern und Altären +die Lichter aus. Die am Hochaltare brannten noch, als auf dem Chore der +letzte freudenreiche Festmarsch erscholl und sich die Leute aus der +weihrauchduftenden Kirche drängten. + +Als wir in das Freie kamen, war es trotz des dichten Nebels, der sich +von den Bergen niedergesenkt hatte, nicht mehr ganz so finster wie vor +Mitternacht. Es mußte der Mond aufgegangen sein; man zündete keine +Fackeln mehr an. Es schlug ein Uhr, aber der Schulmeister läutete schon +die Betglocke zum Christmorgen. + +Ich warf noch einen Blick auf die Kirchenfenster; aller Festglanz war +erloschen, ich sah nur mehr den matten, rötlichen Schimmer des ewigen +Lichtes. + +Als ich mich dann wieder an den Rock des Großknechtes halten wollte, +war dieser nicht mehr da, einige fremde Leute waren um mich, die +miteinander sprachen und sich sofort auf den Heimweg machten. Mein +Begleiter mußte schon voraus sein; ich eilte ihm nach, lief schnell und +an mehreren Leuten vorüber, auf daß ich ihn bald einhole. Ich lief, so +sehr es meine kleinen Füße konnten, ich kam durch den finstern Wald, +und ich kam über Felder, über welche scharfer Wind blies, so daß ich, +so warm mir sonst war, von Nase und Ohren fast nichts mehr fühlte. Ich +kam an Häusern und Baumgruppen vorüber, die Leute, die früher noch auf +der Straße gegangen waren, verloren sich nach und nach, und ich war +allein, und den Großknecht hatte ich noch immer nicht erreicht. Ich +dachte, daß er auch hinter mir sein könne, ich beschloß, geradewegs +nach Hause zu eilen. Auf der Straße lagen hie und da schwarze Punkte, +die Kohlen der Spanfackeln, welche die Leute auf dem Kirchwege +abgeschüttelt. Die Gesträuche und Bäumchen, die neben am Wege standen +und unheimlich aus dem Nebel emportauchten, beschloß ich gar nicht +anzusehen, ich fürchtete mich davor. Besonders in Angst war ich, so oft +ein Pfad quer über die Straße ging, weil das ein Kreuzweg war, an dem +in der Christnacht gern der Böse steht und klingende Schätze bei sich +hat, um arme Menschenkinder dadurch mit sich zu locken. Der Stallknecht +hatte zwar gesagt, er glaube nicht daran, aber geben mußte es denn +doch dergleichen Dinge, sonst könnten die Leute nicht so viel davon +sprechen. -- Ich war aufgeregt, ich wendete meine Augen nach allen +Seiten, ob nicht irgendwo ein Gespenst auf mich zukomme. Endlich nahm +ich mir vor, gar nicht mehr an solches Zeug zu denken, aber je fester +ich das beschloß, desto mehr dachte ich daran. + +Nun war ich zum Pfad gekommen, der mich von der Straße abwärts durch +den Wald und in das Thal führen sollte. Ich bog ab und eilte unter +den langästigen Bäumen dahin. Die Wipfel rauschten stark, und dann +und wann fiel ein Schneeklumpen neben mir nieder. Stellenweise war +es auch so finster, daß ich kaum die Stämme sah, wenn ich nicht an +dieselben stieß, und daß ich den Pfad verlor. Letzteres war mir +ziemlich gleichgültig, denn der Schnee war sehr seicht, auch war +anfangs der Boden hübsch glatt; aber allmählich begann er steil und +steiler zu werden, und unter dem Schnee war viel Gestrüppe und hohes +Heidekraut. Die Baumstämme standen nicht mehr so regelmäßig, sondern +zerstreut, manche schief hängend, manche mit aufgerissenen Wurzeln an +anderen lehnend, manche mit wild und wirr aufragenden Ästen am Boden +liegend. Das hatte ich nicht gesehen, als wir aufwärts gingen. Ich +konnte oft kaum weiter, ich mußte mich durch das Gesträuche und Geäste +durchwinden. Oft brach der Schnee ein, das steife Heidekraut reichte +mir bis zur Brust heran. Ich sah ein, daß ich den rechten Weg verloren +hatte, aber war ich nur erst im Thale und bei dem Bache, dann ging ich +diesen entlang aufwärts, und da mußte ich endlich doch zur Mühle und zu +unserer Wiese kommen. + +Schneeschollen fielen mir in das Rocksäcklein, Schnee legte sich an +die Höschen und Strümpfe, und das Wasser rann mir in die Schuhe hinab. +Zuerst war ich durch das Klettern über das Gefälle und das Kriechen +in dem Gesträuch müde geworden, aber nun war auch die Müdigkeit +verschwunden; ich achtete nicht den Schnee, und ich achtete nicht das +Heidekraut und Gesträuche, das mir oft rauh über das Gesicht fuhr, +sondern ich eilte weiter. Oft fiel ich zu Boden, aber ich raffte mich +schnell auf. Auch alle Gespensterfurcht war weg; ich dachte an nichts +als an das Thal und an unser Haus. Ich wußte nicht, wie lange ich +mich so durch die Wildnis fortwand, aber ich fühlte mich kräftig und +behendig, die Angst trieb mich vorwärts. + +Plötzlich stand ich vor einem Abgrund. In dem Abgrunde lag grauer +Nebel, aus welchem einzelne Baumwipfel emportauchten. Um mich hatte +sich der Wald gelichtet, über mir war es heiter, und am Himmel stand +der Halbmond. Mir gegenüber und weiter im Hintergrunde war nichts als +seltsame, kegelförmige, waldige Berge. + +Unten in der Tiefe mußte das Thal mit der Mühle sein; mir war, als +hörte ich das Tosen des Baches, aber es war das Rauschen des Windes in +den jenseitigen Wäldern. Ich ging rechts und links und suchte einen +Fußsteig, der mich abwärts führte, und ich fand eine Stelle, an welcher +ich mich durch Gerölle, welches vom Schnee befreit dalag, und durch +Wachholdergesträuche hinablassen zu können vermeinte. Das gelang mir +auch eine Strecke, doch noch zu rechter Zeit hielt ich mich an eine +Wurzel, fast wäre ich über eine senkrechte Wand gestürzt. Nun konnte +ich nicht mehr vorwärts. Ich ließ mich aus Mattigkeit zu Boden. In der +Tiefe lag der Nebel mit den schwarzen Baumwipfeln. Außer dem Rauschen +des Windes in den Wäldern hörte ich nichts. Ich wußte nicht, wo ich +war. -- Wenn jetzt ein Reh käme, ich würde es fragen nach dem Weg, +vielleicht könnte es ihn mir weisen, in der Christnacht reden ja Tiere +die menschliche Sprache! -- + +Ich erhob mich, um wieder aufwärts zu klettern; ich machte das Gerölle +locker und kam nicht vorwärts. Mich schmerzten Hände und Füße. Nun +stand ich still und rief, so laut ich konnte, nach dem Großknecht. +Meine Stimme fiel von den Wäldern und Wänden langgezogen und undeutlich +zurück. + +Dann hörte ich wieder nichts als das Rauschen des Windes. + +Der Frost schnitt mir in die Glieder. + +Nochmals rief ich mit aller Macht den Namen des Großknechtes. Wieder +nichts als der langgezogene Wiederhall. Nun überkam mich eine +fürchterliche Angst. Ich rief schnell hintereinander meine Eltern, +meine Ahne, alle Knechte und Mägde unseres Hauses. Es war vergebens. + +Nun begann ich kläglich zu weinen. + +Bebend stand ich da, und mein Körper warf einen langen Schatten schräg +abwärts über das nackte Gestein. Ich ging an der Wand hin und her, um +mich etwas zu erwärmen, ich betete laut zum heiligen Christkind, daß es +mich erlöse. + +Der Mond stand hoch am dunklen Himmel. + +Ich konnte nicht mehr weinen und beten, ich konnte mich auch kaum mehr +bewegen, ich kauerte mich zitternd an einen Stein und dachte: Nun will +ich schlafen, das ist alles nur ein Traum, und wenn ich erwache, bin +ich daheim oder im Himmel. + +Da hörte ich plötzlich ein Knistern über mir im Wachholdergesträuche, +und bald darauf fühlte ich, wie mich etwas berührte und emporhob. Ich +wollte schreien, aber ich konnte nicht, die Stimme war wie eingefroren. +Aus Furcht und Angst hielt ich die Augen fest geschlossen. Auch Hände +und Füße waren mir wie gelähmt, ich konnte sie nicht bewegen. Mir war +warm, und mir kam vor, als ob sich das ganze Gebirge mit mir wiegte. +-- -- + +Als ich zu mir kam und erwachte, war noch Nacht, aber ich stand an der +Thür meines Vaterhauses, und der Kettenhund bellte heftig. Eine Gestalt +hatte mich auf den festgetretenen Schnee gleiten lassen, pochte dann +mit dem Ellbogen gewaltig an die Thür und eilte davon. Ich hatte diese +Gestalt erkannt -- es war die Mooswaberl gewesen. + +Die Thür ging auf, und die Ahne stürzte mit den Worten auf mich zu: +»Jesus Christus, da ist er ja!« + +Sie trug mich in die warme Stube, aber von dieser schnell wieder zurück +in das Vorhaus; dort setzte sie mich auf einen Trog, eilte dann hinaus +vor die Thür und machte durchdringliche Pfiffe. + +Sie war ganz allein zu Hause. Als der Großknecht von der Kirche +zurückgekommen war und mich daheim nicht gefunden hatte, und als auch +die anderen Leute kamen und ich bei keinem war, gingen sie alle hinab +in den Wald und in das Thal und jenseits hinauf zur Straße und nach +allen Richtungen. Selbst die Mutter war mitgegangen und hatte überall, +wo sie ging und stand, meinen Namen gerufen. -- + +Nachdem die Ahne glaubte, daß es mir nicht mehr schädlich sein konnte, +trug sie mich wieder in die warme Stube, und als sie mir die Schuhe +und Strümpfe auszog, waren diese ganz zusammen- und fast an die Füße +gefroren. Hierauf eilte sie nochmals in das Freie und machte wieder ein +paar Pfiffe und brachte dann in einem Kübel Schnee herein und stellte +mich mit bloßen Füßen in diesen Schnee. Als ich in dem Schnee stand, +fühlte ich in den Zehen einen so heftigen Schmerz, daß ich stöhnte, +aber die Ahne sagte: »Das ist schon gut, wenn Du Schmerz hast, dann +sind Dir die Füße nicht erfroren.« + +Bald darauf strahlte die Morgenröte durch das Fenster, und nun kamen +nach und nach die Leute nach Hause, zuletzt aber der Vater, und zu +allerletzt, als schon die rote Sonnenscheibe über der Wechselalpe +aufging, und als die Ahne unzähligemale gepfiffen hatte, kam die +Mutter. Sie ging an mein Bettlein, in welches ich gebracht worden war, +und an welchem der Vater saß. Sie war ganz heiser. + +Sie sagte, daß ich nun schlafen sollte, und verdeckte das Fenster mit +einem Tuche, auf daß mir die Sonne nicht in das Gesicht scheine. Aber +der Vater meinte, ich solle noch nicht schlafen, er wolle wissen, +wie ich mich von dem Knechte entfernt, ohne daß er es merkte, und +wo ich herumgelaufen sei? Ich erzählte sofort, wie ich den Pfad +verloren hatte, wie ich in die Wildnis kam, und als ich von dem Monde +und von den schwarzen Wäldern und von dem Windrauschen und von dem +Felsenabgrund erzählte, da sagte der Vater halblaut zu meiner Mutter: +»Weib, sagen wir Gott Lob und Dank, daß er da ist, er ist auf der +Trollwand gewesen!« + +Nach diesen Worten gab mir die Mutter einen Kuß auf die Wange, wie sie +nur selten that, und dann hielt sie ihre Schürze vor das Gesicht und +ging davon. + +»Ja, Du Donnersbub, und wie bist denn heimkommen?« fragte mich der +Vater. Darauf sagte ich, daß ich das nicht wisse, daß ich nach langem +Schlafen und Wiegen auf einmal vor der Hausthür gewesen und daß die +Mooswaberl neben mir gestanden. Der Vater fragte mich noch einmal über +diesen Umstand, aber ich antwortete, daß ich nichts Genaueres darüber +sagen könne. + +Nun sagte der Vater, daß er in die Kirche zum Hochgottesdienst gehe, +weil heute der Christtag sei, und daß ich schlafen solle. + +Ich mußte darauf viele Stunden geschlafen haben, denn als ich erwachte, +war draußen Dämmerung, und in der Stube war es fast finster. Neben +meinem Bette saß die Ahne und nickte, von der Küche herein hörte ich +das Prasseln des Herdfeuers. + +Später, als die Leute beim Abendmahle saßen, war auch die Mooswaberl am +Tisch. + +Auf dem Kirchhofe, über dem Grabhügel ihres Mannes war sie während des +Vormittagsgottesdienstes gekauert, da trat nach dem Hochamte mein Vater +zu ihr hin und nahm sie mit in unser Haus. + +Über die nächtliche Begebenheit brachte man nicht mehr von ihr heraus, +als daß sie im Walde das Christkind gesucht habe; dann ging sie einmal +zu meinem Bette und sah mich an, und ich fürchtete mich vor ihren +Blicken. -- + +In dem hinteren Geschosse unseres Hauses war eine Kammer, in welcher +nur altes, unbrauchbares Geräte und viel Spinnengewebe war. + +Diese Kammer gab mein Vater der Mooswaberl zur Wohnung und stellte ihr +einen Ofen und ein Bett und einen Tisch hinein. + +Und sie blieb bei uns. Oft strich sie noch in den Wäldern umher und +brachte Moos heim, dann ging sie wieder hinaus zur Kirche und saß +stundenlang auf dem Grabhügel ihres Mannes, von dem sie nicht mehr +fortzuziehen vermochte in ihre ferne Gegend, in der sie wohl auch +einsam und heimatlos gewesen wäre wie überall. Über ihre Verhältnisse +war nichts Näheres zu erfahren, wir vermuteten, daß das Weib einst +glücklich und sicher bei voller Vernunft gewesen war, und daß der +Schmerz über den Verlust des Gatten ihr den Verstand geraubt hatte. + +Wir hatten sie alle lieb, weil sie ruhig und mit allem zufrieden lebte +und niemandem das geringste Leid zufügte. Nur der Kettenhund wollte sie +immer noch nicht sichern, der bellte und zerrte überaus heftig an der +Kette, so oft sie über den Anger ging. Aber das war anders von dem +Tiere gemeint; als einmal die Kette riß, stürzte der Hund auf das Weib +zu, sprang ihm winselnd an die Brust und leckte ihm die Wangen. + +Da kam einmal in den Spätherbsttagen, an welchen die Mooswaberl fast +ununterbrochen auf dem Grabhügel saß, eine Zeit, in welcher unser +Kettenhund, statt lustig zu bellen, stundenlang heulte, so daß meine +Ahne, die indes schon mühselig geworden war, sagte: »Schau, jetzt wird +in unserer Gegend herum bald einmal wer sterben, weil der Hund gar so +heent; tröste ihn Gott!« + +Und nach kurzer Zeit wurde die Mooswaberl krank, und als die +Winterszeit gekommen war, starb sie. + +In ihren letzten Augenblicken hielt sie noch meinen Vater und meine +Mutter an der Hand und sprach die Worte: »Vergelt's Euch Gott zu +tausend und zu tausendmal, bis in den Himmel hinauf!« + + [Illustration] + + + [Illustration] + + + + + Was bei den Sternen war. + + +Selbst der Naturforscher giebt es diesmal zu, was der Poet behauptet, +daß nämlich im Waldlande die Sterne heller leuchten als sonst wo. Das +macht die reine, feuchte Luft, sagt der eine; der andere hingegen +meint, der kindliche Glaube der Einschichtbewohner sei Ursache, daß der +Sternenhimmel so hell und hold niederfunkle auf den weiten stillen Wald. + +Hat doch mein Vater zu mir gesagt, als wir noch beisammen auf dem +Holzbänklein unter der Tanne gesessen: + +»Du bist mein liebes Kind. Und jetzt schau zum Himmel hinauf, die Augen +Gottes blicken auf uns herab.« + +Ei freilich, ich konnte mir's wohl denken, Einer, der auf des Menschen +Haupt die Haare zählt, muß hunderttausend Augen haben. Nun war es aber +schön zu sehen, wie mir der liebe Gott mit seinen Augen zublinzelte, +als wollte er mir was zu verstehen geben; -- ja, und ich konnte es doch +um alles nicht erraten, was er meinte. -- Ich nahm mir wohl vor, recht +brav und folgsam zu sein, besonders bei Nacht, wenn Gott da oben seine +hunderttausend Augen aufthut und die guten Kinder zählt und die bösen +sucht und recht scharf anschaut, auf daß er sie kennt am jüngsten Tage. +.... + +Ein andermal saß ich auf demselben Holzbänkchen unter der Tanne, an +Seite meiner Mutter. Es war bereits späte Abendstunde, und die Mutter +sagte zu mir: + +»Du bist ein kleiner Mensch, und die kleinen Leute müssen jetzt schon +in's Bett gehen, schau, es ist ja die finstere Nacht, und die Engel +zünden schon die Lichter an, oben in unseres Herrgotts Haus.« + +Mit solchen Worten ein Kind zur Ruhe bringen? Das war übel geplant. + +»In unseres Herrgotts Haus die Lichter?« fragte ich, sofort durchaus +für den Gegenstand eingenommen. + +»Freilich«, entgegnete die Mutter, »jetzt gehen alle Heiligen von der +Kirche heim, und im Hause ist eine große Tafel, und da setzen sie sich +zusammen und essen und trinken was, und die Englein fliegen geschwind +herum und zünden alle Lichter an und den großen Kronleuchter auch, der +mitten hängt, und nachher laufen sie zu den Pfeifen und Geigen und +machen Musik.« + +»Musik?« entgegnete ich, in die Anschauung des Bildes versunken. »Und +der Wollzupfer-Michel, ist der auch dabei?« + +Der Wollzupfer-Michel war ein alter blinder Mann gewesen, der bei +uns Waldbauern das Gnadenbrot genossen und dafür zuweilen Schafwolle +gezupft und gekraut hatte. Wenige Wochen vor diesem Abendgespräche war +er gestorben. + +»Ja Du,« versetzte die Mutter auf meine Frage, »der Wollzupfer-Michel, +der sitzt ganz voran bei unserem lieben Herrgott selber, und er ist +hoch in Ehren gehalten von allen Heiligen, weil er auf der Welt so arm +gewesen und so verachtet und im Elend hat leben müssen, und weil er +doch alles so geduldig ertragen hat.« + +»Wer giebt ihm denn beim Essen auf den Teller hinaus?« war meine +weitere Frage. + +»Nu wer denn?« meinte die Mutter, »das wird schon sein heiliger +Schutzengel thun.« Sogleich aber setzte sie bei: »Du Närrisch, der +Michel braucht jetzt ja gar keine Behelfer mehr, im Himmel ist er ja +nimmer blind; im Himmel sieht er seinen Vater und seine Mutter, die er +auf der Welt niemalen hat gesehen. Und er sieht den lieben Herrgott +selber und unsere liebe Frauen und alle, und zu uns sieht er auch +herab. Ja freilich, mit dem Michel hat's gar eine glückselige Wendung +genommen, und hell singen und tanzen wird er bei der himmlischen Musik, +weil der heilige David harfenspielen thut.« + +»Tanzen?« wiederholte ich und suchte mit meinen Augen das Firmament ab. + +»Und jetzt, Bübel, geh schlafen!« mahnte die Mutter. Wohl machte ich +die Einwendung, daß sie im Himmel erst die Lichter angezündet hätten +und also gewißlich auch noch nicht schlafen gingen; aber die Mutter +versetzte mit entschiedenem Tone, im Himmel könnten sie machen, was sie +wollten, und wenn ich fein brav wäre und einmal in den Himmel käme, so +könnte ich auch machen, was ich wollte. + +Ging zu Bette und hörte in selbiger Nacht die lieben Englein singen. -- + +Wieder ein andermal saß ich mit der Ahne auf der hölzernen Bank unter +den Tannen. + +»Guck, mein Bübel,« sagte sie, gegen das funkelnde Firmament weisend, +»dort über das Hausdach hin, das ist Dein Stern.« + +Ein helles, flimmerndes Sternchen stand oft und auch heute wieder über +dem Giebel des Hauses; aber daß selbes mein Eigentum wäre, hörte ich +nun von der Ahne das erste Mal. + +»Freilich,« belehrte sie weiter, »jeder Mensch hat am Himmel seinen +Stern, das ist sein Glücksstern oder sein Unglücksstern. Und wenn ein +Mensch stirbt, so fällt sein Stern vom Himmel.« + +Todeserschrocken war ich, als gerade in diesem Augenblicke vor unseren +Augen eine Sternschnuppe sank. + +»Wer ist jetzt gestorben?« fragte ich, während ich sogleich schaute, ob +mein Sternchen wohl noch über dem Dachgiebel stehe. + +»Kind,« sagte die alte Ahne, »die Welt ist weit, und hätten +wir nur Ohren dazu, wir thäten Tag und Nacht nichts hören als +Totenglockenklingen.« + +Focht mich dieweilen nicht an. + +»Ahndl,« fragte ich; denn Kinder, die in ihrem Haupte so viel Raum für +Vorstellungen und Eindrücke haben, sind unermüdlich im Fragen, »Ahndl, +wo hast denn Du Deinen Stern?« + +»Mein Kind,« antwortete sie, »der ist schon völlig im Auslöschen, den +sieht man nimmer.« + +»Und ist das ein Glücksstern gewesen?« + +Da schloß sie mich an ihre Brust und hauchte: »Wird wohl so sein, Du +herzlieber Enkel, wird wohl so sein!« + + * * * * * + +Ein alter Schuhmacher kam zuweilen in unser Haus, der redete wie ein +Heide. Wir Menschen, meinte der alte Schuhmacher, kämen nach dem Tode +weder in den Himmel, noch in die Hölle, sondern auf einen Stern, wo +wir so wie auf dieser Welt wieder geboren würden und je nach Umständen +weiter lebten. + +Das Närrischste aber sagte schon der Schulmeisterssohn aus Grabenbach, +der als Student einmal zu uns kam. Der schwätzte von Bären und Hunden +und Wasserschlangen, die da oben am Himmel herumliefen, und ein Widder +und ein Walfisch sei auch dabei; und gar eine Jungfrau wollte er durch +seine Augengläser gesehen haben. Dieser Schulmeisterssohn war schuld +daran, daß mich mein Vater nicht studieren lassen wollte. + +»Wenn sie solche Narrheiten lernen in der Stadt,« sagte mein Vater, +»daß sie auf unseres Herrgotts goldnem Firmament lauter wilde Tiere +sehen, nachher hab' ich genug. Mein Bub, der bleibt daheim.« + +Eine junge Magd hatten wir im Hause; die war gescheit, die hat einmal +was gesagt, was mir heute das Herz noch warm macht. Sie hatte es +sicherlich von ihrem alten Ziehvater, der so ein Waldgrübler gewesen +war. Der Mann hat etwas Wundersames in seinem Kopfe gehabt; er wäre +gern Priester geworden, aber blutarm, wie er war, sind ihm alle Wege +dazu verlegt gewesen. Da wurde er Kohlenbrenner. Ich habe den Alten oft +heimlich belauscht, wenn er auf seinem Kohlenmeiler stand und Messe +las, oder wenn er den Vögeln des Waldes vorbetete wie voreinst der +heilige Franziskus in der Wüste. Von diesem Manne mag unsere junge Magd +das seltsame Wort gehört haben. + +»Der Sternenhimmel da oben«, sagte sie einmal, »das ist ein +großmächtiger Liebesbrief mit goldenen und silbernen Buchstaben. +Fürs erste hat ihn der liebe Herrgott den Menschen geschrieben, daß +sie doch nicht ganz auf ihn vergessen sollten. Fürs zweite schreiben +ihn die Menschen für einander. Das ist so: Wenn zwei Leut', die sich +rechtschaffen lieb haben, weit auseinander müssen, so merken sie sich +vorher einen hellen Stern, den sie beide von aller Fremde aus sehen +können, und auf dem ihre Augen zusammenkommen. -- Dasselbig funkelnde +Ding dort,« setzte die Magd leise und ein wenig zögernd bei, indem sie +auf ein glühend Sternlein deutete, das hoch über dem Waldlande stand, +»dasselbig Ding, das schaut zu dieser jetzigen Stund' auch der Hans an, +der weit drin in Welschland ist bei den Soldaten. Ich weiß wohl, er +wird nicht darauf vergessen, es glänzt wie der kein Stern so hell auf +dem ganzen Firmament.« + + * * * * * + +Eines Tages mußte ich am Waldrande spät abends noch die Rinder weiden, +die tags über im Joche gegangen waren. Sonst war in solchen Stunden +lieb Ahne bei mir, aber die war nun schon seit länger unwohl und mußte +zu Hause bleiben. Jedoch hatte sie mir versprochen, oftmals vor das +Haus herauszutreten und den Hühnerpfiff zu thun, damit mir in der +einschichtigen stillen Nacht nicht zu grauen beginne. + +Ich stand zagend neben meinen zwei Rindern, die auf der taunassen Wiese +eifrig grasten, aber ich hörte heute keinen jener lustigen Pfiffe, +welche meine Ahne mittelst zweier Finger, die sie in den Mund legte, +so vortrefflich zu machen verstand, gewöhnlich zu dem Zwecke, um die +Hühner damit zusammen zu locken. + +Das Haus lag still und traurig oben auf dem Berge. Von der tiefen +Schlucht herauf hörte ich das Rieseln des Wässerleins, das ich sonst +hier noch nie vernommen hatte. Hingegen schwiegen heute die Grillen +ganz und gar. Ein Uhu krähte im Walde und erschreckte mich dermaßen, +daß ich die Hörner des Rindes erhaschte und dieselben gar nicht mehr +loslassen wollte. + +Der Sternenhimmel hatte heute einen so heiligen Ernst; mir war, als +hörte ich durch die große Stille das Saitenspiel des heiligen Sängers +David klingen. -- Siehe, da löste sich plötzlich ein Stern und fiel in +einem scharfen Silberfaden, der gerade über unser Haus niederging, vom +Himmel herab. -- -- + +Mir zuckte es heiß durchs Herz, mir blieb der Atem stehen. -- Jetzt ist +die Ahne gestorben! sagte ich endlich laut, das ist ihr Stern gewesen. +Ich hub an zu schluchzen. Da hörte ich vom Hause her bereits des +Vaters Stimme, ich sollte eilends heimzu treiben. + +Bald jagte ich in den Hof ein. Das Haus war in allen Fenstern +beleuchtet; ein Geräusch und Gepolter war, und Leute eilten hin und her +nach allen Ecken und Winkeln. + +»Geschwind, Peterle, geh her!« rief es mir von der Thür aus zu, und das +war die Stimme der Ahne. Ich lief in das Haus -- was hab' ich gehört? +Kleinkindesgeschrei. + +»Ein Brüderlein hast kriegt,« rief die Ahne, »das hat ein Engel vom +Himmel gebracht!« + +So war es. Mutter lag schon im Bette, und sie hielt das winzige +Kindlein an der Brust. + +Ein Engel vom Himmel! ja, ich habe ihn fliegen gesehen. + +»Ahndl,« sagte ich, »es ist nicht wahr, daß Sterne fallen, lauter Engel +sind es, die mit kleinen Kindlein niederfliegen vom Himmel!« + +Ich verharre bei diesem Glauben noch heute, da ich vor einer Wiege +stehe, in die mir selbst ein liebes himmlisches Wunder gegeben ist. + + [Illustration] + + + [Illustration] + + + + + Auf der Wacht. + + +Mein Vater litt zu jener Zeit an einer langwierigen Krankheit. Es war +selten wer um ihn als sein ältestes Söhnlein. Auch der Jäger Wolf saß +zuweilen neben auf der Ofenbank und freute sich, wenn dem Kranken der +gespendete Wildbraten recht mundete. Und der Wildbraten stellte meinen +Vater richtig so weit wieder her, daß dieser eines Tages, es war im +August um die Zeit des Maria-Himmelfahrtsfestes, zu mir sagte: »Bub, +jetzt werd ich doch endlich wieder was anfangen müssen. Was meinst, zum +Korbflechten wär ich wohl stark genug?« + +Und am nächsten Tage gingen wir schon zur Morgenfrühe aus und gegen die +sogenannte Wildwiese hinauf, wo viele Weiden wuchsen. Die Wildwiese war +oben in den hinteren Waldungen. Oft blieb mein Vater unterwegs stehen, +stützte sich auf seinen Stock, schöpfte Luft, und dann fragte er mich +immer, ob ich ein Schnittchen Brot beißen wolle. + +Als wir über die Schafhalde hinaufgekommen waren, wo der junge +Lärchenanwuchs noch im Morgentaue stand, sahen wir im Dickichte einen +Mann dahinhuschen, der ein Stück Hochwild über der Achsel trug und +etwas wie ein Schießgewehr hinter sich herschleppte. Er duckte sich so +sehr, daß nur ein paar kohlschwarze Haarfetzen von seinem Haupte zu +sehen waren. + +Als diese Gestalt vorüber war, blieb mein Vater wieder stehen und +sagte: »Hast geguckt? Das ist der schwarz' Toni gewesen.« + +Der schwarz' Toni war ein Mann, vor dem sie überall die Thüren +verriegelten. + +»Ja, Kind,« sagte der Vater, als wir uns auf den Stamm eines gefallenen +Baumes gesetzt hatten, »ist hart für einen Menschen, dem's so geht wie +dem Toni. Der hat sein Lebtag nicht Vater und Mutter gesehen. Als Kind +ist er aus dem Findelhause in unsere Gegend gebracht worden. Freilich +nicht aus christlicher Barmherzigkeit, sondern des Geldes wegen, das +für ihn ausgezahlt worden, hat ihn ein Köhlerweib an Kindesstatt +genommen. Halb erwachsen hat sich der Toni im Wald herumgetrieben, kein +Mensch hat sich an ihn gekehrt; so ist er verwahrlost und verwildert. +Wie das Köhlerweib sieht, der Ziehsohn bringe nur Schande, so hat sie +gesagt: Toni, Du Lump, bei mir bist nimmer daheim! -- Wo denn? hat sie +drauf der Toni gefragt, aber überall, wo er angeklopft, ist ihm die +Thür verschlossen gewesen. Mögen ihn die Menschen nicht, so giebt er +sich mit den Tieren ab -- verlegt sich auf's Wildern. Vor einem Jahr +hat ihn der Jäger Wolf in das Zuchthaus gebracht; aber jetzt wieder +frei, mag ihm kein Mensch gern begegnen, gleichwohl ich nicht glaub, +daß er wem was zu Leide thät. Schlecht, sag ich, ist er nicht, aber +verkommen durch und durch; und so, mein Büblein, wird oft ein Mensch +hinausgestoßen auf die schiefe Straßen, und so rutscht er ab und kann +sich nicht mehr halten.« + +Nach diesen Worten schritten wir wieder langsam dahin, und nachdem wir +durch viel Wald und schattendunkle Schluchten gegangen waren, kamen +wir endlich zur Lichtung der Wildwiese. Teilweise lag sie noch im +Schatten des Teufelssteinberges; die Bachweiden aber, die in einer +langen Reihe hin standen und sich über ein stillrieselndes Wässerlein +wölbten, schimmerten in dem lichten Sonnentag, als ob sie alle silberne +Blätter hätten. Die Wiese war bereits gemäht und das Heu fortgebracht; +sehr still und verlassen lag die Matte. An den Rändern wuchsen blaue +Enzianglocken, und es war schon die Zeitlose da. + +Wir kamen um die Weidenruten, die am Bache standen. Wir gingen quer +über die Wiese bis hin zum Rande, wo wieder die sehr hohen Fichten +des Waldes begannen und wo ein rot angestrichenes Kreuz stand, dessen +Dachbrettchen reichlich mit Moos bewachsen waren. Hier wollten wir vor +der Arbeit uns ein wenig setzen, auf die Bäume hinausschauen und ein +Stück Brot verzehren. + +Aber noch ehe der Vater sich niederließ, sah er lange und unverwandt +auf eine Stelle hin. + +Am Fuße einer Weißtanne lag ein Mann. Ein Jägersmann mit einem +Schießgewehr; die Locken gingen ihm über Stirn und Auge, man wußte +nicht, ob er denn wirklich so fest schlafe, als es aussah. + +Mein Vater trat endlich hinzu, schob aber mich mit der Hand hinter sich +zurück. Dann sahen wir es: Der Mann lag in einer Blutlache; der aus +einer Halswunde sprudelnde Quell war bereits gestockt. + +Mein Vater legte die Hände ineinander und sagte ganz leise: »Jetzt +haben sie da den Jäger Wolf erschlagen!« + +Als ich hierauf zu weinen begann, hob mich mein Vater empor zu +seiner Brust; und wie ruhig er auch scheinen wollte, ich hab es doch +wahrgenommen, wie sein Herz so heftig schlug. + +Dann untersuchte er den Erschlagenen -- die Augen waren gebrochen, die +Lippen fahl wie trocken Erdreich -- das Leben war dahin. + +»Mit dem Weidenschneiden ist es heute nichts,« sagte mein Vater, »jetzt +muß einer von uns Leute holen, daß sie den Wolfgang wegtragen; und der +andere wird dieweilen dableiben müssen. Einen Toten kann man nicht +allein lassen, solange er nicht im Grabe ruht. Es könnte auch leicht +ein Tier über ihn kommen. Das Beste wird sein, ich holpere hinaus in +den Brandgraben zu den Holzknechten, und Du setzest Dich schön still da +unter das Kreuz.« + +Mir gab's einen Stich im Herzen. Wie konnte mir mein Vater das anthun, +mich stundenlang allein lassen im Walde bei einem Toten! Aber ich wußte +den Weg nicht und hätte die Holzknechte nicht gefunden. + +»Freilich, Büblein, ist das ein trauriges Warten da,« fuhr er fort, +»aber wachen muß wer dahier, diese christliche Lieb müssen wir dem Wolf +schon erweisen.« + +Ich starrte auf den Toten. + +Mein Vater zog seine kleine Axt aus dem Gürtel, mit welcher er die +Weidenruten hauen wollte, und fällte nun Äste von den Bäumen und +hüllte den Jägersmann mit Reisig ein. Dann kniete er nieder vor der +grünen Bahre und betete still ein Vaterunser. Und als er sich wieder +erhob, sagte er: »Und jetzt, mein Knabe, thu unserem Mitbruder den +Liebesdienst, und wache. Die Axt laß ich Dir da, die halt fest. Fuchsen +und Raben können leicht kommen; andere Raubtiere weiß ich in der Gegend +nicht. Bis zu den Weiden dort magst hingehen, aber weiter weg nicht. +Ich will recht eilen; bis die Schatten anheben zu wachsen, wird schon +wer kommen!« + +Dann legte er für mich noch Brot unter ein Bäumchen, und dann ging er +davon. Er ging hin quer über die Wiese, wie wir hergegangen waren, und +er verschwand in dem Dunkel des Waldes. + +Nun war ich allein auf der umwaldeten Wiese, und das milde Sonnenlicht +war ausgegossen über die einsame Matte, über die glitzernden Weiden und +über den stillen Reiserhügel am Waldrande. Ich wollte nicht hinblicken +auf die seltsame Bahre; ich schritt gegen das Weidengebüsche, aber mein +Auge wendete sich immer wieder zurück zum roten Kreuze und zu dem, was +daneben lag. + +Der arme Jäger Wolf! Ich wußte es noch recht gut, wie er vor wenigen +Jahren mit seiner Braut und seinem Hochzeitszuge an unserem Hause +vorübergezogen war. Die Waldhörner und die Pöller schallten, daß die +Fenster unseres Hauses klirrten. Der Wolf war ein hübscher Bursche +gewesen; einen großen Strauß trug er auf dem Hut, und ein rotes Band +ging nieder über seinen Nacken, wo jetzt die Blutstrieme war. -- + +Ich ging den Weidenbüschen entlang. Manches Zweiglein regte sich und +zitterte fort und fort. Hie und da schnellte ein Heupferdchen. Ich bog +die Äste auseinander und blickte in das Wässerlein; das stand still +unter dem dichten Flechtwerke und glitzerte kaum. Ein großgefleckter +Molch kroch hervor und nahm seine Richtung gegen mich; da floh ich +entsetzt davon. + +Dann begann ich mit meinen kurzen Schritten die Schatten der Bäume +zu messen -- bis diese zu wachsen anheben, kommen die Leute. -- Noch +aber wurden sie kürzer und kürzer. Die Sonne stand hoch über dem +Teufelsstein, und über dem Thalgrunde lag ein bläulicher Duft. + +Ich kehrte wieder zum Kreuze zurück und setzte mich auf den Stein, auf +welchem sonst andächtige Waldwanderer knien. Das Kreuz war hoch und +hatte keinen Heiland. Weit streckte es seine Arme aus, als wollte es +den Wald umfangen. + +Ich wendete mich von dem Pfahle und von dem Bahrhügel und sah hin +gegen den Bergrücken des Teufelsstein. Die Himmelsglocke lag in mattem +Blau, kein Vogel und kaum eine Mücke war vernehmbar. Es war ein fast +traumhafter Frühherbstmittag, durchklungen von einer ewigen Stille. -- + +Wildschützen haben ihn erschossen. Ich ging über die Wiese und sagte +mir, wenn ich zehnmal über die Wiese gegangen sein würde, dann wollte +ich wieder den Schatten messen. Aber der Schatten duckte sich noch mehr +unter die Bäume als früher. + +Dann ging ich hin zu der verhüllten Leiche des Waidmannes und stand +lange vor derselben; ich fühlte kaum ein Schauern mehr. Dann setzte ich +mich wieder unter das Kreuz und aß ein Schnittchen Brot. Da hörte ich +plötzlich ein Knistern; ein Reh stand und guckte durch das Gestämme. + +Zuletzt kam das Tier gar zu dem Reisighügel heran und schnupperte; +vor diesem Jägersmanne fürchtete es sich nicht mehr. Erst als es den +Pulvergeruch des Gewehrlaufes gewahrt haben mochte, wendete es sich mit +großen Sätzen dem Dickichte zu. + +Endlich, als ich wieder den Schatten maß, hatte er sich um ein Weniges +gedehnt. Ich mußte ja doch schon viele Stunden auf der Wildwiese +geweilt haben. + +Wie immer, so hatte mein Vater auch diesmal recht. Ich hörte einen +getragenen Schall und Wiederhall im Walde. Es nahten Menschen. Doch +nicht die Holzknechte waren es, die um den Wolfgang kommen sollten, +sondern quer über die Wiese her kam ein junges Weib, das trug einen +Korb am Rücken und führte ein etwa dreijähriges Kind am Arm. Sie +sangen ein lustiges Kinderlied, und das kleine Mädchen lachte dabei und +hüpfte flink über das weiche Gras. + +Ich erkannte die Nahenden bald, es war das Weib und das Kind des +erschlagenen Jägers Wolf. + +Sie kamen heran, und als sie mich sahen, sagte die Jägerin zum Mädchen: +»Schau, Agatha, da beim Kreuz sitzt ein Bub, der betet ein Vaterunser; +das ist gar ein braver Bub.« + +Dann kniete sie hin auf den Stein, legte die Hände zusammen und betete +auch. Das Kind that desgleichen und war gar ernsthaft dabei. + +Mir war unbeschreiblich weh. Wie hätte ich sagen können, was unter dem +Reisig lag? Ich ging abseits gegen die Weiden. + +»So, mein Herz,« sagte das Weib hierauf zur Kleinen, »jetzt geh ich +Enziankraut schneiden, Du setz Dich dieweilen da auf das G'reisigbett +und brocke Dir Zäpfchen ab. Hernach kommt der Vater vom Teufelsstein +herab, und hernach setzen wir uns zusammen und essen den Schottenkäs, +den ich im Korb hab, und hernach hopsen wir lustig miteinander heimzu.« + +Und sie setzte das Kind auf den Reisighaufen -- auf die Bahrstätte des +Vaters. Dann ging sie mit dem Korb gegen den Wiesenrain, wo Gebüsche +von Enzian standen. Von dort aus rief sie mich an, was ich denn so +allein mache auf der Wildwiese, ob ich mich verirrt hätte oder etwa +Ziegen suchte? + +Ich wußte keine Antwort, deutete auf einen großen schneeweißen +Schmetterling und sagte: »Jetzt schau das Tier an, wie's herumfliegt; +schau, wie's fliegt!« + +»Bist ein rechter Närrisch, Du!« versetzte die Jägerin lachend und ging +an ihre Arbeit. + +Die kleine Agatha spielte auf dem Reisighügel, sie zupfte an den +Zweigen und wühlte in denselben und nestelte etwas hervor. Endlich +wurde ihr bang, und sie hub an nach der Mutter zu rufen. + +Nach einer Weile kam das Weib heran, da hielt ihm das Kind einen Ring +entgegen und sagte: »Schau, das hab ich gefunden, das ist des Vaters!« + +Die Jägerin that einen hellen Ruf: »Kind, wie kommst Du zu diesem Ring?« + +Die Kleine lachte vergnügt. + +Das Weib hub das Kind auf die Erde, warf einen Blick auf das Gezweige +und stieß einen gellenden Schrei aus. Sie sah durch das Reisig eine +Menschenhand. + +Wie wütend stürzte sie hin auf die Schichtung und raffte die grünen +Zweige auseinander -- mit Hast und heißer Angst -- dann sank sie zurück +und schlug sich die flachen Hände in das Antlitz. Vor ihr lag im Blute +erstarrt ihr gemordeter Gatte. -- + +Zur selben Stunde gingen zwei Holzhauer über die Wiese und brachten +eine Tragbahre mit. Zuerst knieten sie vor dem Toten und beteten still, +dann hoben sie ihn auf die Bahre, legten das Gewehr an seine Seite und +trugen ihn davon. + +Der Korb blieb stehen bei dem Enziangebüsche, das Weib folgte der +Bahre; es sagte kein Wort, es vergoß keine Thräne, es trug das +spielende Mädchen auf dem Arm. Das blasse, starre Angesicht der Gattin, +das rotwangige, helläugige Lockenköpfchen des Kindes hinter der Bahre +her -- das mag ich nimmermehr vergessen. + +Ich bin auch hintendrein gegangen. Die Weiden standen in ihrem +wässerigen Schimmer; die Schatten der Tannen lagen hingestreckt +über die ganze Wiese. Das rote Kreuz ragte regungslos im Dunkel des +Waldrandes. + +Die Bahre schwankte dem entfernten Jägerhause zu. Ich ging gegen unser +Gehöfte. Als ich zu demselben hinabkam, führten handfeste Burschen +einen wüst aussehenden Mann herbei. Es war der schwarz' Toni. Da wir +ihn am Morgen im Lärchenanwuchs gesehen, so hatte mein Vater auf seine +Spur gewiesen. Der Richter kam, und unter der großen Esche, die vor +unserem Hause stand, wurde das Verhör gehalten. Der Toni war geständig, +den Jäger Wolfgang aus Rache erschossen zu haben. Hierauf wurde der +Bursche in Ketten gegen die Stadt geführt, aus der er einst als +Wickelkind gekommen war. + +Als ich in die Stube kam, saß mein Vater an seinem Bette. Er war sehr +bewegt, hub mich zu sich auf das Knie und sagte: »Bübel, das ist +ein böser Tag gewesen. Deinetwegen ist mir ein Stein auf dem Herzen +gelegen.« + +Wir gingen in jenem Jahre nicht mehr hinauf zur Wildwiese. Seither +aber bin ich wohl mehrmals auf derselben gewesen. Die Weiden glitzern, +die hohen Fichten stehen noch heute -- und ihr Schatten schwindet +und wächst, wie das trübe Erdengeschick, und ihr Schatten wächst und +schwindet, wie das menschliche Leben. + + [Illustration] + + + [Illustration] + + + + + Wie ich mit der Thresel ausging und mit dem Maischel heimkam. + + +Die Kramer-Thresel, das war eine der acht Seligkeiten meiner Kindheit. +Sie war ein altes Weib, und das war ein Glück, denn die +jungen+ +Weiber jener Gegend tragen ihre Seligkeiten nicht auf dem Rücken +umher, wie das die Kramer-Thresel that, und die jungen Weiber bieten +ihre Schätze nicht an Knaben unter siebzehn Jahren aus, wie das die +Kramer-Thresel that. Sie trug eine braune Holzkraxe auf ihrem krummen +Rücken, in derselben waren der Schubladen drei oder vier, und obendrauf +lag noch ein großes blaues Bündel festgebunden. + +Wenn wir Kinder etwas recht Braves, recht unerhört Braves thaten, so +sprach aus dem Munde unserer guten Mutter der Geist der Verheißung. +»Kinder,« sprach er, »wenn einmal die Kramer-Thresel kommt, so will ich +Euch was kaufen.« + +Da huben wir denn allemal ein Freudengeschrei an und stampften mit den +Füßen, bis die Mutter wieder sagte: »Ja, wenn Ihr ein solches Getös' +macht, da werde ich Euch nichts kaufen!« + +Allsogleich war's still, daß man ein Mäuschen hätte laufen hören +können, wenn eins gelaufen wäre. Aber die Mäuse kamen nur in der +Mitternacht hervor -- und die Kramer-Thresel kam gar nicht. + +Heißt das, sie kam. Seit urewigen Zeiten kam sie des Jahres ein- oder +zweimal in unser Haus, wir selbst hatten das schon erlebt -- doch so +unbeschreiblich langsam ging die Zeit dahin, daß uns Kindern zwischen +Frühjahr und Herbst und zwischen Herbst und Frühjahr eine blaue +Ewigkeit lag, in der die Mythe von der Kramer-Thresel schwamm und +verschwamm wie eine Lerche im Himmelsblau. + +Und einmal mitten im Winter, an einem ganz gewöhnlichen Tage, da der +Vater im Stalle die Ochsen striegelte und die Mutter in der Stube spann +und meine kleineren Geschwister sich einer zerbrochenen Spule wegen auf +dem Flötz (Fußboden) herumbalgten und ich Feldrüben in den Schweinstrog +schnitt, im Busen den Trieb, mich an dem Kampfe zu beteiligen -- ging +die Thür auf, und sie war da. + +Die Kramer-Thresel. Und als aus ihrer Kraxe die Schubladen mit den +Taschenveiteln und den Mundharmoniken, und den Tabakspfeifen, und den +hellrot angemalten Spielkästlein, und den messingenen Hosenknöpfen +und Hafteln, und den bunten Zwirnsträhnen und Nähzeug, und den +feingeschnitzten Holzlöffeln, und den Stehaufmandeln und allem, allem +auf unserem Tische ausgestellt waren und wir Kinder mit Poltern und +Stoßen ringsumher die Bänke besetzten und Augen und Mund aufthaten, +da sah ich erst ein, was dieser Tag für ein grauenhaftes Loch gehabt +hätte, wenn die Kramer-Thresel nicht gekommen wäre. + +Mein Sinn stand nach allem, obzwar ich mir sofort klarstellte: Alles +kannst nicht haben, den Himmel kriegst erst, wenn Du gestorben bist, +aber auf Eins setz Dich fest. -- Meine Hand zuckte nach einem Rößlein, +das auf einem Brettchen stand, welches vier »Radeln« hatte. Das Rößlein +war ziegelrot angestrichen und hatte an den Weichen weiße Blumen. + +Und im Sattel saß ein blauer Reiter, der hatte einen großen Schnurrbart +im Gesicht und sogar Augen und einen wirklichen Federbusch auf. + +»Laß stehen, Bub, und greif nicht alles an!« verwies mir die Mutter, +aber die Kramer-Thresel, welche so gütig und geduldig war wie unsere +liebe Frau, sagte: »Oh, das macht nichts, thu's nur angreifen, das +Zeugl, schau, der Husar reitet Dir schon entgegen!« und schupfte das +Rößlein, daß es zu mir über den Tisch her rollte. + +»Haben ja kein Geld nicht,« bemerkte die Mutter. + +Die Kramer-Thresel überhörte zum Glück das gefährliche Wort, sie machte +einen Deuter auf mich und sagte: »Das ist gewiß das ausbündige Bübel, +das lesen und rechnen kann und allerhand Gedichtet's austüpfelt, wie's +die Leut verzählen.« + +»Ja,« antwortete die Mutter, ohne das Spinnrad auch nur einen +Augenblick stehen zu lassen, »austüpfeln kann er schon was, wenn er nur +nicht so schlimm sein thät!« + +»'s selb glaub ich nicht, daß er schlimm ist,« meinte die Thresel, +»weißt was, Waldbäurin, das Bübel kunntst mir leihen. -- Ganz ernster +Weis, Waldbäurin. Meine Tochter, die hat bei den Geißen heimbleiben +müssen, und nu bin ich morgen auf dem Rattner Kirchtag hell allein. Der +Kramerstand (die Verkaufsbude) ist just nicht klein, Leut sind viel, +und ist allemal ein Gedräng ums Standel herum, eins kann nicht genug +aufpassen, und hab ich mir unterwegs noch träumen lassen: wenn ich den +Waldbauernbuben kunnt mitkriegen. Ich thät schon was hergeben.« + +So die Thresel, und als jetzt die Mutter das Spinnrad stehen ließ, +um Antwort zu geben, war mir, »wie einer armen Seel' beim jüngsten +Gericht«. + +Die Mutter sagte: »Ja, wenn die Thresel meint, daß sie ihn brauchen +kann, vielleicht friert ihm der Unend (Vorwitz) dabei ein Eichtl aus, +und Zeit hat er, daß er mitgeht auf den Rattner Kirchtag.« + +Ich bin von der Bank geflogen, und ehe noch an den Vater berichtet +werden konnte von meiner unglaublichen Standeserhöhung, war ich schon +im Sonntagsgewandel. + +Meine Geschwister erhielten jedes ein Holzlöffelchen, das glänzend +schwarz lackiert war und in der Höhlung ein rotes Blümlein hatte. Sie +fuhren allsogleich damit in den Mund und bildeten sich ein, sie äßen +Kindsbrei. + +»Und der Reiter gehört Dein,« sprach die Kramer-Thresel zu mir, »den +hebt Dir die Mutter auf, und morgen, wenn Du heimkommst, laßt ihn recht +ausreiten.« + +Die Mutter riet, ich sollte ein Stück Brot mitnehmen, allein die +Thresel sagte, indem sie ihre Warentrage wieder zurecht machte: »Das +wär nicht schlecht: Verköstigen werde ich meinen jungen Kramer schon +selber. Verhoff's, daß wir ein gutes Geschäft machen werden auf dem +Rattner Kirchtag. Und jetzt werden wir anrucken müssen, Bübel.« + +»So geht's halt in Gottesnamen!« sagte die Mutter und spann. Meine +Geschwister aßen mit ihren neuen Löffeln von der Tischplatte weg noch +die leere Luft, und wir gingen, wie es die Mutter gesagt. + +Ratten ist ein Dörflein zwischen den Waldbergen der Feistritz am Fuße +der Rattneralpe. Es hat viele Bauernhäuser auf den Hängen und in den +Schluchten zerstreut. Es hat einen ausgiebigen Dorftrost, nämlich ein +paar stattliche Wirtshäuser, und es hat eine schöne, geräumige Kirche, +in welcher der heilige Nicolaus als Pfarrpatron wohnt. Diesem Patron +zu Ehren wird alljährlich zu seinem Namenstag, am 6. Dezember, ein +Kirchtag abgehalten, und das war der Kirchtag, zu dem wir gingen. + +Wir hatten drei Stunden dahin zu gehen, weil wir unterwegs in einigen +Häusern zusprachen, verhoffend, ein paar Kreuzer zu lösen. Die Leute +schoben aber ihre Einkäufe auf den morgigen Kirchtag. »Macht nichts,« +meinte die Thresel, »sie kommen uns morgen.« Da im tiefen Schnee der +Graben, den wir Pfad nannten, gar schmal war, so schritt voran die +Thresel mit ihrer Kraxe, deren angebundener Ballen hoch über ihr +Haupt hinausragte; und hintendrein trippelte ich und hatte nur selten +einen Blick frei über die Schneemauer hinaus in die weite Welt. Diese +weite Welt dehnte sich bis zum Waldhang, der hinter dem vereisten und +versulzten Wasser aufstieg, und an welchem dort und da ein Häuslein +klebte oder eine träge rauchende Kohlstätte war. Und endlich sah ich +über einer Höhung den roten Riesenzwiebel des Kirchturms von Ratten +hervorragen. Auf der Straße, in die wir nun einbogen, war es recht +lebhaft. Da fuhren Schlitten, mit einem alten Roß oder mit einem alten +Weib bespannt, da schleppten andere an hochgeschichteten Rückentragen, +Jüdlein darunter mit ihren Bündeln doch den Übrigen vorhastend, +da huschten mit aufgestülpten Rockkrägen Musikanten mit vereisten +Schnurrbärten, da kamen schon Holzknechte und Tagwerker in ihrem +Sonntagsstaate daher und trotteten recht langsam, als wenn es gar nicht +eile, aber doch auf kürzestem Wege dem schon durch und durch lebendigen +Wirtshause zu. + +Auf dem Kirchplatz baute das Krämervolk schon an seinen »Ständen«, +deren Bretter noch öde und leer lagen, deren Wand- und Dachgerippe noch +von keiner Plache überspannt waren. + +Als wir mitten auf den Platz gekommen waren, blieb die Thresel stehen, +starrte gegen das Kirchhofsthor hin und murmelte: »Was ist das?« + +War der Standplatz schon verbaut, der an der lebhaftest begangenen +Stelle lag, just vom Kirchenthore her, und den die Thresel seit +altersher besessen hatte. Der Maischel, ein wegen seiner spottbilligen +Waren berüchtigter Hausierjude, hatte hier seine Stätte aufgeschlagen. + +»Ich pack nit aus,« sagte die Thresel in einem schönen Ebenmaß von +Entrüstung und Selbstgefühl und that just so, als wollte sie auf der +Stelle umkehren. Stand noch zu rechter Zeit der Taferner da, der +Kirchenwirt, der die Standplätze zu vergeben hatte, und der seine +Handlung damit entschuldigte, daß er der Thresel zu bedenken gab, der +Jude habe doppeltes Standgeld für den Platz am Kirchhofsthore geboten. + +Für einen solchen Handel, sagte nun die Thresel, sei ein Jude zu wenig, +einer müsse sein, der das Gebot mache, und ein zweiter, der es annehme. + +Der Taferner that ein süßes Lächeln, als hätte ihm die Thresel eine +Schönheit gesagt, dann schlug er ihr den gegenüberliegenden Platz vor, +just neben der Bildsäule des heiligen Nicolaus, das wäre eigentlich +noch ein viel besserer Platz und für den alten Preis zu haben. + +Was blieb uns übrig, als anzunehmen? Nun gingen wir eine warme +Suppe essen, dann machten wir uns flink an das Standaufrichten. Die +Thresel hatte ihr eigenes Zeug dazu, welches in einem Gelasse der +Taferne aufbewahrt war, und welches wir nun herbeischleppten. Als wir +die Bretter heranschleiften, wußte die Thresel ein paarmal solche +Schwenkungen zu machen, daß wir damit scharf an das gegenüberstehende +Judenständlein anrannten. Dieses wackelte, aber der Maischel stützte +es behendig und schmunzelte dabei. Der Jud Maischel war ein gar +schlichtes, aber rührsames Männlein, sein Haar und Bart waren +kohlschwarz und gekräuselt wie bei neugebornen Lämmern die Wolle, in +seinem dunkelroten Gesichte lugten zwei Äuglein, die einem nie ins +Antlitz schauten, sondern allemal, wenn er sprach, der Gegenperson +an den Hals oder an die Achsel guckten. Der Jud Maischel hatte eine +geradezu überchristliche Sanftmut, er war mit nichts zu erzürnen. Tief +entrüstet war er einzig nur, wenn man ihm für eine Ware, die er um drei +Gulden schätzte, etwa zwölf Groschen anbot. Aber voll tiefer Verachtung +schlug er die Ware um dies schmähliche Angebot los, und dem Käufer +wurde angst und bang. + +»Frau Thresel,« sagte ich nun zu meiner etwas schwermütig gewordenen +Prinzipalin, »die Rattnerleut sind Ehrenleut, die kaufen dem +Leutanschmierer nichts ab, die Frau Thresel wirds schon sehen.« + +»Gott geb's!« seufzte sie auf. + +Nun wurde es Abend, und am Abend wurde es lustig. Beim Taferner waren +alle Tische besetzt, und auf jedem Tisch stand ein Kerzenlicht, und +darüber war der Wein- und Bratenduft und der blaue Tabakrauch, daß es +eine helle Pracht war. + +Wir zwei saßen im Ofenwinkel, hatten neben uns auf der Bank ein Glas +Obstmost stehen, in das wir -- einmal ich und einmal die Thresel -- +eine Semmel tauchten. Die Wirtin wollte auch uns Licht bringen, indem +sie sagte: »Nicht einmal ein Toter mag ohne Licht sein.« + +»Das schon,« antwortete die Thresel, »aber wir zwei sind noch lebendig, +und zum Dasitzen sehen wir häufig genug, und daß wir uns für andere +beleuchten lassen wollten, dazu sind wir zu wenig schön.« + +In Wahrheit wollte sie nur nicht, daß das übrige Krämervolk, welches in +der Wirtsstube hochmütigerweise bei Wein und Schöpsenfleisch schwelgte, +unser bescheidenes Nachtmahl sehen sollte. Sie hatte eine Ahnung davon, +was bei einem Kaufmann der äußere Schein bedeutet. + +Die Gesellschaft wurde immer lauter und unbändiger, und etliche Bursche +huben an zu singen: + + »In Ratten, da ists lustig, + In Ratten, da ists lustig, + In Ratten, da ist alles frei, + Da geht ka Polizei!« + +»Leider Gottes!« sagte die Kramer-Thresel vor sich hin, »und jetzt +gehen wir schlafen.« + +Sie hatte sich eine Kammer bestellt; ich wurde zum Pferdeknecht ins +Bett gethan. Der Pferdeknecht hatte schon von Natur einen stattlichen +Leib, als er aber so neben mir im Bette lag und schlief -- er schlief +wie ein Pferdeknecht -- floß er so sehr auseinander, daß ich an +den Rand gedrückt wurde und Gefahr lief, auf den Boden zu fallen. +Glücklicherweise war vom Bette etwa nur einen Fuß entfernt die +Stallwand, an welcher zwar das Wasser des Stalldunstes niedertropfte, +an welche ich mich aber mit dem ausgestreckten Arm dermaßen anstemmen +konnte, daß ich dem Drucke meines Bettgenossen die ganze Nacht hindurch +glücklich stand hielt. Daß man in solcher Lage vom Schlafe nicht +belästigt wird, ist selbstverständlich, und so hatte ich denn Zeit, in +Gedanken den Pferdeknecht zu entschuldigen, der, müde von des Tages +Last und Plage, rechtmäßig ja über das ganze Bett verfügen konnte; +und in Gedanken auch Gebete zu verrichten, daß morgen unter meiner +Mitwirkung der Kirchtag für meine Prinzipalin doch um Gotteswillen gut +ausfallen möge. Ich sann mir Reden aus, um die Käufer anzulocken und +die Waren zu preisen, und ich sah die Leute herbeiströmen zu unseren +köstlichen Sachen. Wir hätten Alles verkauft, auch das leere »Standl« +noch dazu, wenn ich nicht zu früh von meinem Traume erwacht wäre. +Und nun gewahrte ich, daß sich mein Pferdeknecht mitsamt den Pferden +fortgemacht hatte -- »schon fahrend draußen aus den kalten Straßen«. +Jetzt, das war ein Wohlbehagen, wie ich mich nach Gefallen strecken +konnte im weiten Bette und mich einmal gründlich durchwärmen. Ich +bedauerte den Pferdeknecht, daß er schon so früh in den Winter hinaus +mußte, aber im Grunde wars mir doch lieber, als wenn er noch im Bett +gelegen wäre mit seiner breiten, schlaftrunkenen Wesenheit. + +Leider dauerte das nicht lange. Die Thresel tastete sich in den Stall, +rief meinen Namen und fragte, ob ich ausgeschlafen hätte. Ich sprang +sogleich auf. Als wir bei der Frühsuppe saßen in der wohldurchwärmten +Wirtsstube, gab mir die Thresel Weisung, wie ich mich am Standl zu +verhalten hätte. Für's erste einmal achtgeben, daß nichts »Füße +kriegt«, dann, wenn um den Preis von etwas gefragt würde, es ihr -- der +Thresel -- allsogleich mitzuteilen, nach ihrem Ausspruch nachher aber +nicht mehr »handeln« zu lassen, weil sie die Sachen nicht überschätze. +-- Dann gab sie mir zwei Sechser, damit ich wisse, wofür ich mir am +Standl Finger und Nase erfrieren lasse, dann nahm sie ihre Kraxe, und +wir gingen in des lieben Gottes Namen hinaus auf den Kirchplatz. + +Es war noch nächtig, aber man hörte schon das Gesurre der Leute, und +die Kirchenglocken läuteten zu der Rorate. An den »Kramerstandln« war +viel Hämmern und Schreien, und auch wir prüften nochmals unsere Bude +und legten, während drin in der Kirche die Orgel tönte, unter stillem +Einschluß in die heilige Messe die Waren aus. Und nun trat mir die +Größe und Vielfältigkeit der Habe meiner Prinzipalin ganz vor Augen. +Sie hatte alles, denn was sie nicht hatte, daran dachte ich nicht, es +war Nebensache. Sie hatte Klein- und Galanteriewaren, wie sie der Bauer +braucht, oder wenigstens gerne besäße, wenn er sie kaufen könnte: +allerlei Messer und Gabeln und andere Werkzeuge, Geldtäschchen, +Brieftaschen, Hosenträger, Uhrschlüssel, Rauchzeug, Sacktücher, +Heiligenbildchen, Einschreibebüchlein, Zwirn, Bänder, Kinderspielwaren, +Handspiegel und so weiter über den langen und breiten Tisch hin, und +was an den Stangen und Haken hing, und was noch in den Laden der Kraxe +und in dem unerschöpflichen Ballen war. + +Aber als nun der Tag graute -- ein trüber, sachte schneiender Wintertag +-- da mußte ich sehen, daß der Jude uns gegenüber all dieselben Sachen +ausgestellt hatte, aber viel kecker und wirrer ausgestellt, daß sie +ordentlich in die Augen schrien. Und an den Dachecken seines Standls +prangten zwei rote Fähnlein wie bei uns zu Kriegszeiten, wenn die +Soldaten fortzogen, oder beim Festscheibenschießen am Kaisertag, oder +wenn sonst etwas Unerhörtes war. Und zwischen den Fähnlein war eine +große Tafel: »Gut und billig, da kauft's ein!« Und nahm jetzt -- wie +die Leute aus der Kirche strömten -- der Racker eine Mundharmonika +zwischen die Zähne und blies darauf los und schrie über die Leute hin, +daß er einen Haupttreffer gemacht hätte in der Lotterie und daher heute +alles verschenke. »Das Stück Silberlöffel fünf Kreuzer, das Dutzend +noch billiger!« rief er und brachte damit die Leute in Verwirrung. Dann +schwang er hellrote Seidentücher über die Köpfe hin, »für Dirndaln!« +rief der Maischel, konnte aber nicht einmal die Worte aussprechen, +»und wenn eine das tragt um den Hals, laufen ihr alle Buiben nach. Ich +gebs aber nicht her!« Und zog es hastig wieder zurück. Solche Sachen +trieb er und schrie fortwährend: »Da geht's herbei! da wird gehandelt, +geschenkt, noch was draufgegeben, da ist der Glücksberg!« Und immer +dichter wurde um das Judenstandl die Menschenmenge, und uns, dem +ehrbaren Stande der Thresel, wendeten sie den Rücken zu. + +Mir wurden in meinem Zorne alle Schneeflocken grün und gelb vor den +Augen, und ich stieß die Thresel: sie solle doch auch zu schreien +anheben, daß uns die Leute sähen. + +»Du bist nicht gescheit,« sagte sie zu mir, »wo +solche+ Leut +lärmen, da ist's ein Schand und Spott das Maul aufzumachen. Da packen +wir lieber z'sam'.« + +Jetzt hub weiter unten auf dem Platz auch noch ein anderer zu schreien +an; das war ein Krainer, wollte aber gescheiter sein als der Jude und +rief: »Daher, Leutel, daher! Bei mir ist die Schönheitsseife zu haben, +die echte, approbierte und privilegierte Schönheitsseife! Werden alle +garstigen Dirndln, die sich damit waschen, engelsauber und alle alten +Weiber blutjung!« + +»Das ist Schwindel vom Krainer!« rief der Maischel, »bei mir +zu bekommen die ganz neu erfundene, blütelweiße und rosenrote +Schönheitsseife, aber +nur für die Jungen und Schönen+ zu +gebrauchen, daß sie nicht werden alt. Echt und billig. Meine Herren und +Damen, geht nicht vorbei an Eurem Glück!« + +Selbstverständlich wählte jede die Seife des Juden. + +Nun hub der Maischel an und schellte mit einem Sack Nummern und ließ +ziehen. Er spielte seine Waren aus; mit einem Groschen Einsatz konnte +man goldene Ringe und Uhren, ganze Fläschchen von Liebestränken und die +unglaublichsten Schätze gewinnen. + +Die Thresel hatte den lärmenden Juden lange beobachtet -- Zeit hatte +sie dazu -- und nun sagte sie kopfschüttelnd: »Der ist vom Teufel +besessen.« + +Der Markt war schon im vollsten Gange, es wurde gefeilscht +und gekauft, es wurden Späße getrieben beim Lebzelter und beim +Schnapsschenker, und man hörte singen: + + »In Ratten, da ist alles frei, + Da giebt's ka +Polizei+!« + +Weiber gingen umher von Stand zu Stand und füllten ihre Handbündelchen +mit Äpfeln, Nüssen, Lebzelten und Spielwaren für ihre Kinder zum +»Nikolo«. Ich hielt die Hände in den Hosentaschen und zappelte +mit den Füßen hin und her und klöpfelte die hartgefrornen Schuhe +aneinander. Von den Zehen wußte ich ohnehin nichts mehr, sie gaben kein +Lebenszeichen von sich, was übrigens in jenen Zeiten bei mir nichts +Neues war -- die Zehen hielten ihren Winterschlaf, und die Kälte fing +mir in ihnen allemal erst an weh zu thun, wenn es warm wurde. Nun so +trippelte ich an unserem vergessenen Standl, und wir hatten immer noch +nicht ein Stück verkauft. Mir war zum Verzagen. + +»Ich möchte in den Erdboden sinken,« flüsterte ich der Thresel zu. + +»Dazu ist er viel zu hart gefroren,« war ihre Antwort, »aber das muß +ich schon sagen, ein solcher Kirchtag ist mir was Neues.« + +Das Wort hat mich ins Herz getroffen. Vielleicht war ich die Schuld! +Ich hatte keinen Schick, gar keinen, konnte die Sache nicht betreiben, +stand da »wie der Damerl beim Thor« und schaute blitzdumm drein. -- Ein +solcher Kirchtag ist ihr was Neues! + +Jetzt sah ich am Rande unseres Standels einen guten Bekannten von +meiner Gegend, es war des Grabenbergers Geißbub, das Natzelein. Das +lugte so auf die bleiernen Taschenuhren her und auf die Ludelpfeifen +und auf die blinkenden Federmesserlein und auf mich, wohl erwägend, +wieso ich bei diesen Schätzen stehe, die er mit gierigen Augen +angriff, nachdem ihm früher die Thresel mit den Worten: »Schau, das +gehört nicht Dein, das laß stehen!« seine Finger von einem zinnernen +Streichholzbüchslein losgelöst hatte. Zu diesem Natzelein strich ich +nun hin, und ihm heimlich meine zwei Sechser in die Hand drückend, +flüsterte ich ihm hastig ins Ohr: »Kauf was! Kauf Dir was!« + +Alsbald stand ich wieder an meinem Platze und schaute mutiger auf die +ergebene Thresel hin, mit Herzklopfen die Herrlichkeit erwartend, da ja +jetzt bald ein Käufer anrücken würde. + +Das Natzelein lugte in seine hohle Hand, und als es sah, es wären +zwei silberne Sechser drin, machte es ein grinsendes Gesicht zu mir +herüber, dann drehte es sich flugs um und kaufte drüben beim Juden ein +Tabakrauchzeug. + +Jetzt vergaß ich meiner Würde, hin schoß ich zwischen den Beinen der +Leute wie ein gereizter Tiger auf das Natzelein zu und warf es zu +Boden. Ein Gebalge entstand, daß der Schnee stäubte und die Leute mit +hellem Gelächter einen Kreis um uns bildeten. Ich wollte dem Natzelein +für seinen Hochverrat die neue Pfeife entwinden und sie zu Scherben +machen, aber der Rattner Gemeindediener ließ mir keine Zeit dazu. +Dieser Mensch faßte mich auf einmal beim Rockkragen an und zog mich +hübsch kräftig in die Höhe; und weil alles rief, ich hätte ohne allen +Anlaß den arglosen Jungen überfallen, so war nun vom Gemeindekotter die +Rede. + +Da kam ich drauf, daß der Ausspruch der Thresel auch auf mich passe: +»Ein solcher Kirchtag ist mir was Neues.« Aber ich biß in die Lippen +hinein, und wie sie mich auch verhörten: warum ich wäre raufend worden? +das wäre sauber, wenn es an Kirchtagen die kleinen Buben den Großen +nachmachen wollten! -- ich sagte kein Wort. Ich konnte keins sagen und +wollte auch nicht, weil ich mir dachte, sie könnten dann glauben, das, +was geschah, wäre aus Geschäftsneid geschehen. + +So wurde ich nun befragt, ob ich der Kramer-Thresel ein Sohn sei; da +schrie meine Prinzipalin vom Standel her, ich wäre nichts weniger als +ihr Sohn, ich wäre der Waldbauernbub, sonst ein gutes Kind, aber ich +müsse vor Kälte wahnsinnig geworden sein. + +Der Gemeindediener von Ratten konnte nichts Besseres thun, als stark +in seinen riesigen Schnurrbart hineinzupfauchen und mich dann an der +Hand durch die Leute, die ganz grauenhaft bereitwillig uns eine Gasse +bildeten, vom Marktplatze wegzuführen. Vom Markte weg und hinaus vor +das Dorf, wo er mich mit dem wohlgemeinten Rate, ich solle schauen, daß +ich heimkäme, auf der freien Straße stehen ließ. + +Von rechtswegen hätte ich jetzt wimmern sollen, allein ich konnte +nicht, meine Entrüstung war zu groß. Ich beschloß, nicht zu schauen, +daß ich heimkäme, sondern auf der Straße zu warten, um über den +Grabenberger Buben, wenn er des Weges ginge, ein gerechtes Gericht +zu halten und auch die Kramer-Thresel abzupassen, um ihr den ganzen +Sachverhalt mitzuteilen, wie ich dem Natzelein mein Geld gegeben, +daß er ehrenhalber bei uns was für sich kaufe, und wie diese falsche +Kreatur die Silberlinge zum lärmenden Juden getragen habe. + +Spät am Nachmittage, als schon das Volk der ganzen Gegend mit +seinen verschiedenen Einkäufen und Räuschen zu Fuß und zu Schlitten +vorübergezogen war, kam die Thresel mit ihrer schweren Trage +herangeschnauft, und neben ihr watschelte die Kreatur daher mit +verbundenem Kopf, liebreich von der Alten an der Hand geführt und +gezärtelt, als wollte sie es gut machen, was ihr Bursche an diesem +Natzelein verbrochen. Unter solchen Umständen verbarg ich mich rasch +hinter einen Fichtenstamm und ließ sie vorbeiziehen. Und dann ging ich +ihnen langsam nach, voll der tiefsten Betrübnis. + +Ich war noch nicht auf halbem Wege, als eine solche Müdigkeit über mich +kam, daß ich mich an den Schnee hinlehnte um zu rasten. Auf diesem +Pfade gingen keine Menschen mehr. Es war im Hausteiner Walde, die Häher +und Krähen stäubten Schnee herab von den Bäumen. -- Ich mußte schon +recht gut geschlafen haben, da wurde ich plötzlich aufgerüttelt, und +vor mir in der Abenddämmerung stand der Hausierer Maischel mit seinem +Bündel. + +»Was ist's denn mit Dir, Würmlein,« sagte er, »das Erfrieren ist ja +nicht gesund! Da müssen wir noch beizeiten einheizen!« Er hielt mir +ein Holzplützerchen an den Mund, und als ich daraus ein paar Schlucke +that, da wurde mir so warm inwendig, so warm ums Herz, daß es mir zu +Sinn kam: der Maischel ist doch kein schlechter Mensch. Da er fand, daß +es nicht ratsam sei mich allein zu lassen, so ging er mit mir bis zum +Hause meines Vaters. Also ist es geschehen, daß ich mit der Thresel +ausging und mit dem Maischel heimkam. + + [Illustration] + + + [Illustration] + + + + + Als ich das Ofenbückerl war. + + +Warum es so frostig wird heutzutage? Warum wir gefroren sind? Weil +wir keinen ordentlichen Ofen mehr bauen können. Allen Respekt vor den +schwedischen und russischen Öfen, vor den Berliner und Meißner Öfen, +gar zierlich sind sie und ein Zimmerschmuck und alles mögliche, aber +so recht gemütlich? -- So recht gemütlich ist nur der große, breite, +behäbige Kachelofen mit seinen grünen oder braunen Augenreihen, mit +seinem Holzgeländer und seiner Ofenbank. Die Ofenbank, wo die Kindheit +und das Alter hocken, das Enkelein und die Großmutter -- und die alten +Märchen! + +Daheim in meinem Vaterhause, da stand so einer! Ganz hinten in der +linken Stubenecke, wo es immer etwas dunkel war. Über der breiten +Ofenbank, die sich um ihn herumzog, war eine Reihe viereckiger +Plattkacheln und darüber in weißem Lehm eingefügt die runden Kacheln +mit hervorquellenden Bäuchen, in welchen sich die lichten Stubenfenster +mit ihren Kreuzen spiegelten. Der Ofen strebte breit auf und wölbte +sich oben in Kacheln sachte zusammen. Wenn man fragte, wie alt er +sei, so antwortete der Vater: »Mein Ähndl wird ihn haben setzen +lassen, oder der Urähndl.« Freilich wurde jeder kleine Schaden an +ihm sofort verkleistert und mit weißem Lehm übertüncht, freilich +wurden ihm fast alle Samstage die großen Augen gewaschen, so daß er +immer jung und frisch in die Stube schaute. Umfriedet war er von dem +leiterartigen Geländer, an das die Mutter unsere frischgewaschenen +Hemden zum Trocknen hing. Denn warm war es bei diesem Ofen immer, +selbst im Sommer, wo sonst der Brunnentrog warm und der Ofen kalt zu +sein pflegt. Er wurde überhaupt nie kalt, und es mochte sein, wie es +wollte, es mochte regnen oder schneien oder winden -- auf der Ofenbank +war's immer gut. Und wenn draußen der Sturm toste in den alten Fichten +und der hölzerne Hirsch an der Wand klapperte, und wenn die Blitze +bleckten, daß die ganzen Berge über dem Graben drüben grün und gelb +waren, und wenn der Donner schmetterte, als breche schon der Dachstuhl +nieder mitsamt dem Giebel und seinen Schwalbennestern, da dünkte mich +die Ofenbank der sicherste Ort, wohin das Verderben so leicht nicht +reichen könne. Kurz, die Ofenbank war mir der trautsamste Mittelpunkt +des heimatlichen Nestes. Lange Zeit hatte ich mein Bett auf derselben. +Ich lag auf der Ofenbank, als ich so klein war, daß im Munde noch der +»Zutzel« und zwischen den Beinen noch die Windel stak; ich lag auf der +Ofenbank, als ich so krank war, daß die Mutter mich dem Himmel gelobte, +wenn er mich nicht zu zeitlich nähme (das wurde später rückgängig, weil +das Geistlichwerden Geld kostete). Ich lag auf der Ofenbank, als ich so +dumm war, allmorgentlich die Oberlippe mit Seife einzureiben, damit der +Schnurrbart endlich wachse. Ich lag auf der Ofenbank viel später, als +der Bruder Jakob mir den Bart wegkratzte, weil er mir zuwider war. Und +wenn ich in früheren Zeiten dort so lag, da hörte ich manchmal hinter +den Kacheln drin leise das Feuer knistern, wenn die Mutter morgens +eingeheizt hatte; es wurde wärmer, aber es wurde nicht schwül um mich. +Es wurde nie kalt, und es wurde nie heiß, und wenn mir einer so einen +alten Kachelofen plump und unförmig schimpft, so stelle ich seinem +Leben nach. Denn über den besten Freund unseres Hauses lasse ich nichts +kommen. + +Er gab uns nicht allein Wärme, er gab uns auch Brot. Alle zwei +Wochen einmal war Backtag. Man kennt die Stattlichkeit der Brotlaibe +bäuerlicher Abkunft; solcher Laibe ihrer vierzehn hatten nebeneinander +Raum auf dem glühheißen Steinboden drinnen. + +Während der Ofen also das Brot buk, hatte unsere Mutter ein besonderes +Heil mit ihm. Da durfte kein feuchter Lappen in seiner Nähe hängen, +da durfte in der Stube keine Thür und kein Fenster aufgemacht werden, +damit kein ungeschaffenes Lüftchen den braven Ofen anwehe und seine +Frucht etwa beeinträchtige. Zwei Stunden lang dauerte die Backzeit, +und da war es in der Stube allerdings so, daß nicht bloß die Heiligen +schwitzten auf dem Hausaltare, sondern auch alle Fenster -- selbst +im hohen Sommer. Die Fenster sind sonst nicht so wie unsereiner, der +im Sommer schwitzt; die Fenster schwitzen im Winter, wenn's drinnen +wärmer ist als draußen. Aber beim Backen gab's eine Ausnahme. Einmal +stieß in solch heikler Stunde des Backens der Wind ein Fenster auf; was +geschah? Die Brotlaibe, die schon angefangen hatten aufzuschwellen, +fielen in sich zusammen und blieben spickig wie ein Klumpen Schmer. +Nicht +ein+ so großes Löchelchen im Innern des Laibes, daß man ein +Haferkorn, geschweige eine Erbse drin hätte verstecken können! Damals +hat die Mutter geweint. Wir aßen das Brot in der Suppe wie sonst. +»Wenn's den Laib im Ofen nicht auftreibt, so treibt's den Magen auf,« +heißt es, und so war's auch. + +Am Backtag gab's für mich kleinen Buben allemal eine säuerliche +Freude. Denn bevor das Brot in den Ofen kam, mußte ich hinein. Aber +zum Glücke nicht nach dem Feuer, sondern vor demselben. Da war's +etwas staubig drinnen und rußig und ganz finster. Mit einem Besen aus +Tannenreisig hatte ich den Steinboden des Ofens auszufegen, Kohlen, +Asche fortzuschaffen und dann die großen Holzscheiter übereinander +zu schichten, die mir die Magd zum Ofenloch hineinsteckte. Ich weiß +nicht, ob die Spanier im Mittelalter auch so geschichtet haben: +zuerst eine Brücke gerade aus, darüber eine Brücke in die Quere, dann +wieder eine gerade aus und eine in die Quere u. s. w. So baute ich +den Scheiterhaufen, und so brennt's am besten. Die Scheiter waren +anderthalb Ellen lang, und als das Gebäude aufgeführt war bis fast zur +Wölbung, da engte es sich arg, und da kroch ich ringsherum, zu sehen, +oder vielmehr zu tasten, ob es gut war -- und dann zum Loch hinaus. + +Zum Lohn für solch finstere Thaten bekamen wir Kinder jedes ein +frischgebackenes Brotstritzlein, welches wir gleich in noch dampfendem +Zustande verzehrten. + +Wie die Scheiter gebaut wurden, ist schon gesagt worden. Alsdann +den Stoß anzünden, brennen lassen, ausgluten lassen, die Glut mit +einem Krückel auseinanderstieren, dann herauskratzen und mit der +Ofenschüssel, einer langbestielten Holzscheibe, die kugelrunden +Teigklumpen hineinschießen. + +»Einschießen«, ja, das war der Ausdruck dafür. Ich vermute, die Mutter +hat während des Einschießens allemal ein heiliges Gelöbnis gemacht: +Einen Rosenkranz extra will sie beten, oder einem Bettler besonders +will sie ein großes Stück Brot schenken, wenn's gelingt. Denn wie ich +schon angedeutet -- allemal gelang es nicht. + +Einigemal lieferte uns der Ofen etwas besonders Gutes. Ein +strudelartig breit und dünn ausgewalzter Teig wurde in den heißen +Ofen geschossen; nach einiger Zeit kam die Platte heraus, hatte +eine bräunliche Farbe und war hart und spröde wie Glas. Schon das +war fein zu knuspern. Nun kam aber die Mutter, zerkleinerte mit dem +Nudelwalzer knatternd diese Scheibe aus Mehl, that die Splitter in +eine Pfanne, wo sie geschmort und geschmälzt wurden. Das war hernach +ein Essen! Scharlbrot wurde es genannt. Ich habe diese ganz eigenartig +wohlschmeckende Speise sonst nirgends wieder gefunden, möchte aber +gerne ihren und ihres Namens Ursprung wissen. + +Der Ofen hatte auch noch andere Verpflichtungen: er dörrte das Korn, +bevor es in die Mühle kam. Denn da oben im Gebirge will's nicht +recht trocknen, und so mußte das Korn auf den heißen Boden hinein, +wo es mit dem langstieligen Krücklein fortwährend umgerührt ward. +Desgleichen dörrten wir im Ofen auch das »Hablam« (trockene Blüten- +und Samenabfälle des Heues), aus welchem ein sehr geschätztes Mehl +für Mastvieh bereitet wurde. Auch Kirschen, Heidelbeeren und Schwämme +machte uns die Ofenhitze solchermaßen tauglich zum Aufbewahren für +den Winter. »Die ausgetrockneten Früchte halten länger als die +vollsaftigen!« sagte das steinalte und spindeldürre Everl, als die +junge Martel auf der Bahre lag. Das Everl dachte dabei vielleicht an +die schwere heiße Lebenszeit, die es selber ausgetrocknet und gedörrt +hatte, wie der Ofen die Pflaume. + +Einmal -- und das ist's, was ich eigentlich erzählen will -- spielte es +sich, als sollte in unserem großen Ofen auch Fleisch gebraten werden. + +So um Allerheiligen herum war ein junger, schlank gewachsener Vagabund +zu uns gekommen. Ich weiß nur noch, daß er sehr lange Beine hatte und +im Gesicht eine platte Nase und darunter eine Hasenscharte. Er schien +soviel als erwachsen, hatte aber das Stimmlein wie ein Knabe. Und mit +diesem Stimmlein fragte er ganz hell und grell meinen Vater, ob er über +den Winter dableiben dürfe? + +»Das ledige Herumzigeunern ist halt nur im Sommer lustig,« antwortete +ihm mein Vater. »Nun, wenn Du dreschen willst, so kannst bleiben. Kost +und Liegerstatt wirst Dir doch verdienen.« + +Der Bursche war nicht blöde, that gleich, als ob er bei uns zu Hause +wäre, und beim Nachtmahl erzählte er laut, daß er vor kurzem in einer +Gegend gewesen sei, wo es ein sehr gutes Essen gab: das Kraut wäre +gezuckert gewesen, der Sterz mit Wein geschmalzen, und die Knödeln +wären durch und durch schwarz gewesen vor lauter Weinbeerln. + +Darob wurde der Junge ausgelacht, und unser Stallknecht sagte: die +Sachen wären ja nicht zuwider, aber anders gemischt müßten sie sein: +zum Sterz die Weinbeerln, zum Wein der Zucker und zu den Knödeln +das Kraut. Hernach sagte der Kaunigl -- so nannte sich der Bursche +mit seinem Kinderstimmlein -- er habe auch schon Schwabenkäfer in +Buttertunke gegessen, die seien sehr gut! worauf ihm mein Vater den Rat +gab, er solle stille sein. + +Nach dem Essen, als kaum das letzte Kreuz gemacht war, zog der Kaunigl +ein Büschel Spielkarten aus der Hosentasche, mischte es kundiger +Hand, warf für drei Personen ein Spiel aus und blickte fast erstaunt +umher, ob denn keiner mitthun wolle? Ich lugte hin nach den leicht +geschweiften Karten mit dem geeichelten Rücken und den bunten Figuren, +die der Kaunigl so glatt abzulegen und so schön pfauenradförmig in +der Hand zu halten wußte. Ich wollte schon anbeißen, da fuhr der +Vater drein: »Weg mit den Karten! Morgen ist der Armenseelentag +(Allerseelen)! Denkt's aufs Beten!« + +Am nächsten Tage, während der Vater in der Kirche war, saßen wir, der +Kaunigl und ich, in der Flachskammer und spielten Karten. Ich mußte +erst die Blätter kennen lernen, aber merkwürdigerweise wurde ich mit +den zweiunddreißig Kartenfiguren viel leichter vertraut, als ein Jahr +vorher mit den vierundzwanzig Buchstaben. Leider kam die Mutter um +einen Rocken für ihr Spinnrad, sie verdarb alles. »Aber Buben!« sagte +sie, »derbarmen euch die armen Seelen nicht, daß ihr so was treibt am +heutigen Tag?!« Wir verzogen uns. Aber der Hasenschartige hatte mir's +schon angethan. Er wußte und konnte allzuviele merkwürdige Sachen, die +noch dazu verboten waren! + +An einem der nächsten Tage hockten wir im Heustadl auf einem +Futterhaufen und spielten wieder Karten. Ich hatte solche Fortschritte +gemacht, daß mir nicht bloß die Figuren, sondern auch schon sehr viele +Spiele bekannt waren. So thaten wir »zwicken«, »brandeln«, »mauscheln«, +»bettlerstrafen«, »königrufen«, »grün' Buben suchen«, »pechmandeln«, +»mariaschen« und anderes. Weil kein Tisch war, so legten wir die Karten +aufs Knie, zwickten sie zwischen die Beine, und der Kaunigl steckte +seine Trümpfe sogar einmal in die Hasenscharte. Keuchte gählings das +alte Everl die Leiter herauf. Wir verhielten uns im dunklen Raum +mäuschenstill, aber sie hatte uns doch bemerkt. »Buben!« rief sie, »was +thut's denn, Buben?« + +»Beten,« gab der Kaunigl zur Antwort. + +»Ja, beten! Mit des Teufels Gebetbuch, gelt?« rief das Weiblein. +»Wißt's es nit, daß der Vater das Kartenspielen nit leiden mag? Wird +euch schön sauber der Schwarze bei den Füßen packen und in die Höll +hinabschleifen.« Somit war's mit dem Spiel wieder aus. In die Höll +hinabschleifen, das wär so etwas! + +Am nächsten Sonntage machte der Kaunigl den Vorschlag, daß ich mit +ihm in den Schachen (Wäldchen) hinausginge, damit wir bei unserer +Unterhaltung endlich einmal Ruh hätten. Aber es regnete, und es +schneite, und es ging ein kalter Wind, also daß ich der Einladung +nicht nachkam. Ob ich aus Papier wäre? piepste hierauf der Kaunigl, +daß ich fürchten müsse, vom bissel Regen aufgeweicht zu werden und +auseinanderzufallen! Im Wassergraben habe er seiner Tage am besten +geschlafen, und so wie er schwarze Erde mit Brennesseln esse, wenn er +sonst nichts habe, so wolle er sich in Ermanglung eines Bettzeuges +nackend in Schnee einwickeln, und ich solle lieber in der Mutter ihren +Kittel hineinschliefen. -- Aber schon an demselben Nachmittage kam +der Kaunigl mit etwas anderem, was ich in der Lage war anzunehmen. +Die Stube war besetzt vom Vater, der an der Wanduhr etwas zu basteln +hatte, und von den Knechten, die ihre Schuhe nagelten. In den übrigen +Winkeln des Hauses war es auch nicht sicher, also in den Ofen hinein! +In demselben war ein Holzstößlein geschichtet, wir krochen hinter das +Stößlein. Nachdem der Kaunigl den Deckel des Ofenloches zugezogen +hatte, zündete er die mitgebrachte Kerze an, that die Karten hervor, +und wir huben an. Gemütlicheres giebt's gar nicht auf der Welt, als +in einem großen Kachelofen bei Kerzenbeleuchtung »brandeln« oder +»zwicken« oder »mariaschen«. Die rötlich gebrannte Mauer, die schwarzen +Kachelhöhlen um und über uns bargen und hüteten, und nun waren wir +doch einmal sicher und konnten »fabeln« oder »mauscheln« oder was wir +wollten, bis in die späte Nacht hinein. Durch die Kacheln von der Stube +her hörten wir ein Surren; sie thaten Rosenkranz beten, der Kaunigl +warf die Blätter auf ein »Brandeln«. Wir spielten um Geld. Gewann er, +so blieb ich schuldig, gewann ich, so blieb er schuldig. Es soll keine +größere Ehrlosigkeit geben, als Spielschulden nicht zahlen. Lieber +Leser, so einer bin ich! -- Just hatte ich wieder ein schönes Blatt in +der Hand: zwei Könige und drei Säue und den Schellschneider, der Trumpf +war -- da klirrte plötzlich der blecherne Ofenthürdeckel. Das Licht +war sofort ausgeblasen, und wir verhielten uns still wie zwei tote +Maulwürfe. Jetzt geschah etwas Unvorhergesehenes, etwas Schreckliches. +Vor dem Ofenloche stand das gedörrte Everl und fuhr mit einer Spanlunte +herein in den Holzstoß, der zwischen uns und dem Ausgange war. Die +Flammen leckten an den Scheitern hinauf. Ich zwischen durch und mit +einem kreischenden Schrei hinaus, daß das alte Everl vor Schreck in den +Herdwinkel fiel. Dem Kaunigl ging's nicht so gut, dem spießten sich die +langen Beine, er konnte zwischen Wand und Scheiterstoß nicht sofort +heraus, der Rauch verschlug den Atem, und schon hörte man nichts mehr +von ihm. + +»Der Kaunigl ist drinnen!« schrie ich wie verzweifelt, da wurde mit dem +Sterkrampen der brennende Holzstoß, Scheit um Scheit, herausgerissen +auf den Herd, und schließlich wurde mit demselben Krampen ein Häuflein +Mensch herausgezogen, das ganz zusammengekauert war wie eine versengte +Raupe und dessen Kleider bereits an mehreren Stellen rauchten. + +Zwei Schöpfpfannen Wasser goß ihm das Everl ins Gesicht, da wurde der +Kaunigl wieder lebendig. + +Als jetzt auch einige Spielkarten zum Vorschein kamen, so kannte sich +das Everl gleich aus. »Was hab ich denn gesagt, Buben!« so redete sie, +»hab ich nicht gesagt, ihr kommt's mit dem verflixten Deuxelszeug in +die Höll? Im Fegfeuer seid's nu schon gewesen.« + +Mein Vater wollte den Burschen davonjagen, that's aber nicht, weil der +Bursche nicht darauf gewartet hat. Wo der Kaunigl anders zugesprochen, +das weiß ich nicht; jedenfalls konnte er eine neue Erfahrung zum besten +geben: Er hatte nicht allein Schwabenkäfer in Buttertunke gegessen, in +Wassergräben geschlafen, sich nackend in Schnee gewickelt, er hatte +auch im Feuerofen Karten gespielt. + +Mir war von diesem Tage an der alte große Ofen auf lange nicht geheuer; +mit seinen grünen Augen schaute er mich so drohend an: Bübel, wirst +noch einmal Karten spielen, während die anderen beten?! + +Erst als ich wieder brav geworden war, ganz ordentlich und fleißig, +blickte mich der Ofen neuerdings freundlich an, und es war wieder so +heimlich bei ihm wie früher. Später sind seine guten Augen erblindet, +dann ist er in sich zusammengesunken wie ein Urgroßmütterlein, und +heute geht's ihm, wie es bald uns allen ergehen wird -- nichts mehr +übrig als ein Häufchen Lehm. + + [Illustration] + + + [Illustration] + + + + + Als ich um Hasenöl geschickt wurde. + + +Im Jahre so und so viel hatten wir zu Pfingsten noch einen Kübel +Schweinsfett vorrätig. Der Vater hatte ihn nicht verkauft, weil er +meinte, die Mutter würde ihn zu Hause aufbrauchen, und die Mutter +hatte ihn nicht aufgebraucht, weil sie glaubte, der Vater würde ihn +ja verkaufen wollen. Und während dieses wirtschaftlichen Zwiespaltes +war das Fett ranzig geworden. Jetzt hätte es die Mutter gerne +verkocht, allein so oft ein Sterz mit diesem Fette auf den Tisch kam, +schnupperten die Knechte mit der Nase und sagten: Schusterschmer äßen +sie nicht! Es war aber kein Schusterschmer, es war heilig ein echtes +reines Schweinsfett, und das wußten sie auch, und deshalb war es +höllisch bösartig, daß sie solche Reden führten. Die Mutter war sonst +ein sehr frohes und glückliches Weib, wenn aber ein Dienstbote über +die Kost klagte, da wurde sie ganz verzagt und lud die anspruchsvollen +Knechte wohl auch ein, sich nur selber einmal zum Herde zu stellen und +mit den vorhandenen Mitteln eine Prälatenmahlzeit zu kochen. Unter +Prälatenmahlzeit verstanden wir nämlich nichts Schlechtes. + +Nun hatten wir zu dieser Zeit eine alte Einlegerin im Hause, die für +alles einen guten Rat wußte. Sie war zwar auf beiden Augen blind, sah +aber doch gleich, was da zu machen war. + +»Ein schlechtes Schweinschmalz hast, Bäuerin!« rief sie kecklich aus, +»ranziges Schmalz kaufen sie nur noch in der Apotheken, sonst nirgends +nit und gewiß auch noch!« + +Ja, die Apotheken, das ist wahr. Die hat im vorigen Jahre auch +Gamswurzeln genommen und Arnikablumen und gedörrte Hetschepetsch, die +nimmt alles, was schmeckt (riecht), die nimmt auch das Schweinschmalz. +Und ich, der zwölfjährige Hausbub, bin hervorgesucht worden, um am +Pfingstmontag zeitlich in der Früh das Kübelchen beim Henkel an den +Stock zu hängen und so über der Achsel hinabzutragen nach Kindberg in +die Apotheke. Und bei dieser Gelegenheit sollte ich auch etwas anderes +besorgen. + +Da hatten wir zur selbigen Zeit einen alten Weber in der Einwohne, +der nahm, wenn keine Arbeit war, oft den Kopf in beide Hände, brummte +schier unheimlich vor sich hin und sagte dann zu dem, der just da war: +»Mensch, ich werde ganz blöd. Just, als hätte ich ein Hummelnest im +Kopf, so thut's brummen, weiß der Ganggerl, was das ist. Immer einmal +ganz dumm komm ich mir vor, das ist mir jetzt schon zu dumm!« + +Und antwortete ihm nun auf einmal die alte Einlegerin: »Wenn Du dumm +bist, Hartl, so mußt Du Dir mit Hasenöl die Schläfe einschmieren.« + +»Alte Dudl, wo soll denn ich ein Hasenöl hernehmen?« begehrte der Weber +auf. + +»In der Apotheken kriegt man's,« lautete ihr Bescheid, und so sollte +ich nun für den Weber Hartl um zwei Groschen Hasenöl einkaufen in der +Apotheke zu Kindberg. Hasenöl? Geben denn diese Tiere auch Öl sowie der +Leinsamen und der Rüps? Natürlich wird's so sein, denn, wenn's kein +Hasenöl gäbe, so könnte man ja keins kaufen. + +Als ich nach langem Marsche gegen Mittag mit meinem Küblein in die +lateinische Küche zu Kindberg kam, hieß es dort, Schweinsfett brauche +man jetzt nicht, und wäre es auch ganz frisch. + +»Es ist aber nit frisch!« versicherte ich, »es schmeckt schon!« + +Dann sollte ich nur in die Apotheke nach Bruck hinabgehen! meinte der +Herr lachend; ich aber dachte: Wenn Du mir kein Schweinsfett abkaufst, +so kaufe ich Dir kein Hasenöl ab -- und machte mich auf den Weg. -- +Daß es aber so lange Straßen geben kann auf der Welt, wie dieser +Weg war bis Bruck! An beiden Seiten des Thales Berge und Gräben, +das Wasser einmal rechts und dann links und dann wieder rechts; ein +Dorf um das andere, dieses hatte einen Kirchturm, jenes keinen, in +manchem Wirtshause gab es Musik, in manchem helles Geschrei; mancher +Wanderer lallte taumelnd des Weges dahin, mancher ruhte friedsam im +Straßengraben -- und immer so fort. Allzumal muß auch erzählt werden, +daß die Sonne sehr heiß schien und mein Schweinsfett hinter dem Rücken +Fluchtversuche machte, wie später an den Spuren auf meinem Rock zu +bemerken war. + +Bruck ist eine Stadt. Ich hatte noch nie eine Stadt gesehen. Ein +vielgereister Handwerksbursche hatte bei uns einmal erzählt, Wien, +Paris und Bruck wären die größten Städte der Welt, und in Bruck stünde +das achte Weltwunder: ein eiserner Brunnen. + +Auf dem Wege zu solchen Merkwürdigkeiten wird man nicht müde. Die +Sonne ging schon hinter den Berg hinüber, als ich mit meinem Küblein +einzog in die große Stadt Bruck. Mein erstes war, dem eisernen Brunnen +nachzufragen, denn auf dieses Wunder war ich vor allem gespannt. +Welche Enttäuschung, als aus einem rostigen Gitterwerke ein Brunnen +herausrann, ganz wie jeder andere Brunnen auch -- von Wasser, und nicht +von Eisen! + +Die Apotheke ließ sich auch nicht lange suchen, stand doch der heilige +Josef mit dem Knäblein an die Thür gemalt, und der steht, das wußte ich +schon, immer bei den Apotheken. Da drinnen war ein altes weißköpfiges +Männlein mit Brillen, die es dazu benützte, über- oder unterhalb +derselben recht schalkhaft auf mich herzublicken, als ich mein +Schweinsfett ausbot, das Pfund um sieben Groschen. Er fragte, ob Safran +in der Butten wäre! worauf ich eine Weile that, als besänne ich mich. + +»Na na,« näselte das Herrlein, »wenn Du Deine Schmier nicht gern +giebst, so geh nur gleich wieder!« Da ließ ich sie ihm ab. Er wog das +Küblein mit einer unendlichen Gleichgiltigkeit, das gab gerade drei +Pfund, das Holz wie das Fett zahlte er pro Pfund zu fünf Groschen. Der +Kübel wurde in eine dunkle Nebenkammer getragen, leichten Herzens bin +ich von ihm geschieden. -- Und nun um zwei Groschen Hasenöl! -- Solle +in einer Viertelstunde wiederkommen. + +Ich war hungrig und durstig geworden, ging hinaus und suchte ein +Wirtshaus. Es standen ihrer ein paar stattliche da herum, mit großen +Fensterscheiben, durch die schneeweiß gedeckte Tische zu sehen waren. +Ich traute ihnen nicht recht. Wenn andere +gute+ Wirtshäuser +suchen, so ist das ihre Sache, ich für meinen Teil suchte ein +schlechtes, war mir wohl bewußt, was draufgehen durfte. Glücklich fand +ich das gesuchte; die Stube war dunkel und voller Fliegen, die an den +braunen kleberigen Holztischen herumkrochen; das halbe Seidel Wein war +lau und kamig, aber naß, und das genügte mir. Die Semmel von vorgestern +war schon deshalb zweckmäßig, weil sie mehr ausgab als etwa eine von +heute. Diese Genüsse verschlangen zu meinem nicht geringen Schrecken +ein halbes Pfund Schweinsfett, und ich -- als der bloß nach Kindberg +geschickte -- durfte über das Kapital nicht verfügen! + +In die Apotheke zurückgekehrt, gab es dort Leute. Ich hatte zu warten +und setzte mich hinterwärts auf eine Winkelbank, von der aus schön zu +sehen war, wie dieses ehrwürdige Geschäft, mit allerhand Mitteln die +Leute gesund zu machen, betrieben wurde. Da kam jemand und verlangte +Fuchsschmalz. Das alte Männlein langte einen schwefelgelben Tiegel vom +Gesimse, stach mit einem zierlichen Schaufelchen ein Batzlein heraus +auf ein Papier, legte es auf die kleine Wage: »So, Vetter, da sind +vier Quintel Fuchsschmalz, kosten zwei Groschen.« Hernach verlangte +eine Frau Pillen. Eine andere bekam ein winziges Fläschchen. Ein Knabe +begehrte Dachsfett als Mittel gegen den Kropf. Der Apotheker langte +emsig nach dem schwefelgelben Tiegel auf dem Gesimse und gab, ähnlich +wie früher, das Verlangte. Das fiel mir auf, er mußte sich vergriffen +haben, in diesem Tiegel war doch das Fuchsschmalz. Hierauf wurden +Pulver angefertigt und kleine Schächtelchen und Fläschchen allerlei. +Ein altes Weib kam hereingehumpelt, beklagte sich über die Gicht, und +ob sie nicht eine Gichtsalbe haben könne. »Gewiß, liebe Frau!« sagte +das Männlein, langte wieder nach dem schwefelgelben Tiegel und gab +die Gichtsalbe heraus. Jetzt hub dieser schwefelgelbe Tiegel auf dem +Gesimse an mir unheimlich zu werden. Weil die Zeit verging und ich +immer noch nicht bemerkt wurde, so trat ich endlich aus dem Winkel +hervor und bat um mein Hasenöl. + +»Ei ja richtig, Kleiner. Du bist auch da. Du bekommst Hasenöl!« sprach +freundlich das Männlein, nahm den Schwefelgelben vom Gesimse und stach +mir gestocktes Hasenöl heraus. + +Noch hatte ich das kostbare Mittel, welches in ein ganz kleines +Tiegelchen gethan war, kaum geborgen in meinem verläßlichsten Rocksack +und es redlich bezahlt, als wieder ein Frauchen zur Thür hereinkam und +fragte, ob frisches Schweinsfett zu haben wäre als Medizin? + +»Vollkommen frisch!« rief der Apotheker, »heute erst bekommen!« und +stach aus dem schwefelgelben Tiegel Schweinsfett. + +Hierauf bin ich fortgegangen und habe gleich bei mir selber die +Erfahrung gemacht, wie heilsam so ein bißchen Hasenöl ist gegen die +Dummheit. -- Fuchsschmalz, Dachsfett, Gichtpflaster, Hasenöl und +Schweinsfett, alles in _einem_ Tiegel! Jetzt erst ist mir klar +geworden, welch einen Schatz von köstlichen Arzneien ich in meinem +Kübel aus dem Gebirge herabgeschleppt hatte. + +Als ich von der Bruckerstadt fortging, lagen die Schatten der Berge +schon weit in das Thal hinein. Meine Füße hatten sich in schwerem +Schuhwerk heiß gegangen, auch das Atemziehen machte sich wichtig, und +es war, als ob mir jemand ein hartes Brett fest an die Brust gebunden +hätte. Nach Alpel war es bloß noch acht Stunden. Weil es etwas langsam +voran ging, so holte mich ein Fuhrwerk ein. Zwei klobige Pferde zogen +einen großen Bauernwagen, auf dessen Vordersitz ein Bursche, etwa in +meinem Alter, kutschierte. Der Wagen selbst war fast leer. Er war mit +Lärchentaufeln (Faßdauben) nach Bruck zum Faßbinder gefahren, auf dem +Rückweg hatte er einen Sack Feldbohnen und einen Stock Salz aufgeladen; +daneben war noch reichlich Platz für einen einfältigen Buben, der am +Leiblein ein Paar müde Beine hatte, hingegen aber in der Tasche die +Salbe für Dummköpfe, die gescheit werden wollen. Ich war bereits so +gescheit, um den Burschen auf dem Wagen anzurufen, ob er mich aufsitzen +lassen wolle. + +»Wohin willst denn?« fragte er fast vornehm von seiner Höhe herab. + +»Heimzu.« + +»So setz dich auf, ich fahr auch heimzu.« + +Bald war der Bohnensack mein Kopfkissen und der Salzstock mein +Schlafkamerad, der Fuhrmann schnalzte mit der Peitsche, und es ging +knarrend voran. -- Viel weiß ich nicht von derselbigen Fahrt »heimzu«. +Einmal, als ganz zufällig die Augen aufgingen, sah ich kohlschwarze +Baumzacken in den nächtigen Himmel aufragen, welche ganz unheimlich +ächzten, knarrten und holperten. Und dann wieder nichts. + +Als ich erwachte, na, da war etwas! Da lag ich auf dem Wagen unter +einem alten Holzschoppen, um mich war ein heller Tag und eine fremde +Welt. Eine schreckbar fremde Welt. Der rauschende Bach mit der Mühle +daneben, das gemauerte Haus mit einer breiten, braunangestrichenen +Thür, der Anger mit den Pferden und solcherlei war mir seltsam genug, +noch unheimlicher war etwas anderes. Dort hinter den Waldbergen +stand breit und hoch etwas Weißes, Leuchtendes auf, fast ähnlich den +mittägigen Sommerwolken, wie sie sich am Sehkreise emporbauen, wenn's +nachmittags Gewitter giebt. Aber das stand so starr und ruppig und +rissig da im Sonnenschein, und von unten hinauf sah es aus, als ob +blauende Wälder sich hinanzögen, von steilen grauen Streifen überall +unterbrochen. Und höher oben war alles wie purer Stein, der zerklüftet +und zersprungen ist. Und so war es voran oben, und so war es rechts +oben, und so war es links oben und überall die ungeheure Höhe, daß mir +schwindlig ward, als ich den Kopf soweit nach rückwärts bog um hinauf +zu schauen. Mein Lebtag hatte ich derlei nicht gesehen. Zum Glücke kam +nun mein junger Fuhrmann, der fragte mit lautem Lachen, ob ich gut +ausgeschlafen hätte. Vom Wagen gesprungen war ich schon, so rief ich +nun voll Entsetzen: »Mensch, wohin hast mich geführt?« + +»Heimzu!« lachte er, »da bin ich daheim.« + +»Wie heißt's denn da?« + +»Da heißt's Tragöß,« sagte er. + +»Und das da droben? Was ist denn das lauter?« + +»Die Berge meinst?« + +»Nit die Berge, was +hinter+ den Bergen so steht, das meine ich.« + +»Jeßtl!« lachte der Bursche und klatschte mit beiden Händen auf seine +Knie, »das sind halt wieder Berge, da ist die Meßnerin, dort ist die +Pribitzen, und hier ist der Hochturm, und du sollst jetzt ins Haus +gehen Suppen essen.« + +So habe ich an jenem Morgen das erstemal die hohen Felsenberge in der +Nähe gesehen und jene Gegend, aus der mir fünfundzwanzig Jahre später +der Geist zu meinem »Gottsucher« aufgestiegen ist. Auf dem Tisch der +Hausstube, in die der Junge mich geführt, stand schon die dampfende +Suppenschüssel mit weißem Brote. Ich wollte aber den Löffel nicht in +die Hand nehmen; ißt du, so gehörst du ihnen, mußt dableiben und weißt +gar nit, wer sie sind. Von der Küche kam ein älteres Weib herein, das +schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als es hörte, wie weit ich +verführt worden war, und daß ich anstatt nach Krieglach im Mürzthale, +nach Tragöß am Fuß des Hochschwabengebietes gekommen bin. + +»Jetzt mußt erst recht essen, Bübel, daß Du nachher heimgehen magst.« + +»Frau Mutter, wie weit hab ich denn heim?« + +»Jetzt wart einmal,« antwortete sie und hub an, an ihren Fingern die +Ortschaften und die Stunden abzuzählen, »ihrer zwölf Stunden wirst +wohl brauchen bis ins Krieglach hinaus. Bist aber schon ein rechtes +Tschapperl! So fest schlafen! Mein Seppel hats freilich nit wissen +können, wo Du hinwillst und hat sich gedacht, 's wird eh recht sein ins +Tragöß herein. Aber das ist jetzt schon ein helles Kreuz. Mach Dir nur +nichts draus, mein Wagen hat Dich hergeführt, und Dein Schutzengel wird +Dich hinführen.« + +Während sie mich so tröstete, war draußen in der Küche fortwährend ein +klägliches Wimmern, und nun kam der Seppel herein und berichtete, das +Mentschl hätte halt wieder gar so viel Zahnweh. + +»Was aber das Zahnweh für ein Elend ist!« rief das Weib, »jetzt leidet +das Kind schon die ganze Nacht wie eine arme Seel im Fegfeuer. Alles +haben wir schon angewendet: heiße Tücher aufgelegt, kaltes Wasser +in den Mund gethan, mit Rosenbuschbalsam ausgewaschen, Kalmusgeist +hineingetropft, mit Salz eingerieben, einen Mariazeller Rosenkranz +umgehängt, zwei Zehen mit einem Seidenfaden zusammengebunden, die Füße +ins Ofenloch gesteckt und sonst allerhand Sympathiemittel angewendet. +Einen Kletzen hat's geholfen! Schreien thut das arme Wesen, als ob +man's wollt köpfen, und jetzt weiß ich nichts mehr. -- Katherl, +Katherl, Du gutes, armes Kindel Du! Wart einmal, jetzt will ich Dir +Hühnermist aufs Gnack legen, das zieht's aus, das hilft, Katherl, wirst +es schon sehen, das hilft!« Damit eilte sie wieder hinaus in die Küche. + +Das ganze Hausgesinde war zusammengeeilt um die Leidende, die nun +neuerdings anhub herzbrecherisch zu schreien: »Mein Zahnt, mein Zahnt! +Ahndl, mein Zahnt thut mir so viel weh!« + +»Laß nur Zeit«, tröstete die Angerufene, »das Mittel greift halt an, +jetzt wird's bald besser sein, schau, bist ja mein liebes Katherl, Du!« + +Auch ich war in die Küche hinausgegangen. Auf dem Herde, mit den Füßen +im Ofenloch, kauerte ein Dirndel, das ein so rundes, liebes Gesichtlein +hatte, seine gefalteten Hände, wie um Hilfe flehend, an die rechte +geschwollene Wange preßte und mich schrecklich erbarmte. Jedes im Hause +hatte schließlich noch ein Mittel gewußt, keines und gar keines hatte +geholfen. Ein Mensch war zugegen, der behauptete, Dummheit wär's, die +Zähne nicht ordentlich zu pflegen, und deswegen alleweil das Zahnweh! +-- Gott, wenn's von der Dummheit kommt, da muß ja mein Hasenöl helfen! +-- Aus meinem tiefen Sacke zog ich das kostbare Tiegelchen hervor +und aus meinem gescheiten Kopf den guten Rat, mit diesem gestockten +Hasenöl die geschwollene Wange einzuschmieren. -- »Schaden wird's wohl +doch nit, wenn's ein Hasenöl von der Apotheken ist, kann's unmöglich +schaden!« sprach die Großmutter und fettete das Dirndel ein. -- Nicht +fünf Minuten, so rief die Kleine aus: »Ahndl, jetzt ist's gut!« und +flink sprang sie vom Herde herab. + +Freilich ging nun meine Not an, denn alles Hasenöl wollten sie haben, +ich sollt nur sagen, was es kostet! Von ihren dringenden Bitten kamen +sie erst ab, als das geheilte Dirndel erklärte, der Zahn wäre so fest +gut geworden, daß er gar nimmer weh thun werde, also konnte ich mein +Öl wieder in den Sack stecken und sehen, wie man von Tragöß nach +Krieglach-Alpel kommt. + +Unterwegs bedachte ich das Hasenöl. Wenn es beim dummen Weber-Hartl +auch so heftig wirkt wie bei dem Zahnweh-Dirndl, dann geht er mit den +drei Weisen aus dem Morgenlande als der vierte. + +Nach einer fünfstündigen Wanderung war ich beiläufig wieder dort, wo +der müde Junge einen Tag früher in den Bauernwagen gestiegen. In einem +Gehöfte sprach ich zu und fragte, wie viel es an der Uhr sei, wie +weit es noch bis Krieglach wäre, ob ich wohl den richtigen Weg hätte. +Die gründlichsten Auskünfte haben sie gegeben, jedoch, ob ich etwa +einen Löffel Suppe möchte, das fragte niemand. Unter einem Kirschbaum +lag ein Mensch und wimmerte vor Kopfweh; allsogleich wollte ich mein +Mittel anbieten, jedoch ein Weibsbild behauptete scharf und stramm, das +Kopfweh sei in der vorigen Nacht in einem Wirtshause eingekauft worden, +und vor dem Abend gebe es gar kein Mittel; am Abend aber würde dieser +Kopf schon von selber gut, hingegen dürften nachher dem, der ihn auf +hätte, die Backen weh thun! -- Eine Handbewegung des Weibes hat das +undeutliche Wort sehr klar gestellt. + +Unterwegs nach Krieglach lud mich ein Flossenführer (Roheisenführer) +ein, auf seinen Eisenschollen Platz zu nehmen; ich besorgte, auch der +möchte mich »heimzu« führen in die Stanz oder in die Veitsch oder +sonstwohin; wollte daher ablehnen. Der Fuhrmann kannte mich aber und +sagte, daß er über Alpel nach dem Rettenegger Hammer fahre -- ja, das +war freilich eine Schickung Gottes. Gelegen bin ich mein Lebtag schon +weicher als damals auf den Eisenflossen, geschlafen habe ich selten +besser. Richtig hätte ich mich jetzt auch an Alpel vorbei bis weit +hinüber ins Rettenegg geschlafen, wenn mein Führer mich nicht abgesetzt +hätte beim Heidenbauern-Thörl, nahe von daheim. + +Um Mitternacht kam ich zu Hause an. Sie waren ein wenig in Spannung +und schliefen noch nicht. »Wir haben schon gemeint, der Kindberger +Apotheker hat zum Schweinschmalz Dich selber als Draufgab genommen«, +sagte der Vater, das war Spaß. Dem alten Weber Hartl jedoch war etwas +ganz anderes eingefallen. Er erinnerte sich einmal gehört zu haben, daß +die Apotheker jährlich ein Menschenkind abthäten, um daraus eine ganz +besondere Medizin für ganz besondere Krankheiten zu gewinnen. -- Es +war wohl die höchste Zeit für den alten Hartl, daß ich mit dem Hasenöl +heimkam! + +Erst steckte er seine Nase ins Tiegelchen. »Scharf schmecken thut's, +das wird schon angreifen«, murmelte er, »thut eh schon wieder so viel +brummen im Kopf.« Mein Vater roch auch und schaute mich grauenhaft +strenge an. -- Ich hatte nie begriffen, weshalb die Apotheker auf jeden +Tiegel, den sie verkaufen, einen Zettel mit ihrem Namen und Wohnort +kleben. Jetzt ward es mir klar, ohne diesen Zettel auf dem Tiegelchen +hätte man es mir daheim niemals geglaubt, daß ich mein Hasenöl nicht +aus dem Schweinsfettkübel genommen, sondern aus der Apotheke zum +heiligen Josef in Bruck. + +»Hat er's genommen, wo der will,« rief der alte Weber hochgemut aus, +»wenn's nur hilft!« und begann sich gleich die Stirn einzureiben mit +dem Hasenöl. + +Hat's geholfen? -- Nun, die Wahrheit zu sagen, beim alten Weber Hartl +konnte eine nennenswerte Besserung nicht nachgewiesen werden, hingegen +ist mein Vater durch dieses Hasenöl klüger geworden, obschon er sich +damit gar nicht eingerieben hatte. Er hat wohl auch in späterer Zeit +noch manches Küblein Schweinsfett, manches Bündlein Wurzeln und Kräuter +in die Apotheke geschickt -- holen aber ließ er nichts mehr aus ihr. -- +Das für alles heilsame »Hasenöl« hat uns für alle Zukunft geheilt. + + [Illustration] + + + [Illustration] + + + + + Als ich mir die Welt am Himmel baute. + + +War damals ein Bursche von zwölf Jahren. Trug eine ungebleichte +Leinwandhose, eine Jacke aus grauem Wilfling und eine buntgestreifte +Zipfelmütze. War barfuß und ungeschickt im Gehen und Laufen, jeden Tag +trug ich eine andre Zehe in der Binde. Die Haare hatte ich mit den fünf +Fingern vorn herabgekämmt, mit den Zähnen kaute ich an einem Strohhalm. +Es war mit mir bisweilen nichts anzufangen; wenn man mich auf das Feld +stellte, so stolperte ich über den Pflug und den Spaten, und wenn man +mich in den Wald schickte, so hieb ich die Axt anstatt in das Holz in +einen Stein, und bald war die Schneide des Werkzeuges so stumpf, daß +man hätte darauf reiten können. Und dann stand ich da und hielt die +zehn Finger in den Händen und glotzte zum Himmel auf. + +Unsere Waldberge waren mir schon gar so lästig geworden, das ewige +Dunkelgrün und das ewige Vogelzwitschern und Windrauschen war nicht +mehr auszustehen. Es war ein Einerlei, nicht zu sagen. Und ich sann, +ich träumte anderem nach. Da -- eines Tages -- ich weidete unsere +Herde auf der Hochöde, wie wir ein hochgelegenes Brachfeld, auf dem +schon die Eriken und Wachholder wuchsen, nannten -- entdeckte ich +-- den Himmel, den wunderbaren, ewig mannigfaltigen Wolkenhimmel. +Ich war nun plötzlich entzückt über die Formen und wunderbaren +Gestaltungen in allen Lichtarten. Ich wunderte mich nur, daß mir der +Wolkenhimmel nicht schon längst aufgefallen war. So stand ich nun +da und sah empor zu der neuen Welt, zu den Ebenen und Bergen und +Schluchten, zu den ungeheuerlichen Tieren, die bewegungslos dastanden +und dennoch dahinkrochen und sich reckten und dehnten und Arme und +Beine ausstreckten, die sich wieder in Wedel und Rümpfe und Flügel +verwandelten. Und ich glotzte die Luftschlösser an, die sich vor mir +aufbauten, und kaute dabei an meinem Grashalm. + +Von nun an war auf der Heide meine Freude, und gerne weidete ich die +Herde, weidete ich dabei doch auch die lockigen Lämmer des Himmels. + +In demselben Jahre war ein heißer Sommer, da ging's am Himmel wohl +auch oft ein wenig einförmig zu, aber des Morgens und des Abends gab's +doch immer was zu sehen. Ich war eine Zeit lang wie vernarrt in das +Firmament. Mein Vater wunderte sich, daß ich oft gar der erste aus +dem Bette war, daß ich die Morgensuppe stehen ließ und die Rinder mit +einer fast ängstlichen Behendigkeit auf die Hochöde jagte. Er wußte +nicht, warum. Ich aber setzte mich in der Hochöde auf einen Stein, über +welchen das Moos ein zartes, gelblich-grünes Sammetpelzchen gelegt +hatte, und während die Kühe und die Kälber emsig im Heidekraut grasten +und dabei mit ihren Schellen lustig glöckelten, biß ich allfort an +einem dünnen Federgrashalm und blickte hin gegen Sonnenaufgang. Da war +zuerst über dem fernen Gebirgszug des Wechsels eine dunkle mattrote +Bank; sie dehnte sich weit, weit hin und verlor sich, man wußte nicht +wo. Mit einemmale zogen sich goldige Fäden durch, und die ganze +Wolkenbank wurde lieblich durchbrochen von Licht und sah nun aus wie +ein ungeheurer rotglühender Eisenklumpen. + +Da waren alle meine Kühe plötzlich rot, und das Heidekraut war rot, +das sie grasten, und die Steine waren rot, und die Stämme am Waldrande +waren rot, und meine Leinwandhose war rot. Jetzt flammte am Rande +der Wechselalpe plötzlich ein kleines Feuer, wie es Hirtenjungen +gern anzünden, wenn sie sich Erdäpfel braten wollen. Aber das Feuer +dehnte sich aus nach rechts und links und ging in die Höhe; das +war ja ein Brand, zuletzt brannten dort alle Alpenhütten? Aber in +einer wunderbaren Regelmäßigkeit hob sich der Brand empor, und eine +großmächtige Glutscheibe tauchte auf -- die Sonne. Da hatten meine Kühe +und die Steine und ich auf einmal lange Schatten hin über die Heide. +Mein Schatten war so lang, daß, wenn er vom Boden aufgestanden wäre, +er mit seinen Fingern in den weißgelblichen Wolkenballen des Himmels +hätte Wolle zupfen können. Die Nebelbank über dem Gebirgszuge wurde +schmächtiger, es ging ihr ans Herz, noch streckte sie einen glühenden +Speer aus, der ging mitten durch die Sonne, aber er schmolz, und die +Sonne wurde kleiner und funkelnder, und bald war die Wolkenbank, waren +die roten Fäden am Gesichtskreise verschwunden. + +Hie und da in der weiten Himmelsrunde hing es wohl noch wie weiße +Wolle, und dort und dort schwamm ein Federchen hin, aber bald gingen +auch die Federchen verloren, und die Wolle wurde unmerklich langsam +auseinandergezupft in leichten Locken und dünnen Fädchen, und auf +einmal war gar nichts mehr da als der tiefblaue Himmel und der +blitzende Sonnenstern. + +Es lag fast wie Dunkelheit über den Waldbergen, so unsäglich klar und +leer war der Himmel, es war, als ob die Sonne zu klein werden wollte +für die unendliche Weite. + +Gegen die Mittagszeit ging die Bläue etwas in das Graulichte über, +da sah es noch sonniger aus, und es war sehr heiß. Meine Herde hatte +schon kühles, schattiges Dickicht aufgesucht, um sich die stechenden +Fliegen abzuhalten; ich saß noch auf dem Stein und sah den Himmel an +und dachte, wie schön das sein müßte, wenn die Himmelsrunde ein Spiegel +wäre, und wenn das Bild der ganzen Erde drin läge mit aller großen +Herrlichkeit; vielleicht hätte ich dann von meiner Hochöde aus fremde +Länder und große Städte sehen können. + +Nach der zwölften Stunde, die ich an dem Schatten einer +aufrechtstehenden Stange bestimmte, erhob sich gewöhnlich ein Lüftchen, +das ein paar Stunden fächelte und leise in den Bäumen säuselte. Das +war zum Einschlummern süß zu hören. Mir fiel gar der Grashalm aus dem +Munde. Die Ameisen konnten innerhalb meines Höschens emporkrabbeln, wie +sie wollten, ich gewahrte sie nicht. Ja, ich gewahrte es nicht einmal +und wußte nicht, wie es kam, aber plötzlich waren auf allen Seiten +des Gesichtskreises, sowohl über den schwarzbläulichen Waldbergen +der Mittagsseite, als über der Wechselalpe und über den Matten der +Mitternachtshöhen, hinter welchen die kahle, wettergraue Rax aufragte, +und über der fernen Felsenkette der Abendseite -- schneeweiße Wolken. +Sie waren in halbrunden Haufen, sie waren wie dicht aufqualmender +Rauch, der plötzlich versteinert wird zu weißem Marmor. + +Die Ränder waren so scharf, wie mit einer feinen Scheere von Papier +geschnitten. Ganz unbeweglich schienen die Wolken, und doch änderten +sie sich in jedem Augenblick und bauten sich auf, eine über die +andere, und schoben sich von unten nach, dichter und dichter, grauer +und grauer, oder es war jählings ein Riß, eine Lücke hinaus in die +unendliche Bläue. + +Und hoch oben über meinem Scheitel standen auch Wolkenschichten, grau, +stellenweise ganz dunkel, aber mit lichten, federartigen Rändern. + +Da blickte man hin und sah das Verwandeln nicht und sah die +Verwandlung. Wie war das wunderbar! Ist es möglich, daß das jeden Tag +geschieht, und die Menschen achten es nicht, bemerken es nicht einmal +und wundern sich mehr über ein artiges Taschenspielchen als über den +allherrlichen Wolkenhimmel? + +Die Schichten über der fernen Felsenkette waren niedlicher und +gegliederter als die näheren Ballen; sie waren zum Teile bläulich wie +der Himmel und wären von diesem oft kaum zu unterscheiden gewesen, wenn +die Ränder nicht milchweiß geglänzt hätten. + +Ich that die Füße auseinander, bückte mich und guckte zwischen den +Beinen hindurch auf die fernen Wolkenschichten hin, um durch diese +ungewohnte Lage des Blickes ein möglichst abenteuerliches Bild zu +schauen. Da sah ich unerhörte Bergriesen mit den schwindelndsten Kuppen +und schauerlichsten Abgründen, und da ragten die Felshörner, und da +glänzten die Gletscher in unermeßlichen Höhen. Wenn dann vor diesen +Gebilden ein dunkles Wölkchen dahinschwamm, so hielt ich das für einen +riesigen Steinadler oder gar für den Vogel Greif. Das war mein Tirol, +von dem ich schon gehört hatte, und ich guckte so lange zwischen den +Beinen darauf hin, bis ich schwindlig wurde und in das Gras purzelte. + +Fürchterliche Riesen mit goldigem Mantelsaum, mit verknorrten Gliedern +und gewaltigen Köpfen standen am Himmel und schwangen ihre Arme und +streckten ihre Finger nach der Sonne aus. Die Sonne hatte sich lange +sehr geschickt zwischen diesen Ungeheuern durchgewunden, aber endlich +ging sie doch ins Netz. Da lag dann ein dunkler Flecken über dem +Waldlande oder über den kleinen reifenden Feldern im Thale, und es +lagen mehrere Flecken und zogen sich langsam hin auf ebenen Flächen und +krochen wachsend empor an Hängen und verschwanden endlich wieder. + +Je mehr die Sonne niedersank, desto schwächer wurde ihr Strahl; der +Himmel graute, aber die dichten Wolken schwanden, gingen in Federn und +Fransen aus, und gegen Abend weideten am Firmamente, wo früher die +Ungeheuer gestanden, milde, weiße Lämmchen. + +Nur die Bilder über der fernen Felsenkette blieben am längsten. Aber +auch dort waren großartige Veränderungen; das gewaltige Hochgebirge war +zu einer leuchtenden Stadt mit goldigen Türmen und Kuppeln und Zinnen +geworden. Das war mein Zion, ich blickte wieder zwischen den Beinen +darauf hin. + +Aber wie wenn das ganze Reich von Butter gewesen wäre, so zerging es +nun, als die Sonne nahe kam, und es dehnte sich eine weite Ebene aus +über der Felsenkette, eine rötlich-graue, unabsehbare Ebene mit Licht- +und Schattenfäden und darüber hin der Himmel. Das war mir das Meer, und +ich guckte wieder durch mein dreieckiges Fernrohr. + +Die Sonne durchbrach die Ebene und tauchte als große rote Scheibe +hinter den scharfen Kanten der Felsen hinab. Da lagen rote Linien und +glühende Nadeln darüber hin, die noch lange leuchteten und erst zur +späten Stunde erloschen, als über unserem Gehöfte schon die Stille +der Nacht lag und am Himmel die Sterne sichtbar wurden oder das milde +Mondlicht liebliche Schleier wob. + +So waren die Tage des Juli und August. Die Kornfelder im Thale nahten +langsam der Reife, sie wurden gar sorgfältig bewacht, sie machten für +den Winter die einzige Hoffnung aus. Die Früchte an den Berghängen aber +waren im Verdorren, denn es rieselte wochenlang kein Regen. Da blickten +auch andere Leute zuweilen aufwärts zu den Wolken oder hin gegen die +Rax, die aber stets klar war und an der nie die Nebelflocke klebte; +eine Nebelflocke an der Rax war das einzige sichere Anzeichen eines +nahen Regens. + +Ich saß täglich auf meiner Hochöde und sah den Himmel an. Ich wußte +nicht, warum, ich dachte mir es auch kaum, was ich sah, ich fühlte es +nur. + +Einmal gegen die Abendstunde hin saß über der Felsenkette ein +ungeheures Eichhörnchen. Es setzte seine Vorderfüßchen gerade auf, +es hatte ein deutliches Schnäuzchen und spitzte die Ohren, und der +buschige, sanft wollige Schweif ging weithin gegen die Neubergeralpen. +Es war ein launiges Wolkengebilde, gar ein Äuglein hatte das Tier, ein +blaues Äuglein, durch welches der klare Himmel guckte; aber auf einmal +wurde es licht und funkelnd in diesem Auge, und es warf einen mächtigen +Strahl über den ganzen Himmel. Es hatte sich hinter der Wolke ja die +Sonne verborgen gehalten. Endlich erlosch das Auge wieder, ich wußte +nicht, hatte ein Wölklein das Lid zugedrückt oder war die Lichtscheibe +zu sehr gesunken; aber ich wartete, bis die Sonne unterhalb am +Halse herauskommen würde, und ich freute mich schon auf das goldige +Halsgehänge, das mein Eichhörnchen bekommen sollte. Aber siehe, während +ich so wartete und mich freute, war das Tier zu einer formlosen Masse +geworden, nur der buschige, sanft wollige Schweif ging noch weit hin in +das Österreicherland. + +Einmal war der Himmel mit einer leichten, gleichmäßigen Nebelschichte +umzogen, auf welcher tiefer liegende Wolken verschiedene Figuren +bildeten. So kroch eine Kreuzspinne dahin und der Sonne zu. Die +Kreuzspinne war riesig groß, und meine Phantasie sah acht oder zehn +Füße. Sie kam der ohnehin matt scheinenden Sonne immer näher, und sie +fraß sie auf, so daß ein tiefer Schatten lag über dem Waldlande. Als +ich wieder hinaufsah, war das Gebilde verschwommen, und eine plumpe +Wolkenmasse verhüllte die Sonne. + +Wieder zu anderen Tagen war es aber wirklich lebendig am Himmel. Von +der Felsenkette über unsere Waldberge und gegen Morgen und Mittag hin +zog ein endloses Heer von Wolken. Stellenweise wanderten sie einzeln, +stellenweise wieder in großen Gruppen und Massen, licht und dunkelgrau +und »wollig« und »lämmelig«, und sie duckten sich untereinander, und +sie ritten übereinander, und es war eine wüste Flucht. In den Wäldern +rauschte unwirtlich der Wind. + +Das war eine wahre Völkerwanderung am Himmel tagelang. Ich fragte die +Wolken, woher sie kamen, wohin sie zogen; sie hatten nur Schatten für +mich und keine Antwort. + +Nach den Tagen des Windes blieb der Himmel eine zeitlang gleichmäßig +trüb, und es strich eine kühle, oft fast frostige Luft. Die Leute +meinten, nun werde der ersehnte Regen kommen. Aber das Wolkengewölbe +wurde lichter und durchsichtiger, und endlich sah man durch dasselbe +wieder den weißen Punkt der Sonne schimmern. + +Ich vergaß wohl die welkenden, verdorrenden Pflanzen der Erde, die +bereits fahl oder rot gebrannt waren, ich vergaß auch die Waldvöglein, +die nicht mehr singen wollten, weil sie schier vertrocknete Kehlen +haben mochten, ich freute mich, daß sich der Himmel wieder erheiterte. +Die Wölklein waren nun so zart und leicht und milchweiß, und leichte +Fäden zogen hin, als ob in den weiten Lüften eine unsichtbare +Spinnerin wäre, oder ein Webstuhl stünde in der hohen Himmelsrunde. + +Und aus all den wunderbaren Geweben fügten sich Nester mit Eiern und +schneeweißen Tauben; dann machten diese Tierchen hohe Krägen und +schnäbelten miteinander, und da dachte ich mir: zuweilen trifft es doch +zu, daß der Himmel ein Spiegel ist für die Erde. Ich hatte zu derselben +Zeit mehrmals von einem Müllerstöchterlein geträumt, das Maria hieß und +ein schneeweißes Hemdchen trug. + +Die Himmelsgebilde waren an diesen Tagen gar zu lieblich, und dazu +hauchte eine labende Kühle von der fernen Felsenkette her. Die Leute +aber waren mißmutig, man hörte kein Singen und Jauchzen, das sonst den +Wald so lebendig macht. Es war eine eigenartige Trägheit im Walde. + +Endlich, eines Morgens -- es war ein tiefblauer Himmel -- klebte an der +halben Höhe der Rax ein Nebelchen. Die Leute jubelten; ich betrachtete +gedankenlos die Flocke an der Felswand, die fast den ganzen Vormittag +in derselben Stellung blieb. Es zog ein beinahe frostiger Alpenhauch, +zur Mittagsstunde aber wurde es empfindlich schwül. + +Am Gesichtskreise stiegen wieder die vielgestaltigen Wolkenhaufen auf. +Die Sonne verzog sich für kurze Zeit; an der Mitternachtsseite gingen +mattgraue Streifen nieder, und man hörte mehrmals ein dumpfes Donnern. +Das Gewitter verging, ohne daß auf unsere Gegend ein Regentröpfchen +fiel. Das Wölkchen an der Rax war längst verschwunden. Über der +Felsenkette baute sich sandgraues Gewölke, und eine gleichmäßige +Schichte zog sich über den ganzen Himmel. + +Das Waldland lag im Schatten, kein Vöglein war zu hören, nur vernahm +man zuweilen den Pfiff eines Geiers. Ich wäre noch gern auf der Hochöde +geblieben und hätte die so ruhsamen Dinge betrachtet, aber meine Herde +graste thalab und gegen unser Haus, ehe es noch Abend wurde. + +Als ich zum Hause kam, stand die Mutter am Gartenrain und betete aus +einem Buche halblaut das Evangelium des heiligen Johannes und machte +mit dem hölzernen Kruzifix unseres Hausaltares Kreuze nach allen +Himmelsrichtungen hin. + +Es war noch die Sonne nicht untergegangen, aber es war schon ganz +dunkel. Das Bächlein unten in der Schlucht war so klein, daß es nur +sickerte, und doch war ein seltsames Brausen wie von einem mächtigen +Wasserfalle. Der Hof lag wie träumend da, die Tannen daneben regten +sich nicht. Ein großer, glitzernder Habicht schwamm von der Hochöde +hernieder und über den Hof hin. Im Gewölke hallte ein leises, fast +röchelndes Donnern, das sich mit Mühe weiter zu drängen schien und +plötzlich erstickte. + +An der Mitternachtsseite des Hauses wurden die Fensterbalken +geschlossen; einzelne Schwalben flatterten verwirrt unter dem Dache +umher. Der Brunnen vor dem Hause spritzte zuweilen unregelmäßig über +den Trog hinaus, und doch merkte man kein Lüftchen. Mein Vater ging vor +der Hausthüre auf und ab und hielt die Hände über den Rücken. + +Plötzlich begann es in den Tannen zu rauschen, und mehrere bereits +vergilbte Ahornblätter hüpften vom Walde heran. Regentropfen schlugen +nieder und spritzten von der Erde wieder auf. Jetzt war es wie ein +schwaches Aufleuchten durch die Abenddämmerung, dann tanzten wieder +lose Blätter über den Anger. In den Wolken rauschte es wie das Rollen +wuchtiger Sandballen. + +Nun brach es los. Die Bäume wurden lebendig, und es krachten die +Strünke. Vom Dache der Scheune rissen sich ganze Fetzen los und tanzten +in den Lüften. + +In demselben Augenblicke sauste das erste Schloßenkorn nieder; hoch +sprang es wieder auf und kollerte hüpfend über den Boden hin. Das +Schloßenkorn war so groß wie ein Hühnerei. + +Die Leute sahen es, und mit einem leisen: »Jesus Maria!« eilten sie +ins Haus. Ich blieb so lange im Freien, bis mir ein Eisklumpen auf die +Zehen fiel, daß ich vor Schmerz fast zusammensank; dann huschte ich +unter das Dach. + +Nun war eine halbe Stunde lang nichts als ein fürchterliches Geknatter. +Die Leute beteten den Wettersegen, aber man verstand kein einziges Wort. + +Zuletzt klirrten gar die Fenster der Morgenseite, auf den Dächern +knatterte es gräulich, und zackige Schloßen kollerten in die Stube, und +der Wind wogte herein und blies die geweihte Wetterkerze aus und fachte +das Herdfeuer an zu einem wilden Sprühen, und wir glaubten schon, +es käme uns das Feuer zum Rauchfang hinaus. Erst als ein gewaltiger +Donnerschlag krachte und ein zweiter, legte sich das Mark und Bein +durchdringende Getöse, und es zog nur noch ein eiskalter Luftzug durch +die Fenster, und es rieselte der Regen. Endlich legte sich auch dieser. +Es war Nacht geworden; draußen lag eine Winterlandschaft. + +Wir nahmen kein Nachtmahl, wir gingen nicht zur Ruhe. Ich legte +Strohschuhe an und ging mit meinem Vater hinaus auf das hohe knisternde +Eis. Wortlos schritten wir um das Gehöfte. An den Gebäuden lagen Haufen +von Schloßen und Dachsplittern, unter den Tannen waren hohe Schichten +von Reisig, und die schönen Stämme hatten nur kahles oder zerzaustes +Geäste. Auf dem Kornfeld und auf dem Kohlgarten lag die gleichmäßige +Eisschicht; kein einzig Hälmlein, kein einzig Häuptchen ragte hervor. + +Mein Vater stand still, hielt die Hände über das Gesicht, und seine +Atemstöße zitterten. + +Von der Mittagsseite war noch das ferne Murren des Gewitters zu hören. +Über dem Wechsel ging zwischen zerrissenen Wolken der Mond auf, und +aus dem dunklen Grunde der Wälder erhoben sich weiße Nebelgebilde. Am +Himmel standen zarte Flocken mit silberigen Rändern. + + [Illustration] + + + [Illustration] + + + + + Von meiner Mutter. + + +In der Stadt Graz war der lustige Karneval. An den Abenden ein tolles +Gedränge auf den Gassen, ein fast betäubendes Rasseln der Wagen, ein +Johlen und Schreien, ein Flimmern und Leuchten aus den Gewölben und +Auslagen und von den hundert Laternen und zahllosen Transparenten +der Fenster. Gold und Silber, Seide und Damast funkelten aus den +Glaskästen. Gesichtsmasken in allen Farben und Formen grinsten daneben. +Ha, das Leben ist ja gar so toll. Ich eilte durch das Gedränge. Die Uhr +am Schloßberge that sechs Schläge, so hell -- sie überklangen alles +Geräusch, sie widerhallten von den hohen, lichtdurchbrochenen Mauern +der Häuser. Eine ernste Mahnerin ist der Ruf der Uhr; möge der Mensch +auch kindisch spielen mit Flitter und Tändelei, sie rechnet ihm die +Stunde vor und schenkt ihm nicht eine Minute. + +Ich ging nach Hause in meine stille Stube und begab mich bald zur Ruhe. + +Des andern Morgens lag das Winterglühen der Sonne auf den schneeigen +Dächern, ich schrieb eben das Märchen auf von dem verlornen Kinde -- +als es an meiner Thür klopfte. Ein Mann trat herein und brachte mir +folgendes Telegramm: + + »Lieber Sohn, gestern Abends um sechs Uhr ist unsere liebe Mutter + verschieden. Komme zu uns, wir erwarten Dich in größter Trübsal. Dein + Vater.« + +-- Gestern Abends, als ich durch das Weltleben schritt, war es +geschehen in der armen Hütte. Und zur sechsten Stunde. + +Am andern Tag in der Morgenfrühe war ich im Pfarrdorfe. Allein trat +ich den Weg an, über schneefunkelnde Höhen und durch lange Wälder, +weit hinein in das einsame Gebirgsthal. Unzähligemale war ich den Weg +gewandelt, immer hatte ich mich ergötzt an dem Glitzern des Schnees, +an den funkelnden Eiszapfen, an den Schneemänteln der Baumäste, oder +wenn es Sommerszeit war, an dem Grünen und Blühen und Duften, an dem +Vogelsang, an den Tropfen des Lichtes, die niedersickerten zwischen den +Ästen, an der Ruhe und tiefen Einsamkeit. Wie oft war ich hier mit der +Mutter gegangen, als sie, noch gesund und blühend gewesen, und später, +als sie durch Krankheit schon zum Krüppel gemacht, an meinem Arm +einherwankte. -- Und ich dachte auf diesem Waldweg an den Lebenslauf +meiner Eltern. + +Er war junger Mann im Waldhofe gewesen. + +Die Leute heißen ihn den Lenz, nicht weil er so jung und blühend und +heiter war wie der Lenz, sondern weil er Lorenz hieß. + +Sein Vater war, bei einem Raufhandel schwer verletzt, nur kurze Zeit +krank gewesen und eines frühen Todes gestorben. + +Nun war der Lenz Besitzer des Waldhofes. Um die Traurigkeit seines +Vaters wegen ein wenig in den Hintergrund zu drängen, that er etwas +Gutes, er suchte sich ein Weib. Er nahm schier die Ärmste und +Unbeachtetste, die im Waldthale war -- ein Mädchen, das schauderlich +schwarz war die ganze Woche hindurch, das aber am Sonntage doch +ein gar zartes weißes Gesichtchen hatte. Es war das Kind einer +Kohlenbrennerin, das für seine betagte Mutter arbeitete, seinen Vater +aber nie gesehen hatte. + +Ein Jahr nach der Hochzeit, im Sommer, schenkte die junge Waldbäuerin +ihrem Lenz den Erstgebornen. Der erhielt den Namen Peter und läuft nun +damit durch alle Welt, ein ewiges Kind. + +Ihr Leben war so eigenartig, ihr Leben war so gut, ihr Leben hatte eine +Dornenkrone. + +Unser Hof war nicht klein und seiner Tage gut bestellt; aber meine +Mutter spielte nicht die vornehme Bäuerin, sie war die Hausfrau und die +Dienstmagd zugleich. + +Meine Mutter war gelehrt, sie konnte »Drucklesen«; das hatte sie von +einem Köhler gelernt. Sie kannte die biblische Geschichte auswendig, +und sie wußte eine Unzahl von Sagen, Märchen und Liedern -- das hatte +sie von ihrer Mutter. Dabei war sie Beistand mit Rat und That, und sie +verlor in keinem Unglücke den Kopf und wußte immer das Rechte. -- »So +hat's meine Mutter gethan, so hat's meine Mutter gesagt,« meinte sie +stets, und das war ihre Lehre und Nachfolge, selbst als ihre Mutter +schon lange im Kirchgarten ruhte. Freilich war zuweilen ein wenig +Köhlerglaube dabei, aber in einer Gestalt, daß er nicht schadete, +sondern daß er eine milde Poesie verbreitete über das arme Leben in den +Waldhäusern. + +Die Armen kannten meine Mutter weit und breit; umsonst klopfte keiner +an ihrer Thür, hungrig ging keiner davon. Wen sie für wahrhaft arm +hielt, und er bat um ein Stück Brot, so gab sie einen halben Laib, +und bat er um ein »Gafterl« Mehl, so reichte sie ihm auch ein Stück +Schmalz dazu. Und »gesegn' Euch's Gott!« sagte sie dazu, -- das sagte +sie immer. + +»Wo werden wir hinkommen mit unserer Sach', wenn Du alles verschenkst?« +sprach zu ihr mein Vater oft schier ungehalten. + +»'leicht gar in den Himmel hinauf,« antwortete sie, »meine Mutter hat +oft gesagt, jedes Vergeltsgott von den Armen graben die Engel in den +heiligen Thron Gottes ein. Wie werden wir froh sein zu einer Zeit, wenn +wir bei dem lieben Herrgott die Armen zu Fürbittern haben!« + +Mein Vater fastete gern jeden Samstag und nahm oft keinen Bissen zu +sich, ehe die Schatten zu wachsen anhuben. Er that das zu Ehren unserer +lieben Frau. + +»Ich sag, Lenz, ein solches Fasten hilft nichts für eine gute Meinung,« +versetzte da meine Mutter zuweilen, »was Du heut dabei ersparst, das +kannst Du morgen essen. Meine Mutter hat immer gesagt: was übrig bleibt +durch das Fasten, das opfere der Armut Lasten. -- Ich denk, sonst thut +es nichts helfen.« + +Mein Vater betete an den Abenden, besonders zur »Rosenkranzzeit«, an +den Samstagen gern lange und laut, that aber dabei häufig allerhand +Verrichtungen, als Schuhnageln, Beinkleider ausflicken, oder sich gar +rasieren. Dabei verlor er nicht selten den Faden vom Gebet, so daß ihm +meine Mutter die Dinge oft aus den Händen nahm und rief: + +»Meiner Tag, was ist denn das für ein Beten! Knie zum Tisch und bet +drei Vaterunser mit Fleiß, ist besser wie drei Rosenkränz', bei dem Dir +unter dem Herumdalgern der bös' Feind die guten Gedanken stiehlt!« + +Wenn zu Zeiten die Arbeit schwer war, so hielt meine Mutter viel auf +einen guten Tisch. -- »Wer lustig arbeitet, mag auch lustig essen,« +meinte sie, »meine Mutter hat alleweil gesagt: wer sich nichts traut +anzubringen, der traut sich auch nichts zu gewingen.« + +Mein Vater nahm vorlieb mit schmaler Kost; er fürchtete immer den Ruin +des Hauses. + +Das waren in der Ehe die einzigen Zwistigkeiten. Aber sie griffen nicht +tief. Sie äußerten sich nur gegeneinander; wenn der Vater mit fremden +Leuten sprach, so pries er die Mutter; wenn die Mutter mit fremden +Leuten sprach, so pries sie den Vater. + +In der Kinderzucht waren sie eins. Arbeit und Gebet, Sparsamkeit und +Redlichkeit waren unsere Hauptgebote. + +Vom Vater bekam ich nur ein einzigmal ordentlich die Rute. Vor dem +Hause hin war junger Lärchen- und Tannenanwuchs, der nach und nach +so hoch emporwuchs, daß er die Aussicht auf die jenseitigen Berge +verdeckte. Ich hatte aber diese Aussicht lieb, und ich meinte, auch +der Vater müsse mir Dank wissen, wenn ich -- wie ich damals ein +unternehmender Knabe war -- die Bäumchen umhieb. Und richtig, eines +Nachmittags, als alle auf dem Felde waren, schlich ich mit einer Axt in +das Wäldchen und hub an junge Bäume umzuhauen. Da kam zu guter Stunde +mein Vater herbei; aber der Dank, den er mir wußte, sah wunderlich aus. +»Leih mir die Hack', Bub!« sagte er ruhig. Ich dachte, jetzt greift +er selber zu, um so besser, und gab ihm die Axt. Er haute damit eine +Birkenrute ab und strich sie glatt über meinen Rücken. »Wart!« rief er, +»wenn Du den jungen Wald umbringen willst? Er hat noch Ruten für Dich!« + +Von meiner Mutter bekam ich die Rute auch ein einzigmal. Da stieß ich +einmal -- wie ich schon gern auf dem Herde saß, wenn die Mutter kochte +-- den vollen Suppentopf um, so daß das halbe Feuer gedämpft wurde und +ich mir schier die bloßen Füßchen verbrannt hätte. Meine Mutter war den +Augenblick nicht dagewesen, und als sie nun auf das mächtige Gezische +herbeieilte, rief ich, feuerrot im Gesichte: »Die Katz', die Katz' hat +den Suppentopf umgeworfen!« + +»Ja, dieselb' Katz' hat zwei Füß' und kann lügen!« versetzte die Mutter +und nahm mich und strich mich eine lange Zeit mit der Rute. »Wenn Du +mir noch einmal lügst,« rief sie hernach, »so hau' ich Dich mit dem +Ofengabelstiel!« Ein arges Wort! Aber die Ausführung ist -- Gott Dank +-- nicht nötig geworden. + +Hingegen wenn ich gut und folgsam war, so wurde ich belohnt. Mein Lohn +waren Lieder, die sie mir sang, Märchen, die sie mir erzählte, wenn wir +zusammen durch den Wald gingen oder sie abends an meinem Bett saß. Das +Beste in mir -- ich habe es von ihr. Sie hatte in sich eine ganze Welt +voll Poesie. + +Als nach und nach meine Brüder und Schwestern kamen, da hat uns die +Mutter alle gleich geliebt, keines bevorzugt. Als hernach zweie in +ihrer Kindheit starben, sah ich die Mutter das erste Mal weinen. Wir +anderen weinten mit ihr und weinten fortan immer, so oft wir die +Mutterthräne sahen. + +Und das war von dieser Zeit an gar oft. + +Zwei Jahre lag der Vater auf dem Krankenbette. Wir hatten Unglück an +Hof und Feld, Hagel und Viehseuche kam, unsere Kornmühle brannte nieder. + +Da weinte die Mutter im Verborgenen, daß wir Kinder es nicht hätten +sehen sollen. Und sie arbeitete unablässig, sie grämte sich und wurde +endlich krank. Die Ärzte der ganzen Gegend wurden herbeigezogen; sie +konnten nicht helfen, aber gut rechnen; nur einer sagte: + +»Ich nehme nichts von so armen Leuten.« + +Jawohl, trotz aller Lustigkeit, die so oft gewesen, wir waren arme +Leute geworden. Die Fahrnisse waren alle weg, von dem ganzen großen +Besitztume blieb uns nichts als die Steuern. + +Nun beschloß mein Vater, den verschuldeten Hof so gut als möglich zu +veräußern. Aber die Mutter wollte nicht, sie arbeitete, wenn auch +krank, allfort mit Müh und Fleiß und ließ die Hoffnung nicht sinken. +Sie konnte den Gedanken nicht fassen, daß sie fort sollte von ihrer +Heimstätte, von dem Geburtshause ihrer Kinder. Sie verleugnete ihre +Krankheit, sie sagte, sie sei nie gesünder gewesen als nun, und sie +wolle arbeiten für drei. + +Meine Geschwister glaubten auch, sie könnten das Heimatshaus nicht +lassen, dabei hatten sie kein gutes Paar Schuhe mehr anzuziehen. Und +die Mutter, wenn sie einmal in die Pfarrkirche gehen wollte, mußte +sich von irgend einem Holzknechtweib ein Jöpplein ausborgen, das noch +keine Flicken hatte. Und von allem die höchste Pein war der Hochmut der +Leute und der Hohn, wenn sie doch zuweilen eine Beihilfe leisteten. Sie +hatten die Wohlthaten vergessen, welche meine Mutter einst nach ihrem +Vermögen jedem angedeihen ließ. Damals war sie die geachtetste Bäuerin +in den Waldhäusern. Aber -- das Unglück frißt die Freunde! Das hatte +auch ihre Mutter, die Köhlerin, oft gesagt. + +Aus jener traurigen Zeit, da meine Mutter krank war, will ich hier ein +Erlebnis erzählen. Es beginnt mit einem sonnenfreudigen Pfingsten. + +An jenem sonnenfreudigen Pfingstmontag war sie neununddreißig Jahre +alt gewesen. Es war lustig. Die Saaten standen grün auf den Feldern, +und auf der hohen Weide grasten die Herden, die zwar nicht uns +gehörten, sondern dem Nachbar, an denen wir uns aber doch freuten, weil +sie munter und leibig waren. Mein Vater hatte die Steuer des vorigen +Jahres bereits gezahlt, die wirtschaftlichen Verhältnisse, die während +der mehrjährigen Krankheit des Vaters zerrüttet worden waren, schienen +sich allmählich zu ordnen, und damit stiegen wir auch wieder im Ansehen +der Leute. Wir gingen an diesem Tage zusammen über die Auen, und die +Kleinen sammelten Blumen, und die Großen lobten durch ein heiteres Wort +oder durch ein Lied die Werke unseres lieben Gottes. Da setzte sich die +Mutter auf einen Stein und wollte sterben. + +Wir schleppten sie nach Hause, wir legten sie aufs Bett, wo sie lange +lag -- wochenlang, monatelang. Alle Nachbarn kamen und brachten +wohlgemeinten Trost; alle Ärzte der weiten Umgegend kamen und brachten +wohlgemeinte Medizin. Die Kranke war, wie man hinter ihrem Rücken +zugestand, vom Schlage gerührt, sie siechte. Als aber der kühle Herbst +kam, da wurde ihr besser, sie lag nun tagsüber nicht mehr im Bette, +sie saß auf der Ofenbank oder am Tische, wo die Kinder spielten, oder +am Herde, wo sie den ungelenken Vater im Kochen unterwies. Sie war +nicht heiter, und sie war nicht betrübt, sie war ruhig und hatte keine +Klage -- nur wenn sie allein war, machte sie bisweilen einen schweren +Seufzer. So verging der Winter, es kam wieder das liebliche Pfingsten, +und die Mutter war krank. + +Da kam an diesem Feste die alte Riegelbergerin zu uns, die brachte +etliche Semmeln mit, sie gab allerlei Hausmittel an und zählte +kerngesunde Leute auf, die durch solche Hausmittel kerngesund geworden +wären. Endlich fragte sie, ob wir nicht schon beim Stegthomerl gewesen +wären? + +Nein, bei dem wären wir freilich noch nicht gewesen. + +Wesweg wir so nachlässig sein könnten und noch immer nicht beim +Stegthomerl gewesen wären? Zu dem müsse man in einer solchen Krankheit +doch zu allererst schicken! + +Aber, es sei so viel weit dahin, wandte mein Vater ein. + +»Und wenn es drei Tagreisen wäre, um die Gesundheit ist's nicht zu +weit.« + +»Das ist freilich wohl wahr, um die Gesundheit wär's nicht zu weit,« +meinte mein Vater. »Und meinst, Riegelbergerin, daß er ihr helfen +thät'?« + +»Das Helfen, mein lieber Waldbauer, das steht bei Gott,« antwortete die +Riegelbergerin in ihrer gewohnten Überlegenheit. »Wunder wirken kann +auch der beste Arzt nicht. Aber kennen thut er's, der Stegthomerl, und +sagen wird er's, ob noch eine Hilf' möglich ist oder nicht.« + +Schon am nächsten Tage ging ein Bote hin über die Berge in das Thal, wo +der Stegthomerl wohnte. Er ging früh aus, und er kam spät heim, und er +brachte den Bescheid, der Stegthomerl hätte gesagt, er könne gar nichts +sagen, so lange er die Kranke nicht selber sähe. + +Am nächsten Tage ging ein anderer Bote (denn der erste war auf dem +weiten Weg hinkend geworden), um den Stegthomerl zu holen. Er kam spät +in der Nacht allein zurück und brachte den Bericht, der Stegthomerl +gehe zu keinem Kranken, er sei selber nicht mehr jung, auch wolle er +sich nicht wieder einsperren lassen, weil die geprüften Doktoren einen +höllischen Brotneid hätten und selber jeden unter die Erde bringen +möchten. Wenn die kranke Waldbäuerin zu ihm kommen wolle, so ließe sich +vielleicht was machen. Aber nach laufe er den Kranken nicht. + +Das war doch männlich gesprochen, und wir begriffen es alle mit +einander, daß ein Mann, der seinen Wert kennt, sich nicht just +wegwerfen wolle. Aber nun war eine große Bedrängnis. Das Wetter -- +allerdings -- das war schön und warm, die Tage waren lang, die Mutter +war auch bereit. Doch, konnten wir sie hinübertragen den viele Stunden +langen Weg bis zum Stegthomerl? Es war keine Möglichkeit. Fahren? +Wir hatten keinen Wagen, und das letzte Paar Zugochsen hatten uns +die Gläubiger weggetrieben, bei denen während der Mutter Krankheit +neuerdings angeklopft worden war. Die Nachbarn brauchten ihre Ochsen zu +dieser Zeit auf dem Brachfelde. Der Knullbauer hatte zwei Pferde, er +wollte sie leihen, aber sie kosteten für den Tag -- der Vater schlug +die Hände zusammen -- fünf Gulden und den Hafer. + +Und als wir um die kranke Mutter herum so betrübt dasaßen, nach Rat +suchten und keinen fanden, ging die Thür auf und trat der Knabe des +Straßenwirtes herein. + +»Was willst denn Du, Bübel?« fragte mein Vater. + +Das Bübel schlenkerte mit den Händen. »Ja,« sagte es, »der Samersteffel +laßt sagen, wenn der Waldbauer sein Roß und Wagen haben will, so kann +er's haben.« + +»Wo ist denn der Samersteffel?« + +»Bei uns sitzt er und hat sein Roß und Wagen bei uns eingestellt.« + +Mein Vater sann ein wenig nach, was er sagen sollte; dann sagte er: +»Der Steffel, der möcht mir einen schönen Preis mache; sag: ich ließe +mich bedanken.« + +Der Knabe ging, und nach einer Stunde kam der Samersteffel selber. +Es war ein kleiner, wohlbeleibter Mann, der einst, so lange die +Straße noch nicht gebaut war, über den Alpsteig mit einem Saumroß +verschiedenerlei Dinge befördert hatte. Seit die Straße war, hatte er +sich ein Steirerwäglein angeschafft, mit dem er Getreide, Salz, Most +und Sonstiges transportierte, aber alles ums Geld, natürlich, weil +er davon leben mußte, und nicht nur das, sondern auch reich werden +wollte, um an der neuen Straße ein großes Wirtshaus zu bauen. Ein +Gastwirt zu sein, das war sein Ideal, und er hatte auch das Zeug dazu, +er war allfort bei Humor und hätte es schon verstanden seine Gäste zu +unterhalten. + +Heute aber, da er in unsere Stube trat, war er gar nicht bei Humor. + +»Ihr macht unsereinem eine recht unnötige Mühe,« sagte er und setzte +sich schnaufend auf die Wandbank. »Hast Du schon gehört, Waldbauer, +daß ich mich Geschäfts wegen wem angekoppelt hab? Wirst so was von +mir nicht gehört haben, weil ich's gottlob nicht vonnöten hab. Wenn +ich mich aber einmal selber antrag, daß ich was führen will, so führ +ich's umsonst. Ich hab gehört, daß Dein Weib zum Stegthomerl möcht und +kein Fuhrwerk hat. Meine Mutter, Gott tröst ihre Seel, ist auch lang +so krank gewesen, ich weiß, wie das ist, es ist ein Elend. Wenn's Euch +recht ist, so führe ich morgen die Waldbäuerin hinüber zum Stegthomerl.« + +Da sind wir alle wohl gar recht froh gewesen. Wir haben nicht weiter +dran gedacht, ob die weite Fahrt nützen wird oder schaden, oder ob die +neue Medizin angreifen wird, oder wie die Krankheit hernach ausgehen +wird. Zum Stegthomerl, nur zum Stegthomerl, damit war uns alles +gewonnen. + +In der nächsten Frühe, als der Morgenstern zwischen den mächtig +schwarzen Eschenbäumen herlugte, wurde ich geweckt. Der Vater mußte ja +daheim bei der Wirtschaft bleiben, so sollte ich, der dreizehnjährige +Junge, mit der Mutter sein, um darauf zu achten, daß ihr nichts +widerfahre. Die Mutter saß schon bei ihrem Frühstück und that, als ob +ihr die Milchsuppe rechtschaffen munde. Der Samersteffel und ich aßen +eine Pfanne Sterz weg, und dann fuhren wir davon. Der Steffel saß auf +dem Kutscherbänklein und redete laut seinem Rößlein zu, daß es heute +einen Gescheiten machen und recht flink dreintraben solle, »damit wir +die Waldbäuerin heimbringen, so lang es noch heut heißt.« Meine Mutter +saß, in alle ihre Kleider und obendrein noch in den Wettermantel meines +Vaters vermummt, auf einem Lederkissen, zu Füßen hatte sie Stroh, und +über das Ganze lag eine schwere Bettdecke, aus der nur ein Teil ihres +Hauptes ein wenig hervorschaute. Neben diesem Krankenbette saß ich und +hatte ein schweres Herz. + +Es war noch die frostige Nacht, über dem Wechselberg wurde der Himmel +erst ein wenig blaß. Der Weg ging über die Auen dahin. -- Jetzt +erwachten die Vögel, jetzt begann die Herrlichkeit des Morgenrotes, +jetzt stieg die große Sonne empor. Meine Mutter zog die Decke ein wenig +zurück und schaute hinauf in die Sonne. + +»Ich habe einen guten Trost,« flüsterte sie und suchte meine Hand +anzufassen, »wenn der Sommer ein wenig mithilft und der Stegthomerl +auch -- ich bin ja doch noch nicht so alt ... was meinst, mein Kind, +werd' ich gesunderweise noch einmal können die Welt anschauen?« + +Ich war so zuversichtlich wie sie, mir war leicht geworden. Die +Morgensonne! Die liebe, warme Morgensonne! + +Die Mutter wurde gesprächig. »'s ist närrisch auch noch,« sagte sie auf +einmal und lachte fast laut, »daß der Mensch so viel gern auf der Welt +ist. Meine Leut' möchte ich halt wohl ungern verlassen. Mein Lenzel, +Dein Vater, thät mir so viel derbarmen, wenn er niemand mehr hätte; +die Kinder sind noch klein.« + +»Ich werde jetzt doch schon ziemlich groß,« war mein Einwand. + +Da wendete sich die Mutter mit dem Gesichte ganz zu mir und sagte: +»Just Du, mein Peter, just Du machst mir die meisten Sorgen. Du kommst +mir halt ganz anders vor, wie andere Buben in Deinen Jahren. Hast zur +Arbeit keinen rechten Schick -- heißt das, Schick schon, aber halt +deutsch keine Freud. Ja, ja, wenn Du's auch leugnest, ich kenn Dir's +an, Dich freut die Bauernarbeit nicht, Du tappst herum und willst +was anders und weißt selber nicht was -- schau, das ist gerade das +Gefährlichst'. So wollt ich unseren Herrgott wohl schön bitten, daß er +mich bei Dir laßt, daß ich Dich kann anhalten und bis ich weiß, was aus +Dir wird.« + +»Ein Fuhrmann wirst, gelt Bub?« rief der Steffel über seine Achsel her +zu uns in den Wagen. + +»Ein braver Fuhrmann, der arme Leut' thut führen, das wollt mir schon +gefallen,« bemerkte meine Mutter; darauf schmunzelte der Steffel ein +wenig. + +Der Weg ging stark aufwärts und wurde steinig; der Steffel und ich +gingen neben dem knarrenden Steirerwagen zu Fuß. Die Sonne war heiß +geworden. Es war eine mühevolle Fahrt, und wir kamen nur langsam +weiter. Als wir hoch oben durch die fast ebenen, aber finsteren +Waldungen der Fischbacheralpe dahinfuhren, da hörten wir kein Wagenrad, +denn der Erdboden war dicht mit Fichtennadeln besäet, nur daß die +Räder bisweilen an eine Baumwurzel prallten. Die Vögel waren still +geworden, denn über den Wipfeln lag der heiße Tag. Meine Mutter war +eingeschlummert. Ich schaute in ihr blasses Gesicht und dachte: Der +Stegthomerl wird schon ein gutes Mittel wissen; es ist doch ein Glück, +daß wir zum Stegthomerl fahren können. + +»Magst ein Trumm Brot, Peter?« fragte der Steffel. + +»Ein Brot, das mag ich schon.« + +Und wie ich hierauf das Stück Brot erhielt, lag auch ein Stück Speck +drauf, und jetzt fing meine Bedrängnis an. Ich hielt das Ding lange in +der Hand und schaute es an und schaute auf die Mutter hin; sie schlief. +Den Steffel, der es so gut mit uns meinte, wollte ich nicht beleidigen. +Da ich die Sache aber nicht so auf sich und auf meiner Hand belassen +konnte, so hub ich endlich an, zuerst ganz leise, aber allmählich +lauter: »Steffel!« zu rufen. + +»Was willst denn?« fragte dieser endlich. + +»Ich thät schön bitten,« sagte ich gar verzagt, »schön bitten, daß ich +den Speck da nicht essen müßt'. Weil ich halt keinen Speck nicht mag.« + +»Du weißt nicht, was gut ist,« lachte der Fuhrmann und befreite mich +von meiner Not. + +Endlich begann es bergab zu gehen, da holperte der Wagen auf den heißen +Steinen, rüttelte die Kranke aus dem Schlaf, und die Sonne brannte ihr +ins Mark hinein, und dabei fröstelte sie. + +Murmelte der Steffel: »Der Stegthomerl muß schon ein höllisch guter +Arzt sein, daß eine solche Fahrt der Mühe wert ist. Nur aushalten, +Fuchsel, wir haben nimmer weit.« + +Um den späten Mittag war's, als wir ins Thal kamen und vor dem Häuslein +des Stegthomerl hielten. + +Wir führten die Mutter in die dumpfig mürfelnde Stube, in der alle +Fensterlein fest geschlossen waren, dort ließen wir sie auf die Bank +nieder und fragten nach dem Thomerl. + +Ein altes, brummiges Weib gab uns zur Antwort, der Thomerl wäre nicht +da. + +»Das sehen wir,« sagte der Steffel, »möchten nur wissen, wo er ist?« + +»Kunnt's nit sagen.« + +»Wann er kommt?« + +»'leicht, daß er nimmer lang ausbleibt, 'leicht, daß er erst in der +Nacht einmal kommt, 's ist möglich, daß er zum Schanzwirt gegangen ist.« + +Die Alte ging aus der Stube, wir saßen da. Meine Mutter that einen +schweren Atemzug. + +Der Steffel ging der Alten nach und bat sie um einen Löffel warmer +Suppe für die Kranke. + +»Wo sollt' eins jetzt eine warme Suppe hernehmen; ist schon lang kein +Feuer mehr auf dem Herd.« So der Bescheid. Da machte sich der Fuhrmann +selber dran, Feuer zu schaffen, Milch zu suchen und zu kochen. + +Die Mutter aß nur ein weniges von der Suppe, schob die Schüssel uns zu, +daß auch wir was Warmes bekämen. + +Als all das vorbei war, gab der Steffel dem Weib einen Silberzehner für +die Milch und für das Heu, welches der Fuchs fraß. + +Nach einer Stunde, während es in der Stube ein paarmal schier finster +geworden war, weil draußen Wolken vor die Sonne zogen, trat der +Stegthomerl endlich in die Stube. Es war ein kleiner, dünnbeiniger +Mann, der aber einen großen Kopf, breite Achseln, eine sehr hohe +Brust und einen tüchtigen Höcker hatte. Und der Kopf war in die +Schultern gebohrt, so daß sich das Männlein allemal mit dem ganzen +Körper umkehren mußte, so oft es den Kopf wenden wollte. Ich sehe ihn +heute noch lebhaft, wie er zur Thür hereintrat und uns mit seinem +weitläufigen, verdunsenen Gesichte zuerst scharf, dann lächelnd ansah. + +Meine Mutter war sogleich unruhig geworden und suchte sich von ihrem +Sitze zu erheben, um ihm ehrerbietig ihr Anliegen vorzutragen. + +Der Thomerl winkte mit der Hand, sie möge das lassen, und sagte hernach +mit etwas lallender Stimme: »Ich weiß schon, Du bist die Waldbäuerin +aus dem Alpel, Dich hat vor einem Jahr der Schlag getroffen.« + +»Der Schlag hat mich getroffen?« fragte die Kranke mit Schrecken. + +»Hast weit und breit herumgedoktort, und jetzt, weil Dir sonst keiner +helfen kann, kommst zu mir. Ist allemal so, versterbend kommen sie, und +wenn nachher dem Stegthomerl seine Arznei nicht Wunder wirkt und der +Kranke draufgeht, so heißt's dann: der Stegthomerl hat ihn umbracht.« + +Diese Worte waren an und für sich ganz schrecklich zu hören, doch waren +sie noch erträglich, weil sie mit lächelnder Miene gesagt wurden, und +weil der Thomerl nun beisetzte: »Verhoff's, daß es mit Dir noch eine +Ausnahme hat, Waldbäuerin. Ich werde Dich jetzt untersuchen.« + +Fürs erste, selbstverständlich, fühlte er ihr den Puls. »Der hupft,« +murmelte er, »der hupft.« Dann zog er ihr mit seinen breiten Fingern +die Augenbrauen auseinander und guckte auf das Weiße hinein -- und +sagte nichts. Hierauf mußte sie den Nacken entblößen, und er legte +sein Ohr dran -- und sagte nichts. Ferner betrachtete er mit großer +Aufmerksamkeit die Linien in der inneren Handfläche, erkundigte sich +dann nach dem näheren Befinden der Kranken und fuhr fort, die Pulsadern +und die Atemzüge zu untersuchen, so daß ich von der Gewissenhaftigkeit +dieses Mannes sofort eine hohe Meinung gewann. + +Und als er mit der Untersuchung fertig war, setzte er sich meiner, +sich langsam wieder in ihre Tücher hüllenden Mutter gegenüber auf +einen Stuhl, spreizte die Beine aus, bohrte sein Kinn in seinen Rumpf, +und, die Arme über der Brust gekreuzt, sagte er: »Ja, meine liebe +Waldbäuerin, Du mußt sterben.« + +Meine Mutter zuckte leicht zusammen, ich sprang auf. Der Steffel aber +blieb ganz gelassen auf seinem Platze sitzen, schaute eine Weile starr +auf den Stegthomerl und sagte plötzlich: »Mußt Du nicht auch sterben? +Nein, Du wirst hin, altes Kamel, gottverfluchtes!« + +Jetzt war's die höchste Zeit. Wir packten eilig zusammen und fuhren +heimwärts. + +Es war schwül und schattig, der Himmel hatte sich mit Wolken bedeckt, +es meldete sich kein Tier, es rührte sich kein Wipfelchen, unser Wagen +knarrte schwerfällig dahin. Meine Mutter lag still in ihrer Ecke und +schaute mit ihren großen, dunklen Augen die dämmernde Welt an. + +Der Steffel saß wutschnaubend auf seinem Bock, allmählich jedoch wurde +er ruhiger, und nun brummte er: + +»Aber einen +solchen+ Rausch haben!« + +»Wer?« fragte ich. + +»Ein solcher Rausch ist wirklich der Mühe wert, daß man eine Tagreise +weit fahrt und ihn anschauen geht,« fuhr der Steffel fort. »Hab mir's +ja sagen lassen, daß es selten soll nüchtern sein, das alte Kamel; und +heut ist es geradewegs vom Schanzwirt gekommen.« + +»'s wird wohl gut gewesen sein,« sagte nun meine Mutter, »wenn er +nüchtern gewesen wäre, hätte er mir die Wahrheit vielleicht nicht +gesagt.« + +Und so sind wir schwer betrübt dahingefahren. Über den Bergen her hat +der Donner gemurrt, ganz heiser und dumpf; aus der Ferne her hat die +Wetterglocke von Fischbach geklungen. Da richtete sich meine Mutter +auf und sagte: »Eins mußt mir zu Lieb thun, Peter, und den Steffel will +ich auch bitten: dem Vater, meinem Mann, thut es nicht sagen, was der +Stegthomerl gesagt hat.« + +»Thät sich wahrlich nicht auszahlen, daß man so eine Narrenred' +weiter sagt,« rief der Fuhrmann sehr laut, »aber zum Gericht geh ich! +Verklagen geh ich ihn! Das thu ich!« + +»Bitt' Dich gar schön, Steffel, laß das sein,« bat meine Mutter, »mußt +nicht glauben, daß ich mir das Wort so schwer leg, ich hab mir's selber +oftmals gedacht, mit mir wird's ausgehen, wie es mit allen serbenden +(kränkelnden) Leuten ausgeht. Was kann der Stegthomerl dafür! Wir +sind nicht zu ihm gefahren, daß wir uns von ihm anlügen lassen. Mich +schmerzt es nur, daß wir ihn nicht einmal gefragt haben, was wir für +die Aufrichtigkeit schuldig sind.« + +Jetzt stieß der Steffel ein Lachen aus und ließ die Peitsche ein +paarmal durch die Luft pfeifen, gleichwohl das Pferd nach Kräften seine +Schuldigkeit that. + +Als wir über die Höhen dahinfuhren, hatte sich das drohende Gewitter +gänzlich verzogen, die untergehende Sonne schien mit einem weichen +Goldglanze auf die weite Gegend hin, über Wald und Auen, und ein +erquickender Hauch floß in unsere Brust. + +Auf der blassen Wange meiner Mutter lag eine helle Thräne. + +Als wir schweigsam und müde über unsere Auen fuhren, standen die Sterne +am Himmel. Allerwärts im Grase rieselte das Lied der Heimchen. An der +Zaunschranke, wo unsere Halde anhub, stand eine schwarze Gestalt, +welche uns ansprach, ob wir's wären? + +Mein Vater war's, der uns entgegengekommen. Meine Mutter nannte ihn +beim Namen; die Stimme war weich und zitternd. + +Der Vater geleitete uns in das Haus, ohne eine Frage zu thun. + +Erst als wir in der Stube waren und das Spanlicht brannte, fragte er +mit Befangenheit, wie es uns denn ergangen wäre? + +»Nicht schlecht,« sagte der Steffel, »gar nicht schlecht; wir sind +recht munter gewesen.« + +»Und der Stegthomerl -- was hat er denn gesagt?« + +»Der hat gesagt, daß auch die Waldbäuerin nicht ewig leben wird, daß es +mit ihr aber noch lang Zeit hat -- noch lang. Nur schön achtgeben; zur +Sommerszeit hübsch in der guten Luft sein, nicht anstrengen und nicht +aufregen, gut essen und trinken und keine Medizin -- nur keine Medizin, +hat er gesagt. Nachher wird's schon wieder gut werden.« -- + +Darauf verging eine Zeit. Mein Vater trachtete nach dem Ausspruche des +Steffels, von dem er glaubte, daß es der Ausspruch des Stegthomerl +wäre, die Mutter zu pflegen, und als der Winter kam, saß sie am +Spinnrocken und spann. Die Maus hatte den Faden nicht entzwei gebissen. + +Im selbigen Winter kam die Nachricht, daß unweit des Schanzwirt auf +der Fischbacheralpe der Stegthomerl erfroren unter dem Schnee gefunden +worden sei. Wir beteten für ihn ein Vaterunser. + +Der Samersteffel, der bisweilen zu uns kam und stets der gute, heitere +Mann blieb, hatte dem Thomerl auch verziehen und zwar einzig nur, weil +dieser damals Unrecht gehabt. + +Mir fehlte -- um nun wieder auf unsere übrigen Verhältnisse +zurückzukommen -- alle Freude an dem Bauernstande und freilich auch +die Kraft dazu. Ich ging denn zu einem Handwerk, aber den Eltern +konnte ich nicht helfen. Die Sonntagskost, die ich daheim hatte, +wollte ich meinem Vater zahlen, er nahm nichts, er sagte, ich sei nach +wie vor sein Kind, nur nicht so viel Späne brennen sollte ich in den +Samstagnächten, wenn ich zu Hause wäre. + +»Mein, so laß ihm die Freud, er hat sonst auch keine«, sagte da die +Mutter und war meine Fürbitterin. + +Da wurde es mit mir anders. Ich ging in die Welt. + +Der Abschied von meiner Mutter war hart, aber nach kurzer Zeit hatte +sie es erfahren, daß mein Leben ein glücklicheres geworden. + +Wie nun das Glück da war, so kam bald der Neid herangehumpelt -- +oder die Dummheit? Ein Gerücht ging in den Waldbergen: »Es wär so +weit schon recht mit dem Peter, aber wie's eben geht in der Stadt, +vom christlichen Glauben wird er abfallen.« Und bald hieß es weiter: +»Saubere Geschichten das! Wird ihm auf einmal die ehrlich' Arbeit zu +schwer und die rechtschaffen' Kost zu schlecht, geht in die Stadt und +ißt Fleisch am Tag unserer lieben Frau und fällt ab vom Glauben.« + +Meine Mutter hatte zuerst gelacht, als sie das hörte, sie kannte ja ihr +Kind. Dann kam ihr aber der Gedanke: Wenn's denn doch wäre! Wenn ihr +liebes Kind denn doch auf Gott vergäße und verloren ginge! + +Sie hatte keine Ruhe, sie ging und borgte Kleider aus von der blinden +Jula und borgte von einer gutherzigen Hausiererin drei Gulden und +reiste -- krank und hinfällig, an jeder Hand einen Stock -- in die +Hauptstadt. Sie wollte sich überzeugen, was Wahres war an der Leute +Gerede. Sie fand ihr Kind als armen Studenten in schwarzem, geschenktem +Rock und mit zurückgekämmten Haaren. Das gefiel ihr schon nicht recht, +doch gelang es, sie zu beruhigen. Aber sie sah in den zwei Tagen ihres +Aufenthalts in der Stadt überall das tolle, leichtsinnige Treiben, +sah Außerachtlassung von alten, ihr ehrwürdigen Gebräuchen und Spott +über Dinge, die ihr heilig waren, und sie sagte zu mir: »Unter solchen +Leuten wirst doch nicht bleiben können, Kind, sie thäten Dich zu Grunde +richten.« + +»Nein, Mutter,« antwortete ich, »denken kann man, was man will, und +gute Gedanken können die Leute nicht rauben.« + +Sie schwieg. Aber als sie zurückkam in die Waldberge und wieder das +Gerede hörte, war sie gebrochener als je. -- + +Mit der Wirtschaft war es nun entschieden. Haus und Hof wurden +veräußert, den Gläubigern überlassen; meine Geschwister verdingten sich +an fremde Bauern. Den hilflosen Eltern wurde ein Häuschen angewiesen, +das bisher zum Gute gehörte. Mein jüngster Bruder, der noch nicht im +stande war, sich das Brot zu erwerben, und eine Schwester blieben bei +ihnen und übten Pflege an der armen Mutter. Der Vater ging allweg über +die Berge zu den Ärzten und verschrieb ihnen schier sein Leben, wenn +sie jenes seiner Gattin retten könnten. + +In dem Häuschen sah es armselig aus. Die Kranke duldete still. Ihr +Augenlicht wollte sie verlassen, ihr Denkvermögen wollte sich auflösen. +Der Tod klopfte in wiederholten Schlaganfällen an ihr Herz. Oft schien +sie schwer zu leiden, aber sie schwieg; sie hatte nichts mehr mit der +Welt -- nur nach ihrem Gatten, nur nach ihren Kindern fragte sie. -- Es +war ein jahrelanges Sterben. + +Ich habe sie in dieser Zeit oft besucht. + +Sie erkannte mich kaum, wenn ich an ihrem Bette stand; dann sagte sie +doch wieder wie im Traume: »Bist Du's, Peterl? Gott sei Lob und Dank, +daß Du wieder da bist!« + +Im Hochsommer trugen wir sie einmal mitsamt dem Bette aus der dumpfen +Stube in das Freie, daß sie noch einmal den Sonnenschein sehen sollte. +Ich weiß nicht, ob sie ihn sah, sie hielt das Auge offen und blickte +die Sonne an, die Sehnerven schienen erstorben zu sein. + +Da kamen plötzlich Tage, da sie umgewandelt war. Sie war heiter und +verlangte in das Freie. + +»Wirst mir doch wohl wieder gesund, Maria, und wir bleiben noch eine +lange Weil beisammen,« sagte ihr Gatte. + +»Ja,« antwortete sie. --- + +Das alles hatte ich auf diesem Waldwege überdacht -- und jetzt war es +vorbei mit diesem armen reichen Leben. + +Als ich endlich nach stundenlangem Wandern durch die Wälder des +Alpsteigs das strohgedeckte Häuschen am Berghange sah, da war es wie +ein bläulicher Schatten über Wald und Feld und allem, und doch lag der +Sonnentag darüber. Aus dem kleinen Rauchfange stieg ein grauer Hauch. +-- Ahnt sie's, daß ich komme, kocht sie mir meine Lieblingsspeise? -- +Nein, fremde Leute bereiten ein Totenmahl. + +Lange standest du vor der angelehnten Hausthür, deine Hand zitterte, +als sie sich endlich an die Holzklinke legte. Da ging die Thür auf, da +tratest du ein, da war es dunkel in der engen Vorlauben, nur ein mattes +Öllämplein flatterte in einem Glase, und da sahest du's wohl -- an +der Wand, unter der räucherigen Bodenstiege, auf einem Brette lag die +Bahre, ganz zugedeckt mit einem großen weißen Tuche. Zu Häupten stand +ein Kruzifix und die Schale Weihwasser mit einem Tannenzweig .. + +Da fielst du nieder aufs Knie ... Endlich kam die Thräne. Die Thräne, +die uns einst das Mutterherz mitgegeben auf die Welt zur Linderung +im Leid und zum einzigen Trost in der Stunde, wo kein anderes Heil +der Seele naht, wo die Freunde uns nicht verstehen können und das +Mutterherz gebrochen ist. O, sei gegrüßt, du reiches, ewiges Erbe! + +Jetzt ging leise die Stubenthür auf, und Maria, die jüngste Schwester, +trat heraus. Sogleich hub das Mädchen laut zu weinen an, als es den +Bruder sah, von dem sie alle so oft gesprochen, nach dem der Mutter +letzter Blick gefragt, und der in der Ferne war, als sie das Auge +schloß. Nun lag er da und weinte um ihre Lebenszeit. + +Selbst ihre Kinder daheim hatten geschlafen in der Sterbenacht. Erst +als das Morgenrot durch die Fensterchen leuchtete, ging der Vater zu +ihnen in die Kammer und sagte: »Thut die Augen auf und schaut, über den +Wechsel steigt schon die Sonne herauf, und unsere liebe Frau thut drin +sitzen mit dem heiligen Christkindlein, und auf dem Schemel zu ihren +Füßen sitzt eure Mutter und thut aus einem Rocken das himmlische Kleid +spinnen.« + +Da wußten sie's gleich, es war die Mutter gestorben. + +»Willst Du sie anschauen?« fragte mich jetzt die Schwester. Dann trat +sie an das Haupt der Bahre und hob langsam das Leintuch. + +Ich sah meine Mutter, noch auf ihrem erstarrten Antlitz lag das Heil. +Die Last war weg von meinem Herzen, erleichtert und getröstet, als ob +ich auf eine weiße Blume blickte, schaute ich die lieben Züge. Das war +ja nicht mehr das arme, kranke, mühselige Weib, das war das von einem +Strahle aus längst vergangenen Jugendtagen verklärte Angesicht. Sie +lag da im Schlummer und war gesund. Sie war wieder jung und weiß und +milde, sie lächelte ein wenig, wie sie gern that, wenn sie auf den +kleinen lustigen Knaben blickte, der sich mit seinen Spielzeugen zu +ihren Füßen umhertrollte. Die dunkeln, glänzenden Haare (sie hatte noch +kein graues) waren ihr sorgsam gewunden und guckten an den Schläfen +etwas hervor aus dem braunen Kopftuche -- wie sie's immer gern hatte, +wenn sie an den Festtagen zur Kirche ging. Die Hände hielt sie gefaltet +über der Brust mit dem Rosenkranze und mit dem Wachsstocke. Als wie +wenn sie eingeschlummert wäre in der Kirche am Pfingstsonntage während +des freudenreichen Hochamtes, so lag sie da, und noch im Tode tröstete +sie ihr Kind. + +Aber an den rauhen Händen sah man's wohl, daß die Schlummernde durch +ein mühevolles Leben geführt worden war. So standest du vor diesem +heiligen Bilde -- fast so still und regungslos wie die Ruhende. + +Endlich flüstertest du zu dem leise weinenden Schwesterlein: »Wer hat +ihr die Augen zugemacht?« -- + +In der Stube erschallten Hammerschläge. Der Schreiner zimmerte das +letzte Haus. + +Endlich hüllte Maria das Leintuch wieder über das Haupt, so sanft, so +sorglich, wie sie hundert- und hundertmal das Mütterlein zugedeckt +hatte in der langen Zeit des Siechtums. + +Dann trat ich in die kleine, warme Stube. Der Vater, die ältere +Schwester, die beiden Brüder, wovon der jüngere noch ein Knabe war, +traten mir betrübt entgegen. Sie sagten kaum ein Wort, sie reichten mir +die Hand, bis auf den Kleinen, der duckte sich im Ofenwinkel, und man +hörte sein Schluchzen. + +Der Zimmermann-Sepp hobelte gleichmütig an dem bereits zusammengefügten +Sarg und rauchte dabei eine Pfeife. -- + +Später, als draußen schon die Schatten des Nachmittags gewachsen waren +weit über die schneeglitzernde Wiese hin, als in der Stube der Sepp auf +den Deckel des Sarges das schwarze Kreuz zeichnete, saß der Vater neben +demselben und sagte leise: »Wie's Gott will. -- Jetzt hat sie doch +wieder ein eigenes Haus.« + +Am ersten Tage nach der Mutter Sterben war kein Feuer gemacht worden +auf dem Herde der Hütte. Allmiteinander hatten sie vergessen, daß der +Mensch zum Morgen, zum Mittag wohl eine warme Suppe ißt. Hingegen war +auf dem Anger hinter dem Häuschen ein hellflammendes Feuer angezündet, +um das Bettstroh zu verbrennen, auf welchem sie gestorben war. -- Wie +voreinstmal die Vorfahren ihre Wuotansfeuer haben entfacht, den teuren +Verstorbenen der Göttin Hell, der Bergenden, empfehlend. + +Ich hatte mich auf die Bank gesetzt und das Brüderchen zu mir +emporgehoben. Der Kleine blickte völlig furchtsam zu mir auf, ich hatte +einen schwarzen Rock an und eine weiße Halsbinde um, ich kam ihm so +vornehm vor. Seine kleine Hand, die auch schon Schwielen hatte, hielt +ich in der meinen. Dann bat ich den Vater, daß er etwas erzähle aus dem +Leben unserer Mutter. + +»Wartet ein wenig,« antwortete der Vater und sah wie träumend der +Zeichnung des Kreuzes zu. Endlich that er einen tiefen Atemzug und +sagte: »So, jetzt wär's fertig. Wohl lang hat ihr Kreuz und Leiden +gedauert, aber das Leben ist kurz gewesen. Kinder, das sag ich Euch, +jeder hat keine solche Mutter, wie die euere ist gewesen. Für Dich, +Peter, hätt' sie schier das Leben aufopfern müssen, wie Du bist auf die +Welt gekommen. So sind sie drauf gekommen nacheinander, die Freuden und +Leiden, die Sorg und Not -- das Elend! Und wie ich krank gewesen bin +auf den Tod und die Ärzte all' gesagt haben, ich müßt' fort, es gäb' +kein Mittel mehr, hat mein Weib die Hoffnung nicht aufgegeben, hat mich +nicht verlassen. Tag und Nacht ist sie bei mir gewesen, hat auf ihren +Schlaf vergessen und auf ihren Bissen Brot. Schier mit ihrem Atem hat +sie mir das Leben eingegossen -- mein gutes Weib. -- --« + +Die Stimme wollte ihm brechen, mit dem Rockärmel wischte er sich das +Nasse aus den Augen. + +»Was eine gute Wartung ist, das sollt' eins nicht glauben,« fuhr er +fort, »gesund bin ich wieder worden. Wir haben fortgelebt in der Treu'; +daß Du, Peter, in der Fremde Dein Glück hast gefunden, das ist Deiner +Mutter größte Freud' gewesen. Wie sie krank und serbend ist gelegen an +die zehn Jahre und drüber, wie sie uns haben hinausgestoßen aus unserem +Haus, wie das schlechte Gered' ist gewesen, und wie wir doch das größte +Vertrau' gehabt haben zu Euch Kindern, das wisset Ihr ja selber. Völlig +dreißig Jahr sind wir beisammen gewesen im Ehestande. Allweg hab ich +gebetet, +mich+ sollt' der lieb' Herrgott zuerst nehmen, jetzt +hat er +sie+ doch noch lieber gehabt. -- Müsset nicht so weinen, +Kinder, Ihr seid Eurer Mutter beigestanden.« -- + +Weiter sprach er nicht. + +Als der Sarg gezimmert war, legte der Vater Hobelspäne als Hauptkissen +hinein. Er hatte immer die Gewohnheit gehabt, daß er nach gethaner +Arbeit zu seinem Weibe ging und sagte: »Jetzt bin ich fertig.« Als +er nun die Hobelspäne zurecht geschichtet und auch die übrigen +Vorbereitungen gethan hatte, ging er in die Lauben zur Bahre und sagte: +»Jetzt bin ich fertig.« + +Am späten Abend, als auf dem tiefdunkeln, klaren Himmel der Halbmond +stand und sein Dämmerlicht ergoß über die Wälder und schneeschimmernden +Auen und über das Waldhäuschen am Hange, da winselte allfort der +Schnee am Wege, da kamen aus Bauernhöfen und fernen Hütten Leute +herbei. Wenn sie auf den Wegen, die sie gekommen, auch laute, heitere +Gespräche miteinander geführt hatten, so wurden sie doch jetzt, da sie +dem Häuschen nahten, schweigsam, und man hörte nur das Knistern ihrer +Tritte im Schnee. + +In der kleinen Vorlauben, die durch das Lämplein matt beleuchtet war, +kniete jeder hin auf den kalten Lehmboden und betete still vor der +Bahre und besprengte sie dann mit Weihwasser. Hernach ging er in die +Stube zu den anderen, die da um den Tisch und den Ofen herumsaßen, +Lieder sangen und geistlichen Betrachtungen oblagen. Sie waren alle da, +um die arme Häuslerin zur letzten Ruhestätte zu begleiten. + +Ich hätte, wären die Leute nicht dagewesen, allfort an der Bahre stehen +und die Mutter ansehen mögen. Ich las in ihren Zügen meine Kindheit und +meine Jugend. Ich meinte, noch einmal werde sich das klare Auge öffnen +und mich anlächeln, noch einmal werde mir das Wort fließen von diesen +Lippen, das in ihrer Liebfreude so weich und herzensreich war gewesen. +Aber wie ich auch ihr lieber Sohn gewesen war, und wie lange ich noch +stehen mochte bei ihr -- sie schlief den ewigen Schlaf. + +Ich ging in die niedere Küche, wo die Nachbarinnen das Totenmahl +kochten, ich suchte im Rauche herum die Geschwister, auf daß ich sie +tröstete. + +Drin in der Stube war jetzt alles mäuschenstill und in großer Spannung. +Der alte Jäger Mathias, der ein braunes Hemd und einen weißen Bart +trug, saß am Tische und erzählte eine Geschichte. + +»Ist einmal ein Bauer gewesen,« begann er, »und der hat ein Weib +gehabt, gar ein armes, krankes Weib. Und einmal, an einem heiligen +Ostermorgen, da ist ihm das Weib gestorben. Wie die Seel' von +dem Leib abgeschieden ist gewesen, da ist sie dagestanden ganz +mutterseelenallein in der finsteren Ewigkeit. Kein Engel hat wollen +kommen und sie führen und weisen hinein in das himmlische Paradies. +Christi Auferstehung wird gefeiert im Himmel, hat es geheißen, und +da hat kein Engel und kein Heiliger Zeit für die arme Seel', daß er +sie thät weisen. Die arme Seel' aber ist gewesen in unaussprechlicher +Angst, sie hat bedacht, daß sie ihrer Krankheit wegen schon lange +in keine Kirche hat kommen mögen. Und sie hat schon allweg die +Teufel winseln und pfeifen gehört, und sie hat gemeint, jetzt ist +sie verloren. O mein heiliger Schutzengel und Namenspatron! hat sie +gerufen, kommt mir zu Hilf in dieser Not, sonst muß ich hinab in die +Höllenglut! -- Aber sie sind halt alle beisammen gewesen im Himmel bei +der Auferstehung Christi. Darauf ist das arme Weib schon zum Hinsinken +gewesen ohne Trost und Beistand, aber auf einmal ist unsere liebe Frau +gestanden an ihrer Seiten, gehüllt wohl in ein schneeweißes Kleid und +in der Hand zur schönen Zier einen Kranz von Rosen. Sei gegrüßt und sei +getröstet, Du armes Weib! hat sie lieblich gesagt zur abgeschiedenen +Seel', Du bist eine fromme Dulderin gewesen all Deiner Tage lang, und +an jedem Samstag mein hast Du gefastet mir zu Lieb, und das, was Dir +dadurch übrig geblieben, hast Du den Armen gereicht, mir zu Lieb. +Das will ich Dir nimmer vergessen, und wenn mein lieber Sohn seine +glorreiche Auferstehung feiert an diesem Tage, so will ich Deiner +gedenken und Dich hinaufführen zu seinem goldenen Thron und zu Deinem +freudenreichen Platz im Rosengarten bei den Engelein, den ich bereitet +habe Dir zu Lieb, und wo Du kannst warten auf Mann und Kinder. Und +darauf hat unsere liebe Frau das arme Weib bei der Hand genommen und +hinaufgeführt in den Himmel. -- Deswegen sag ich, ein Fasten und ein +Almosen zu Ehren unserer lieben Frau ist gar ein gutes Werk.« + +So erzählte der Mathias im braunen Hemde. + +»Auch unsere Waldbäuerin, die wir morgen bestatten, hat gern gefastet,« +sagte ein Weiblein, »und rechtschaffen gern gegeben.« + +Der Vater schluchzte vor Rührung. Der Gedanke, daß seine Gattin nun im +Himmel sei, legte ein gar liebliches Licht in sein betrübtes Herz. + +Die alte rußgebräunte Hängeuhr -- das war dieselbe, welche seit dem +fröhlichen Hochzeitstage des Waldbauers alle Stunden getreulich +gezählt, die freudvollen und die leidvollen; welche die erste Stunde +wies, als voreinst das Knäblein geboren wurde in der Sonntagsfrühe; +welche nun nach vielen Jahren die sechste Stunde zeigte, als der +Erlösungsengel durch die Stube zog und seinen Kuß der Dulderin auf die +Stirne drückte -- die Hängeuhr rückte ihren Zeiger jetzt gegen zwölf. + +Und als so ein vergangenes Leben gemessen war wie ein einziger Tag von +Sonnenaufgang bis Niedergang -- da sagte mein Vater: »Bub, geh hinaus +in den Stall, und leg Dich ein Stündlein aufs Stroh, daß Du ein wenig +magst rasten. Wenn es Zeit ist, will ich Dich schon wecken.« + +Ich ging hinaus, that in der Lauben noch einen Blick auf die Bahre und +trat dann in die freie, kalte, sternenvolle Nacht. Die Mondessichel war +hinter die Wälder gesunken; ihren letzten Strahl hatte sie noch durch +die Thürfuge gleiten lassen auf das Bahrtuch -- morgen, wenn sie wieder +aufging, war dieses arme Menschenwesen ja schon in der dunkeln Erde. -- + +So lag ich nun im Stalle auf dem Stroh, wo sonst meine zwei Brüder +schliefen. Neben mir, an Hängketten standen oder saßen die drei Rinder +und scharrten im Wiederkäuen mit den Zähnen. Es war eine dunstige Wärme +in dem Stalle, und von der halbmorschen Decke tropfte es nieder auf +mein Strohlager. + +Voreinst -- ja, da zitterten wohl auch die Tropfen nieder, die +Tautropfen von den Bäumen, als dich die Mutter zur ersten Kommunion +führte. Du hast ein neues Jöpplein an, und auf deinem Hut steckt ein +frischer Rosmarin. Über dem Brustfleck am Halse schaut das +schneeweiße Hemdchen heraus, und die Wangen sind rosenrot vor lauter +Waschen. Die Mutter hat ein hellfarbiges Kleid, ein braunes Vortuch +und eine schwarze, knappanliegende Joppe an. Das breite Halstuch ist +von roter Seide und leuchtet wie Glut und Flamme. Ein grünweißes +Blumensträußchen wächst aus dem Busen hervor. Auf dem Haupte trägt +sie eine hohe, kostbare Goldhaube, wie sie damals Mode war im ganzen +Lande; und an beiden Seiten der Stirne gucken die Locken hervor, +schwarzglänzend wie die zwei großen Augensterne und zart und weich +wie die Wimpern an den Lidern. Die Wangen sind angehaucht von dem +Morgenrote, das Kinn ist weiß und lieblich gebogen. Die roten Lippen +lächeln ein wenig und grollen dabei, weil du gar so vorwitzig hüpfest, +Kleiner, über die Steine und Baumwurzeln und dabei die Nägel aus den +Schuhen trittst. -- Aber in ihrer blühendsten Schöne hat noch kein +Kind seine Mutter gesehen; und doch, wie ist es so lustig, Knabe! +Da glitzert es im Wald und leuchtet in den grünen Lärchenbäumen, +und da duftet das Blühen, und die Vöglein singen auf allen Wipfeln. +Kindeszeit, Maienzeit! -- + +Dumpfe Schläge weckten mich aus meinem Traume, ich fuhr empor. Jetzt +legen sie die Mutter in den Sarg, jetzt hämmern sie den Deckel darauf. +-- + +Ich stürzte aus dem Stalle und in das Haus. Da stand in der Lauben +der weiße, schlanke, zugedeckte Sarg, und die mattflackernde Öllampe +beleuchtete nur mehr das leere, öde Bahrbrett. + +.... Ich hätte sie gern noch einmal gesehen. + +Die Leute bereiteten die Trage. Der Vater kniete hinter der Thür und +betete; die Schwestern weinten in ihre Schürzen, und der kleine Bruder +schluchzte so sehr. Ach, er wollte das Weinen zurückhalten; hatte er +doch gehört, für die Mutter sei es am besten so, und sie sei nun in der +himmlischen Freude -- er hatte ein bißchen gelächelt dazu, aber nun, da +sich die Leute anschickten, die Mutter hinauszutragen und fort für alle +Ewigkeit, war der Trost vergessen in dem kleinen, bedrängten Herzen. + +Ich nahm das Brüderlein an der Hand, und wir gingen in die dunkle, +hinterste Ecke der Stube, wo sonst niemand war, wo nur die kranke +Mutter gern gewesen. Dort setzten wir uns auf die Bank. Und dort saßen +wir, während draußen alles vorbereitet wurde, während sich die Leute zu +Tische setzten und das Totenmahl verzehrten. + +Sie waren gekommen, um Leid zu tragen mit uns; jetzt aßen sie, jetzt +lachten sie, und dann thaten sie wieder, wie's der Gebrauch war und sie +freuten sich schier, daß wieder einmal einer gestorben war und ihnen +dadurch Abwechslung in das alltägliche Leben brachte. + +Plötzlich wurden draußen laute Worte gesprochen: »Wo ist der Überthan? +Wir finden den Überthan nicht!« + +Der Überthan ist ein dünnes Leinengewebe, welches als ein Schleier über +den Sarg gehüllt wird und nach dem Glauben des Volkes am jüngsten Tage +dem Auferstehenden als Überkleid dient. + +Der Vater wurde durch den Ruf von seinem Gebete aufgeschreckt; jetzt +torkelte er herum und suchte die Leinwand in seinem Kasten, auf den +Wandstellen und in allen Winkeln. Er hatte sie ja gestern nach Hause +gebracht, und jetzt war sie nirgends zu finden. Er wußte auch nicht, +wo ihm der Kopf stand -- jetzt sollte er sorgen, daß alle zum Mahle +kämen, jetzt sollte er sich umkleiden zum Kirchgange, jetzt sollte er +seine Kinder beruhigen, jetzt sollte er eine frische Kerze auftreiben, +weil die alte schon auf den Grund gebrannt war und die Leute in das +Finstere zu kommen drohten, jetzt sollte er gar in den Stall gehen und +die Rinder füttern für den ganzen Tag, da niemand daheim sein würde -- +und jetzt sollte er sagen, wo er gestern in seiner Wirrnis den Überthan +hingelegt hatte. -- Und in den nächsten Minuten trugen sie sein Weib +aus dem Hause. + +Alles kam in Aufregung. »So hat der Alte keinen Überthan,« murrten sie, +»das hat man auch noch nicht gesehen, daß eine Totentruhen nackt und +bloß davongetragen wird, aber bei der armen Waldbäuerin muß es wahr +sein: elend gelebt und elend gestorben!« + +Auch die beiden Schwestern huben zu suchen an, und Maria rief klagend: +»Jesus mein, ohne Überthan darf mir meine Mutter nicht begraben werden; +da muß sie noch liegen bleiben daheim, und ich gebe mein Kresengeld +(Patengeschenk) und kaufe ihr das letzte Kleid. Wer hat die Leinwand +weggethan? O Gott, jetzt wollen sie ihr das Allerletzt' auch noch +versagen!« + +Ich suchte das Mädchen zu beruhigen, und wir würden im Dorfe draußen +schon eine Leinwand bekommen, und wenn nicht, so ruhe sie auch unter +bloßem Tannenholz in Frieden. + +»Du kannst so reden!« rief sie, »hat Dir die Mutter seiner Tage nicht +auch die Kleider gekauft von ihren blutig ersparten Kreuzern? Und jetzt +soll sie auferstehen am jüngsten Tag in ihrem armen Gewande, wo alle +anderen ein weißes Kleid tragen!« In ein lautes Weinen brach sie aus +und lehnte ihre glühende Stirne an die Wand. + +Aber bald darauf war ein Aufatmen unter den Leuten, der Überthan hatte +sich gefunden. + +Und als gegessen war -- wir genossen keinen Bissen -- und als alles +bereitet war, da machten sie die Thür auf in die Vorlauben hinaus und +knieten nieder vor dem Sarg und beteten laut die fünf Wunden Christi. + +Dann stellten vier Männer den Sarg auf die Trage und huben ihn auf und +trugen ihn aus der armen Menschenwohnung im Walde und davon über die +Heiden und Wiesen und durch hohe Wälder. + +Und ringsum war die Winternacht, und über allem lag der Sternenhimmel. + +Noch einen Blick auf das leere Bahrbrett, dann zog ich rasch meinen +kleinen Bruder mit mir fort, und Vater und Schwestern eilten auch nach, +und der ältere Bruder verschloß die Thür, und nun lag die Waldhütte da +in der Dunkelheit und in der tiefsten Stille. Das Leben war fort, der +Tod war fort -- eine größere Einsamkeit kann nicht mehr sein. -- + +Man hörte das Summen des betenden Leichenzuges, man sah das Flimmern +der wenigen Laternen zwischen den Baumstämmen. Die Träger gingen +mit schnellem Schritte, die Beter konnten schier nicht nachkommen +auf dem holperigen Schneepfade. Ich war mit dem kleinen Bruder weit +zurückgeblieben, der Knabe konnte so schnell nicht vorwärts. -- +Im Leben hätte uns die Mutter nie so zurückgelassen, da hätte sie +gewartet, ein wenig lächelnd und ein wenig grollend, und den Kleinen +an der Hand geführt. Jetzt verlangte ihr schon nach der Ruh'. + +Vor dem Pfarrdorfe am Wege steht ein hohes Kreuz mit dem lebensgroßen +Bilde des Heilands. Hier setzten sie nach stundenlangem Wallen vom +Gebirge her den Sarg zu Boden und warteten auf den Arzt, der aus +dem Dorfe kam zur Totenbeschau. Aber als wir zwei Zurückgebliebenen +nachkamen, da war der Sargdeckel bereits wieder festgehämmert. -- So +konnte ich Dich denn nimmermehr sehen auf dieser Erde, meine Mutter! -- + +Im Dämmerlichte der Morgenröte zogen sie zur Pfarrkirche ein. + +Die Glocken klangen hell zusammen. Mitten in der dunkeln Kirche war +ein hoher Sarkophag aufgerichtet, es strahlten viele Kerzen, und es +begann ein feierlicher Trauergottesdienst. Der Pfarrer des Ortes, ein +alter, blinder Mann mit schneeweißen Haaren, eine ehrwürdige Gestalt, +umgeben von Priestern in reichem Ornat, hielt das Requiem. Seine Stimme +war hell und feierlich, ein Sängerchor antwortete, und Trompeten und +Posaunen tönten durch die Kirche. + +Ich sah den Vater an, er mich, wir wußten nicht, wer das alles so +angeordnet hatte. Heute weiß ich, daß es meine Freunde in Krieglach +gewesen, die uns den schönen Liebesdienst gethan haben. + +Als der Trauergottesdienst vorüber war, wurde der Sarkophag weggeräumt, +wurden am Hochaltare alle Festkerzen angezündet, und drei Priester, +nicht mehr in Farben der Trauer, sondern in rosigem, golddurchwirktem +Meßgegewande, traten an die Stufen des Altares, und es wurde ein +feierliches Hochamt mit hellem Glockenschall und fröhlichem +Musikklange aufgeführt. »Weil sie erlöst ist von dem Leide«, sagte ich +zu dem Knaben. + +Endlich schwankte der Sarg, reich geziert, von der Pfarrkirche, in +welcher die Waldbäuerin voreinst getauft und getraut worden war, dem +Friedhofe zu. Die Priester und der Sängerchor sangen laut und hell das +Requiem, die Glocken klangen über das Dorf weit hin in die Wälder, und +die Kerzen flackerten im Sonnenschein. Ein langer Zug von Menschen +bewegte sich durch die breite Dorfgasse. Wir gingen hinter dem Sarg und +hielten brennende Kerzen in den Händen und beteten. + +Draußen zwischen Äckern und Wiesen auf einer sanften Anhöhe liegt der +Friedhof. Er ist nicht klein, denn die Pfarre erstreckt sich weit hin +über Berg und Thal. Er ist eingefriedet mit einem Bretterzaun, viele +Kreuze von Holz und verrostetem Eisen stehen darin, und mitten ragt das +Bildnis des gekreuzigten Erlösers. + +Vor diesem Bilde, zur rechten Hand, war das tiefe Grab -- gerade an +derselben Stelle, wo sie vor Jahren die zwei verstorbenen Kinder der +Waldbäuerin gebettet hatten. Zwei frische Erdhügel lagen am Grabe +geschichtet. + +Hier ließen die Träger den Sarg zu Boden und entkleideten ihn aller +Zier, und arm, wie er gekommen war aus der Waldhütte, rollte er hinab +in die Grube. + +»Heut' ist's an Dir, morgen ist's an mir; so bin ich schon zufrieden,« +murmelte mein Vater, und der Priester sagte: »Sie ruhe im Herrn!« + +Dann warfen sie Erdschollen hinab und gingen davon. Gingen dem +Wirtshause zu, genossen Wein und Brot und redeten von täglichen Dingen. +-- Als die zwölfte Stunde war und nach der Sitte die Kirchenglocken +noch einmal anhuben zu läuten, der Bestatteten zum letzten Gruß, +machten sich die Waldbewohner auf den Weg gegen ihr Hochthal. + +Wir Zusammengehörigen saßen noch eine Weile beisammen und sprachen +traurig von der Zeit, die nun kommen mußte und wie sie einzurichten +sei. Dann nahmen wir Abschied, Vater und Geschwister gingen heim in die +Waldhütte, um in derselben wie die Mutter zu leben und zu sterben. + +Mich hat ein Freund in Krieglach zu seinem Tisch geladen, hat einen +Becher mit Schaumwein gehoben und das Wort gesagt: »Die Toten sollen +leben!« + +Sie leben in unserem Herzen. + +In der letzten Stunde vor der Abreise nach der Stadt ging ich durch ein +Nebengäßchen nach dem Friedhof. Das Grab war noch offen, und einsam +stand unten der weiße Sarg. -- Die Sonne Deines letzten Tages geht +jetzt unter, und dereinst werden die Zeiten nimmer zu messen sein, vor +denen Du das irdische Licht hast gesehen. + +Die Erde rollte hinab, und über den Bergen der Waldheimat lag ein +fremder Schatten. + + [Illustration] + + + Druck von Grimme & Trömel in Leipzig. + + + + + Verlag von L. Staackmann in Leipzig. + + + Empfehlenswerte Schriften + + von + + Peter Rosegger. + + _Als ich jung noch war._ Neue Geschichten aus der Waldheimat. + Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--. + + _Das Buch der Novellen._ 3 Bände. Brosch. je Bd. M. 2.50 + eleg. geb. M. 3.70. + + _Erdsegen._ Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechts. Ein + Kulturroman. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--. + + _Feierabende._ Lustige und finstere Geschichten. Brosch. M. 2.50, + eleg. geb. M. 3.70. + + _Der Gottsucher._ Roman. Brosch. M. 2.50, eleg. geb. M. 3.70. + + _Heidepeters Gabriel._ Brosch. M. 2.50, eleg. geb. M. 3.70. + + _Mein Himmelreich._ Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen + aus dem religiösen Leben. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--. + + _Jakob der Letzte._ Eine Waldbauerngeschichte aus unsern Tagen. + Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.20. + + _Das ewige Licht._ Erzählung aus den Schriften eines + Waldpfarrers. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--. + + _Peter Mayr_, der Wirt an der Mahr. Roman. Brosch. M. 4.--, eleg. + geb. M. 5.20. + + _Die Schriften des Waldschulmeisters._ Brosch. M. 2.50, eleg. + geb. M. 3.70. + + _Waldheimat._ Erinnerungen aus der Jugendzeit. 2 Bände. Brosch. + à Bd. M. 2.50, eleg. geb. M. 3.70. + + _Mein Weltleben_, oder wie es dem Waldbauernbuben bei den + Stadtleuten erging. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--. + += Ausführliche Verzeichnisse der Rosegger'schen Schriften sind durch +sämtliche Buchhandlungen zu beziehen. = + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75569 *** |
